The Project Gutenberg EBook of Wilhelm Hauffs sämtliche Werke in sechs Bänden. Fünfter Band, by Wilhelm Hauff This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org/license Title: Wilhelm Hauffs sämtliche Werke in sechs Bänden. Fünfter Band Author: Wilhelm Hauff Annotator: Alfred Weile Release Date: March 1, 2020 [EBook #61539] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WILHELM HAUFFS SÄMTLICHE *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.
Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.
Mit einer biographischen Einleitung
von Alfred Weile
Neu durchgesehene Ausgabe
:: :: in neuester Rechtschreibung :: ::
Fünfter Band.
A. Weichert Verlag, Berlin NO.43, Neue Königstr. 9.
Der Mann im Monde.
Kontroverspredigt über H. Clauren und den Mann im Monde. – Skizzen.
Seite | |
Der Mann im Monde | 5 |
Kontroverspredigt über H. Clauren und den Mann im Monde | 193 |
Skizzen: | |
Die Bücher und die Lesewelt | 225 |
Freie Stunden am Fenster | 240 |
Der ästhetische Klub | 264 |
Ein paar Reisestunden | 267 |
Hochzeitgruß an Karl Grüneisen | 278 |
Von
H. Clauren.
Ueber Freilingen lag eine kalte, stürmische Novembernacht; der Wind rumorte durch die Straßen, als sei er allein hier Herr und Meister, und eine löbliche Polizeiinspektion habe nichts über den Straßenlärm zu sagen. Dicke Tropfen schlugen an die Jalousien und mahnten die Freilinger, hinter den warmen Ofen sich zu setzen während des Höllenwetters, das draußen umzog. Nichtsdestoweniger war es sehr lebhaft auf den Straßen; Wagen von allen Ecken und Enden der Stadt rollten dem Marktplatz zu, auf welchem das Museum, von oben bis unten erleuchtet, sich ausdehnte.
Es war Ball dort, als am Namensfest des Königs, das die Freilinger, wie sie sagten, aus purer Gewissenhaftigkeit, nie ungefeiert vorbeiließen. Morgens waren die Milizen ausgerückt, hatten prächtige Kirchenparade gehalten und kümmerten sich in ihrem Patriotismus wenig darum, daß die Dragoner, welche als Garnison hier lagen, sie laut genug bekrittelten. Mittags war herrliches Diner gewesen, an welchem jedoch nur die Herren Anteil genommen und so lange getrunken und getollt hatten, daß sie kaum mehr mit dem Umkleiden zum Ball fertig geworden waren.
Auf Schlag sieben Uhr aber war der Ball bestellt, dem die Freilinger Schönen und Nichtschönen schon seit sechs Wochen[6] entgegengeseufzt hatten. Schön konnte er diesmal werden, dieser Ball; hatte ihn doch Hofrat Berner arrangiert, und das mußte man ihm lassen, so viele Eigenheiten er sonst auch haben mochte, einen guten Ball zu veranstalten, verstand er aus dem Fundament.
Die Wagen hatten nach und nach alle ihre köstlichen Waren entladen; die Damen hatten sich aus den neidischen Hüllen der Pelzmäntel und Schals herausgeschält und saßen jetzt in langen Reihen, alle in unchristlichem Wichs, an den Wänden hinauf. Es war der erste Ball in dieser Saison. Der Landadel hatte sich in die Stadt gezogen, Kranke und Gesunde waren aus den Bädern zurückgekehrt; es ließ sich also erwarten, daß das Neueste, was man überall an Haarputz und Kleidern bemerkt und in seinem aufmerksamen Herzen bewahrt hatte, an diesem Abend zur Schau gestellt werden würde. Daher füllte die erste halbe Stunde eine Musterung der Coiffuren und Girlanden, und das Bebbern und Wispern der rastlos gehenden Mäulchen schnurrte betäubend durch den Saal. Endlich aber hatte man sich satt geärgert und bewundert und fragte überall, warum der Hofrat Berner das Zeichen zum Anfang noch nicht geben wolle.
Das hatte aber seine ganz eigenen Gründe; man sah ihm wohl die Unruhe an, aber niemand wußte, warum er, ganz gegen seine Gewohnheit, unruhig hin und her laufe, bald hinaus auf die Treppe, bald herein ans Fenster renne; sonst war er Punkt fünf Uhr mit seinem Arrangement fertig gewesen und hatte dann ruhig und besonnen den Ball eröffnet, aber heute schien ein sonderbarer Zappel das freundliche Männchen überfallen zu haben.
Nur er wußte, warum alles warten mußte; keinem Menschen, so viel man ihn auch mit Schmeichelwörtchen und schönen Redensarten bombardierte, vertraute er ein Sterbenswörtchen davon; er lächelte nur still und geheimnisvoll vor sich hin und ließ nur hie und da ein »werdet schon sehen« – »man kann nicht wissen, was kommt« fallen.
Wir wissen es übrigens und können reinen Wein darüber einschenken: Präsidents Ida war vor wenigen Stunden aus der Pension zurückgekommen; er, der alte Hausfreund, war zufällig dort, als sie ankam, er hatte nicht eher geruht, bis sie versprochen hatte, das ganze Haus in Alarm zu setzen, das Blondenkleid, in welchem sie bei Hofe war präsentiert worden, ausbügeln zu lassen und auf den Ball zu kommen. Wie spitzte er sich auf die langen Gesichter der Damen, auf die freundlichen[7] Blicke der Herren, wenn er die wunderschöne Dame in den Saal führen würde; denn kennen konnte sie im ersten Augenblick niemand.
Wo hatte nur das Mädchen die Zeit hergenommen, so recht eigentlich bildhübsch zu werden? Als sie vor drei Jahren abreiste, wie besorglich schaute da der gute Hofrat dem Wagen nach; er hatte sie auf dem Arm gehabt, als sie kaum geboren war; bis zu ihrem vierzehnten Jahre hatte er sie alle Tage gesehen, hatte sie früher auf dem Knie reiten lassen, hatte sie nachher, trotz dem Schmollen der Präsidentin, zu allen tollen Streichen angeführt; er liebte sie wie sein eigenes Kind, aber er mußte sich vor drei Jahren doch gestehen, daß ihm angst und bange sei, was aus dem wilden Ding werden solle, das man da in die Residenz führe, um sie menschlich zu machen.
Denn wollte man ein Mädchen sehen, das zur Jungfrau und fürs Haus völlig verdorben schien, so war es Präsidents Wildfang; einen solchen Ausbund traf man auf zwanzig Meilen nicht. Kein Graben war ihr zu breit, kein Baum zu hoch, kein Zaun zu spitzig; sie sprang, sie klimmte, sie schleuderte trotz dem wildesten Jungen; hatte sie doch selbst einmal heimlich ihren Damensattel auf den wilden Renner ihres Bruders, des Leutnants, gebunden und war durch die Stadt gejagt, als sollte sie feuerreiten! Dabei war sie mager und unscheinbar, scheute sich vor jeder weiblichen Arbeit, und der einzige Trost der gnädigen Mama war, daß sie Französisch plappere wie ein Stärchen, und daß, trotz ihrem Umherrennen in der Märzsonne, ihr Teint dennoch trefflich erhalten sei.
Aber jetzt –!
Nein! Was war mit diesem Mädchen in den kurzen drei Jahren eine Veränderung vorgegangen: wenigstens um einen Kopf war sie gewachsen, alles an ihr hatte eine Rundung, eine zarte Fülle bekommen, die man sonst nicht für möglich gehalten hätte; das Haar, das sonst, wie oft man es auch kämmte und an den Kopf hinsalbte, der wilden Hummel in unordentlichen Strängen und Locken um den Kopf flog, war jetzt der herrlichste Kopfputz, den man sich denken konnte. Die Augen waren glänzender, und doch fuhren sie nicht, wie ehemals, wie ein Feuerrädchen umher, alles anzuzünden drohend. Die Wangen bedeckte ein feines Rot, das bei jedem Atemzug in alle Schattierungen von zartem Rosa bis ins Purpurrot wechselte; das liebe Gesichtchen war oval und hatte eine Würde bekommen, über die der staunende Hofrat lächeln mußte, so sehr er sie bewunderte.
Dieses Götterkind, diesen Ausbund von Liebenswürdigkeit erwartete der Hofrat; dem guten alten Junggesellen pochte das Herz beinahe hörbar, wenn er an sein Gold-Idchen dachte. Wie mußte sie erst im Ballkleide aussehen, wenn sie ihn in dem Reiseüberröckchen und in der Haube à la jolie femme beinahe närrisch machte; wie mußte sie erst strahlen, wenn sie, wie sie ihm versprochen, die Haare nach dem allerfunkelnagelneuesten Geschmack, die schöne Stirne und den schlanken Hals, die wie aus Wachs geformten Partien, welche die handbreiten Brüsseler Kanten umziehen werden, mit dem Amethystschmucke zierte, den sie von ihrer Patin, der Fürstin Romanow, geschenkt bekommen hatte. Ihm, ihm hatte sie mit all jener Herzlichkeit, mit der sie früher versprochen, einen Spaziergang mit ihm zu machen oder ihn, den Einsamen, zu besuchen, wenn er krank war, jetzt als Königin des Festes die erste Polonäse zugesagt.
Immer verdrießlicher wurden die Damen, immer ungestümer mahnten die Herren den alten Maître de plaisir, schon seit einer halben Stunde stimmten die Musikanten, daß man vor dem Quieken der Klarinette, vor dem Brummen der Bässe sein eigenes Wort nicht hörte – er gab nicht nach. Da rasselte ein Wagen über den Marktplatz her und hielt vor dem Flügeltore des Museums.
»Das sind sie,« murmelte der Hofrat und stürzte zum Saal hinaus; bald darauf öffneten sich die Flügeltüren, und der kleine freundliche Alte schritt am Arme einer jungen Dame in den Saal.
Aller Augen waffneten sich mit Lorgnetten und Brillen; wer konnte das wunderschöne Mädchen sein, so hoch und schlank, mit dem königlichen Anstand, mit dem siegenden Blick, mit der kräftigen Frische des jugendlichen Körpers? Sie nickte so bekannt nach allen Seiten, als käme sie alle Tage auf Freilinger Bälle und Assembleen; und doch kannte sie niemand. Doch ja! Da kommt ja auch der alte Präsident. Wahrhaftig! es kann niemand anders sein als Präsidents Ida!
Aber wie herrlich war dieses Knöspchen aufgegangen! »Welcher Anstand!« bemerkten die Herren. »Welche Figur! Welcher Nacken! Wahrhaftig, man möchte ein Mückchen oder noch etwas weniger sein, nur um darauf spazieren zu gehen.«[9] »Welcher Schmuck, welche Spitzen, welche Stickerei an dem Kleid!« bemerkten die Damen und wünschten sich weit weg, denn wie sollten sie ihre Fähnchen, die sie doch ihr gutes Geld gekostet, ihre Blumen, die sie selbst gemacht und für wundervoll gehalten hatten, neben diesen italienischen Rosen und Astern, die eben erst aus den Gärten der Hesperiden gepflückt zu sein schienen, neben diesen Kanten sehen lassen, von welchen die Elle vielleicht mehr wert war als eines ihrer Ballkleider, nebst Schneiderskonto und Façon! Nein, Berner, der arge Berner hätte ihnen keinen schlimmern Streich spielen können, als diese Ida gerade heute einzuführen. Aber man mußte sich Gewalt antun; der Präsident machte das erste Haus in der Stadt, war der gewaltige Herrscher der Provinz, eine glänzende Aussicht auf Thés dansants, Soupers, Hausbälle und dergleichen eröffnete sich vor den schnell berechnenden Blicken der Damen; wehe der, die dann nicht mit Ida bekannt war oder sie sogar kalt empfangen hatte! Man wußte, daß dies der Herr Präsident nie verzeihen würde; man nahm sich zusammen, und in kurzem war die Gefeierte von allen jungen und alten Damen umringt, welche Glück wünschten, alte Bekanntschaft erneuerten und nebenbei dies und jenes von dem hoffähigen Anzug spickten. Alle redeten zumal, keine wurde verstanden, und die Herren fluchten und schimpften ein Donnerwetter über das andere, daß sich eine so dichte Wolke vor diese kaum aufgegangene Sonne gedrängt und sie ihrem Anblick entzogen habe.
Jetzt zog Hofrat Berner das weiße Sacktuch, schwenkte es in der Luft und gab dem Kapellmeister und Stabstrompeter der Dragoner das Zeichen, und eine herrliche Polonäse begann. Im Nu stoben die Glückwünschenden auseinander und machten Raum für die Assessoren, Leutnants, Sekretäre, jungen Kaufherren, Jagdjunker, die glücklicherweise noch nicht versagt waren und sich jetzt um einen Walzer, Ekossaise oder gar Kotillon mit Ida die Hälse brechen wollten. Sie aber lachte, daß die Schneeperlen der Zähne durch die Purpurlippen heraussahen, behauptete, sich immer nur auf eine Tour zu versagen, hüpfte dem Hofrat entgegen und reichte ihm die kleine Hand.
Selig, gerührt, begeistert stellte er sich mit seinem holden Engelskind an die Spitze der Kolonne und marschierte unter den mutigen, lockenden Tönen der Polonäse stolzen Schrittes gegen das wohlunterhaltene feindliche Tirailleurfeuer, das von vorn, von den Flanken, überallher aus den Mündungen der Lorgnetten auf seine Tänzerin sprühte. Aber diese, war sie[10] kurzsichtig, hatte sie statt des Korsettchens einen Kürassierpanzer vom feinsten Stahl mit der Musketenprobe um das Herzchen oder war sie das Feuer so gewohnt, wie die alte Garde, die, Gewehr im Arm, im Paradeschritt durch das Kartätschenfeuer marschierte? Ich weiß nicht, aber sie schien gar nicht auf die schrecklichen Ausbrüche der gebrochenen Herzen, auf die Knallseufzer der Verwundeten zu hören, das Plappermäulchen ging so ruhig fort, als ginge sie, drei Jahre jünger, mit dem guten Hofrätchen im Wald spazieren.
Da kamen alle die Streiche, die der leichte Springinsfeld losgelassen, alle jene tausend Schwieten des kleinen Uebermuts aufs Tapet. Lust und Lachen blitzte wie ehemals aus ihrem Auge, wenn sie sich erinnerte, wie sie einem Spanferkel Kindszeug angezogen und es dem Hofrat als Findling vor die Türe gelegt, wie sie dem Oberpfarrer die Waden voll Stecknadeln gesetzt, daß sie aussahen wie der Rücken eines Stachelschweines, alles, ohne daß er es merkte, denn er trug falsche. Der Hofrat wollte seinen Ohren nicht trauen. Es war ja dasselbe lustige, naive Ding wie früher, und doch so wunderherrlich, so groß, mit so unendlich viel Anstand und Würde! Er hätte sie auf der Stelle am Kopf nehmen und recht abküssen mögen wie früher, wenn sie einen rechten Ausbund von Schelmenstreich gemacht hatte.
Es ging über seine Begriffe! »Wie können Sie nur so hartherzig sein, Idchen!« sagte er, »und nicht einen Blick auf unsere jungen Herren werfen, die zerschmelzen wie Wachs am Feuer? Nicht einmal einen Blick für alle diese Exklamationen und Beteuerungen, welche Sie doch gehört haben müssen?«
»Was gehen mich Ihre jungen Herren an?« plapperte sie mit der größten Ruhe fort. »Die sind hier, wie überall, unverschämt wie die Fleischmücken im Sommer. Das könnte kein Pferd aushalten, wollte man darauf achten. Sie pfeifen in der Residenz ebenso, das wird man gewohnt; so von Anfang macht es ein wenig eitel. Wenn man aber sieht, wie sie dieser und jener dasselbe zuflüstern, vor der Ursel ebenso wie vor der Bärbel sterben möchten, so weiß man schon, was solche schnackische Redensarten zu bedeuten haben.«
Die muß eine gute Schule durchgemacht haben, dachte der Hofrat. Siebzehn Jahre alt und spricht so mir nichts dir nichts von der Farbe, als wäre sie seit zwanzig Jahren in den Salons von Paris und London umhergefahren. Er ärgerte sich halb und halb über Mamsell Neunmalklug und Uebergescheit, denn es waren just keine unebene junge Männer, die ihre Seufzer[11] so hageldick losgelassen hatten, und ihn, der in seiner Jugend wohl so zwanzig Amouren und Amürchen gehabt hatte, konnte nichts mehr ärgern als ein fühlloses Herz.
Aber dieser Aerger konnte bei seinem Idchen nicht in ihm aufsteigen. Wenn er in ihr volles glühendes Auge sah, wenn er den süßgewölbten Mund betrachtete, da dachte er: Nein, dir traue dieser und jener, aber ich nicht, weiß ich doch von früher her, wie du gerne Flausen machst und dem guten ehrlichen Berner gerne ein X für ein U unterschiebst. Jetzt willst du dein Schach verdeckt spielen und mir irgend einen blauen Dunst vorschwefeln, und das Herzchen ist am Ende doch in der Residenz geblieben, und Fräulein Stahlherz ist nur darum so spröde gegen die Freilinger Stadtkinder. Aber basta! der Hofrat Berner hat auch gelebt und geliebt, und wettet seinen Kopf, dieses Auge weiß, was Liebe ist, diese frischen Purpurlippen haben schon geküßt, aber anders als nur solche Hofratsküsse!
Der gute Alte äußerte etwas von diesen Gedanken gegen Ida, sie aber sah ihm so ganz ruhig ins Gesicht und versicherte lächelnd: gefallen habe ihr schon mancher, geliebt habe sie aber bis diese Stunde noch keinen Mann, als ihren Vater und ihn.
»Aber sagen Sie, Idchen,« fragte der Hofrat, als er sie wieder an ihren Platz geführt hatte, »ist das etwa ein Cousin oder dergleichen, der da mit Ihnen kam?«
»Ich kam mit Papa,« antwortete die Gefragte, »sonst war niemand dabei. Wen meinen Sie denn?«
»Nun, der Bleiche dort kam ja doch wohl mit Ihnen, es kennt ihn niemand im Saal, und mit Ihnen trat er herein, sonst müßte er ja, Sie wissen, daß das Museum geschlossene Gesellschaft ist, sonst müßte er ja eingeführt sein. Sehen Sie, der dort.« Er zeigte hin. An eine Säule gelehnt, stand unbeweglich mit übergeschlagenen Armen eine schlanke Gestalt. Noch konnte Ida das Gesicht nicht sehen, nur die glänzenden schwarzen Locken des Haares fielen ihr auf; sie wollte sich eben besinnen, wo sie schon solche gesehen habe, da wandte sich jener um, und unwillkürlich schrak Ida zusammen; gespensterhafte Blässe lag auf diesem feinen, schönen Gesicht, geheimer Gram oder verschlossenes Kämpfen mit finsterem Leiden schien das muntere, jugendliche[12] Leben aus diesen tiefen, im schönsten Ebenmaß geformten Zügen hinweggewischt zu haben, und ein gemischtes Gefühl drängte sich bei seinem Anblick auf, neugieriges Mitleid schien sich mit zweifelhafter Furcht streiten zu wollen.
Kaum hatte des Fremden glühendschwarzes Auge Ida getroffen, als sie ihren Blick abwandte. Ueberraschung und Verlegenheit machten sie stumm auf einige Augenblicke; von dem Diadem auf der schönen Stirne, über den Liliensamt der blühenden Wange, bis herab auf den jungfräulichen Alabasterbusen flog ein brennendes Rot, das der Hofrat nicht unbemerkt ließ. Er wollte sie eben mit dem pfiffigsten Gesichte nach der Ursache ihres Rotwerdens fragen, aber eine Unzahl Herren drängte sich zu, sie um einen Tanz zu bitten; Vettern und Basen freuten sich, sie wiederzusehen, und gafften das Wunderkind an. Der Hofrat aber, welchem daran lag, die Spur, die er aufgefunden zu haben meinte, zu verfolgen, machte seine Bewegungen wie ein geübter Feldherr; er fragte sie so laut als möglich, ob es ihr jetzt, wie sie gewünscht, gefällig sei, zu ihrem Herrn Vater zu gehen, der im dritten Zimmer sich zu einem Whistchen gesetzt habe, und Pfiffköpfchen verstand gleich, wo der gute Alte hinaus wollte; sie beurlaubte sich also mit großer Hast von dem ungeheuren Kometenschweif, in welchem sie als Kern gesessen, und ging mit Berner durch den Saal.
Und jetzt nahm Berner sie ins Gebet; zuerst setzte er die Daumenschrauben des Spottes an, dann untersuchte er die vermeintliche Herzenswunde seines Gold-Idchens mit der langen Sonde des väterlichen Ernstes, indem er ihr vorwarf, sehr unklug getan zu haben, ihre Residenzliebhaber mit nach Freilingen zu nehmen. Sie aber lachte dem Ratgeber, welcher meinte, seine Sache recht gut gemacht und sie ganz im Netz zu haben, ins Gesicht und witschte ihm aus.
»Sie geben sich vergebliche Mühe, Hofrätchen,« kicherte das lose Ding, »ganz vergebliche Mühe; ich habe diesen Menschen in meinem ganzen Leben, auf Ehre, noch nie gesprochen; doch gesehen,« setzte sie, ernster werdend, hinzu, »gesehen habe ich ihn, und deswegen kam ich auch vorhin etwas in Verlegenheit.«
»Was da! Zwischen sehen und sehen ist ein großer Unterschied,« antwortete Berner mit einem völlig ungläubigen Kopfschütteln. »Da müssen Sie ihm doch ein wenig gar scharf in die Augen gesehen haben?«
»So hören Sie mich doch, Sie böser Mann!« unterbrach ihn Ida. »Wer wird denn auch gleich auf den Schein hin verdammen?[13] Ich sage noch einmal, ich weiß nicht, wer er ist, aber das innigste Mitleid habe ich mit ihm. Als wir gestern durch den Lanzinger Wald kamen, fuhren wir einer Equipage vor, die ganz langsam im Schritt hinging. Es war ein prachtvoller Landau mit einem großen Bock, worauf ein alter Diener in reicher Livree saß; am Wagen zogen vier Postpferde; das Dach war zurückgeschlagen, und es saß niemand darin als ein großer Hund. Sie wissen, wie man auf der Reise ist, man interessiert sich um die Mitreisenden, besonders wenn man glaubt, auf einerlei Station mit ihnen zu wohnen oder zu speisen. So dachte ich mir jetzt, die Reisenden, denen der Wagen gehöre, seien vorausgegangen und lassen ihn langsam nachfahren. Ich sah daher alle Augenblicke aus unserm Wagen, ob ich noch keine reisende Engländerinnen oder Französinnen gewahr werden könnte, aber immer vergebens. Endlich, als wir um eine Waldecke bogen, sah ich auf einmal einen Mann, der unter einer Eiche saß und zu dem Wagen gehören mußte.«
»Und war es derselbe, der dort an der Säule steht?« fragte der Hofrat.
»Derselbe, er war auch ganz schwarz gekleidet wie jetzt, sein Hut lag neben ihm im Gras, seinen Kopf stützte er in die hohle Hand. Das Geräusch unseres Wagens, der jetzt, weil es bergauf ging, auch langsam fuhr, schien ihn aufzuschrecken; ohne aufzusehen, ging er mit gesenktem Haupt bis an unsere Wagentüre. Da richtete er sich auf, und Sie können sich meinen Schrecken denken, Hofrat, als ich das nämliche geisterbleiche Gesicht sah, das auch Ihnen aufgefallen ist. Er mußte heftig geweint haben, denn Tränen hingen in den langen schwarzen Wimpern und gaben dem glühendschwarzen, sinnigen Auge einen ganz eigenen Reiz!«
»So, so? Einen ganz eigenen Reiz!« antwortete lächelnd der Hofrat. »Wer hat denn meinem Mädchen erlaubt, über Männeraugen Betrachtungen anzustellen? Hat sie das auch bei Madame la Truiaire in der Residenz gelernt?«
Das lustige Amorettenköpfchen, das sich da, es wußte nicht wie, verbebbert hatte, schlug die Augen nieder und sagte: »Legen Sie nicht alles so bös aus, Bernerchen, Sie verstanden ja doch sonst Ihre Ida nicht immer falsch.
Sehen Sie, was die Augen betrifft, da habe ich nun einmal meinen eigenen Geschmack. Schöne blaue oder schwarze Augen, mitunter auch recht glänzendbraune, sehe ich an jedermann gerne. Daher sind mir auch alle jungen Herren so zuwider,[14] weil sie selten schöne Augen haben; sie haben ihnen durch die Lorgnetten, Brillen und, Gott weiß durch was sonst, den schönsten Glanz benommen und stieren uns an wie gestochene Böcke; desto mehr freue ich mich, wenn ich einmal eine solche Ausnahme treffe. Eine ganz eigene Freude macht mir auch das Aufschlagen der Augen, das man unter Tausenden kaum einmal so recht anmutig, sinnig und, wie man es gerne haben möchte, trifft. Beides sah ich nun an dem Fremden, darum hat er mir auch so ge–«
Da hatte sich das schnelle Schnäbelchen schon wieder verplappert! Der Hofrat horchte noch immer, aber Idchen blieb still, biß die Lippen zusammen und spielte mit dem Amethystkreuz am Kollier, das unter dem Tanzen sich zwischen den Schneehügeln hinabgeschoben hatte und ganz glühend heiß geworden war.
»Ei, ei!« warnte der Hofrat, »ich habe da in zwei Minuten Dinge gehört, wovor einem die Haut schaudern könnte; nimm dich um Gottes willen in acht, Kind, wenn du deine Augenbeobachtungen anstellst; ich weiß es aus meiner Jugend, daß in gewissen Augen Häkchen sitzen, die uns, wenn man allzutief schaut, festhalten, daß an kein Entrinnen zu denken ist; hast du nie etwas von der Augensprache gehört?«
»Doch,« entgegnete der kleine Uebermut, »ich glaube, sie auch zur Not zu verstehen.« –
»Ist gar nicht vonnöten; man spricht sie zwar vom Rhein bis zum Mississippi, vom Don bis zum Ohio. Lerne aber nie mehr, als etwas Kauderwelsch parlieren, denn wer sich so gar geläufig ausdrückt und mit zwanzig zumal in dieser Sprache spricht, gilt nicht mit Unrecht für eine Erzgeneralkokette.«
»Nun, für eine solche werden Sie mich doch nicht halten?« fragte Ida etwas empfindlich.
»Dazu kenne ich mein süßes Mädchen zu gut,« entgegnete der Hofrat traulich und drückte ihr das weiche Samthändchen; »was aber den bleichen Patron dort drüben betrifft, so kann er über allerlei geweint haben; er kann zum Beispiel seine Mutter, seine Schwester oder gar sein Mädchen verloren haben.«
»Mei–nen – Sie?« antwortete Ida gedehnt und unmutig. »Doch nein! da würde er ja nicht auf den Ball gehen,« setzte sie freudig hinzu! »da würde er zu Haus trauern und nicht die Freude aufsuchen.«
»Oder,« fuhr jener fort, »es gingen ihm vielleicht seine Wechsel aus, und er hat im Augenblick kein Geld, um seine Reise weiter fortzusetzen.«
»Nicht doch,« fiel sie ein, »wie mögen Sie nur diesem interessanten Gesicht einen so gemeinen Kummer andichten. Sieht er nicht nobler aus als alle unsere Assessoren, Leutnants und so weiter zusammen, und er sollte mit vier Postpferden in einem herrlichen Landau fahren und weinen, weil er kein Geld hat? Pfui!«
»Ei, wie sich der kleine Advokat vereifert und verdisputiert; das Mäulchen geht ja, als sollte es einen Prozeß vor den Assisen führen! Uebrigens wollen wir bald sehen, wer der Patron ist; habe ich doch den Ball arrangiert und daher auch das Recht, Fremden, die sich eindrängen, auf den Zahn zu fühlen.«
»Nun ja, tun Sie das, liebes Hofrätchen, aber ja recht artig und delikat,« setzte das errötende Mädchen mit den süßesten Schmeichelworten hinzu; »wer so tiefen Kummer hat, wie jener zu haben scheint, muß unter Fremden wie unter Freunden zart behandelt werden!«
Unterdessen hatten sich mehrere Herren an Berner gewendet, um zu erfahren, wer der Fremde sei; allen war es aufgefallen, wie er schon seit einer Stunde sich nicht vom Platz bewegte und, an eine Säule gelehnt, so wenig Interesse an dem glänzenden Ball zu nehmen schien. Der Hofrat ging zu ihm hin und kehrte bald zurück. »Wer ist es? Wie heißt er?« fragten zehn, zwanzig zumal. »Was hat er gesprochen?«
»Nichts hat er gesprochen!« antwortete Berner, »sondern mir nur diese Karte gegeben.«
Die Karte ging jetzt von Hand zu Hand, es war aber nichts darauf zu sehen als ein schöngestochenes Wappen und der Name, Emile, Comte de Martiniz. »Ein Graf also?« Die Neugierde war nur halb gestillt; die Freilinger, denen die Erscheinung eines fremden Grafen auf ihren Bällen etwas Seltenes sein mochte, gingen kopfschüttelnd umher; sie hätten gar zu gerne gewußt, woher er komme, wohin er gehe, warum er nicht tanze. Man betrachtete das fremde Wundertier von allen Seiten; doch der Hofrat, der so viel Takt hatte, daß er in des[16] Fremden Seele fühlte, wie peinlich eine so kleinliche Neugierde sein müsse, gab das Zeichen, und die Galoppade, von zwanzig Trompeten vorgetragen, rauschte durch den Saal hin und rief zum Tanze.
Walzer um Walzer waren getanzt, noch immer stand die fremde, gebietende Gestalt unbeweglich an die Säule gelehnt. Es war, als hätte er sich nur in schwarz und weiß geteilt und kenne keine andere Farbe. Sein Haar, sein Auge war so dunkel als das feine glänzende Tuch seines Kleides; das blendend bleiche Gesicht, die wunderschöne Wäsche, welche durch ihre Weiße und ihre zierlichen Fältchen den Freilinger Damen schon von weitem Bewunderung einflößte, kontrastierten sonderbar mit jener dunkeln Farbe; nur die feinen Lippen schmückte ein gesundes, freundliches Rot. Er schien ganz ohne Teilnahme in das bunte Gewühl hineinzustarren, aber dennoch begegnete nicht leicht einer diesem scharfen Blicke, ohne das eigene Auge überrascht vor diesem furchtbaren Ernst, dieser sprühenden Glut niederzuschlagen.
Wie es aber zu gehen pflegt, die Damen fingen nachgerade an, nicht viel von dem Fremden zu halten, weil er nicht tanzte, die jungen Herren machten sich über ihn lustig, und beide Teile hatten so viel an der neuen Erscheinung der wunderlieblichen Ida zu schauen, zu bekritteln, zu bewundern, daß man bald nicht mehr an jenen dachte. Nur Idas Blicke streiften öfter nach jener Säule hinüber; ein Blick zu ihm schien sie für das Geschwätz der Freilinger Stutzer, die ihr heute unendlich fade vorkamen, zu entschädigen. Doch betrachtete sie ihn immer nur von der Seite; denn wenn Auge auf Auge traf, so trieb es ihr unwiderstehlich die Glut ins Gesicht, und sie war froh, daß die Musik so laut war, denn sie meinte in solchen Momenten, man müsse ihr siedendes, glühendes Blut an ihr Herzchen pochen hören. Waren es die Tränen, die sie gestern in diesen dunkeln Wimpern sah, war es der wehmütige Ernst auf seinem Gesicht, was sie so rührte, hatte der Hofrat recht mit den Häkchen, die in gewissen Augen sitzen, und hatte sie zu tiefe Beobachtungen angestellt und war geangelt worden und gef–? – Nein! lächelte sie schelmisch vor sich hin, da hat es keine Not; es ist ja nur das natürliche Mitleiden, was mich immer nach ihm hinsehen heißt!
Elf Uhr war vorüber, es sollte noch eine Ekossaise vor dem Souper getanzt werden. Stürmisch drängten sich die Herren um das Wunderkind; aber Trotzköpfchen Ida blieb fest dabei,[17] diesmal auszusetzen, und ließ die Herren ablaufen. Der Hofrat setzte sich zu ihr, und unwillkürlich waren sie wieder mitten im Gespräch über den Fremden.
»Ach, sehen Sie nur,« sagte Ida mit der himmlischen Gutmütigkeit ihres Engelköpfchens, »sehen Sie nur, ich meine, er wird zusehends immer blässer; wenn er nur nicht krank wird.« Der Hofrat fand ihre Bemerkung richtig, er zeigte ihr aber, wie dieser feste heldenmäßige Körper nicht so leicht von einem Kranken-Unfall gestört werden könne; aber Ida wurde immer unruhiger, sie sah, wie Martiniz die Lippen zusammenpresse, als wolle er einen Schmerz verbeißen; der Ernst in seinem Gesicht wurde nach und nach zur Trauer, das Wehmütige, der tränenschwere Trübsinn in seinem Auge wurde immer unverkennbarer.
»O Gott, sehen Sie ihn nur an, guter Berner, ist mir doch, als sollte ich zu ihm gehen und fragen: was fehlt dir, daß du nicht fröhlich bist mit den Fröhlichen? Wie gerne wollte ich alles tun, dir zu helfen.« –
Der Mensch denkt's, Gott lenkt's!
Auch der Hofrat wurde jetzt unruhig, denn mit einem Ruck hatte sich der bleiche Fremde aufgerafft und stand nun in seiner ganzen Größe, in gebietender und doch graziöser Haltung da, aber sein Auge heftete sich furchtbar starrend nach der Saaltüre. Berner wollte eben aufstehen und zu ihm hin –
Da öffnete sich die Türe, ein alter, reichgekleideter Bedienter, derselbe, welchen Ida gestern gesehen, trat ein, ging auf den Fremden zu und neigte sich schweigend vor ihm. Dieser riß eine Uhr heraus, warf einen Blick auf sie und einen zweiten voll Wehmut auf Ida herüber und verließ langsamen Schrittes den Saal.
Ehe noch der Hofrat seiner Nachbarin seine Vermutungen über diesen sonderbaren Abzug mitteilen konnte, war die Ekossaise zu Ende. Der Präsident kam und führte sein liebes, holdes, wunderherziges Töchterchen zur Tafel.
Der alte Küster am Münster zu Freilingen saß in dieser Nacht nach seiner Gewohnheit noch lange in seinem kleinen Stübchen; der Abendsegen war schon vor einer Stunde seiner Ehehälfte vorgelesen, er hatte sich jetzt hinter die alte Chronik gesetzt und las mit brummender Stimme halblaut vor sich hin, wie man den herrlichen, vierhundert Schuh hohen Münsterturm erbaut, und wie solches viel Zeit und Geld gekostet habe. Eben wollte die Alte den weiß und blau gestreiften Umhang der zweischläfrigen Himmelbettlade auseinanderschlagen, um ihren Ehezärter zu ermahnen, sein gewohntes Lager zu suchen, als man stark an den Fensterladen des niedern Parterrestübchens pochte. »Macht auf, Meister Küster! seid so gut und macht auf!« rief eine tiefe, aber bescheidene Stimme draußen. »Wird wohl ein Bote von einem Kranken sein,« näselte der Küster, »der die Sakramente noch will.« Er legte die Brille ins Chronikbuch, daß die Stelle nicht verblättere, denn er hatte von dem Kalk gelesen, den man mit Wein angemacht habe, und hatte dabei unmutig an das Dünnbier gedacht, das seine Ursula ihm, einem Nachkommen dieser Weinmaurer, tagtäglich vorsetzte.
Draußen schob er die mächtigen Schlösser und Riegel der Haustüre auf, und herein trat ein kleiner ältlicher Mann in reichbordiertem Bedientenrocke. »Was soll's so spät?« fragte der Küster.
»Kamerad,« antwortete der Bediente, indem er den Küster aus dem kalten Hausgang in die wärmere Stube hineinzog. »Kamerad, wollt Ihr mir und noch jemand einen Liebesdienst erweisen?« Zugleich legte er einen blanken harten Taler auf den Tisch.
Der Küster wog den Taler in der Hand, ließ ihn wieder auf den Tisch fallen, daß es einen wohllautenden Klang gab, und sagte: »Wenn's nichts gegen Amt und Gewissen ist, warum nicht?«
»So nehmt Eure Schlüssel,« fuhr der andere fort, »und schließt die Münsterkirche auf.«
»Jetzt, in dieser Stunde?« rief der Alte mit Entsetzen, »Jetzt, in dieser stürmischen Nacht? Geht nicht, Kamerad, so wahr ich – nein, es geht nicht, mich bringt kein Hund hinüber!«
»Beileibe,« rief die Küsterin aus dem Bette und riß den Umhang zurück, daß man das ganze Paradiesgärtlein ihres[19] geblümten Bettes übersehen konnte, »führe uns nicht in Versuchung Alter, laß dich nicht betören, wer weiß, was draußen lauert.«
»Hätte nicht geglaubt, daß Ihr, ein so stattlicher Mann, unter dem Weiberregimente stündet,« sprach der alte Diener. »Glaubt mir, es ist auch ein Gottesdienst, wenn Ihr mitgeht, und bringt Euch guten Lohn.« Noch einmal wog der Küster den Taler auf der Fingerspitze und schien sich zu besinnen. »Es wird zwar gleich zwölf Uhr brummen, und da ist es gar nicht geheuer drüben in der Kirche, denn ich weiß, was ich weiß, und habe gesehen, was ich gesehen habe, aber weil Ihr sagt, es sei ein Gottesdienst, so kommt.« Indem hatte er schon die Laterne zurechtgemacht. Er hing noch einen warmen Mantel um und ergriff die gewichtigen, wunderlich geformten Schlüssel.
»Ei du meine Güte! Läßt er sich doch verblenden vom Mammon,« seufzte die Alte im Bette. Der Küster aber trat zu ihr mit dem größten seiner Schlüssel: »Du schweigst, Ursel! Der Herr da soll sehen, daß unsereiner nicht unterm Pantoffel steht,« brummte er und verließ mit dem Diener das Haus.
Die Nacht war grimmkalt, der Himmel jetzt ganz rein, nur einzelne dunkle Wölkchen tanzten im Wirbel um den Mond. Schweigend schritten die beiden durch die Nacht der Kirche zu. Wenige Schritte, so standen sie am Portal des Münsters. Der Küster schrak zusammen, als dort aus dem Schatten eines Pfeilers eine hohe, in einen dunkeln Mantel gehüllte Gestalt hervortrat. Es war jener Fremde, der Idas Interesse in so hohem Grade erregt hatte.
»Schließ auf, schließ auf,« sprach Martiniz, »denn es ist hohe Zeit!« Indem er sprach, fing es an zu surren und zu klappern, dumpf rollte gerade über ihnen im Turme das Uhrwerk, und in tiefen, zitternden Klängen schallte die zwölfte Stunde in die Lüfte.
»Schließ auf!« schrie Martiniz. »Schnell auf! Dort kommt er schon um die Ecke!«
Seufzend ging die hohe Türe auf, in einem Sprung war jener in der Kirche. Der Küster schloß behutsam wieder hinter sich ab und ging dann voraus mit der Laterne; stille folgten ihm die Fremden. In wunderlichen Schatten und Figuren spielte das schwache Licht der Laterne an den hohen Säulen des Doms, nur auf wenige Schritte verbreitete es Helle und verschwebte dann in matte Dämmerung, bis es sich in der tiefen Nacht des Gewölbes verlor. Manchmal schien es,[20] als schritten hohe Gestalten in weiten schleppenden Gewändern hinter den Säulen ihnen nach. Scheu blickte Emil von Martiniz nach allen Seiten und ging dann schneller hinter dem Küster her. Dumpf schallten ihre Schritte auf dem hohlen Boden, unter welchem eine alte Gruft sich befand, und ein vielfaches Echo gab diese Töne aus allen Ecken zurück.
So waren sie bis an den Altar gekommen. Martiniz setzte sich dort auf die Stufen, das Gesicht, das bei dem Scheine der trübe brennenden Laterne noch viel bleicher erschien, stützte er auf die Hand, daß die glänzendrabenschwarzen Ringellocken darüber herabfielen. Der Diener winkte dem Küster, zog ihn auf eine Bank an der Seite zu sich nieder und gab ihm durch Zeichen zu verstehen, daß er schweigen und sich ganz ruhig verhalten möchte.
Tiefe Stille herrschte mehrere Minuten in den großen, dunkeln Hallen, tiefe Stille draußen in der Nacht. Nur vom Altar her hörte man ein leises Wispern, Martiniz schien zu beten. Bald aber erhob sich lauter die Nachtluft und wehte um die Kirche. Je lauter es wurde, desto unruhiger wurde Emil. Er seufzte, er blickte einigemal auf und lauschte nach der Seite hin, wo der Luftzug stärker wehte.
Näher und näher heulte der Wind, die Fenster bebten, das Licht der Laterne wehte seine Schatten her und hin, die alten verblichenen Banner, die an der Mauer hingen, rollten sich auf und bewegten ihre zerfetzten Bilder an der schwachbeleuchteten Wand.
Jetzt brauste der Wind auf in gewaltigen Stößen. Krachend stürzte ein Fenster des Chors auf die breiten Quadern des Bodens, daß der Schall durch die Halle tönte, und mit fürchterlichem Lachen des Wahnsinns fuhr der am Altar auf und sprang die Stufen hinan. Gellend tönten diese hohlen Töne der Verzweiflung durch die Gewölbe. »Er kann nicht herein, er kann nicht herein zu mir,« schrie er, »darum hat er die Wolken aufgezäumt, auf dem Sturmwind reitet er um die Kirche; ça ça! Holla, Antonio – wie schäumt das Purpurblut deiner Wunde! Rase, tobe durch die Lüfte, du kannst doch nicht herein zu meiner Freistatt!«
Der Sturm legte sich, ferner und ferner rollte der Wind, und säuselnd zog die Nachtluft durch die Kirche. Der Mond schien freundlich durch die hellen Scheiben, und mit des Sturmes Toben schien auch der Sturm in Emils Brust gewichen zu sein. »Seht ihr,« sprach er wehmütig und zeigte an die vom[21] Mond beschienenen Fenster hinauf, »seht ihr, wie er so ernst und zürnend auf mich herabsieht! Kannst du denn nicht vergeben, Antonio?«
Immer leiser wurde seine Klage, bis er weinend am Altare niedersank. Jetzt stand der alte Diener, dem während der schrecklichen Szene die Tränen in den grauen Wimpern gehangen, von seinem Sitze auf und unterstützte seinen Herrn. Er wischte ihm den kalten Schweiß von der Stirne und die Tränen aus dem gebrochenen Auge und flößte ihm aus einer kristallenen Phiole mildernde Tropfen ein.
Der Ohnmächtige richtete sich wieder auf, hüllte sich tiefer in seinen Mantel und schritt durch die Kirche.
Der alte Diener aber trat zu dem Küster. »Ich danke, Alterle,« sagte er, »du hast jetzt gesehen, daß wir nichts Unrechtes in deinem Gotteshause gemacht haben; dafür halte aber reinen Mund. Und wenn du niemand ein Sterbenswörtchen hören lässest von dem, was du hier gesehen und gehört hast, so kommen wir vielleicht morgen und manche Nacht wieder, und du sollst pflichtgemäß deinen Harten haben.«
»Das kann sich unsereiner schon gefallen lassen,« antwortete der Küster im Weitergehen; »so viel merke ich, daß Euer Herr entweder nicht recht richtig unter dem Hut ist, oder daß er mit dem Gottseibeiuns hier Versteckens spielt. Nun hier, denke ich, soll er ihn nicht holen; kommt nur morgen nacht wieder. Was das Stillschweigen betrifft, so seid außer Sorgen, von mir erfährt es kein Mensch, vor allem meine Ursel nicht; denn ich denke, was sie nicht weiß, macht ihr nicht heiß.«
Der alte Diener lobte den Entschluß des Küsters und nahm am Portal mit einem Händedruck von ihm Abschied. »Ist doch schade um ein so junges schönes Blut,« brummte dieser vor sich hin, indem er seinem Häuschen zuschritt; »so jung und hat schon Affairen mit Herrn Urian. Nun, er soll ihn immer noch ein Halbjährchen reiten; um die harten Taler kann man zur Not so guten Wein kaufen, als die Freilinger Maurermeister hatten, um den Kalk zu meinem Münster festzumachen.
Es schlug ein Uhr, als der Fremde und sein Diener von dem Münster zurück über den Marktplatz gingen. An den Fenstern des erleuchteten Museums drängten sich Gestalten an Gestalten geschäftig hin und her, verworrenes Gemurmel vieler Stimmen tönte herab auf den stillen Platz, hie und da zeigten laute Ausbrüche der Fröhlichkeit, mit Trompeten vermischt, daß eine Gesundheit oder ein Toast ausgebracht worden sei.
»Robert!« begann der Graf, »ich will noch einmal hinaufgehen; die süßen Töne der Flöten, die klagenden Klänge der Hörner haben etwas Beruhigendes für mich, und mitten im Gewühle der fröhlichen Menge vergesse ich vielleicht auf Augenblicke, daß ich unter den Glücklichen der einzige Unglückliche bin.«
Umsonst bat der alte Robert seinen Herrn, er möchte doch seine Gesundheit bedenken und sich jetzt zur Ruhe legen; er schien es gar nicht zu hören, schweigend warf er in der Haustüre den Mantel ab, gab ihn dem Alten und eilte die Treppe hinan. Kopfschüttelnd folgte ihm der Diener; hatte er doch seit einer langen traurigen Zeit nicht bemerkt, daß sein armer Herr Freude an rauschender Lustbarkeit hatte; es mußte etwas Eigenes sein, das ihn noch einmal da hinaufzog, denn wenn er sich sonst auch in das fröhlichste Gewühl gestürzt hatte, so war er doch immer nach einem halben Stündchen wieder zurückgekommen. Und heute hatte er ihn sogar an die Stunde mahnen müssen; heute ging er zu einer Zeit, wo er sonst erschöpft von Kummer und Unglück dem Schlaf in die Arme geeilt war, noch einmal auf den Tanzboden. »Gott gebe, daß es zu seinem Heil ist!« schloß der treue Diener seine Betrachtungen und wischte sich die Augen.
Der Saal war noch leer, als Emil oben eintrat, nur die Musikanten stimmten ihre Geigen, probierten ihre Hörner und ließen die Schlegel dumpf auf die Pauken fallen, um zu sondieren, ob das tiefe C recht scharf anspreche; mitten durch netzten sie auch ihre Kehlen mit manchem Viertel, denn ein ellenlanger Kotillon sollte den Ball beschließen. Löffel- und Messergeklirr, das Jauchzen der Anstoßenden tönte aus dem Speisesaal; ein schwermütiges Lächeln zog über Emils blasses Gesicht, denn er gedachte der Zeiten, wo auch er keiner fröhlichen Nacht ausgewichen war, wo auch er unter frohen, guten Menschen den[23] Becher der Freude geleert und, wenn kein liebes Weib, doch treue Freunde geküßt hatte, und mit fröhlichem Jubel in das allgemeine Millionenhallo und Welthurra der Freude eingestimmt hatte; unter diesen Gedanken trat er in den Speisesaal. In bunten Reihen saßen die fröhlichen Gäste die lange Tafel herab; man hatte soeben die hunderterlei Sorten von Geflügel und Braten abgetragen und stellte jetzt das Dessert auf. Gewiß! man konnte nichts Schöneres sehen als die Präzision, mit welcher die Kellner ihr Dessert auftrugen, die Bewegungen auf die Flanken und ins Zentrum gingen wie am Schnürchen, die schweren Zwölfpfünder der Torten und Kuchen, das kleinere Geschütz der französischen Bonbons und Gelees wurde mit Blitzesschnelle aufgefahren, in prachtvoller Schlachtordnung, vom Glanz der Kristalllüster bestrahlt, standen die Guß-, Johannisbeeren-, Punsch-, Rosinentorten, die Apfelsinen, Ananas, Pomeranzen, die silbernen Platten mit Trauben und Melonen. Aber Hofrat Berner hatte sie auch eingeübt, und den ungeschicktesten Kellnerrekruten schwur er hoch und teuer in acht Tagen so weit bringen zu wollen, daß er, einen bis an den Rand gefüllten Champagnerkelch auf eine spiegelglatte silberne Platte gesetzt, die Treppe heraufspringen könne, ohne einen Tropfen zu verschütten, was in der Geschichte des Servierens einzig in seiner Art ist. Wenn die Festins, die er zu arrangieren hatte, herannahten, hielt er auf folgende Art völlige Uebungen und Manövers. Er setzte sich in den Salon, wo gespeist werden sollte, ließ eine Tafel zu dreißig bis vierzig Kuverts decken, und wie den Rekruten ein fingierter Feind mit allen möglichen Bewegungen gegeben wird, so zeigte er ihnen auch Präsidenten, Justizräte, Kollegiendirektoren, Regierungsräte und Assessoren mit Weib und Tochter, Kind und Kegel, und mahnte sie, bald diesem ein Stück Braten, jener diese Sauciere zu servieren, bald einem dritten und vierten einzuschenken und dem fünften eine andere Sorte vorzusetzen; da sprangen und liefen die Kellner sich beinahe die Beine ab, aber – probatum est – wenn der Tag des Festes herannahte, durfte er auch gewiß sein, zu siegen. Wie jener große Sieger, der nur mit feierlichem Ernst die Worte sprach: »Heute ist der Tag von Friedland!« oder »Sehet die Sonne von Austerlitz!« so bedurfte es von seinem Mund auch nur einiger erwähnender, tröstlicher Hindeutungen auf frühere Bravouren und gelungene Affairen, und er konnte darauf rechnen, daß keiner der zwanzig Kellnergeister über den andern stolperte oder ihm die Aalpastete anstieß, oder[24] daß sie mit Sauce und Salat einander anrannten, purzelten und auf dem Boden die ganze Bescherung servierten.
Mit dieser Präzision war also auch heute die Tafel serviert worden, der Nachtisch war aufgetragen, die schweren Sorten, als da sind: Laubenheimer, Nierensteiner, Markobrunner, Hochheimer, Volnay, feiner Nuits, Chambertin, beste Sorte von Bordeaux, Roussillon wurden weggenommen, und der zungenbelebende Champagner aufgesetzt. Hatte schon der aromatische Rheinwein die Zungen gelöst, und das schwärzliche Rot des Burgunders den Liliensamt der jungfräulichen Wangen und die Nasen der Herren gerötet, so war es jetzt, als die Pfröpfe flogen, und die Damen nicht wußten, wohin sie ihre Köpfe wenden sollten, um den schrecklichen Explosionen zu entgehen, als die Lilienkelche, bis an den Rand mit milchweißem Gischt gefüllt, kredenzt wurden, wie auf einem Bazar im asiatischen Rußland, wo alle Nationen untereinander plappern und maulen, gurren und schnurren, zwitschern und näseln, plärren und jodeln, brummen und rasaunen, so schwirrte in betäubendem Gemurmel, Gesurre und Brausen in den höchsten Fisteltönen bis herab zum tiefsten, dreimalgestrichenen C der menschlichen Brust das Gespräch um die Tafel.
Aber der größte Teil der Konversation, wenigstens am untern Ende des Tisches, galt Präsidents Ida. Dort gingen die zahnlosen Mäulchen der Tanten und Mütter wie oberschlächtige Mühlen, und die Posaunenseraphsgesichter der Töchter nickten ihren Konsens aus den kleinen Kalmuckenäugelein. Wie hatte doch das Mädchen vor Gott gesündigt und gefrevelt dadurch, daß es so wunderhübsch geworden war! Wäre sie zurückgekommen wie eine wilde Hummel, oder wie so manche, die man als Gagack in die Residenz schickt, um sie »Bildung und Blumenmachen lernen zu lassen, und die als Gagack wiederkehrt«, da hätte es geheißen: »An der ist Hopfen und Malz verloren, mich dauern nur die Eltern.« Jetzt, wo sie mit ihrem Tannenwuchs, mit ihrer unnachahmlichen Grazie bescheiden und doch voll so erhabener Würde hereintrat, das strahlende Diadem in den geschmackvoll geordneten Ringellocken und Löckchen, im feuersprühenden Auge Geist und Liebe, verschmolzen[25] mit schuldloser, anspruchsloser Natürlichkeit, die Wangen von Gesundheit gerötet, in den feinen Grübchen den kleinen, kleinen Schelm, den Mund so würzig, so kußlich, die aphroditische Schwanenbrust mit dem fürstlichen Schmuck, mit dem Pariser Hofkleid umschlossen – Nein! das Mädchen durfte nicht schön, durfte nicht unschuldig und tugendhaft sein. – »Ha, ha, ha, Frau Oberhofmeisterin!« lachte die Kammerdirektorin, ohne darauf zu achten, daß sie die acht unschuldigen Ohren ihrer erwachsenen Töchterlein beleidigen könnte – »Tugendhaft? Wir kennen die Residenztugend noch aus unserer Zeit! Da müßten sich die Steine umgekehrt haben, die Garde-Ulanen-Rittmeister müßten ihre eng schließende Uniform ausgezogen und die Herren Archidiakonen und Superintendenten um ihr ehrbares Kostüm ersucht haben, müßten in schwarzen Mäntlein, weißen Beffchen, kurzen Höschen und seidenen Wädchen, die Bibel unter dem Arm, einhergehen, wenn man bei siebzehnjährigen Mädchen Tugend finden sollte in Sodom!«
»Wahrhaftig, Sie haben recht,« schnatterte es über die Tafel herüber; »und die gerühmte Schönheit? Ist alles Lug und Trug, das kann man alles dort ums liebe Geld haben; meinen Sie denn, diese Locken dort, diese Zöpfe seien echt? Bewahre; man hat ja gesehen, was für Haar Mamsell Sausewind in die Residenz nahm; wo sind die gelben Zähne hingekommen? Meinen Sie etwa, ein so herrlicher Mund voll, wie jene hat, schiebe sich im sechzehnten, siebzehnten Jahre noch nach? Lauter Seehund, nichts als Seehund.«
»Ja, Frau Gevatterin,« unterbrach eine dritte, »und die handbreiten Brüsseler Kanten, der Amethystschmuck, mit welchem man meinen Torweg pflastern könnte – von der Fürstin Romanow soll er sein! Ha, ha, ha, man hat auch seine Nachrichten; die Fürstin, Gott halte sie in Ehren, ist eine splendide Frau, auch reich, steinreich, gebe alles zu – aber so einem naseweisen Kind, das kaum hinter den Ohren trocken ist, dieses Diadem, diese Ohrringe, dieses Kollier, dieses Kreuz zu schenken – nein, dazu ist die Frau Fürstin Hoheit doch zu vernünftig. Haben Sie aber nie von ihrem Neffen, dem Prinzen Ferdinand, gehört? Soll ein splendider, artiger Herr sein, der Prinz, und wenn man nur gegen ihn gefällig ist, ist er es wohl auch wieder, ha, ha, ha –«
Und der ganze Zirkel lachte und stieß an auf den gefälligen splendiden Prinzen.
Nein, wahrhaftig, es war nicht zum Aushalten; ein schönes, engelreines Geschöpf, voll Milde, Sanftmut und Mitleiden, so schonungslos zu verdammen! Emil hatte in einer Fenstervertiefung, wo er sich hingestellt hatte, um die Tafel zu übersehen, alles mit angehört; er hätte mögen der Frau Gevatter den einzigen Zahn, den sie noch hatte, mit welchem sie aber nichtsdestoweniger den Ruf einer jungen Dame tapfer benagte, ein wenig einschlagen; er rückte, nur um die giftigen Bemerkungen nicht zu hören, um ein Fenster weiter hinauf. Aber hier kam er vom Regen in die Traufe. Frau von Schulderoff setzte dort ihrem Sohn, dem Dragonerleutnant, weitläufig auseinander, daß er, um den gesunkenen Glanz ihres Hauses wieder auf den Strumpf zu bringen, notwendig eine gute, sehr gute Partie machen müsse, und dazu sei die Ida ganz wie gemacht.
Dem jungen Schulderoff, der neben dem gesunkenen Glanz seines Hauses bei Juden und Christen einige tausend Tälerchen mehr stehen hatte, als sein Gage-Abzug auf siebzig Jahre wahrscheinlicherweise aufwiegen konnte, schien mit dem Vorschlag ganz zufrieden; nur das Wie wollte ihm nicht recht einleuchten.
Aber die gnädige Mama wußte Rat. »Erstens: recht oft mit ihr getanzt, namentlich im Kotillon recht oft geholt. Das heißt Attention beweisen, das Mädchen wird dann mit dir aufgezogen, sie wird aufmerksam auf dich. Zweitens: morgens zehn Uhr im kurzen Galopp am Haus vorbei; dort verlierst du, im Staunen über sie, die Reitpeitsche; du voltigierst ja so gut, hältst also nicht an, sondern herab vom Gaul, Peitsche ergriffen, wieder hinauf, einen Feuerblick dem Fräulein zugeworfen, und davon im gestreckten Galopp. Wenn nun ihr Herzchen aus Angst für dich einmal schneller pulsiert, dann hast du sie schon im Sack. Drittens: in einer schönen Nacht mit der ganzen Regimentsmusik vors Haus; einige mutige Stücke, einige zärtliche Arien aufgespielt, und sie kommt hinter die Jalousien, darauf wette ich meinen ganzen Schmuck, der jetzt zufällig bei Levi ist. Einige Kameraden tun dir schon den Gefallen und gehen mit; sie rufen: ›Schulderoff! Schulderoff! Wo steckst du denn? Ach siehe, der arme Junge weint.‹ – ›Ach, laßt mich, tapfere Kameraden,‹ antwortest du, ›mir ist so weh und so wohl in ihrer Nähe.‹ So kommt es in allen Ritterbüchern, wo der Adel noch allein liebte, und die dummen Bürgerlichen noch kein Geld hatten.«
»Auf Ehre, Mama, Sie haben recht,« antwortete der Leutnant und wichste sich den Schnurrbart; »sehen Sie, dann kann ich auch so angr–«
Emil wurde, er wußte nicht warum, ganz bange ums Herz, als er den Eroberungsplan des Wildfangs hörte, er rückte um einige Fenster weiter hinauf und war dort dem Gegenstand nahe, den die Schmähsucht der Weiber zu zerreißen, der Eroberungsgeist Schulderoffs zu gewinnen suchte.
Obenan saß der Präsident, die feierliche Geschäftsmiene war zu Hause geblieben; er hatte den freundlichen, gefälligen Gesellschaftsmenschen angezogen und tafelte zum großen Trost der jüngern Glieder seines Kollegiums wie ein Junger.
Das behagliche runde Gesicht durchblitzte oft schnell, wie ein Gedanke, ein satirisches Lächeln, wenn er und der Hofrat Ida zum süßen, brüsselnden Schaumwein nötigten.
Es war nicht möglich, etwas Liebreizenderes zu sehen als das Mädchen, eine ewig junge Hebe zwischen den alten, fröhlichen Herren. Es war jetzt ganz das wählige, mutwillige Kind wie vor drei Jahren, wenn es dem Papa oder dem alten Hagestolz Berner auf dem Schoße saß; Madeirasekt und Xeres hatten ihr, weil Berner keinen der schweren Weine über die Purpur-Barrieren ihrer Lippen gelassen hatte, alles Blut in die Wangen getrieben; es zischte und gischte in ihren Adern so warm und so wohltuend, daß das Auge von Lust und Liebe strahlte, und die rosige Tiefe des Schelmengrübchens alle Augenblicke sich zeigte. Der Champagner, den sie auf den Drymadeira setzte, war auch nicht aus seinen Kreidebergen geholt worden, um ein fröhlichglühendes Engelsköpfchen abzukühlen und einen in ewig wechselnder Wonne Flut und Ebbe wogenden Busen zur Ruhe zu bringen. Wußte sie doch selbst nicht, was sie so fröhlich machte! Die Rückkehr ins Vaterhaus allein war es nicht, auch nicht, daß die Blicke der jungen Freilinger Stadtkinder alle auf sie flogen, es war noch etwas anderes; war es nicht ein bleiches, wunderschönes Gesicht, das sich immer wieder ihrer Phantasie aufdrängte, das sie wehmütig durch Tränen anlächelte? Warum mußte er aber auch gehen, gerade als man zur Tafel ging, wo sie ihn hätte sehen und sprechen können. –
»Ei, Kind!« sagte der Präsident und weckte sie aus ihren Träumen. »Da sitzest du schon eine geschlagene Glockenviertelstunde, starrst auf den Teller hin, als lesest du in der Johannisbeer-Marmelade so gut als im Kaffeesatz deine Zukunft, und lächelst dabei, als machten dir alle ledigen Herren, unsern Hofrat mit eingeschlossen, ihr Kompliment!«
Die Glutröte stieg ihr ins Gesicht; sie nahm sich zusammen und mußte doch wieder heimlich lächeln über den guten Papa,[28] der doch auch kein Spürchen von ihren Gedanken haben konnte. Aber als vollends der Hofrat ihr von der andern Seite zuflüsterte: »Der alte Herr hat fehlgeschossen, wir alle könnten uns den Rücken lahm komplimentieren und die Kniee wund liegen, mein stolzes Trotzköpfchen gönnte keinem einen halben Blick oder ein Viertelchen von dem Engelslächeln, das hier in den Teller ging. Aber da darf nur ein so interessanter Fremder in einem Landau weinen, so ein Signor Bleichwangioso –«
»Ach, wie garstig, Berner! an den habe ich gar nicht mehr gedacht!« rief sie, ärgerlich, daß der Kluge ins Schwarze geschossen haben sollte. Jener aber wischte seine Brille ab, schaute auf Idas silbernen Teller und deutete lachend auf den Rand –
»Gar nicht mehr an ihn gedacht? Welcher Graveur hat denn da gekritzelt? Fräulein Lügenhausen? He!«
Nun, da hatte sich das Mädchen wieder vergaloppiert, hatte, ohne daß sie es im geringsten wußte, unter ihrer Gedankenreihe das Dessertmesser in die Hand bekommen, auf dem Teller herumgekritzelt, und da stand mit hübschen, deutlichen Buchstaben: Emil v. Mart. –
»Nein! wie einem doch der Zufall bei bösen Leuten Streiche spielen kann!« replizierte sie mit der unverschämtesten Unbefangenheit, kratzte, indem sie sich selbst über ihre furchtbare Kunst, zu verdrehen, wunderte, in aller Geschwindigkeit ein Schnörkelchen hin, wies dem kurzsichtigen Hofrat den Teller und sagte: »Sehen Sie? Da war irgend einmal eine reisende Prinzessin hier, welcher man auf Silber servierte, und um den merkwürdigen Tag ihrer Anwesenheit zu verewigen, schrieb sie die paar Worte hieher: Emilie v. Mart., heißt offenbar: Emilie, am fünften März.«
»Gott im Himmel, was hättest du für einen Rechtskonsulenten und Rabulisten gegeben!« antwortete Berner und setzte vor Schrecken den frischeingeschenkten Kelch, den er schon halbwegs gehabt, wieder nieder. »Habe ich nicht gesehen, wie du das Ding da kritzeltest, und jetzt täte es not, ich deprezierte den falschen Verdacht?« Doch Engelsköpfchen Ida sah ihm so bittend ins Auge, daß er unwillkürlich wieder gut wurde; in den süßesten Schmeicheltönen bat sie ihm die Unart ab, versprach, sich nie mehr aufs Leugnen zu legen, wenn er gelobe, dem Papa nichts zu sagen, der sie wenigstens acht Tage lang mit ihrer Silberschrift necken würde. Er gelobte, mahnte aber, jetzt sich zum Kotillon zu rüsten. »Nur noch ein Viertelstündchen!« bat Ida, weil sie dem widerwärtigen Kreissekretär habe zusagen müssen.[29] Aber das Sträuben half nichts; die Hörner erklangen im Tanzsaal, und die Tafel rüstete sich, aufzubrechen. Da stand der Präsident auf. »Noch einen Kelch, meine Damen!« rief er über die Tafel hin, »noch einen echten Toast aus den guten alten Zeiten: die Gläser hoch – der Liebe und der Freude!« Die Trompeten schmetterten ihren Freudenruf unter den Jubel, aber mitten durch das Geschmetter, durch das donnerschlagähnliche Wirbeln der Pauken, mitten in dem schrankenlosen Hallo der bechampagnerten Gäste war es Ida, als hörte sie hinter sich tief seufzen; und als sie, von einer plötzlichen Ahnung ergriffen, sich schnell umsah, begegnete sie Emils Auge, der wehmütig, tränenschwer in das Gewühl der Freude schaute. Alles Blut jagte die Ueberraschung dem Mädchen aus den Wangen, es hatte keinen Atem mehr, und doch konnte es um keinen Preis ihr Auge wieder von ihm abwenden. Doch ehe sie noch ihrer Verlegenheit Meister werden konnte, gerade als sie der schöne junge Mann anreden zu wollen schien, riß ihn das Gedränge der Aufstehenden aus ihrer Nähe, der Kreissekretär kam mit seinem widrigen, sauersüßen Gesicht, schätzte sich glücklich, den Kotillon errungen zu haben, und führte seine Tänzerin im Triumph durch die dichten Reihen seiner Neider. Sie aber folgte ihm, noch immer über diese Erscheinung, über die Gewalt dieser dunkeln Flammensterne sinnend. »Wahrhaftig!« sagte sie zu sich. »Der Hofrat hat doch recht, es muß Menschen geben, die Häkchen im Auge haben, von welchen man sich gar nicht losreißen kann, und dieser muß einen von den großen Angelhaken haben.«
In rauschenden Tönen klangen die Hörner und Trompeten durch den Saal, in verschlungenen Gruppen, bald suchend, bald fliehend, hüpften die Paare den fröhlichen Reigen, und Idas liebliche Gestalt tauchte auf und nieder in der Menge der Tanzenden wie eine Nixe, die neckend bald dem Auge sich zeigt, bald in den Fluten verschwindet. Oft wenn der Augenblick es gestattete, wagte sie einen Viertelseitenblick über den Saal hinüber nach ihm, zu welchem ein unerklärliches Etwas sie noch immer hinzog, und wenn die Flöten leiser flüsterten, wenn die weichen, gehaltenen Töne der Hörner süßes Sehnen erweckten, da glaubte sie zu fühlen, daß diese Töne auch in seiner Brust widerklingen[30] müssen. In glänzender Kette schwebten jetzt die Mädchen in der Runde, bis die Reihe sich löste, und sie den Saal durchschwärmten, um selbst sich Tänzer zu suchen. Emil stand wieder an seine Säule gelehnt. Kaum den Boden berührend, schwebte eine zarte Gestalt, auf dem Amorettengesichtchen ein holdes verschämtes Lächeln, auf ihn zu – es war Ida. Lächelnd neigte sie sich, zum Tanz ihn einzuladen; er schien freudig überrascht, eine flüchtige Röte ging über sein bleiches Gesicht, als er das holde Engelskind umschlang und mit ihr durch den Saal flog.
Aber ängstlich war es Ida in seinen Armen; kalt war die Hand, die in der ihrigen ruhte; schaurige Kälte fühlte sie aus des Fremden Arm, der ihre Hüfte umschlang, in sich eindringen, scheu suchte ihr Auge den Boden, denn sie fürchtete, seinem Flammenblicke zu begegnen, jetzt erst fiel ihr auch ein, daß es sich doch nicht so recht schicke, den ganz fremden Menschen, der ihr von niemand noch vorgestellt war, zuerst zum Tanze aufgefordert zu haben.
Aber ein freudiges Flüstern des Beifalls begleitete sie durch die Reihen; bedeutender schien des Fremden edles Gesicht, von der Bewegung des Tanzes leicht gerötet, bedeutender erschien seine edle Gestalt, sein hoher, königlicher Anstand; und dem schönen Mann gegenüber erschien auch Ida in noch vollerem Glanze der Schönheit. Mit dankendem Blick schied er, als er sie an den Platz zurückführte; wieviel stiller Gram, wieviel Wehmut lag in diesem langen Blick; ja, wenn sie sich den Ausdruck seines Auges noch einmal zurückrief, wieviel Dank lag darin, wieviel Lie–
Sie drückte geschwind die Augen zu, um nur den Gedanken zu entgehen, die sie unablässig verfolgten, sie tanzte rascher und eifriger, nur um sich durch den raschen Wirbel zu zerstreuen; aber da wisperte von der einen Seite der Xeres, von der andern kicherte der Champagner ihr ins Ohr: er liebt dich, du bist es ja, nach welcher er immer sieht, wegen dir ist er noch einmal auf den Ball gekommen. Der Kotillon hatte jetzt seine glänzendste Höhe erreicht; eine Tour, die in Freilingen noch nie getanzt worden, sollte eingeschoben werden. Die Dame, welche die Reihe traf, setzte sich, von ihrem Tänzer geführt, auf einen in die Mitte des Kreises gestellten Sessel; mit einem seidenen Tuch wurden ihr die Augen verbunden und dann Tänzer jeglicher Gattung zur blinden Wahl vorgeführt. Die Ausgeschlagenen stellten sich als Gefangene und besiegt hinter den Stuhl, der Erwählte flog mit der von der Binde erlösten Tänzerin durch den[31] Saal. Die Tour an sich war gerade nicht so kühn erfunden, um durch sich selbst sehr bedeutungsvoll zu werden; sie ward es aber dadurch, daß der Vortänzer, ein gerade von Reisen zurückgekommener Herr aus Freilingen, behauptete, in Wien werde diese Tour für sehr verhängnisvoll gehalten, denn es gelte dort bei dieser blinden Wahl das Sprichwort, der Zug des Herzens sei des Schicksals Stimme, und mehr denn hundertmal habe er den Spruch bei dieser Tour eintreffen sehen. Die Freilinger Schönen machten zwar Spaß daraus und behaupteten, die Wiener Damen werden unter dem Tuch hervorgesehen haben, doch mochten sie abergläubisch genug sein und wünschen, des Schicksals Stimme möchte dem Zug ihres Herzens nachgeben und ihnen den schönen Major oder den Jagdjunker mit dem Stutzbärtchen oder einen dergleichen vor die blinden Augen führen.
Auch an Ida kam jetzt die Reihe, sich niederzusetzen, der sauersüße Kreissekretär führte sie zum Stuhl, fragte mit schalkhaft sein sollendem Lächeln, das aber sein Gesicht zur scheußlichen Fratze verzog, ob er den Herrn Hofrat Berner bringen solle, band ihr das Tuch vor die Augen, und in wenigen Augenblicken standen schon drei arme Unglückliche, von der spröden, blinden Mamsell Amor-Justitia verschmäht, hinter dem Stuhl. Es war ihr wohl auch der Gedanke an Martiniz durch das Köpfchen gezogen; aber sie hatte sich selbst recht tüchtig ausgescholten und vorgenommen, ihr Herzchen möge sie ziehen, wie es wolle, das Schicksal möge noch so gebietend rufen, sie lasse drei ablaufen, und den vierten wollte sie endlich nehmen.
»Numero vier! gnädiges Fräulein!« meckerte der Kreissekretär. Sie ließ die Binde lösen, sie schlug die Augen auf und sank in Emils Arme, der sie im schmetternden Wirbel der Trompeten, im Jubelruf der Hörner im Saal umherschwenkte; die Sinne wollten ihr vergehen, sie hatte keinen deutlichen Gedanken, als das immer wiederkehrende: »Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme.« Ach! so hätte sie durch das Leben tanzen mögen; ihr war so wohl, so leicht; wie auf den Flügeln der Frühlingslüfte schwebte sie in seinen Armen hin, sie zitterte am ganzen Körper; ihr Busen flog in fieberhaften Pulsen, sie mußte ihn ansehen, es mochte kosten, was es wollte, sie hob das schmachtende Gesichtchen, ein süßer Blick der beiden Liebessterne traf den Mann, der ihr in wenigen Stunden so wert geworden war; das edle Gesicht lag offen vor ihr, wenige Zoll breit Auge von Auge, Mund von Mund, ach, wie unendlich hübsch kam er ihr vor, wie fein alle seine Züge, wie schmelzend sein Auge, sein[32] Lächeln, sie hätte mögen die paar Zöllchen breite Kluft durchfliegen, ihn zu lieben, zu kü–
Klatsch, klatsch, mahnten die ungeduldigen Herren, indem sie die glacierten Handschuhe zusammenschlugen, daß die zarten Nähte sprangen; will denn dies Paar ewig tanzen? Ach, ihr Kurzsichtigen, wenn ihr wüßtet, wieviel namenlose Seligkeit in einer solchen kurzen Minute liegt, wie die Pforten des Lebens sich öffnen, wie die Seele hinter die durchsichtige Haut des Auges heraufsteigt, um hinüberzufliegen zu der Schwesterseele – wahrlich, ihr würdet diesen Moment des süßesten Verständnisses nicht durch euer Klatschen verscheuchen.
Der Ball war zu Ende; der Hofrat nahte, Ida den Schal anzulegen und das wärmende Mäntelchen umzuwerfen, er nahm dann ihren Arm, um sie zur Abkühlung noch ein wenig durch den Saal zu führen. »Sie haben mit ihm getanzt, Töchterchen?« – »Ja,« antwortete sie, »und wie der tanzt, können Sie sich gar nicht denken; so angenehm, so leicht, so schwebend!« – »Idchen, Idchen!« warnte der Hofrat lächelnd. »Was werden unsere jungen Herren dazu sagen, wenn Sie sie über einen Landfremden so ganz und gar vergessen?« – »Nun, die können sich wenigstens über das Vergessen nicht beklagen, denn ich habe nie an sie gedacht! Aber sagen Sie selbst, Hofrat, ist er nicht ganz, was man interessant nennt?« – »Ihnen wenigstens scheint er es zu sein,« antwortete der neckische Alte. »Nein, spaßen Sie jetzt nicht, ist nicht etwas wunderbar Anziehendes an dem Menschen? Etwas, das man nicht recht erklären kann?« Der Hofrat schwieg nachdenklich. »Wahrhaftig, Sie können recht haben, Mädchen,« sagte er, »habe ich doch den ganzen Abend darüber nachgesonnen, warum ich diesen Menschen gar nicht aus dem Sinne bringen kann.«
»Aber noch etwas,« fiel Ida ein, »wissen Sie nicht, wo er so plötzlich mit dem alten Diener hinging?« – »Das ist es eben!« sagte jener. »Eine ganz eigene Geschichte mit dem Grafen da; kommt auf den Ball, tanzt nicht, geht fort, bleibt über eine Stunde aus, kommt wieder; und wo blieb er? Wo meinen Sie wohl? Er war im Münster!!«
»Jetzt eben, in dieser Nacht?« fragte Ida erschrocken und an allen Gliedern zitternd. »Heute nacht, auf Ehre! Ich weiß es gewiß; aber reinen Mund gehalten, Gold-Idchen, morgen komme ich dem Ding auf die Spur.«
Der Wagen war vorgefahren; der Präsident kam in einer Weinlaune; »Hofrätchen,« rief er, »wenn du nicht anderthalbmal ihr Vater sein könntest, wollte ich dir Ida kuppeln!«
»Hätte ich das doch vor dem Ball gewußt,« jammerte der Hofrat, »aber da gab es allerlei interessante Leute usw.« Errötend sprang Ida in den Wagen, auf den losen Hofrat scheltend, und umsonst gab sich Papa auf dem Heimweg Mühe, zu erfahren, was jener gemeint habe. Trotzköpfchen hätte mögen laut lachen über die Bitten des alten Herrn; es biß die scharfen Perlenzähne in die Purpurlippen, daß auch kein Wörtchen heraus konnte.
Nicht mehr so fröhlich als in früheren Tagen und dennoch glücklicher legte Ida das Lockenköpfchen auf die weichen Kissen. Es war ihr so bange, so warm; mit einem Ruck war der seidene Plumeau am Fußende des Bettes, und auch die dünne Seidenhülle, die jetzt noch übrig war, mußte immer weiter hinabgeschoben werden, daß die wogende entfesselte Schwanenbrust Luft bekam.
Aber wie, ein Geräusch von der Türe her? Die Türe geht auf, im matten Schimmer des Nachtlichtes erkennt sie Martiniz' blendendes Gesicht; sein dunkles, wehmütiges Auge fesselt sie so, daß sie kein Glied zu rühren vermag, sie kann die Decke nicht weiter heraufziehen, sie kann den Marmorbusen nicht vor seinem Feuerblick verhüllen: sie will zürnen über den sonderbaren Besuch, aber die Stimme versagt ihr. Aufgelöst in jungfräuliche Scham und Sehnsucht, drückt sie die Augen zu; er naht, weiche Flötentöne erwachen und wogen um ihr Ohr, er kniet nieder an ihrem bräutlichen Lager, »der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme,« flüstert er in ihr Ohr; er beugt das gramvolle, wehmütige Gesicht über sie hin, heiße Tränen stürzen aus seinem glühenden Auge herab auf ihre glühenden Wangen, er wölbt den würzigen Mund – er will sie kü–
Sie erwachte, sie fühlte, daß ihre eigenen heftig strömenden Tränen sie aus dem schönen Traume erweckt hatten.
Am andern Morgen sehr früh stand der Hofrat schon vor des Präsidenten Haus und zog die Glocke. Er mußte ja sein holdes Idchen fragen, wie es zum erstenmal wieder in Freilingen geschlafen habe. Nebenbei hatte er so viel zu fragen, so viel mitzuteilen, daß er nicht wußte, wo ihm der Kopf stand. Nur so viel war ihm klar, als er den hellpolierten Handgriff der Glocke in der Hand hielt, daß er um keinen Preis von dem interessanten Herrn von gestern zuerst sprechen werde; sie soll mir daran, sagte er, sie soll mir beichten; er tat sich auf seinen Witz nicht wenig zugut und lächelte noch still vor sich hin, als er die breite Treppe hinanstieg.
Der Präsident sei schon in die Session gefahren, gaben ihm die Bedienten auf seine Anfrage zur Antwort, aber gnädiges Fräulein nehme ihn vielleicht an, obwohl ihre Toilette noch nicht fertig sei.
Man meldete ihn, er wurde sogleich vorgelassen. In ihrem kleinen, aufs geschmackvollste dekorierten Boudoir saß Ida auf einer Estrade am Fenster, das Lockenköpfchen in die Hand gestützt. War es doch, als sei das Mädchen in dieser Nacht noch tausendmal schöner geworden! Der Hofrat bekam ordentlich Ehrfurcht vor ihrer Schönheit; es lag so viel Schmachtendes in ihrem Auge, so viel ernste Sanftmut auf dem lieben Gesichtchen, das ihn begrüßte, daß er gar nicht wußte, woher dies alles das Wunderkind gestohlen hatte.
Er sagte ihr auch, wie schön er sie finde, sie aber lachte ihm geradezu ins Gesicht; sie finde, daß sie weit bleicher aussehe als sonst, der Ball könne einesteils daran schuld sein, sagte sie; dazu komme, daß sie heute nacht so dumm geträumt habe und alle Augenblicke aufgewacht sei. Sie wollte bei dieser Behauptung recht ernst aussehen, aber das kleine Schelmchen flog ihr doch beinahe unmerklich um den Mund, als wüßte es, was dem hübschen Engelskind geträumt habe.
Der Hofrat sprach vom gestrigen Ball, von Herren und Damen, von allen möglichen Schönen, aber er hätte sich lieber die Zunge abgebissen, ehe er von Martiniz zuerst angefangen hätte, obgleich er wohl sah, daß Ida darauf warte.
Er sah sich daher, als alle Tänze und Touren bekrittelt waren und das Gespräch zu stocken drohte, im Zimmer um. »Nein,« sagte er, »wie wunderschön Ihnen Papa das Boudoir[35] da dekorieren ließ, die bronzierte Lampe am gewölbten Plafond, die freundliche Tapete! Wie werden sich Ihre Besucher erfreuen, wenn man sich nicht mehr um den Rang auf dem Sofa streiten darf, denn jenes von hellbraunem Kasimir, das sich an drei Wänden hinzieht, den eleganten Teetisch von Zedernholz in der Mitte, kann ja eine ganze Legion von Dämchen in sich aufnehmen. Der französische Kamin mit dem deckenhohen Spiegel scheint aber nicht sehr warm geben zu wollen, doch Hoffart muß schon auch ein wenig Schmerz leiden. Die geschmackvolle Etagere dort haben Sie gewiß selbst erst aus der Residenz geschickt, denn hier wüßte ich niemand, der solche Arbeit lieferte.«
Das ging ja dem alten Herrn aus dem Munde wie Wasser; schade nur, daß er den tauben Wänden predigte, denn Ida schaute stillverklärt durch die Scheiben und hatte weder Augen noch Ohren für ihren alten Freund, dieser sah sich um, sah das Hinstarren des Mädchens, folgte ihrem Auge und – drüben in der ersten Etage des ehrsamen Gasthofes zum goldenen Mond hatten sich die rot und weißen Gardinen aufgetan, und im geöffneten Fenster stand – nein, er machte es gerade zu, als der Hofrat hinsah, und ließ die Gardine wieder herab; das selige Kind drehte jetzt das Köpfchen, und ihr Blick begegnete dem lauernden Auge des Hofrats. Die Flammenröte schlug ihr ins Gesicht, als sie sich so verraten sah, aber dennoch sagte Trotzköpfchen kein Wort, sondern arbeitete eifrig an einer Zentifolie; nun, dachte der Alte, wenn du es durchaus nicht anders haben willst, auf den Zahn muß ich dir einmal fühlen, also sei's.
»Sie haben brave Nachbarschaft, Ida,« sagte er, »da können Sie Ihre astronomischen Betrachtungen nach den Glutsternen des Herrn von Martiniz recht kommod anstellen: ich habe zu Haus einen guten Dollond, er steht zu Diensten, wenn Sie etwa –«
»Wie Sie nur so bös sein können, Berner!« klagte das verschämte Mädchen. »Wahrhaftig, ich habe bis auf diesen Augenblick gar nicht gewußt, daß er nur im Mond logiert: und daß ich gestern diesen Mann schon wegen seines Aeußeren gehaltvoller gefunden habe als unsere jungen Herren hier, um die ich nun einmal kein Flöckchen Seide gebe, ist das denn ein so schweres Verbrechen, daß man es noch am andern Tag büßen muß? Ist es denn so arg, wenn man Mitleiden hat mit einem Menschen, der so unglücklich scheint?«
»Nun, da bringen Sie mich just auf den rechten Punkt,« sagte der Hofrat, »daß der junge Herr im Mond drüben gestern nacht in der Münsterkirche war, habe ich Ihnen gesagt; aber was er dort tat? Das wissen Sie nicht, und was bekomme ich, wenn ich es sage?«
»Nun, was wird er viel dort getan haben?« antwortete Ida, vergeblich bemüht, ihre Neugierde zu bekämpfen. »Er hat sich wahrscheinlich die Kirche zeigen lassen, wie die Fremden auf der Durchreise immer tun.«
»Durchreise? Als ob ich nicht wüßte, daß Herr von Martiniz die drei Zimmer Ihnen gegenüber auf vier Wochen gemietet hat –«
»Auf vier Wochen?« rief Ida freudig aus, erschrak aber im nämlichen Augenblick über die laute Aeußerung ihrer Freude. »Vier Wochen?« setzte sie gefaßter hinzu. »Wie freut mich das für die gute Mondwirtin! Sie muß immer Schelte hören von ihrem Mann, daß ihre Table d'hote nicht so gut sei wie im Hotel de Saxe; und kein Mensch bleibe recht lange, da hat sie nun doch einen Beweis für sich.«
»Die arme Mondwirtin,« spottete der Hofrat, »die gute Seele! Muß sie jetzt auch noch zur Entschuldigung dienen, wenn man seine Freude nicht recht verbergen kann! Und, um aufs Vorige zurückzukommen, Sie glauben also, der Mann im Monde da drüben habe sich als durchreisender Fremder unsern Münster zeigen lassen und dazu die glückliche Stunde nachts von zwölf bis ein Uhr gewählt, habe den Küster mit seiner Laterne alles beleuchten lassen, nur um die Finsternis desto deutlicher zu sehen?«
Der kleine Schalk lachte verstohlen auf seine Arbeit hin und ließ den Hofrat immer fortfahren –
»Heute in aller Früh war ich beim Küster, dem ich vor Zeiten einmal einen Prozeß geführt und ein Kind aus der Taufe gehoben hatte; gewiß, ohne diese Empfehlung wäre ich bei dem Alten nicht durchgedrungen. ›Gevatter!‹ sagte ich zu ihm, ›Er kann mir wohl sagen, was der Fremde, der Ihn gestern nacht noch besuchte, im Münster getan hat.‹ Der Mann wollte von Anfang von gar nichts wissen; ich rief aber meinen alten Balthasar, Sie kennen ihn ja, wie geschickt er ist, alles aufzuspüren, diesen rief ich her und konfrontierte beide: der Balthasar hatte den Bedienten des Fremden in des Küsters Haus gehen und beide bald darauf mit dem Fremden im Münster verschwinden sehen. Er gab dies zu; bat mich aber, nicht weiter[37] in ihn zu dringen, weil es ein furchtbares Geheimnis sei, das er nicht verraten dürfe. So neugierig ich war, stellte ich mich doch ganz ruhig, bedauerte, daß er nichts sagen dürfe, weil es ihm sonst eine Bouteille Alten (seine schwache Seite) eingetragen hätte, da gab er weich und erzählte –«
»Nun, fahren Sie doch fort,« sagte Ida ungeduldig, »Sie wissen von früher her, daß ich für mein Leben gerne Geschichten höre, namentlich geheimnisvolle, die bei Nacht in einer Kirche spielen.«
»So, so? Man hört gerne Geschichten von interessanten geheimnisvollen Leuten? Nun ja, hören Sie weiter. Der Küster, der für seine Mühe einen harten Taler bekam, führte gestern nacht einen Herrn, der bleich wie der Tod, aber so vornehm wie ein Prinz ausgesehen haben soll, in den Münster. Dort habe sich der Fremde auf die Altarstufen gesetzt und in voller Herzensangst gebetet. Dann sei ein Sturm gekommen, wie er fast noch nie einen gehört; er habe an den Fenstern gerüttelt und geschüttelt und die Scheiben in die Kirche hereingeschlagen, der Herr aber habe wunderliche Reden geführt, als reite der Teufel draußen um die Kirche und wolle ihn holen.
Der Küster glaubt auch daran, wie ans Evangelium, und weint wie ein Kind um den bleichen jungen Mann, der schon so früh in die Hölle fahren solle. Dabei verspricht er aber ganz getrost, wenn der Herr alle Nacht bei ihm einkehre und sich in den Schutz seines Münsters begebe, solle ihm vom Bösen kein Haar gekrümmt werden. Sehen Sie, das ist die Geschichte, da werde jetzt einer klug daraus; was halten Sie davon?«
In ängstlicher Spannung hatte Ida zugehört; in hellem Wasser schwammen ihr die großen blauen Augen, die volle schöne Schwanenbrust hob sich unter der durchsichtigen Chemisette, als wolle sie einen Berg von sich abwälzen, die Stimme versagte ihr, sie konnte nicht gleich antworten.
»O Gott!« rief sie. »Was ich geahnt, scheint wahr zu sein, der arme Mensch ist gewiß wahnsinnig, denn an die törichte Konjektur des Küsters werden Sie doch nicht glauben?«
»Nein, gewiß glaube ich an solche Torheiten nicht, aber auch, was Sie sagen, scheint mir unwahrscheinlich; sein Auge ist nicht das eines Irren, sein Betragen ist geordnet, artig, wenn auch verschlossen.«
»Aber haben Sie nicht bemerkt,« unterbrach ihn Ida, »nicht bemerkt, wie unruhig er wurde, wie sein Auge rollte, als es elf Uhr schlug? Gewiß hat es eine ganz eigene Bewandtnis mit[38] dieser Stunde, und irgend eine Gewissenslast treibt ihn wohl um diese Zeit, Schutz in dem Heiligtum zu suchen, das jedem, der mühselig und beladen kommt, offen steht.«
»Ihr Frauen habt in solchen Sachen oft einen ganz eigenen Takt,« antwortete der Hofrat, »und sehet oft weiter als wir, doch will ich auch hier bald auf der Spur sein, denn mich peinigt alles, was ich nur halb weiß, und mein Idchen weiß mir vielleicht auch Dank, wenn ich mit dem Herrn Nachbar Bleichwangioso aufs reine komme; das greifen wir so an: der Mondwirt ist mein spezieller Freund, weil ich gewöhnlich abends mein Schöppchen bei ihm trinke und mir seit zehn Jahren das Essen von ihm tragen lasse. Ich speise nun die nächsten paar Tage an seiner Tafel, und er muß mein Kouvert neben das seines bleichen Gastes setzen lassen; bekannt will ich bald mit ihm sein, und habe ich ihn nur einmal auf einem freundlichen Fuß, so will ich den alten Diener aufs Korn fassen. Natürlich holt man weit aus und fällt nicht mit der Türe ins Haus; aber ich habe schon mehr solche Käuze ausgeholt, es ist nicht der erste.«
»Das ist herrlich,« sagte Ida und streichelte ihm die Wangen wie ehemals, wenn er ihr etwas geschenkt oder versprochen hatte. »Das machen Sie vortrefflich, zum Dank bekommen Sie aber auch etwas Extragutes, und gleich jetzt!« Sie stand auf und ging hinaus; dem Hofrat pupperte das Herz vor Freude, als er das wunderherrliche Mädchen dahingehen sah; die zarten Füßchen schienen kaum den türkischen Fußteppich zu berühren, der einfache, blendendweiße Batistüberrock verriet in seinem leichten Faltenwurf das Ebenmaß dieses herrlichen Gliederbaues, diese frische jugendliche Kräftigkeit! Er versank in Gedanken über das holde Geschöpf, das allen Lockungen der Residenz Trotz geboten, sich das jungfräuliche Herz frei bewahrt von Liebe, und jetzt, als sie in ihre kleine Vaterstadt zurückkommt, am ersten Abend einen Mann findet, den sie – nein! sie konnte es nicht leugnen, es war ja offenbar, daß sie ihm mit der hohen Glut der ersten jungfräulichen Liebe zugetan sei. Aber wie? Durfte er, der gereifte Mann, diese Neigung, die doch wahrscheinlicherweise kein vernünftiges Ende nehmen konnte, durfte er sie unterstützen? Konnte nicht der landfremde, wie es schien[39] sogar gemütskranke Mensch alle Augenblicke wieder in seinem Landau sitzen und weiterfahren? Doch der Karren war jetzt schon verfahren. –
Ida trat ein, das Gesichtchen war hochgerötet, sie trug einen silbernen Teller mit zwei Bechern, ein Kammermädchen folgte mit allerlei Backwerk. »Schokolade mit Kapwein abgerührt,« sagte Ida lächelnd, indem sie ihm einen Becher präsentierte, »ich kenne den Geschmack meines Hofrätchens gar wohl, darum habe ich dieses Frühstück gewählt, und denken Sie, wie geschickt ich bei Madame la Truiaire geworden bin, ich habe ihn ganz allein selbst gemacht, Gesicht und Arme glühen mir noch davon; versuchen Sie doch, er ist ganz delikat ausgefallen.«
Sie lüftete, ohne sich vor dem alten Freund zu genieren, das leichte Ueberröckchen; eine himmlische Aussicht öffnete sich, der weiße Alabasterbusen schwamm auf und nieder, daß der Hofrat die alten Augen in seine Schokolade heftete, als solle er sie mit den Augen trinken. »Hierher sollte einer unserer jungen Herren kommen,« dachte er, »Kapweinschokolade in den Adern, ein solches Himmelskind mit dem offenen leichten Ueberröckchen vor sich – ob er nicht rein von Sinnen käme.« Beinahe ebenso großen Respekt als vor ihren entfesselten Reizen bekam er aber vor der Kochkunst des Mädchens. Die Schokolade war so fein, so würzig, das rechte Maß des Weines so gut beobachtet, daß er bei jedem Schlückchen zögerte, zu schlucken.
Idchen aber schien ihre Schokolade ganz vergessen zu haben, denn ein neues Schauspiel bot sich ihren Augen dar. Der wohlbekannte Diener des Fremden führte ein Paar prachtvolle Pferde vor das Portal des goldenen Mondes. Sie selbst war so viel Reiterin, daß sie wohl beurteilen konnte, daß besonders das eine Pferd, ein majestätischer Stumpfschwanz, Tigerschimmel, von unschätzbarem Wert sei. Auch Berner, der in allen Sätteln gerecht war, stimmte bei und pries die einzelnen Schönheiten des Schimmels, besonders auch das elegante geschmackvolle Reitzeug.
Ida wagte voll Erwartung kaum Atem zu holen; der Mondwirt, ein stattlicher Vierziger, trat gravitätisch aus dem Torweg und bekomplimentierte sich mit dem alten Diener um die Ehre, die Zügel des Tigerschimmels zu halten. Als aber dieser sich dieses Geschäft nicht nehmen ließ, hielt er den Steigbügel. Emil von Martiniz, in einem eleganten Morgenüberrock, trat jetzt aus der Halle, gefolgt von dem Oberkellner; er streichelte den schlanken Hals seines Schimmels und warf über[40] ihn weg oft seine Blicke zu dem Fenster gegenüber, wo Ida neben dem Hofrat saß.
Indem tönte der Hufschlag eines in kurzem Galopp ansprengenden Pferdes die Straße herauf, es kam näher, es war der junge Dragonerfreier, Leutnant von Schulderoff. Er hatte die gute Uniform an und von einem seiner Kameraden eine prachtvolle Tigerdecke entlehnt und langte jetzt in vollem Wichs vor des Präsidenten Haus an.
Nach Vorschrift der gnädigen Mama ließ er jetzt mit einem Blick auf die Holdselige seine Reitpeitsche fallen; im Nu war der geübte Voltigeur herab von seinem Rappen; aber gerade, als er wieder aufspringen wollte, scheute sein Roß an denen, die vor dem goldnen Mond standen, machte einen Seitensprung und dann im Karriere davon, gerade auf einen Kirchplatz zu, wo viele Kinder, die gerade aus der Schule kamen, ihre unschuldigen Spiele trieben. Der Mondwirt, der bis jetzt noch immer den Bügel gehalten, flog rechts, der alte Diener links, und ventre à terre flog Martiniz mit Windeseile dem Rappen nach, überholte ihn noch drei Schritte vor einem Haufen Kinder, die keinen Ausweg mehr hatten, packte mit Riesenkraft den Ausreißer und brachte ihn zum Stehen. Alles dies war das Werk eines Augenblicks. Der liebende Dragoner hinkte auf seinen Freiersfüßen dem Rappen nach, murmelte einige Flüche, die wie ein Dank lauten sollten, saß auf und jagte davon. Martiniz aber ritt, ohne auf den tausendstimmigen Beifall, der ihm von der Menge, die sich versammelt hatte, zugejubelt wurde, zu achten, zurück, grüßte ehrerbietig an des Präsidenten Haus hinauf und zog, gefolgt von dem alten Diener, auf seinem Morgenritt weiter.
Ida hatte in dem schrecklichen Moment das Fenster aufgerissen; sie hatte die Gefahr der armen Kleinen, hatte mit steigender Angst den gefährlichen Moment gesehen, wo Martiniz in gestreckter Karriere sein Pferd herumriß, auf die Gefahr hin, zu überstürzen; sie hätte mögen mit jener Menge laut aufjauchzen und konnte sich nicht enthalten, als er vor ihrem Fenster vorbeikam, seinen Gruß so freundlich als möglich zu erwidern. Dieser Moment war entscheidend; in der Angst, die sie fühlte, ward sie sich bewußt, wie teuer ihr der Mann war, der dort hinflog. Das gepreßte Herz, die stürmisch wogende Brust rang nach einem Ausweg. Der Hofrat wollte seinen alten Sarkasmus wieder spielen lassen, aber er drängte ihn zurück, als ihn das Mädchen so bittend ansah, als sie seine Hand drückte, und die hellen, vollen Tränen aus den sanften Augen[41] herabfielen. »Ich bin ein rechtes Kind, nicht wahr, Hofrat? Aber über solche Szenen kann ich nicht anders, muß ich unwillkürlich weinen. Lachen Sie nur nicht über mich, es würde mir gerade jetzt recht wehe tun.«
»Gott bewahre mich, daß ich lache,« entgegnete der Hofrat, »wenn eines im höchsten Fieberparoxysmus ist, wie Sie, Goldkind, so lacht man gewöhnlich nicht.« Er dankte ihr für ihre Schokolade, nahm Stock und Hut und ließ das Mädchen mit ihrem siebzehnjährigen, von dem Keim der ersten Liebe stürmisch bewegten Herzchen allein.
Als Hofrat Berner nach Tisch wieder in des Präsidenten Haus kam, um ihn, da er ihn heute früh verfehlt hatte, zu besuchen, traf er Ida wieder so vergnügt und fröhlich wie immer. »Das ewige Aprilwetter!« dachte er. »Auch bei ihr bleibt es nicht aus; wenn wir morgens weinen, so darf man gewiß sein, daß uns auch der Abend noch traurig oder doch ernst findet; aber das weint und lacht, klagt und tollt durcheinander wie Heu und Stroh.« Er setzte sich zum Präsidenten, der gewöhnlich vor dem Kaffee noch ein halbes Stündchen tischelte; gegenüber hatte er das liebe Aprilenkind und nötigte sie durch sein beredtes Mienenspiel, wodurch er sie an heute früh erinnerte, alle Augenblicke zum Lachen oder Rotwerden.
»Apropos! Sie kommen gerade recht, Berner,« sagte der Präsident, »hätte ich doch beinahe das Beste vergessen. Sie können mir durch Ihre Umgänglichkeit und Gewandtheit, durch die viele freie Zeit, die Sie haben, einen sehr großen Gefallen tun. Ich bekam da heute vom Ministerialsekretär ein Brieflein, worin mir unter den größten Elogen der ganz sonderbare Auftrag wird, neben meinem Amt als Präsident auch noch den gehorsamen Diener anderer Leute zu spielen. Da haben Sie,« fuhr er fort, indem er einen Brief mit dem großen Dienstsiegel hervorzog, »lesen Sie einmal vor, aber da die Elogenstelle bleibt weg, ich kann das Ding für meinen Tod nicht leiden, wenn man einen so ins Gesicht hinein lobt.«
Berner nahm den Brief, der, weil in solchen Fällen der Staatssekretär von Pranken selbst schrieb, ein wenig schwer zu lesen war, und begann: – »Nächstdem wurde mir höheren Orts[42] der Wink gegeben, daß, da ein sicherer Graf von Martiniz den Kreis Euer Exzellenz bereisen werde, ihm aller mögliche Vorschub und Hilfe zuteil werden soll. Besagter Herr von Martiniz wurde unserem Hofe durch den –schen Ministre plénipotentiaire aufs angelegentlichste empfohlen. Er hat im Sinne, bei uns, aller Wahrscheinlichkeit nach in Ihrem Kreise, sich bedeutende Güter zu kaufen, ist ein Mensch, der seine drei Millionen Taler hat und vielleicht noch mehr bekommt, und muß daher womöglich im Lande gehalten werden. Eure Exzellenz können, wenn solches gelingen sollte, auf großen Dank höheren Orts rechnen, da, wie ich Ihnen als altem Freunde wohl anvertrauen darf, im Fall er sich im Lande ansiedelte und sein Vermögen hereinzöge, die Hand der Gräfin Aarstein Exzellenz demselben nicht vorenthalten werden wird.«
Im Anfang dieses Briefes war Ida bei dem Namen Martiniz hoch errötet, denn sie begegnete dem Auge des Hofrats, der über den Brief hinweg zu ihr hinübersah; als die Stelle von den drei Millionen kam, wurde die Freude schwächer; ein dreifacher Millionär war nicht für Idas bescheidene Wünsche; als aber die Hand der Gräfin Aarstein nach ihrem sanften, liebewarmen Herzen griff, da wich alles Blut von den Wangen des zitternden Mädchens, sie senkte das Lockenköpfchen tief, und eine Träne, die niemand sah als Gott und ihr alter Freund, stahl sich aus den tiefsten Tiefen des gebrochenen Herzens in das verdunkelte Auge und fiel auf den Teller herab.
Sie kannte diese Gräfin Aarstein aus der Residenz her. Sie war die natürliche Tochter des Fürsten …; von ihm mit ungeteilter Vorliebe erzogen und mit einem ungeheuren Vermögen ausgestattet, lebte sie in der Residenz wie eine Fürstin. Sie war einmal einige Jahre verheiratet gewesen, aber ihre allzu vielseitige Menschenliebe hatte den Grafen Aarstein genötigt, seine Person von ihr scheiden und ihr nur seinen Namen zurückzulassen. Seitdem lebte sie in der Residenz; sie galt dort in der großen Welt als Dame, die ihr Leben zu genießen wisse; wenn man aber nur eine Stufe niederer hinhorchte, so hörte man von der Gräfin, daß sie dieses angenehme Leben auf Kosten ihres Rufes führe, zehn Liebeshändel, zwanzig Prozesse auf einmal, Schulden so viel als Steine in ihrem Schmuck habe und Kokette sei, die sich nicht entblöde, mit dem Geringsten zu liebäugeln, wenn seine Formen ihr gefielen.
So war Gräfin Aarstein. Ein unabweislicher Widerwille hatte schon in der Residenz die reine, jungfräuliche Ida[43] von dieser üppigen Buhlerin zurückgeschreckt; so oft sie zu ihren glänzenden Soirees geladen war, wurde sie krank, um nur diese frivolen Augen, diese bis zur Nacktheit zur Schau gestellten Reize nicht zu sehen, und diese Frau, deren Geschäft ein ewiges Gurren und Lachen, Spotten und Persiflieren war, sie sollte der ernste, unglückliche junge Mann mit dem rührenden Zuge von Wehmut, dem gefühlvollen sprechenden Auge –
Berner hatte schweigend den Brief noch einmal überlesen und legte ihn dann mit einem mitleidigen Blick auf Ida zurück. »Nun, was sagen Sie zu dem sonderbaren Auftrag?« fragte der Präsident. »Wahr ist es, der Martiniz ist nach dieser Beschreibung ein Goldfisch, den man nicht hinauslassen darf, ja, ja – man muß negoziieren, daß er in unserem Kreise bleibt. Da könnte er zum Beispiel Woldringen kaufen; um zweimalhunderttausend Tälerchen ist Schloß, Gut, Wiesen, Feld, Fluß, See, Berg und Tal alles, was man nur will, sein; und dieser Preis ist ein Pappenstiel. So, so? Die Aarstein also? Nicht übel gekartet von den Herren. Sie soll enorme Schulden haben, die am Ende doch der Fürst übernehmen müßte, die bekommt der Herr Graf in den Kauf. Du kennst die Aarstein, Ida? Sahst du sie oft?«
»Nie!« antwortete Ida unter den Löckchen hervor und sah noch immer nicht vom Teller auf.
»Nie?« fragte der Präsident gereizt. »Ich will nicht hoffen, daß die gnädige Gräfin meine Tochter nicht in ihren Zirkeln sehen wollte; hat sie dich nie eingeladen, wurdest du ihr nicht vorgestellt?«
»O ja,« sagte Ida, »sie schickte wohl zwanzigmal, ich kam aber nie dazu, hinzugehen.«
»Was? der T–! Ich hätte geglaubt, du wärest ein vernünftiges, gesittetes Mädchen geworden; wie kannst du solche Sottisen begehen und die Einladungen einer Dame, die mit dem fürstlichen Hause so nahe liiert ist, refüsieren?«
»Man hat mich deswegen bei Hof nicht weniger freundlich aufgenommen,« antwortete Ida und hob das von Unmut gerötete Gesichtchen empor; »man hat sich vielleicht gedacht, daß es der Ehre eines unbescholtenen Mädchens wohl anstehe, so fern als möglich von der Frau Gräfin zu bleiben.«
»So sieht es dort aus?« fragte der Präsident kopfschüttelnd. »Nun, nun! Heutzutage setzt man sich, wenn man ein wenig Welt hat, darüber weg. Ich mag dir hierüber nichts sagen, ihr jungen Mädchen habt eure eigenen Grundsätze; nur wäre es[44] wegen den jetzigen Verhältnissen besser gewesen, du hättest sie öfter gesehen; denn wenn sie sich hier in der Gegend ankaufen, nach Freilingen kommen sie doch auch alle Jahre ein paarmal, wir machen das erste Haus hier, du sollst in Zukunft die Dame des Hauses vorstellen, wie kannst du nur die Gräfin Martiniz empfangen, wenn du in der Residenz sie so ganz negligiertest?«
»Nun, Gräfin Martiniz ist sie ja noch nicht,« meinte der Hofrat und lächelte dabei so geheimnisvoll, daß es sogar dem Präsidenten auffiel.
»Nun, Er spricht ja so sicher über diesen Punkt,« sagte dieser, »als kenne Er den Grafen Martiniz und seine Herzensangelegenheiten aus dem Fundament.«
»Seine Herzensangelegenheiten nun freilich nicht,« lächelte Berner, »aber den Grafen hatte ich die Ehre, gestern kennen zu lernen –«
»Wie?« unterbrach ihn der Präsident, »er ist schon hier? Und wir schwatzen schon eine Stunde von ihm, und Sie sagen nichts –«
»Fräulein Tochter ist nicht minder in der Schuld als ich,« entgegnete jener, »sie kennt ihn sogar genauer als ich.«
»Ich glaube, Ihr seid von Sinnen, Berner, oder mein Laubenheimer hat Euch erleuchtet. Du, Idchen, du kennst ihn?«
»Nein – ja –« antwortete Ida, noch höher errötend. »Ich habe mit ihm getanzt, das ist alles.«
»Er war also gestern auf dem Ball? Schon bei Jahren, natürlich, ein ältlicher Mann? Schon in unserem Alter, Berner?«
»Nicht so ganz,« sagte dieser mit Hohn, »er mag so seine drei- bis vierundzwanzig Jährchen haben. Uebrigens können Exzellenz seine Bekanntschaft recht wohl machen, er logiert drüben im Mond.«
Der Präsident war zufrieden mit diesen Nachrichten; er sann nach, wie der junge Mann am besten zu halten sein möchte, denn er trieb alles gern nach dem Kanzleistil. Freund und Tochter, die er zu Rat zog, rieten, ihn einzuladen und ihm so viel Ehre und Vergnügen als möglich zu geben. Der Hofrat nahm es über sich, die Sache einzuleiten, und der Präsident ging um ein Geschäft leichter in sein Kollegium.
Als er weg war, sahen sich Ida und Berner eine Zeitlang an, ohne ein Wort zu wechseln. Der Hofrat, dem das lange Schweigen peinlich wurde, zwang sich, obgleich ihm die wehmütige Freundlichkeit in Idas Gesicht, ihr tränenschwerer Blick bis tief ins Herz hinein weh tat, zum Lächeln. »Nun, wer hätte es,« sagte er, »wer hätte es dem leidenden Herrn von gestern nacht angesehen, daß er drei Milliönchen habe? Wie dumm ich war, daß ich glaubte, er weine in seinem Landau, weil er keine Wechselchen mehr habe! Wer hätte es dem trübseligen Schmerzenreich angesehen, daß er bald eine so glänzende, lustige Partie machen würde.«
Ida schwieg noch immer; es war als scheute sie sich vor dem ersten Wort, das sie vor dem Freunde, der ihr Herz so tief durchschaut hatte, auszusprechen habe.
»Oder wie?« fuhr er fort. »Wollen wir eine Allianz schließen, mein liebes Aprilenwetterchen, daß die Gräfin Aarstein ihre Schulden nicht zahlen kann, daß –«
»O Berner, verkennen Sie mich nicht,« sagte Ida unter Tränen; »es ist gewiß nur das reine Mitleid, was mich nötigt, auszusprechen, was sonst nie gesprochen worden wäre. Sehen Sie, dieses Weib ist die Schande unseres Geschlechts! Sie ist so schlecht, daß ein ehrliches Mädchen erröten muß, wenn es nur an ihre Gemeinheit denkt. Prüfen Sie den jungen Mann da drüben, und wenn er ist, wie er aussieht, wenn er edel ist und trotz seines Reichtums unglücklich, so machen Sie, daß er nicht noch unglücklicher wird; suchen Sie ihn aus den Schlingen, die man um ihn legen wird, zu reißen –«
»Das kann niemand besser als mein Idchen,« entgegnete jener und sah ihr recht scharf in das Auge; »wenn mich nicht alles trügt, hängt das Goldfischchen an einem ganz anderen Haken als an dem, womit ihn der Minister ködern will; nur nicht gleich so rot werden, Kind. Ich will alles tun, will ihm sein Leben angenehm machen, wenn ich kann, will ihm die Augen auftun, daß er sieht, wohin er mit der Aarstein kommt, will machen, daß er sich in unserer Gegend ankauft und seine drei Millionen ins Land zieht, will machen, daß er mein Mädchen da lie–«
»Still, um Gottes willen,« unterbrach ihn die Kleine und preßte ihm das kleine weiche Patschhändchen auf den Mund,[46] daß er nicht weiter reden konnte. »Wer spricht denn davon? Einen Millionär mag ich gar nicht; es wäre ganz gegen meine Grundsätze, nur die Schlange im Residenzparadies soll ihn nicht haben; vom übrigen kein Wort mehr, unartiger Mann! –«
Verschämt, wie wenn der Hofrat durch die glänzenden Augen hinabschauen könnte auf den spiegelklaren Grund ihrer Seele, wo die Gedanken sich insgeheim drängten und trieben, sprang sie auf und an den Flügel hin, übertönte die Schmeichelworte des Hofrats mit dem rauschendsten Fortissimo, drückte sich die weichen Kniee rot an dem Saitendämpfer, den sie hinauftrieb, um die Töne so laut und schreiend als möglich zu machen, um durch den Sturm, den sie auf den Elfenbeintasten erregte, den Sturm, der in dem kleinen Herzchen keinen Raum hatte, zu übertäuben.
Verzweiflungsvoll über den halloenden Schmetter dieses Furiosos enteilte der Hofrat dem Salon. Aber kaum hatte er die Türe geschlossen, so stieg sie herab aus ihrem Tonwetter, die gellenden Akkorde lösten sich auf in ein süßes, flüsterndes Dolce, sie ging über in die schöne Melodie »Freudvoll und leidvoll«; mit Meisterhand führte sie dieses Thema in Variationen aus, die aus ihrem innersten Leben heraufstiegen; durch alle Töne des weichsten Moll klagte sie ihren einsamen Schmerz, bis sie fühlte, daß diese Töne sie viel zu weich machen, und ihr Spiel, ohne seine Dissonanzen aufzulösen, schnell wie ihre Hoffnung endete.
Im goldenen Mond drüben ging es hoch her. Drei Zimmer in der Bel-Etage vorn heraus hatte schon lange Zeit kein Fremder mehr gehabt. Die Mondwirtin hatte daher alles aufgeboten, um diese Zimmer so anständig als möglich zu dekorieren. Das mittlere hatte sie durch einen eleganten Armoir zum Arbeits-, durch ein großes Sofa zum Empfangszimmer eingerichtet. Das linke nannte sie Schlafkabinett, das rechte, weil sie ihren ganzen Vorrat überflüssiger Tassen und eine bronzierte Maschine auf einen runden Tisch gesetzt hatte, das Teezimmer. Auch an der Table d'hote, wo sonst nur einige Individuen der Garnison, einige Forst- und Justizassessoren, Kreissteuereinnehmer und dergleichen, selten aber Grafen saßen, waren bedeutende Veränderungen vorgegangen. Zum Dessert[47] kam sogar das feinere Porzellan mit gemalten Gegenden und die damaszierten Straßburger Messer, die sonst nur alle hohen Festtage aufgelegt wurden.
Daß ihr angesehener Gönner und spezieller Freund, der Hofrat Berner, jetzt im Mond statt zu Haus essen wollte und augenscheinlich dem Grafen zu Ehren, zog einen neuen Nimbus um die Stirn des letzteren in den Augen der Frau Mondwirtin. Sie war ganz vernarrt in ihren neuen Gast. Schon als er in dem herrlichen Landau mit den vier Postpferden, den aus Leibeskräften blasenden Schwager darauf, vorfuhr, als der reichbordierte Bediente dem jungen Mann heraushalf, sagte sie gleich zu ihrem Ehezärter: »Gib acht, das ist was Vornehmes.«
Als sie aber dem Brktzwisl, so nannte sich der gute alte Diener, die Kommoden in den drei Zimmern öffnete, ihm die Kleider und Wäsche seines Herrn aus den Koffern nehmen, sortieren und ordnen half, da schlug sie vor Seligkeit und Staunen die Hände zusammen. Sie hatte doch von ihrer Mutter gewiß recht feine, sanfte Leinwand zum Brauthemdchen bekommen, aber das war grober Zwilch gegen diese Hemden, diese Tücher – nein, so etwas Extrafeines, Schneeweißes konnte es auf der Erde nicht mehr geben wie dieses.
Es ist kein übles Zeichen unserer Zeit, wo der Edelmann seinen Degen abgelegt hat, und Grafen und Barone im nämlichen Gewand wie der Bürgerliche erscheinen, daß die Frauen dem Fremden, der zu ihnen kommt, nach dem Herzen sehen, das heißt nach seiner Wäsche. Ist sie grob, unordentlich oder gar schmutzig, so zeigt sie, daß der Herr aus einem Hause sein müsse, wo man entweder seine Erziehung sehr vernachlässigte oder selbst malpropre und unordentlich war. Wo aber der bläuliche oder milchweiße Glanz des Halstuches, die feinen Fältchen der Busenkrause und des Hemdes ins Auge fällt, da findet gewiß der Gast Gnade vor den Augen der Hausfrau, weil sie selbst immer dieses Zeichen guter Sitte ordnet und aufrecht erhält.
Auch die Freilinger Mondwirtin hatte diesen wahren Schönheitssinn, diese angeborene Vorliebe für schönes Linnenzeug in ihrer oft schmutzigen Wirtschaft noch nicht verloren. Daher der ungemeine Respekt vor dem Gast, als sein Diener ihr die feinen Hemden dutzendweis, bald mit geglockten, bald mit gefältelten Busenstreifen, bald mit, bald ohne Manschetten, aus den geöffneten Koffern hinüberreichte. Und als er vollends an die Unzahl von Hals- und Sacktüchern kam, wovon sie jedes zum höchsten Staat in die Kirche angezogen hätte, da vergingen[48] ihr beinahe die Sinne! »Ach! wie fürstlich ist der Herr ausgestattet! Das hat gewiß die gnädige Frau Mama ihm mitgegeben?«
»Der tut schon lange kein Zahn mehr weh,« gab Brktzwisl zur Antwort.
»Ist sie tot, die brave Frau, die so schöne Linnen machte?« sagte die mitleidige Mondwirtin. »Aber die gnädigen Fräulein Schwestern haben –«
»Hat keine mehr. Vor einem Jahr starb die Gräfin Kreszenz.«
»Auch keine Schwestern mehr? Der arme Herr! Aber auf solche exquisite Prachtwäsche verfällt kein junger Herr von selbst. Ich kann mir denken, der gnädige Herr Papa Exzellenz –«
»Ist schon lange verstorben,« entgegnete das alte Totenregister mit einem Ton, vor welchem der Wirtin die Haut schauderte.
»Der arme junge Herr!« rief sie, »was hat er jetzt von seinem schönen Linnenzeug, wenn er nach Haus kommt und trifft keine Mutter mehr, die ihn lobt, daß er alles so ordentlich gehalten, und keine Fräulein Schwester, die ihm das Schadhafte flickt und ordnet. Jetzt kann ich mir denken, warum der gnädige Herr immer so schwarz angezogen ist und so bleich aussieht, Vater tot, Mutter tot, Schwester tot, es ist recht zum Erbarmen –«
»Ja, wenn's das allein wäre!« seufzte der alte Diener und wischte sich das Wasser aus dem Auge. Doch, als hätte er schon zuviel gesagt, zog er murrend den zweiten Koffer, der die Kleider enthielt, heran und schloß auf. Die Wirtin hätte für ihr Leben gerne gewußt, was sonst noch für Unglück den bleichen Herrn verfolge, daß der Verlust aller Verwandten klein dagegen aussehe. Aber sie wagte nicht, den alten Brktzwisl, dessen Name ihr schon gehörig imponierte, darüber zu befragen, auch schloß der Anblick, der sich jetzt darbot, ihr den Mund.
Die schwarze Kleidung hatte ihr an dem ernsten, stillen Gast nicht so recht gefallen wollen, sie hatte sich immer gedacht, ein buntes Tuch, ein hübsches helles Kleid müßten ihn von selbst freundlicher machen. Aber da blinkte ihr eine Uniform entgegen – nein! Sie hatte geglaubt, doch auch Geschmack und Urteil in diesen Sachen zu haben. Sie hatte in früherer Zeit, als sie noch bei ihrer Mutter war, die Franzosen im Quartier gehabt, schöne Leute, hübsch und geschmackvoll gekleidet. Später, als sie schon auf den Mond geheiratet hatte, waren die Russen und[49] Preußen da gewesen, große stattliche Männer wie aus Gußeisen. Freilich hatten sie nicht die lebhaften Manieren wie die früheren Gäste, aber die knappsitzenden Spenzer und Kutkas waren denn doch auch nicht zu verachten. Aber vor der himmlischen Pracht dieser Uniform verblichen sie samt und sonders zu abgetragenen Landwehr- und Bürgermiliz-Kamisolen. Sie hob den Uniformfrack vom Sessel auf, wohin ihn Brktzwisl gelegt hatte, und hielt ihn gegen das Licht; nein, es war nicht möglich, etwas Schöneres, Feineres zu sehen als dieses Tuch, das wie Samt glänzte; das brennende Rot an den Aufschlägen, die herrliche Posamentier-Arbeit an der Stickerei und den Achselschnüren.
»Das ist die polnische Garde bei uns zu Haus in Warschau,« belehrte sie der alte Diener, dem dieser Anblick selbst das Herz zu erfreuen schien. »Möchte man da nicht gleich selbst in die mit Seide gefütterten Aermel fahren und das spannende Jäckchen zuknöpfen? Und, weiß Gott! so wie mein Herr gewachsen, war keiner unter allen! Der Schneider wollte sich selbst nicht glauben, daß die Taille so fein und schmal sei, gab noch einen Finger zu und brachte unter Zittern und Zagen, es möchte zu eng sitzen, sein Kunstwerk; aber Gott weiß, wie es zugeht, sie war zwar über seine breite Heldenbrust gerade recht, aber in den Weichen viel zu weit; und dabei ist an kein Schnüren zu denken, mein Herr verachtet diese Kunststücke. Der Schneider machte einen Sprung in die Höhe vor Verwunderung, er konnte es rein nicht begreifen, die anderen Herren beim Regiment ließen sich Korsette machen mit Fischbein, schnürten sich zusammen, daß man hätte glauben sollen, der Herzbündel wolle ihnen zerspringen, und dennoch rissen die Knöpfe alle drei Tage, wenn sie nur ein wenig mehr als zuviel gegessen hatten – mein Herr war immer der Fixeste, gedrechselt wie eine Puppe – und alles ohne ein Lot Fischbein, so wahr ich lebe.«
»Es ist unbegreiflich, was es für herrliche Leute unter den Militärs gibt,« unterbrach ihn die Wirtin, andächtig staunend.
»Und dann, Madame, lassen Sie ihn erst noch die Galabeinkleider da anlegen, den Federhut aufsetzen, seine goldenen Sporen mit den silbernen Rädchen an den feinen Absätzchen, denn Füßchen hat er trotz einer Dame; lassen Sie mich ihm den St. Wladimir in Diamanten auf die Brust hängen, den Ehrensäbel, den sein Herr Vater vom Kaiser bekommen, und den er aus hoher Gnade als Andenken tragen darf, um den Leib schnallen; Frauchen, wenn ich ein Mädchen wäre, ich flöge ihm an den Hals und küßte ihm die schwarzen Locken aus der schönen Stirne.[50] Und dabei war er so fröhlich, die Wangen so rot, das Auge so freundlich blitzend, und alles hieß ihn nur den schönen, lustigen Martiniz. Das alles ist jetzt vorbei,« setzte der treue Brktzwisl seufzend hinzu, indem er die Staatsuniform der Wirtin abnahm und in die Kommode legte, »da liegt das schöne Kleid, nach dem Zehntausend die Finger leckten, so liegt es seit drei Vierteljahren, und wie lange wird es noch so liegen!«
»Aber sagen Sie doch, liebster Herr Wiesel, Sein Vorderteil kann ich nicht aussprechen, sagen Sie doch, warum dies alles, warum sieht Sein Herr so bleich und traurig? Warum kleidet er sich wie ein junger Kandidat, da er unsere ganze Garnison in den Boden glänzen könnte? Warum denn?«
Der Alte sah sie mit einem grimmigen Blick an, als wollte er über diesen Punkt nicht gefragt sein. Aber die junge, reinliche, appetitliche Wirtin mochte doch dem rauhen Mann zu zart für eine derbe Antwort vorkommen. »Bassa manelka!« sagte er unfreundlich. »Warum? Weil – ja sehen Sie, Madame, weil, weil wir, richtig, weil wir als Zivil reisen,« und nach diesem war auch kein Sterbenswörtchen mehr aus ihm herauszubringen.
Dies alles hatte die Wirtin dem Hofrat erzählt, der sich in dem schönen Speisesaal wohl eine Stunde früher als die übrigen Gäste zur Abendtafel eingefunden hatte, um so allerlei Nachrichten, die ihm dienen konnten, einzuziehen. Er hatte sie ganz aussprechen lassen und nur hie und da seinen Graukopf ein wenig geschüttelt; als sie zu Ende war, dankte er für die Nachrichten. »Und ihn selbst, Ihren wunderlichen Gast, haben Sie noch nicht gesprochen oder beobachtet? Ich kenne Ihren Scharfblick, Sie wissen nach der ersten Stunde gleich, was an diesem oder jenem ist, und auch über Leben und Treiben fangen Sie hie und da ein Wörtchen weg, aus dem sich viel schließen läßt.«
Die Geschmeichelte lächelte und sprach: »Es ist wahr, ich betrachte meine Gäste gern, und wenn man so seine acht oder zehn Jährchen auf einer Wirtschaft ist, kennt man die Leute bald von außen, und innen. Aber aus dem da droben in der Bel-Etage werde ein anderer klug. Mein Mann, der sich sonst auch nicht übel auf Gesichter versteht, sagt: ›Wenn es nicht ein[51] Polack wäre, so müßte er mir ein Engländer sein, der den Spleen hat.‹ Aber nein, wir hatten auch schon Engländer, die den Spleen faustdick hatten, tage-, wochenlang bei uns, aber die sehen griesgrämig, unzufrieden in die Welt hinein; aber die Frauen, nehmen Sie nicht übel, Herr Hofrat, haben darin einen feinern Takt als mancher Professor. Der Graf sieht nicht spleenig und griesgrämig aus, nein, da wette ich, der hat wirkliches Unglück, denn die Wehmut schaut ihm ja aus seinen schwarzen Guckfenstern ganz deutlich heraus. Denke ich den Nachmittag, du gehst einmal hinauf und sprichst mit ihm, vielleicht, daß man da etwas mehr erfährt als von dem alten Burrewisl. Im Teezimmer sitzt mein stiller Graf am Fenster, die Stirne in die hohle Hand gelegt, daß ich meine, er schläft oder hat Kopfweh. Drüben spielte gerade die Fräulein Ida auf dem Flügel so wunderschön und rührend, daß es eine Freude war. Dem Grafen mußte es aber nicht so vorkommen, denn die hellen Perlen standen ihm in dem dunkeln Auge, als er sich nach mir umsah.«
»Wann war denn dies?« fragte der Hofrat.
»So gegen vier Uhr ungefähr; wie ich nun vor ihm stehe, und er mich mit seinem sinnenden Auge maß, da muß ich feuerrot geworden sein, denn da fiel mir ein, daß doch nicht so leicht mit vornehmen Leuten umzugehen sei, wie man sich sonst wohl einbildet; er ist auch nicht so ein Herr Obenhinaus und Nirgendan wie unsere jungen Herren, mit denen man kurzen Prozeß macht, nein, er sah gar zu vornehm aus. ›Ich wollte nur gefälligst fragen, ob Ew. Exzellenz mit Ihrem Logis zufrieden seien?‹ hub ich an.
Er stand auf, fragte mich, ob ich Madame wäre, holte mir, denken Sie sich, so artig, als wäre ich eine polnische Prinzeß, einen Stuhl und lud mich zum Sitzen ein. Es ist erstaunlich, was der Herr freundlich sein kann, aber man sieht ihm doch an, daß es nicht so recht von Herzen gehen will.
An dem Logis hatte er gar nichts auszusetzen, und auch die Straße gefiel ihm. Das Gespräch kam auf die Nachbarschaft und auch auf Präsidents Haus; ich erzählte ihm von dem wunderschönen Fräulein, die erst aus der Pension gekommen, und wie sie so gut und liebenswürdig sei; von dem alten Herrn drüben, und daß die gnädige Frau schon so lange tot sei; und ich hatte mich so ins Erzählen vertieft, daß ich gar nicht merkte, wo die Zeit hinging, und statt ihn auszufragen, hatte ich die Gelegenheit so dumm verplaudert!«
»Schade! Jammerschade!« lachte Berner über die sprachselige Wirtin.
»Und wie gut der Herr ist! Denken Sie sich nur, hinten im Garten, wo es nun freilich zu jetziger Jahreszeit nicht mehr schön ist, sitzt mein Luischen; das Dingelchen ist jetzt acht Jahre und schon recht vernünftig, sitzt es im Garten und weiß nicht, daß ein so vornehmer Herr hinter ihm steht. Ich war in der Küche und sah alles mit an; mein Luischen kann allerhand schnackische Lieder, auch ein schwäbisches, ich weiß nicht, wer sie es gelehrt hat; wie nun der Graf hinter ihr steht, fängt der Unband an zu singen:
Ich glaube, ich müsse vor Scham in den Wurstkessel springen, daß mein Kind so ungebildetes Zeug singt, was mußte nur der Graf von meiner Erziehung denken! Ihm aber schoß das helle, klare Schmerzenswasser in die Augen; er bog sich nieder, nahm das Dingelchen auf den Arm, herzte und küßte es, daß mir brühsiedeheiß wurde, und fragte, wo sie das Liedchen her habe?
Das Kind weiß vor Schrecken gar nicht zu antworten; mein Herr Graf aber langt in die Tasche, kriegt einen blanken Taler heraus und verspricht, wenn es das Verschen noch einmal deutlich sage und zweimal singe, so bekomme es den Taler. Ich hätte ihm befehlen mögen, wie ich hätte mögen, es hätte nicht gesungen. Der Taler aber tat seine Wirkung; sie sagte ihr Sprüchlein ganz mir nichts dir nichts auf und sang nachher das ›bissel polnisch und e bissel deutsch‹, wie wenn es so sein müßte. Den Taler bekam es richtig; er liegt in der Sparbüchse in ein Papier geschlagen, und darauf steht deutlich, daß sie es in zwölf Jahren noch lesen und einmal ihren Kindern noch zeigen kann: den 12. November 1825 bekommen vom polnischen Gardeoffizier, Grafen von Martiniz.«
Die Gäste waren nach und nach alle zur Abendtafel herbeigekommen. Madame trennte sich von dem Hofrat mit dem Versprechen, ihm nächstens wieder zu erzählen. Der Hofrat sann nach über das, was er gehört, die Szenen und Winke, die ihm Madame Plappertasche vorgesetzt hatte, gingen ihm wie ein Mühlenrad im Kopf herum, sinnend kam er an seinen Platz und setzte sich nieder. Vater tot, Mutter tot, Schwester tot, und dennoch hatte der alte Diener gesagt, ja wenn es dies allein wäre! Was konnte ihm denn sonst noch gestorben sein? Etwa eine Gel– Nein! Geliebt konnte er nicht haben, denn wie konnte er nach drei Vierteljahren, so lange hatte der Diener gesagt, sei er traurig, wie konnte er nach so kurzer Frist schon wieder um eine Gräfin Aarstein auf die Freite gehen? Unmöglich! – Hätte, wenn jenes doch der Fall wäre, hätte Ida auf ihn einen solchen Eindruck –
Ja, was wollte er denn eigentlich, der gute Hofrat; Ida hatte bestimmt auf ihn einen großen Eindruck gemacht, das war auf dem Ball ganz und gar sichtbar, denn er schaute ja nur nach ihr und immer wieder nach ihr, und sein ernstes Gesicht, wie klärte es sich auf, als sie ihn im Kotillon holte! Heute früh, hatte er nicht einen Feuerblick gegen sie heraufgeworfen, als hätte er eine congrevesche Batterie hinter den Wimpern aufgefahren? War es ihm selbst nicht, als sollte die Schokolade in seiner Hand, von diesen Brennspiegeln getroffen, anfangen zu sieden?
Heute abend, wer hatte denn da hinter den roten Gardinen auf des Mädchens gefühlvolles Spiel gelauscht als er? Wer war so gerührt davon, daß ihm die hellen Tränen hervorperlten, als der gute Graf Martiniz? Und Idchen, nun die war ja rein weg in den Mondgast verschossen. »Die Aktien stehen gut!« lachte der Hofrat in sich hinein und rieb sich unter dem Tisch die Hände, »bin neugierig, ob diesmal der alte vergessene Hofrat nicht weiter kommt mit seinem guten ehrlichen Hausverstand als der Herr Minister-Staatssekretär Superklug und Uebergescheit in der Residenz mit seinen diplomatischen, extrafeinen Kniffen, mir muß das Goldfischchen in das Netz, mir muß –«
»Wenn ich nicht irre, mein Herr, so hatte ich gestern schon das Vergnügen –« tönte dem alten Träumer, der über seinen staatsklugen Plänen die Tafel, Nachbarschaft und alles vergessen hatte und jetzt erschrocken auffuhr und sich umsah, ins[54] Ohr – es war Martiniz, der sich unbemerkt neben ihn gesetzt hatte; er hätte vor Schrecken in den Boden sinken mögen, denn sein erster Gedanke war, dieser müsse seine Gedanken erraten haben, besonders da er sich nicht mehr deutlich erinnern konnte, ob er nicht etwa, was ihm oft passierte, laut mit sich selbst gesprochen habe.
Die Nähe des Fremden übte eine beinahe magische Gewalt auf den Hofrat aus, die sinnende, kluge Miene, das neben seinem schwärmerischen Glanz Verstand und Nachdenken verratende Auge imponierte ihm, jedoch auf eine Weise, die ihm nicht unangenehm war; es war ihm, als müsse er sich vor dem jungen Manne recht zusammennehmen, um nirgends eine Blöße zu geben oder einen seiner Pläne zu verraten. Die gewöhnlichen Fragen, wie sich der Gast hier gefalle, Komplimente über seine Reitfertigkeit, mit welcher er heute früh einem Kinde das Leben gerettet, und dergleichen waren bald abgemacht, ohne daß er über des Fremden Gesinnungen näheren Aufschluß bekommen hätte. Es kam an die Gegend des Freilinger Kreises, es wurde gelobt, gepriesen, einzelne Güter, die durch Lage und Ertrag sich auszeichneten, näher beschrieben, aber auch hier ging der Gast nicht ein; er verlor kein Wörtchen, als wolle er sich nur um einen Taler Land mieten oder kaufen.
Der Hofrat haute sich jetzt einen neuen Weg ins Holz; er lobte die Residenz, das angenehme Leben dort, die Schönen der Stadt und des Hofes, jetzt mußte er etwas sagen, es mußte sich zeigen, ob er die Aarstein – Der Gast sprach von der Residenz, von den schönen Anstalten dort, von der Militärverfassung, schien namentlich über die Kavallerie sich gerne genauere Aufschlüsse geben zu lassen, aber kein Wörtchen über die Damen. Endlich, der Hofrat hatte gerade eine trefflich bereitete Ortolane à la Provençale, seine Leibspeise, am Mund und einen tüchtigen Biß hinein getan, da wandte sich Martiniz zu ihm herüber und fragte, ob er nicht in der Residenz die schöne Ar – schnell wie der Wind fuhr Berner mit seiner Ortolane auf den Teller, wischte den Mund und war ganz Ohr, denn jetzt mußte ja die Gräfin aufs Tapet kommen – ob er nicht die schöne Armenanstalt kenne, die er in solcher Vollkommenheit nirgends gesehen habe.
Dem Hofrat war es auf einmal wieder froh und leicht um das Herz, denn solange er ja über das Verhältnis des Polen zur Gräfin Aarstein nichts Gewisses wußte, durfte er immer der Hoffnung Raum geben. Als die Abendtafel zu Ende war, rief[55] Martiniz nach Punsch und lud seinen Nachbar ein, mit ihm noch ein Stündchen zu trinken. Berner sagte zu und hat es nie bereut, denn hatte ihm der interessante junge Mann zuvor durch seine äußere Persönlichkeit imponiert, so gewann er jetzt ordentlich Respekt vor ihm, da jener, wie es schien, von dem Punsch, dem die Mondwirtin eine eigene geheimnisvolle Würze zu geben verstand, aufgetaut, eine so glänzende Unterhaltungsgabe entwickelte, wie sie dem Hofrat, obgleich er in seinem Leben vieles gesehen und gehört hatte, selten vorgekommen war.
Wie freudig war aber sein Erstaunen, als er nach einer Viertelstunde schon bemerkte, daß er und sein Nachbar die Rollen getauscht zu haben schienen. Der kluge Alte bemerkte nämlich bald, daß der Graf auf allerlei Umwegen sich immer nur einem Ziele, nämlich Ida, nähere. Er konnte dieses Flankieren dem Ulanenoffizier gar leicht verzeihen, hatte er doch nicht den Dienst der schweren Kavallerie gelernt, die, wenn Marsch-Marsch geblasen wird, im Karriere geradeaus sprengt, das feindliche Viereck durch ihre eigene Wucht und Schwere im Chok zu zerdrücken. Der Ulan umschwärmt seinen Feind, sticht nach ihm, wo er eine Blöße entdeckt, und sucht auf geflügeltem Roß das Weite, wenn der Feind sich zu einer Salve sammelt. So der Garde-Ulan Martiniz. Aber der tapfere Pole mochte sich tummeln, wie er wollte, seine Angriffe so versteckt machen, als er wollte, sein Gegner durchschaute ihn; auf Idchen ging es los, und dem alten Mann pochte das Herz vor Freude, als er es merkte, auf Idchen ging es los, sie wollte der Pole rekognoszieren. Er glaubte, den Hofrat drüben am Fenster gesehen, auch gestern auf dem Ball ein engeres Verhältnis bemerkt zu haben, er pries des Mädchens königlichen Anstand, der sie vor den übrigen Freilinger Damen so hoch erhebe; er lobte die Zurückhaltung, mit welcher sie die ungestümen Herren zurückgewiesen habe, pries ihr Spiel und ihren Gesang, womit sie unbewußt sein einsames Zimmer erheitert habe; eine schöne Röte war durch das warm gewordene Gespräch auf den Wangen des jungen Mannes aufgegangen, jener Zug von Unglück und Wehmut, der sich sonst um seinen schönen Mund gelagert hatte, war gewichen und hatte einem feinen, holden Lächeln Platz gemacht, das Auge strahlte von freudigem Feuer, er ergriff das Glas, als er ausgesprochen hatte, und zog es bis zum letzten Tropfen so andächtig aus, als hätte er in seinem Herzen einen Toast dazu gesprochen.
»Herzensjunge! Liebes, bestes Gräfchen! Söhnchen! Goldpoläckchen!« alle Schmeichelnamen hätte der Hofrat ausschreien, den trefflichen Redner an sein Herz reißen und mit väterlichen Küssen bedecken mögen – aber das ging nicht; ein Diplomat vom Fach, und das war er ja bei seinen jetzigen Negoziationen durch und durch, durfte seine Freude über eine glückliche Entdeckung, über einen unverhofften, köstlichen Fund nicht laut werden lassen; er schluckte alle jene Ausbrüche des Vergnügens wieder hinunter, faßte den Grafen nur mit einem recht zärtlichen, seligen Blick und bestätigte weitläufig sein treffendes Urteil. Er beschrieb ihm das Mädchen, wie er es, seit es den ersten Schrei in die Welt getan, kenne, wie es früher ein lustiger, fröhlicher Zeisig war, wie es jetzt zur ernsten Jungfrau herangewachsen sei; ihre Anmut, ihre Geschicklichkeit in Sprachen und allen Dingen, die ein Mädchen zieren, als da sind Stricken, Nähen, Schneidern, Sticken, Kochen, Früchte-Einmachen, Backen, Blumenmachen, Zeichnen, Malen, Tanzen, Reiten, Klavier- und Gitarrespielen; wie es in der Residenz trotz der hohen Stellung, die es in der Gesellschaft eingenommen, doch immer seinem Sinn für reine Weiblichkeit gefolgt sei; wie es seinen reinen, keuschen, kindlichen Sinn auf dem Boden, wo schon so manches gute Kind ausgeglitscht sei, bewahrt habe.
»Es ist mir unbegreiflich,« setzte er, von dem Eifer, der ihn beseelte, fortgerissen, hinzu, »rein unbegreiflich, wie dieses für alles Schöne und Gute glühende Herz sich in der Residenz so vor aller Liebe bewahrt hat. Unsere jungen Herren schreien gewöhnlich bei solchen Mädchen über Eiskälte und Phlegma, aber Gott weiß, diesem Mädchen kann man dieses nicht nachsagen. Aber unsere jungen Herren sind meistens selbst daran schuld. Kraft- und marklos schlendern sie einher, auf den Bällen stehen sie scharweise zusammen, gucken durch Gläser von Nr. 4 und 5, die für Blinde scharf genug geschliffen wären, nach den Reizen der Ballschönen, lassen ganze Reihen sitzen und tanzen nicht, und geben sie sich auch einmal zu einem Walzerchen und Kotillönchen her, so meint man, sie wollen den letzten Atem ausschnaufen, so wogt es in den ausgedörrten Herzkammern. Kann solche Lumperei einem jungen, schönen, in der Fülle der Kraft strotzenden Mädchen, das zwei solcher Flederwische an die Wand schleuderte, gefallen? Kann man es[57] einem solchen Engelskind, das sich so gut wie jeder andere abends im Bettchen mit verschlossenen Augen und verstohlenem Lächeln sein Ideal vormalt und vorträumt, kann man es ihr verargen, wenn sie solche Vogelscheuchen gering achtet und kalt abweist?
Ein solches Mädchen soll dann kalt sein wie Eis, soll kein Feuer im Leib haben; habe ich doch Über mein Goldmädchen gestern abend solche Urteile hören müssen; geschossen hätte ich mich um sie, wäre ich nur dreißig Jahre jünger gewesen. Sie hätte kein Feuer? Habe ich nicht gesehen, wie sie heute früh, als Sie, Herr Graf, das Kind retteten, das Fenster aufriß und beinahe hinaussprang aus purem Mitgefühl? Und dieses Mädchen hätte kein Feu–?«
»Das hat sie getan?« fragte der glückliche Martiniz, bis an die Stirne errötend. »Sie hat das Fenster ein wenig geöffnet und herausgesehen?«
»Was öffnen und heraussehen! Dazu braucht man zwei Minuten, aber aufgerissen hat sie das Fenster, daß sie mir den Schokoladenbecher beinahe aus der Hand schlug, sie war in zwei Sekunden fertig! Sehen Sie, so ist das Mädchen; Feuer und Leben, wo es etwas Schönes, wahrhaft Freudiges, Erhabenes gilt, schwärmerisch empfindsam, wenn sie wahre Leiden der Seele sieht, aber kalt und abgemessen, wenn die leere schale Alltäglichkeit sich ihr aufdrängen will.«
Mit einem Feuerblick an die Decke, die Rechte auf das lautpochende Herz gelegt, trank Graf Martiniz wieder einen stillen Toast, der nirgends widerklang als in seinem tiefen Herzen, aber dort traf er so viele Anklänge, daß dieses wehmütige, traurige Herz, das so lange nichts kannte als die Wehmut und den Kummer heimlicher Tränen, im stillen, aber vollen Jubel aufschwoll und sich stolz wie vorzeiten unter dem Ordensband hob, das es von außen zierte.
Er sagte dem Hofrat, daß er, wenn es möglich wäre, während seines hiesigen Aufenthalts gerne von einem Empfehlungsschreiben an den würdigen Herrn Präsidenten Gebrauch machen würde, das er heute durch den Gesandten seines Herrn von dem Minister-Staatssekretär bekommen habe. Der Hofrat versprach freudig, ihn dort einzuführen und seine Abende im Umgange mit diesem trefflichen Menschen erheitern zu helfen. Bei sich lachte er aber über den Staatssekretär, der seine Sachen so geschickt einzufädeln wisse; der Graf solle dem Lande bleiben mit seinen drei Milliönchen, aber die Gräfin soll ihn nicht bekommen, dafür steht der Hofrat Berner. Auch er trank jetzt im[58] stillen ein Toastchen und ließ mit einem freundlichen, wohlwollenden Seitenblick die künftige Frau Gräfin leben. Vivat hoch! scholl es in allen Winkeln seines alten treuen Herzens, hoch und abermal h–
Da brummte in dumpfen Tönen die Glocke vom Münsterturme elf Uhr. Mit wehmütigem Blick sprang Martiniz auf, stammelte gegen den erschrockenen Hofrat eine Entschuldigung hervor, daß er noch einen Besuch machen müsse, und ging.
Berner konnte sich wohl denken, wohin der unglückliche Junge ging. Mitleidig sah er ihm nach und lehnte sich dann in seinen Stuhl zurück, um über das, was diesen Abend gesprochen worden war, nachzudenken; der Graf hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; es hatte ihm nicht leicht ein junger Mann so wohl gefallen wie dieser; so viel Grazie und Feinheit des Umganges, so viele Bildung und Kenntnisse, so viel anspruchslose Bescheidenheit bei drei Millionen Talern, so hohe männliche Schönheit und doch nicht jenes eitle, gefallsüchtige Sich-zeigen-wollen, das schönen jungen Männern oft eigen ist – nein, es ist ein seltener Mensch und gewiß beinahe so viel wert als mein Idchen, dachte er, wenn die beiden erst einmal ein Paar – die Mondwirtin unterbrach ihn; mit zornglühendem Gesichte setzte sie sich hastig auf den Sessel, den Martiniz soeben verlassen hatte. »Nein, da traue einer den Männern,« wütete sie, »hätte ich doch mein Leben eingesetzt für diesen Herrn Grafen; hätte geglaubt, er wäre ein unschuldiges, reines Blut und kein so Bruder Liederlich, die an jede Schürze tappen –«
»Nun, was ist denn geschehen?« unterbrach sie der aus allen Himmeln gefallene Hofrat. »Was haben Sie denn, das Sie so aufbringt, Frauchen?«
»Was ich habe? Möchte da einem nicht die Galle überlaufen, so ein schöner, reicher Herr, wo es sich manche Dame zur Ehre rechnen würde, in nähere Bekanntschaft – geht auf nächtlichen, liederlichen Wegen; glaubt, es sei hier in Freilingen auch so eine großstädtische Nachtpromenade; tief in seinen Mantel gehüllt, ist er zum Torweg hinausgewischt mit dem alten Kuppler, dem Berrzwisel. Will haben, man solle das Haus offen lassen bis ein Uhr. Aber die Türe schlage ich ihm vor der Nase zu, ich brauche keinen solchen Herrn im Haus, der bei Nacht und Nebel nicht weiß, wo er steckt.«
»Habe ich doch Wunder geglaubt, was es gibt,« sagte der Hofrat, wieder freier atmend; »da dürfen Sie ruhig sein, der[59] geht nicht auf schlimmem Wege; er macht noch einen durchaus ehrbaren Besuch, ich weiß wo, darf es aber nicht sagen.«
Die Wirtin sah ihn zweifelhaft an. »Ist es aber auch so?« sprach sie freundlicher. »Ist es auch so, und machen Sie mir keine Flausen vor? Doch Ihnen glaube ich alles aufs Wort, und ich ärgere mich nur, daß ich gleich so Schlimmes dachte; aber die Welt liegt jetzt im argen, unseren jungen Herren ist nicht mehr über die Straße zu trauen. Sagen Sie ihm aber um Gottes willen nichts, ich glaube, er könnte mich mit einem einzigen Blick verbrennen; es war ja lauter christliche Liebe zu meinem Nebenmenschen.«
Der Hofrat lächelte fein, indem er ihr die Hand zum Versprechen und zugleich zum Abschied bot; er jagte ihr alle Röte auf die hübschen Wangen, sie wußte nicht, wo sie hinsehen, ob sie lachen oder zürnen solle, denn, schon im Fortgehen begriffen, wisperte er ihr ins Ohr: »Es war all nichts als lauter christliche, nebenmenschliche – Eifersucht!«
Man hätte glauben sollen, das Haus des Präsidenten sei ein großer Vogelbauer geworden, in welchem Nachtigallen, Kanarienvögel, Stärchen und alle Gattungen gefiederter Bewohner wären. Es hüpfte etwas treppauf, treppab, ein süßes Stimmchen hörte man bald in gehaltenen, wehmütigen Tönen singen, bald in fröhlichen, scherzenden Rouladen jauchzen und jodeln wie die Kanarienhähnchen, bald zwitschern und plaudern wie Stärchen; aber Hähnchen, Nachtigallen und Stärchen, sie alle waren in einer Person Idchen, das vor Freude, vor Sehnsucht, vor Langerweile und Geschäftigkeit treppauf und -ab flog, mit allen Menschen anband, alle auslachte, alle begrüßte und neckte, allen zugleich befahl und schalt.
Graf Martiniz hatte dem Vater eine Karte und den Empfehlungsbrief des Staatssekretärs geschickt; der alte Herr war mit beidem zu ihr gekommen und hatte sie förmlich um Rat gefragt, was nun zu beginnen sei; nach seiner Ansicht, wenigstens war es vor zwanzig Jahren noch so, mußte man den Fremden zum Mittagessen bitten, zwei Tage nachher zum Tee, nach zwei Tagen wieder zum Nachtessen, und vor seiner Abreise mußte ihm ein kleiner Hausball gegeben werden.
Das selige Mädchen drückte die Augen zu und biß die Purpurlippen zusammen, um ihre Freude nicht zu verraten; nach ihrer Ansicht, und das war endlich doch die vernünftigste, sollte man ihn auf Mittag zu einer Suppe laden, Nachmittag setzte er sich dann zu ihr ans Klavier, abends trank er mit ihr Tee, und dann konnte ja ein kleiner Hausball mit einem Souper den seligsten Tag ihres Lebens schließen; doch nein – sie nahm sich zusammen und erklärte ihm, wie sie das in der Residenz ganz anders gelernt habe.
»Es würde dem guten Grafen ein wenig kleinstädtisch vorkommen, wollten wir ihn gleich von vornherein zum Mittagessen einladen. Wir müssen einen Bedienten hinüberschicken und ihm sagen lassen, daß wir ihn zur Teestunde erwarten, da wird er dann nicht fehlen; wir bitten Direktors Pauline und Fräulein Sorben, den Hofrat, meinetwegen einen oder den anderen deiner jungen Räte dazu. Ich mache die Honneurs beim Tee, und um neun Uhr marschieren die Herrschaften wieder ab. Dem Grafen sagen Sie, Sie wünschen ihn öfter bei uns zu sehen und namentlich um die Teestunde. Ist er einigemal dagewesen, so bittet man ihn einmal beim Nachtessen zu bleiben; nachher koche und backe ich eines Tages recht flott und anständig, Sie, lieber Papa, geben ihm morgens nur so en passant einen Besuch heim und lassen fallen, ob er nicht einmal, etwa heute, eine Suppe mit uns essen wolle; es wäre unartig, es auszuschlagen. Die Idee mit dem Hausball ist recht hübsch, übrigens darf nur er allein merken, daß es ihm zu Ehren geschieht; wir würden uns lächerlich machen, wollten wir den Leuten sagen, daß wir dem Grafen Martiniz einen Ball geben; es kann ja heißen, Papa gebe mir einen Einstand in sein Haus.«
Papa Präsident war alles zufrieden, nur wollte ihm die neue Sitte, daß man sich stelle, als sei alles Natur, was doch nur immer wieder die alte Kunst ist, nicht recht einleuchten. Er hatte ihr die Schlüssel des Hauses und alle Gewalt im Boden und Keller übergeben, und das Mädchen rumorte jetzt als tätige Hausfrau in dem großen Gebäude umher, als sollte sie zwanzig Wagen voll Gäste empfangen. Sie sollte ihn sehen, sie sollte ihn sprechen, er mußte, wenn er nur halbwegs so artig war, als er aussah, jetzt alle Wochen wenigstens viermal herüberkommen – nein, es war nicht zu sagen, wie himmlisch selig das Mädchen war!
Um zehn Uhr hatte es angefangen zu tollen und zu rumoren, und schon um zwölf Uhr war das Teezimmer bereitet, wie es heute abend sein mußte. Erschöpft von den Haushaltungsgeschäften warf sie sich in ein Sofa; sie machte die Augen zu, um sich den Abend schon recht selig zu träumen, sie besann sich, wie man ihm den Abend recht schön mache, daß er recht oft wiederkomme, sie suchte ihre beste Musik zusammen, um ihn zu erheitern und die Schwermut von seiner Stirne zu bannen, so – o, es mußte einen herrlichen Abend geben; da fiel ihr auf einmal die Gräfin Aarstein ein, und alle Freude, aller Jubel war wieder hinweggeflogen; Träne auf Träne stahl sich aus dem Auge, sie klagte alle Menschen an und war auf sich, auf die Welt bitterböse.
Aber Berner, der nachmittags nur im Flug ein wenig bei ihr einsprach, verscheuchte diese Wolken. Er war zwar zu vorsichtig, um ihr den tiefen Eindruck zu schildern, den sie auf den geliebten Fremden gemacht hatte, aber das sagte er mit triumphierender Miene, daß sie vor der Aarstein nicht bange haben solle; er habe gute, köstliche Nachrichten, die dies vollkommen bestätigen; weg war er, ehe sie ihn noch recht fragen konnte, und sie hatte doch so viel, so unendlich viel zu fragen. Er hatte ihr nur von der Aarstein gesprochen und wollte sich nichts weiter merken lassen, der gute Hofrat! Aber wo ist ein Mädchen, das die Flamme der ersten, reinen Liebe im Herzen trägt, wo ist ein solches Engelskind, das nicht in ein paar Stunden die größten Fortschritte in der Kunst, zu schließen und zu berechnen, gemacht hätte? Man sprach so viel von magnetisierten Schläferinnen und Clairvoyantes, man schrieb viele gelehrte Bücher über solche seltene Erscheinungen, und wie gewöhnlich ließ man, was am nächsten lag, unbeachtet! Das sind ja die eigentlichen Clairvoyantes, die Mädchen mit der ersten, kaum erkannten Sehnsucht in der Brust, wohl haben sie die Augen niedergeschlagen, aber dennoch sehen sie weiter als unsereiner mit der schärfsten Brille, die Liebe hat sie magnetisiert, hat ihnen das Auge des Geistes geöffnet, daß sie in den Herzen lesen. So auch Ida; sie merkte dem Hofrat wohl an, daß er mehr wisse, als er sagen wolle, mit der Gräfin war es nichts, aber ebensogut mußte er wissen, daß es auch mit keiner andern etwas sei, sonst hätte er nicht so vergnügt, nicht so schelmisch gelächelt. Er wußte, das sah die neue Clairvoyante jetzt hell und klar, er mußte sogar wissen, daß Martiniz sie –
O, wer das Mädchen jetzt gesehen hätte, wie es das Köpfchen in die Ecke des Sofas barg, wie alles Blut nach dem vom süßen Schauer der ersten Liebe bebenden Herzen hinauf und hinab wogte, wie der jungfräuliche Busen zitterte und hüpfte, wie ein nie gekanntes Gefühl, wie eine Mitternachtssonne in den Nächten des Nordpols, im Tiefsten ihres Innern mit ihren zuckenden, blitzenden Strahlen aufging! Wahrlich, es liegt eine rührende Zaubermacht in einem solchen Gesichtchen voll stiller Seligkeit, es ist der Lichtpunkt des jungfräulichen Lebens, zu dem sie einen kurzen Weg hinauf, von welchem sie lange, oft traurige Stufen hinabsteigt!
Aber der Nachmittag war auch gar zu lang, die Stunden gingen so träge hin, sie konnte sich ordentlich über sich selbst ärgern, daß sie schon heute früh das Teezeug gerüstet hatte, sie fing an zu arbeiten, zehnerlei nahm sie vor und legte es ebenso schnell zurück. Sie hatte ein Bukett von Phantasieblumen angefangen, sie hatte sonst mit Lust und Liebe daran gearbeitet, aber nein! Es war doch auch gar zu langweilig; erfunden war etwas bald, man malte seine Gedanken recht artig aufs Papier, aber bis man alle die Blätter und Blättchen zusammenband – zurückgelegt bis auf weiteres; sie nähte so wunderhübsche Tapisserien; sie machte ihre Kreuzstiche so fein und gleich, als habe sie in den besten Fabriken gelernt, und alles ging ihr so schnell von der Hand, daß es eine Freude war. Ihre Freundinnen in der Residenz hatten sich immer Stücke von Paris und London kommen lassen; da waren die schönsten Girlanden von Rosen Astern, alle möglichen Blumen und Farben; in der Mitte war leerer Raum gelassen, daß die Damen nach ihrem Belieben hineinnähen konnten, was sie immer wollten; natürlich stachen meistens die schönen Pariser Girlanden sonderbar ab gegen die Dessins der Residenzdamen; Ida hatte immer nur ihr leeres Stickstramin vorgenommen, hatte sich selbst mit geübter Hand Zeichnungen entworfen und war noch vor ihren Freundinnen fertig, die Idas Arbeit für Zauber, für nicht möglich gehalten hätten, wenn sie nicht unter ihren Augen entstanden und vollendet worden wäre. Sie hatte noch in der Residenz ein prachtvolles Fußkissen für Papa angefangen, sie nahm es jetzt auch wieder vor, aber sie konnte sich selbst nicht begreifen, wie sie[63] früher so langweilige Arbeiten machen, Stich über Stich und immer wieder Stich um Stich machen konnte – zurückgelegt bis auf weiteres. Sie zeichnete mit schwarzer Kreide so fein, so gefällig für das Auge, daß sie der Stolz ihres Zeichenlehrers war; auch hier war ihre Geduld unermüdlich gewesen; wenn andere ihre Kopien kaum durchgezeichnet und, mit den ersten Schatten versehen, schon weggeworfen oder dem Zeichenmeister zur Vollendung auf einen Geburts- oder Namenstag übergeben hatten, so hatte Ida fortgemacht, und man sah allen ihren wunderlieblichen Bildern an, daß sie con amore ausgeführt waren; denn hatte sie einmal etwas angefangen, so mußte es auch vollendet werden. Sie hatte eine angefangene Madonna della sedia mitgebracht, sie öffnete jetzt die Mappe, breitete das Bild, das schon in seinen Umrissen viel versprach, vor sich aus, spitzte die Kreide, nahm sich vor, mit recht viel Geduld zu zeichnen, aber bald gab die Kreide keine Farbe, bald wurden die Striche zu dick und mußten verwischt werden, sie wurde von neuem gespitzt, aber war die Spitze zu fein oder die Zeichnerin zu ungeduldig oder die Kreide zu grobkörnig, alle Augenblicke brach sie unter dem Messer ab, und Finger bekam man so schwarz, daß sie kaum mehr rein gemacht werden konnten; sie entsetzte sich wie Lady Macbeth vor ihren eigenen Händchen, packte die Madonna schnell ein und legte sie ad acta. Sie setzte sich vor ihre Kommode, zog alle Schubfächer heraus, wühlte in Blonden und Bändern und besah sich Stück vor Stück, auch der Schmuck wurde hervorgezogen und gemustert; aber hatte sie dies alles nicht hundertmal gesehen und wieder gesehen? Schnell Schmuck, Bänder und Blonden in die Fächer und zugeschlossen, alle diese Herrlichkeiten wollten das unruhige Herzchen nicht zerstreuen.
Endlich, endlich schlug es fünf Uhr, und sie konnte sich jetzt doch, ohne sich von ihrem Zöfchen auslachen zu lassen, zum Tee anziehen. Sie studierte jetzt recht ernsthaft, was sie wählen sollte; einen vollen Anzug oder ein Hausnegligee? In der Residenz hätte sie, ohne sich zu besinnen, das erstere gewählt. Dort fing ja der Tag eigentlich erst abends recht an, und zur zweiten Toilette konnte sie dort kein Negligee wählen; aber hier in Freilingen, wo Morgen Morgen, der Mittag Mittag, der Abend nur Abend war, hier schien ein Negligee für den Abend ganz am Platz, um so mehr, da die paar Fräulein, die sie geladen hatte, wahrscheinlich recht geputzt kommen würden. Sie wählte daher ein feines Hausnegligee, ein allerliebstes weißes[64] Batist-Ueberröckchen, das nach einem Muster, wie man es hier zu Land noch nie gesehen hatte, gemacht war; und wie glücklich hatte sie gewählt! Das knappe, alle Formen hervorhebende Ueberröckchen zeigte den in jugendlicher Frische blühenden Körper, den Teint hob zwar keine Perle, kein Steinchen, aber er war so schneefrisch, so zart, so blendend weiß, daß er ja gar keines Schmuckes bedurfte. Aber das Haar wurde dafür so sorgfältig, so glänzend als möglich geordnet. Die seidenen Ringellöckchen schmiegten sich eng und zart um Schläfe und Stirne, die Pracht ihrer Haarkrone war so entzückend, daß sie sich selbst gestand, als sie beim Glanz der Kerzen in den Spiegel blickte, als sie ihre höher geröteten Wangen, ihr glänzendes Auge sah, mit Lust und heimlichem Lächeln sich gestand, heute ganz besonders gut auszusehen.
Und nun musterte sie noch einmal mit Kennerblicken den Teetisch. Der große Lüster verbreitete eine angenehme Helle über das ganze Zimmer. Die Sitze waren im Kreise gestellt, ihr Platz neben dem Sofa, neben ihr mußte der Graf sitzen; die silberne Teemaschine, den Hahn ihr zugekehrt, dampfte und sang lustige Weisen, die Tassen standen in voller Parade, die goldenen Löffelchen alle rechts gekehrt. Die Vasen mit Blumen von ihrer eigenen Arbeit nahmen sich gar nicht übel zwischen dem Backwerk und den Kristallflaschen mit Arrak und kaltem Punsch aus. Die kleineren Partien, als Zucker, geschlagener Rahm, kalte und warme Milch, Zitronen, waren in ihren silbernen Hüllen gefällig geordnet – es fehlte nichts mehr, als, weil es einmal in Freilingen Ton war, beim Tee zu arbeiten, eine geschickte Arbeit für sie; auch diese war bald gefunden, und kaum hatte sie einige Minuten in Erwartung gesessen, so fuhr ein Wagen vor.
»Wenn dies Marti–« doch nein, er konnte es nicht sein; die paar Schritte aus dem goldenen Mond herüber machte er wohl ohne Wagen; die Flügeltüre rauschte auf – Fräulein von Sorben. »Wenn nur die andern auch bald kämen,« dachte Ida, indem sie das Fräulein empfing, denn diese war nicht die angenehmste ihrer Freilinger Bekannten. Sie war wenigstens acht Jahre älter als Ida, spielte aber doch immer noch das naive lustige Mädchen von sechzehn Jahren, was ihr bei ihrer stattlichen Korpulenz, die sich für eine junge Frau nicht übel geschickt hätte, schlecht paßte. Sie mußte übrigens von Präsidents mit Schonung und Achtung behandelt werden, weil sie einigermaßen mit ihr verwandt waren und ihr Oheim in der Residenz eine der[65] wichtigsten Stellen bekleidete. Sie flog, als sie eingetreten war, Ida an den Hals, nannte sie Herzenscousinchen und gab ihr alle möglichen süßen verbrauchten Schmeichelnamen. Nachdem sie ihr Haar vor dem deckenhohen Spiegel ein wenig zurechtgeordnet, die Falten des Kleides glattgestrichen hatte, fragte sie, wer heute abend mit Tee trinken werde? Kaum hatte Ida zögernd, als würde er dadurch entheiligt, den Namen Martiniz ausgesprochen, so machte sie einige mühselige Entrechats und küßte Ida die Hand: »Wie danke ich dir für deine Aufmerksamkeit, daß du mich zu ihm eingeladen hast! Du bemerktest gestern gewiß auch, wie er mich mit seinen schwarzen Kohlenaugen immer und ewig verfolgte? Und heute früh, ich habe mich kaum frisieren lassen, war schon mein guter Graf zu Pferd vor meinem Haus; das macht sich herrlich, so ein kleiner Liebeshandel en passant. Lache mich nur nicht aus, Herzenscousinchen, aber du weißt, junge Mädchen wie wir plaudern gern, und die andern nehmen es nicht so genau, wenn eine eine Eroberung gemacht hat.«
Ida hatte zwar auch die Kohlenaugen leuchten sehen, aber nicht nach der alten gelblichen Cousine; sie stand noch neben ihr vor dem Trumeau, sie warf einen Blick in das helle, klare Glas und überzeugte sich, daß Emil nicht nach der Cousine geschaut haben könne. Das »mein guter Graf« und das »wir jungen Mädchen« aus dem Munde der alten schnurrenden Hummel kam ihr so possierlich vor, daß sie, statt in Eifersucht zu geraten, des heitersten, fröhlichsten Humors wurde. »O du Glückliche,« sagte sie boshaft, »wer auch so im Flug Eroberungen machen könnte!« – »Es gehört nichts dazu, mein Kind, als Routine, nichts als eine gewisse Gewandtheit, die man freilich so schnell nicht erlernt; die Gewohnheit, der Geist muß sie geben. Du bist hübsch, Cousinchen, du bist gut gewachsen, an Anstand, an schönen gesellschaftlichen Formen fehlt es dir auch nicht; ehe drei Jährchen ins Land kommen, angelst du Grafen, als hättest du von Jugend auf gefischt.«
Ida brach, weil sie das Lachen nicht mehr halten konnte, in lauten Jubel aus: »Das wäre schön, das wäre herrlich, Grafen fangen!« rief sie, nahm ihre naive Lehrerin unter den Arm und flog mit ihr im rasenden Schnellwalzer um den Teetisch.
Von Anfang ließ sich die Sorben diese rasche Bewegung gefallen, obgleich ihr, da sie bei ungemeiner Korpulenz bis zum Ersticken geschnürt war, der Walzer nicht sehr behagte, aber sie[66] wußte, wenn man nur erst aufhöre zu tanzen, so werde man gleich unter das alte Eisen gezählt, und gab sich also alle Mühe, leicht zu tanzen. Als aber das Teufelskind, dem der Schelm aus Augen, Mund und Wangen hervorsah, immer rasender walzte, immer rascher im Wirbel tollte, da stöhnte sie: »Ich kann nicht mehr – oh – hö–re auf!« Aber Idchen riß sie noch einmal herum und ließ sie dann, weil sie das Geräusch der Kommenden hörte, atemlos und bis zum Tode gepreßt vor der Flügeltüre stehen, die in diesem Augenblick von zwei Lakaien aufgerissen wurde.
Martiniz und der Hofrat traten ein. War es Emils hoher kräftiger Tannenwuchs, war es die ungezwungene Grazie seiner würdigen Haltung, war es das Geistvolle seines sprechenden Auges, war es der wehmütige Ernst, der auf diesem schönen Gesichte lag und ihm einen so unendlichen Liebreiz gab, waren die Träume der Ballnacht wieder aufgestiegen, um süße Erinnerungen zu flüstern? – Ida stand versteinert, als sie den Grafen erblickte. Ach, sie hätte viel darum gegeben, in diesem Augenblick nicht die Hausfrau machen zu dürfen, sie hätte ganz von ferne ihn betrachten und selig sein wollen. Hofrat Berner stellte ihn mit einem vielsagenden Blicke seiner Ida vor; aber diese hätte sich in diesem wichtigen Moment selbst Schläge geben mögen, so linkisch, meinte sie, so albern hatte sie sich noch nie benommen. Was mußte er nur von ihr denken? War sie doch gerade aus der Residenz gekommen, wo ihre Erziehung nach allen Regeln vollendet worden war, hatte sich in allen Zirkeln, in den feinsten Salons ohne Aengstlichkeit bewegt, und hier stand sie errötend, mit niedergeschlagenen Augen, und stammelte recht kleinstädtisch »von der Ehre, die Seine Exzellenz ihrem Hause erzeige.«
Aber bei dem feinfühlenden Manne, der schon früher ihren Anstand, ihre Würde, ihre Erhabenheit über jedes Verlegenwerden bewundert hatte, erhöhte gerade diese süße Verlegenheit den Wert des Mädchens. Mit unendlicher Gewandtheit wußte er sie aus der peinlichen Verlegenheit dieser ersten Minuten herauszuführen, in wenigen Augenblicken war sie wieder das frohe, unbefangen scheinende Mädchen wie früher und konnte[67] die Albernheit ihrer Cousine beobachten. Diese war, als die Flügeltüre aufging, dagestanden wie Frau von Lot bei Sodom, als sie in Steinsalz verwandelt wurde, starr, steif, atemlos, nur die beiden ungeheuren Fleischmassen ihres aufgepreßten Busens arbeiteten, von dem rasenden Schnellwalzer in Aufruhr gebracht, noch immer fort. Als ihr Martiniz vorgestellt wurde, war sie noch nicht zu Atem gekommen, sie ließ also nur einen Liebesblick auf ihn hinüberspazieren und verneigte sich hin und wieder. Als sie aber wieder Atem geschöpft hatte, fing sie in ihrer naiven Manier an zu kichern und erzählte, daß sie für ihr Leben gern tanze, und daß es ihr und dem kleinen Herzenscousinchen unwiderstehlich in die Füße gekommen sei. Sie plapperte fort und fort, aber leider schien ihr nur der Hofrat zuzuhören, denn Martiniz, der neben Ida Platz genommen hatte, war mit dieser schon in so tiefem Gespräch, daß er auf das Geschnatter der Dicken nicht hören konnte. Sich so vernachlässigt zu sehen, konnte das fünfundzwanzigjährige Kind nicht dulden, sie erhob also ihre Stimme noch lauter und wurde sogar witzig; aber der Graf, dachte sie, nein, einen so verschämten Anbeter hatte sie noch nicht gehabt, nicht einmal die Augen wagte er zu ihr aufzuschlagen; aber der Graf, denken wir, wie konnte sie auch nur verlangen, daß er zu ihr aufsehe? Hatte er denn jetzt nicht gerade alle Augen nötig, um die unnachahmliche Grazie zu sehen, mit welcher das Engelskind Ida ihren Tee machte? Wie appetitlich sah es aus, wenn sie in die Tassen warmes Wasser strömen ließ, um sie in dem Gümpchen zu reinigen; wie allerliebst drehte sie den Hahn in der Maschine auf und zu, wie verbindlich wußte sie die Tasse zu reichen; ach, er hätte sich auch die Butterbrötchen, den Zucker, den Arrak und alle anderen Bedürfnisse viel lieber von ihr reichen lassen, als von den fünf reich galonierten Dienern, die solches umherboten! Mit welchen Augen hing er an ihr, an allen ihren Bewegungen! Und Ida hätte nicht das pfiffige Mädchen sein müssen, wenn sie nicht in diesem sprechenden Auge das Gefühl bemerkt hätte, das für sie in seiner Brust lebte.
Die Gesellschaft war nach und nach größer geworden; der Präsident hatte einige seiner jungen Assessoren und Räte mitgebracht, einige junge Damen von Idas Bekanntschaft hatten sich eingefunden, und die Freilinger mußten sich alle, mit Ausnahme der Sorben, die sich schrecklich ennuyierte, gestehen, daß sie selten einen so geselligen, interessanten Abend verlebt hatten. Es kam dies wohl daher, daß der Präsident, der Hofrat und Idchen alles aufboten, um ihren neuen Gast zu erheitern; dadurch[68] wurde das Gespräch allgemein und anziehend. Es ist eine alte Erfahrung, daß der allgemein anerkannte Wert des Geliebten ihn in den Augen seines Mädchens noch unendlich reizender macht, ihm noch eine erhabenere Stellung in ihrem Herzen gibt; so ging es auch Ida. Der Umfang des Wissens, den Martiniz im Gespräch mit den Männern an den Tag legte, seine interessanten Mitteilungen von seinem Vaterlande, von den vielen Reisen, die er gemacht hatte, seine feine Gewandtheit, womit er auch die Damen in das Gespräch zog, die verbindliche Artigkeit, womit er jeder zuhörte und ihr Urteil weiter auszuführen und unbemerkt so zu drehen wußte, daß es wie etwas Bedeutendes klang, sein glänzender, lebhafter Witz, den ihm das immer rascher fortrollende Gespräch entriß – dies alles gewann ihm die Achtung der Männer, riß die Herzen der Damen zu dem glänzenden Fremden hin.
Und Ida – sie war ganz weg! Seine Reden hatten allen, seine Feuerblicke nur ihr gegolten; ihr Herzchen pochte stolz und froh; wo die Sorben und die anderen Freilingerinnen seinen kühnen Ideen nicht mehr folgen konnten, da fing für sie erst die rechte Straße an; sie plauderte, wie ihr das Rosenschnäbelchen gewachsen war, lachte, scherzte in Witz und Schwank, daß dem Präsidenten vor Freuden das Herz aufging, wie gebildet, wie gesellschaftlich sein Kind geworden war. Er nahm sich in seinem Entzücken vor, gleich morgen ein Belobungsschreiben an Madame la Truiaire zu schreiben, die ihm eine so glänzende Weltdame mit ungetrübter Unschuld und Natürlichkeit erzogen habe. Die gute Madame la Truiaire aber hatte dieses Wunder nicht bewirkt; zwar galt Ida von Sanden in den ersten Häusern der Residenz für eine sehr feine und anständig erzogene junge Dame; doch war sie dort ernst, zurückhaltend, so daß, wer sie nicht näher kannte, über ihren Geist wenig oder gar nicht urteilen konnte; nein, eine andere Lehrmeisterin, die reine Seligkeit der ersten, erwiderten Liebe hatte sie so freudig, so selig gemacht, hatte alle Pforten ihres tiefen Herzens aufgeschlossen und den Reichtum ihres Geistes ans Licht gelockt.
Der Hofrat war ein feiner Menschenkenner; von Anfang, als das Gespräch noch nicht recht fort wollte, hatte er alles getan, um es ins rechte Gleis zu bringen. Nachher aber hatte er sich zurückgezogen und nur beobachtet. Da entging ihm denn nicht, daß der Graf, je länger er mit dem süßen Zauberkind sprach, je tiefer er ihm in das geistvolle Veilchenauge sah, je mehr sich vor ihm diese zarte Mädchenhaftigkeit, dieser reiche[69] Geist, diese hohe Herzensgüte entfaltete, immer mächtiger zu ihr hingezogen wurde; wie gestern, als er ihm von des Mädchens gebildetem Geist, seinen stillen Tugenden erzählte, so verschwand auch jetzt nach und nach die Wehmut aus seinen Zügen; eine rosige Laune, die diesem Gesicht unendlichen Reiz gab, ging an ihm auf, er konnte, was der Hofrat bei diesem Unglücklichen nicht für möglich gehalten hätte, sogar recht herzlich lachen, er konnte – nein, der alte Mann war selbst verliebt in ihn, er sah ja vor Seligkeit und Liebe aus wie ein verklärter Cherub.
Kam übrigens der Graf dem Hofrat wie ein Cherub vor, so sah in ihm die Sorben den leibhaftigen Satan. Hatte sie sich doch alle erdenkliche Mühe gegeben, ihm ihre Neigung zu ihm zu zeigen. Hatte sie nicht die kleinen Kalmückenaugen aufgerissen, daß ihr das Wasser darin aufstieg, nur um ihm das Feuer zu zeigen, das für ihn strahle; hatte sie nicht alle naiven Künste aufgeboten, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Aber jetzt sah sie klar, die kleine unzeitige Kokette, ihre Cousine, hatte ihr den herrlichen Mann weggeschnappt. Sie warf allen Haß auf diese; hatte sie sich doch vorhin so kindisch gestellt, als könnte sie nicht fünfe zählen. Sie selbst, o, sie hätte sich können auf den Mund schlagen für die Dummheit, ja, sie selbst hatte offenbar das Mädchen, das eigentlich noch ein Backfisch war, dazu aufgereizt, den Grafen zu fangen. Wäre sie mit ihrer Anleitung zur Routine zurückgeblieben, das Kind hätte nie daran gedacht, ihre Augen zu dem schönen Fremden zu erheben. So dachte die Sorben.
Ihr pomeranzenfarbiger Teint rötete sich vor Zorn, sich so hintangesetzt zu sehen; hatte ja doch, wenn sie recht darüber nachdachte, der Graf sogar ihrer gespottet, als sie glaubte, etwas recht Witziges gesagt zu haben. Es war davon die Rede gewesen, daß jetzt alles Fräulein heiße, was man sonst wohl auch schlechthin Mamsell genannt habe. Man sprach her und hin darüber, und um Ida einen Stich zu geben, die zwar von väterlicher Seite von altem Adel war, aber eine Bürgerliche zur Mutter gehabt hatte, warf sie die witzige Bemerkung ein, die Fräulein kämen ihr gerade vor wie die Spitzen. Es heiße alles Spitzen, und doch sei ein so großer Unterschied zwischen den echten und unechten, daß jedes Kind die Feinheit der echten von den gröbern unterscheiden könne. Sie hatte triumphierend über ihr Bonmot im Kreise umhergesehen, die Antwort des Grafen machte sie aber stutzen. »Sie haben recht, gnädiges Fräulein,« hatte er gesagt, »und die echten unterscheiden sich, wenn ich nicht irre,[70] hie und da auch durch ihre Farbe von den unechten, wenigstens habe ich mir sagen lassen, daß die ganz echten gelblichbraun aussehen.« Hatte er auf ihre bräunliche Haut anspielen wollen? Die Herren und namentlich der Hofrat hatten so höhnisch dabei ausgesehen. Das Betragen des Grafen, der sie über Ida gänzlich zu ignorieren schien, bestätigte die Meinung. Sie kochte Rache in ihrer Brust und schwur sich mit den fürchterlichsten Eiden, daß der Backfisch seine Eroberung nicht weiter fortsetzen solle. Sie war auch die erste, welche aufstand, und weil es schon ziemlich spät war, folgten die übrigen. Nein, es war ihr unerträglich. An der Türe noch mußte sie mit ansehen, wie der Graf, welcher sich auch verabschiedete, mit seinen Blicken Ida beinahe verzehren wollte. Sie mußte hören, wie er versprach, recht oft herüberzukommen. Verachtungsvoll wandte sie ihrer Cousine, die ihre Freundinnen zum Abschied küßte, den Rücken, stürmte die Treppe hinab und setzte sich, mit der ganzen Welt zerfallen, in ihren Wagen.
»Herrlicher Mensch, der Martiniz,« sagte der Präsident, als die Gesellschaft auseinandergegangen war, zu Ida und dem Hofrat, die noch bei ihm saßen; »scharmanter Mensch! Wie gewandt, wie fein! Schade nur, daß er sich nicht aufs diplomatische Fach gelegt hat! Wie er alles so artig zu geben weiß; wie er allem, auch dem Trivialsten, was unsere Damen sagten, mit einer Engelsgeduld zuhörte und gutmütig ein glänzendes Mäntelchen umhing, wenn sie etwas Dummes plapperten. Er wäre eine wahre Zierde des Landes, wenn er sich bei uns ankaufte. Die Gräfin Aarstein mag ich ihm auch ganz wohl gönnen, möchte übrigens wissen, wie weit er mit ihr steht.«
Ida, die dem Lob des Geliebten mit niedergeschlagenen Augen und fliegender Brust zugehört hatte, fühlte bei den letzten Worten nicht nur einen Stich ins Herz, sondern auch einen leisen Druck auf ihr Füßchen. Sie merkte gleich, woher dies kam und begegnete dem listigen Auge des Hofrats, der ihr Trost zuwinkte und den alten Papa über seine Fehlschüsse auszulachen schien. Ja, es stieg reiner, süßer Trost in ihr auf. Zwar sie hatte schon von der hohen Verstellungsgabe der Männer gehört und gelesen; sie wußte das Sprichwort solcher Reisenden: ein ander Städtchen, ein ander Mädchen. Sie erinnerte sich an die üppigen Reize der Aarstein, an ihre Verführungskunst, die schon so manches junge unerfahrene Männerherz betörte, an ihre wichtigen Verbindungen mit dem Hof, an ihre eigene nicht[71] ganz streng stiftsfähige Geburt. Aber was wollte sie denn? Sie wollte ja gar nicht an das Glück denken, Hand in Hand mit diesem Mann durchs Leben zu gehen, sie wollte ja nur geliebt sein, und daß sie es war, sagte ihr ihr scharfes Auge, ihr Herz, das jeden Ton der Liebe verstanden hatte. Aber konnte dieses alles nicht dennoch Verstellung sein? Wer sagte ihr, daß dieser fremde Mann sie nicht betr–
Nein! betrügen konnte dieses edle, reine Gesicht nicht, die Glut dieser Augen konnte nicht täuschen. Froh dieser Ueberzeugung, die sie während dem Auskleiden gewann, hüpfte sie in ihr Schlafzimmer und machte dort vor dem Spiegel einen komischen Knicks. »Habe die Ehre, mich zu empfehlen, Frau Exzellenz, Gräfin von Aarstein,« sprach die Mutwillige, »hier steht eine junge Dame, die sich mit Ihnen in den Kampf um den schönen Polacken einlassen will, welchen Eure Exzellenz als Sattelpferd an Ihren Triumphwagen spannen möchten. Ich bin zwar weder so dick, noch so geschminkt als Sie, aber dennoch wagt es meine Wenigkeit, gegen Höchstdieselben zu streiten.« Noch einen Knicks, und dann Unterröckchen und Strümpfchen herunter und mit einem Satz in das weiche Bettchen. Dort streckte sie das Engelsköpfchen noch einmal aus der Decke hervor, warf ein Kußhändchen nach dem goldenen Mond hinüber und flüsterte: »Gute Nacht, mein armer Emil; schlafe sanft und träume süß, träume auch ein ganz klein wenig von Ida.« Sie schloß selig die Augen und legte sich zurecht, wollte eben hinüberwandern in das unbekannte Land der Träume, da schüttelte sie ein jäher Schrecken wieder auf und jagte sie aus dem Bette. –
Dem Oberleutnant von Schulderoff hatte die Demonstration seiner gnädigen Frau Mama zu wohl gefallen, als daß er sich durch den ersten, ziemlich bedeutenden Durchfall, den er überall lieber als vor Präsidents Haus erlebt hätte, abschrecken ließ.
Im Gegenteil, wenn er recht darüber nachsann, so schien ihm die Sache eine glücklichere Wendung genommen zu haben, als er dachte. Schon oft hatte er ja von dem zarten Mitleiden der Mädchen gelesen, und daß aus Mitleid leicht Liebe werde, hatte er an sich selbst erfahren. Einer seiner Kameraden hatte[72] einen Hund gehabt, eine prachtvolle englische Dogge. Dieser war der Fuß abgeführt worden, und wie es mit den Invaliden zu gehen pflegt, der Herr Bruder wollte Diana dem Schinder geben. Schulderoff aber bat, von Mitleiden ergriffen, um ihr Leben, erhielt sie als Geschenk, und jetzt läuft sie auf allen vieren so gut wie zuvor. Ihr Herr aber liebt sie, wie man nur einen Hund lieben kann, und das alles aus Mitleiden! So konnte auch ihr Mitleiden bald in Liebe verwandelt werden. Daß sie aber Mitleiden fühle, war gar keine Frage. War sie nicht, als er die verdammte Mähre nicht mehr erreichen konnte, ganz bleich mit dem Kopf zum Fenster hinausgefahren, als wollte sie durch die Tafelscheiben brechen? Hatte sie nicht seinem Roß mit einem Jammerblick nachgesehen, der ihm deutlich sagte, daß sie den innigsten Anteil an seiner Fatalität nehme?
Der erste Coup war solchergestalt unglücklich und dennoch glücklich ausgefallen; der zweite sollte um so brillanter werden. Mama hatte auf Nr. 2 im Eroberungsplan die ungemeine Nachtmusik mit den Regimentstrompetern angegeben, sie hatte ihm noch einmal eingeprägt, wie er sich dabei zu gebärden habe, und endlich schritt man an das große Werk.
Schulderoff hatte einige Kameraden, denen auch Rollen von diesem neuen Don Juan zugeteilt worden waren, in ein Weinhaus geführt, wo sie sich gütlich taten, bis der entscheidende Moment kam. Je näher es aber an zwölf Uhr ging, desto besorgter sahen sich die Freunde an, denn Schulderoff hatte, sie wußten nicht wie, einen kapitalen Hips bekommen, daß er allerlei tolles Zeug untereinander vorbrachte. Aber die Kälte draußen konnte ihn schon zur Besinnung bringen, man brach also Schlag zwölf Uhr auf, rief die Regimentsmusik aus einem Bierhaus, wo sie sich versammelt hatte, und fort ging es vor des Präsidenten Haus. Da man voraussetzen konnte, daß Ida schon sanft entschlafen sei, so wurde zum ersten Stück kein Adagio gewählt, sondern das rauschendste Fortissimo, das unter den Dragonern Tagwache oder Reveille genannt wurde, weil die achthundert Dragoner alle Morgen mit diesem Stück aus ihrem sanften Morgenschlummer trompetet wurden. Zu dieser Reveille setzten die zwanzig Trompeter ihre Hörner, Posaunen und Trompeten an, der Stabstrompeter oder, wie er sich lieber nennen ließ, Kapellmeister winkte, und in rauschendem Geschmetter, als wollten sie den jüngsten Tag anblasen, tönte die Reveille durch die stille Mitternacht zu dem einsamen Bettchen[73] Idas und weckte sie aus süßen Träumen. Diese Art von Attention war ihr so ungewohnt, daß sie von Anfang glaubte, es brenne irgendwo im Städtchen, als sie aber nachher deutlich einige Walzer unterschied, so war kein Zweifel mehr, daß es eine Nachtmusik sei, die ihr gelte.
Es war kalt, sie hüllte sich fröstelnd wieder in ihre seidene Decke und dachte unter den lockenden Tönen nach, ob wohl Martiniz auf so unzarte Weise ihr eine Aufmerksamkeit erweisen wolle. Nein, der Unglückliche mußte ja der Zeit nach jetzt in der Kirche sein; und er, der sich in allem so zartfühlend, so sinnig bewies, er konnte nicht diese Trompeten zu Organen wählen, um seine Empfindungen auszudrücken; in Wälzerchen und Polonäschen, in diesem rauhtönenden Deideldum und Schnirkeldum konnte Emil seine Liebe nicht ausdrücken.
Jetzt schwieg die Musik, sie hörte Stimmen auf der Straße.
Die Offiziere hatten Schulderoff in den Schein einer Straßenlaterne an eine Mauer gelehnt. Verabredeterweise fingen sie nach dem dritten Walzer an: »Herr Bruder! Schulderoff! wo steckst du denn? Ich glaube, die Liebe hat den armen Kerl ganz voll gemacht!«
»Ach, Kameraden, mir ist so weh, so weh!« stammelte der begeisterte Liebhaber, dem nur noch ein Teil seiner Rolle beifiel, und zwar gerade der Teil, welchen er in seiner jetzigen Lage mit großer Wahrheit spielte. »Blast, blast!« rief er dann, und focht mit den Armen in der Luft, »blast! O, wären das. die schwedischen Hörner, und ging's von hier gerad' ins Feld des Todes.«
»Wie der Herr Leutnant befehlen,« antwortete der Stabstrompeter. »Frisch auf, Nr. 62, die Galoppade!« Und jetzt ging der Tanz von neuem los, daß alle Hunde in der Nachbarschaft laut wurden und die Nachbarn sich beklagten, daß man ihre Nachtruhe störe. Ida war kein Wörtchen des Gesprächs entgangen, und sie schämte sich ordentlich, dem Herrn von Schulderoff, der ihr gerade nicht von der empfehlendsten Seite bekannt war, diese Musik zu verdanken. Es schlug ein Uhr, als die Künstler abzogen, und von Idas Augen war aller Schlaf gewichen. Sie warf sich hin und her, aber es wollte ihr nicht gelingen, den mohnbekränzten Gott, den Schulderoff so unzarterweise verscheucht hatte, zurückzurufen. Sie ging noch einmal die Bilder dieses Abends und der letzten Tage durch; durfte sie auch mit Recht hoffen, daß sie ihm nicht gleichgültig –
Der Ball? Es ist wahr, er hatte immer nach ihr gesehen, aber das bewies nur, daß auch sie immer nach ihm gesehen hatte; konnte ihm nicht ihr wiederholtes Hinsehen aufgefallen sein, konnte er nicht deswegen so oft nach ihr gesehen haben? – Bei dem Souper, ja, da war er hinter ihr gestanden, hatte, als sie anstießen auf Liebe und Freude, tief geseufzt; aber durfte sie dies auch auf sich beziehen? Konnte ihn, der so unglücklich schien, nicht so manches seufzen machen? – Nachher bei dem Kotillon, ja, er errötete, als sie ihn zum Tanz aufzog, aber etwa nur wegen ihr? Nicht weil sie die einzige war, die es wagte, ihn aufzuziehen? – Heute abend, als er beim Tee neben ihr gesessen, da hatte er oft sonderbare Winke ihr zugeflüstert; einmal, als man ihn fragte, was ihm an der hiesigen Gegend so anziehend sei, hatte er ihre Hand unter dem Tisch gefaßt, sie gedrückt und ihr zugeflüstert: »Ich weiß wohl, darf es aber nicht sagen.« Was konnte er damit gemeint haben? Es war wohl bloße Galanterie gegen sie als Dame des Hauses.
Schelmchen Ida wußte es wohl, was es war, aber sie belog sich selbst, um immer wieder aufs neue zu zweifeln und zu hoffen. Sie lächelte sich selbst aus über ihren Zweifel. »Nein, der Hofrat muß mir beichten,« sagte sie zu sich und klopfte auf die seidene Decke, »der muß beichten; hat er doch so geheimnisvoll getan, als habe der Graf sein ganzes Herz gegen ihn ausgeschüttet, da will ich schon erfahren, ob er mich lie–«
Einige rasche, volle Griffe auf einer Gitarre unterbrachen ihr Selbstgespräch; sie setzte sich im Bettchen auf, sie lauschte; ein süßes, melancholisches Adagio wurde gespielt; Ida hatte selbst etwas weniges klimpern gelernt, sie kannte hinlänglich die Schwierigkeit dieses Instruments, wenn es ohne Begleitung der Stimme oder eines andern Instruments die Gefühle in wohlgerundeten vollen Sätzen ausdrücken soll; aber so hatte sie dieses Instrument nie spielen gehört. Es graute ihr vor diesen fließenden Läufen, wenn sie daran dachte, wie schwer sie seien, und diese vollen, runden Klänge, diese melodischen Klagen, die den ärmlichen sechs Saiten entlockt wurden! Wer konnte nur in Freilingen so hinreißend, so süß spielen? Sie huschte schnell in die Pantöffelchen, zog die seidene Mantille um und schlich ans Fenster; sollte Mart–
Ja, weiß Gott! Seine Zimmer waren noch hell erleuchtet, die Gardinen waren herabgelassen, aber deutlich konnte sie den Schatten eines an den Fenstern Auf- und Abwandelnden erspähen. Es war Martiniz; und jetzt gewann sein Spiel erst[75] volle Bedeutung, jetzt verstand sie seine flüsternden Klagen, seine sehnenden Uebergänge, die süße Melancholie seiner Mollakkorde. Er schwieg, er stand, sie sah deutlich seinen Schatten, er stand ihr gegenüber am Fenster. Ein bedeutungsvolles Vorspiel begann. »O, wenn er auch singen könnte, wie köstlich, wie wunderschön wäre es!« dachte Ida, hüllte sich tiefer in ihr Mäntelchen und setzte sich ans Fenster; ihr Herzchen pochte voll Erwartung. – Er sang; eine tiefe, volle, klare Männerstimme trug eines jener polnischen Nationallieder vor, wie sie schon mehrere gehört hatte, und die jedes fühlende Herz durch ihre Innigkeit, durch ihre sanften Klagen so tief ansprechen; er sang; sie verstand kein Silbchen von den polnischen Wörtern, aber dennoch faßte sie den Sinn so gut als irgend eine polnische Schöne; ach, es waren ja die Töne, die man auf der ganzen Erde versteht, die Klagen der Liebe, die sich nach dem geliebten Gegenstand sehnt, die um Erwiderung fleht, die ihren Schmerz in den flüsternden Tönen der Wehmut ausweint. Tränen stürzten dem liebenden Mädchen aus den Augen, sie schlich sich zurück zu ihrem einsamen Lager, Emils Töne begleiteten sie. Die geheimnisvolle Stille der Nacht, das rätselhafte Leiden des interessanten, unglücklichen Mannes, sein Liebe atmender Gesang, der ja ihr allein in der schweigenden Mitternacht galt, dies alles erfüllte sie mit einer nie gekannten Sehnsucht, es war ein unaussprechliches, aber süßes Gefühl der Wehmut und des Glückes; ja, sie war geliebt; diese liebewarmen Töne wisperten es ihr in die Seele, sie war geliebt, wahr und innig, wie auch sie liebte; sie preßte ihre weichen Händchen auf das lautpochende Herz, auf die entfesselte Brust, wo es siedete und brannte, als habe das dunkle Feuerauge des Geliebten das wallende Blut wie dürren Zunder angezündet. Verschämt, als könne er durch die finstere Nacht, durch ihre dichten Jalousien zu ihr herübersehen, verhüllte sie das pochende Herzchen, zog die Decke bis an den Mund herauf, preßte die Aeuglein zu und flüsterte hinüber in die weichen Töne seiner Laute noch ein herzliches: »Schlaf wohl!«
Die Leute in Freilingen sind wie überall; es vergingen keine acht Tage, so wußte jedes Kind, daß Präsidents Ida und der reiche Pole ein Paar seien. Die Freilinger ärgerten sich nur darüber, daß man ihnen Sand in die Augen streuen wolle;[76] daß die beiden Leutchen einander vorher schon gekannt hatten, war am Tage; denn wie sollte Martiniz am gleichen Tag mit ihr ankommen, was sollte er überhaupt in dem obskuren Freilingen so lange tun, als weil er Ida liebte, die, Gott weiß durch was für Kunstgriffe, den Goldfisch in ihr Netzchen gelockt hatte. Papa-Präsident – nun dem schwefelte man etwas Blaues vor, daß der Herr Graf doch mit Ehren ins Haus kommen konnte; was da beim Tee vorging, das wußte freilich jedermann, weil man hie und da so ein paar Respektspersonen dazu einlud; aber was vormittags im Zimmer, nachmittags im Garten, abends nach dem Tee vorging, das wußte niemand; beten werden sie nicht miteinander, sagten die Leute; da spricht man wohl immer von dem Hofrat Berner, der sei ja hinten und vorn dabei, daß ja nichts Unrechtes geschehen könne; aber man wußte ja von früher her, wie er dem Mädchen alle losen Streiche durch die Finger sah, jetzt wird es nicht viel anders sein, da sie größer ist. So urteilte die Welt; sie urteilte aber noch weiter: das Mädchen, die Ida, tut jetzt so jüngferlich und so zimperlich, als wäre sie in der Residenz eine Vestalin geworden, und vorher war sie wild, ausgelassen, trotzig; das müßte ja ein Gott sein, der aus einer solchen Hummel ein reputierliches Mädchen ziehen wollte. Aber in allen Instituten ist man seit neuerer Zeit viel pfiffiger geworden; da sagt man den Mädchen, ihr könnt alles tun, aber haltet Maß und treibet es fein; daher kommt es, daß jetzt lauter Tugendspiegel aus den Instituten kommen. Sonst kamen sie ein wenig affektiert, ein wenig frei nach französischem Schnitt und Ton; jetzt weiß man das ganz anders; sittsam, keusch, ehrbar, alles, was sie sein sollten, sind sie, da fehlt sich's nicht, vollkommen wenn man es so von der Seite sieht. Kommt aber so ein Pole, so ein Graf Weißnichtwoher und Baron Nirgendan, so bewahrt man den Schein, und damit holla! So urteilten die Freilinger von dem edelsten, besten Mädchen, das in ihren Mauern war; so urteilten sie, und wie das Böse überall schneller um sich greift als das Gute, so wußte und glaubte schon nach acht Tagen die ganze Stadt, was ein paar Muhmen bei einer Tasse Kaffee ausgeheckt hatten. Auch über den harmlosen Martiniz erging das nämliche Gerücht.
Leute wie die Freilinger können nichts weniger leiden, als wenn Menschen unter ihnen umherwandeln, von denen sie nicht alles von A bis Z wissen, woher und wohin, was sie für Pläne haben usw. Kauft einer nicht ein Pferd oder ein Paar Ochsen oder ein paar Hufen Landes, so ist er ein unerträglicher Geheimniskrämer,[77] der allein das Vorrecht haben wolle, daß die Leute nicht wissen sollen, was an ihm ist. Dieser Pole vollends versündigte sich auf die impertinenteste Art an Freilingen. Er schien kein Frauenzimmer zu bemerken als Ida; und doch gab es viele, die ihm ihre Aufmerksamkeit da und dort bezeigt hatten; er war reich, gab viel Geld aus, und doch konnte niemand sagen, was er denn eigentlich im Städtchen zu tun habe; schon sein ernstes, bleiches Gesicht war ihnen wie ein verschlossenes Buch, das sie gar zu gern durchblättert hätten. Das ist ein Bruder Liederlich, sagten die einen, man sieht es ihm an der Farbe an; ein Mensch ohne ein Fünkchen Lebensart, sonst würde er wenigstens seine Tischnachbarn mit seinen näheren Verhältnissen bekannt machen, würde auch in andere anständige Zirkel kommen als nur zu Präsidents. So urteilten sie von Martiniz, zuckten die Achseln, wenn sie von ihm und seinem Verhältnis zu Ida sprachen; darin waren sie aber alle einverstanden, daß der Präsident von seinen Verhältnissen doch etwas wissen müsse, denn er lächelte so geheimnisvoll, wenn man ihn wegen des Fremden anbohrte.
Alt und jung kannte bald den fremden Grafen, und überall kursierte er unter dem Namen »Der Mann im Mond«, denn sein geisterhaft bleiches Gesicht, sein Aufenthalt im goldenen Mond hatte dem Volkswitz Anlaß zu diesem Spottnamen gegeben, und selbst Ida, als sie es erfuhr, nannte ihn nie anders als den »Mann im Mond«.
Wie es übrigens zu gehen pflegt, die ärgsten Feinde Idas und des Grafen ließen sich öffentlich am wenigsten über dies Verhältnis aus; Frau von Schulderoff und Fräulein von Sorben fühlten sich bis zum Tod beleidigt, aber sie hielten öffentlich an sich und schwiegen.
Beide hatten sich vorher wenig gesehen, denn sie waren etwas über den Fuß gespannt; der Leutnant Schulderoff hatte einmal einen ganzen Winter hindurch dem Fräulein die Cour gemacht; das Verhältnis hatte sich aber aufgelöst, man wußte nicht wie. Jetzt, da sie in einem Spital krank waren, jetzt näherten sie sich wieder, und obgleich das Fräulein in ihrem Herzen der Frau von Schulderoff schuld gab, sie habe den[78] Sohn aus ihren Netzen gezogen, so vergaß sie doch einstweilen diese Kränkung, um diese neuere besser zu tragen oder zu rächen. Die Frauen sehen in solchen Sachen feiner und viel weiter als jeder Mann an ihrer Statt; so hatte die Sorben bald weggehabt, daß das Unglück des Leutnants vor dem Hause des Präsidenten, von dem die ganze Stadt sprach, wohl nicht so zufällig sei, als man es erzählte, sie hatte durch ihre Kundschafter bald weggehabt, daß die Nachtmusik, von den zwanzig Regimentstrompetern aufgeführt, nicht den Grafen, sondern Leutnant Schulderoff zum Urheber habe, der, wie die Juden die Mauern von Jericho, so die Steinwälle und Gußeisentore von Idas Herzen mit Zinken und Posaunen habe niederblasen wollen.
Dies alles fühlte sie recht gut und kalkulierte, was sie nicht wußte, so richtig zusammen, daß sie über den ganzen Roman des Herrn von Schulderoff Rechenschaft geben konnte. Die Mama des verunglückten Liebhabers, der seit der Nachtmusik nur noch spröder behandelt worden war, mochte sie nun ahnen, daß die Sorben auch ein wenig verletzt sei, oder mochte sie nur einen gewissen Verwandtschaftsneid zwischen dem Fräulein und Ida voraussetzen – sie besuchte von freien Stücken die Sorben, teilte ihr mit, was sie wußte, und ließ sich mitteilen, was das Fräulein im stillen erlauscht und erspäht hatte. Uebrigens lebte auch sie in der festen Ueberzeugung, Martiniz und Ida haben sich schon lange gekannt, und er sei ihr nach Freilingen nachgefolgt, denn von den nächtlichen Leiden des unglücklichen Grafen ahnte niemand auch nur ein Silbchen, so verschwiegen war der Küster des Münsters in dieser Sache.
Unbegreiflich war und blieb es übrigens sowohl der Frau von Schulderoff als der Sorben, warum der Graf, der doch sein eigener Herr schien, nicht schon lange bei dem Präsidenten um Idas Hand gefreit habe; sie, die sich kein anderes Hindernis dachten, sie, die nur einen Grund sehen wollten, waren einig darüber, daß es dem Grafen entweder nicht recht Ernst sei, oder daß es sonst irgendwo ein Häkchen haben müsse. So hatten beide Damen schon seit vielen Nachmittagen und Abenden, die sie bei Kaffee oder Tee miteinander zubrachten, kalkuliert, und immer schien es ihnen, sie haben noch nicht das Rechte getroffen; da traf es sich, daß ein Kammerherr, den Frau von Schulderoff kannte, durch Freilingen kam und der gnädigen Frau, bei welcher Fräulein Sorben gerade auf Kaffee war, während man umspannte, einen Besuch machte.
Wessen das Herz voll ist, des geht der Mund über. Der Kammerherr hatte kaum seine Tagesneuigkeiten vom Hof ausgepackt, als Frau von Schulderoff auch auf Ida und den Grafen kam und den Kammerherrn fragte, ob sie wohl schon in der Residenz liiert gewesen seien?
Der Kammerherr horchte hoch auf bei dem Namen des Grafen Martiniz. »Wie ist mir denn?« sagte er. »Ist das nicht der polnische Graf mit den drei Milliönchen, der unsere Gräfin Aarstein – Ja, wahrhaftig! Jetzt fällt es mir erst ein; in dieser Gegend, sagt man, werde er sich ankaufen, und darum ist er wohl hier. Nein, meine Gnädigen, mit Fräulein Ida von Sanden war der Pole in der Residenz nicht liiert, denn er war noch nie in der Residenz, wird aber dort jeden Tag erwartet; das Verhältnis, das er hier angeknüpft hat, da können Sie sich auf Ehre darauf verlassen, ist nur so en passant, weil er vielleicht nichts zu tun hat; nein, der ist nicht für die Sanden!«
Die beiden Damen warfen sich bedeutende Blicke zu, als sie diese Nachricht hörten. »Sie sprachen vorhin von der Gräfin Aarstein,« sagte die Schulderoff, »darf man fragen, wie diese –«
»Die Aarstein will ihn heiraten,« warf der Kammerherr leicht hin, »sie hat es jetzt genug, die Witwe zu spielen; der Hof wünscht sie wieder vermählt zu sehen, und zwar soll es, weil der Fürst überdrüssig ist, ihre enormen Schulden zu bezahlen, etwas Reiches sein. Da kommt wie ein Engel vom Himmel dieser Pole ins Land, um sich hier anzukaufen; er ist von seinem Gesandten der Regierung aufs dringendste empfohlen, denn man macht hauptsächlich wegen seines Oheims, der Minister in …schen Diensten ist, ein großes Wesen aus ihm; kaum hört die Aarstein von den drei Millionen und dem alten Oheim, der ihm einmal ebensoviel hinterläßt, so erklärt sie mit schwärmerischer Liebe (Sie kennen ihr liebevolles, ahnendes Herz): ›Diesen und keinen andern.‹ Man ist höheren Orts schon gewöhnt, ihrem Trotzköpfchen nachzugeben; und diesmal traf es ja überdies ganz herrlich mit allen Plänen zusammen, kurz, die Sache ist eingeleitet und, soviel ich weiß, schon so gut als richtig.«
»Est-il possible, est-il croyable?« tönte es von dem Mund der erfreuten Damen; die Sorben traute aber doch nicht so ganz. »Ich kann Sie versichern,« sagte sie zum Kammerherrn, »Fräulein von Sanden, die Sie aus der Residenz kennen müssen, ist sehr liiert mit dem Grafen, und ich fürchte, ich fürchte, die Gräfin kommt nicht zum Ziel!«
»Nicht zum Ziel?« lachte der Kammerherr. »Nicht zum Ziel? Das wäre doch kurios; man spricht ja in allen Cercles von dieser Verbindung; die Gräfin nimmt zwar noch keine Gratulationen an, aber ihr Lächeln, mit dem sie es ablehnt, ist so gut als Bestätigung; und wenn er auch nicht wollte, er muß sie heiraten, denn er kann doch nicht unsern Hof vor den Kopf stoßen. Was wird er aber nicht wollen? Bedenken Sie, die Gräfin ist so gut als anerkannt von unserem Hof, hat unleugbar mehr Gewicht als alle übrigen zusammen, ist schön, blühend, macht das beste Haus; er wäre ja ein Narr, wenn er nur den leisesten Gedanken hätte, sie auszuschlagen. Und Fräulein Ida? Nun, das soll mich doch wundernehmen, wenn die sich endlich einmal hat erweichen lassen. Unsere Herren in der Residenz knieten sich die Kniee wund vor diesem Marmorengel; aber alles soll umsonst gewesen sein, zwar erzählte man sich allerlei von dem Rittmeister von Sporeneck; sie sollen aber gebrochen haben, weil sie seine Liaison mit der Aarstein erfuhr. Nun, Glück auf! Wenn der Graf die zahm gemacht hat, dann paßt er zu der Gräfin; und ich sehe nicht ein, was dieses Verhältnis schaden könnte; die Gräfin Aarstein wird als Gemahlin des Polen ihre Liebhaber nebenher auch nicht aufgeben. Doch was schwatze ich; Ihr Onkel, Fräulein von Sorben, kann Ihnen über diese Sachen die beste Auskunft geben, denn ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht die Hand dabei im Spiele hat.« Der Reisewagen fuhr vor, der Kammerherr empfahl sich und ließ die beiden Damen in frohem Staunen und Verwunderung zurück.
»Arme Ida!« sagte die Sorben spöttisch. »So viel Routine hast du denn doch noch nicht, daß du Geschmack daran finden könntest, die Nebenbei des Grafen Martiniz zu spielen. Nein! wie das Dämchen, das also in der Residenz die Spröde so schön zu spielen wußte, aufschauen wird, wenn der gute Mann im Mond, den sie schon ganz sicher in Ketten und Banden hat, wenn der Amoroso Bleichwangioso auf einmal morgens verschwunden ist, am nächsten Posttag aber ein Paket einläuft mit Karten, worauf Graf Martiniz mit seiner Gemahlin, verwitweten Gräfin von Aarstein, deutlich zu lesen ist.«
»Nicht mit Gold ist sie zu bezahlen, diese Nachricht,« bemerkte die Schulderoff mit triumphierender Miene, »und um so mehr wird sie sich ärgern, daß es die Gräfin Aarstein ist, denn diese hat ihr ja, wie Sie hörten, auch den herzigen Jungen, den Sporeneck, abgespannt –«
»Sie kennen den Sporeneck, gnädige Frau?« fragte die Sorben, und ihr gelbliches Gesicht schien tief über etwas nachzusinnen.
»Wie meinen Sohn,« versicherte jene; »wie oft war er auf Besuch bei uns in Schulderoff, als er in Garnison in Tranzow lag! Mich nimmt es nicht Wunder, wenn er Ida kirre gemacht hat, denn wo lebt ein Mädchen, das er, wenn er es einmal auszeichnete, nicht für sich gewann!«
»Herrlich, das muß uns dienen,« fuhr das Fräulein fort; sie setzte auseinander, daß ihr scheine, als habe der Graf doch etwas zu tief angebissen bei Präsidents und als wolle er vorderhand nicht an die Gräfin denken; da wolle sie nun ihren Onkel, den geheimen Staatsrat von Sorben gehörig präparieren, und sie stehe dafür, daß der Graf die längste Zeit im Mond logiert haben werde. Am besten wäre es, wenn man die Aarstein selbst in Freilingen haben könnte; doch sei dies bei dieser Jahreszeit nicht wohl möglich, darum solle auch Frau von Schulderoff Schritte tun. Sporeneck werde ihr schon die Gefälligkeit erweisen, auf einige Tage hierherzukommen; seine Sache sei es, den Grafen recht eifersüchtig zu machen. Habe man diesen nur erst dahin, daß er nicht so ganz auf die Scheinheiligkeit Idas baue, so sei auch im übrigen bald geholfen.
Frau von Schulderoff umarmte die Rednerin stürmisch und ergänzte den Plan vollends – »und wenn der Graf aus dem Netz ist, wenn man dann fühlt, daß man sich doch ein wenig sehr prostituiert hat, dann ist auch mein Leutnant wieder gut genug; aber dann soll er mir sie auch nicht nehmen, die stolze Prinzessin, als bis der Herr Papa Präsident mit seinen Friedrichsdors herausrückt und unsern Schulderoff wieder flott macht; um die zimperliche Schwiegertochter bekümmere ich mich dann nicht so viel; die mag sehen, wie sie mit meinem Monsieur Tunichtgut auskommt.«
Der Traktat, der noch einige geheime Artikel enthielt, war gemacht und beschworen. Schon nach zwei Stunden ging eine Depesche von Fräulein von Sorben an ihren Onkel in die Residenz ab, worin mit bewunderungswürdiger Klarheit dargetan war, wie die Tochter des Präsidenten einen jungen Polen in ihre Netze zu ziehen suche, daß man schon von einer Heirat zwischen beiden spreche, und daß sie nur bedaure, daß dadurch der Residenz ein glänzendes Haus entzogen werde, denn Ida scheine darauf zu bestehen, daß der polnische Graf sich in Freilingen niederlasse.
Der Brief, das wußte sie, konnte seine Wirkung nicht verfehlen. Wenn auch der Oheim Geheimrat nicht daran gedacht hätte, bei der eingeleiteten Heirat zwischen Martiniz und der Gräfin Aarstein seine Hand im Spiel zu haben, so hätte ihn doch der letzte Punkt des Briefes dazu vermocht, alles aufzubieten, um die Niederlassung des Grafen in Freilingen zu hintertreiben. Der Gedanke, daß ein großes Haus mehr in die Residenz kommen könnte, war begeisternd für ihn. Unter allen Sterblichen schätzte er die am höchsten, welche Häuser machten; darunter verstand er freilich nicht Zimmerleute oder Maurer, sondern die, welche ihm Schildkrötensuppen, fette Austern, feine Ragouts, gute fremde Weine vorsetzten, die, welche regelmäßig einmal in der Woche des Abends Türen und Tore öffneten, um frohe Gäste bei sich zu sehen, hohe Spiele arrangierten, köstliche Bälle zu geben wußten. Solche Häusermacher liebte der alte Sorben, denn er war ein altes Weltkind und ein feiner Schmecker aller Delicen, sie mochten tot oder lebendig, vier- oder zweifüßig sein, mochten dem Gaumen oder der Nase, dem Ohre, dem Auge oder dem Tastsinne schmeicheln – er war ein Kenner, und daher mußte es in seinen Wünschen liegen, ein Dreimillionen-Gräfchen in die Residenz zu bekommen.
So hatte ihn seine gewandte Nichte, ohne daß er es merkte, bei allen fünf Sinnen zumal, nur durch ein paar kleine Worte gefaßt, und sie durfte überzeugt sein, er fange Feuer.
Aus dem freiherrlich Schulderoffschen Palais, das für jetzt, in Ermangelung eines besseren, nur aus einigen Mansardenstübchen bestand, lief ein Brief ab, der keinen geringeren Hagelslärm, kein schwächeres Hallo in der Residenz machen sollte als die zwanzig Trompeter letzthin, als sie die Reveille vor Idas Fenster bliesen. Er war an Se. freiherrliche Gnaden, den Herrn Rittmeister von Sporeneck, bei Husaren Nr. 3, überschrieben und lautete wie folgt:
»Freilingen, 11. Dez. 1825.
»Herr Bruder!
In meiner Garnison dahier geht es eigentlich noch immer so ledern zu wie vordem. Das halbe Dutzend Reitpeitschen habe ich erhalten und sende hier den Betrag. Sie sind recht schwank und sehen flott genug aus. Den Säbel erwarte ich noch bestimmt vor Neujahr; vergiß nicht, daß der Korb, wie bei den badischen Dragonern, doppelt sei. Dahier hat sich vor kurzem auch etwas zugetragen, was Dich, Herr Bruder, vielleicht auch[83] interessiert; die junge Sanden ist mit einem Galan hier angekommen, der ihr jetzt täglich und stündlich die Cour schneidet. Begreife übrigens nicht, wie sie dazu kommt, da man hier allgemein sagt, sie habe Dich sehr schnöde abgewiesen. Auf Ehre, Herr Bruder! Es tut mir leid, aber ein Kerl wie Du, der seine vierundzwanzig Liebschaften des Monats hat, sollte nicht so von sich sprechen lassen. Solltest Du wegen dieser Affaire, was ich fürs beste hielte, selbst einige Wörtchen entweder mit dem neuen Courtisan oder mit dem Fräulein selbst sprechen wollen, so steht Dir mein Logis zu Dienst. Der junge Herr ist ein Pole, Graf von Martiniz, soll schwer Geld haben und scheint meines Erachtens der angeführte Teil, denn sie hat ihn in der Kuppel, daß er weder links noch rechts kann. Lebe wohl und grüße alle Kameraden bei Nr. 1, 2 und 3; ich verbleibe in Bruderliebe
Dein
Franz v. Schulderoff,
Leutnant bei Königin-Dragoner.«
Dies war das Schreiben, womit die Frau von Schulderoff den Rachegeist für Ida beschwor. Noch war des guten, unschuldigen Kindes Himmel rein und heiter, aber indem es in das reine Blau des Aethers hineinsah und sich dessen freute, zog Wolke um Wolke am Horizont auf und drohte, ihr stilles Glück zu suchen und zu zerschmettern.
Aber so gewiß die Freilinger alles zu wissen glaubten, so wußten sie doch nichts. Es ist eine eigene Sache um die Liebe, besonders um die erste; es gehen so zwei Menschen nebeneinander hin, still vergnügt, still selig; sie sehen aus wie Kinder, denen etwas recht Hübsches träumt, und einem andern käme es grausam vor, sie aufzuwecken. Sie gehen nebeneinander hin, sprechen von den gleichgültigsten Dingen und denken an das, was ihr Herz erfüllt, sie wagen es nicht auszusprechen, und doch verstehen sie sich so gut durch die Augen, denn sie tragen den Schlüssel zu dieser Zeichensprache nebst Wörterbuch und Formlehre in ihrem treuen Herzen. So war es auch bei Martiniz und Ida. Sie wußten, daß sie sich liebten, aber noch hatte der Graf nie deutlich darüber gesprochen, noch hatte ihm Ida keine Gelegenheit gegeben, sich zu erklären.
Der Hofrat Berner sah diesem allem halb freudig, halb unmutig zu. Er liebte die beiden guten Leutchen, als wären es seine eigenen Kinder, darum hätte er ihnen auch alles Gute und Liebe gegönnt, ebendarum konnte er aber dieses verschämte Treiben nicht leiden. Er war so halb und halb des Grafen Vertrauter, denn dieser hatte ihm ja alle Tage von des Mädchens Schönheit, seinem Reichtum an stillen Tugenden vorgeschwatzt, hatte ihm gestanden, daß er glaube, Ida sei ihm gut, aber dabei blieb es auch, und Berner war zu zart, bei dem Grafen den Kuppler zu spielen. Auch Idas Vertrauter war er; er kannte ja ihr Herzchen beinahe, seit es schlug, er wußte jede Schattierung in ihren Liebessternen zu deuten, er sah ganz deutlich den Schelm mit Pfeil und Bogen in ihren klaren Pupillen, und doch wollte auch sie nicht recht voran; doch konnte er es ihr, als einem Mädchen, weniger übelnehmen, als ihm.
»Nein! wer mir je so etwas gesagt hätte,« dachte er, »dem hätte ich mit Fug und Recht unter die Nase gelacht; ein polnischer Garde-Ulanenrittmeister, mit dem Rang eines Oberstleutnants in der Linie, und wagt nicht einmal, ein Mädchenherz, das ihm gewogen ist, anzugreifen.« Er hätte mögen aus der Haut fahren, wenn er daran dachte, wie man zu seiner Zeit gelebt und geliebt habe, und wie die Welt in den letzten Jahrzehnten sich so ändern konnte. Aber wie, wenn Martiniz aus Gewissenh– ja, das war nicht unmöglich, es konnte Gewissenhaftigkeit sein, daß er sich nicht erklärte; befand er sich, der unglückliche junge Mann, ja doch immer noch in demselben Zustand, wie er hier angekommen war.
Der Küster, der jetzt regelmäßig nachmittags sein Däpschen hatte, ohne daß seine Frau begreifen und ergründen konnte, wo er das Geld dazu herbringe, der Küster hatte dem Hofrat alle Morgen referiert, wie es in der Nacht zuvor mit dem Grafen in der Kirche gegangen sei; er hörte zwar, daß er seit neuerer Zeit weniger stark wüte, daß er aber desto mehr weine und jammere. Es war ein eigenes Ding mit diesem Zustand; es war kein Zweifel, daß der Graf jede Nacht um dieselbe Stunde davon befallen werde, und doch sah man ihm den Tag über keine Spur von Wahnsinn an; nur seine zarte Blässe, das Wehmütige, das noch immer in seinem Wesen vorherrschte, konnte darauf hindeuten, daß er körperlich oder geistig angegriffen sei.
Seinen Entschluß, den alten Brktzwisl um die Krankheit seines Herrn zu fragen, hatte der Hofrat noch immer nicht ausrichten können; je näher er den jungen Mann kennen lernte,[85] je mehr Achtung er täglich vor seinem gediegenen Charakter, vor seinem ausgebreiteten Wissen bekam, desto unzarter schien es ihm, auf diesem Wege in seine Geheimnisse eindringen zu wollen.
Aber unablässig verfolgte ihn der Gedanke, daß er vielleicht, wenn er das Nähere über des Grafen Krankheit wüßte, helfen könnte. So saß er eines Morgens in seinem Zimmer, dem man die Junggesellenwirtschaft wohl ansah; der Küster hatte im Vorbeigehen zum Schnapshaus ein wenig bei ihm eingesprochen und erzählt, gestern nacht sei der fremde Herr so zahm gewesen wie ein Lamm, aber geweint habe er wieder, daß ein Töpfer die Hände darunter hätte waschen können. Er sann hin und her, wie man dem Geheimnis beikommen könnte: da klopfte es bescheiden an der Türe, und der alte Brktzwisl trat zu ihm ins Zimmer.
Der Hofrat konnte den alten Diener wohl leiden; er schien so fest an seinem jungen Herrn zu hängen, schien so väterlich für ihn besorgt zu sein, daß man sah, er müsse ihn schon seit Kindesbeinen gekannt und gepflegt haben; recht erwünscht kam er daher gerade in diesem Augenblick, wo Berner so ganz mit Gedanken an seinen Herrn erfüllt war. Der Alte war anfangs ein wenig in Verlegenheit, was er sagen solle, denn daß er nicht aus Auftrag des Grafen komme, hatte Berner gleich weggehabt. Nachdem er sich in allen Ecken sorgfältig umgesehen hatte, ob nicht sonst wer im Zimmer sei, trat er näher:
»Mit Excüse, Herr Hofrat,« sagte er, »nehmen Sie es einem alten Dienstboten, der es gut mit seiner Herrschaft meint, nicht ungnädig, wenn er ein Wörtchen im Vertrauen sprechen möchte.«
»Wenn es keine Klagen über deinen Herrn sind, so rede immerhin frisch von der Leber weg,« sagte Berner.
»Klagen! Jesus Maria, wie käme ich bei unserm jungen Herrn zu Klagen! habe ich ihn doch auf den Händen getragen, als er's Vaterunser noch nicht kannte, und ihm gedient bis auf den heutigen Tag, und er hat mir noch kein unschönes Wort gegeben, so wahr Gott lebt, Herr, und das sind jetzt fünfundzwanzig Jahre. Nein, aber sonst etwas hätte ich anzubringen, wenn es der Herr Hofrat nicht ungnädig nehmen wollen. Ich weiß, Sie sind meines Herrn bester Freund in hiesiger Stadt, ja, ich darf sagen, im ganzen Land hier, und mein Herr hat mir dies nicht nur zehnmal versichert; ich weiß auch vom Küster, daß Sie schon seit dem ersten Tag unseres Hierseins etwas[86] wissen, das Sie keiner Seele wiedergesagt haben, was Ihnen Gott lohnen wolle –«
»Nun ja,« unterbrach ihn der Hofrat, »und du willst mir erzählen, wie dein Herr in diesen unglücklichen Zustand kam, daß er alle Nacht von einer Art von Wahnsinn befallen wird, willst mich fragen, ob ich nicht etwa helfen könne?«
»Ja, das wollte ich,« fuhr jener fort, »aber eine Art von Wahnsinn nennen Sie das; ich versichere Sie, es ist ein Wahnsinn von so echter Art, wie man sie nur im Tollhaus finden kann; aber ich will erzählen, wie er dazu kam.«
»Mein Herr war nicht von jeher so, wie Sie ihn jetzt sehen; jetzt ist er bleich, still, finster, spricht wenig und lacht nie, geht langsam seine Straße, und wenn er allein ist, so weint er. Ach! Sie hätten ihn sehen sollen, als noch die gnädige Frau Gräfin und die Fräulein Schwester lebten. Keinen frischeren, kräftigeren jungen Herrn gab es in ganz Polen nicht mehr; das sprang, ritt, tanzte, focht, liebte und lebte, lachte und tollte, wie man nur in der Jugend sein kann. Keinen schmuckeren Offizier habe ich mein Tage nicht gesehen, und es traten mir immer Tränen in die Augen, wenn er wie ein Hauptmann aus den himmlischen Heerscharen an der Spitze seiner Schwadron zur Parade zog, wenn die Trompeter an unserm Hotel aufbliesen, die Ulanen ihre Fähnlein senkten, und der junge Graf zu seiner Fräulein Schwester herauflächelte wie verklärt, und seinen Tigerschimmel dazu tanzen ließ.
Das ging nun so seinen guten Gang, bis der Teufel den Herrn Vetter Antonio nach Warschau führte. Das war ein Schwestersohn von der Frau Gräfin Exzellenz, ein schöner schmucker Italiener mit braunroten Wangen, blitzenden Augen, und wenn er sprach, glaubte man, er singe. Der war eigentlich nur so weit herausgekommen aus seinem schönen Land, um die Familie seiner Frau Mutter zu besuchen, aber ehe man sich's versah, nahm er Dienste bei uns und blieb, denn er sagte, es gefalle ihm nirgends so wie in Polen; muß auch so gewesen sein, denn wie sich nachher zeigte, er war zum Sterben verliebt in des Grafen Schwester, die junge Gräfin Kreszenz. Im Hause hatte ihn jedermann lieb, absonderlich aber der junge Graf,[87] mein Herr, war ihm mit übermenschlicher Freundschaft zugetan und tat ihm alles, was er ihm nur an den Augen absehen konnte.
Das ging nun lange Zeit gut: kein Mensch merkte, daß Herr Baron Antonio die junge Gräfin liebte; denn diese hatte viele Liebhaber, welche großes Geräusch und Aufsehen machten; der Italiener aber trieb seine Sache im stillen und kam wohl bälder ans Ziel als die andern; denn er hatte, ich stand dabei, eines Tages einen schönen Brillantring am Finger, der auch mir bekannt vorkam. Plötzlich faßte Graf Emil seine Hand und fragte: ›Wo hast du den Ring her?‹ Er aber sagte lächelnd und ganz gelassen: ›Von deiner Schwester.‹ Nun wußte ich, was die Stunde geschlagen hatte; der Graf sah ihn mit einem sonderbaren Blick an, gab ihm die Hand und sprach: ›Ich habe nichts dagegen, nur sei ihr treu.‹ Es verging wieder ungefähr ein Vierteljahr, da kam mein Herr auf einmal nach Hause, wie ich ihn noch nie gesehen hatte; seine Augen rollten und blitzten schrecklich, zweimal schnallte er den Säbel um, und ebenso oft warf er ihn wieder hin. Ich fragte, was ihm wäre, aber er gab mir gar keine Antwort, was er sonst nie getan hatte. Ich habe nachher den ganzen Handel erfahren und darf ihn wohl erzählen. Der Graf war an jenem Nachmittag in ein Kaffeehaus gekommen, da kam ein Offizier zu ihm, nahm ihn auf die Seite, zeigte ihm einen Ring und fragte, ob er ihn wohl kenne. Der Graf besah ihn genau und erkannte, daß es derselbe Ring sei, den seine Schwester dem Marchese geschenkt. Er äußerte dies aber nicht gegen den Offizier, sondern fragte nur, woher er den Ring habe. Der Offizier sagte ihm, daß er diesen Ring an Personen gesehen habe, die den Grafen Martiniz nahe angingen, er sei daher gekommen, um ihm freundschaftlich zu sagen, daß er diesen Ring auf eine Stunde von Madame Trizka entlehnt habe, die ihn von einem Italiener, seinem Vetter, zum Präsent bekommen zu haben behaupte.
Madame Trizka aber war die berüchtigtste Courtisane der Stadt und um Geld zu haben. Der Herr Graf fragte den Offizier auf sein Ehrenwort, ob alles sich so verhalte, und nahm ihn auf seine Versicherung sogleich zum Sekundanten an. Er schickte ihn mit dem Ring an seinen Vetter und ließ ihn fragen, ob die Trizka denselben von ihm bekommen habe. Der Italiener antwortete mit einem kalten, einfachen Ja, das meinen Herrn nur noch wütender machte. Seiner Fräulein Schwester mochte er das Herzeleid nicht antun, ihr etwas von diesem Bubenstück zu[88] sagen, und beschloß daher, den treulosen Vetter so bald als möglich aus der Welt zu schaffen.
In einem Garten der Krakauer Vorstadt schossen sie sich gleich den Morgen darauf. Mein Herr wurde an der rechten Schulter leicht gestreift. Er aber, der eine sichere Hand hatte und einen Rubel auf dreißig Schritte traf, schoß den Marchese durch die Brust, daß er keine Ader mehr zuckte. Man brachte beide in die Stadt und machte mit dem Italiener noch einige Versuche, ihn wieder zum Leben zu bringen, aber alles vergeblich. Es war zwar noch Leben in ihm, aber er lag ohne Besinnung, und die Aerzte gaben gar keine Hoffnung.
Mein Herr, der den Herrn Vetter trotz seiner Schlechtigkeit dennoch beweinte, war so um ihn besorgt, daß er sogar nicht auf seine Rettung bedacht war, sondern sich an das Sterbebett des Vetters bringen ließ. Dieser lag immer ohne Besinnung und, wie es schien, ohne Rettung. Mein Herr saß bis tief in die Nacht bei ihm, am Ende gegen zwölf Uhr hin in der Nacht war niemand mehr zugegen als er, zwei Freunde, der Wundarzt und ich. Mit dem Schlag zwölf Uhr aber schlug der Italiener seine greulichen, dunkeln Augen auf. Er richtete sich in die Höhe und sah sich im Zimmer um.
Uns alle wandelte ein Grauen an, denn man konnte glauben, er sei schon gestorben, so gestanden und gläsern war sein Blick. Endlich sah er meinen Herrn, wütend riß er seine blutigen Binden von der durchschossenen Brust, daß das Blut herausströmte. ›Maledetto diabolo!‹ brüllte er und warf dem Grafen die Binden an den Kopf, sank zurück auf die Kissen, und als wir hineilten, um ihn zu unterstützen, hatte er seinen wilden Geist schon aufgegeben.
Mein Herr aber war bei dem schrecklichen Fluch des Toten in Ohnmacht gesunken. Er fiel in eine lange Krankheit, aus der er so unglücklich wiedererstand, wie Sie ihn jetzt sehen. Als er aber aus seinem Wahnsinnfieber, in welchem er drei Wochen gelegen, wieder aufwachte, da ging erst der Jammer von neuem an, denn während der Krankheit war er vollends ganz zur Waise geworden. Die junge Gräfin war ein paar Tage nach dem traurigen Vorfall plötzlich gestorben. Man sagt arge Sachen in Warschau, von Gift und dergleichen, die aber ein alter Diener nicht glauben darf. Die Frau Gräfin Mutter, die immer gesiecht hatte, überlebte sie wenige Tage, dann trug man auch sie zu Grabe.
Der junge Herr vernahm dies alles mit großer Fassung, als man ihm aber einen Brief seiner Schwester brachte, da kam er außer sich, so daß wir fürchteten, er komme wieder vom Verstand.
Ich vermute, der Italiener war doch nicht so schuldig, als wir alle glaubten, denn der Graf ließ sich auf sein Grab führen, weinte dort lange und rief mit flehender Stimme in die Erde hinein um Vergebung. Als ich in der nächsten Nacht neben dem Zimmer des Herrn zum erstenmal seit langer Zeit ruhig schlief, weckte mich ein schreckliches Geschrei – es kam aus seinem Zimmer – ich eilte hinein und sah ihn in Schrecken und Wahnsinn, denn er glaubte, der Italiener sei in seinem blutigen Hemde zu ihm gekommen, habe die Binden abgerissen, sie ihm an den Kopf geworfen und sein Maledetto diabolo dazu geschrien. Mit dem Schlag ein Uhr hörte auch sein Wahnsinn auf. Aber seitdem kehrte er jede Nacht wieder. Er bekam wegen des Duells Begnadigung, mußte aber auf einige Zeit sich außer Landes begeben.
Diese Weisung kam erwünscht, denn die Aerzte rieten zur Zerstreuung durch eine Reise. Ach! wir fahren jetzt seit einem Jahr durch ganz Europa, und dennoch kehrt sein Zustand jede Nacht wieder. Ich glaube nicht an Gespenster, Herr, aber oft ist es mir doch auch, als habe mein Herr recht und der selige Herr Antonio folge uns auf den Fersen. In Rom, wohin wir auf unserer Irrfahrt kamen, entwischte er mir in seinem Anfall und lief in eine Kirche; wie es nun sein mag, von da an behauptet er, der Spuk könne nicht zu ihm herein, wenn er am Altar sitze.
Wer war froher als ich über dieses Auskunftsmittel? Aber auch nicht jede Kirche war ihm recht, bald ist sie zu groß, bald zu klein, wie es so mit kranken Leuten geht. Hier geht es nun unbegreiflich gut. Die Kirche behagt ihm wie beinahe keine, und seit acht oder zehn Tagen hat er gar nicht mehr gewütet, sondern nur geweint.«
Der alte Diener hatte, oft unterbrochen von dem Hofrat, seine Erzählung beendigt. Berner konnte kaum seine Rührung zurückhalten. Es wollte ihm das Herz abdrücken, daß ein Mensch, so schön, mit allen Gaben des Glückes so reichlich versehen, mit einem Schlage in so namenloses Unglück stürzen sollte. Er war voll Eifer zu helfen, aber welchen Weg konnte man einschlagen, um dem Grafen seinen schrecklichen Wahn zu benehmen? Waren nicht gewiß alle Mittel schon versucht worden,[90] ihn zu heilen? Er fragte den Alten, wozu er ihm behilflich sein könnte bei dieser Sache.
Der alte Brktzwisl lächelte geheimnisvoll vor sich hin und begann dann: »Wenn ich recht gesehen habe, so ist mein Herr auf dem besten Wege zur Heilung, und der Herr Hofrat können als Arzt dabei dienen. Vor allem muß ich um Verzeihung bitten, wenn ich etwa nicht recht gesehen hätte. Einem alten Diener, der nur für das Wohl seines Herrn besorgt ist, kann man ja schon etwas zugut halten. Der Herr Onkel des Grafen, ein steinreicher Mann, der jetzt auch das Vermögen des Grafen verwaltet, hatte mich mit reichlichen Mitteln versehen, daß ich jeden berühmten Arzt um Rat fragen konnte. Ueberall, wohin wir kamen und uns auch nur zwei Tage aufhielten, befragte ich gleich die Aerzte; die einen wollten dies, die andern jenes, was man schon oft probiert hatte, die meisten aber rieten Reisen und Zerstreuung.
In einer kleinen deutschen Stadt, wo ich gar keinen Arzt gesucht hätte, traf ich durch Zufall einen in unserm Wirtshaus. Es war ein kleiner alter Mann mit einem klugen Gesicht, das mir sogleich Vertrauen zu ihm einflößte. Er gab nicht gleich eine Antwort, sondern betrachtete den Kranken in seinem Zustand, aber von ihm ungesehen. Den andern Tag sagte er zu mir: ›Höre, Alter! Dein Herr ist unheilbar, wenn ihn nicht Liebe heilt; und zwar recht innige, warme Liebe zu einem Mädchen, das sie erwidert. Hat ihn erst einmal eine recht gefaßt, so ist es unzweifelhaft, daß sein Wahnsinn sich zerstreut und nach und nach vergeht.‹
Diese Nachricht war mir nun von Anfang ein Donnerschlag, denn ich wußte, wie wenig er sich aus den Frauenzimmern macht. Wenn er durch Liebe geheilt werden soll und durch nichts anderes, so ist er verloren, dachte ich. Denn wo soll er sich verlieben? Er ging an keinen Ort, wo schöne Mädchen waren, in keiner Stadt wollte er über einen oder zwei Tage bleiben. Kurz, dieser Rat brachte mich erst recht zur Verzweiflung. Aber dennoch schrieb ich es treulich dem alten Herrn Onkel.
Diesem aber leuchtete das Ding ein. Er schrieb mir, er wolle seinem Neffen eine recht gute Partie suchen, und wir sollen einstweilen hierher ins –sche gehen.
Hier in Freilingen geschah nun, was ich für meine Seele nicht für möglich gehalten hätte. Er blieb vor vierzehn Tagen[91] bis nach elf Uhr auf dem Ball, daß ich ihn sogar abrufen mußte; nach der Kirche geht er wieder auf den Ball, was er in einem Jahr nie getan, und kommt ganz still selig nach Haus. Gleich den andern Morgen läßt er mich das Logis im goldenen Mond auf vier Wochen bestellen, ich glaubte, mir solle Hören und Sehen vergehen; er merkte auch, daß ich mich so verwunderte, und gab vor, daß ihm die Kirche so wohl gefallen habe. Aber wie ich aus unserem mittleren Zimmer einmal hinausschaue, werde ich in dem Haus drüben einen Engel gewahr, der so holdselig herüberlächelte, daß mir altem Kerl ganz warm ums Herz wurde. Da ging mir denn ein Licht auf! Schon auf der Herreise hatten wir dieses Fräulein gesehen; auf dem Ball war sie auch gewesen, und tagelang schaute jetzt mein Herr hinter dem Vorhang nach dem Fenster im Haus gegenüber.
Und das ist niemand als die wunderschöne Fräulein Ida. Meinen Sie, mein Herr sei früher in Gesellschaft gegangen? Zu keiner Seele, obgleich ich für jede Stadt eine Handvoll Empfehlungsbriefe hatte; aber ich will die Tasse Tee mit Löffel und Stiel aufessen, die er seit einem Jahr in Gesellschaft getrunken hat, und seit er ins Haus hinüberkommt, geht er alle Abende, die Gott gibt, zum Tee hinüber.
Seit der Zeit läßt aber auch sein Zustand mehr und mehr nach, er raset gar nicht mehr; er richtet sich nicht mehr auf; er bleibt ruhig am Altar sitzen und weint aber nur desto mehr. Ich hatte eine Freude, als ich dies bemerkte, daß ich dem alten Doktor auf der Stelle mein Hab und Gut geschenkt hätte, dem Engelsfräulein aber, das dies Wunder bewirkte, möchte ich, so oft ich sie sehe, vor purer Freude zu Füßen fallen.
Wenn es nun Gottes Wille wäre, daß das Fräulein meinen Herrn liebte, ach, da wäre ihm geholfen, so gewiß ich selig werden will! Und wenn sie nicht schon einen andern hat, der kann ihr ja doch gewiß recht sein. Lassen Sie ihn nur wieder einmal zu roten Wangen kommen, lassen Sie ihn nur ein wenig lächeln wie früher, lassen Sie ihn erst einmal wieder in die Uniform schlüpfen statt des schwarzen Zeuges, das er anhat – da muß er ja einem Mädel gefallen, und wenn sie einen Marbelstein in der Brust hätte statt eines Herzens. Ueber das Vermögen will ich gar nichts sagen; sehen Sie, da ist das herrlich eingerichtete Hotel in Warschau, da sind die Güter Ratitzka, Martinizow, da ist Flazizhof, da –«
»Laß gut sein, Alter,« bat der Hofrat, »mit einem davon könnten wir samt und sonders zufrieden sein. Was deinen[92] Herrn betrifft, so glaube ich selbst, daß er das Fräulein gerne sieht; wie das Fräulein über ihn denkt, weiß ich nicht so genau, doch kann sie ihn nicht übel leiden. Das Ding muß sich übrigens bald geben, glaube mir. Hat dein Herr das Fräulein recht von Herzen lieb, so soll er, merke wohl auf, so soll er es ihr sagen; ich meine, ich könnte dafür stehen, daß sie nicht nein sagt.«
Der alte Brktzwisl war außer sich vor Freude, als er dies hörte. »Nun, das muß wahr sein, wenn sich vernünftige Menschen miteinander besprechen, gibt es ein Stück; mein Herr soll dran, soll Hochzeit haben und wieder fröhlich sein, und der alte Brktzwisl will kuppeln, und all sein vierzigjähriges Dienen soll umsonst sein, wenn er nicht, ehe acht Tage ins Land kommen, den Herrn Grafen auf der rechten Fährte hat.«
»Aber meinst du auch, du verdienst dir beim alten Onkel Dank, wenn du den Herrn Neveu verheiratest? Das Fräulein ist eigentlich doch keine rechte Partie für einen polnischen Grafen –«
»Wird ihm wohl an ein paar hunderttausend Taler mehr liegen als an der gesunden Vernunft seines Brudersohnes? Nein, der alte Graf ist ein räsonnabler, nobler Herr, der nicht auf solche Sachen viel sieht. ›Mache mir meinen Emil gesund,‹ hat er zu mir gesagt, als wir abfuhren, ›bringe ihn vernünftig zurück à tout prix.‹ Da darf man ja wohl auch eine Heirat dazu rechnen! Und überdies bekümmern wir uns eigentlich nicht sehr viel um den alten Herrn; der junge Graf ist eigentlich sein eigener Herr, und der Onkel hat ihm nicht so viel zu gestatten oder zu verbieten. Doch besser bleibt besser, und daß der Alte mit Freuden seinen Segen gibt, dafür stehe ich; ach, wenn er nur das liebe Engelskind selbst sehen könnte!« Dem alten Mann schien der Mund zu wässern; er bat den Hofrat noch einmal, recht zu sorgen, und ging.
Als Brktzwisl fort war, schlug der Hofrat ein Schnippchen nach dem andern in die Luft. Er hatte sich ja seine Herzensfreude vor dem klugen Alten nicht merken lassen dürfen, und doch hätte er dem alten, verwitterten Polacken um den Hals fallen mögen, so recht ins Schwarze seiner Seele hatte er mit seinem Plänchen getroffen. »Ein kapitaler Kerl, der Brktzwisl,« dachte der Hofrat, »ohne den wären wir doch samt[93] unserer stillen Liebe und unseren geheimen Plänchen ganz und gar den Katzen. Beim alten Oheim scheint er einen Stein im Brett zu haben, und nicht nur so einen Bauern oder lausigen Läufer, wie man von der alten Tressenrockseele glauben sollte, sondern einen gewichtigen Rocher, der dem ganzen feindlichen Hof, der Königin Aarstein und dem Staatssekretär Springer mit seinen Winkelzügen ein verdecktes und entscheidendes Schach geben soll!« So waren des Hofrats Gedanken; es war ihm dabei so federleicht und stolz zu Mut wie einem Kandidaten, der sein letztes Examen im Rücken und vor sich die Aussicht auf eine fette Pfarre hat, wo er mit Frauchen, Pferdchen, Kindchen, Kühen, Schafen und Schweinen mitten unter seiner lieben Pastoralherde residieren kann. Ja, es war ihm sogar ein wenig göttlich zu Mut, als hätte er Stangen, Zaum und Trense der Welt unter der Faust, und regiere an geheimen Schicksalsfäden das Los des Grafen und seiner Ida.
Alle Leute blieben auf der Straße stehen, als Berner vorüberkam. Man kannte ihn sonst als einen lieben, freundlichen Mann, der gerne jedermann grüßte und hier und dort mit einem sprach; aber heute – nein, es sah zu possierlich aus, wie der gute alte Herr vor sich hin sprach und lächelte und alle Mädchen in die Wangen kniff, allen Männern zuwinkte und ein paar Bettelbuben, die sich am Markte prügelten, einige Groschen schenkte, daß sie sich einen vergnügten Tag machen möchten. Den Präsidenten traf er auf der Treppe; er bot ihm einen guten Morgen, schüttelte ihm recht treuherzig die Hand und dachte sich, wie sich wohl der Alte freuen werde, wenn der polnische Freier angestiegen komme, um sein eheleibliches Töchterchen zu freien.
»Alte Exzellenz,« wisperte er ihm ins Ohr, »aus der Heirat des Polen mit der Gräfin Aarstein wird – nichts.« – »Nichts?« fragte der Präsident mit langem Gesicht. »Nichts? Hat Er Nachrichten, Berner? Hat etwa der Hof andere Absichten mit dieser Dame?«
»Was der Hof! Was der Staatsminister!« lachte der Hofrat. »Es gibt noch ganz andere Diplomaten als die Herren in der Residenz! Meinst denn du, wenn so ein echter feuriger Pole liebt, daß ihm das Feuer aus den Kohlenaugen herauspfupfert, er werde erst vor dem Staatssekretär den Hut abziehen und fragen: ›Erlauben Sie gütigst, wollen Euer Gnaden mir einen Gegenstand für meine zärtlichen Neigungen rekommandieren?‹ Nein, Herr Bruder! Auf Ehre, wir haben das anders gehalten Anno achtundachtzig, und ich mag es dem guten,[94] reichen Jungen nicht verdenken, wenn er es auch so macht.« – »Wie, so wäre der Graf in eine andere verliebt?« unterbrach ihn der Präsident.
»Verliebt, wie ich sage, und für die Gräfin so gut wie verloren.« – »Ei, ei,« sagte der Präsident mit einem klugen Gesicht, indem er den Finger an die Nase legte; »siehst du, das habe ich mir neulich gleich gedacht, daß das Attachement an die hohe Person nicht so gar groß sein müsse. Du weißt von den Aufträgen, die mir in einem Handschreiben des Staatssekretärs zukamen; ich richtete mich mit aller Gewissenhaftigkeit nach meiner Vorschrift und bohrte ihn zuerst über die hiesige Gegend an; weiß Gott, ich meine, der Mensch wird mir närrisch; lobt und preist die Gegend bis an den Himmel, hat in den vierzehn Tagen, wie er mir versichert, mit seinen scharfen Augen Lokalschönheiten entdeckt, die ihn unwiderstehlich anziehen und fesseln, ja, sogar unser gutes, ehrliches Freilingen, das nun in meinen Augen eben nichts Apartes hat, liebt er so, daß ihm die hellen Tränen liefen. Nun haben wir ja den Goldfisch, denke ich; ja, ja, der Freilinger Kreis ist nicht übel, aber die Gräfin Aarstein ist wahrscheinlich der Köder; ich wende also das Gespräch auf den Hof und endlich auch auf die Gräfin; da ist er aber so kalt und gleichgültig wie Eis. Ich frage ihn endlich, als er gar nicht anbeißen wollte, ob er die Gräfin denn nicht kenne, und da machte er ein ganz eigenes Gesicht, wie wenn man beim überzuckerten Kalmus endlich aufs Bittere kommt, und sagte: ›Nicht anders kenne ich sie als par renommée.‹ Das ist nun freilich bei der Frau Gräfin nicht das Beste, das man haben kann. Wenn er sie daher nur, und zuerst von dieser Seite kennt, so hat der Herr Staatssekretär schlecht manövriert.«
»Weiß Gott, das hat er,« lachte der Hofrat, »ich könnte dir Dinge sagen – doch gedulde dich noch ein paar Wochen, und du siehst den Herrn Grafen als Bräutigam; eine Dame aus der Residenz ist es nicht, an die er sein Herz verlieren wird, nichtsdestoweniger ist es ein Landeskind unseres allergnädigsten Herrn, und zwar ein gutes, liebes, schönes –«
»Nun, nun, so arg wird der Engel auch nicht sein,« meinte der Präsident, indem er sich verabschiedete; »aber ordentlich wohl ist es mir, daß es die Gräfin nicht ist, denn ich sammelte mir so unter der Hand Nachrichten über sie, und die lauteten denn doch gar zu fatal.«
War es dem Präsidenten ordentlich wohl, so war es dem Hofrat außerordentlich selig zumut, als er vollends die Treppe[95] hinanstieg, als er näher und näher an Idas Zimmer kam, als ihn das Mädchen »Wunderhold« empfing. Er hätte mögen nur gleich mit allem, was er im Herzen und Gedächtnis hatte, herausplatzen, aber nein! Hand auf den Mund! so ging's nicht; vor seinem Schicksalspuppenspiel, was er jetzt dirigierte, wäre das Mädchen bis in das Herz hinein errötet und davongelaufen. Daher ließ er seine Gedanken eine kleine Schwenkung rechts machen, um dem Mädchen mit den Plänklern der Neugierde und mit den schweren Kavalleriemassen der Rührung in die linke Flanke zu fallen und ihr Herzchen zu nehmen. Darum erzählte er ihr das Unglück des Martiniz; aus seiner eigenen Phantasie tat er die rührendsten Farben hinzu, um den tiefen Jammer des Grafen zu schildern.
Doch das bedurfte es ja nicht; des innigliebenden Mädchens Tränen flossen, als er noch nicht zur Hälfte fertig war. Wenn sie sich den fröhlichen, kräftigen Jüngling dachte, geliebt, geachtet von allen, und plötzlich so unendlich unglücklich; ja! jetzt hatte sie den Schlüssel zu seinem ganzen Wesen, zu seinem ganzen Betragen.
Jetzt wußte sie, warum er damals, als sie ihn zuerst im Walde sah, so bitter geweint habe, jetzt ward es ihr auf einmal klar, warum er niemals wieder recht fröhlich sein könne. Er hatte seinen liebsten Freund getötet, und wie die Erzählung des alten Dieners merken ließ, unschuldig getötet; je zarter ihr eigenes Gefühl war, desto tiefer fühlte sie den Schmerz in dieser fremden und ihr dennoch so verwandten Brust.
Sie weinte lange, und ihr alter, treuer Freund wagte es nicht, dieses Tränenopfer zu unterbrechen. Noch hatte er ihr aber nichts darüber gesagt, wie der Graf aus seinem Wahnsinn zu retten sein möchte; so schonend wie möglich berührte er diese Saite, indem er nicht undeutlich zu verstehen gab, daß ihre Nähe wunderbar auf ihn zu wirken scheine. Sie sah ihn lange an, als ob sie sich besänne, ob sie auch recht verstanden habe; eine hohe Röte flog über das liebliche Gesichtchen, ein schelmisches Lächeln mitten durch die Tränen zeigte, daß sie dies selbst wohl gedacht habe; sie schien zu zögern, das auszusprechen, was sie dachte, aber endlich warf sie sich an die Brust des alten Mannes, verbarg ihr glühendes Gesichtchen und flüsterte kaum hörbar: »Wenn er durch warme Teilnahme, durch lautere innige Freundschaft zu retten ist, so will ich ihn retten!« Sie weinte an Berners Brust leise fort und fort, ihre Schwanenbrust[96] hob und senkte sich, als wolle sie alle sechsunddreißig Schnürlöcher des Korsettchens zumal zersprengen.
Dem Hofrat aber kam dies mitten in seinem Schmerz höchst komisch vor. Die weint, dachte er, weil sie einen schönen Mann und drei Millionen verdienen soll; er konnte sich nicht enthalten, sie, vielleicht auch, um das Mädchen wieder aufzuheitern, recht auszukichern. »Ist es doch, als ob es Ihnen blutessigsauer würde, daß Sie den schönen, edlen Grafen aus seinem Wahnsinnsfegefeuer herauslangen sollen! Es ist ja nicht die Rede von einem solchen leeren Schnüffel und Musje Unausstehlich, wie sie jetzt zu Dutzenden herumschlendern; nein, um solche wäre es nicht der Mühe wert, sich die Hand naß zu machen, und wenn sie im Sumpf bis unter die Nase stäken und nicht mehr um Hilfe schreien, sondern nur ein wenig näseln und rüsseln könnten. Aber nein, da ist der Ausbund von Männerschönheit, der Mann mit dem interessanten, feurigen Auge, mit der zarten Blässe, welche die Gemüter so anzieht, mit dem feinen Bärtchen über den Lippen, das ein ganz klein wenig sticht, wenn er den würzigen Mund wölbt zum Ku–«
»Nein, es ist zu arg!« maulte Idchen und tat so ernst und reputierlich wie eine Kartäuserin, und doch mußte das lose Ding die Knie zusammenpressen, um nicht zu lachen. »Zu arg! nicht einmal ein Fünkchen Mitleiden darf man zeigen, ohne daß die böse Welt, den Herrn Hofrat an der Spitze, gleich darüber kritisiert, ob es einem schönen Herrn gegolten oder nicht.«
»Nun, nun,« lachte der Hofrat noch stärker als zuvor, »es kommt immer besser, Sie machen ja, weiß Gott, ein Gesichtchen, als wollten Sie mir nichts, dir nichts der ganzen Welt ein Pereat bringen; aber im Hintergrunde lauert doch der Schelm, denn mein Idchen hat es faustdick hinter den Ohren. Ich mache gewiß nicht wie Fräulein von Sorben und Frau von Schulderoff die große Stadtklatsche, aus jedem Maulwurfshaufen einen Himalaya, aber – wer schaut denn immer hinter dem Vorhang hinüber in den Mond, um ›den Mann im Mond‹, wie ihn die bösen Stadtkinder heißen, herauszuäugeln. Aber freilich, die jungen Damen machen jetzt gerne astronomische Versuche, sehen nach den schönen Sternen, welche das schöne Fenster haben, da muß man ja doch auch in den Mond sehen; aber Fräulein Ida wird nicht, wie jener scharfsichtige Astronom Städte, Festungen, ganze Wälle und Verschanzungen darin erschauen, sondern höchstens die Besatzung selbst, den Gr–«
Idchen hielt es nicht mehr aus; sie wurde röter als ein Purpurröschen, sie preßte dem Hofrat die weiche Flaumenhand auf den Mund, daß ihm Hören und Sehen verging, und schmälte ihn jetzt so tüchtig aus, wie er früher sie selbst geschmält hatte, als sie noch ein ganz kleines, unreifes Ding war. »Wie oft habe ich hören müssen,« eiferte sie, »man soll die schönen Püppchen nicht beschmutzen, und Sie, böser Hochverräter, machen ja Ihr armes Püppchen Ida ganz schwarz; wie oft haben Sie gesagt, man solle nicht alles untereinander werfen, sondern jedes Ding ordentlich an seinem Platz lassen, wo es steht, und Sie nehmen da und dort etwas, rudeln und nudeln es recht bunt durcheinander wie ein Apotheker und malen die Leute damit an. Ist das auch recht? Kann das Ihr sonst so geordnetes Oberbuchhaltergewissen vertragen?«
Der arme Hofrat bat nur durch die Augen um Pardon, denn der Mund war ihm so verpetschiert, daß er nicht einmal ein Ach! oder Au! hervorgurgeln konnte. Endlich gab sie Pardon, der Hofrat schöpfte tief Atem und sagte endlich: »Das verdient Strafe, und die einzige Strafe sei, daß Sie auf der Stelle über und über rot werden!« Ida behauptete zwar, das lasse sich nicht nur so befehlen, aber es half nichts; der Hofrat begann: »So wissen Sie denn, daß der Graf seit einem Jahr Europa durchfliegt, durchrennt, an keinem Orte länger als einen, höchstens zwei Tage verweilt, daß er auch hier eigentlich nur einen Rasttag halten wollte, es sind Wochen daraus geworden, ich gebe Ihnen mein Wort, wegen Ihnen allein ist er hiergeblieben.« Der Hofrat hatte seine Strafe richtig beurteilt, sie schrak zusammen, als er es aussprach.
»Wegen mir wäre er hiergeblieben? Meinetwill–« sie konnte nicht weiter, ein holdes Lächeln geschmeichelter Selbstzufriedenheit schwebte um die roten, frischen Lippen, der zarte Inkarnat ward überall zur Flamme, und wie von alters her das weibliche Geschlecht ein tiefes Rätsel für den Forscher war – war es Freude, war es Schmerz? – das überraschte Herzchen machte sich in heißen Tränen Luft. Das hatte der Hofrat nicht gewollt; er wollte wieder von neuem anfangen, wollte die lindernden Mittel der Fröhlichkeit und des Scherzes auf die Wunde legen, die er so ganz ohne Absicht geschlagen hatte, wollte das Mädchen aufheitern, zerstreuen; aber war es denn möglich, war das möglich, wenn man dieses Auge in Tränen sah? So mit ihrem Schmerz beschäftigt, hatte er ganz überhört, daß man schon zweimal an der Türe geklopft habe; leise[98] wurde sie endlich geöffnet, auf dem weichen Fußteppich hallte kein Schritt – Ida war es, als wehe sie ein kühlendes Lüftchen an, es war ihr so wunderwohl zumut, sie nahm das Tuch von den weinenden Augen und tat einen lauten Schrei, denn vor ihr stand in voller Lebensgröße Graf Martiniz.
Auch dem Hofrat erstarb das Wort auf den Lippen vor Staunen, gerade in diesem Augenblick den Mann zu sehen, von welchem er und Ida gesprochen hatten. Doch der gewandte junge Mann ließ sie nicht lange in diesem peinlichen Stillschweigen, er entschuldigte sich, so unberufen eingetreten zu sein, er habe aber niemand zum Anmelden gefunden, und auf sein wiederholtes Pochen habe niemand geantwortet. Er setzte sich neben Ida und fragte mit der Zutraulichkeit eines Hausfreundes, ob er den Grund ihres Kummers nicht wissen dürfe. Ach! er war ja der Grund dieses Kummers, ihm galten ja diese Tränen, die aus den geheimnisvollen Tiefen des liebevollen Mädchenherzens heraufdrangen.
Sie wollte antworten, die Stimme versagte ihr, sie wollte lächeln, aber ihre unwillkürlich strömenden Tränen straften sie Lügen; er hatte so freundlich, so zart gebeten, an ihrem Schmerz teilnehmen zu dürfen, daß es sie immer mehr und mehr rührte. Mit einem Feldherrnauge schaute der Hofrat in diese wirren Verhältnisse; rasch mußten die Blößen benutzt werden, der Zweck heiliget die Mittel, dachte er, wirf sie beide in einen wirbelnden Strom, sie werden sich eher finden, sich vereint an den Strand hinausretten; er ergriff also sein Hütchen, brach auf und flüsterte dem Grafen laut genug, daß es Ida hören konnte, ins Ohr: »Und wenn Sie noch zehn Jahre so dasitzen und nach ihrem Kummer fragen, sie sagt Ihnen doch nicht, warum sie weint. Um Sie, bester Graf, weint das Fräulein, weil sie meint, Sie seien unglücklich, und doch nicht helfen kann.« Mit schnellen Schritten witschte er aus dem Zimmer, es war ihm zumut wie einem, der gesäet hat und doch nicht weiß, was aufgehen wird. »Der Würfel liegt,« sprach er bei sich, als er die Treppe hinabeilte, »er liegt, zählet nun selbst die Augen und vergleichet euer Gerad oder Ungrad!«
Die beiden jungen Leutchen saßen sich gegenüber wie die Oelgötzen; keines wagte von Anfang ein Wörtchen zu sagen, selbst den Atem hielten sie fest an sich. Dem Fräulein hatte der Hofrat durch seinen gewagten Scherz alles Blut aus den rosigen Wangen gejagt; es war ihr, als steche ihr einer einen Dolch von Eiszapfen in das glühende Herz, und ein anderer schütte eine Kufe des kältesten Wassers über sie herab, und im nächsten Augenblick war ihr wieder so brühsiedeheiß zumut, als ob die Feuerflammenbrandung der Lava in ihren Adern siede und ein Rheinstrom von rotglühendem flüssigem Eisen durch alle ihre Nerven sich ergösse. Sie wußte nicht, sollte sie aufspringen und davonlaufen, sollte sie lachen oder vor Unmut über diese Unzartheit weinen, ein tiefer Seufzer entriß sich dem gepreßten Herzen –
Und Martiniz – was hilft in solchen Momenten das vollendetste Studium dessen, was wir Welt nennen? Er war auf Hofbällen von Kaisern und Königen gewesen, er hatte mit einer Fürstin eine Polonäse eröffnet und ihr dabei die Schleppe von der drap d'argentnen Hofrobe abgetreten, daß ihr die Fetzen vom Leibe hingen, und hatte dennoch dabei die Fassung behalten, obgleich die Durchlaucht einen ganzen Kartätschenhagel aus ihrer Augenbatterie auf ihn spielen ließ. Er hatte – doch was konnte es ihm in diesem süßen Augenblick helfen, daß er sich sonst nicht so leicht verblüffen ließ? Der Moment riß ihn hin; sie, die er mit aller Macht heimlicher Glut liebte, sie, die ihm in seinen Träumen allnächtlich erschien und ihn zum Gott machte, sie hatte um ihn geweint, weil sie ihn für unglücklich hielt!
Und als er jetzt zu ihr hinaufblinzelte, als er die rührende Scham auf dem engelreinen Gesichtchen, das holde Lächeln um den Mund, tiefer herab die Schneepracht des Halses, dieses Nackens, dieser Brust ansah – er hatte auf seiner großen Tour alle Galerien der Welt, die Kunstschätze der Malerei, die lockenden, majestätischen, niedlichen Formen der alten und neuen Bildhauerkunst gesehen, mit wahrhaftem Kunstfleiß studiert, und was waren sie, was war Venus und alle Grazien, was war Madonna und alle die herrlichen, heiligen Gesichtchen aller Zeiten und Schulen gegen dieses geheimnisvolle Amorettenköpfchen? Es lag ein Liebreiz in diesem süßen Wesen. – Er hörte sie seufzen, eine große, helle Perle hob sich unter den[100] seidenen Wimpern, er ergriff ihre Hand und drückte seinen Mund darauf, sie zog das weiche Wunderpatschchen nicht weg.
»Können Sie zürnen, mein Fräulein,« hub er an, »daß ich zu so ungelegener Zeit« – er hielt inne, um ihre Antwort zu erwarten; – keine Antwort.
»Wenn ich gewußt hätte, daß ich Sie nicht heiter finden würde, ich hätte mir gewiß nicht die Freiheit« – noch keine Antwort.
»Sie haben einem Unglücklichen eine Träne des Mitleids geschenkt; zarte Herzen wie das Ihrige verstehen einen tiefen Schmerz viel früher als andere, möge Gott Ihnen diese Tränen des Mitgefühls vergelten, die mir so unendlich wohltun« – keine Antwort, nur Perlchen um Perlchen drängt sich über den feinen Rand der Wimpern.
»Sie zürnen mir also dennoch,« fuhr Martiniz trübe lächelnd fort, »das beste wird sein, ich nehme mir die Freiheit, Sie ein andermal zu besuchen.« Er wollte seine Hand aus der ihrigen ziehen, aber Ida hielt ihn fest.
»Herr Graf!« flüsterte sie leise bittend.
»Warum nennen Sie mich Herr Graf?« antwortete Martiniz. »Wie oft haben Sie versprochen, Martiniz und, wenn ich recht gut bin, Emil zu sagen?«
»Martiniz!« flüsterte sie wieder.
»O, bin ich denn nicht mehr so gut wie gestern, oder sind Sie nicht mehr die freundliche, tröstende Ida wie früher?«
»Emil!« hauchte sie kaum hörbar, aber in diesem einzigen Wörtchen lag ein so süßer Ton, dem alle Saiten in Emils Brust antworteten, voll namenloser Seligkeit beugte er sich von neuem auf ihre zarte Hand; doch er faßte sich wieder, und, es war ihm zwar sauer genug, aber dennoch kam er bald wieder in den rechten Takt der vertrauenden Freundschaft. Er bat sie, ihn geduldig anzuhören, er wolle ihr sagen, warum er so trübe und traurig durchs Leben gehe, und vielleicht werde sie ihn entschuldigen.
Er erzählte ihr die Geschichte seines unglücklichen Hauses, wie sie der alte Brktzwisl dem Hofrat erzählt hatte; aber den schrecklichen Verdacht, den der alte Diener nur ahnte und sich selbst nicht zu gestehen wagte, bestätigte er. Er erzählte, daß, als er aus jener langen Krankheit wieder zu völligem Bewußtsein und dem Gebrauch seiner Verstandskräfte gekommen sei, habe ihm das Leben und die ganze Erde so öde geschienen, daß er seiner Mutter und Schwester die selige Ruhe im Grabe gegönnt, ja beneidet habe, besonders seine Schwester habe er[101] glücklich gepriesen, denn betrogen von dem Mann, den sie liebte, wie hätte sie ferner glücklich leben können?
Aufs neue sei damals eine große Bitterkeit in seiner Seele gegen den Italiener aufgestiegen, der nur nach dem fernen Norden gekommen schien, um ein holdes Mädchen auf wenige Stunden glücklich zu machen und dann zu betrügen, einen Freund zu gewinnen und ihn dann zum unerbittlichen Rächer zu machen. Da habe man ihm einen Brief gebracht, den seine Schwester kurz vor ihrem Ende geschrieben habe; er enthielt das Bekenntnis einer tiefen Schuld, einer unwürdigen Schande. Antonio habe lange geahnt, daß er, obgleich ihr Verlobter, doch nicht der einzig Begünstigte sei. Er habe sie in einem Augenblick getroffen, der ihm keinen Zweifel über die Unwürdigkeit der Geliebten gelassen. Doch zu edel, sie der Schmach und dem Unwillen ihrer Familie preiszugeben, habe er ihr erlaubt, seinen Verlobungsring fortzutragen, in wenigen Wochen wolle er Warschau verlassen und sie nie mehr sehen; ihren Ring, bei welchem sie ihm mit den heiligsten Eiden Treue geschworen, wolle er der nächsten besten Metze schenken.
»Dies war die einzige Strafe,« fuhr Martiniz fort, »die sich der edle, so schändlich betrogene Mann erlaubte. Wie unselig rasch ich handelte, wissen Sie, mein Fräulein. Meinem Sekundanten wollte er die Schande meiner Schwester nicht anvertrauen, eine persönliche Zusammenkunft mit ihm schlug ich in meiner Wut aus, so stellte er sich denn mit seinem ganzen Unglück, mit seinem noch größeren Edelmut vor die Mündung meiner Pistole. Jenen ganzen Tag, da ich die Schuld meiner Schwester und seine Unschuld erfuhr, wütete ich gegen mich selbst.
Ich wurde ruhiger als es Abend wurde, aber zu derselben Stunde, wo er verschieden war, fühlte ich auf einmal seine Nähe, sein blutbedecktes Bild stand vor mir da, meine Seele faßte das Schreckliche nicht, ich verfiel in Wahnsinn. Seit jener schrecklichen Stunde naht er mir alle Nacht und zeigt mir seine klaffende Wunde; kein Raum ist ihm zu weit, kein Gebet verscheucht ihn, er würde mir im frohesten Zirkel meiner Freunde erscheinen.
Nur in eine Kirche scheint er sich nicht zu wagen, und meine letzte Zuflucht ist, mich jede Nacht an den Altar zu retten. Mein Leben ist für jede Freude verloren, mir blüht kein Frühling mehr; die Natur ist mir erstorben; ein rastloser Flüchtling eile ich über die Erde hin, verfolgt vom Gespenste dessen, den mein unüberlegter Rachedurst erschlug. Ich bin Kain, der seinen[102] edlen Bruder ermordete, ich fliehe und fliehe, bis sich mir eine frühe Grube öffnet, wohin sein blutiger Schatten nicht mehr dringt, wo ich ausruhe, ungekannt, unbeweint, der letzte Sprosse meines Stammes, ohne Denkmal als das der Blumen, die der Frühling aus meiner Asche keimen läßt.« –
Ohne Idas Antwort abzuwarten, hatte sich nach den letzten Worten Martiniz erhoben und war davongeeilt. Er war von seiner eigenen Erzählung so ergriffen, daß er die laute Teilnahme des geliebten Mädchens in diesem Augenblick nicht hätte ertragen können. Ihre zarte stille Teilnahme, die tausend Zeichen der lautlosen Liebessprache hatten ohnedies schon so heftig auf ihn gewirkt, daß er die rasende Glut in seinem gepreßten Herzen kaum mehr beschwichtigen, daß er sich kaum enthalten konnte, die Tränen, die seinem Unglück flossen, von den zarten Wangen zu küssen. Wie eine trauernde Andromache saß Ida, das Engelsköpfchen auf ihr schneeweißes Händchen gestützt, und ließ die Tränen herab in den Schoß rollen. Nach und nach schien sie aber ruhiger zu werden, sie sah oft auf, und dann lag in dem schönen Auge etwas so schwärmerisch Sinnendes, daß man glauben durfte, sie sinne über einen großen Entschluß nach.
So traf sie Berner, der mit einem Armensündergesicht zur Türe hineinguckte. Es hatte ihm unterwegs, nachdem der erste Kitzel über seinen gewagten Feldherrn-Einfall vorüber war, doch ein wenig das Gewissen geschlagen, daß er die Leutchen so im heillosen Zappel zurückgelassen habe. Er mußte sich gestehen, daß die Sache auf diese Manier ebenso leicht ganz über den Haufen gerannt werden konnte. – Doch da war er ja der Mann dazu, auch die vereiteltsten Verhältnisse wieder zu entwirren. »Haben sie sich auch wie ungeschickte Hauderer ein wenig verfahren,« dachte er, »der alte Berner weiß sie schon wieder ins rechte Gleis zu bringen.« Als er aber den Grafen nicht mehr traf, als er sah, daß das Mädchen so gar bitterlich weinte und schluchzte, daß es einen Stein in der Erde hätte erbarmen mögen – da grieselte es ihm doch den Rücken hinauf, eine Gänsehaut flog über seinen Kadaver und schnürte ihm die Brust zusammen. – »Sicher einen dummen Streich gemacht,« brummte er vor sich hin. Da schaute sich Ida nach ihm um. Unter den verweinten Augen hervor traf ihn doch ein so mildes Lächeln, daß es ihm wieder wohl und warm wurde, als hätte er den besten Extrait d'Absynthe vor den Magen geschlagen. – »Habe ich ein dummes Streichelchen gemacht, mein Kindchen?«[103] fragte er kleinlaut, machte aber so verschmitzte, kluge Aeuglein dazu, daß Ida, so ernst sie sein wollte, lächeln mußte. Sie gab ihm die Hand und erzählte ihm, wie sie von Anfang durch seine doch etwas gar zu indiskrete Aeußerung sehr außer Kontenance gekommen, daß sie ihm aber jetzt nicht genug danken könne, denn der Graf habe ihr all sein Unglück, sein Leiden erzählt, und sie sei wie von ihrem Leben überzeugt, daß er von seinem Phantome könne befreit werden. Jetzt hatte ja der Hofrat Ida auf dem Punkt, wo er sie haben wollte. Jetzt war er mit der ganzen Geschichte auf einmal im klaren und rieb sich unter dem Tisch vor Freuden und lauter Seligkeit die Hände. Sie können und müssen ihn retten, und darum hat mir mein Genius das tolle Wagestück von vorhin eingegeben. Sie müssen ihn überzeugen, daß alles Ausgeburt seiner Phantasie ist. Sie müssen machen, daß er wieder den Menschen angehört, der gute Junge, daß er bei Tag freundlich und gesellig ist und nachts nicht mehr in die Kirche läuft. Ich will davon gar nicht sagen, daß es für seine Gesundheit höchst nachteilig ist, alle Nacht sich vor einem blutigen Gespenst zu fürchten. Aber bedenken Sie nur alle anderen Unannehmlichkeiten, die ein solcher Umstand mit sich führt. Der Graf, ist er nun so recht im Feuer, so recht, was man sagt, im Zug, gibt es dann einen herrlicheren, angenehmeren Gesellschafter als ihn? Da ist alles Leben, alles Feuer, das sprudelt von dem feinsten Witz, von der zartesten Geselligkeit, und um die Zeit, wo gewöhnlich der Champagnerpunsch, den Sie so trefflich zu bereiten wissen, oder Kardinal, und für Liebhaber des Roten auch Bischof aufgesetzt werden soll, wenn man glaubt, jetzt geht es erst recht an, da wird er nach und nach ernster und stiller, zieht einmal um das andere die Uhr aus der Tasche oder läßt sie in der Tasche repetieren, daß man glaubt, er habe ein Glockenspiel im Magen, und – hast ihn gesehen – schleicht er sich sans adieu fort und eilt der Kirche zu. Der Mondwirtin kann ich es, ob ich gleich die heiligsten fürchterlichsten Eide dazu schwöre, noch immer nicht begreiflich machen, daß er nicht auf ganz schlimmen Wegen im Dunkeln schleiche. ›Ich weiß das besser,‹ sagt sie immer; ›im Dunkeln ist gut munkeln – das mache mir ein anderer weis.‹ Und dann, wie unangenehm ist ein solches Verhältnis, wenn der Herr Graf einmal in den heiligen Stand der Ehe sich begeben soll. Zur Zeit, wenn da sein Weibchen ihre Tücher und Tüchelchen, ihre Röcke und Röckchen abgeworfen hat, wenn sie im Hemdchen und Nachtkorsettchen ins Bettchen[104] schlüpft, ganz weit hinüberrückt, um noch einem zweiten Platz zu m–«
»Was weiß ein alter Hagestolz wie Sie?« unterbrach ihn das Fräulein eifrig, indem sie ihm mit dem weichen Patschchen, über und über errötend, eines hinter das Ohr versetzte, die Knie zusammenkniff, schelmisch lächelte und innerlich beinahe platzte. »Was wissen Sie von Nachtkorsettchen und Schlafhäubchen? Solche Dinge gehören ganz und gar nicht in Ihr Fach, und der Schuster, heißt ein altes Sprichwort, der Schuster bleibe bei seinem Leisten.«
»Leider, Gott erbarm's!« seufzte und knurrte der alte Kater-Murr-Berner mit komischem Pathos, »leider heißt es bei mir: ne ultra crepidam;[1] ich darf nichts sehen als die hübschen Füßchen, und höchstens, aller – allerhöchstens Jahrs einmal ein hübsches Wäd–; doch um wieder auf Martiniz zu kommen – ich habe hin und her gedacht, ich weiß nur ein Mittel, wie man ihn der Welt wiedergeben kann. Wir mögen über die Torheit des Gespensterglaubens an ihn hinpredigen, solange wir wollen, er gibt uns recht, und in der Nacht sieht er dennoch wieder sein Phantom. Nein, man muß ihm auf ganz anderem Wege beikommen. Sie, Ida, Sie müssen in der Stunde der Mitternacht zu ihm an den Altar gehen, bei ihm bleiben in den Augenblicken der Angst, und ich stehe dafür, er wird so viel an Sie denken, daß das Bild seiner Phantasie verschwindet.« Ida sträubte sich vor diesem Hilfsmittel mit mädchenhafter Scheu. Sie gab dem Hofrat zu bedenken, daß das sich aufdringen heiße. Was die Welt dazu sagen werde, wenn sie einem landfremden Menschen in die Kirche nachlaufe, und dies und jenes – aber der Hofrat, der das Mädchen von seiner Kindheit an kannte, sah tiefer. Er sah, wie sich in ihr zwar das Mädchenhafte gegen das Unschickliche, das nach den Begriffen der Welt darin liegen könne, sträube, daß aber das Edle und Große, das sie, nur von wenigen gekannt, tief in der stolzen, jungfräulichen Brust verschloß, schon jetzt diesen Rettungsgedanken mit Wärme ergriffen haben müsse, denn in ihrem Auge sah er jenes stille Feuer ernsten Nachdenkens, ihre Brust hob sich stolzer, wie wenn sie eines großen Entschlusses mächtig geworden wäre. Er tröstete sie über den Gedanken, was die Welt sagen würde; unerkannt wolle er sie in der dunklen Nacht in die Kirche führen: »Und landfremd,« fuhr er mit schalkhaftem Lächeln fort, »landfremd nennen Sie diesen Menschen?[105] Mir wenigstens ist es in den vierzehn Tagen geworden, wie wenn ich ihn lange, lange gekannt hätte; und wer war es denn, der in jener Ballnacht, als wir den landfremden Menschen zum allererstenmal sahen, sagte: ich möchte hingehen und fragen, warum bist du nicht fröhlich mit den Fröhlichen, sage mir deinen Kummer, ob ich nicht helfen kann?« – Es ist etwas im weiblichen Herzen, das sie in einzelnen Momenten so hoch erhebt, daß sie Entschlüsse fassen und ausführen, wovor ein Mann vielleicht sich gescheut hätte. Auch Idas Herz war nicht unempfänglich für solche großen Entschlüsse, die der kältere Beobachter mit Unrecht Schwärmerei nennt; sie lehnte sich an die Brust des alten Freundes und lispelte mit geschlossenen Augen kaum hörbar, aber fest entschlossen: »Ich will es tun, denn ich fühle es: der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme!«
[1] Nicht über den Leist hinaus.
Es war vierundvierzig Minuten auf Mitternacht, als aus des Präsidenten Haus ein Paar dunkle Gestalten traten; die eine größere war in einen dicken Ueberrock geknöpft, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, die andere kleinere hatte einen Schal von dunkler Farbe um den Kopf geschlagen, war tief in einen Karbonaro eingewickelt, der aber zu lang schien, denn die Person, die ihn trug, mußte ihn alle Augenblicke aufnehmen. Die beiden Gestalten schlichen sich dicht an den Häusern hin, gingen mehrere Straßen entlang und verschwanden endlich im Portal der Münsterkirche.
Bald darauf kam ein Mann mit einer Laterne über den Münsterplatz; es war der Freilinger Küster; er schloß schweigend die große, knarrende Kirchtüre auf und winkte den beiden Gestalten, einzutreten. Die kleinere schien zu zögern, als scheue sie sich, in den nachtrabenschwarzen Dom zu treten; als aber der Küster mit seiner Laterne voranleuchtete, schien sie mutiger zu werden und folgte, doch sah sie bei jedem Schritt unter dem Schal hervor, als fürchte sie, irgend etwas Greuliches hinter den großen Säulen hervorgucken zu sehen.
Am Altar machten sie Halt. Der Küster zeigte auf einen breit vorspringenden Pfeiler, von wo aus man den Altar und einen großen Teil der Kirche übersehen konnte, und die beiden Verhüllten nahmen dort ihren Platz; die Laterne gab übrigens so wenig Licht, daß man, ohne näherzutreten, die an dem Pfeiler Sitzenden von dem übrigen Dunkel nicht unterscheiden[106] konnte. Indem hörte man den Glockenhammer im Turme surren und zum Schlag ausholen, der erste Glockenschlag von Mitternacht rollte dumpf über die Kirche hin, und zugleich hallten eilende Schritte den mittleren Säulengang herauf, dem Altar zu. Es war Martiniz mit seinem Diener.
Blaß und verstört setzte sich jener, wie er alle Nacht zu tun pflegte, auf die Stufen des Altars.
Zuerst sah er still vor sich hin, er weinte und seufzte, und, wie in jener Nacht, da ihn der Küster zum erstenmal gesehen hatte, rief er mit wehmütiger bittender Stimme: »Bist du noch immer nicht versöhnt? Kannst du noch immer nicht vergeben, Antonio!« Seine Stimme tönte voll und laut durch die Gewölbe der Kirche, aber kaum war der letzte Laut verhallt, da rief eine silberreine, glockenhelle Stimme, wie die eines Engels vom Himmel: »Er hat vergeben!«
Freudiger Schrecken durchzuckte den Grafen, seine Wangen röteten sich, sein Auge glänzte, er streckte seine Rechte zum Himmel hinauf und rief: »Wer bist du, der du mir Vergebung bringst von den Toten?« Da rauschte es an jenem vorspringenden Pfeiler, eine dunkle Gestalt trat hervor, der Graf trat bebend einen Schritt zurück, sein Haar schien sich emporzusträuben, sein Blick hing starr an jeder Bewegung des Nahenden, die Gestalt kam näher und näher, der milde Schein der Laterne empfing sie, noch einige Schritte, und – der dunkle Mantel fiel, ein seraphähnliches Wesen – Ida mit der Taubenfrommheit eines himmlischen Engels schwebte auf den Grafen zu, dieser war in ein willenloses Hinstarren versunken, noch immer glaubte er, einen Bewohner höherer Räume zu sehen, bis ihn die süße, wohlbekannte Stimme aus der Betäubung weckte.
»Ich bin es,« flüsterte, als sie ganz nahe zu ihm getreten war, das mutige, engelschöne Mädchen, »ich bin es, die Ihnen die Vergebung eines Toten verkündigt. Ich bringe sie Ihnen im Namen des Gottes, der ein Gott der Liebe und nicht der Qual ist, der dem Sterblichen vergibt, was er aus Uebereilung und Schwachheit gesündigt, wenn ernste Reue den Richter zu versöhnen strebt. Dies lehrt mich mein Glaube, es ist auch der Ihrige; ich weiß, Sie werden ihn nicht zu schanden machen. Du aber,« setzte sie mit feierlicher Stimme hinzu, indem sie sich gegen das Schiff der Kirche wandte, »du, der du durch die Hand des Freundes fielst, wenn du noch diesseits Ansprüche hast an dieses reuevolle Herz, so erscheine in dieser Stunde, zeige dich unseren Blicken oder gib ein Zeichen deiner Nähe!«
Tiefe Stille in dem Gotteshause, tiefe Stille draußen in der Nacht, kein Lüftchen regte sich, kein Blättchen bewegte sich. Mit seligem Lächeln, mit dem Sieg der Ueberzeugung in dem strahlenden Auge wandte sich Ida wieder zum Grafen. »Er schweigt,« sagte sie, »sein Schatten kehrt nicht wieder – er ist versöhnt!«
»Er ist versöhnt!« jubelte der Graf, daß die Kirche dröhnte. »Er ist versöhnt und kehrt nicht wieder! O Engel des Himmels, Sie, Sie haben ihn gebannt; Ihre treue Freundschaft für mich Unglücklichen, die ebenso hoch, ebenso rein ist als Antonios Treue und Großmut, sie hat den blutigen Schatten versöhnt. Wie kann ich Ihnen danken –?«
»Danken Sie dem, der stark war in mir Schwachen,« sagte Ida, indem sie ihm sanft die Hand entzog, die er gefaßt und mit glühenden Küssen bedeckt hatte; »wollen Sie aber mir etwas mehr gönnen als das Bewußtsein, dem Freunde genutzt zu haben, so danken Sie mir dadurch, daß Sie sich wieder den Menschen schenken, daß Sie wieder heiter und froh sind, wie es Menschen gebührt, denen Gott die schöne Erde zu einem Ort der Freude geschenkt hat.«
Sprachlos faßte er das zarte Händchen wieder und drückte es an sein klopfendes Herz, sein freudiges Lächeln, ein seliger Blick sagten ihr, daß er erfüllen wolle, was sie ihm geheißen.
Der Hofrat war indes näher getreten und hatte mit freudiger, zuweilen etwas schalkhafter Miene die schöne Gruppe betrachtet. Man konnte aber auch nichts Schöneres sehen. Der hohe, schlanke junge Mann mit dem zarten, sprechenden Gesicht, aus dem jetzt alle Wehmut, alle Trauer gewichen war, das jetzt nur Freude und Glück aussprach, an seiner Seite die feine Seraphgestalt mit dem lieblichen Engelsköpfchen, das aus den sinnigen, schmelzenden Augen so freudig, so schmachtend an jenem hinaufsah – sie beide umstrahlt von dem ungewissen milden Schein der Laterne an den Seiten, und im Hintergrund der Altar und die wunderlich geformten Bogen und Säulen des majestätischen Tempels. »Nun,« dachte Berner, »sei es um ein paar Wochen, dann sind wir zu guter Tageszeit wieder hier am Altar, dort auf den Stufen steht dann der Herr Pastor primarius, und weiter unten müssen mir die beiden Leutchen dort knien: der Herr Pastor spricht dann den Segen, und sie sind kopu–«
Es zupfte ihn etwas am Rockschoß, er sah sich um. Der alte Brktzwisl stand hinter ihm und wischte sich einmal über[108] das andere die alten Augen, die vor seliger Rührung übergingen. »Das ist Ihr Werk, Herr Hofrat,« schluchzte er, »möge es in Zeit und Ewigkeit –«
»Sei still,« flüsterte Berner, »dein Werk ist es, denn hättest du nicht endlich geschwatzt, so spukte der Herr Antonio nach wie vor.«
Der alte treue Diener nahm aber das Lob nicht an. »Nun, am Ende ist es doch der Himmelsengel dort,« schluchzte er weiter, »der es vollbracht hat; ohne sie hätten wir anzetteln können, was wir hätten wollen, wir hätten doch nichts zuwege gebracht. Morgenden Tages schreibe ich alles dem alten Herrn Onkel, und der kann nicht anders, er muß seinen Segen zu der holdseligen, zukünftigen Frau Gräf–« Ein Wink seines Herrn unterbrach ihn, er eilte zu ihm hin, küßte die Hände des Grafen und den Saum von Idas Gewand und brachte dann, wie ihm der Graf befahl, Idas Mantel. Scherzend, als ging' es von einem Ball nach Hause, hing Martiniz dem holden Mädchen den Mantel um und hüllte ihr das Köpfchen so tief in den Schal, daß nur noch das feine Näschen hervorsah; der Hofrat führte sie, der stillselige Graf ging neben seiner Retterin her, und Berner wurde gar nicht eifersüchtig, daß diese das Gesichtchen immer nur dem Grafen und viel seltener ihm zuwandte.
Brktzwisl und der Küster, der ganz traurig schien, daß seine Talerquelle doch endlich versiegt war, schlossen den Zug. »So Gott will,« sagte zu ihm der alte Diener, als er die Türe schloß, »sind wir zum letztenmal nachts da drinnen gewesen; dir soll es übrigens dennoch nichts schaden, alter Kauz. Wenn deine durstige Seele nach einem Glas Wein verlangt, so komme nur zum alten Brktzwisl in den Mond, da setzen wir uns dann hinter den Tisch, die Frau Wirtin muß Alten geben, und wir trinken dann aufs Wohlsein meines Herrn und des schönen Fräuleins.«
Der alte Brktzwisl kam am andern Morgen mit einem Gesicht, aus welchem man sich nicht recht vernehmen konnte, zum Hofrat; er wünschte mit freundlichem Grinsen guten Morgen und zischte doch dabei, wie wenn er Rhabarber zwischen den Zähnen hätte, ein »wenn nur das heilige Kreuzdonner –« oder, »wenn nur das Mohren-Kraut-Stern-Elementerchen«[109] um das andere heraus. Er rapportierte, daß er einen Brief von der alten Exzellenz, dem Oheim, habe, worin ihm dieser ankündige, daß er seine Briefe nach Fuselbronn, einer Badeanstalt zwischen Freilingen und der Residenz seitwärts gelegen, zu schicken habe. »Der Kuckuck!« rasaunte der alte treue Knecht, »hätte der alte Herr nicht die vierzehn Meilen weiter machen können? Jetzt wäre er hier in Freilingen und schaute das Glück seines Herrn Brudersohnes mit leiblichen Augen, könnte nebenbei auch den Hochzeitvater vorstellen! Was hilft mich das, daß er wieder schreibt: ›Brktzwisl, scheue keine Kosten, wir können es ja bezahlen, wenn der Himmel unserm Emil wieder gesunden Menschenverstand verleihen will.‹ Was hilft mich das? In allen Nestern von Italien, Frankreich, Schweden, Norwegen, England, Holland, wo wir herumfuhren, habe ich keine Kosten gescheut; ich mag gar nicht denken, was nur die Doktores kosteten, wenn ich allemal die Antwort bekam: ›Reise weiter! Zerstreuung hilft! Glückliche Reise.‹ – Jetzt, wo wir hier Zerstreuung und Freude umsonst hatten, wo ein Engelchen meinen armen Herrn kuriert hat, jetzt soll ich keine Kosten scheuen? Was hilft da der verfluchte Mammon? Kann ich dem Fräulein sechs Louisdors geben, wie einem Doktor oder Professor?«
So knurrte der alte Kauz bei dem Hofrat; die Worte pullerten ihm nur so hervor, es war ihm ganz ernstlicher Ernst mit der Sache, und er war auf sich und die ganze Welt ergrimmt, daß er jetzt nicht stante pede eine Hochzeit herhexen konnte. Der Hofrat sah ihn ganz erstaunt an und hielt sich den Bauch vor Lachen, so komisch kam ihm des alten Gesellen Wüten vor. »Alter Narr!« rief er endlich, »muß man dir denn die Nase drauf stoßen und eine Brille aufsetzen, daß du findest, was du suchst? Kannst du dich denn nicht hinsetzen und die ganze Geschichte von den letzten vierzehn Tagen deinem alten Herrn schreiben und dabei einfließen lassen, daß dein Herr zum Sterben in das Mädchen verschammert sei? Und wenn der Herr Onkel das weiß, nun ja – das Fräulein ist von gutem Adel, ich sehe nicht ein, was für ein besonderes Hindernis –«
»Weiß Gott, so tu' ich,« rief Brktzwisl und setzte vor Freuden den Respekt so ganz aus dem Auge, daß er einen Katzensprung in die Luft machte; »aber eines fehlt doch immer noch, mein Herr sollte nur erst mit dem Fräulein im reinen sein, aber geben Sie acht, geben Sie acht, der macht uns einen Streich! Er ist so blöde, so furchtsam –«
Wenn er es nur gewußt hätte, der alte Brktzwisl! Sein Herr saß, indem sein Diener von seiner Blödigkeit perorierte, bei Ida auf dem Sofa, der Präsident, der nur so auf ein Viertelstündchen in seiner Tochter Boudoir eingesprochen hatte, neben ihm. Was es doch eine eigne freie Kunst um das Augenparlieren ist; da schwatzten jetzt die guten Leutchen ein langes und breites mit dem Herrn Papa von Bergen und liegenden Gründen, nebenher hielten sie sich die schönsten Reden durch verstohlene Blicke, mit einer Beredsamkeit, einem rednerischen Feuer, von dem selbst Cicero in seiner Rednerkunst keine Aufschlüsse gibt, und wovon auch kein Wörtchen weder in der Syntax der deutschen Sprachlehren, noch in den verschiedenen Rhetoriken und ästhetischen Vorlesungen steht, die alljährlich von den Kathedern abgehaspelt werden. Der Präsident taute immer mehr auf, denn Martiniz sprach von einem bedeutenden Güterkauf, den er in hiesiger Gegend im Sinne habe, und der gute Präsident glaubte nicht anders, als seine Aufmunterungen haben den Grafen auf diesen vernünftigen Gedanken gebracht, und wenn er es vollends dazu bringen könnte, daß der Graf die Gräfin Aarstein – er gratulierte sich schon im voraus zu einem allergnädigsten Handschreiben, besah lächelnd seine Brust, wo nächstdem das Großkreuz des Zivilverdienstordens paradieren werde, nannte Martiniz seinen neuen Landsmann und sein liebes Gräfchen, und zog kichernd und schnalzend über seine vortrefflich gelungene Negoziation zum Zimmer hinaus.
Solange er da war, war es dem Grafen und Ida ziemlich leicht zumut; zwar prickelte es beiden ein wenig ängstlich im Herzen, denn das Wiedersehen nach einem so wichtigen Moment, wie die gestrige Mitternacht war, führt immer eine kleine unabweisbare Verlegenheit mit sich; man ist nicht sicher, den Ton gleich wiederzufinden, in welchem man sich verlassen hat. Denn das ist keinem Zweifel unterworfen, daß man, wie in jedem Gespräch, so auch in dem Flüstern der angehenden Liebe abends wärmer ist und in einer Viertelstunde weiter kommt als den Morgen nachher, wo schon der Verstand mehr mit der Phantasie über die Haushaltung rechnet. Daher war es Martiniz auf den ersten Augenblick des Alleinseins mit Ida bange;[111] er war so traulich von ihr geschieden, er hätte ihr gestern abend alles, alles sagen können, wovon sein Herz so voll war – und jetzt, jetzt hatte er wieder allen Mut verloren. Er hatte mit den ersten Damen von vier großen Reichen gescherzt und gelacht, ohne sich von den imposantesten Schönen verblüffen zu lassen – wo war sein Mut, seine Gewandtheit diesem Mädchen gegenüber? Es war aber auch unmöglich, bei dem Engelskind die Fassung zu behalten; – erfreute der herrliche Tannenwuchs, das Ungezwungene, Graziöse der Haltung, das Auge, war man beinahe geblendet von dem Lilienschnee der Haut, von der jungfräulichen Pracht des Alabasterbusens, war man entzückt von dem Rosensamt der blühenden Wangen, von den zum Kuß geöffneten Korallenlippen, war man wunderbar bewegt von dem lieblichen Kontrast, den ihre brand-brand-brand-raben-raben-kohlen-tinten-schwarzen Ringellöckchen und orientalisch geschweiften Brauen mit den Cyanen-Augen machten, war man hingerissen von dem Zauberlächeln, das die Grübchen in den Wangen, die Perlen hinter dem schöngeformten Mund zeigte, hätte man hinfliegen mögen, die zarte Taille mit dem einen Arm zu umfangen, mit dem andern das Amorettenköpfchen recht fest Mund auf Mund zu drücken – o! so durfte sie ja nur das Auge aufschlagen, durfte nur jenen Blick voll jungfräulicher Hoheit auf den sündigen Menschen und seine Begierden herabblitzen lassen, so schlich man sich so ducks und geschmiegt hinter die Grenzbarrieren der Bescheidenheit zurück, als haben einen zehn Paßvisitatoren und zwanzig Gendarmes dahinter zurückgedonnerwettert.
Das ist der Zauber reiner Jungfräulichkeit. Man sage, was man will, von Verdorbenheit der Sitten, und daß kein reputierliches Frauenzimmer mehr allein auch nur eine Meile weit reisen könne; an den Männern liegt es wahrhaftig nicht, sondern an jenen selbst, die ohne den Schutz- und Geleitsbrief jungfräulicher Reinheit in Blick und Mienen hinausgehen. Der Graf war kein solcher Geck wie viele unserer heutigen jungen Herren, welche glauben, jedes Herz, das sie lorgnettieren, müsse auch unwillkürlich von ihrer interessanten Erscheinung hingerissen sein. Nein, seinem scharfen Auge war es nicht entgangen, wie Ida diese saubern Herren, als sie sich mit ihrer dreisten, handgreiflichen Unverschämtheit an sie drängten, hatte ablaufen lassen; wenn auch ihm keine solche Zurechtweisung bevorstand, wenn er sich auch schmeicheln durfte, von diesem Phönix von Mädchen vor allen ausgezeichnet worden zu sein, wenn er sich[112] auch eines höheren Wertes bewußt war, wer stand ihm dafür, daß nicht dieses Mädchen, das gewiß auf ihre Freundschaft einen hohen Wert legte, sich tief beleidigt fühlen werde, wenn er zärtlichere Gefühle äußerte? Wer stand ihm dafür – zwar der Hofrat hatte es ihm zu dutzend Malen mit den fürchterlichsten Eiden geschworen, daß es nicht so sei, aber was wußte der Hofrat von den Heimlichkeiten eines tiefen Mädchenherzens? Wer stand ihm dafür, daß sie nicht schon einen Anderen, Würdigeren lie–
»Nein! er konnte den Gedanken nicht ertragen; die ganze Nacht hatte es ihn gepeinigt; die guten Betten, über welche er jeden Morgen der Frau Mondwirtin viel Schönes gesagt hatte, waren hart und schneidend wie die Latten, auf welche er sonst seine ungezogensten Ulanen geschickt hatte; die Kopfkissen – Jakobs Stein muß ein Eiderdaunenpfühl dagegen gewesen sein, denn er konnte ja darauf schlafen und sogar eine Himmelsleiter träumen, die ihn in den Himmel – es peinigte ihn den ganzen Morgen und Vormittag, bis er endlich den Riesenentschluß faßte, sich Gewißheit zu verschaffen.
Noch auf der Treppe hatte er Löwenmut, er stieg die Stufen hinan, als wären es die schiefen Seiten einer feindlichen Batterie; noch solange der Papa dabei saß, flüsterte er sich zu, daß er mehr Mut besitze, als er gedacht habe; ihr Blick schien ihm heute besonders glänzend, schien ihn selbst aufzumuntern, aber nein, es war ja nur das gewöhnliche freundschaftliche Wohlwollen; er wünschte den Papa zum Henker oder in seine Kanzlei, und doch hätte er ihn, als er ging, beim Frackzipfel nehmen und festhalten mögen; jetzt Mut! – Aber es schnürte ihm die Kehle zusammen, er konnte nicht anfangen, alles schien ihm zu gemein, zu trivial für diese Stunde. –
»Warum so still und trübe, Martiniz?« fragte Ida, als der Graf noch immer keine Worte finden konnte. »Sie sind doch wohl nicht krank?« Wie wohl tat ihm diese Teilnahme! – Das Gespräch war eingeleitet, und dennoch konnte er nicht weiter. Da fiel ihm auf einmal ein Gedanke ein – er beschloß, ihn auszuführen; er nahm noch einmal das Thema von vorhin auf und ging die Landsitze, die ihm angeboten worden waren, einzeln durch; auf allen war Idchen bekannt; und wie unendlich hübsch stand es dem Mädchen, wenn sie von der Landökonomie so kunterbunter plapperte, wie ihr das Schnäbelchen gewachsen war. Es war ihm, als säße er schon mit ihr abends vor der Türe seines Schlößchens, die Kinderchen alle um ihn her[113] im Gras, wie es auf seines Vaters Schloß gehalten wurde, und neben ihm, neben ihm Ida als züchtiges, hübsches, allerliebstes Frauchen; und wie sie dann – nein, es war zu hübsch, wenn er es sich vorstellte – wenn sie dann sorglich die Kinder hineinschickte – und selbst aufstand – und ihn bei der Hand nahm – und die andere Hand ihm auf die Stirne legte – und, ja – und dann sagte: Männchen, es macht hier unten schon etwas kalt, wollen wir nicht zu Bett –«
»Da sitze ich schon ein gutes Halbviertelstündchen,« unterbrach Ida mit fröhlichem Lachen sein Selbstgespräch, »und sehe Ihnen zu, wie Sie so gar nachdenklich sind, als wollten Sie die Quadratur des Zirkels ausklügeln; wo haben Sie nur Ihre Gedanken? Gewiß saßen Sie schon auf irgend einem Landgut und sannen nach, wie lustig Sie sich dort die Tage vertreiben wollen.«
»Ach,« antwortete Emil, »so lustig wird es wohl dort nicht werden, wenn man so allein, so ganz allein auf der Erde ist.«
»Nun, das kommt ja nur auf Sie an, Sie können sich die Einöde froh machen, können Freunde zu sich bitten –«
»Freunde?« fragte Martiniz mit sonderbarem Ausdruck der Stimme. »Es ist wohl etwas Gutes um Freunde, aber sie kommen und gehen; und das Herz verlangt nach etwas Bleibendem.«
»Wer bedenkt,« antwortete Ida mit gerührtem Blick auf den jungen Mann, »wer bedenkt, wieviel Sie schon verloren haben, wird Sie um diese Ansicht nicht schelten; Sie haben recht, es ist nichts Bleibendes auf der Erde.«
So hatte es aber der Graf auch wieder nicht gemeint. »Nein,« sagte er, »es hieße dem Leben seinen schönsten Reiz ablügen, wollte man dies so streng behaupten; etwas ist, was dem Manne in jedem Wechsel bleibt. Ihnen darf ich sagen, ich meine, Ihnen, die in dem ersten Augenblick dem Unglücklichen ihre zarte Teilnahme schenkte, die durch die zarten Bande der Gastfreundschaft mein Herz wieder für die edlen Freuden der Geselligkeit öffnete, die, wenn alle Menschen mich verkannten oder über mein Unglück spotteten, mir treue Teilnahme und reichen Trost gewährte, die mir aus gläubiger, frommer Freundschaft selbst in jene Schreckensstunde, die mich von den Menschen verbannte, nachfolgte, die den Fluch von mir nahm, der mich von Land zu Land rastlos fortscheuchte, dir, du reines, holdes, ewig heiteres Engelskind,[114] darf ich sagen, was mir fehlt, du hast mir ja immer geholfen, mir fehlt – sei du es mir – ein liebes Weib.« –
Mit steigendem Erstaunen war Ida der Rede Emils gefolgt – ihr Auge hing an seinen Lippen, ihre Hand zitterte in der seinigen, denn sie meinte nicht anders, als ein neues, noch furchtbareres Geheimnis zu vernehmen. Mit einem Schrei der Ueberraschung, der Freude, der Verlegenheit flog sie daher vom Stuhle auf, als er endete. – »Herr Graf – Marti–« stammelte sie in steigender Verlegenheit, ihr Gesicht brannte in den hohen Gluten bräutlicher Scham. –
»Mein Mädchen, meine Ida!« flüsterte Martiniz und zog sie zu sich herab in seine Arme, er nannte sie mit den süßesten Schmeichelnamen. »O, laß mir noch einen Glauben, noch eine Hoffnung, laß mir noch einen Trost, den deiner Liebe!« – »Mein Emil!« hauchte sie aus den süßen Lippen hervor – und der Graf preßte sie in stürmischem Entzücken an die Brust, wollte eben den ersten, heiligen Kuß reiner Lie–
Da schmetterten Posthörner die Straße herab, ein schwerer Reisewagen rasselte dröhnend über das Pflaster und hielt vor des Präsidenten Haus; aufgeschreckt wie ein Reh flog Ida aus des Grafen Armen und riß das Fenster auf – aber erbleichend trat sie zurück. – »Mein Gott im Himmel!« rief sie, »es ist die Gräfin Aarstein.« – Die Saat des Bösen reift schnell.
Die höllischen Latwergen und Rhabarbermüschen aus der Leumundsiederei Schulderoff und Komp. taten ihre Wirkung vollkommen. Kaum hatte Onkel Sorben, eine jener Hofseelen, die durch Intrigen geboren, mit Intrigen großgezogen werden und sicher einmal an einer Intrige sterben, die sie gegen den Tod oder den Meister Urian anzetteln – Onkel Sorben hatte kaum den Brief seiner liebenswürdigen Posaunenseraphsnichte zu Gesicht bekommen, als er wie wütend nach seinem Stadtwagen schrie. War doch die Geschichte so geschickt, so fein eingefädelt gewesen, und Geschenke – vom Herrn eine Dose, vom Staatssekretär ein Staatssouper, von der Gräfin ein Paar Pferde, und sonst noch was, was ein alter Kauz wie er nie verschmäht, und dies alles sollte ihm so ein naseweises Ding, die kaum hinter den Ohren trocken, wegliebäugeln.
Die Röte des Zornes lag noch auf seinem Gesichte, als er bei der Gräfin vorgelassen wurde, er traf sie allein, nur der Rittmeister Sporeneck, ihr täglicher Gesellschafter, war dort. Der letztere hatte einen Brief in der Hand, aus welchem er soeben etwas Unangenehmes vorgelesen haben mochte, denn die Gräfin schien mit Mühe sehr heiter zu sein, ihr kolossaler Busen wogte ungestüm auf und ab.
»Exzellenz,« krächzte Sorben aus seiner angegriffenen Brust hervor, »Exzellenz! Da bekomme ich soeben ganz sonderbare Nachrichten von Ihrem Zukünftigen aus Freilingen.« – Die Gräfin und der Rittmeister warfen sich bedeutende Blicke zu, aber der graue Hofmann ließ sich nicht merken, daß er es gemerkt habe – »ja, aus Freilingen; er soll dort en passant ein galantes Verhältnis mit einer jungen Dame, des Präsidenten von Sanden Tochter, angeknüpft haben; solches wäre nun unter andern Umständen ziemlich gleichgültig, Exzellenz werden sich aber vielleicht noch aus dem Brief aus Warschau erinnern, daß der Herr Graf ein Schwärmer genannt wurde, und einem solchen, wissen Sie wohl, ist nicht zu tr–«
»Nicht zu trauen, da haben Sie recht, lieber Sorben, da haben Sie recht, und ich danke Ihnen für Ihren Eifer. Die Sache ist übrigens einmal so weit eingeleitet, daß das Gräfchen daran muß, es mag wollen oder nicht; – was schreibt sein Onkel?«
Diese Querfrage brachte den Geheimrat beinahe ganz außer Fassung, denn sein Gewissen sagte ihm, daß er in dieser Hinsicht ein gewagtes Spiel spiele; als nämlich Graf Martiniz ins Land kam, als man überall von seinem Reichtum sprach, der Staatssekretär ihn für eine gute Prise erklärte und alle Segel aufspannte, um ihn für die Gräfin zu kapern, da wollte es Sorbens Glücksstern, daß ihm eine bedeutende Rolle zufiel.
Er hatte in Karlsbad den alten Onkel Martiniz kennen gelernt und stand jetzt noch in einiger Korrespondenz mit ihm. Sein Geschäft war es daher, den alten Polen für die Heirat seines Neffen mit der Gräfin Aarstein zu gewinnen; er hatte sich auch nicht anders gedacht, als er werde leichtes Spiel haben, der alte Graf wußte ja nichts von den fatalen Verhältnissen der Aarstein, und – ja es mußte gehen, er schrieb dem alten Martiniz und trug ihm gleichsam die Hand der Gräfin für den Neffen an. Mittlerweile hatte er, um sich bei der Gräfin, die dem regierenden Hause so nahe verwandt war, wichtig und unentbehrlich zu machen, viel von seinem großen Einfluß peroriert, den er auf seinen Intimus, den alten Martiniz, habe, und jedesmal, so oft auf die Heirat die Rede kam, ganz zuversichtlich gesagt: »Es fehlt sich gar nicht, der alte Pole muß wollen, was ich will, und damit holla!«
Das Ding hatte aber doch einen Haken; der Graf hatte seinem Karlsbader Freund wieder geantwortet, daß diese Verbindung mit einer so erlauchten Dame seinem Neffen wie dem ganzen Hause Martiniz nicht anders als zur größten Ehre gereichen könne, und daß er sich unendlich freue, die schöne Gräfin einmal als seine Schwiegernièce zu umarmen; bis hierher war es nun ganz gut, jetzt aber kam der Haken; – was übrigens sein Votum in der Sache betreffe, schrieb er weiter, so müsse er sich mit Wünschen begnügen, denn er habe den Grundsatz, in solche Affairen sich auch nicht im geringsten einzumischen; sein Neffe kenne ihn auch von dieser Seite vollkommen und wisse, daß er ihm zu keiner Verbindung weder zu- noch abraten werde. Er solle einmal nach Liebe heiraten, natürlich nicht unter seinem Stand; wenn er aber diese Grenze nicht überschreite, gebe er seinen Segen zu jeder Wahl.
Das war nun ein verzweifelter Haken; Sorben hatte sich vorgestellt, der Alte werde bei einer Gräfin Aarstein sogleich mit beiden Händen zugreifen und sie dem Herrn Neveu als Frau Gemahlin präsentieren ohne weitere Speranzien; wahrhaftig, man mußte im Norden noch weit, sehr weit in der Kultur zurück sein, daß man von einer Heirat nach Liebe sprechen konnte; doch der Karren war schon einmal verfahren und konnte auf dieser Seite nicht mehr herausgehaudert werden, der alte Herr von Sorben dachte also: »Vogue la galère, der alte Narr muß wollen!« machte gute Miene zum bösen Spiel und sagte dem Staatssekretär und der Gräfin, der alte Martiniz sei vollkommen damit einverstanden. Ein böses Gewissen behielt er aber bei der Sache noch immer; wenn ja das Gräfchen Goldfischchen doch nicht anbeißen mochte – nein! Er konnte den Gedanken nicht ausdenken, er wäre ja um Ehre und Reputation gekommen, denn auf seine Nachricht von dem alten Grafen hin hatte man sich nicht mehr geniert und von der Verbindung, als von etwas, das sich von selbst verstünde, überall gesprochen.
Wie jetzt die Sachen standen, ging ihm das Wasser bis an die Kehle, und die fatale Querfrage der Gräfin: »Was schreibt sein Onkel?« hätte ihn beinahe aus aller Kontenance gebracht. Doch er faßte sich und antwortete mit der heitersten Miene von der Welt: »Der ist, wie ich schon oft gesagt habe, durchaus damit einverstanden, und diese Verbindung liegt ganz in seinen Wünsch–«
»Wie? Ganz in seinen Wünschen? Damit einverstanden? – Das sind nicht die Ausdrücke, die Sie mir früher sagten; erinnern Sie sich, Sie sagten mir, er schreibe, er sei von selbst auf den Gedanken gekommen, daß sein Neffe mich –«
Höllenangst, Höllenpein nagte in Sorbens Brust; nein! wenn er kompromittiert würde! Doch da galt kein Besinnen mehr. »Vollkommen damit einverstanden, meine Gnädige, so vollkommen, sage ich, daß er selbst zuerst auf den glücklichen Gedanken kam.«
»Nun, was wollen wir weiter?« fuhr die Gräfin ruhig fort. »Mein Gräfchen wird nicht das ungehorsame Söhnchen spielen wollen, denn die drei Milliönchen, die er von dem Onkel erben soll und die, wie Sie mir sagen, wegfallen, wenn er mich nicht –«
Sorben schnitt greuliche Gesichter; es war ihm, als sollten ihm die hellen Tränen hervorstürzen, daß er sich so dumm verplaudert[118] hatte, und dennoch sollte er lächeln und freundlich sein, er grinste daher furchtbar wie einer, der Asa foetida oder recht bitteres Salzkonfekt im Mund hat und doch zuckerhonigsüß dabei aussehen will.
Der Rittmeister hatte bis jetzt noch kein Wort gesprochen; aber die Miene des alten Fuchses mochte ihm doch nicht so ganz spaßhaft vorkommen, als sie aussehen sollte. »Mir scheint es, als dürfe man die Sache nicht nur so gehen lassen, wie sie geht, und am Ende warten, ob der Graf gehorsam sein will oder nicht, denn hole mich der – verzeihen Sie, gnädige Gräfin – wenn ich selbst drei Millionen hätte, wie der Goldfisch, der jetzt in Freilingen vor Anker liegt, so täte ich nach meinem Sinn, und nicht wie mein alter Oheim wollte.«
»Das heißt also,« rief die Gräfin pikiert, »Sie würden Ihrem Kopf folgen, auch zu den Füßen des Fräuleins Ida liegen und die Gräfin Aarstein refüsieren?«
»Wie Sie nur so reden mögen?« antwortete der Rittmeister empfindlich, »Sie wissen ja selbst, wie ich mit Ida stehe; aber ich wollte damit sagen, daß der Graf Sie sehen muß. Und hat er Sie nur erst einmal gesehen, nun, so stehe ich dafür, daß er keine weitere Vergleichung anstellt, sondern zu Ihren Füßen liegt.«
Die Geschmeichelte schlug ihn mit dem Éventail auf die Hand und meinte selbst, indem sie einen Blick in den deckenhohen Spiegel warf, daß dieser Rat vielleicht so übel nicht wäre. Auch Sorben schien er das einzige Rettungsmittel in seiner peinlichen Lage. Kommt die nur erst einmal hinter den Polen, dachte er, dann sei ihm Gott gnädig. Denn wenn die einen lieben und von einem geliebt sein will, dann kostet es vierundzwanzig Stunden, und er ist im Netz.
Sie hielten jetzt großen Kriegsrat. Die Nachrichten, die der Rittmeister von seinem Kameraden Schulderoff aus Freilingen erhalten und kaum zuvor der Gräfin mitgeteilt hatte, stimmten auf ein Haar mit dem überein, was Fräulein Sorben ihrem Onkel geschrieben hatte. Ueber den Tatbestand war also nicht der geringste Zweifel mehr. Aber wie dem Grafen beikommen?
»Ist sie denn wirklich so hübsch?« fragte Sorben, um die feindliche Stellung recht genau zu rekognoszieren.
»Hübsch?« lachte die Gräfin bitter. »Hübsch? Nun das müssen Sie ihren primo amoroso, den Rittmeister, fragen. Wenn durcheinandergefitztes Rabenhaar, ein Maul voll gesunder Zähne, ein Paar rote Bäckchen, eine gedrechselte Hopfenstange von Körper, die mir die Nerven angreift, weil man sie nicht berühren darf, ohne fürchten zu müssen, daß man eines der zarten Gliederchen abknicke« (bei der kolossalen Riesen-Kürassierfigur der Gräfin war dies nicht zu befürchten), »wenn dies alles für hübsch gelten soll, so ist sie wunderschön. Ha, ha, ha! wunderschön! Nun, und das – muß man ihr lassen, viel Welt und Bonton hat sie auch. Denken Sie sich, ich lasse mich herab, sie mir letzten Winter präsentieren zu lassen, lade sie zu meinen Soirees und Hausbällen ein, aber siehe da, Mamsell Zimperlich setzte mir keinen Schritt wieder ins Haus. Ob dies nicht eine Sottise ohnegleichen ist? Und als ich mich einmal bei ihrer Frau Pate, die einen Affen an ihr gefressen haben mußte, als ich mich bei der Fürstin Romanow beklagte, warum die junge Dame sich so impertinent gegen mich betrage, was meinen Sie, daß ich zur Antwort erhielt? Denken Sie sich, das gute Kind sei zu unverdorben und keusch, als daß sie sich in meinen Cercles gefallen könnte! Dergleichen kann man von der Fürstin sich sagen lassen und es ohne Replik einstecken, aber, ma foi! sonst von niemand. Also zu unverdorben und keusch! Nun, der Herr Rittmeister da wird von ihrer Keuschheit zu sprechen wissen. Wie ist es damit? Gestehen Sie!«
Der Rittmeister versicherte zwar auf das heiligste, daß er Ida immer nur als ein reines Kind der Natur gefunden habe, aber sein höhnisches Teufelslächeln bei diesen Schwüren, die Art, mit welcher er den Stutzbart bis an die Ohren zurückriß und die Augen einkniff, ließ fast erraten, daß er mehr wisse und erfahren habe, als er sagen wolle.
»Nun,« sagte Sorben, »wenn die Aktien so stehen, so ist es nicht schwer, zu agieren. Sie, Exzellenz, heben den Grafen durch Ihre Reize aus dem Sattel, der Rittmeister aber Ida, und zwar dadurch, daß er den Grafen eifersüchtig macht. Er darf nur dem süßen Schwärmer schwören, daß er die Gunst des Fräuleins Engelrein noch nie ganz genossen habe, und dazu ein Gesicht machen, wie wir es eben gesehen haben, so muß der gute Mann abgekühlt sein, als sei er nie entbrannt gewesen.«
»Aber wie soll dies alles geschehen? Wir können doch die Mamsell Zimperlich nicht mit Extrapost kommen lassen, da sie erst vor vierzehn Tagen die Residenz verlassen hat, und der Graf ist auch nicht so schnell zu meinen Füßen zitiert, als Sie sich wohl vorstellen.«
»Ist gar nicht nötig,« replizierte Sorben, indem er seine Karte immer hübscher mischte, »nicht nötig. Wie wäre es, ja, das wäre am Ende das beste, wenn Sie selbst nach Freilingen gingen und dort dem ganzen Spaß auf einmal ein Ende machten?«
Der Gedanke schien der Gräfin nicht übel zu gefallen. »Wahrhaftig, es wäre so übel nicht,« antwortete sie sinnend; »der alte Präsident, wahrhaftig, ich quartiere mich selbst bei ihm ein. Erst vor einem Jahre hat er mich eingeladen, wenn ich einmal auf der Durchreise auf meine Güter durch Freilingen komme, bei ihm abzusteigen. Das wäre ein zu hübscher Spaß, Fräulein Ida in ihrem eigenen Hause den Galan abzuspannen. Nein, der Einfall ist göttlich, und ich bin fast entschlossen, ihn auszuführen.« Sorben atmete wieder freier, als er die Gräfin auf so gutem Wege sah. Jetzt konnte, jetzt mußte ja noch alles gut werden, und sein Ansehen, seine Ehre war gerettet. Er tat sich nicht wenig auf seinen Witz zugut, mit welchem er so hübsch die Volte geschlagen und sein zweifelhaftes Spiel korrigiert hatte. Noch einmal riet er dringend zur Reise und empfahl sich.
Als er fort war, gestand die Gräfin ihrem Cicisbeo, daß sie nach Freilingen reisen werde, und zwar gleich morgen, aber nur unter einer Bedingung, nämlich er müsse sie eskortieren. Einmal würde ihr die Reise zu langweilig ohne ihn, und dann habe sie ihn auch höchst nötig, um Ida bei dem Grafen aus dem Felde zu schlagen. Der Rittmeister sagte freudig zu. Eine Reise mit einer solchen Frau war eine herrliche Aussicht. Daß er als Reisestallmeister den Wein nicht zu schonen habe, wußte er wohl. Nach Freilingen war es drei Tagereisen, wie angenehm ließ es sich bei der Gräfin im Wagen sitzen, wie interessant ließen sich die Verhältnisse weiterspielen, wenn man abends ins Nachtquartier einrückte. – Und dann, er kitzelte sich schon mit dem Gedanken, sich an Ida zu rächen, in die er, er mußte es sich zu seiner Schande gestehen, bis zum Tollwerden verliebt war, und die ihm nicht einmal ein Küßchen – nein, es war zu unverschämt. Bei andern hatte er nach den ersten Präliminarien beinahe ohne Schwertstreich gesiegt, und dieses[121] Landpomeränzchen hatte ihm so imponiert, daß er es nicht wagte, nachdem sie ihn einmal mit Verachtung abgewiesen hatte, noch einmal einen Versuch zu machen. Und diese Blame war ausgekommen, man wußte es sogar in dem kleinen Nest Freilingen, zwanzig Meilen von der Residenz, sein Kamerad Schulderoff, die ehrliche Haut, hatte ihn beschworen, sich zu räch– es mußte sein. Rache wollte er nehmen an der stolzen Jungfrau, daß ihr die Haut schaudern sollte.
Am andern Morgen fuhr ein Reisewagen mit den gräflich Aarsteinischen Wappen zum Tore hinaus. Bald nachher jagte der Rittmeister von Sporeneck mit seinem Jockei hinterdrein, eine Stunde vor der Stadt gab er das Pferd dem Jockei und setzte sich in den gräflichen Reisewagen, und fort ging es über Stock und Stein, bis man den Münsterturm von Freilingen sah. Dort stieg er aus, küßte noch einmal eine schöne Hand, die ihm aus dem Wagen geboten wurde, saß auf und ritt auf einem Umweg in die Stadt, wo er sich im Gasthof zum goldenen Mond einquartierte.
Ida fühlte einen tiefen Stich im Herzen, als sie die Gräfin aus dem Wagen steigen sah: »Nun adieu, Liebes- und Lebensglück!« seufzte sie, indem sie einen trüben Blick über Martiniz hinfliegen ließ und zur Treppe eilte, um den erlauchten Gast zu empfangen. »Nun adieu, Liebesglück, wenn dieses Weib in mein Leben greift!«
Sie zerdrückte eine Träne des Unmuts über ihr Geschick und ging weiter. So ungefähr muß es jenen unschuldigen Tierchen zumut sein, wenn sie die Riesenschlange erblicken und, von ihrem greulichen Anblick übertäubt, nicht auf ihre Flucht denken, sondern in geduldiger Resignation dem Verderben entgegengehen.
Mit jener Leichtigkeit und Grazie, die man in höheren Verhältnissen von Kindheit an studiert, wußte die Gräfin schnell über das Unangenehme der ersten Augenblicke hinüberzukommen. Sie war die Freundlichkeit, die Herzlichkeit selbst. So weit hatte es freilich Ida in der Bildung nicht gebracht, daß sie denen, die sie nicht lieben konnte, wie ihren wärmsten Freunden begegnete. Auch war sie die Ueberraschte und die Gräfin die[122] Ueberraschende, daher war Ida etwas befangen und zeremoniös beim Empfang der hohen Dame; aber ihr natürlicher Takt sagte ihr, daß sie jede andere Rücksicht beiseite setzen müsse, um nur die im Auge zu haben, die Gräfin, die nun einmal ihr Gast war, anständig und würdig zu behandeln.
Um wieviel edler waren die Motive, welche Ida bei ihrem Betragen leiteten, als die der Gräfin! So verschieden als Natur und Kunst. Die Aarstein wußte gegen jeden, auch wenn sie ihn bitter haßte und ihm hätte den Dolch in den Leib rennen mögen, freundlich und leutselig zu sein. Sie konnte ihm etwas Verbindliches sagen, wenn sie das bitterste Wort auf der Zunge hatte. Aber so sind jene Gesellschaftsmenschen, die nichts Höheres kennen, als sich so zu produzieren. Wenn man in ihre Cercles tritt, glaubt man in die alten Zeiten zu kommen, wo noch alles so brüderlich und freundlich war; da ist alles übertüncht, alles hat den schönen Anstrich der Geselligkeit, aber man soll nur einmal hinhorchen, wie es da über die ehrlichen Leute hergeht, wie medisant da alles bekrittelt wird, wie da der Bruder, der Freund gewiß sein darf, von dem, der ihm gerade noch so schön getan, ohne Schonung bitter bespöttelt zu werden.
Aber ist es nicht überhaupt in der Welt so? Sucht nicht immer einer dem andern so viel als möglich Abbruch zu tun? Wohl dem, der es dahin gebracht hat, daß er ruhig in dieses böse Treiben hineinsieht und dazu lächelt. Mit Ruhe und dem Bewußtsein, Gutes gewollt zu haben, in der zufriedenen Brust, lache ich über den Spott meiner Neider, über die hämischen Bemühungen jener Falschmünzer, die mit schnöder Schadenfreude aus allem, was man je gesagt und gedacht, nicht gesagt und nicht gedacht hat, Gift saugen und in ihrer frechen Leumundsiederei ein Gebräu zusammenkochen, das sie gerne mir unterschieben möchten! Sie sind zu bedauern, solche schlechte Menschen, die von Neid und Scheelsucht gestachelt, so ganz den wahren Lebenszweck aus dem Auge verlieren, glücklich und brüderlich untereinander zu wohnen! So denke ich und viele Tausende mit mir über jene bösen Menschen in den gesellschaftlichen Zirkeln und in der Welt überhaupt, so denken wir und lachen, denn das Spiel des Lebens sieht sich heiter an, wenn man ein sicheres Glück im Herzen trägt, und froher kehr' ich, wenn ich es gemustert, zu meinem schönen Eigentum zurück.
So dachte auch Ida, als sie an der Hand der Gräfin die[123] Treppe hinanstieg; ein tröstender Gedanke lag recht hell in ihrer Seele, sie verglich ihren innern Wert mit dem ihres Gastes und dachte, wenn Martiniz mich liebt, wie ich ihn liebe, so wird er diese Frau verachten, und wenn – ach, sie durfte den Gedanken nicht recht ausdenken, ohne daß ihr das Wasser in die Augen trat! – nun, wenn er an sie verloren geht, so habe ich wenig verloren.
Es gab einen sonderbaren, aber schönen Anblick, wenn man die beiden Damen so nebeneinander hingehen sah. Gräfin Aarstein, eine kolossale Figur – sie hätte ohne Anstand in jedem Garderegiment dienen können – voll, üppig gebaut, in ihren Bewegungen lag etwas Imposantes, Majestätisches, Gebietendes, in ihren Mienen eine Hoheit, die an Uebermut grenzte. Ihre dunklen Augen hatten das holde, mädchenhafte Niederschlagen schon lange verlernt und rollten mit einem unstäten Feuer umher, als suchten sie lüstern einen Gegenstand der Begierde, oder als musterten sie alles umher, ob auch die gehörige Ehrfurcht gegen einen Sprößling eines so hohen Hauses bewiesen werde. Ihr Gang war etwas schwerfällig, weil die korpulente Figur für die in die feinsten Pariser Atlasschuhe eingepreßten Füße etwas zu schwer war.
Neben ihr die leichte, schlanke, sylphidenähnliche Gestalt Idas, nein, dieser Kontrast! Sie hielt sich zwar kerzengerade wie eine Tanne, aber doch war das holde Lockenköpfchen ein wenig vorwärts gesenkt; das sanfte Auge, oft niedergeschlagen in Demut, zeigte dennoch, wenn sie es aufschlug, so glänzenden Mut, so feurige Lust und Liebe, so gebietenden Ernst, daß es durch die sanfte Beredsamkeit überzeugender gebot als das Rollauge der gebietenden Gräfin. Und um wieviel anziehender war das Schelmengrübchen-Lächeln des süßen Mädchens als das schrankenlose Lachen und Gurren der Gräfin, die durch ihre rauhe, tiefe Stimme jedes Ohr verletzte. So schwebte Ida neben der Gräfin hin, so wie Juno und Hebe traten sie in das Zimmer.
Martiniz sah finster durch die Scheiben auf den Wagen hinab, der ihn so unbarmherzig aus dem süßesten Moment seines Lebens herausgerasselt hatte. Er verwünschte den Gast, der gerade jetzt kommen mußte, wo er endlich seinem Herzen Luft gemacht, wo er dem Mädchen, das er liebte, das er anbetete, seine Gefühle gestanden hatte, wo er Gegenliebe, süße verschämte Gegenliebe in ihren sanften Augen las, wo, wie von Engeln des Himmels gesungen, »mein Emil« von ihren Lippen tönte,[124] wo er das Engelskind im Arm, die Seligkeit erwiderter Liebe in der Brust, Himmel und Erde vergaß und auf diese würzigen Purpurlippen, auf die bräutlich errötenden Wangen den ersten, seligen Ku–
Die Flügeltüren flogen auf, und Ida, hoch errötend beim Anblick des Geliebten, führte die Gräfin herein. Sie zitterte, von so vielen gegeneinander kämpfenden Empfindungen bestürmt, die Stimme wollte ihr beinahe versagen, als sie »den Grafen Martiniz« der »Gräfin Aarstein« vorstellte. Sie sah die Erz-General-Kokette erröten, sie sah, wie sie den bildschönen Mann mit ihren Feuerrädchen beinahe zu versengen drohte; es zuckte ihr ganz eisig in das liebende, ängstliche Herzchen hinein, als die Gräfin sich in einer nachlässigen Stellung auf das Sofa warf, ihr zurief, sie möchte sich doch gar nicht genieren und ihre Arrangements treffen, die ein so plötzlicher Ueberfall wie der ihrige immer notwendig mache, sie möchte sich doch durchaus nicht genieren, der Graf werde schon die Gnade haben, sie zu unterhalten.
»Da sei Gott gnädig,« flüsterte Ida in sich hinein, indem es ihr fröstelnd und doch wieder siedheiß durch alle Glieder ging, »wenn die so fortmacht, so müssen wir ja alle samt und sonders, den Grafen mit eingeschlossen, zu ihren Füßen knien.«
Sie nahm ihre Schlüssel und ging; aber noch in der Türe warf sie einen Blick auf Martiniz zurück, so voll Liebe und Besorgnis, als müsse sie ihn bei einem reißenden Tier allein lassen.
»Ein liebes Kind, die Ida,« wandte sich die Gräfin an Martiniz, der schweigend und gedankenvoll neben ihr Platz genommen hatte, »ein liebes Kind, schade nur, daß man sie so bald aus der Pension genommen hat, ehe sie noch die letzte Vollendung, das freiere Sichbewegen angenommen hat. Nun, das macht sich noch gerade immer noch, wenn auch hier nicht gerade der Ort ist, wo sie anständige Vorbilder dazu haben mag; in größeren Städten findet sich dies eher.«
Sie hielt inne, als erwartete sie eine Antwort von dem Grafen, diesem aber schien sein Kopf mit dem Herzen Ida nachgesprungen zu sein, und jetzt erst, als die Gräfin nicht mehr sprach, nahm er sich zusammen und beantwortete ihre Frage durch ein leises Kopfnicken.
»Warte, ich will dich schon aufmerken lehren,« dachte die Aarstein, der die Zerstreuung des jungen Mannes nicht entgangen war. »In einer Hinsicht ist es gut, daß das Fräulein aus der Residenz wegkam, Sie können sich gar nicht denken, unsere Herren waren ganz rabiat, als sie so lieblich aufblühte; die Straße vor dem Haus der Madame la Truiaire wurde nicht leer von den Anbetern, und natürlich! ein solches Mädchen hat denn doch auch ein Herzchen und fühlt sich durch diese Aufmerksamkeit geschmeichelt. Uebrigens, das muß man ihr lassen, mit dem größten Anstand wußte sie den Herren zu imponieren und sie sogar zu verscheuchen; daß sie nun freilich bei dem Rittmeister von Sporeneck es nicht ebenso machte, kann man ihr nicht verdenken.«
»So–o?« fragte der Graf, indem ein dunkles Rot seine Wangen überzog. »Der Rittm–« – »Nun ja« lachte die Gräfin, »da ist es auch kein Wunder, daß sie ihn liebte und vielleicht noch liebt; wo ist denn in der Residenz ein Damenherz, das er zu überwinden sich vorsetzte, und das er nicht überwunden hätte? Er hat zwar etwas leichte Grundsätze, ist aber sonst ein artiger Mensch; au fond ist es übrigens dennoch gut, daß man das Mädchen schnell aus der Pension nahm, denn sehen Sie – da kommt sie ja selbst,« lachte sie Ida entgegen, die mit liebenswürdiger, wirtlicher Geschäftigkeit Tee für ihren Gast brachte. Beinahe hätte sie das ganze zierliche Dejeuner auf den Boden fallen lassen, denn der Graf – was mußte ihm nur begegnet sein? Er saß da so bleich wie der Tod, den starren Blick auf sie geheftet –
»Nun, da erzähle ich,« fuhr die Gräfin Satanas, die mit teuflischer Freude das zarte Band, das diese liebenden Herzen kaum erst umschlungen hatte, zu zerreißen strebte, »da erzähle ich gerade dem Herrn Grafen Ihre Affaire mit dem Rittmeister, und wie ich die arme Ida bedauere, daß man sie so grausam herausriß aus der Wonne der ersten Lie–«
»Gnädige Frau!« rief Ida mit den Tönen des Schreckens und setzte die Tasse nieder, die in ihrer zitternden Hand zu klirren begann.
»Nun, so erschrecken Sie doch nicht so, daß ich aus der Schule schwatze; das nimmt man bei uns nicht so genau; wahrhaftig, der Papa hätte auch keine ungeschicktere Zeit zu Ihrer Zurückberufung wählen können –«
»Ich muß Sie bitten, gnädige Frau –«
»Ei, so lassen Sie doch die gnädige Frau,« fiel ihr die Aarstein ins Wort, »ich kann das Wort Frau nicht ausstehen. Es ist mir gar nicht, als ob ich Frau wäre, und wahrhaftig, ich bin es ja eigentlich gar nicht,« setzte sie naiv und mit einem schalkhaften Lächeln gegen Martiniz hinzu, »ich lebte nur ein paar Wochen mit meinem Herrn Gemahl, Gott hat uns kein Kind beschert, und da bin ich ja eigentlich so gut als Mädchen.«
Ida schlugen die Flammen ins Gesicht; solche frivole Aeußerungen mußten ihre unentweihten jungfräulichen Ohren hören, ohne daß sie diese wegwerfende Gemeinheit bestrafen konnte; und dann das dumme Aufziehen mit dem Rittmeister, es war ja kein wahres Wort an der Sache; sie konnte gar nicht begreifen, was nur die Gräfin damit wollte; hatte sie ihn denn nicht so gut abgetrumpft wie jeden andern? Was mußte nur Martiniz von ihr denken! Sie nahm sich vor, bei der nächsten Gelegenheit ihn zu überzeugen, daß gewiß an der Geschichte mit dem Rittmeister kein wahres W– Aber nein, wie sah der Graf aus! Er hatte die Lippen zusammengekniffen, daß sie ganz weiß wurden, sein Auge rollte unstät umher, schien sie zu suchen, zu fassen, und doch schlug er es nieder, so oft er ihrem Blick begegnete. Es war ihr ganz bange ums Herzchen, als ahne sie irgend ein Unglück; sie klügelte hin und her, was ihm sein könnte, und fand immer nichts.
Die Gräfin zog sich jetzt in ihre Zimmer zurück, um sich umzukleiden. Ida sah ihr mit leichterem Herzen nach, denn sie hoffte – sie gestand es sich nur so halb und halb, daß sie es hoffte, aber sie hoffte, der Graf werde vielleicht an dem Gespräch von vorhin fortmachen, aber sie täuschte sich bitter; er sagte kaum ja oder nein, wenn sie ihn etwas fragte, finster sah er immer vor sich hin, und nach ein paar Minuten sprang er auf und ging. Was hatte man ihm doch getan? Es war und blieb ihr unbegreiflich. Endlich aber fiel ihr ein, der Rittm– ja, das war es, eifersüchtig war der gute Graf. Sie mußte lachen, als ihr der Gedanke kam. Sie fühlte sich so rein und unschuldig, daß es ihr ein leichtes schien, den Grafen zu überzeugen; aber Strafe soll er leiden, der Unartige, nahm sie sich vor; wenn er mir die Aarstein zuviel ansieht, so will ich immer von dem Rittmeister sprechen und ihn recht bös machen.
Das gute, fröhliche Kind; wie wenig dachte sie daran, was Eifersucht Böses anrichten könne, wie wenig ahnte sie, was ihrer wartete!
Das Gift, das die Gräfin Natterzunge ausgespritzt hatte, wirkte viel tödlicher auf Martiniz, als man hätte denken sollen. Ein anderer hätte entweder der Gräfin keinen Glauben beigemessen, hätte gedacht: »Nun, das ist so das gewöhnliche Sekkieren und wieder Sekkieren unter den Damen,« und damit holla; aber auf sein Gemüt, das kaum erst von seinem Trübsinn, von seinem Mißmut, seinem Unglauben an die Welt geheilt war, auf ihn machte es einen viel tieferen Eindruck; dieses Mädchen, das so hoch stand in seiner Meinung, auch dieses sollte so leicht wägen wie alle? Auch sie sollte so zwanzig, dreißig Liebschaftchen und am Ende noch eine rechte tüchtige Amour mit einem leichten Rittmeister gehabt haben?
Aber wie? Wenn er sich recht fragte, was ging es denn ihn an, ob ein Mädchen in der Residenz sich verliebt oder nicht, ob sie einem Rittmeister viel oder wenig Gehör gibt? Was ging es denn ihn an? Das flüsterte ihm sein tief zerrißnes Herz zu, das, daß sie die Maske der hohen, reinen Jungfrau so künstlich vorhielt, daß sie ihn begünstigte, ja, er durfte sagen, an sich zog, während sie noch einen anderen, wie es schien, Unwürdigen im Herzen trug; aber vielleicht, es war ja doch möglich, vielleicht war es doch nicht wahr, vielleicht hatte jener nur sich eingebildet, von ihr geliebt zu werden, und er, er war vielleicht doch ihre erste Lie–
»Bitte untertänigst um Vergebung, wenn ich störe,« schnatterte ein Jockei, der während des Grafen Selbstgespräch ins Zimmer gekommen war, »der Herr Rittmeister von Sporeneck –«
Was Teufel! Hatte nicht die Aarstein jenen Sporeneck genannt? Sollte er hier sein?
»Lassen sich Exzellenz zu Gnaden empfehlen,« fuhr jener fort, »und ob der Herr Graf dem Herrn Rittmeister nicht eines Ihrer Zimmer vornheraus abtreten wollten?«
Da hatte er es ja; ein Zimmer sollte er abtreten, weil gerade gegenüber Idas Boudoir, Besuch- und Schlafzim– nein, er konnte es nicht tun, diese Forderung war zu unverschämt – gedankenlos starrte er den Bedienten an, der ihm die Unglücksbotschaft hinterbracht hatte; dieser glaubte, der Graf wolle noch weitere Aufträge von seinem Herrn, und schnatterte weiter:
»Die Zimmer im oberen Stock sind zwar auch nicht zu verachten, aber mein Herr hat gesagt, es sei ihm nur um die[128] schöne Aussicht, und da hat er gemeint, Exzellenz könnten vielleicht eines von den drei –«
»Nein! –« rief der Graf mit einem so schrecklichen Ton und rollte so finster die Augen dazu, daß dem armen Jockei ganz wind und weh dabei wurde, und er sich das Abschiedswinken des Grafen nicht zweimal vormachen ließ.
Da hat er es ja sonnenhell, daß ihm das Licht in den Augen weh tat, da hat er es; der Rittmeister, nichts Gewisseres, war bestellt worden und hatte jetzt noch die Unverschämtheit, ihm ein Zimmer abzufordern, daß er besser hinüber zu seiner Dulcinea – Nein, in diesem Tone konnte es nicht fortgehen; die Wehmut war stärker als die Bitterkeit und wurde Herr über sie; er warf sich in sein Sofa und weinte bitterlich. So war gewiß noch kein Mensch getäuscht worden wie er; der Zufall, der blinde Zufall läßt ihn ein Mädchen finden, so hold, so schön, so ganz Unschuld und reine Jungfräulichkeit; er muß sie lieben, und wie glücklich ist er in dieser Liebe! Trost, Freudigkeit, Ruhe, Dinge, die er seit langer, langer Zeit nicht gekannt, ziehen wieder ein in sein Herz, er fühlt sich glücklich, wie er selbst damals, als noch sein Haus in Fülle des Glücks und der Freude prangte, sich nie gefühlt hatte, er sah, ja, er durfte es sich gestehen, er sah das Morgenrot der ersten, zarten, jungfräulichen Liebe auf ihren Wangen aufgehen, und diese Liebe galt ihm; mit einem Zauberschlag schuf sie aus ihm, dem Unglücklichsten der Sterblichen – den Glücklichsten. Jetzt hatte er ja alles, was die kühnsten Wünsche nur verlangen mögen; Gesundheit, Jugend, hohe Geburt, Ehre und Ansehen, Geld, daß er den Markt von Freilingen mit Talern hätte belegen lassen können, ohne daß er es sonderlich gefühlt hätte, es fehlte ihm nichts mehr als das eine, ein holdes, tugendsames Weib, und auch dieser hohe Wurf war ihm gelungen, er hielt im seligsten Moment seines Lebens ein Mädchen im Arm, ein Mädchen, für dessen Tugend er sein Leben gegeben hätte. Da sendet in dem Augenblick, wo er sein Herz hingeben will, der Himmel eine Dame, die unwillkürlich den Schleier ein wenig lüftet und ihn das Mädchen ein wenig näher kennen lehrt, die ihn merken läßt, daß dieses Auge nicht zum erstenmal von Liebe leuchte, dieser keusche Mund nicht zum erstenmal geküßt werde, die, wenn man es gleich in der großen Welt nicht so genau nimmt, doch selbst eingestand, daß es gut sei, daß man das Mädchen aus einem unschicklichen Verhältnis herausgerissen – abscheulich! Ein Teufel in Engelsgestalt – an eine Schlange, an eine[129] Kokette hat er sein Herz verloren, da, wo er schüchtern mit der verschämten Zartheit erster Liebe um ein einziges Küßchen gebeten hatte, da hatten andere geschwelgt! Er schämte sich wie ein Primaner, der die Rute bekommen hatte, so betrogen, so schnöde angeführt worden zu sein; er gönnte ihr, obgleich sein Herz dabei blutete, er gönnte ihr den Rittmeister, es reute ihn beinahe, daß er ihm sein Logis versagt hatte, alle Zimmer hätte er ihm geben sollen, er wollte morgen in alle Weite fortziehen. – Und dennoch drängte es ihn, noch dazubleiben; wenigstens rächen wollte er sich an ihr, er wollte hinüber zu ihr, wollte sehen, wie sie sich jetzt gegen ihn betragen würde, wollte sehen, ob sie jetzt, da der rechte Liebhaber gekommen, ob sie jetzt noch die Stirne habe, ihn wie bisher an der Nase herumzuziehen; tausenderlei nahm er sich vor, ihr zu sagen, aber das eine war ihm zu spitzig und schneidend, er wollte ihr nicht so arg weh tun, das andere war ihm zu weich, zu gefühlvoll; er wollte ihr nicht zeigen, wie tief sie sein Herz verletzt habe – das beste schien ihm, er wollte ganz und gar nichts mit ihr reden, wollte tun, als ob gar keine Ida in der Welt sei, oder als sei sie ihm wenigstens sehr gleichgültig, wollte ihr zeigen, daß er sie verachte.
Die Stunde, zu der man gewöhnlich beim Präsidenten Tee trank, hatte schon geschlagen; er wischte sich daher schnell die letzte Träne, die er der Dirne geweint haben wollte, hinweg, besorgte eilends seine Toilette, warf sich in die Kleider, preßte das weich gewordene Herz mit beiden Händen zusammen und ging dann den schweren Gang hinüber in jene Zimmer, wo er einst so unendlich glücklich gewesen war.
Es war, als sei ein feindlicher Dämon mit der Gräfin in des Präsidenten Haus eingezogen. In wenigen Stunden war alles, das ganze ruhige stille Leben des Hauses verändert. Alles rannte und flog, um den hohen Gast zu bedienen; es war ein Jagen und Treiben, ein Rennen und Laufen, daß man glaubte, der Feind sei vor den Toren. Der Aergste war der Präsident selbst; ganz still verklärt, schlüpfte er in allen Ecken des Hauses umher, zankte und hantierte, daß die Konfusion nur noch ärger wurde, und ihn sein Mädchen, das vor Haushaltungsgeschäften und Herzensangelegenheiten nicht wußte, wo ihr der Kopf stand,[130] ihn um Gottes willen bat, sie doch ganz allein machen zu lassen. Es war aber auch kein Wunder, daß er sich ein wenig verrückt gebärdete. Der Himmel hing ihm voller eigenhändig-durchlauchtigster Belobungsschreiben, voll großer Verdienstkreuze mit breitem Band über die Brust, voll Dotationen und Standeserhöhungen; jetzt war er in seinem Esse, jetzt konnte er negoziieren und zeigen, daß er nicht umsonst in Regensburg und Wetzlar in seiner frühen Jugend Diplomatie studiert hatte. Was er mit seinen kühnsten Wünschen nicht für möglich gehalten hätte, führte ihm ganz bequem der Zufall in die Hände. Der Staatssekretär hatte ihm aufgetragen, dafür zu sorgen, daß Martiniz sich ankaufe und für die Idee einer Verbindung mit der Aarstein gewonnen werde; es hatte ihm wahrhaftig schon manche Sorge gemacht, ob er diesen Ausbruch allerhöchsten Vertrauens auch gehörig rechtfertigen werde. Jetzt gab der Himmel der Gräfin ein, auf ihre Güter zu reisen. Was doch nicht der Zufall tut! Ohne daran zu denken, daß es wirklich einmal in Erfüllung gehen könne, denn der gerade Weg führte zwei Meilen seitwärts an Freilingen vorbei, hatte er einmal in der Residenz in einem Anfall von galanter Laune der Gräfin das Versprechen abgenötigt, einmal auf ihrer Reise bei ihm einzusprechen. Und wie glücklich fügte es sich jetzt! Sie, die beim Herrn alles galt, die er behandelte wie seine eigene Tochter und ihr alles zu Gefallen tat, sie, nach deren Wink die ersten Chargen sich richten mußten, die, ohne daß man es merkte, an ganz geheimen Fäden, das Land regierte, sie besuchte ihn.
Aber sie sollte auch gehalten werden, als wäre sie in ihrem eigenen Hause, daß sie recht viel Schönes und Gutes höheren Orts von ihm und seinem Hause sagen konnte. Kaum hatte sie geäußert, sie finde Idas Zimmer im ersten Stock so hübsch, so mußte das Fräulein das Feld räumen und in die zweite Etage wandern. Es kam dem Mädchen sauer an, als sie so die Plätze wechseln mußte, und in ihrem traurigen, ahnungsvollen Herzen wollte es ihr beinahe bedünken, als sei dies eine schlimme Vorbedeutung. Und es war ihr auch gar nicht zu verdenken; sie hatte das Fenster mit der Estrade so gerne gehabt, dort saß sie am liebsten, dort las, dort arbeitete sie, sie durfte ja nur das Köpfchen ein wenig heben, den blauseidenen Vorhang nur ein wenig aufheben, nur einen kleinen Viertelsseitenblick hinüberwerfen, so sah sie ja auch schon ihn; und jetzt sollte sie der verhaßten Nebenbuhlerin, die ja offenbar nur gekommen war, um den Grafen in ihre Fesseln zu schlagen, jetzt sollte sie dem[131] üppigen Weib, die gewiß alle Künste der Fensterkoketterie aufbieten werde, ihr heimliches Plätzchen am Fenster, ihr lauschiges Schlafstübchen abtreten und dafür, weiß Gott wie lange, in den weiten unheimlichen Zimmern des obern Stockes wohnen. Mit Seufzen richtete sie ihre kleine Haushaltung oben ein. Die Stickrahmen, die Staffelei, die Toilette, die paar Kistchen und Kästchen waren bald gestellt; jetzt setzte sie einen Stuhl ins Fenster, sie probierte, ob man nicht auch von da in den ersten Stock des Mondes hinabsehen könne; es ging wohl, aber sie sah nichts als die Wolken seiner Gardinen, er mußte schon herausschauen, wenn sie ihn von diesem Platz aus zu Angesicht bekommen sollte, und das merkte sie schon, einen steifen Hals konnte sie sich füglich gucken, wenn sie immer das Köpfchen hinabbog. »Doch was schadet das,« lächelte sie, »das tu' ich ihm schon zu Gef–«
Mit einem Schrei des Entsetzens sprang sie auf, hatte sie recht gesehen oder hatte ihr nur die Phantasie diese Gestalt – als sie von der Bel-Etage des Mondes zurückkehrte, und ihr Blick zufällig an den Fenstern des zweiten Stockes vorbeistreifte, erblickte sie – »Nein, was bin ich für ein Kind!« dachte sie. »Wie wäre es möglich? Was könnte er nur hier zu tun haben?« Sie wagte noch einen Blick – richtig! der Rittmeister von Sporeneck lag geradeüber von ihr im Fenster und bückte und verbeugte sich herüber und tat und lächelte so vertraut und so freundlich, als hätte er sie jahrelang gekannt.
Voll Unmut über den Unverschämten riß sie an der seidenen Schnur, welche den Store am Fenster emporhielt, und rauschend rollte der Vorhang zwischen sie und den verhaßten Lüstling. Dieser Mann war ihr der widerwärtigste auf der Erde; er war ein schöner, kräftiger Soldat, gebildet, von glänzendem Witz, angenehm in der Unterhaltung; er wußte den Bescheidenen zu spielen, aber nicht länger als ein paar Tage, dann – das Mädchen, das er belagerte, mußte ja in dieser Frist kirre gemacht sein – dann kehrte er seine wahre Seite heraus, sein Auge wurde lüstern, seine Reden, lockend, schlüpfrig, mußten jedes zarte, weibliche Ohr aufs tiefste beleidigen, wenn es nicht schon ganz für ihn gewonnen war. So hatte er sich auch Ida genähert. Das unschuldige Kind hatte Gefallen an seinen Gesprächen, die ihr ein wenig mehr Gehalt zu haben schienen als die der übrigen jungen Herren, sie ging oft in seinen Witz, in seine heitere Laune ein. Er aber hatte sich ein rasendes Dementi[132] bei diesem Mädchen gegeben. Er hatte sie in eine Klasse gerechnet mit den verdorbenen Kindern der Residenz, die, zur Jungfrau herangewachsen, unter dem Schleier der Sittsamkeit eine kaum verhaltene Lüsternheit, ein sündiges Sinnen und Begehren verbergen. Diese hatte er immer bald aufs Eis geführt, und waren sie nur einmal in einem Wörtchen geglitscht und geschlüpfert, husch –; so hatte er auch bei Ida endlich, nachdem er alle edleren Farben hatte spielen lassen, die herausgekehrt, die jede andere geblendet hätte, aber vor dem strengen Blick der reinen Jungfrau nicht Farbe hielt. Mit Schanden, man sagt sogar mit einer tüchtigen Ohrfeige, war er abgezogen, erklärte Ida überall für ein Gänschen, schwur ihr bittere Rache und warf sich in die Arme der Aarstein, wo ihm ohne langweilige Präliminarien bald wurde, was er bei Ida durch tausend Künste umsonst gesucht hatte.
»Das ist aber auch zu abscheulich,« dachte Ida, »so wenig sich zu genieren!« Denn daß die Gräfin ihren Liebhaber mitgenommen, daß er auf keinem anderen Wege nach Freilingen gekommen sei, das hatte sie gleich weggehabt. Weiter dachte sich aber das gute, unschuldige Kind nichts dabei. Sie kannte zwar die grundlose Schlechtigkeit der Aarstein so ziemlich, sie wußte, daß diese gekommen sei, um den Grafen zu gewinnen; aber das ahnte sie nicht, daß man den Rittmeister nur dazu mitgenommen haben könnte, um sie von Martiniz' Herzen loszureißen, um sie in eben jenem Lichte zu zeigen, in welchem sie die Gräfin sah. Nein, an diesen wahrhaft höllischen Plan dachte das engelreine Herzchen, das allen Menschen gerne ihr Gutes gönnte, nicht. Und wie sollte sie auch daran gedacht haben? Sie glaubte ja gar nicht anders, als die Gräfin könne von ihrer Liebe zu Martiniz auch nicht die leiseste Ahnung haben; wußte ja sogar sie kaum seit Stunden, daß sie ihn recht innig liebe, hatte sie ja doch all ihre Sehnsucht, all ihre Liebe recht tief und geheimnisvoll im Herzchen verschlossen, und niemand könne, glaubte sie, da hineinsehen, als vielleicht höchstens Mart– ja, er mußte ja gefühlt haben, daß sie ihm gut sei, sonst hätte er wohl nicht jenes Geständnis gewagt, daß er sie lie–
Aber da schellte es schon zum zweitenmal in des Vaters Zimmer; wahrhaftig! die Teestunde war da, und noch manches war zu rüsten; die Gedanken an Rum und Zitrone, Zucker und Tee, Milch und Brötchen, Tassen und Löffelchen verdrängten alle anderen; sie flog die Treppe hinab, um schnell alles zu[133] ordnen. Dort stand schon Papa und flüsterte ihr zu: »Schicke dich nur, es sind allerhand Besuche da, und du könntest leicht mehr Rum brauchen als das Bouteillchen da!«
Als Ida in das Teezimmer trat, stellte ihr der Präsident, nein, sie hätte mögen gerade in den Boden sinken. – »Siehe da, Ida,« sagte er, »ein Bekannter von dir aus der Residenz, Herr von Sporeneck, hat uns diesen Abend mit seinem Besuch beehrt. Nun, das wird mein Kind freuen; wenn so einer von euch Herren in unser kleines Freilingen hereinkommt, ist es gleich ein Jubel und ein Fest für alle Mädchen, die nur einmal in der Residenz waren; da werden dann allemal in Gedanken alle Bälle und die kleinsten Touren noch einmal durchgetanzt und in der Erinnerung viel getollt; ich kenne das,« setzte der freundliche Alte hinzu, indem er sein Töchterchen in die Wange kniff, »war auch einmal jung und kenne das.« Er ging weiter und ließ den Rittmeister vor Ida stehen.
Diese wurde bald blaß, bald rot und zitterte, als sollte sie gerade umfallen. Dieser Mensch, den sie so schnöde abgewiesen hatte, dieser konnte es wagen, in ihres Vaters Haus zu kommen! Sollte sie ihn nicht öffentlich prostituieren; ihn einen impertinenten Menschen heißen und fortschicken? Doch nein, sie wußte, wie heilig das Gastrecht ihrem Vater war, sie wollte ihn schonen. – So hing sie ihren Gedanken nach und bemerkte nicht, wie der Rittmeister schon seit einigen Minuten neben ihr stand und an sie hinsprach. Jetzt kam sie wieder zu sich – was mußte nur der Graf denken, wenn sie so lange bei dem Menschen stand, mit welchem sie die Aarstein bei ihm so verdächtig gemacht hatte? Ihre Augen suchten den Geliebten – er saß neben der Gräfin, traulich hatte sie ihre Hand auf die seine gelegt, unverwandt sahen beide nach ihr und dem Rittmeister herüber – die Gräfin mit höhnischer Schadenfreude, mit triumphierendem Blick, der Graf starr und finster, als sehe er etwas, das er gar nicht für möglich gehalten hätte.
Und so war es ihm auch; noch waren immer Zweifel in ihm aufgestiegen, ob denn auch wirklich alles so sei, wie die Aarstein gesagt hatte, wie sein Mißtrauen ihm zuflüsterte; zwar das Hiersein des Rittmeisters – doch er konnte ja auch in Geschäften an das hiesige Regiment geschickt worden sein; dann die Zumutung, ihm ein Zimmer Ida gegenüber abzutreten; nun ja,[134] das war allerdings stark, und der böse Geist wollte ihm zuflüstern, daß dies schon sehr viel beweise. Aber sein besserer Sinn siegte doch wieder; das alles bewies ja nur höchstens, daß der Rittmeister in Ida verliebt sei, von ihrer Seite hatte er ja keinen Beweis gesehen. Aber recht Achtung wollte er geben auf Ida, das war sein Entschluß gewesen, als er durch die hellerleuchtete Enfilade von Präsidents Zimmern ging.
Er war heute einer der ersten, und in den hohen, weiten Zimmern beinahe niemand, den er näher kannte, oder mit welchem er in ein Gespräch sich hätte einlassen mögen. Daher ging er allein und in tiefen Gedanken durch die Zimmer. Da tippte es ihm leise auf die Schultern; wenn das Ida – dachte er; er sah sich freundlich um – es war die Gräfin. Sie verwickelte ihn bald in ein Gespräch, aus welchem er sich nicht so bald herauswirren konnte. Das fatalste war, daß er dem Redegang der Gräfin Plapperinsky immer folgen mußte, um nicht zerstreut zu erscheinen, und doch ging ihm immer der Rittmeister und sein Logis im Kopf herum.
»Nein, aber sagen Sie selbst, Graf,« fuhr sie fort, nachdem sie in einer Pause wieder Atem geschöpft hatte, »sagen Sie selbst, kann man artiger und aufmerksamer für seine Gäste sein als Ida? Denken Sie sich, meine Coffres und Vaches waren schon in den oberen Stock gebracht worden; es wohnt sich dort ganz hübsch, zwar sind die Zimmer nicht so elegant eingerichtet wie hier unten, doch Sie wissen selbst, auf Reisen macht man keine so großen Ansprüche, besonders wenn man so schnell und unangemeldet kommt wie ich. Ich war also schon ganz zufrieden in meinem Sinn und ließ auspacken. Da kommt das gute, liebe Engelskind, denken Sie sich, und ruht nicht eher, bis ich von ihrem schönen Boudoir, Schlafzimmerchen und allem hier unten Besitz nehme, und sie selbst zieht in ihrem Edelmut hinauf in den obern Stock. Nein, sagen Sie selbst, kann man die Gastfreundschaft weiter treiben als die gute Ida?«
»Sehr viel, sehr viel!« preßte Emil heraus, es war ihm, als schnürte ihm etwas die Kehle zusammen, als ob eine eiskalte Hand ihm in die Brust führe und das warme, liebeglühende treue Herz umdrehte und schmerzlich hin- und herreiße. Jetzt war es ja sonnenklar, entschieden war jetzt die fürchterliche Verstellungskunst dieser – – Dirne, die so schändlich mit ihm gespielt hatte; daß zwischen dem Logis des Rittmeisters und ihrer ungemeinen Gefälligkeit gegen die Gräfin ein geheimer Zusammenhang stattfand, konnte ein Blinder sehen.
Er lachte, es war das Lachen der Verzweiflung, und die ganze Hölle lachte aus ihm heraus. »Wahrhaftig, ein großes Opfer,« sagte er mit schrecklicher Lustigkeit zu der Gräfin, »eine ungeheure Großmut, die ganz allein aus der allerausgedehntesten Nächstenliebe und Gastfreundschaft hervorgeht!« Die Gräfin Aarstein-Satanas wußte wohl, daß sie sein Herz mit glühenden Zangen zwickte, wußte auch nur gar zu gut, woher die Logisveränderung kam, aber so vollständig, so schnell hatte sie sich ihren Sieg, ihren höllischen Triumph nicht vorgestellt.
Sie hatte ja nie so recht geliebt, sie wußte daher auch nicht, daß die stärkste, glühendste Liebe zugleich die schwächste und empfindlichste ist!
Jetzt kam auch der Rittmeister, der mit Empfehlungen an den Präsidenten reichlich versehen war. Der Graf bebte zurück vor ihm. Dieses gierige Auge, dieses höhnische Lächeln, diese falsche, schlaue, lauernde Miene, so ganz ohne höhere Bedeutung, ohne edlere Züge, diesen Menschen konnte Ida lieben! Er hätte jedem unter die Nase gelacht, der ihm vor zwei Tagen, als er noch an die Engelsunschuld des lieben Mädchens glaubte, hätte weismachen wollen; er hätte jeden einen Schurken geheißen, der dieses heilige, keusche Geschöpf mit diesem Mann, in dessen Gesicht schon alle Leidenschaften gewühlt hatten, nur im leisesten Verdacht gehabt hätte. – Jetzt mußte er ja selbst daran glauben. Wie ein Kind ließ er sich von der Aarstein leiten, sie zog ihn zu sich nieder, sie spielte die Verwunderte, den Rittmeister hier zu sehen, sie ließ manche giftige Bemerkung schlüpfen – er hörte nichts, er sah nichts, nur ein Gedanke beschäftigte ihn, er wollte recht haarscharf acht geben, wenn sie käme, wie sie sich gegen Sporeneck benehmen würde. Die Türe ging auf, sie kam. An der Hand des Vaters ging ihr der Geliebte entgegen, er sah, wie sie ihr Entzücken unterdrückte, wie Blässe und Röte auf ihrem Gesicht wechselten, wie sie ganz versunken in Liebe dem Rittmeister zuhörte, und wie glühende Dolche fuhr die bitterste Eifersucht durch sein Herz. – »Sehen Sie nur hin, Graf,« flüsterte ihm die Aarstein ins Ohr, »sehen Sie nur, wie glücklich die Leutchen dort sind! Das ist ein Erzählen, das ist eine Wonne, daß man einander nach ein paar Wochen wieder hat. Daß sie sich nicht auf der Stelle abherzen und küssen, ist alles!«
Dem Grafen wurde grün und gelb vor den Augen. – Jetzt nahte Ida, der Gesellschaft am Teetisch ihr Kompliment zu machen. Die Röte des Unmuts und der Verlegenheit lag noch[136] auf dem Gesichtchen und gab ihm einen so eigenen Reiz, daß der Graf nur um so tiefer fühlte, wie schrecklich sich hier die Natur vergriffen und um ein so falsches, zweideutiges Herz eine so herrliche Gestalt gezogen, warum sie gerade ihr, die es so gar nicht verdiente, diese sanften Taubenaugen, dieses holde Grübchen in den Wangen, dieses bezaubernde, huldvolle Lächeln gegeben. Sie verneigte sich gegen die Gesellschaft, die Gräfin drohte ihr lächelnd mit dem Finger, sie errötete von neuem. Sie mußte noch die Zuckerdose herbeiholen, sie hätte einen viel näheren Weg gehabt, aber sie machte einen Umweg an Martiniz vorüber, er wagte nur einen leichten Viertelseitenblick – auf ihn war ihr strahlendes Auge gerichtet, ihm lächelte sie, ihm flüsterte sie im Vorbeigehen kaum hörbar zu: »Guten Abend, Freund! Warum so ernst und düster?«
Er fühlte den süßen Hauch an seiner Wange, ein solcher Gruß hätte ihn sonst bis in den dritten Himmel erhoben, ein solches Zauberwort hätte sonst alle Wolken von seiner Stirne gebannt und die traurigsten Falten geebnet. Heute – er blieb starr und stumm. Nein, eine solche Erzgeneral-Armee-Kokette mußte es ja auf dem weiten Erdenrund nicht geben! Ist fünf Minuten außer sich, weil sie den alten Liebhaber wiedersieht, und um es doch mit dem neuen nicht zu verderben, flüsterte sie ihm – nein! jetzt sprudelte das Maß ihrer Schuld über. Der reine, wahrheitsliebende Jüngling konnte ihr verzeihen, daß sie einem so zweideutigen Menschen, wie dieser Sporeneck offenbar sein mußte, ihr Herz schenkte, er konnte ihr verzeihen, obgleich es ihm das Herz brechen wollte, daß sie mit ihm ein so grundfalsches Spiel gespielt hatte, er konnte es der schwachen, weiblichen Natur beimessen, daß sie sich, als der alte Liebhaber nahte, so ungeheure Blößen gab, er konnte dies alles verzeihen. Daß sie aber auch jetzt noch ihr Spiel fortspielen wollte, daß sie zweien auf einmal gehören wollte, nein, das ging über seine Begriffe. Er mußte, seine Natur mochte sich dagegen sträuben, wie sie wollte, es war ihm, als müsse er sie verachten. Aber sie hatte recht, obgleich in einem andern Sinn. Seine Ehre forderte es, daß er nicht dasaß wie ein armer Sünder, über welchen der Stab gebrochen wurde. Wenn auch besiegt, durfte er nicht traurig aussehen. Er wollte, er mußte lustig sein, und sollte sein Herz dabei aus allen Wunden bluten.
Der Hohn gegen die ganze Welt, der in der Brust des Tiefgekränkten aufstieg, gab ihm Kraft dazu. Eine Lustigkeit bemächtigte sich seiner, die er seit Jahren nicht gekannt hatte. Er[137] riß das Gespräch an sich, er strahlte von Witz und Leben, daß alle weiblichen Herzen dem herrlichen Mann, dem schönen, witzigen Grafen zuflogen. Allen galt sein Gespräch. Sein feuriges Auge schien jeder Dame etwas Schönes sagen zu wollen, ausschließend aber galt es der Gräfin. Er wußte selbst nicht, was ihn antrieb, ihr so sehr als möglich den Hof zu machen, aber es war ein dunkles Gefühl in ihm, als müsse es Ida recht tief verletzen, wenn er die Gräfin so sehr auszeichne, wenn er alle Damen für sich gewinnen wollte und ihr, ihr allein keinen Blick, kein Lächeln gönnte, nicht einmal zu hören schien, wenn sie hie und da ein Wörtchen mit einschlüpfen lassen wollte.
Und in der Tat erreichte er seinen Zweck vollkommen. Er hatte es getroffen, tief bis ins innerste Leben getroffen dieses treue Herz, das nur für ihn, mit dem Feuer der ersten jungfräulichen Liebe nur für ihn schlug! Ihr Blick hing an seinen Lippen, sie freute sich anfangs, daß er so fröhlich sei, sie glaubte nicht anders, als die paar Wörtchen, die sie ihm zugeflüstert, haben ihn aus seiner finstern Laune hervorgezaubert; ihr kleines Herzchen triumphierte. Als sie aber sah, wie er sich an alle wandte, nur an sie nicht, wie auch nicht ein Blick der Freundin galt, wie er nur für die Aarstein zu leben schien, als sie seinen schneidenden Hohn, die grelle Lustigkeit, den schillernden Witz, der ihm sonst gar nicht eigen war, bemerkte, da ahnte ihr wohl, daß ihm jetzt ein anderes Gestirn aufgegangen sein müsse, das seinen Einfluß auf ihn übe. Und wer konnte dies sein als die, die ihr von jeher feindlich entgegengetreten war? – Die Aarstein! Der Glanz der üppigen Rose hatte ihn geblendet, was konnte es ihm ausmachen, daß er nebenbei das Veilchen zertrat? Sie klagte nicht, sie weinte nicht, aber eine furchtbare Blässe lag auf dem holden Engelsgesichtchen, ein wehmütiges Lächeln spielte um ihren Mund, sie sah ja alle die leise geahnten Hoffnungen ihres Herzens, die sie, ach! nur in einem einzigen seligen Augenblicke, recht klar sich gestanden hatte, sie sah sie alle mit einemmal versinken und – mit dem Freunde untergehen. Von Anfang war es ihr noch, als flattere eine Art ängstlicher Eifersucht in Gestalt einer Fledermaus durch den kaum dämmernden Morgenhimmel ihrer Liebe. Dann aber war alles stille Nacht in ihr. Es blieb ihr nichts mehr als ein großer Schmerz. Sie fühlte, daß sie diesen ewig, ewig in ihrem treuen Busen tragen werde.
Wie es an jenem Abend war, ebenso war es auch in den nächsten Tagen. Der Hofrat hätte vielleicht alles bald wieder ins Gleis bringen können, aber das Unglück wollte, daß er in wichtigen Angelegenheiten an demselben Abend verreisen mußte, an welchem die Gräfin ankam. Die Gräfin schrieb, so oft sie es unbemerkt tun konnte, an den Rittmeister in den Mond hinüber und spornte ihn an, Ida nur noch immer mehr zu verfolgen. Nach den letzten Briefen schien es zwar wegen ihrer selbst nicht mehr nötig zu sein, weil sie den Grafen schon so umgarnt zu haben glaubte, daß an kein Entrinnen mehr zu denken sei. Dem war aber nicht also. Dem Grafen, der nur durch die Brille der Eifersucht sah, wollte es trotz seiner Resignation fast das Herz abdrücken, daß Ida in einem solchen Verhältnis mit dem Rittmeister sei. Wenn er bei Präsidents war, ach, es war ja nicht wie ehemals; sonst war sie ihm wohl bis an die Treppe entgegengesprungen, hatte mit lachendem Mund ihn geneckt oder ihm einen neuen Schnack aufgetischt, hatte ihn dann unter Tollen und Lachen hereingezogen ins Zimmer, dort war dann das Mäulchen gegangen wie ein oberschlächtiges Mühlchen, und keine fünf Minuten hatte sie ruhig sitzen können, ohne daß sie aufgesprungen wäre, dort was zu holen, hier was zu zeigen, und welche Freude gewährte es dann, das Mädchen dahinhüpfen zu sehen! Ihr Gang war dann Tanz, alles war Leben, alles Grazie und Anmut, es war, wie wenn über die ganze Gestalt ein zauberisches Lächeln gewoben gewesen wäre, und jetzt – und jetzt!
Kalt und ernst sah sie ihn an, wenn er kam; oft wollte es ihn zwar bedünken, sie setze schon an, um ihm wie sonst entgegenzuhüpfen, da mußte sie aber wohl an den Sporeneck denken, denn sie neigte sich so abgemessen, als wäre er ihr ganz und gar fremd; oft kam es ihm sogar vor, als liege etwas so Wehmütiges in dem lieben Gesichtchen, das er sich nicht anders erklären konnte, als daß es sie reue, ihn so am Narrenseil geführt zu haben, daß sie sich schäme, so unverhofft demaskiert worden zu sein. Zuzeiten wünschte er sich auch den Hofrat herbei, um mit ihm über das Mädchen und seine grenzenlose Koketterie zu sprechen.
Daß doch die Männer gewöhnlich so grausam sind und nicht sehen, was so offen vor den Augen liegt! Sie lesen in[139] Taschenbüchern und Romanen alle Folgen unglücklicher, verschmähter Liebe, alle Zeichen eines gebrochenen Herzens; sie können es sich auch in der Phantasie recht lebhaft vorstellen, wie ein gutes, liebes Engelskind mit einem vom Gram der Liebe gebrochenen Herzen aussehen müsse, sie nehmen sich vor, das nicht zu vergessen; aber wenn es drauf und dran kommt, wenn sie selbst aus Uebermut oder törichter Eifersucht ein schönes, nur für sie schlagendes Herz gekränkt, geknickt, gebrochen haben, da merken sie es nicht, sie können sogar noch ein recht ungläubiges Hohngelächter der Hölle aufschlagen, wenn man ihnen die stille Träne im trüben Auge, den wehmütig ansprechenden Zug um den Mund zeigt, wenn man sie aufmerksam macht auf die immer bleicher werdenden Wangen. »Da wird man seine Gründe haben,« lachen sie und gehen ungerührt vorüber und denken nicht, daß man auch ohne Doktor und Apotheker am gebrochenen Herzen sterben könne.
Die Eifersucht macht blind; nirgends schien dieser Ausspruch besser in Erfüllung zu gehen, als hier bei Martiniz und Ida.
Für ihren tränenschweren Blick, für ihren wehmütigen Ernst wußte er tausend Gründe anzugeben, wußte sich mit wieder tausend Vermutungen zu quälen und zu härmen, die rechte fand er nicht. Es war eine wunderbare Veränderung vorgegangen mit diesem Mädchen in den paar Tagen. Sonst das Leben, die Fröhlichkeit selbst, jetzt ernst und abgemessen. Die bleicheren Wangen, das trübere Auge, das ja so deutlich von tränenvollen Nächten, von gramerfüllten Träumen sprach, wollte niemand verstehen, am wenigsten der, um welchen diese stillen Tränen flossen. Es war ihr oft zumut, als sollte sie nur eben die heißen, ausgeweinten Augen zuschließen und sich in das Grab legen lassen; dort, wenn die Erde so kühl um die vier Bretter und zwei Brettchen, welche die arme Ida umschließen, sich legen werde, dort, wo sie nicht mehr gefoltert werde von dem Anblick, wo ihr geliebter Jüngling näher und näher, enger und enger in die Schlingen jener Sirene sich verwickele – dort, dachte sie, müsse es gut schlummern sein. Denn das war ihr ja das ärgste nicht, daß sie zurückgesetzt war; nicht, daß sie es war, die er verließ, um sich dem Triumphzug der allgemeinen Siegerin anzuschließen, nicht das brach ihr das Herz. Zwar es hatte ihr Mühe und Tränen gekostet, bis sie es dahin gebracht hatte, daß sie nicht mit Bitterkeit daran dachte, daß er, als kaum das Geständnis seiner Liebe über seinen Lippen war, schon[140] andern Sinnes sein konnte; aber sie hatte überwunden; sie war tief in sich gekehrt; aus den geheimnisvollen, unergründlichen Tiefen der heiligen jungfräulichen Brust hatte sie Mut heraufgeholt, um den Gedanken zu ertragen, daß der, den sie liebe, einer andern angehören könne.
Aber dagegen sträubte sich mit aller Macht ihr keusches, bräutliches Herz, daß er an jene, auf welche die Kinder in der Residenz mit den Fingern deuteten und sich ihre Schandtaten erzählten, daß er an jene verloren gehen sollte. Wäre er ein Mann gewesen, der frech mit ihrem armen, unerfahrenen Herzchen gespielt hätte, sie hätte es ertragen, daß er bei der Gräfin dafür büßen sollte; aber Emil – ihr feiner, weiblicher Takt, der darin so weit und so scharf sieht, sagte ihr, daß er noch ein Neuling in der Liebe sei, daß er sein Herz frei bewahrt habe, bis sie ihn kennen gelernt habe, daß sie seine erste Neigung gewesen sei; und doch er, der so namenloses Unglück schon erduldet hatte, auch er sollte durch dieses Weib unglücklich werden? Ach, wie oft wünschte sie sich ihren alten Freund, den Hofrat, herbei! Ihm hätte sie alles, alles vertraut, auch jenen Augenblick der seligen Liebe, wo er ihr gestand, daß er sie liebe, wo er sie umschlang und an sein pochendes Herz drückte, wo er sie mit den süßesten Schmeichelnamen der Zärtlichkeit genannt, wo ihr Mund sich schon zum ersten, heiligen Kuß der Liebe ihm entgegengewölbt hatte; dies alles war ja längst vorüber, war begraben, tief, tief in ihrem Herzen, mit aller Hoffnung, aller Sehnsucht, die es einst erweckt hatte; aber Berner durfte es wissen, ihm hätte sie alles gesagt und ihn dann zum warnenden Schutzgeist für den Grafen aufgerufen.
Aber er war noch nicht zurück, darum verschloß sie ihren Schmerz in die Seele; aber mit Angst und Zittern sah sie, wie der Graf um die Aarstein flatterte wie die Fliege um das Licht. Alle Beispiele von den sinnlichen Lockungen dieser Sirene, die man sich in der Residenz in die Ohren geflüstert, fielen ihr bei; wie leicht konnte er in einem unbewachten Augenblick, hingerissen von den verführerischen Reizen der üppigen, buhlerischen Dame Potiphar – sie errötete vor dem Gedanken und preßte die Augen zu, als sollte sie was Schreckliches sehen. Wenn etwas solches geschah – dann war er der Gräfin und dem Satan auf ewig verschrieben.
So verdeckt hier jedes sein Spiel spielte, so geheim alle diese Fäden gesponnen, angeknüpft und nach und nach zu einem dichten Gewebe verschlungen wurden, so merkte man doch hin und wieder, was vorging. Fräulein von Sorben und die alte Schulderoff wurden von Tag zu Tag durch die getreuen Rapporte des Rittmeisters von Sporeneck über den Stand der Dinge belehrt. Ihre scheelblickenden Augen glänzten vor Freude, wenn sie wieder Neues erfuhren. Der Graf war ihnen ein verlorener Posten, den Fräulein Ida weder mit Tränen noch Gebet wieder heraushauen konnte.
Nichts war ihnen aber größeres Labsal als das Fräulein von der traurigen Gestalt selbst, wie sie Ida nannten. Daß sie ernster, blässer, trüber war als sonst, war weder ihrem noch des Rittmeisters Scharfblick entgangen, und eine wahrhaft teuflische Schadenfreude, die sich in einem vierstimmigen Gelächter Luft machte, befiel sie, als Sporeneck erzählte, daß er sie durch seinen Tubus, mit welchem er hinter seinen Gardinen nach Idas Fenster visierte, bitterlich habe weinen sehen.
Aber Fräulein von Sorben sorgte auch dafür, daß Ida in ihrer Verzweiflung sich nicht dem Rittmeister in die Arme werfen konnte; sie hatte alle ihre Geistes- und Körperreize teils vor ihm entfaltet, teils durchschimmern lassen, und ihrem scharfsinnigen Auge konnte es nicht verborgen bleiben, daß er ganz bezaubert davon war. Es ist nur schade, daß er auf die Liebe so trefflich eingeschult war, daß er sechs oder acht der zärtlichsten Liebschaften zumal haben konnte und jede die Betrogene war. So hatte also die beleidigte Dame dem naseweisen Backfisch, der sich erdreistet hatte, in ihrer Gegenwart Grafen in sich verliebt zu machen, zwei Liebhaber auf einmal weggeputzt. »Da kann man sehen,« sagte sie zu sich, »was die Routine macht. Das armselige Ding ist kaum sechzehn Jahre gewesen, ich habe sie noch in den Windeln gesehen, und sie will sich mir gleichstellen. Aber das Affengesicht hat jetzt seinen Lohn, man hat dem unreifen Ding den Mund sauber abgewischt, hat ihr die verliebten Aeuglein ausgeputzt, daß sie sieht, daß in der ganzen Welt vierundzwanzig vor sechzehn kommt.«
Aber auch der alte Brktzwisl, die gute ehrliche Seele, hatte das Ding so ein wenig gemerkt. Als sie damals miteinander aus der Kirche gekommen waren – seitdem hatte der schreckliche Wahnsinn seinen Herrn kein einziges Mal mehr befallen[142] – damals hatte er sich ein Herz gefaßt und zu dem Grafen gesagt: »Wie doch das Fräulein so hübsch, so tausenddonnernett aussah am Altar. Bassa manelka, wie müßte sie erst aussehen bei Tag und als Bräutchen –!« Dem Grafen schien der Gedanke nicht übel einzuleuchten, denn er hatte zufrieden gelächelt und gesagt: »Nun, was nicht ist, kann noch werden.« Er aber hatte sich folgenden Tages gleich hingesetzt und an den alten Herrn Grafen geschrieben: »So und so, und dem gnädigen Fräulein und sonst auf Gottes weitem Erdboden niemand ist man die Rettung meines Herrn schuldig. Es kann aber auch in sechs Herrenländern kein solches Wunderkind mehr geben. Die selige Komtesse war doch auch nicht, mit Respekt zu vermelden, aus Bohnenstroh, aber Gott weiß, sie reichte dem schönen Fräulein das Wasser nicht. Und vornehm sieht sie aus, als wäre sie allerwenigstens ein Stück von einer Prinzeß. Der junge Herr ist aber auch rein in sie verschossen, und ich meine, daß es nicht menschenmöglich gewesen wäre, ihn zu kurieren, außer durch so große Inbrunst und Liebhaberei. Das hat ja auch schon der deutsche Doktor prophezeit, wie ich Euer Exzellenz, meinem gnädigsten Herrn Grafen, vermeldet habe.«
So lautete die Freuden-Epistel an den alten Onkel, worin die Errettung vom Wahnsinn gemeldet wurde. Die Freude wollte dem alten Diener beinahe die Herzkammertüre zersprengen, bis er die Buchstaben alle aufs Papier gemalt hatte. Bisher hatte er allwöchentlich Bericht erstatten müssen. Da hatte es denn aus Italien, Frankreich, Holland, vom Genfer See, am Rhein, an der Seine, an der Nordsee immer geheißen: »Der Herr Graf befindet sich noch im alten Zustand.« – »Die Krankheit scheint zuzunehmen.« – »Die Aerzte wußten wieder nichts.« – »Die Aerzte geben ihn auf.«
Hier in dem unscheinbaren Städtchen, hier endlich sollte das Heil, der Stern des Segens aufgehen. Er konnte sich die Freude des alten Herrn denken, der so ganz an Emil wie an einem Sohn hing; er sah schon im Geiste, wie der Herr Graf lächeln, die Hände reiben und rufen werde: »Nun, in Gottes Namen, macht Hochzeit!«
Aber jetzt mußte der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt haben, denn sein Herr – der sah gar nicht mehr so glücklich und selig aus wie damals, als jene Freudenbotschaft abging – er war niedergeschlagen, traurig; fragte der alte Brktzwisl, dem aus alten Zeiten eine solche Frage zustand, was ihm denn fehle, so erhielt er entweder gar keine Antwort oder der Graf stöhnte[143] so schmerzlich, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen, und sagte dabei: »Du kannst mir doch nicht helfen, alte Seele!«
Es wollte ihm nun gar nicht recht gefallen; er klügelte hin und her, was es denn wohl sein könne, das seinen Herrn auf einmal so stutzig und trutzig mache – da ist ein Gast drüben bei Präsidents, eine große Dicke, so halb Jungfer, halb Frau, hat die vielleicht Unkraut gestr–
Ja, das konnte sein, das schien dem alten Brktzwisl sogar wahrscheinlich; wenn er aber dieser nachlief und das schöne Fräulein im Stich ließ – nein, er wollte seinem Herrn nichts Böses wünschen, aber da soll ihm doch das siedende Donnerwetter auf den Leib – er schlug zu diesem Gedanken so grimmig auf seines Herrn Rock zu, den er im Hausgang ausklopfte, daß der Staub in dichten Wolken umherflog. »Ja, da wollte ich,« rief er in seinem Selbstgespräch weiter und klopfte immer schrecklicher, »wenn du die dicke Trutschel nimmst und das schöne Fräulein, die dich aus den Klauen des schwarzen Teufels herausklaubte, wenn du die fahren läßt, alles siedende Schwefelpech des Fegfeuers soll dich dann kreuzmillionenmal –«
»Wen denn?« fragte eine tiefe Stimme hinter ihm. Er sah sich um und glaubte nun gleich in den Boden sinken zu müssen. Ein großer ältlicher Mann, mit feinen klugen Gesichtszügen, in einem schlichten Reiseüberrock, dem nur ein vielfarbiges Band im Knopfloch einige Bedeutung gab, stand vor ihm. »Alle guten Geister!« stammelte endlich Brktzwisl, indem er den Fremden noch immer mit weit aufgerissenen Augen anstarrte – »wie kommen Euer Ex–«
»Halt jetzt dein Maul von dergleichen,« sagte der Herr mit dem Ordensband freundlich, ich reise inkognito und brauche diesen Firlefanz nicht; wo ist dein Herr?«
Starr und stumm bückte sich der alte Diener mehreremal, führte dann den fremden Herrn den Korridor entlang zur Türe seines Herrn, erwischte dort noch einen Rockzipfel, küßte diesen mit Inbrunst und sah zu seiner großen Herzensfreude, wie sein junger Herr mit einem Ausruf der Freude dem Fremden in die Arme sank.
Der Fremde war aber niemand anders als – doch gerade fällt uns ein, daß der Herr, wie er sich gegen Brktzwisl äußerte, inkognito reiset, und es wäre daher auch von uns höchst indiskret, wenn wir dieses Inkognito früher verrieten, als der fremde Herr selbst für gut findet, es abzulegen.
Ein stiller, aber scharfer Beobachter erschien jetzt auf dem Schauplatz, es war der fremde Herr, den der Graf unter dem Namen eines Herrn von Ladenstein bei dem Präsidenten einführte. Die Empfehlung eines Hausfreundes, wie der Graf war, hätte schon hingereicht, ihn in diesem Hause willkommen zu machen; aber die vom Alter noch nicht gebeugte Gestalt des alten Herrn voll Würde und Anstand, sein sprechendes Gesicht erwarben ihm Achtung, und als vollends der Präsident, ein Kenner in solchen Dingen, das Theresienkreuz auf seiner Brust wahrnahm, stieg seine Achtung zur Verehrung. Er wußte, daß, wer dieses Zeichen trug, ein Ritter im vollen Sinn des Wortes war, und daß ein solcher sich gewiß einer Tat rühmen durfte, die nicht die Laune des Glücks oder hohe Protektion zu einer glänzenden erhoben, sondern die aufgesucht unter Gefahr hohen Mut und tiefe Einsicht bewährte.
Vorzüglich Ida fühlte sich von diesem Manne wunderbar angezogen. Seit der Spannung zwischen ihr und Martiniz hatte sie immer mit geheimem Widerwillen der Teestunde, sonst ihre liebste im ganzen Tag, entgegengesehen. Der Graf kam entweder gar nicht oder sehr spät oder er unterhielt sich mit der Aarstein. Die Sorben und andere dergleichen Fräulein und Damen kamen ihr schal und langweilig vor, daß sie glaubte, nicht eine Stunde bei ihnen sitzen zu können; der Rittmeister, dessen Geschäfte beim hiesigen Regimente noch immer nicht zu Ende gehen wollten, war ihr am fatalsten von allen.
Sein erstes war immer, daß er sich mit seinem Stuhl neben sie drängte und dann so bekannt und vertraut tat, als wären sie Zeltkameraden, er half ihr Tee einschenken, Arrak und Milch umherreichen, und verrichtete alle jene kleinen Dienste, die einem begünstigten Liebhaber von seiner Dame erlaubt werden. Dabei nahm er sich oft die Freiheit, ihr in die Ohren zu flüstern, aber die gleichgültigsten Dinge, etwa ob sie noch mehr Milch oder noch mehr Zucker bedürfe, sah aber dabei aus, wie wenn er die zärtlichste Liebeserklärung gewagt hätte.
Daher kam ihr der alte Ladenstein sehr zustatten. Sie sorgte dafür, daß er neben sie zu sitzen kam, und nun durfte sie doch für diesen Abend sicher sein, daß der Rittmeister nicht ihr Nachbar würde.
Und wie angenehm war seine Unterhaltung! Alles, was er sagte, war so tief und klar gedacht, so angenehm und interessant,[145] und trotz seines grauen Haares, trotz seiner sechzig Jährchen, die er haben mochte, war eine Kraft, ein Feuer in seinen Reden, das einem Jüngling keine Schande gemacht hätte. Aber auch dem alten Herrn schien das Mädchen zu behagen; sein ernstes Gesicht heiterte sich zusehends auf, seine lebhaften Augen wurden glänzender – solch ein Mädchen hatte er selten getroffen, und er war doch auch ein bißchen in der Welt gewesen. Diesen klaren Verstand, dieses richtige Urteil, diese Gutmütigkeit neben so viel Humor und Witz, er war ganz entzückt. Und überall war sie zu Haus; er bewunderte die wunderherrlichen Blumen, die sie machte, man kam von diesen auf die natürlichen Blumen, auf seltene Pflanzen. Er beschrieb ihr eine Blume, die so wunderschön aussehe und die sich zu Girlanden gar hübsch ausnehmen würde, aber der Name fiel ihm nicht ein. Kaum hatte er die Form der Blätter erwähnt, so sagte sie ihm auch schon, daß die Blume Calla aethiopica heißen müsse, weiß blühe und auch äthiopische Drachenwurz genannt werde. Er bekam ordentlich Respekt vor dem holden Kind, das so gelehrt sein konnte; aber da war nicht jenes Prahlen mit Kenntnissen, das man bei gelehrten Damen so oft findet. Nein, als die Blume abgemacht war, sprach sie auch kein Wörtchen mehr von Botanik, und es war, als habe sie nie davon gesprochen.
Er kam auf die neueste Literatur und pochte da an; wahrhaftig, sie hatte alles gelesen und zwar nicht nur, was man so aus Leihbibliotheken bekommt oder in einem Almanach findet; nein! sie hatte interessante Geschichtswerke gelesen und eigentlich studiert. Aber auch daraus machte sie nichts Großes. Je wichtiger das Werk war, desto bescheidener war ihr Urteil, und dabei tat sie so unbefangen, als ob jedes Mädchen dergleichen gelesen hätte. Und als sie auf ausländische Literatur kamen, als sie von Lord Byron, seinen herrlichen Gedichten und seinem unglücklichen Ende sprachen, als der alte Herr mit dem Theresienkreuz ihn dennoch glücklich pries, weil sein Geist sich höher als alle anderen geschwungen, weil er den Menschen und die ganze Natur so tief erkannt habe; da antwortete ihm – nein, es ging über seine Begriffe – antwortete ihm die kleine Wetterhexe mit Byrons eigenen Worten, als hätte sie seinen Manfred eben erst gelesen:
[2] Erkenntnisbaum ist nicht des Lebens Baum.
Er war ganz selig, der alte Herr, ein solches Mädchen hatte[146] er in vielleicht zwanzig Jahren nicht gefunden. Und das schnepperte und bepperte mit seinem lieben, hübschen Schnäbelchen so unschuldig in die Welt hinein, das blickte ihn mit seinen frommen Taubenaugen, in welchen doch wieder ein wenig der lose Schalk saß, so wundervoll an, er war ganz weg und dankte dem Grafen tausendmal, als sie wieder in den Mond zurückgekommen waren, daß er ihn mit einem so interessanten Geschöpf bekannt gemacht habe.
Dieser sah ihn wehmütig an und seufzte. »Glauben Sie mir,« sagte er, »auch ich war einst erfüllt von diesem Himmelskind; auch mir war sie eine Erscheinung wie aus dem Jenseits, wie des großen Dichters Mädchen aus der Fremde; ich sah, wie sie mit ungetrübtem Frohsinn und dennoch mit einer Würde, einer Höhe, jedem eine Gabe reichte; mir, wähnte ich, mir habe sie der Gaben schönste aufbewahrt – ach! da gewahrte ich, daß schon ein anderer diesen Kranz zerpflückt –«
»Nein, ich kann's nicht glauben,« rief der ehrwürdige Theresienritter, »dieses Mädchen kann nicht so niedrig denken, kann nicht das tiefe, herrliche, jungfräuliche Herz an einen Windbeutel verlieren, wie der Sporeneck ist, dessen seichtes Wesen, dessen Gemeinheit ihr ja gleich den ersten Augenblick nicht verborgen bleiben konnte!«
»Aber mein Gott,« rief Emil ungeduldig, »habe ich Ihnen nicht gesagt, was mich die Gräfin merken ließ, was ich mit eigenen Augen sah? Nehmen Sie doch nur zum Beispiel, daß sie ihm gleich in den obern Stock nachzog, um ihn recht vis-a-vis zu haben –«
»Beweist viel, recht sehr viel, und doch wieder nichts, gar nichts, denn ein so kluges Mädchen wie die Ida trägt ihre Liebe nicht so schamlos zur Schau.«
»Aber die Gräfin sagt mir ja, die Gräfin –«
»Eben die Gräfin sagte dir alles, Freundchen, und eben der Gräfin traue ich nicht, dazu habe ich meine vollkommen gegründeten Ursachen. Ich habe sechzig Jahre in der Welt gelebt, du erst deine zwanzig, darum darf ich auch meinem Blicke trauen, denn ich bin unparteiisch und schaue nicht durch die grüne Konversationsbrille der Eifersucht. Ich habe diesen Abend Dinge gesehen, die mir gar nicht gefielen; doch der Erfolg wird lehren, daß ich recht hatte.«
So sprach der alte Theresier mit dem Grafen; doch auf ihn schien es wenig Eindruck zu machen, denn er murmelte: »Weiß alles, und ist alles gut, wenn nur der verdammte Rittmeister nicht wäre!«
Was doch oft an einem kleinen unscheinbaren Zufall das Glück der Menschen hängt! So fragte an diesem Abend der Kellner die beiden Fremden, ob sie unten an der Tafel oder hier oben in ihren Appartements speisen wollen. Der Graf, der seit des Hofrats Reise abends selten mehr hinabgekommen war, stimmte dafür, auf dem Zimmer zu speisen, indem er sich schlechte Unterhaltung unter den Offizieren, Assessoren, Ober- und Unter-Justizleuten versprach. Der ältere Herr aber redete ihm zu; man sehe und höre doch manches unter den Gästen, was zum Nachdenken oder zur Augen- und Ohrenweide dienen könne – sie gingen. Gerade an diesem Abend hatte der Rittmeister von Sporeneck einige Freunde der Garnison zu sich auf ein Abendbrot in den Mond gebeten.
Sie hatten schon auf seinem Zimmer mit Rheinwein angefangen und waren bereits ganz kordial. Der Rittmeister hatte auch alle Ursache, ein kleines Sieges- und Jubelfest zu veranstalten. Die Gräfin hatte ihm, wie gewöhnlich durch ihre Zofe, die mit seinem Bedienten in telegraphischer Verbindung stand, geschrieben, daß Idas Niederlage jetzt vollkommen sei. Der Graf sei nie so warm gegen sie gewesen wie diesen Abend, und sie sähe nächstens einer Erklärung von seiner Seite entgegen. Das hatte der Rittmeister seinem Vertrauten, dem Leutnant von Schulderoff, und einigen andern vorgetragen, man stieß an auf das neue gräfliche Paar und auf den galanten Hausfreund, und so kam man auch, weiß nicht wie, darauf, ob man nicht den Grafen auch einmal ein wenig schrauben sollte. Sie stimmten alle darüber ein, daß dies sehr dienlich wäre, um Unterhaltung für den heutigen Abend zu haben, und sie machten sich auch gar kein Gewissen daraus. Ja, wenn er Soldat wäre, dann wäre es etwas anderes; einen Kameraden schraubt man nicht gerne, aber solch ein ziviles Gräfchen, das in der Welt umherreist, um den Damen schön zu tun und sein Geld auf die langweiligste Manier totzuschlagen – nun, das kann man mit gutem Gewissen.
Mit diesem löblichen Vorsatz hatten sich die Marssöhne nicht weit von der Stelle placiert, wo Martiniz gewöhnlich zu sitzen pflegte, und harrten, ob er nicht komme. Er kam, und mit ihm der andere Gast, aber diesmal ohne Ordensband, denn er hatte nur einen unscheinbaren Oberrock an. Martiniz und der ältere Herr unterhielten sich flüsternd miteinander; um so lauter waren die Kriegsgötter; die Pfropfen der Champagnerbouteillen fingen an zu springen, und in kurzem waren die Herren allesamt kreuzfidel und erzählten allerlei Schnurren aus ihrem Garnisonsleben. Die übrigen Gäste hatten sich nach und nach verlaufen. Das Kapitel der Hunde und Pferde war schon abgehandelt, und der Rittmeister hielt es jetzt an der Zeit, die Schraube anzuziehen. Er gab also Schulderoff einen Wink, und dieser ergriff sein Champagnerglas, stand auf und rief: »Nun, Bruder Sporeneck, eine Gesundheit recht aus dem Herzen – deine Ida!«
Aufflogen die Dragoner von ihren Sitzen, tippten die feinen Lilienkelche aneinander und sogen den weißen Gischt mit einer Wollust aus, als hätte die Gesundheit ihnen selbst gegolten. Martiniz biß die Lippen zusammen und sah den Theresienritter an.
»Auf Ehre, ein Götterkind, Herr Bruder,« fuhr Schulderoff fort, »ich wäre selbst imstande gewesen, sie zu lieben, hätte ich nicht deine früheren Rechte gewußt und mich daher bescheiden zurückgezogen.«
»Auf Ehre, ich hätte es ihr wohl gönnen mögen,« antwortete der großmütige Liebhaber, »wenn man so einen Winter allein zubringen soll, ist es für ein junges, warmes Blut immer fatal, wenn es sich nicht Luft machen soll. Einen braven Kerl, wie du bist, hätte ich ihr zum Intermezzo wohl gewünscht, wäre mir lieber gewesen, als hören zu müssen, daß mir so ein fremder Gelbschnabel ins Nest habe sitzen wollen.«
Das Herzblut fing dem Grafen an zu kochen. In solchen Ausdrücken von einem Mädchen reden zu hören, das er liebte und ehrte – es war beinahe nicht zu ertragen, doch hielt er an sich, denn er wußte, wie schlimm es ist, in einem fremden Lande ohne ganz gegründete Ursache Händel anzufangen.
»Hattest du bange?« lachten die Reiter den Rittmeister an.
»Nicht im geringsten,« replizierte dieser; »ich kenne mein Täubchen zu gut, als daß ich hätte eifersüchtig werden sollen; wenn auch zehn solche Wichte ins Nest gesessen wären, sie hätte[149] sich doch von keinem andern schnäbeln lassen als von ihrem Hähnchen.«
Allgemeines Gelächter applaudierte den schlechten Witz. Der Graf – es war ihm kaum mehr möglich, anzuhalten; er sah voraus, es werde so kommen, daß ihm nur zwei Wege offen stehen würden, entweder sich zu entfernen oder loszubrechen.
Das erstere war jetzt nicht mehr möglich; seine Würde als Abkömmling so tapferer Männer ließ einen solchen Rückzug nicht zu, und was würden seine Ulanen gesagt haben, wenn er so vom Kampfplatz sich weggestohlen hätte? Die nächste schicklichste Gelegenheit mußte entscheiden.
»Nun, Brüderchen,« sagte ein anderer zum Rittmeister, »wir sind hier so ziemlich unter uns, gib weich, beichte uns ein wenig, wie stehst du mit der kleinen Präsidentin?« Der Rittmeister spielte von Anfang den Zarten, Zurückhaltenden, endlich aber auf vieles Zureden gab er wirklich weich und – rühmte sich heimlich von ihr erhaltener Begünstigungen, die Emils Blut zu Eis erstarren ließen. Plötzlich aber, wie eine Erleuchtung von oben, trat ihm das Bild des unschuldigen, engelreinen Kindes, mit ihrem sanften Blick, mit ihrem keuschen, jungfräulichen Erröten vor das Auge – nein! nein! rief es mit tausend Stimmen in ihm, es kann ja nicht wahr sein, so weit verfehlt sich der Himmel nicht, daß er die heiligste Unschuld auf die Züge einer Metze malte. Er stand auf und stellte sich dicht vor den Rittmeister. »Von wem sprechen Sie da, mein Herr?« fragte er ihn. Der Rittmeister konnte sich nichts Erwünschteres denken, als daß endlich die Engelsgeduld von dem zivilen Gräfchen gewichen sei. Er wollte ihn mit einem Blick einschüchtern und setzte daher an, die Augen recht an ihn hinrollen zu lassen; da kam er aber an den Falschen.
Er begegnete einem jener Glutblicke, die dem Grafen so eigen waren; Hoheit, Mut, Zorn, alles sprühte auf einmal wie mit einem Feuerstrom aus diesen Augen auf ihn zu, daß er die seinigen betroffen niederschlug. »Was fällt Ihnen ein? Was kümmert Sie unser Gespräch? Es ist hier niemand, der danach zu fragen hätte.«
»Sie haben,« fuhr der Graf mit großer Mäßigung fort, »Sie haben dem ganzen Zimmer hier mit vernehmlicher Stimme[150] Ihre Sottisen erzählt, es hat also auch jeder das Recht zu fragen, von wem Sie sprachen, und ich frage jetzt!«
»Mein Herr, das kommt mir schnackisch vor,« lachte der Rittmeister; »es kann doch wahrhaftig jeder von seinem Schätzchen reden, ohne daß ein anderer sich darein zu legen hätte. Wenn Sie übrigens durchaus uns mit Ihrer Gesellschaft beehren wollen – Kellner, noch einen Kelch hierher für den Herrn da!«
»Ist unnötig,« rief der Graf, »es ist mir durchaus nicht um Ihre werte Gesellschaft zu tun, sondern nur die Frage, die ich an Sie tat, möchte ich gerne beantwortet haben.«
»Nun ja,« schnarrte Sporeneck, »wenn Sie sich durchaus in meine Herzensangelegenheit mischen müssen, was ich übrigens nicht sehr delikat finde, ich habe von Fräulein Ida von Sanden, meiner Nachbarin, gesprochen.«
»Und von dieser Dame wagen Sie auf so freche Weise zu sprechen, wie Sie vorhin taten?«
»Wer will es mir wehren?« lachte der Rittmeister und maß den Grafen von oben bis unten, wobei er übrigens sich hütete, seinem Auge zu begegnen. »Wer will es mir wehren, ein jeder kann zu seinem Heu Stroh sagen!«
»Sie beharren also auf dem, was Sie von der Dame aussagten?«
»Dame hin oder her,« antwortete der Rittmeister. »Sie fangen an, anmaßend zu werden; ich werde vor Ihnen und zehn solcher – Polacken behaupten, was ich sagte.«
»Nun ja,« sagte der Graf, indem er sich stolz aufrichtete und an die übrigen Offiziere, die bisher mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatten, wie der Graf geschraubt würde, sich wandte, »nun ja, so muß ich nur Sie bedauern, meine Herren, daß Sie sich auf diese Art unterhalten lassen von diesem erbärmlichen Lügner.«
»Donner und alle Teufel!« fuhr der Rittmeister auf, »wie kommen Sie mir vor, Herr! Ich glaube, Sie haben Platz zwischen den Rippen für blaue Bohnen.«
»Tun Sie, was Ihnen beliebt,« sagte der Graf, »ich wohne hier und bin auf Nr. 2 zu finden.« Er ging, der alte Theresienritter mit ihm. »Das ist spaßig,« lachte der Rittmeister, obgleich es ihm nicht recht frei von der Brust wegging, »das ist spaßig, daß ich in Freilingen einen kleinen Gang zu machen habe!«
Die Dragoner saßen noch ganz verdutzt über den schnellen Ausgang der Schrauberei. »Hol' mich der Teufel,« sagte ein alter Leutnant, »das Kerlchen nahm sich doch so übel nicht bei der Sache; er hat einen verfluchten Anstand, und es ist, als wäre er schon mehr dabei gewesen!«
Man beriet sich jetzt, was zu tun sei, man verteilte die Rollen, Schulderoff sollte des Rittmeisters Sekundant sein, den alten Leutnant bestimmte man, Martiniz denselben Dienst zu leisten, wenn er nicht sonst wo einen Sekundanten auftreiben könnte. Der Rittmeister zeigte eine ungemeine, spaßige Fröhlichkeit, meinte, es müsse sich ganz herrlich ausnehmen, wenn so ein Herrchen vom Zivil eine Pistole losbrenne; den andern war es übrigens nicht so ganz wohl zumut, das schnelle Ende des Streites hatte aus allen Köpfen den Champagnerdampf weggeblasen, man dachte doch ernstlich an die Affaire, und manchen wollte es bedünken, daß sie doch im heillosen Uebermut herbeigeführt worden sei. Man äußerte dies auch unverhohlen gegen Sporeneck, und auch er schien so etwas zu denken; doch versteckte er diese Gedanken hinter lustigem Lachen und beauftragte Schulderoff, sogleich zum Grafen zu gehen, um die Sache ins reine zu bringen. Nach einer Viertelstunde kam dieser wieder sehr ernst zurück und sagte: »Sporeneck, morgen früh acht Uhr, auf Pistolen.«
Diese lakonische Meldung machte einen ganz eigenen Eindruck auf die Gesellschaft; es war allen, als sei doch etwas Ungerechtes vorgefallen, und keinem war es recht behaglich, an morgen zu denken. Man bestürmte Schulderoff mit Fragen, wie der Graf es aufgenommen, und dergleichen; er erzählte:
»Die beiden Fremden seien in ziemlich ruhigem Gespräch miteinander im Zimmer auf und ab gegangen, als er eingetreten sei. Sie haben ihn sehr höflich und zuvorkommend empfangen, er aber habe seinen Auftrag ausgerichtet und den Grafen zuerst gefragt, ob er seine Beleidigung zurücknehmen wolle. Dieser habe ganz ruhig mit Nein geantwortet, worauf er ihn gefordert; sie seien auf Pistolen einig geworden und haben die Wiese hinter dem Gottesacker zum Kampfplatz ausgewählt. Für einen Sekundanten lasse er danken, der alte Herr, der bei ihm ist, werde ihm sekundieren.« Der Rittmeister schien vor Freude außer sich zu sein, daß er seinem Rivalen mit guter Manier eins auf den Pelz brennen könne; er wollte mit dem Champagner weitermachen, die nüchtern gewordenen Kameraden[152] ließen es aber nicht zu, baten ihn, auf morgen recht fest auszuschlafen, und versprachen, um sieben Uhr allesamt bei Schulderoff zu frühstücken.
Als Ida am Morgen, der zu dem Duell festgesetzt war, kaum aufgestanden, eben sich mit der Toilette beschäftigte, hörte sie Pferdegetrappel gegenüber am Mond; sie trat ans Fenster und schob den Vorhang ein wenig zurück, es standen drei Pferde vor dem Wirtshaus, wovon sie das eine bestimmt für das von Martiniz erkannte. »Wo er nur hinreiten mag an diesem kalten Tag, ob er –« der Gedanke an eine plötzliche Abreise ohne Abschied durchblitzte sie, daß ihr die hellen Perlen in den zarten Wimpern hingen. Doch sie hatte ja darüber einen Trost, der sie zugleich tief betrübte; die Gräfin war ja noch hier; sie wußte nichts von seiner Abreise, er konnte also doch nicht so schnell reisen. Endlich glaubte sie Emils Stimme aus dem Torweg heraufzuhören: »Adieu, Madame, adieu!« Es galt offenbar der Mondwirtin; o, wie gerne wäre sie in diesem Augenblicke die Ehehälfte des Mondwirts gewesen, um ihn zu sehen und das freundliche Adieu von seinen Lippen zu hören!
Der alte Brktzwisl, die gute treue Seele sprang hervor, ergriff den Zügel von Martiniz' Pferd und stellte ihn zum Aufsitzen zurecht, jetzt kam Mart– nein, ein Offizier in fremder, glänzender Uniform. Jetzt kam auch der alte Herr von Ladenstein, der sie gestern so trefflich unterhalten hatte; wo blieb aber nur Emil? Der alte Herr, heute mit vielen Orden behängt, schwingt sich auf sein Pferd; jetzt auch der Offizier. »Eine schöne geschmackvolle Uniform,« dachte Ida; wenn sie nicht irrte, eine polnische oder russische, vielleicht ein Bekannter von Martiniz; aber die Gestalt kam ihr so bekannt vor, wie, sollte etwa Em– doch nein, er war ja nicht Soldat und trug auch keinen Orden, und diesem glänzte der Wladimir in Diamanten auf der Brust – wenn er, eine kleine Neugierde ist ja verzeihlich, wenn er doch nur den hohen Ulanenkalpak ein wenig hintersetzte, daß sie sein Gesicht sehen könnte.
Jetzt war alles in Richtigkeit, der alte Herr schaute am Haus herauf und stieß den Offizier an, er richtete das Haupt auf, er sah herauf – es war Emil von Martiniz.
Wie schön, wie götterschön war dieser Mann! Wie herrlich kleidete ihn die Uniform! Wie hingegossen saß er auf seinem stolzen Roß; die dunkeln Locken stahlen sich unter dem Sturmband des Tschapkas hervor und beschatteten die blendend weiße Stirn; das dunkle Auge voll hohen Ausdrucks hatte heut eine Bedeutung, die sie beinahe noch nie an ihm gesehen; stolz und frei, als wollte es in einem Blick eine Welt ermessen, schweifte es her und hin; er klopfte den zierlichen, schlankgebogenen Hals des schönen Tieres, das er ritt, er sah so kampflustig, so mutig aus, als halte er an der Seite seiner Ulanen, und es werde in schmetternden Tönen Marsch-Marsch geblasen; sie konnte nicht mehr anders, sie dachte nicht mehr an ihr Negligee, sie öffnete das Fenster und sah heraus. Man konnte nichts Schöneres sehen als das Mädchen, wie es hier im Fenster stand. Die Aeuglein sahen so klar und freundlich aus dem Köpfchen, die Bäckchen von der kalten Morgenluft gerötet, das Mäulchen so süß und küßlich, um das feine, liebe Gesichtchen ein zartes, reinliches Nachthäubchen, der Hals frei, und dann ein Spenzerchen, so weiß wie frischgefallener Schnee, über Nacken und Brust herab. Tausend Löckchen und Stränge, die, vom mutwilligen Morpheus entfesselt, unter dem Häubchen sich durchgestohlen hatten – das ganze Wunderkind sah aus wie ein süßer Morgentraum –
Noch einmal sah der Graf zu diesem Engelskind hinauf, das in der Glorie der jungfräulichen Unschuld mit der Wehmut gekränkter und doch verzeihender Liebe zu ihm herabsah – noch einmal, vielleicht das letzte Mal hienieden, warf er einen seiner Feuerblicke zu ihr hinauf, und eine Träne blitzte in seinem Auge; jetzt aber stieß er seinem Pferd beide Sporen in den Leib, daß es wuterfüllt kerzengerade aufstand, unwillkürlich bog sich seine Hand nach dem Mund, er warf ihr einen herzlichen Kuß zu: »Adieu, mon coeur!« rief er, und dahin flogen die Reiter, in einem Augenblick war nichts mehr von ihnen zu sehen.
»Was war das? Wem galt das?« fragte sich Ida, als sie sich ein wenig von ihrem Staunen erholt hatte. Er sah so zärtlich herauf – er warf einen Kuß herauf – wem flog er zu? Ihr oder der Grä– konnte diese nicht auch im Fenster gestanden sein? Konnte er nicht ihr den Kuß zugeworfen haben? Sie mußte Gewißheit haben, sie schickte schnell hinab, zu fragen, ob die Gräfin schon aufgestanden sei. – Exzellenz lagen noch schuhetief in den Federn und schliefen. »Also mir, mir –« lächelte das stillselige Mädchen vor sich hin, schaute hinaus und zehnmal wieder hinaus nach dem Fleckchen Erde, wo er gehalten,[154] wo er ihr seinen Gruß, seinen Kuß zugewinkt hatte. Aber wie, konnte er nicht nach der Gräfin Fenster gewinkt haben? Konnte er nicht ihr seinen Kuß geschickt haben, nur um sie, die er doch gesehen haben mußte, zu kränken? Doch nein; ihr hatte ja sein Blick gegolten, sie hatte tief in seine dunkeln Liebessterne hineingeschaut, nach ihrem Fenster hatte er gegrüßt, sie, sie war die Glückliche; wie weit er sich auch verirrt hatte, sie fühlte, daß sein besserer Sinn ihn dennoch zu seiner Ida zog.
Jetzt versank sie in angenehme Träume; sie wiederholte sich, wie engelhübsch er ausgesehen habe! Sie nahm sich vor, wenn sie wieder recht gut miteinander wären, ihn recht auszuschmälen, daß er sich nie vor ihr in der Kleidung hatte sehen lassen, die ihm so wunderschön stand. So träumte sie, das liebliche, bräutliche Mädchen, sie ahnte nicht, welchen gefährlichen Gang der Geliebte ging, und daß die Parze so schnell den Faden ihres Glückes zerreißen könne, daß dann das Herz, an dem sie so gerne ruhte, für immer ausgeschlagen haben würde, daß die kühnen, liebesprühenden Augen schnell sich zu jenem eisernen Schlummer schließen könnten, aus welchem auch die süßeste Stimme, das zärtlichste Klagen der Liebe nicht aufweckt.
Vor der Stadt hatten die drei Reiter ihre Pferde angehalten und ließen sie jetzt im Schritte dem bestimmten Orte zugehen; sie schwiegen eine Zeitlang, und jeder schien seinen besondern Gedanken nachzuhängen. Emils Brust erfüllte die Qual aller Zweifel an Ida. Es war ihm da einmal, als stehe sie, wie er sie eben gesehen hatte, in blendend reiner Unschuld vor ihm und flüsterte ihm mit sanfter Stimme Vorwürfe zu, daß er auch nur einen Augenblick habe an ihr zweifeln können; dann kamen wieder alle Qualen der Eifersucht über ihn, er wiederholte sich alles, was er zwischen ihr und Sporeneck bemerkt hatte, und das Billett von gestern – »nein! sie ist schuldig,« rief er laut und unmutig. Gestern abend nämlich, als Schulderoff sie verlassen hatte, war Brktzwisl gekommen und hatte einen kleinen Zettel gebracht, der wahrscheinlich dem Rittmeister entfallen sein müsse. Er war offen, Emil konnte sich nicht enthalten, einen Blick hineinzuwerfen, und ward weiß wie die Wand. Schweigend reichte er Ladenstein das Billett, und dieser las:
»Du mußt noch das Strumpfband haben, das Du mir letzthin mutwilligerweise abgebunden hast; ich brauche es notwendig; ist Dir übrigens an einem Zeichen Deiner Dame gelegen, so kannst Du etwas anderes haben. Willst Du eine Busenschleife? Willst du ein Schnürband von meinem Korsettchen?«
»Das ist freilich stark,« hatte Ladenstein gesagt, nachdem er gelesen, »kennst du die Handschrift?« – »Von wem soll es sein als von ihr, die mich um mein Lebensglück betrogen? Hätte ich den Wisch da um eine Stunde früher gehabt, ich hätte den Rittmeister wahrhaftig nicht getadelt, daß er von seinem zärtlichen Liebchen so ausdrucksvoll sprach!«
»Kennst du Idas Handschrift?« fragte der alte Herr noch einmal. »Es kommt hierbei sehr viel darauf an, daß du sie genau kennst.«
Emil mußte gestehen, daß er noch nichts von Idas Hand gesehen; es könne ja aber doch niemand anders geschrieben haben, denn die Adresse lautete ja an Herrn von Sporeneck. Der alte Herr hatte den Kopf dazu geschüttelt und gesagt, daß dieses Billett der ganzen Sache eine andere Wendung geben könnte; jetzt sei er aber schon einmal gefordert, und darum könne vor Ausgang des Duells nicht mehr davon gesprochen werden, nachher werde sich vielleicht manches aufklären. Dieses Billett war nun auch auf dem Wege zum Kampfplatz Emil in den Sinn gekommen und hatte ihm jenen lauten Ausruf: »Sie ist dennoch schuldig,« entlockt.
Der Alte reichte ihm die Hand hinüber und sagte freundlich ernst: »Urteile nicht zu frühe. Du gehst einen gefährlichen Weg, nimm nicht die Schuld mit dir, ungehört verdammt zu haben. Du bist der letzte Martiniz. Schlägt eine Kugel hier unter den Wladimir, so ist es vorbei mit dir und dem Heldenstamm, dessen Namen du trägst. Du schlägst dich für die Ehre einer Dame; solange du für sie kämpfst, darfst du nicht an ihrer Tugend zweifeln, sonst ist deine Sache nicht gut. Denke dir das Mädchen, so hold und engelrein, wie du sie sahst, als wir zu Pferde stiegen, wie du ihr, von ihrem heiligen Anblick übermannt, dein zärtliches Lebewohl zuriefst – und du wirst freudiger streiten.«
Emil hörte nur mit halbem Ohr; seine ganze Aufmerksamkeit war auf den Platz gerichtet, dem sie sich nahten. Sie bogen um die Ecke der Mauer des Gottesackers. Sein Gegner war schon auf dem Platz, er nahm sein Roß zusammen und sprengte majestätisch im kurzen Galopp an.
Sporeneck und seine Begleiter waren auf einem andern Weg herausgeritten und hatten auf der Wiese den Grafen erwartet. Sie hatten ihre besten Uniformen angezogen, alles gewichst und gebürstet, als ginge es zur Hochzeit, denn sie wollten dem Grafen und seinem Begleiter durch Glanz und militärische Würde imponieren. Wer beschreibt ihr Erstaunen, als sie den strahlenblitzenden, in den schönsten Farben schimmernden Ulanen ansprengen sahen? Sie trauten ihren Augen kaum, wie gewandt, wie flink das zivile Gräfchen vom Sattel sprang, mit welchem Anstand er die Zügel seinem Diener zuwarf, sich dann zu ihnen wandte und seine Honneurs machte. Die Diamanten des Wladimir, der goldene, vom Vater ererbte Ehrensäbel glänzten im Morgenrot, der ganze Mann hatte etwas Gewaltiges, Gebietendes, Königliches, das sie beinahe mit Ehrfurcht bewunderten.
»Alle Teufel, wer hätte das gedacht?« flüsterte Sporeneck. »Hätte ich das gewußt – weiß Gott, die Uniform der polnischen Garde, wo jeder Rittmeister für einen Obersten in der Linie zieht! Nein, wenn ich gewußt hätte, daß er Soldat ist, dann wäre es wohl etwas anderes gewesen.«
»Und alle Wetter,« fuhr ein anderer fort, »sieh nur den alten Graukopf, wie der behängt ist, eins – zwei – drei – sieben Orden hat das Kerlchen und noch obendrein einen Stern! siehe, das Theresienkreuz – und weiß Gott, den Kommandeur der Ehrenlegion, das muß ein fixer Kerl sein.«
Der alte bekreuzte und besternte Herr nahte sich Schulderoff, zog ganz gelassen und kaltblütig eine reich mit Brillanten besetzte Uhr heraus. »Herr Kamerad,« sprach er, »wenn's gefällig ist.«
Dieser hatte sich von seinem Staunen kaum erholt. Er hatte die Aeußerung des Rittmeisters gehört, daß, wenn er gewußt hätte, daß der Graf Soldat wäre, er die Sache vielleicht nicht so weit getrieben hätte. Er versuchte daher noch einmal mit dem alten Herrn zu parlamentieren. Doch die Unterhandlungen zerschlugen sich an dem harten Sinn des Grafen, man maß die Schritte ab, man schüttete frisches Pulver auf die Pfannen – fertig!
Sporeneck hatte den ersten Schuß. »Nun, wenn es denn einmal sein muß,« sagte er, drückte ab und – den Kalpak riß es dem Grafen von dem Kopf, mitten durch war die Kugel gegangen, er stand unverletzt. Ein sonderbares Feuer sprühte aus seinem Auge, als er jetzt die Pistole aufnahm. Es war ihm,[157] als stehe Antonios blutende Gestalt vor dem Rittmeister und wehre ihm ab, zweimal setzte er an, zweimal ließ er die Pistole wieder sinken. Da rief der Rittmeister mit bitterem Lachen: »Wird's bald, Herr Kamerad?« Und in demselben Augenblick krachte es, Sporeneck wankte und fiel.
Er hatte genug, gerade unter der Brust hatte die Kugel durchgeschlagen. Der Regimentsarzt der Dragoner machte ein bedenkliches Gesicht und gab wenig Hoffnung. Man brachte ihn in die Wohnung eines der Offiziere, der vor der Stadt wohnte. In tiefem Ernst, schweigend ritt der Graf und sein Begleiter zur Stadt zurück.
Die Dragoner waren seit der Entdeckung, daß der Graf Offizier sei, die Artigkeit selbst. Alle Stunden kam einer, um zu rapportieren, wie der Verwundete sich befinde. Aus ihren Reden, die sie hie und da über die Geschichte fallen ließen, wurde man zwar nicht ganz klug, aber so viel merkte Martiniz und der alte Herr, daß der Rittmeister, indem er sich geheimer, von Ida erhaltener Begünstigungen rühmte, gewaltig gelogen habe. Von dem Duelle war übrigens bis jetzt noch nirgends etwas bekannt geworden. Den Reitknecht des Rittmeisters hielt man in dem Haus vor dem Tore fest, daß nicht etwa durch ihn etwas auskäme, die übrigen hatten sich das Ehrenwort gegeben, nichts zu verraten.
Mehr denn achtmal war die Kammerzofe der Gräfin im Mond gewesen und hatte heimlich nach dem Rittmeister gefragt und allemal den Bescheid erhalten, er sei auf der Jagd. Endlich kam auch, wahrscheinlich auf der Gräfin Anstiften, ein Diener von Präsidents, um den Grafen zu bitten, nachmittags hinüberzukommen. Er schlug es ab, denn er war noch zu aufgeregt von dem blutigen Morgen, als daß er mit der Gräfin, die ohnehin ihn immer sehr langweilte, hätte konversieren mögen.
Endlich als es schon Abend war, kam Schulderoff, der jetzt auch wie ein umgekehrter Handschuh war, und brachte bessere Nachricht. Man hatte die Kugel herausgenommen, die Aerzte behaupteten, es sei kein edlerer Teil verletzt. Zugleich lud er den Grafen und Herrn von Ladenstein ein, mit ihm zu gehen und den Kranken, dem es gewiß Freude machen würde, zu besuchen. Sie gingen mit.
In einem der letzten Häuser der Vorstadt lag der Rittmeister. Als die beiden Fremden mit Schulderoff die Treppe hinaufkamen, gerieten die übrigen Offiziere augenscheinlich in einige Verlegenheit. Sie flüsterten etwas mit Schulderoff, das ungefähr lautete, als sei der Kranke nicht recht bei sich und phantasiere allerhand verwirrtes Zeug, das nicht wohl für einen Fremden geeignet sei. Leutnant Schulderoff besann sich aber nicht lange. Er erklärte, daß er es auf die Gefahr hin, seinen Freund zu beleidigen, über sich nehmen wolle, die Fremden einzuführen, weil der Kranke es vor einer Stunde selbst noch gewünscht habe.
Sie traten ein. Der Rittmeister war sehr bleich, sonst aber nicht entstellt, nur daß sein Auge unstät umherirrte. Sie hatten ausgemacht, daß zuerst Ladenstein ans Bett treten solle, um zu probieren, ob ihn der Kranke erkenne. Es geschah so. Sporeneck sah ihn lange an und faßte dann hastig seine Hand: »Ach, sind Sie es, Herr Geheimrat von Sorben?« rief er. »Was schreibt der Alte aus Polen? Darf der Graf die Aarstein heiraten?«
Die Anwesenden waren alle höchst betreten, als der Verwundete so aus der Schule schwatzte. Schulderoff gab dem alten Herrn zu verstehen, es möchte doch vielleicht besser sein, wenn er zu einer andern Zeit wiederkäme. Es scheine, der Kranke erhitze sich zu sehr. Der alte Herr schien es aber nicht verstehen zu wollen. Sein Auge nahm einen sonderbaren Ausdruck von forschendem Ernst an, der den Leutnant unwillkürlich zum Schweigen brachte. Der Kranke aber fuhr fort: »Laß dich nicht von diesen da forttreiben, lieber Sorben, du kannst mir jetzt einen großen Dienst erweisen. In meinem Zimmer ist ein Koffer, in diesem eine Kassette; laß dir von Schulderoff die Schlüssel geben und schließ auf. Dort findest du ein Strumpfband mit goldenem Schloß –« er hielt inne, als ob er nachsänne, der Graf aber trat in der höchsten Spannung näher, um jedes Wörtchen zu verschlingen, das er sprechen würde – »und richtig, Honny soit qui mal y pense ist drauf gestickt. Das bringst du der Gräfin, sie hat den Kameraden dazu am linken Bein, und sagst, das sei das Band, um welches sie mir geschrieben habe, ich könne heute nicht selbst kommen. Ja – und weiter sage ihr, mit der Ida sei es nichts, ich habe es satt, dem spröden Ding die Cour zu schneiden, nur um das Gräfchen eifersüchtig – ja, halt, bei dem Grafen fällt mir ein, sage ihr, den Grafen soll sie mir in Ruhe lassen, er sei kein Ofenhocker, sondern ein braver[159] Soldat, und wenn sie ihm ferner noch was anhaben wolle, so habe sie es mit mir zu tun.«
Erschöpft sank er auf die Kissen zurück, als er so gesprochen hatte. Schulderoff stand in einer Ecke und schalt sich selbst aus, so töricht gehandelt und die Fremden in diesem kritischen Momente zu dem Rittmeister geführt zu haben. Gern hätte er in seinem Unmut den beiden etwas Hartes gesagt, aber der Graf hatte ihm durch sein Betragen und seinen Stand, der alte Herr durch seine vielen und bedeutenden Ordenszeichen so imponiert, daß er nicht wagte, sich ihnen anders als mit der zuvorkommendsten Höflichkeit zu nahen. Die übrigen Dragoner waren aber von beiden ganz entzückt. In des Grafen Uniform verliebten sie sich ganz und gar, und wie geehrt und gehoben fühlten sie sich, daß ein Kommandeur der Ehrenlegion, ein alter Ritter des Theresienordens sie mit der größten Freundlichkeit »Herr Kamerad« titulierte.
Es dauerte aber keine fünf Minuten, so war auch Schulderoff ganz von dem Alten gewonnen. Dieser führte ihn nämlich in eine Ecke und machte ihm unter der Bedingung, daß er es nicht als Kränkung aufnähme, die Proposition, ob er nicht für den Rittmeister, der jetzt doch so entfernt von Haus sei, ein kleines Anlehen von ihm annehmen wolle.
»Lieber Gott,« sagte er, »ich weiß, wie es in der Garnison ist; habe auch lange gedient; mit dem besten Willen bringt man es selten so weit, daß man immer einen großen Notpfennig in Bereitschaft hat. Einer muß immer dem andern aushelfen, und da ich jetzt gleichsam auch hier in Garnison liege, Herr Kamerad – ich denke, wir könnten darüber einig sein.«
Der herzliche Ton, mit welchem dies Anerbieten gemacht wurde, rührte den Leutnant zu Tränen; es konnte ihm nichts mehr zustatten kommen als ein solches Anlehen; er hatte kein Geld, die Mama hatte kein Geld, die Kameraden hatten auch kein Geld, und er wäre am Ende genötigt gewesen, sich an die Gräfin zu wenden, und doch war ihm diese in der tiefsten Seele zuwider, lieber hätte er sein Pferd verkauft – da kam ihm nun das Anerbieten des alten Kameraden sehr erwünscht; es war so natürlich und ehrenvoll angetragen, daß er ohne Bedenken einschlug, und von dieser Stunde an wäre er, und wenn ihn Frau Mama, Fräulein Sorben, die Gräfin und alle Höllengeister am Kollett gepackt hätten, für die beiden Fremden durchs Feuer gegangen.
»Nun, was sagst du zu dieser Geschichte?« sprach der alte Herr zu Martiniz, als sie wieder in ihrem Zimmer waren. »Was sagst du zu der schönen Strumpfbandgeschichte?« – »Nun, was werde ich dazu sagen,« antwortete Emil nachdenklich, »daß er mit der Gräfin in einem sehr unanständigen Verhältnis steht. Aber erklären Sie mir nur, was plauderte er nur von einem alten Sorben und von einem Grafen, der die Gräfin Aarstein heiraten solle?«
»Das will ich dir schwarz auf weiß zeigen,« sagte jener und zog einen Pack Briefe hervor, den er Emil zur Durchsicht gab. Es waren jene Briefe, welche der alte Sorben an den älteren Grafen Martiniz geschrieben hatte, um wo möglich eine Heirat zwischen Emil und der Aarstein zu bewirken. Immer eifriger las Emil, immer zorniger und düsterer wurden seine Züge, der alte Herr ging indessen auf und ab und betrachtete den Lesenden. Endlich sprang dieser auf und rief: »Nein, das ist zu arg! Das ist nicht auszuhalten, mit mir ein solches Spiel spielen zu wollen? Was sagen Sie zu diesen Briefen? Wie reimen Sie dies alles zusammen?«
Der alte Herr setzte sich zu Emil nieder, legte seine Hand zutraulich auf seine Schulter und sprach: »Ich habe dir letzthin gesagt, daß ich sechzig Jahre habe und du zwanzig, daß ich also auch manches kälter betrachte, und darum schärfer als du. Schon damals ahnte ich manches; jetzt durch die Irrereden des Rittmeisters ist mir auf einmal alles klar. Daß dich in diesen Briefen die Gräfin durch den schlechten Kerl, den alten Sorben zu angeln sucht, siehst du wohl ein; sie hört nun durch Kundschafter, oder wie es sonst gegangen sein mag, du seiest hier, und, wie du nicht leugnen kannst, in einem zärtlichen Verhältnis mit Ida; daß der Gräfin daran lag, dich oder vielmehr dein Vermögen nicht hinauszulassen, kannst du dir denken. Daher kam sie eilends hierher, um dich zu erobern; dazu gehörte aber auch, daß sie Ida von deinem Herzen losriß, und wie konnte dies besser sein als durch den Rittmeister? Wie dieser mit der Gräfin stand, wissen wir aus dem Strumpfbandbillett, das also von ihr ist; wie er aber mit Idchen, dem keuschen reinen Engel, stand – und hat er sein ganzes Leben hindurch gelogen, so war er wenigstens in seinem Wundfieber wahr – erinnerst du dich, daß er mir auftrug, der Gräfin zu sagen, daß mit dem spröden Mädchen nichts[161] anzufangen sei? Da hast du jetzt den ganzen Plan, Freundchen, so und nicht anders verhalten sich die Sachen. Was sagst du nun dazu?«
Ganz versunken in Schmerz und Wehmut saß der Graf neben ihm. Er hatte sein Gesicht in das Taschentuch gedrückt und weinte heftig. »O Ida, wie tief habe ich dich beleidigt!« flüsterte er. »Was war ich für ein Tor, wie war ich so stockblind, um nicht gleich alles einzusehen! Wie war ich so grausam und konnte das gute sanfte Engelskind, das mir so gut war, das mich so lieb hatte, so tief kränken und beleidigen!«
Dem alten Herrn wurde angst und bange, Emil möchte, wenn die Reue sein Gemüt zu sehr angreife, wieder in seinen Wahnsinn verfallen, aus welchem ihn das Mädchen so wundervoll errettet hatte. »Solange man lebt, kann man alles wieder gut machen,« sagte er zu dem Weinenden, »und namentlich ist nichts leichter zu schlichten als kleine Katzbalgereien unter Liebenden. Sei darum getrost und glaube, es wird sich alles noch gut machen.« Und nun setzte er dem Grafen auseinander, daß er sich so bald als möglich mit seinem Mädchen versöhnen müsse; aber dabei dürfe er nicht stehen bleiben; er zeigte ihm, wieviel er diesem Mädchen schuldig sei, wie sie ihn zuerst mit der Welt wieder ausgesöhnt habe, wie sie nachher, erhaben über alle mögliche falsche Deutung, jenes unglückbringende Gespenst seiner Phantasie entfernt, wie sie mit unendlicher Freundschaft alles aufgeboten habe, ihn zu zerstreuen und zu erheitern. »Wahrlich,« schloß er, »diesem Mädchen bist du mehr schuldig, als daß du ihr den argen Verdacht mit dem Rittmeister abbittest – du bist, ich sage es offen, du bist ihr deine Hand schuldig, so sehr sich auch,« setzte er schalkhaft lächelnd hinzu, »so sehr sich auch dein Herz dagegen sträuben mag!«
Es hat selten ein geistlicher Witwentröster, wenn er auch noch mit zehnmal größerer Salbung sprach, mit so großem Effekt sein »Amen, gehe hin und tue also!« gesagt, als der alte Herr auf dem Sofa neben dem Grafen. Die Tränen waren schnell getrocknet von den glühenden Strahlen, die aus dem dunkeln Auge sprühten, ein holdes Lächeln spielte um seinen Mund, das ganze Gesicht war anmutig verklärt, er sprang auf, er ergriff die Hände des guten Alten und preßte sie an sein lautpochendes Herz, an die glühenden Lippen. »O, wie Herrliches verheißen Sie mir! Sie, Sie muntern mich dazu auf, wozu mich mein Herz schon lange zog; o, wie kann ich Ihnen danken, mein väterlicher Freund, mein guter, teurer –«, doch halt, beinahe[162] hätten wir das Inkognito des Herrn von Ladenstein gebrochen und Namen genannt und Dinge geplaudert, die jetzt noch verschwiegen werden müssen. Der alte Herr schloß Emil in die Arme und ging dann an die Türe: »Brktzwisl, alter Kerl, komm herein und teile die Freude deines Herrn; er will Hochzeit machen, und das so bald als möglich!«
Der alte Diener machte ein sauersüßes Gesicht, als ob er ein Rhabarbertränklein im Mund hätte und sollte es als den trefflichen Xeres laben. »So–o?« sagte er, »nun da muß ich ja gra–tulieren!« – »Nun wie, alter Kauz,« sagte Ladenstein, »du scheinst dich nicht recht zu freuen? Gefällt dir denn die Braut nicht, die sich dein Herr erlesen?«
»Nun,« antwortete Brktzwisl, »sie ist schön, die Frau Gräfin –«
»Wer spricht denn von der Gräfin?« sagte sein Herr, »Fräulein Ida meinen wir!«
»Was?« rief der alte Diener und gebärdete sich wie wahnsinnig, denn jetzt hatte er wirklichen süßen Xeres im Mund. »Das Wunderengelskind? Also hat Gott Ihr Herz gelenkt zum Guten? Fräulein Ida soll meine Frau Exzellenz werden? Hurra, das ist einmal schön!«
Man mußte seinem Jubel Einhalt tun, er wäre sonst spornstreichs durch die Straßen gerannt und hätte die Nachricht an allen Ecken verkündigt. Das helle Wasser der Freude stand der alten treuen Seele in den Augen, er küßte dem alten Herrn und dem Grafen die Röcke, und beiden war es ein neuer schöner Beweis, wie das Mädchen Wunderhold alle Herzen bezauberte, hatte sie ja doch, die holde Frühlingssonne, den alten, eingeschnurrten-winterlichen Eisbären aufgeweicht und zum tollenden Kind gemacht.
»Und nun noch eine Bitte,« sagte der glückliche Graf zu seinem Retter und Ratgeber, »jetzt noch eine Bitte; ich habe dem armen Kind diese Tage her so wehe getan; ich sah es ihr an, wie ich ihr Herzchen gebrochen habe, lassen Sie es mich heute noch gut machen!«
Der alte Herr meinte zwar, es möchte heute schon zu spät sein, und er solle seine Ungeduld bis morgen zügeln, aber der Graf bat immer dringender. »Kann ich es dulden, daß sie noch[163] eine Nacht mir böse ist, daß sie auch nur noch eine Träne über mich weint? Nein, heute abend noch bitte ich ihr ab, was ich gefrevelt habe; aber in dem Salon, wo die Gräfin, die an allem Unheil ganz allein schuldig ist, auf mich lauert, macht sich eine solche Versöhnung nicht gut; Sie müssen mir schon dazu helfen. Gehen Sie hinüber! Wenn ich nicht irre, hat Ida versprochen, Ihnen ihre Zeichnungen zu zeigen. Ich schleiche nach, wenn sie mit Ihnen hinaufgeht, und vor Ihnen habe ich mich ja nicht zu genieren.«
»Will dir auch den Platz ganz und gar nicht versperren. Nun, in Gottes Namen, komm! – Wenn so ein Herzchen von vierundzwanzig Jahren siedet und hämmert, da hilft es nichts mehr, zu raten und zu predigen. Das Hammerwerk geht fort, ob so ein alter Meister Dietrich ›halt‹ sagt oder nicht. Aber das sage ich dir, den fatalen Frack da ausgezogen und dein Kollett an, den Familien-Ehrensäbel umgehängt, daß du auch etwas gleichsiehst; darfst dich, weiß Gott! vor König und Kaiser darin sehen lassen, darum tritt als Soldat auf, wenn du dein Mädchen zum erstenmal ans Herz drückst.«
»Zum erstenmal ist es nun nicht,« lachte der Graf, indem er den goldenen Säbel umschnallte, »aber leider war die erste Umarmung gleichsam das unterbrochene Opferfest unserer Liebe, denn die Gräfin kam dazwischen, als ich schon den Mund zum ersten Küßchen spitzte.«
»Kamerad, das hast du schlecht gemacht,« belehrte ihn schmunzelnd der alte Theresienritter, »wenn man einmal so weit ist, so muß ausgeküßt werden, und wenn eine Kartätschenkugel zwischen durchfahren wollte, so stand es wenigstens im Reglement zu meiner Zeit, denn es ist in der Natur nichts Schädlicheres und Fürchterlicheres als ein unterbrochener Kuß.«
Der Graf versprach, folgsam zu sein und sich ein andermal streng an das Reglement des alten Herrn zu halten.
In Präsidents Haus war man beim Tee versammelt, als der alte Herr von Ladenstein hinüberkam. Die Gräfin wollte ihn sogleich ins Gebet nehmen und schmälen, wo denn die Herren heute alle bleiben, er aber gab ihr kurz zur Antwort, daß die Bewohner des Mondes und einige andere Herren auf der Jagd gewesen seien. Sie fragte sehr witzig, ob man doch keinen Bock geschossen habe, und wollte sterben vor Lachen über ihr eigenes Bonmot. Der Alte aber dachte: »Lache du nur immer zu; wenn du wüßtest, wie nahe dich der Bock angeht, der geschossen[164] worden ist, du würdest nicht lachen; doch wer zuletzt lacht, lacht am besten!«
Er erinnerte Ida an ihr Versprechen, ihm ihre Zeichnungen und Malereien zu zeigen. Sie nickte freundlich ein Ja und flog vor ihm die Treppe hinan, daß er kaum folgen konnte. Es sah etwas kunterbunter in dem Zimmer aus, das sie, weil sie der Gräfin Platz machen mußte, einstweilen bewohnte. Sie entschuldigte sich daher bei dem alten Herrn. »Machen Sie doch nur keinen falschen Schluß auf meine Ordnungsliebe, lieber Ladenstein,« sagte sie, »aber die Gräfin hat uns aus aller Ordnung herausgejagt, und besonders mir kam sie gar nicht sehr geschickt, denn sie hat mich aus meinen vier Wänden, die ich so hübsch eingerichtet hatte, herausgejagt und nicht eher geruht, bis ich hier heraufzog.«
»So, das hat die Gräfin gewollt?« sagte der Alte, dem es immer klarer aufging, daß jene ein falsches Spiel spiele; er schrieb es sich ad notam, um den Grafen noch mehr zu überzeugen. Sie schloß jetzt ihre Mappe auf und breitete ihren Schatz vor ihm aus. Der Alte vergaß auf einige Augenblicke, daß er ja dies alles nur als Vorwand gebrauchen wollte; er war Kenner und ein wenig streng gegen die gewöhnlichen Dilettantinnen in der Kunst; er konnte es nicht ausstehen, wenn man die grellsten, fehlerhaftesten Zeichnungen, wenn sie nur von einer schönen Hand waren, »wunderschön und genial gedacht« fand; er hatte hundertmal gegen diese Allgemeinheit der Kunst geeifert, wodurch sie endlich so gemein würde, daß ein jeder Sudler ein Raphael, oder jede Dame, die den Baumschlag ein wenig nachmachen konnte, ein Claude Lorrain würde. Aber hier bekam er Respekt; da war nichts übersudelt oder schon als Skizze weggeworfen; nein, es war alles mit einem Fleiß behandelt, mit einer Sorgfalt ausgeführt, die man leider heutzutage selten mehr findet, und die man gerade an den größten Kunstwerken alter Meister so hoch schätzen muß.
Des Mädchens tränenschwere Miene, die seit einiger Zeit sie selten verließ, heiterte sich unwillkürlich auf, als sie sich von einem so tiefen Kenner, als welcher der alte Herr sich zeigte, belobt, sogar bewundert fand; er stieß auf Kartons, zu denen sie sich als Urheberin bekannte, und sie waren alle meisterhaft, er wandte das letzte Blatt in der Mappe um und hielt überrascht inne; sie wollte ihm die Zeichnung entreißen, sie bat, sie flehte – es half nichts, es war ein zu bedeutendes Aktenstück, als daß er es hätte unbetrachtet aus den Händen gelassen. Es stellte[165] eine ihm unbekannte Kirche vor, am Altar stand eine hohe, erhabene Figur – bei Gott bis zum Sprechen ähnlich – Emil; der tiefe wehmütige Ernst, der sonst in seinen Zügen lag, war herrlich aufgefaßt und wiedergegeben. Man fürchtete, wenn man in diese Züge sah, ein namenloses Unglück zu erfahren, das auf den feinen Lippen schwebte; zur Seite standen zwei Männer, wovon er nur den einen kannte, es war der alte Brktzwisl; auch in diesem nichts weniger als malerischen Gesicht war die ehrliche Gutmütigkeit, die innige, ergebungsvolle Teilnahme an dem Schicksal seines Herrn trefflich ausgedrückt; weiter im Hintergrund sah man zwei Figuren, die, weil sie im Schatten standen, kaum flüchtig angedeutet waren; doch glaubte er in der einen die Zeichnerin selbst zu erkennen. An dem Bilde war außer der Aehnlichkeit der Gesichter und der gelungenen Anordnung der Gruppen auch die Verteilung des Lichtes höchst genial ausgeführt; es war nämlich Nacht in der Kirche, und die Helle ging nur von einer trübe brennenden Laterne aus, so daß nun die wunderherrlichen Licht- und Schattenpartien, das Verschweben der Helle im Dunkel auf ergreifende Weise angegeben war.
Die Zeichnung an sich hätte seine innigste Bewunderung erregt, aber er kannte auch gar wohl den Moment, der hier dargestellt war; er kannte die Gestalt, die sich so bescheiden ins Dunkel gestellt hatte; es war die Retterin seines geliebten Jünglings; gerührt sah er zu ihr herab, auch sie war tief ergriffen. War es der furchtbare Moment des Wahnsinns, wie sie ihn erlebt und gesehen hatte, war es der Gedanke, daß der, den sie rettete, der nachher aufgelöst von Dankbarkeit nur ihr gehört hatte, daß dieser auf die ersten Lockungen einer Kokette sie verlassen hatte? – Sie stand, das holde Amorettenköpfchen tief gesenkt, voll Wehmut da; Träne um Träne stahl sich aus ihren Augen und rieselte über die Wangen herab.
Er sah sie einige Augenblicke an und teilte stillschweigend ihren Kummer. Doch er konnte ja alles gut machen, er konnte die Tränen in Lächeln verwandeln. »Seien Sie nur ruhig, gutes, herziges Kind; der tolle Patron da, den Sie so gut getroffen haben, der soll Ihnen abbitten, soll alles wieder gut machen.«
Sie sah fragend an ihm hinauf und schüttelte dann wehmütig lächelnd das Köpfchen, als wollte sie sagen: »Das ist jetzt alles vorbei und hat ein Ende.« Er aber ließ sich nicht aus seinem Konzept bringen. »Wetten wir diese Zeichnung,« sagte[166] er, »der undankbare Junker Obenhinaus muß heran und muß wieder brav und mild sein und seine Ida lieb–«
Das Mädchen ward feuerrot; »Herr von Ladenstein,« sagte sie, zwischen Wehmut und Unmut kämpfend, »ich hätte nicht geglaubt, daß Sie –«
»Nun, wenn Sie nicht glauben, so muß ich Ihnen den Glauben in die Hände geben;« damit schritt er zur Türe und riß sie auf.
Das Mädchen war sprachlos vor Staunen; es wußte nicht, wie ihm geschah, und traute seinen Augen nicht. In glänzender Uniform, schön und freundlich wie der Tag, ganz hingegossen in reuevoller Zärtlichkeit lag Emil vor ihr auf den Knien, hatte ihr Händchen gefaßt und preßte heiße, glühende Küsse der Liebe darauf. Sie wollte die Hand zurückziehen, sie zog ihn mit herauf, und ehe sie es sich recht versah – doch das konnte man nicht sagen, sie sah sich mit einem blitzschnellen Viertelseitenblickchen nach Ladenstein um, der aber schien gar nicht auf sie beide zu achten, denn er schaute unverwandt durch die Scheiben in die Nacht hinaus, also ehe sie sich kaum recht versah, lag sie in des Grafen Armen, fühlte sie seine Lippen auf ihren Lippen und – »solch ein Kuß, das ist ein Kuß!«
Und nun bat der arme Sünder um Verzeihung; er sagte ihr, wie ihn die Gräfin so eifersüchtig gemacht hätte, wie er geglaubt habe, der Rittmeister mache ältere Rechte geltend, wie er in der Verzweiflung der Gräfin die Cour gemacht, wie er – nun, er hatte sich stark versündigt, aber sie ließ ihn nicht weiter reden, mit dem ersten Wort seiner Reue war ja auch ihr Kummer verschwunden, sie legte ihm das weiche, zarte Flaumenhändchen auf den Mund und wisperte ihm errötend zu, daß sie alles vergeben und vergessen wolle; und jetzt ging es von neuem los. Da wollte er erstens ein kleines Küßchen zum Zeichen der Vergebung, dann den größeren Versöhnungskuß, dann einen langen dito, daß sie ihm nimmer bös sei, dann einen noch längeren, daß sie ganz gewiß nimmer zürne, dann den ganz ellenlangen zur Erlaubnis, daß er morgen zum Papa gehe und um sie anhalte.
»Aber, Kinder, es wird spät,« sprach endlich schon zum drittenmal der alte Herr und tippte Ida auf das Aermchen, das den reuevollen Geliebten umschlungen hielt, daß sie erschrocken[167] und über und über bepurpurt aufsprang und nicht wußte, wohin sie sehen sollte, denn an diesen Zeugen hatte sie in ihrer Seligkeit gar nicht mehr gedacht. – »Kinder, es wird spät, und die Bilder können alle schon zehnmal gezeigt sein; wir müssen hinunter zur Gesellschaft.«
»Nur ich nicht,« bat Martiniz, »mir graut, vom Himmel, in dem ich war, hinabzusteigen in einen nüchternen, irdischen Tee.«
Es wurde ihm zugestanden, aber unter der Bedingung, daß er morgen recht bald kommen solle. Ladenstein versprach, ihn selbst hinüberzuspedieren, und trieb immer wieder zum Aufbruch. Nun, so unbarmherzig konnte er doch nicht sein, den allereinzigen Gutenacht-Kuß mußte er gestatten. Er wurde in zwölf kleine Portionen verteilt und nach alter Vorschrift eingegeben, und jetzt endlich trennte man sich.
Idchen war es ganz schwindelig zumut, tausend Gedanken stiegen in ihr auf und nieder; sie hatten gar nicht alle recht Platz in dem Köpfchen und drängten und trieben sich daher wirbelnd um und um. Nur eines war ihr recht klar und deutlich, daß sie recht glücklich, unendlich glückselig sei, daß er sie gek– Sie errötete vor dem Gedanken, und dennoch spitzte sie das Mäulchen und probierte es noch einmal im Geiste, wie sie es gemacht hatten, daß es so wundersüß schmeckte.
Nein, so ging es nicht, sie mußte sich zusammennehmen, ehe sie zur Gesellschaft ging; es war ihr, als sollte sie allen Menschen um den Hals fallen und ihnen ihr stilles Glück verkünden. So ging es nicht – da mußte man es gleich merken; sie stellte sich vor den deckenhohen Spiegel und probierte recht ernsthafte oder gleichgültige Gesichter, aber sie mochte es machen wie sie wollte, immer guckte wieder ein lustiges Köpfchen mit einem spitzigen Mäulchen aus dem reinen, hellen Glas. Endlich schalt sie sich selbst recht aus, nannte sich einen Kindskopf, einen Wildfang und alles mögliche, und siehe, da ging es endlich; mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt trat sie wieder ins Zimmer und behielt zu ihrer eigenen Verwunderung die gleichgültige Miene, bis man sich verabschiedete.
Doch nein, einmal wäre sie beinahe herausgeplatzt, und sie hatte zu beißen und zu schlucken, daß kein Kichern hervorkam.
Die Gräfin beklagte sich noch einmal gegen die Sorben, die jetzt ihre Gesellschaftsdame spielte, daß der Graf heute sich gar nicht habe sehen lassen. »Das verzeihe ich ihm in den nächsten zwei Tagen nicht,« setzte sie preziös hinzu, indem sie die arme Ida dabei fixierte und dachte: »Die verberstet vor Neid,«[168] während es nur unterdrücktes Lachen war, was dem lustigen Amorettenköpfchen um die Lippen zuckte – »wenn er morgen früh mich zu besuchen kommt, wird er nicht angenommen, nachmittags – nicht angenommen, und abends, nun, da will ich ihm ein so saures Gesicht machen, daß er nicht mehr daran denkt, uns einen ganzen Tag zu negligieren.«
»Der arme Graf, wie ihn das mitnehmen wird!« lächelte Fräulein von Sorben mit einem schadenfrohen Blick auf Ida.
»Der arme Graf!« dachte sie und lachte still in sich hinein, sie konnte sich denken, wie arg dieser schreckliche Vorsatz ihn angreifen werde.
Schon seit einer langen halben Stunde hatte am andern Morgen Ida an ihrem Fenster gelauscht. Um neun Uhr, ehe der Vater in die Session ging, hatte Martiniz kommen wollen, um mit ihm zu sprechen, es war Viertel, er kam noch nicht.
Daß der Vater ihn erwarten würde, wußte sie wohl, denn der Graf hatte sich anmelden lassen; aber sie fürchtete, der Präsident möchte übler Laune werden, wenn er so lange warten müsse. Ihr Herzchen pochte so ungeduldig, alle Augenblicke wechselte das Rot auf ihren Wangen, der bräutliche Busen flog auf und nieder voll banger Erwartung. Es kann aber auch für ein Mädchen keine erwartungsvollere Stunde geben als die, wenn der Geliebte zum Vater oder zur Mutter gehen will, um sein Mädchen anzuhalten. Freude und Angst, Besorgnis und frohe Hoffnung wechseln dann auf dem lieblichen Brautgesichtchen, ein tiefer Seufzer, wohl auch ein leises Gebet entsteigt dann dem kindlichen Herzen, das zum erstenmal geteilt ist zwischen der Anhänglichkeit an die Eltern und der Liebe zu dem, der sie zu seinem Frauchen machen will.
Zwar konnte Ida nicht zweifeln, daß der Vater diese Partie für sehr anständig finden würde, aber sie kannte ihn, wie er alles nach den Dienstverhältnissen abwog. Konnte er nicht aus Furcht vor der allerhöchsten Ungnade Nein sagen, weil man in der Residenz den Grafen für eine andere bestimmt hatte? Und dann der Onkel des Grafen – sie hatte vom Hofrate gehört, daß es einen solchen gebe, einen ältlichen, etwas grämlichen Mann, von dem der Graf sehr abhängig sei; wird er auch seine Einwilligung geben?
Auch vor der Gräfin war ihr bange. Zwar es lag kein geringer Triumph darin, die Gegnerin, die alle Höllenkünste aufgeboten hatte, Emils Herz von ihr abzureißen, überwunden zu haben, aber sie scheute sich doch beinahe ebensosehr vor dem Zorn der Gewaltigen, als sie sich freute, zu sehen, was sie für ein Gesicht machen werde, wenn man es ihr ankündige.
Endlich – ja, er war es; in seiner glänzenden Uniform wie gestern trat er heraus – mit ihm Ladenstein; nein, wie aber dieser geputzt war! Sie hatte, als sie sich bei Hof präsentieren ließ, einmal einen …schen Gesandten gesehen, gerade so war er gekleidet; der Frack starrte von goldener Stickerei, ein handbreites Ordensband ging ihm über die Brust quer herab, auf der Brust – was Tausend! da hatte er ja sogar einen Stern! »Nun, das muß doch ein vornehmer Herr sein, der Herr von Ladenstein,« dachte Ida und machte große Augen, »und sonst sieht er doch ganz schlicht aus.«
Es kam die Treppe herauf, es pochte an ihrer Türe, gewiß wollte Emil noch einmal – nein, es war nur Ladenstein, aber auch dieser war ihr willkommen. Aber so freundlich er lächelte, so war es ihr doch, als könne sie heute nicht so ungeniert sein als früher. Sie machte einen tiefen, tiefen Hofgala-Knicks, als er so bebändert, besternt und übergoldet zu ihr eintrat, und wußte nicht gleich recht, wie sie ihn empfangen sollte; er aber lachte ihr gerade ins Gesicht: »Ich weiß wohl, woran es liegt, daß mich Fräulein Ida nicht empfängt wie einen alten Freund; die paar Ellen Band da! Ei, ei, das hätte ich doch nicht gedacht, daß sich eine junge Dame dadurch gleich so einschüchtern ließe!« Sie sammelte sich und lachte sich jetzt selbst recht aus, daß sie ihn so steif und förmlich wie eine ungeheure Respektsperson empfangen hatte; er zog sie zutraulich zu sich auf den Diwan und erzählte, daß Emil in diesem Augenblick mit seiner Werbung vor dem Papa stehe und sie hoffentlich recht bald als Bräutchen umfangen werde. –
Das Mädchen ward feuerflammrot, sie hatte sich noch von keinem Menschen Braut nennen hören, es war ihr ein so ungewohntes Wörtchen, und doch kam es ihr selbst wieder vor, als sei es ihr recht bräutlich zumut. –
Er selbst, fuhr der freundliche Alte fort, sei als Reserve-Bataillon und Hinterhalt aufgestellt; er habe sich darum mit all seinem Flitterputz angetan, um damit dem Herrn Papa-Präsidenten,[170] wenn er etwa noch einiges Bedenken tragen sollte, über den Hals zu fallen.
Ida ward recht nachdenklich, als sie aus Ladensteins Mund hörte, daß es denn doch fehlen könne, und sagte: »Ach, vor meinem Vater ist mir nicht so bange, der gibt am Ende schon nach, wenn ich ihn recht schön bitte, aber der Onkel –«
»Nun, was für ein Onkel ist denn das?« fragte Ladenstein aufmerksam und neugierig.
»Emils Onkel, wissen Sie denn nichts von dem? Ach Gott! Das soll ein gar böser alter Herr sein« (Ladensteins Gesicht zog sich immer mehr in die Länge bei diesen Nachrichten), »das hat mir Hofrat Berner, der den jungen Grafen und seine Verhältnisse kennt, gesagt; von ihm hängt Emil ab, denn er soll ihn so lieb haben wie seinen Vater, und der alte Herr soll auch sehr viel an dem Neffen tun –« (es zuckte wie tiefe Rührung in Ladensteins Gesicht), »wenn nun dieser die Sache erfährt,« setzte sie traurig hinzu, »wenn er dem Grafen eine Schönere, eine Bessere ausgesucht hätte, wenn er Nein sagt.«
»O, er sagt nicht Nein, er kann keine Bessere finden,« unterbrach sie der alte Herr voll wunderbarer Rührung.
»Eine Treuere wenigstens nicht, keine, die ihn mehr ehren würde; ach, wenn man nur den erweichen könnte; sehen Sie, Ladenstein,« sagte sie unter Tränen lächelnd, »ich habe mir eine kleine List ausgedacht, es ist zwar eine Kriegslist, aber doch wohl eine erlaubte, und Sie habe ich dazu ausersehen, daß Sie mir dabei helfen. Sie kennen die Szene aus der Kirche, die ich Ihnen gestern zeigte, die habe ich nun ganz eigentlich für den alten Martiniz entworfen. Sehen Sie, wenn er etwa zweifelt, daß ich seinem Neffen so recht von Herzen gut bin, so – das tun Sie mir schon zu Gefallen, und Sie kennen den alten Herrn gewiß – so zeigen Sie ihm die Gruppe da, sagen Sie ihm, ich sei es gewesen, die seinen Emil von dem schrecklichen Wahn befreite; wollen Sie?«
Der alte Herr nickte ihr stumm seine Einwilligung zu, die hellen Tränen rollten ihm durch die gefurchten Wangen, er war so tief gerührt, daß er nicht sprechen konnte; er faßte ihre Hand und zog sie an seine Lippen. Endlich faßte er sich doch wieder, er wischte die Tränen hinweg, er war freundlich wie zuvor und fand auch die Sprache wieder.
»Ich will es ihm geben, dem alten Gesellen,« sagte er lächelnd, »ich kenne ihn so gut wie mich selbst, und darf sagen, daß ich sein innigster – bester Freund bin; haben Sie keine Sorgen, Töchterchen, der Alte schlägt mit Freuden ein, aber das Bild da soll er haben, und wie ich ihn kenne, wird er es hoch anschlagen, es wird sein bestes Kabinettstück sein.«
Sie wurden von Emil unterbrochen, der in stürmischer Eile Ladenstein zum Präsidenten hinabrief. Dieser ging und ließ die beiden allein. Emil sagte seinem Mädchen, daß der Papa durchaus nicht abgeneigt scheine, nur habe er bange, was der Hof dazu sagen werde. Er für seinen Teil könne diese Bedenklichkeiten nicht begreifen, denn offenbar gehe es den Hof nicht im mindesten etwas an, wen er heiraten wolle. Ida konnte wohl ahnen, was ihr Vater unter diesen Bedenklichkeiten wegen des Hofes verstand, aber sie scheute sich, den Geliebten darüber zu belehren. Es wäre aber auch Sünde gewesen, ihn in seinem Glücke zu stören. Er saß so selig neben dem bräutlichen Mädchen, er war so trunken von Wonne und Glück, daß er nichts anderes mehr zu hören und zu denken schien als sie.
Man konnte aber auch nichts Holderes, Lieblicheres sehen als das Mädchen. Ihr Auge glänzte voll Liebe und Seligkeit, auf den Wangen lag das heilige Frührot der bräutlichen Scham, um den Mund spielte ein reizendes Lächeln, das bald Verlegenheit über den ihr so ungewohnten Stand einer Braut, bald Wonne und Freude verriet.
»Mein holdes, einziges, mein bräutliches Mädchen,« rief der glückliche Martiniz, nachdem er sie lange mit seinen trunkenen Blicken angeschaut hatte. »Mein lieber, guter Emil,« lispelte sie und sank in seine Arme und barg ihr tief errötendes Köpfchen an seiner Brust. Aber obgleich es ihm Freude machte, das Engelskind so an sein treues Herz geschmiegt zu sehen, das schöne Haar mit seinen Ringellöckchen zu betrachten und in den herrlich gewölbten Nacken, so rein und weiß, so glänzend wie aus Wachs geformt, niederzublicken, so machte ihm doch die Kehrseite mehr Freude. Er faßte das Engelsköpfchen an dem samtnen Kinn und hob es aufwärts. Wie mild, wie treu blickten ihn diese Augen an, wie würzig wölbten sich die Purpurlippen[172] ihm entgegen! Er schlug den Arm um den schlanken Leib, er preßte sie an sich und sog in langen, langen Küssen das süßeste Leben in sich ein.
Nein, wahrhaftig, so sonderbar war ihr in ihrem ganzen Leben nicht zumut gewesen, wie in diesen Augenblicken. Es prickelte und zuckte ihr durch alle Nerven, durch alle Glieder und Gliedchen, bis hinaus in die Fingerspitzen, bis hinab in den großen Zehen. Es war ihr so wohl, so wonnig zumut, als sollte sie aufgelöst in innige Liebe vergehen. Sie wollte ihn ansehen und hatte doch das Herz nicht dazu, sie wollte sich schämen und schalt sich wieder aus über die Torheit, denn es war ja ihr Bräutig–; nein, das fiel ihr eben siedendheiß ein, es war noch nicht ihr Bräutigam, Papa hatte ihm seine Einwilligung noch nicht zugesagt – es schickte sich doch nicht so recht, sie wand sich verschämt aus seinen Armen und wollte eben sagen, daß er doch ein wenig einhalten –
Da ging die Türe auf, und mit freudestrahlendem Gesicht, den lächelnden Präsidenten an der Hand, schritt Ladenstein herein. »Ich gratuliere,« rief er, »der Herr Papa willigt ein!« Ida flog an den Hals ihres Vaters. Sie weinte, sie lachte in einem Atem, sie streichelte seine Wangen und küßte ihn und war ein so munteres, wähliges Kind, als habe er ihr eine hübsche Puppe zum Weihnachten oder als Geburtstagsangebinde geschenkt.
Auch Emil war aufgestanden und zum Präsidenten getreten. Er fragte ihn voll Freude, ob es ihm erlaubt sei, ihn Vater zu nennen?
Der Präsident lächelte und zeigte auf Ladenstein. »Nach dem, was Seine Exzellenz, Ihr Herr O–« ein Wink des alten Herrn machte, daß er sich schnell korrigierte – »was Herr von Ladenstein mir sagte, ist durchaus kein Zweifel mehr in mir, der dieser Verbindung entgegen wäre.«
Die Glücklichen sanken sich in die Arme, sie umarmten sich, den Vater, den guten Ladenstein, ja, es schien fast, als möchten sie noch mehr Zeugen ihres Glückes. Und nun ging es an ein Akkordieren wegen der Hochzeit, der Graf wollte lieber heute als morgen und hätte gern sein liebes Bräutchen nur so im Hauskleidchen, wie sie dastand, ins Münster geführt. Aber dagegen sträubte sie sich selbst. Sie sah gar zu naiv aus, als sie so ernsthaft sagte: »Nein, wenn es einmal sein muß, so muß es auch recht sein. Im Hausüberröckchen traut man kein reputierliches Fräulein.« Der Präsident stimmte bei, er sagte:[173] »Sie haben ja noch gar nichts, wo Sie nur Ihr Haupt hinlegen könnten, keine Wohnung, keinen Stuhl, kein Bette!«
Aber dagegen protestierte wieder Ladenstein feierlich: »Ein Vierteljahr ist viel zu lang, und was den Ort betrifft, wo sie ihr Haupt hinlegen könnten, da habe ich ein so anständiges Plätzchen ausersehen, wie man es nur wünschen kann. Da ist –« er zog eine große Schreibtafel hervor, nahm mehrere Papiere heraus und entfaltete sie – »da ist ein gerichtlich ausgefertigter Kaufbrief von Schloß und Herrschaft Groß-Lanzau, drei Viertelstunden von hier, angekauft für den Herrn Grafen Emil von Martiniz, wenn Sie ihn kennen, und ihm von seinem Oheim zur Morgengabe übermacht, kann heute schon bezogen werden, wenn es ihm gefällig ist.«
Die drei machten große Augen. Emil stürzte dem alten Herrn an den Hals. »Mein teurer, väterlicher –«
»Still, still, ist schon gut,« unterbrach ihn der alte Herr, indem er ihm die Hand auf den Mund legte, »bedenke dein Versprechen. Ich habe hier nur den Geschäftsträger gemacht, danke deinem Onkel, wenn er einmal da ist!« – »Ach, wo ist er denn, der gute Onkel,« rief Ida, »daß ich ihm danken kann für seine unendliche Güte?«
»Wird auch kommen zu seiner Zeit,« antwortete Ladenstein, indem ihm eine Träne der Rührung im Auge blinkte, »er wird schon kommen und eine Freude an seinem holden Töchterchen haben, einstweilen soll ich Idchen in seinem Namen küssen.« Er gab ihr einen recht väterlichen Kuß auf die schöne Stirne.
Der Präsident hatte indessen die Papiere durchgesehen. Je länger er las, desto größer und staunender wurden seine Augen. Ehrfurchtsvoll faltete er die Papiere zusammen und sagte: »Nein, das ist zu arg, das ist zu viel; bedenket, Kinderchen, nicht nur das herrliche Groß-Lanzau mit dem schönen neuen Schloß, ganz durch und durch elegant ausmöbliert, mit Stallung und Pferden, mit Scheunen und Knechten, mit Wäldern und Feldern, weiß Gott! seine zweimalhunderttausend Taler unter Brüdern wert, nein, bedenkt auch noch –«
»Still, alter Herr!« unterbrach ihn Ladenstein. »Macht kein solches Wesen von dem Zeug. Ihr wißt, der alte Martiniz kann es geben und gibt es gern. Da ist auch noch etwas in den Papieren für das liebe Bräutchen, nämlich ein kleines Schlößchen, hart am Fluß, ein Stündchen von hier. Man hat mir gesagt, daß Idchen immer gerne an jenem Plätzchen gewesen[174] sei, und deswegen hat es der Herr Onkel seiner lieben Nichte erb- und eigentümlich zum Brautgeschenk übermacht.«
Voll freudigen Schreckens schlug das Mädchen die Hände zusammen. »Doch nicht mein liebes Blauenstein?« rief sie.
»Ebendasselbe,« antwortete Ladenstein und überreichte ihr die Schenkungsakte.
Sie konnte es nicht fassen, sie tanzte mit dem großen Brief im Zimmer umher wie närrisch und rief immer: »Mein Blauenstein, mein liebes, herziges Blauenstein!« daß die drei unwillkürlich über die possierliche Freude des Mädchens lachen mußten.
Es ist aber auch wahr, man kann nichts Schöneres sehen als dieses Blauenstein. Ein allerliebstes Schlößchen mit fünf bis sechs elegant eingerichteten Zimmern und einem Salon, auf drei Seiten von einem schönen Wald umgeben, und die vierte Seite, die Fassade des Schlößchens, gegen den schönen Fluß geöffnet, und eine paradiesische Aussicht hinüber in Täler und Berge – und dieses lauschige, liebliche Plätzchen ihr ganz eigen, ihr, dem fröhlichen Bräutchen, und dort zu wohnen als Frauchen mit ihrem Emil – gewiß, ein solcher Gedanke hätte manche andere tanzen gemacht!
Und jetzt hatte der Präsident auch nicht das geringste mehr einzuwenden, und die Hochzeit wurde vor den Ohren des errötenden Mädchens auf die nächste Woche festgesetzt. Heute abend aber wollte Papa Präsident große Gesellschaft geben und dort das junge Paar als Braut und Bräutigam präsentieren.
»Was aber der Präsident Sanden dick tut!« sagten die Freilinger, als jetzt die Lakaien in der Stadt umherflogen und zum Souper einluden. Die meisten dachten, es geschehe der Gräfin Aarstein zu Ehren, bei welcher er sich auf alle mögliche Weise zu insinuieren suche, um später einmal Minister zu werden.
Als man aber abends in den Salon des Präsidenten trat, wurde man noch mehr von diesem »Dicktun« überzeugt. Außer den prachtvollen Lüstern, die gewöhnlich bei Gesellschaften angezündet wurden, war eine ganze Galerie der geschmackvollsten Wandleuchter von Bronze angebracht, und Walratlichter, so durchsichtig und klar wie Glas, eine ganz nagelneue Erscheinung[175] für Freilingen, strahlten ein Feuermeer von sich. Die Wände waren mit Festons von Blumen und grünen Zweigen geschmückt, die sich in den deckenhohen Spiegeln zu einem ganzen Wald von Kränzen und Girlanden vervielfältigten. Ein ganzer Hausrat der prächtigsten Kristalle, Vasen, Teller, Becher, Platten, Schüsseln, Bouteillen blinkte mit seinen geschliffenen Figuren in tausend vielfarbigen Lichtern. Das schwerste Silber an Bestecken und Leuchtern ward heute aufgesetzt, und jedermänniglich war erstaunt über diese Pracht.
Einige aber, die feinere Nasen hatten als die übrigen, legten die Finger daran und klügelten hin und her, was dies alles zu bedeuten habe; denn man wußte so ziemlich allgemein, daß der alte Sanden ohne Not und wichtige Ursache nicht so viele Umstände mache. Doch aus seinem Gesicht konnte man nicht recht vernehmen, was er in petto habe. Er empfing seine Gäste höchst freundlich, aber zeremoniös, sprach mit keinem sehr viel und lange, sondern teilte sich überall und allen mit. Die Gräfin – nun, die kam endlich, sah aber nicht danach aus, als ob ihr das Fest gehöre, denn sie war wie gewöhnlich prachtvoll, aber nicht gerade festlich gekleidet.
Die einzigen von allen Gästen, die mit ihren Erwartungen so ziemlich am nächsten ans Ziel trafen, waren wohl Leutnant Schulderoff und seine Kameraden. Sie waren seit der Duellgeschichte die eifrigsten Freunde des Polen geworden und hatten ihre geheime Schadenfreude daran, daß der Goldfisch wahrscheinlich der Aarstein, welche die Garnisonsoffiziere sehr über die Achsel angesehen und ganz obenhin behandelt hatte, entschlüpfen würde. »Wenn die Ida doch keinem von uns gehören soll,« hatte Schulderoff geäußert, »so gönne ich sie am liebsten dem Martiniz; er ist Soldat, und das muß man ihm lassen, brav wie der Teufel; stand er doch da, als die blaue Bohne auf ihn zusurrte, als wäre es ein Schneeglöckchen; so kalt und fest habe ich in meinem Leben keinen sich schießen sehen. Und am Ende hatte er doch recht, denn Sporeneck räsonierte doch über die Ida, daß es mir selbst das Herz im Leib hat zerreißen wollen. Das kommt aber von niemand her als von der Aarstein, die den guten Jungen, den Sporeneck zum Teufel moduliert hat, und nebenbei kommt es auch von meiner Frau Mama mit ihrer ewigen Planmacherei, mich unter die Haube zu bringen, und nebenbei auch von der falschen Katze, der Sorben, die gegen jedermann ergrimmt ist, wer nicht von ihren Reizen hingerissen wird.«
So urteilte der Leutnant und mit ihm seine Kameraden; so sehr hatte die Uniform und der Orden auf Martiniz' Brust die ganze Sache verändert.
Endlich war die ganze Gesellschaft beisammen. Man konversierte in dem festonierten Saal, ehe man zu den Spieltischen ging, und die Gräfin hatte den größten Hof um sich, denn man dachte nicht anders, als sie müsse doch vielleicht die Königin des Festes sein. Es fehlte niemand mehr; doch ja, Martiniz und Ladenstein fehlten noch, die Gräfin suchte vergebens mit ihren rastlosen Blicken nach dem ersteren. Sie hatte eine tüchtige Schelte einstudiert, um ihn für seine Vernachlässigung zu strafen; überhaupt hatten sich ihr heute so sonderbare Gedanken aufgedrängt – der Graf, der sich doch sonst an sie angeschlossen, dem sie so merklich als möglich ihre Neigung zu ihm gezeigt hatte, war zwei Tage gar nicht für sie sichtbar; sie wußte, daß er heute im Hause gewesen, und doch hatte er sie nicht besucht; der Rittmeister – der war ihr nun ganz unbegreiflich, und sie war bitterböse auf ihn. Im ganzen war er ihr gleichgültig, denn ihre Neigungen waren sehr flüchtiger Natur, auch war ihr der Graf jetzt bei weitem interessanter, und sie gestand es sich selbst, sie hätte ein Wohlwollen zu ihm, das beinahe Liebe war – aber dennoch sollte der Rittmeister noch immer der Cavaliere servente sein, und dennoch konnte er es wagen, zwei Tage sich nicht mit einem Blick sehen zu lassen. Wenn er auf die Jagd geritten war, wie die übrigen Offiziere äußerten, so hätte er wenigstens ein Billett an sie hinterlassen können – aber sie wollte es ihm entgelten.
Der Arme! er lag gerade jetzt auf seinem Schmerzenslager und fluchte die fürchterlichsten Flüche, daß er sich jemals in die Dienste dieser Sirene begeben habe.
Auch Ida fehlte noch in der Gesellschaft; nun, sie hatte wahrscheinlich noch manches für die Bewirtung zu sorgen und zu rüsten. Endlich – der Präsident hatte sich heimlicherweise weggeschlichen – endlich ging die Tür auf, ein allgemeines Flüstern der Erwartung rauschte durch den Saal – herein trat ein großer, ältlicher Herr in reicher, prächtiger Kleidung, mit Sternen und Orden besäet (wir kennen ihn schon), an seinem[177] Arm ein holder, verschämter Engel voll Huld und Anmut, demütig und doch voll wunderbarer Majestät – Ida.
Aber wie das Mädchen heute geputzt war, das Blondenkleid, man hatte noch nichts so Feines, Zartes, Geschmackvolles gesehen. Um den Schwanenhals ein Perlenschmuck, der, es waren scharfe Kenner in dem Saal, aber sie schwuren hoch und teuer, mit den fürchterlichsten Flüchen, er sei unschätzbar und nicht in diesem Lande gekauft! Im zierlich geordneten Haar einen Solitär, die Gräfin hätte heulen mögen, daß sie den ihrigen hatte in der Residenz lassen müssen – er war in Kost und Logis bei Salomon Moses' Söhnen – und doch hätte er gegen dieses Wasser, gegen die funkensprühende Kraft dieses Steins verbleichen müssen!
Hatten die Gäste schon dies Paar mit weit aufgerissenen Augen angestarrt, so riskierten sie jetzt vor Verwunderung den schwarzen Star zu bekommen, denn jetzt trat der Präsident ein, an der Hand führte er einen Jüngling, hoch und schlank, in prachtvoller, pompöser Uniform, den Diamantorden auf der stolz gewölbten Brust, an der Seite einen mit flunkernden Steinen übersäeten Säbel, in der Hand seinen Kalpak, woran die Agraffe, ein Familienstück, von Kennern auf zweimalhunderttausend Taler geschätzt wurde; der Präsident mit seinem strahlenden Jüngling trat näher, es war Emil.
Der Kreis der erstaunten Gäste öffnete sich – der Präsident empfing aus Ladensteins Hand sein Idchen, so trat er mit dem Pärchen in den Kreis – die Gräfin mochte ahnen, was vorging, denn sie schoß wütende Blicke auf die drei, ihr Busen flog auf und nieder; tief und bescheiden neigte sich Ida, das Engelskind und errötete über und über; der Graf aber schaute fröhlich, stolz, mit seinem siegenden Glutblick im Kreise umher, der Präsident verbeugte sich und begann: »Verehrte Freunde, ich habe Sie eingeladen, ein glückliches Ereignis meines Hauses mit mir zu begehen – meine Ida hat sich heute verlobt mit dem Grafen Emil von Martiniz.« Von Anfang tiefe, tiefe Stille, man hätte eine Mücke können trappen hören – unwillkürlich flogen die Blicke der erstaunten Gäste nach der Gräfin, denn sie, sie mußte ja nach ihren Kalkülen die Braut sein, dann öffneten sich die Schleusen der Beredsamkeit, ein ungeheurer Strom von Gratulationen, gegenseitigen Lobpreisungen brach über die Dame herein, man hörte sein eigenes Wort nicht, so gingen, wie in einer Windmühle, wenn der Nordost bläst, die Mäuler und Mäulchen.
Endlich fand auch die Gräfin Worte, sie hatte, das übersah sie mit einem Blick, das Schlachtfeld verloren, jetzt galt es, sich geordnet zurückzuziehen und dem Feind, wo sie eine Blöße erspähen könnte, noch eine tüchtige Schlappe zu geben. Sie hatte schnell gefunden, was sie wollte. Sie eilte auf Ida zu, umarmte sie herzlich und wünschte ihr Glück zu ihrer Verbindung. »Aber dennoch, Kinderchen,« setzte sie hinzu und wollte freundlich aussehen, obgleich ihr das grüne Neidfeuer aus den Augen sprühte und ihr Mund krampfhaft zuckte, »dennoch weiß ich nicht, ob ihr ganz klug getan habt. Idas Mutter war, soviel ich weiß, aus keinem alten Haus, und Sie selbst, Graf, müssen wissen, wie Ihr Oheim, der Minister, darüber denkt; wenigstens, soviel ich mir von ihm habe sagen lassen, wird er diese Verbindung nun und nimmermehr zugeben.«
Ida war ganz bleich geworden, sie dachte im Augenblick nicht daran, daß nur böslicher Wille und Neid die Gräfin so sprechen lasse, das Wasser schoß ihr in die Augen, sie warf einen bittenden, hilfesuchenden Blick auf Ladenstein und Martiniz; jener stand auf der Seite und sah ernst, beinahe höhnisch der Gräfin zu, Emil aber sagte ganz kalt und gelassen: »Wissen Sie das so gewiß, gnädige Frau?« Dieser Gleichmut reizte sie noch mehr; eine hohe Röte flog über ihr Gesicht, die Augen strahlten noch tückischer. »Ja, ja, das weiß ich gewiß,« rief sie, »ein Freund Ihres Herrn Onkels, der Geheimrat von Sorben, hat mir über diese Sache hinlänglich Licht gegeben, daß ich weiß, daß er diese Mesalliance nie genehmigen wird, Sie werden es sehen!«
»Und dennoch hat er sie genehmigt,« antwortete eine tiefe, feste Stimme hinter ihr. Erschrocken sah sie sich um, es war der alte Ladenstein, der sie mit einem höhnischen, sprechenden Blick ansah; sie konnte seinen Blick nicht aushalten und maß ihn daher mit stolzem Lächeln, hinter das sie ihre Wut verbarg, von oben bis unten. »Das müßte doch sehr schnell gegangen sein,« sagte sie und schlug eine gellende Lache auf, »noch vor fünf Tagen lauteten die Nachrichten hierüber ganz anders, der Herr von Sorben sagt mir –«
»Er hat Sie belogen,« entgegnete der alte Herr ganz ruhig.
»Nein, das wird mir zu stark,« rief die hohe Dame gereizt, »von einem Mann wie Herr von Sorben bitte ich in anderen Ausdrücken zu sprechen; wie können Sie wissen, was der alte Herr von Martiniz –«
»Er steht vor Ihnen, gnädige Gräfin,« sagte der alte Herr[179] und beugte sich tief, »ich heiße mit Ihrer Erlaubnis Dagobert Graf von Ladenstein-Martiniz.«
Ehe er noch ausgesprochen hatte, lag Ida an der besternten Brust des Oheims, vergoß Tränen der Freude und der Wonne und suchte vergeblich nach Worten, ihr Entzücken auszusprechen. Die Gräfin stand da, wie zu einer Säule versteinert, doch hatte sie, sobald sie wieder Atem hatte, auch Fassung genug, zu sprechen; so freundlich und herablassend als möglich wandte sie sich an das junge Paar: »Nun, da wünsche ich doppelt Glück, daß ich mich geirrt habe. Hätte es Sr. Exzellenz früher gefallen, seine Maske abzunehmen, so würde ich Ihr Glück auch nicht auf einen Augenblick gestört haben.«
Sie ging, von außen ein Engel, im Herzen eine Furie; sie wünschte in ihrem wutkochenden Herzen alles Unglück auf das Haupt der unschuldigen Ida. Wütend kam sie zu der Sorben, die mit Frau von Schulderoff in einer Fenstervertiefung bei einem Glas Punsch sich von dem Schrecken erholte, der ihr in alle Glieder gefahren war. »An allem Unheil ist Ihr sauberer Herr Onkel schuld, Fräulein Sorben,« rief die Wütende, »warum hat er uns mit falschen Nachrichten bedient? Warum hat er uns nichts gesagt, daß der alte Narr hier herumspukt unter falschem Namen? O, ich möchte –!« Der orangenfarbene Teint von Fräulein Sorben war ins Erdfahle übergegangen, sie hatte die stille Wut und machte sich hier und da nur durch ein unartikuliertes Kichern Luft, indem ihr das helle Tränenwasser in den Augen stand.
»Und keinen Hufen Landes sollen sie mir kaufen, das Polenpack! solange mein Oheim noch Herr im Lande ist; nach ihrem Polen mögen sie ziehen, und das Affengesicht, den naseweisen, dürren Backfisch, mögen sie mitnehmen und dort meinetwegen für Geld sehen lassen!«
»Ach, das ist ja gerade das Unglück,« seufzte Frau von Schulderoff, »daß wir sie in der Nachbarschaft behalten; denken sich Exzellenz, wie der alte Narr sein Geld zum Fenster hinauswirft; zum Hochzeitsgeschenk, erfahre ich soeben, hat er ihnen Groß-Lanzau und das freundliche nette Blauenstein gekauft!«
»Gekauft?« preßte die Gräfin zwischen den Zähnen, die sie ganz verbissen hatte, heraus, »gek–«
»Denken Sie sich, gekauft um dreimalhunderttausend Taler und ihnen geschenkt; ob man etwas Tolleres hören kann!«
»Das fehlte noch!« knirschte die Gräfin und rauschte weiter.
Indessen war Ida glücklich, selig zwischen dem Geliebten und dem Oheim. Dieser Oheim, sie hatte sich ihn als einen grämlichen, alten Herrn vorgestellt; dieser war es, der hie und da in Gedanken ihr Glück noch gestört hatte. Sie wußte ja, wie Emil an ihm hing, wie es ihn betrüben würde, wenn jener sein Verhältnis zu Ida ungünstig aufnähme. Und jetzt, nein! sie wußte sich nicht zu fassen vor lauter Seligkeit! Der freundliche, gütige Ladenstein hatte sich wie durch einen Zauberschlag in die gestrenge Exzellenz, den Minister Grafen von Martiniz verwandelt, und doch blieb er so freundlich, väterlich, traulich wie zuvor; sie wußte nicht, wem von beiden sie das nette, lustige Amorettenköpfchen zuwenden sollte, sie lachte und tollte, gab verkehrte Antworten und schnepperte, wie ihr das Schnäbelchen gewachsen war. Es war das glückseligste Kind, die holdeste, vollendetste Jungfrau und das lieblichste, anmutigste Bräutchen unter der Sonne in einer Person.
Einer der Glücklichsten im Saal war aber Hofrat Berner. Heute abend erst war er zurückgekommen, hatte sich nur schnell in die Toilette geworfen und schnurstracks zu Präsidents, und das erste war, als er in den Salon trat, daß er hörte, wie der Präsident seine Kinder präsentierte; er hätte mögen aus der Haut fahren vor teilnehmendem Jubel seines alten treuen Herzens. »Das ist mein Werk,« lächelte er vor sich hin, »ganz allein mein Werk; es konnte nicht anders gehen, nachdem es einmal eingefädelt war.« Aber wie riß er die Augen auf, als er von einer Gräfin Aarstein, von einem alten Grafen Martiniz, welche auch hier seien, hörte! »Nun, da muß es was Tüchtiges gesetzt haben,« dachte er, »das beste wird sein, ich frage Idchen selbst.«
Das Brautpaar empfing ihn mit Jubel, und Martiniz stellte ihn sogleich dem alten Grafen vor, denn er hatte ihm viel von diesem alten Freund und Ratgeber ihrer Liebe erzählt. Ida gestand ihm, daß sie ihn oft schmerzlich vermißt habe; auch Martiniz äußerte dies und versprach, ihm alles so bald wie möglich zu erzählen.
»Lassen wir die Brautleutchen, alter Freund,« unterbrach Graf Martiniz seinen Neffen, indem er den Hofrat am Arm nahm und mit sich fortzog; »lassen wir sie; uns Alten liegt es ob, für das Glück der Jungen zu sorgen. Man hat mir[181] gesagt, daß Sie, lieber Hofrat, sich so trefflich darauf verstünden, ein Festchen zu arrangieren. Ich war in früheren Jahren einmal Oberhofmeister, das fügt sich nun ganz vortrefflich. Da wollen wir nun, wir zwei, beide miteinander etwas zusammenschustern, wie man es hierzulande noch nicht sah.«
Der Hofrat war es zufrieden, und der Graf machte ihm jetzt seine Vorschläge. Morgens sollten sie getraut werden. »Nicht zu Haus, das kann ich für meinen Tod nicht leiden, die Hauskopulationen reißen jetzt so ein, daß sie fast zur Mode werden, als wäre eine vornehme Ehe nicht dieselbe wie eine geringe, als wäre der Altar Gottes nicht für alle und jeden; aber der Fluch kommt gewöhnlich bald nach. Hat man sich in den gewöhnlichen Zimmern, wo man sonst tollte und lachte, wo man, sobald der Altar weggeräumt ist, tafelt und tanzt, hat man sich da trauen lassen, so kommt einem auch das neue Verhältnis so ganz gewöhnlich vor, daß man bald davor keine Ehrfurcht mehr hat.« – Also in der Kirche; nachher sollten die Gäste hinausfahren nach Blauenstein.
Der Hofrat machte große Augen, und als er hörte, daß dies die neue Besitzung des lieben Pärchens sei, und daß Groß-Lanzau auch noch dazu gehöre, er hätte, wenn es sich nur halbwegs geschickt hätte, ein paar Kapriolen in die Luft gemacht – nach Blauenstein, dort mußte das Schloß festlich geschmückt sein, und zum Essen, was man nur Feines und Gutes haben kann! Nachher – die beiden Alten sahen sich an, und beiden zuckte der kleine, sarkastische Schelm um den Mund, denn beiden fiel ein, daß sie noch Junggesellen seien – »nun, nachher,« fuhr der Graf fort, »muß das Brautpaar eine kleine Reise machen, und wir beide gehen als garde de dame auch mit, bestellen die Pferde auf den Stationen, daß die jungen Eheleutchen in ihrem Landau nicht inkommodiert werden, wir beide aber spiegeln und erfreuen uns an dem Glück, das wir, Sie und ich, lieber Hofrat, zusammen gemacht haben.«
Dem Hofrat, obgleich er lächeln wollte, stand doch eine Träne der Rührung im Auge; er drückte dem edelmütigen Polen die Hand und erklärte sich bereit, mit ihm selbst um die Erde zu reisen. »Und wann soll die Hoch–«
»Ueber acht Tage soll die Hochzeit sein,« rief der alte Herr; und der Präsident, der gerade hinzugetreten war, rief es nach und lud sämtliche versammelte Gäste dazu ein.
Es war ein sonderbarer Anblick, den des Präsidenten Haus in diesen Tagen gewährte. Das Rennen und Laufen der Schneider und Schneiderinnen, Nähterinnen, Schuster, Schreiner, Schlosser, Küster, Bäcker, Fleischer, Köche, Kaufleute usw. wollte gar kein Ende nehmen. Beinahe in jedem Zimmer sah man, auf jeder Treppe stieß man auf einen Handwerker, und alle taten, als ob von ihrer Nadel oder Pfriemen die ganze Hochzeit abhinge.
Machten aber diese schon wichtige Gesichter – hu! da grauste einem ordentlich, es lief wie eine dicke Gänsehaut über den Körper, wenn man den Hofrat sah. Er war in diesen Tagen der Vorbereitung viel magerer und bleicher geworden, seine Augen lagen tief und entzündet, ein Zeichen, daß er viel bei Nacht wachte; und es war auch so; bei Tag lief er sich beinahe die Füße ab wie die Hündin des Herrn von Münchhausen aufschneiderischen Angedenkens, da war zu bestellen und zu besorgen, er lief hin und her, in alle Ecken und Enden der Stadt, ja, man will ihn an mehreren Orten zugleich gesehen haben.
Bei Nacht – nein, es war ein Wunder, daß der Mann nicht schon längst tot war; nachdem er sich müde gelaufen, müde gesorgt, müde gesehen, müde geschwatzt, müde gescholten, müde erzählt hatte, kam erst kein Schlaf über ihn.
Er streckte sich ins Bett, ließ zwei Wachskerzen und einigen Glühwein auf den Nachttisch setzen; in einem großen Korbe standen vor ihm Bücher, ein ganzer Schatz von Festen. Da war das seltene Werk: »Wahrhafte und akkurate Beschreibung der solennesten Festins am Hofe Ludwigs XIV.« Ferner: »Der allzeitfertige maître de plaisir für Hofleute, vornehme Festlichkeiten und anderen Kurzweil.« »Der galante Junker, oder wie Tänze, Schmäuse, Hochzeiten, Kindtaufen usw. am schönsten zu arrangieren.« Sogar das Festbüchlein von Krummacher hatte er sich aus dem Buchladen kommen lassen, denn er dachte nicht anders, als es müssen darin allerhand neue und noch nie gesehene Festivitäten erzählt sein. Er soll sich übrigens sehr geärgert haben, als dem nicht also war.
Aus dieser Festbibliothek nun, die er Stück für Stück mit der größten Geduld und Aufmerksamkeit durchlas, machte er sich Randglossen und Auszüge, er kam aber dadurch am Ende selbst mit sich in Streit, denn das sah er ein, wenn man alle die schönen Sachen, die er sich aufnotiert hatte, ausführen[183] wollte, so mußte man vierzehn Tage lang Hochzeit halten, und doch konnte er nicht mit sich einig werden, was er weglassen sollte. So lebte er in einem ewigen Zappel, ja, es war ordentlich rührend anzusehen, wenn er hie und da bei Ida bis zum Tode ermüdet in ein Sofa sank, den brechenden Blick auf sie heftete, als wollte er sagen: »Sieh, für dich opfere ich mein Leben auf.«
Und Ida? Habt ihr, meine schönen Leserinnen, je ein geliebtes Bräutchen gesehen, oder waret ihr es einmal oder – nun, wenn ihr es selbst noch seid, gratuliere ich von Herzen – nun, wenn ihr ein solches süßes Engelskind kennt, mit dem bräutlichen Erröten auf den Wangen, mit dem verstohlenen Lächeln des küßlichen Mundes, der sich umsonst bemüht, sich in ehrbare Matronenfalten zusammenzuziehen, mit der süßen, namenlosen Sehnsucht in dem feuchten, liebetrunkenen Auge, wenn ihr sie gesehen habt in jenen Augenblicken, wo sie dem geliebten Mann, dem sie bald ganz, ganz angehören soll, verstohlen die Hand drückt, ihm die Wange streichelt, wenn sie den weichen Arm vertrauungsvoll um seine Hüfte schlingt, wie um eine Säule, an der sie sich anschmiegen, hinaufranken, gegen die Stürme des Lebens Schutz suchen will, wenn sie mit unaussprechlichem Liebreiz die seidenen Wimpern aufschlägt und mit einem langen Blick voll Ergebenheit, voll Treue, voll Liebe an ihm hängt, wenn die Schneehügel des wogenden Busens sich höher und höher heben, das kleine, liebewarme Herzchen sich ungeduldig dem Herzen des Geliebten entgegendrängt – kennet ihr ein solches Mädchen, so wißt ihr, wie Ida aussah. Kennet aber ihr ein solches Engelskind, ihr Tausende, die ihr einsam unter dem Namen Junggesellen über die Erde hinschleicht, ohne wahre Freude in der Jugend, ohne Genossin eures Glückes, wenn ihr Männer seid, ohne Stütze im Alter – wißt ihr eine solche frische Hebe-Blüte und ein fröhliches Amorettenköpfchen, das etwa auch so warme Küßchen, auch so liebevolle Blicke spenden könnte wie Ida, o, so bekehret euch, solange es Tag ist; wenn sie sich euch vertrauensvoll im Arme schmiegt, wenn sie das Lockenköpfchen an eure Brust legt, aus milden Taubenaugen zu euch aufblickt, mit dem weichen Samtpatschchen die Falten von der Stirne streichelt – ihr werdet mir für den Rat danken.
Und Emil? Nun, ich überlasse es meinen Leserinnen, sich einen recht bildhübschen Mann aus ihrer Bekanntschaft zu denken, wie er den Arm um sie schlingt, ihnen recht sinnig ins Auge blickt und sie kü–
Nun, erschrecken Sie nur nicht! Es tut nicht weh; Sie haben sich einen gedacht? – Ja? – Nun gerade so sah Emil von Martiniz als Bräutigam aus.
So sah ihn auch die Gräfin; das Herz wollte ihr beinahe bersten, daß der herrliche Mann nicht ihr gehören sollte. Eines Morgens, ehe man sich's versah, sagte sie adieu, ließ packen, und – weg war sie.
Und endlich war der schöne Tag gekommen.
Was nur halbwegs laufen konnte, war heute in Freilingen auf den Beinen, und der polnische Graf und Fräulein Ida von Sanden waren in aller Mund. Vor der Kirchtüre schlugen und drängten sich die Leute als wie vor einem Bäckerladen in der Hungersnot. Alle Stühle in der Kirche waren besetzt, und von Minute zu Minute wuchs der Andrang.
Aber zum Hauptportal, den Gang hinauf, bis an den Altar durfte kein Mensch, das hatte sich ein Mann ausgewirkt, der heute stille, aber tief an dem Glück des Brautpaares teilnahm; dieser Mann war der Küster. Er hätte viel darum gegeben, wenn er der versammelten Menge hätte sagen dürfen: »Sehet, der Herr Bräutigam, es war just nicht ganz recht richtig mit ihm; er hatte allerhand Affären mit Herrn Urian, der ihn allnächtlich hierher in die Münsterkirche trieb. Da herein konnte er aber nicht, und ich, der Küster von Freilingen, habe ihm allnächtlich zu seiner Freistatt verholfen, war auch dabei, wie das Wunderkind, das jetzt seine Braut ist, ihn erlöset hat von dem Uebel, das mir, nebenbei gesagt, alle Tage einen harten Taler einbrachte; habe ich es nicht gleich damals zu dem alten Polacken gesagt, daß die beiden Liebesleutchen noch einmal in meine Kirche und vor meinen Altar kommen würden?«
So hätte er gerne zu den Freilingern gesprochen; es juckte ihn und wollte ihm beinahe das Herz abdrücken, daß er sich nicht also in seiner Glorie zeigen durfte, aber – er tat sich doch auch wieder nicht wenig darauf zu gut, daß er, was nicht jeder kann, so gut das Maul halten könne. Aber seine Attention hatte er dem Pärchen bewiesen, daß es eine Freude war. Vom Portal bis zum Altar waren Blumen gestreut, er hatte es sich etwas kosten lassen und keine kleine Hatz deswegen mit seiner[185] Liebsten gehabt, aber diesmal hatte er doch durchgedrungen und seinen eigenen Willen gehabt.
Jetzt kam Gerassel die Straße herauf; dem alten Küster schlug das Herz, jetzt, ja, sie mußten es sein, der große Glaswagen des Präsidenten fuhr vor; darin saßen der Präsident und Emil. »Ach! der schöne Offizier!« schrien die Freilinger und machten lange Hälse. »Wie prächtig, wie wunderhübsch!« flüsterten die Mädchen, denen das Herz unter dem Mieder laut pochte; aber man konnte auch nichts Schöneres sehen.
Er hatte die Staatsuniform angelegt, sie schloß sich um den herrlichen, schlanken, heldenkräftigen Körper, wie wenn er damit geboren worden wäre; das sonst so bleiche, ernste Gesicht war heute leicht gerötet und verherrlicht durch einen Schimmer von holder Freundlichkeit; sein stolzes, glänzendes Auge durchlief den Kreis, es traf den Küster, der in einem fort Bückling über Bückling machte, gerührt und freundlich reichte er ihm die Hand und stellte sich neben ihn unter das Portal.
Jetzt rasselte es wieder die Straße herauf. Ein Wagen, noch glänzender, geschmackvoller als der erste; er gehörte zu der neuen Remise des Grafen und war heute von Blauenstein hereingefahren worden. Der alte Brktzwisl, der in höchster Gala mit noch einem Kameraden hinten drauf stand, sprang ab, riß die Glastüre auf, schlug klirrend den Tritt herab – jetzt regt sich kein Atem mehr in der ganzen großen Menge; jedes Auge ist erwartungsvoll auf die geöffnete Türe geheftet. Der alte Graf, angetan mit all seinen Orden, der Hofrat mit dem himmlischen Ehrenzeichen der Freundschaft auf dem Gesicht, stiegen aus und postierten sich an den Schlag. Jetzt wurden ein Paar glacierte Handschuhe sichtbar, jetzt ein Füßchen, es war nicht möglich, etwas Kleineres, Niedlicheres zu sehen als die winzigen, weißseidenen Schuhe – jetzt – ein Lockenköpfchen, ein Paar selig glänzende Augen, ein Paar überpurpurte Wangen, ein lächelnder Mund – hübsch stand das Bräutchen zwischen den alten Herren. Ein Kleid von schwerem, weißem Seidenzeug schlang sich um den jugendlich-frischen Körper; wie darüber hingehaucht war ein Oberkleid vom feinsten Spitzengrund, ein Geschenk des Oheims, und mit der reichen Blonden-Garnierung, in welche es endigte, mit der Diamantenschnalle und dem aus Venetianerketten geflochtenen Gürtel, welcher den wunderniedlichen Blusenleib zusammenhielt, wenigstens seine achttausend Taler wert, und die Brasseletts mit den großen Steinen und das Diadem, um das sich der Myrtenkranz schlang! Nein, wer sich auch nur[186] ein wenig auf Steine verstand, dem mußte hier der Mund wässern, aber war nicht alles dies im Grund unbedeutende Façon, um den herrlichsten Edelstein, das Wunderkind selbst, einzufassen?
Sie traten in die Kirche; das in Seligkeit schwimmende Bräutchen vergaß nicht, im Vorübergehen dem Küster einen recht freundlichen Gruß zuzuwinken, daß ihn die Menge ehrfurchtsvoll angaffte und nicht begreifen konnte, wie der alte Schnapsbruder zu so hoher Bekanntschaft gelangt sei. Ernster und ernster wurden die Züge Idas, als sie sich dem wohlbekannten Altare näherte. Ihr Auge begegnete dem Auge Emils, des Grafen und des Hofrats, die mit Blicken des Dankes und der Rührung an ihr hingen. Hier war ja ihr Siegesplatz, wo das mutige Mädchen mit hingebender Liebe gegen den bösen Feind der Schwermut und des Trübsinnes gekämpft und gesiegt hatte.
Mühsam rang sie nach Fassung; die Freude, daß sich alles so schön gefügt hatte, wurde zur heiligen Rührung in ihr; noch einmal durchflog sie die Erinnerung an den ersten Blick des Grafen bis hierher zu dieser Stätte, und ihr Auge wurde feucht von Entzücken. Als aber die Trauung begann, als der würdige Diener der Kirche, dem man das Geheimnis anvertraut hatte, in einer kurzen, aber gehaltvollen Rede von den wunderbaren Fügungen Gottes sprach, der oft aus Tausenden sein Werkzeug zur Beglückung vieler wähle, da strömten ihre Tränen über. »Ja,« dachte sie bei sich selbst, »es ist erfüllt, was damals ahnungsvoll meine Seele füllte, der Zug des Herzens ist Gottes, ist des Schicksals Stimme.« Und viele Tränen flossen, denn auch die Augen derer, die einst den Jammer des edlen Jünglings gesehen hatten, gingen über.
Wie ein Engel Gottes kam sie dem alten Oheim vor, als sie am Altar ihre Hand in die seines Neffen legte, wie ein Engel, der mit freundlichem Blick, mit treuer Hand den Menschen aus der dunklen Irre des Lebens zu einem schönen lichten Ziele führte.
Schnurstraks von der Kirche ging es hinaus nach Blauenstein. Eine ganze Karawane von Wagen und Reitern zog dem wohlbekannten Landau, in welchem die neugebackenen Eheleute saßen, nach. Der Hofrat war vorangeeilt, um alles zu leiten.[187] Sechs Böller riefen ihnen ihre Freudengrüße entgegen, als sie in die Grenze ihres Eigentums einfuhren. Ein donnerschlagähnliches Wirbeln von Pauken und Trompeten empfing sie am Portal des schönen Schlosses, und als alle Wagen aufgefahren waren, als Emil sein Weibchen auf den Balkon herausführte, um die herrliche Gegend zu übersehen, da gab der Hofrat das Zeichen, und ein schrankenloses Vivat, Hurra und Hallo erfüllte die Luft.
Paar und Paar zog man jetzt durch das Schloß, um alles in Augenschein zu nehmen. Es wandelte die Gäste beinahe ein Grauen an vor dem Hexenmeister, dem alten Martiniz. Das Schloß – es lag zwar niedlich, geschmackvoll, bequem gebaut, lag wunderschön und hatte Gärten und Felder, wie man sie selten sah; aber vor vierzehn Tagen war dies alles noch leer gestanden, Tapeten waren abgerissen herabgehangen, im Saal war Hafer aufgeschüttet gewesen, kurz, man hatte gesehen, daß es eine gute Weile nicht bewohnt war, und mancher Käufer hätte nicht geglaubt, innerhalb eines halben Jahres mit der Restauration fertig werden zu können. Und jetzt – die behaglichste Eleganz, die man sich denken konnte; diese Trümeaus, ein Gardist mit sieben Fuß hätte sich, und hätte er noch einen ellenlangen Federbusch auf dem Hut gehabt, perfekt am ganzen Leib von der Zehenspitze bis zum äußersten Federchen darin sehen können. Diese breitarmigen Lüster, diese Kristall-Lampen, diese geschmackvollen Sofas, Teetische, Toiletten, Etageren, diese Pracht von Porzellan, Beinglas, Kristall, Silber an Servicen, Leuchtern, Vasen, an allem, was nur die feinste Modedame sich wünschen kann; gar nichts war vergessen! Die Freilinger wandelten wie in einem Feenpalast umher, und die Mädchen und die Frauen! – Ida wandelte zwar wie eine Königin in dieser Herrlichkeit, als hätte sie von Jugend auf darin gelebt, aber man hörte doch so manches Sprüchlein vom blinden Glück und Zufall, die einen im Schlafe heimsuchen.
Jetzt riefen die Trompeten zur Tafel, und da war es, wo Hofrat Berner seine Lorbeeren erntete. Die neue Dienerschaft des jungen gräflichen Paares hatte er schon so instruiert, daß alles wie am Schnürchen ging, und zwar alles auf dem höchsten Fuß, denn wenn einer der Gäste nur vom silbernen Teller ein wenig aufsah, der mit seinem Nachbar konversierte, husch! war der Teller gewechselt und eine neue Speise dampfte ihm entgegen. Aber auch in der Küche hatte er gewaltet, und es hätte wenig gefehlt, so hätte er aus lauterem Eifer, alles recht delikat[188] zu machen, sich selbst zu einem Ragout oder Haschee verarbeiten oder zu einer Gallerte einsieden, wenn nicht gar mit einiger Zutat von Zucker zu einer Marmelade oder Gelee einkochen lassen. Auch ihn hielten die Damen für einen zweiten Oberon, der eine ewig reichbesetzte Tafel aus dem Boden zaubern kann. Denn solche Speisen zu dieser Jahreszeit, und alles so fein und delikat gekocht!
Da war:
*
Hors d'œuvres.
*
*
Gemüse.
*
Entrées.
*
Braten.
*
Salat vielerlei.
*
Süße Speisen.
*
Dessert.
Als das Dessert aufgetragen wurde, entschlüpfte unbemerkt von den bechampagnerten Gästen die junge Frau. Sie warf den schweren Hochzeitsstaat ab und erwählte unter der reichen Garderobe ein allerliebstes Reisekleidchen, denn nach der Tafel sollte gleich eingesessen und ein wenig in die Welt hinausgefahren werden, so wollte es der alte Graf.
Sie erschrak selbst, als sie in den Spiegel sah, nein, so wundergrazienhübsch hatte sie noch nie ausgesehen; das Ueberröckchen schloß so eng und passend, das Reisehäubchen, die hervorquellenden Löckchen gaben dem Köpfchen einen wundervollen Reiz. Die Bäckchen waren so rosig, die Aeuglein glänzten so hell und klar im Widerschein ihres bräutlichen Glückes, kleine, kleine Schelmchen saßen in den Grübchen der Wangen und schienen allerlei wunderbare Geheimnisse zu flüstern von Sehnsucht und Erwartung; das Mäulchen, so spitzig wie zum Küssen, zeigte immer wieder die Perlen, die hinter dem Purpur verborgen waren.
Die sechs Kammerjungfern, Lisette, Babette, Trinette, Philette und Minette und wie sie alle hießen, schlugen vor Verwunderung über ihre wunderniedliche gnädige Frau die Hände zusammen. »Diese herrliche, jugendliche Frische! Dieser Alabasterbusen, der alle Nestel des Korsettchens zu zersprengen droht!« sagte Minette. »Diese weißen Arme!« flüsterte Philette. »Diese Füßchen,« dachte Trinette weiter, »diese Wäd–«
»Der Herr Graf wird ganz selig sein,« wisperte Lisette der Babette zu, doch nicht so leise, daß es den Ohren der jungen Gräfin entging. Sie wollte tun, als hätte sie nichts gemerkt, aber ward flammenrot von der Stirne bis herab in das Halstuch, und als vollends Babette, die das schneeweiße Nachtzeug in die Vache packte, mit einer höchst naiven Frage in die Quere kam, da hielt sie es nicht mehr aus, ganz dunkel überpurpurt[190] entschlüpfte sie den sechs dienstbaren Geistern und lief wie ein gescheuchtes Reh in den Speisesaal.
Allgemeiner Jubel empfing die holde Reisende, alles war darin einverstanden, daß ihr diese Tracht noch besser stehe als der Brautstaat; kein Wunder, es war ja das Pilgerkleid, in welchem sie ins gelobte Land der Ehe reiste.
»Warum bist du nur so über und über rot?« fragte Emil sein holdes Weibchen, indem er sie näher an seine Seite zog. »Hat dir jemand was getan?«
Sie wollte lange nicht heraus. »Die Babette,« flüsterte sie endlich und errötete von neuem, »die Babette hat so dumm gefragt.«
»Nun, was denn?« fragte der neugierige Herr Gemahl. Aber da stockte es wieder; zehnmal setzte sie an; sie wollte gerne eine Lüge erfinden, aber das schickte sich denn doch nicht am Hochzeitstag, und doch – es ging nicht; er mußte bitten, flehen, drohen, betteln sogar; endlich, nachdem er hatte versprechen müssen, die Augen recht fest zuzumachen, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Sie hat mein Nachtzeug eingepackt, und da hat sie gefragt, ob sie das deinige auch dazu packen soll.« Selig schloß der Graf sein Engelsweibchen in die Arme, er wollte antworten, aber seine Antwort verhallte im Geräusch der aufbrechenden Gäste.
Die Wagen waren vorgefahren, man verabschiedete sich. Der Graf nahm sein Idchen um den Leib und trug sie schnell hinab in den Wagen, denn dort beschloß er ihr zu antworten.
Auf dem Balkon drängten sich die Gäste, die Champagnergläser in den Händen; sie riefen, vermischt mit den neuen Untertanen des Grafen, ein tausendstimmiges Vivat in den Wagen hinab. Ida drückte ihr Köpfchen an die Brust des Geliebten. Er winkte, die Pferde zogen an, und dahin fuhr Emil und seine glückliche Ida.
Es ist ein schöner Brauch unter guten Menschen, die sich lieben und getrennt sind, daß sie gewisse Tage des Jahres festsetzen, in welchen sie sich von nahen und entfernten Orten her sammeln, sich wiedersehen und die Strahlen ihrer Liebe von neuem an der allgemeinen Flamme anzünden. So halte ich es seit langen Jahren mit meinen Freunden, die das Schicksal nach Ost und West verschlagen. Auch heuer war ich hingereist an den[191] Ort, den wir zu unserem Rendezvous bestimmt hatten. Als ich an dem stattlichen weißen Hirsch in B. vorfuhr, lagen schon manche Fenster voll, und wie wohl tut da das freundliche, jubelnde »Er ist's, er ist's,« das von schönen Lippen herab dem Freunde entgegentönt!
Ich traf sie alle, alle meine Lieben, da war meine holde, sinnige Doralice und ihr Stern, da war die lose, naive Vally und ihr geheimer Kriegsrat, da war Graf Law und seine Klementine, da war meine süße Mimili, da war Herr von Estavayer mit seiner Elsi, da war mein russisches Lisli; selbst Sponseri, mein lieber Sponseri, ich hieß ihn nur immer den Grünmantel, hatte sich aus Venedig eingefunden und Emmeline Mellinger mitgebracht; da war auch Fanny und ihr Graf, der Generalbevollmächtigte, Kilian mit Julchen. Da war Molly und ihr Justizrat, da war die herzige Pina und ihr Gatte, Agnes und Rose, Rosamunde und der Graf Oliva, das liebe Dijon-Röschen, Klothilde und ihr Sekretär. – Meine Freude war unaussprechlich, ich flog wie ein Ball von einem Arm in den andern, und das Küssen wollte gar kein Ende nehmen. Endlich faßte man sich, daß es doch zu einem vernünftigen Gespräch kam. Freilich trübte der Tod unserer Magdalis und ihres treuen Willibald, die uns im Leben so nahe standen und auch nach ihrem Tode so innig verschwistert mit uns fortleben, die ersten Augenblicke des Wiedersehens; aber nachdem wir ihnen das Totenopfer inniger Tränen geweiht, kehrte die holde Freude wieder bei uns ein.
Wir tollten, lachten und schäkerten, der weiße Hirsch faßte kaum so viele Gäste, und manches Pärchen mußte sich mit einem Bettchen behelfen.
So lebten wir schon seit zwei Tagen in Saus und Braus und brachen dem weißen Hirschwirt beinahe das Haus ab, da – wir saßen gerade beim Kaffee, da fuhren Wagen vor; wir drängten uns alle an die Fenster und schlugen den fremden Menschenkindern ein Schnippchen, denn – gut essen und trinken konnten sie wohl bekommen, aber Betten – Logis – ohne unsere Bewilligung kein Fleckchen, und landfremde Leute mochten wir gerade nicht gerne unter uns haben. In einem prächtigen Landau, mit vier Postpferden bespannt, saßen ein Herr und eine junge Dame; sie hoben die Köpfe in die Höhe –
»Mein Gott, das ist ja Graf Martiniz,« rief ich, und zugleich rief Vally: »Ei der Tausend, das ist ja Ida Sanden!« Ich sprang gleich hinab, um sie heraufzuführen; sie folgten willig nebst noch drei andern ältlichen Herren, welche der zweite Wagen[192] entladen hatte. Ida und Vally flogen einander in die Arme; sie hatten sich in der Residenz, wo Vally lebt, kennen gelernt und liebten einander innig. Der Graf zog mich zu den beiden jungen Damen, um welche die übrigen schon einen dichten Kreis geschlossen hatten. »Sehen Sie,« sagte er zu mir, »das ist seit gestern mein liebes Frauchen.«
Da fanden sich also alte Bekannte zusammen. Ich hatte den Grafen in Hamburg kennen gelernt. Damals faßte ich tiefe Zuneigung zu ihm, sie wurde zur Freundschaft, und er gestand mir seine schrecklichen Leiden. So wenig ich an solche Visionen glaubte, so war ich doch der Meinung, daß ihn Liebe zu einem guten, reinen Mädchen zerstreuen, retten könnte; und wie herrlich hatte sich dieses gemacht! Er war fröhlich, selig, war durch die Liebe dieses Engels der Menschheit wiedergeschenkt.
Auch in den drei andern Gästen, der Leser wird unschwer den alten Martiniz, den Präsidenten und den Hofrat in ihnen erkannt haben, lernte ich wackere, liebenswürdige Männer kennen. Schon den ersten Abend war es uns allen, als haben wir das holde Pärchen schon jahrelang gekannt, so trefflich paßten sie zu unserem Sinn, zu unserem ganzen Wesen. Der junge Graf erzählte uns seine Geschichte, und wenn wir bedachten, wie zufällig er nach Freilingen, wie zufällig er auf jenen Ball, wo er Ida fand, gekommen war, wie ebenso zufällig der alte Oheim auf einer Geschäftsreise diese Gegenden berührte, dem Neffen eine Ueberraschung bereiten wollte und als Deus ex machina mitwirkte und die Ränke der bösen Aarstein vereiteln half, wahrlich, wir mußten diese Fügungen bewundern und fanden den alten Spruch bestätigt:
»Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme.«
Noch zwei Tage blieb das junge Paar unter uns und reiste dann, als auch wir alle uns wieder nach Ost und nach West zerstreuten, weiter.
Noch in der letzten Stunde erlaubte mir Emil, seine Geschichte der Welt zu erzählen.
Es soll mich innig freuen, wenn ihre innige, treue Liebe Beifall findet, sie sind es wert; alle, die sie kennen, lieben sie, und ich darf sagen, sie sind ein Herz, eine Seele mit mir, sie sind auch wieder durch den Zug des Herzens ganz die Meinigen geworden.
H. Clauren.
gehalten
vor dem deutschen Publikum
in der Herbstmesse 1827
von
Wilhelm Hauff.
Text: Ev. Matth. 8. 31. 32.
Allen Verehrern
der
Claurenschen Muse
widmet diese Blätter in
bekannter Hochachtung
der Verfasser.
Ehrwürdige Versammlung, andächtige Zuhörer!
Die Apostel, besonders der heilige Paulus, als er zu Rom predigte, verschmähten es nicht, auch häusliche, bürgerliche Angelegenheiten der Gemeinde zu Gegenständen ihrer Betrachtungen zu machen. Es läßt sich zwar mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie belletristische Gegenstände nicht berührt haben, daß sie literarische Streitigkeiten nicht, wie man zu sagen pflegt, auf die Kanzel brachten; denn sie hatten Wichtigeres zu tun; nichtsdestoweniger aber geschah dies einige Jahrhunderte später, und man trifft in den Kirchenvätern nicht undeutliche Spuren, daß sie über allerhand literarische Subtilitäten, sogar über die Tendenz und den Stil ihrer Gegner auf dem kirchlichen Rednerstuhl gesprochen haben.
Berühmte Kanzlerredner neuerer Zeit haben oft und viel, zum Beispiel über das Theater gepredigt, oder über das Tanzen am Sonntag oder über das Singen unzüchtiger Lieder, andere wieder über das Spielen, namentlich das Kartenspielen, und einen habe ich gehört, der in einer Vesperpredigt das Schachspiel in Schutz nahm und nur bedauerte, daß es ein Heide erfunden.
Und wenn es die Pflicht des Redners ist, meine Freunde, der Gemeinde darzutun, welchen Irrtümern sie sich hingebe, welche bösen Gewohnheiten unter ihr herrschen, wenn es die Natur der Sache erfordert, bei einer solchen Aufdeckung von Irrtümern und böswilligen Gewohnheiten bis ins einzelne und kleinste zu gehen, weil oft gerade dort, recht ins Auge fallend, der Teufel nachgewiesen werden kann, der darin sein Spiel treibt, so kann es niemand befremden, wenn wir nach Anleitung der Textesworte eine Betrachtung anstellen über:
Den Mann im Monde
von
H. Clauren;
und zwar betrachten wir:
I. Wer und was ist dieser Mann im Monde? Oder – was ist sein Zweck auf dieser Welt?
II. Wie hat er diesen Zweck verfolgt? Und wie erging es ihm auf dieser Welt?
I. Andächtige Zuhörer! Kontroverspredigern, namentlich solchen, die vor einer so großen Versammlung reden, kommt es zu, den Gegenstand ihrer Betrachtung so klar und deutlich als möglich vor das Auge zu stellen, damit jeder, wenn ihn auch der Herr nicht mit besonderer Einsicht gesegnet hat, die Sache, wie sie ist, sogleich begreife und einsehe. Es hat in unserer Literatur nie an sogenannten Volksmännern gefehlt, das heißt an solchen, die für ein großes Publikum schrieben, das, je allgemeiner es war, desto weniger auf wahre Bildung Anspruch machen konnte und wollte. Solche Volksmänner waren jene, die sich in den Grad der Bildung ihres Publikums schmiegten, die eingingen in den Ideenkreis ihrer Zuhörer und Leser und sich, wie der Prediger Abraham a Santa Clara, wohl hüteten, jemals sich höher zu versteigen, weil sie sonst ihr Publikum verloren hätten. Diese Leute handelten bei den großen Geistern der Nation, welche dem Volke zu hoch waren, Gedanken und Wendungen ein, machten sie nach ihrem Geschmack zurecht und gaben sie wiederum ihren Leuten preis, die solche mit Jubel und Herzenslust verschlangen. Diese Volksmänner sind die Zwischenhändler geworden und sind anzusehen wie die Unternehmer von Gassenwirtshäusern und Winkelschenken. Sie nehmen ihren Wein von den großen Handlungen, wo er ihnen echt und lauter gegeben wird; sie mischen ihn, weil er dem Volke anders nicht munden will, mit einigem gebrannten Wasser und Zucker, färben ihn mit roten Beeren, daß er lieblich anzuschauen ist, und verzapfen ihn ihren Kunden unter irgend einem bedeutungsvollen Namen.
Die Gassenwirte oder Volksmänner treiben aber eine schändliche und schädliche Wirtschaft. Sie fühlen selbst, daß ihr Gebräu sich nicht halten würde, daß es den Ruf von Wein auf die Dauer nicht behalten könnte, wenn er nicht auch berausche. Daher nehmen sie Tollkirschen und allerlei dergleichen, was den Leuten die Sinne schwindeln macht; oder, um die Sache anders auszudrücken, sie bauen ihre Dichtungen auf eine gewisse Sinnlichkeit, die sie, wie es unter einem gewissen Teil von Frauenspersonen Sitte ist, künstlich verhüllen, um durch den Schleier, den sie darüber gezogen haben, das lüsterne Auge desto mehr zu reizen. Sie kleiden ihr Gewerbe in einen angenehmen Stil, der[197] die Einbildungskraft leicht anregt, ohne den Kopf mit überflüssigen Gedanken zu beschweren, sie geben sich das Ansehen von heiterem, sorglosem Wesen, von einer gewissen gutmütigen Natürlichkeit, die lebt und leben läßt, sie sind arglose Leute, die ja nichts wollen, als ihren Nebenmenschen seine »oft trüben Stunden erheitern« und ihn auf eine natürliche, unschuldige Weise ergötzen. Aber gerade dies sind die Wölfe in Schafskleidern, das ist der Teufel in der Kutte, und die Krallen kommen frühe genug ans Tageslicht.
Wem unter euch, meine Andächtigen, sollte bei dieser Schilderung nicht vor allem jener beifallen, der alljährlich im Gewande eines unschuldigen Blumenmädchens auf die Messe zieht und »Vergißmeinnicht« feilbietet. Ich weiß wohl, daß dort drüben auf der Emporkirche, daß da unten in den Kirchstühlen manche Seele sitzt, die ihm zugetan ist, ich weiß wohl, daß er bei euch der Morgen- und Abendsegen geworden ist, ihr Nähermädchen, ihr Putzjungfern, selbst auch ihr sonst so züchtigen Bürgerstöchterlein, ich weiß, daß ihr ihn heimlich im Herzen traget, ihr, die ihr auf etwas Höheres von Bildung und Geschmack Anspruch machen wollet, ihr Fräulein mit und ohne von, ihr gnädigen Frauen und andere Mesdames. Ich weiß, daß er das A und das O eurer Literatur geworden ist, ihr Schreiber und Ladendiener, daß ihr ihn beständig bei euch führt und, wenn der Prinzipal ein wenig beiseite geht, ihn schnell aus der Tasche holt, um eure magere Phantasie durch einige Ballgeschichten, Champagnertreffen und Austernschmäuse anzufeuchten; ich weiß, daß er bei euch allen der Mann des Tages geworden ist, aber nichtsdestoweniger, ja, gerade darum und ebendeswegen will ich seinen Namen aussprechen, er nennt sich Clauren. Anathema sit!
Vor zwölf Jahren laset ihr, was eurem Geschmack gerade keine Ehre machte, Spieß und Cramer, mitunter die köstlichen Schriften über Erziehung von Lafontaine; wenn ihr von Meißner etwas anderes gelesen als einige Kriminalgeschichten etc., so habt ihr euch wohl gehütet, es in guter Gesellschaft wiederzusagen; einige aber von euch waren auf gutem Wege; denn Schiller fing an, ein großes Publikum zu bekommen. Gewinn für ihn und für sein Jahrhundert, wenn er, wie ihr zu sagen pflegt, in die Mode gekommen wäre! dazu war er aber auch zu groß, zu stark. Ihr wolltet euch die Mühe nicht geben, seinen erhabenen Gedanken ganz zu folgen. Er wollte euch losreißen aus eurer Spießbürgerlichkeit, er wollte euch aufrütteln aus[198] eurem Hinbrüten, mit jener ehernen Stimme, die er mit den Silberklängen seiner Saiten mischte, er sprach von Freiheit, von Menschenwürde, von jeder erhabenen Empfindung, die in der menschlichen Brust geweckt werden kann. – Gemeine Seelen! Euch langweilten seine herrlichsten Tragödien, er war euch nicht allgemein genug. Was soll ich von Goethe reden? Kaum, daß ihr es über euch vermögen konntet, seine Wahlverwandtschaften zu lesen, weil man euch sagte, es finden sich dort einige sogenannte pikante Stellen – ihr konntet ihm keinen Geschmack abgewinnen, er war euch zu vornehm.
Da war eines Tages in den Buchläden ausgehängt: »Mimili, eine Schweizergeschichte.« Man las, man staunte. Siehe da, eine neue Manier, zu erzählen, so angenehm, so natürlich, so rührend und so reizend! Und in diesen vier Worten habt ihr in der Tat die Vorzüge und den Gehalt jenes Buches ausgesprochen. Man würde lügen, wollte man nicht auf den ersten Anblick diese Manier angenehm finden. Es ist ein ländliches Gemälde, dem die Anmut nicht fehlt, es ist eine wohltönende, leichte Sprache, die Sprache der Gesellschaft, die sich zum Gesetz macht, keine Saite zu stark anzuschlagen, nie zu tief einzugehen, den Gedankenflug nie höher zu nehmen als bis an den Plafond des Teezimmers. Es ist wirklich angenehm zu lesen, wie eine Musik angenehm zu hören ist, die dem Ohre durch sanfte Töne schmeichelt, welche in einzelne wohllautende Akkorde gesammelt sind. Sie darf keinen Charakter haben, diese Musik, sie darf keinen eigentlichen Gedanken, keine tiefere Empfindung ausdrücken, sonst würde die arme Seele unverständlich werden oder die Gedanken zu sehr affizieren. Eine angenehme Musik, so zwischen Schlafen und Wachen, die uns einwiegt und in süße Träume hinüberlullt. Siehe, so die Sprache, so die Form jener neuen Manier, die euch entzückte.
Das zweite, was euch gefiel, hängt mit diesem ersteren sehr genau zusammen, diese Manier war so natürlich. Es ist etwas Schönes, Erhabenes um die Natur, besonders um die Natur in den Alpen. Schiller ist auch einmal dort eingekehrt, ich meine mit Wilhelm Tell. Sein Drama ist so erhaben als die Natur der Schweizerlande, es bietet Aussichten, so köstlich und groß, wie die von der Tellskapelle über den See hin; aber nicht wahr, ihr lieben Seelen, der ist euch doch nicht natürlich genug? Zu was auch die Seele anfüllen mit unnützen Erinnerungen an die Taten einer großen Vorzeit? Zu was Weiber[199] schildern wie eine Gertrude Stauffacher oder eine Bertha oder Männer wie einen Tell oder einen Melchthal? Da weiß es Clauren viel besser, viel natürlicher zu machen! Statt großartige Charaktere zu malen, für welche er freilich in seinem Kasten keine Farben finden mag, malt er euch einen Hintergrund von Schneebergen, grünen Waldwiesen mit allerlei Vieh; das ist pro primo die Schweiz. Dann einen Krieger neuerer Zeit mit schlanker Taille von acht Zollen, etwas bleich (er hat den Freiheitskrieg mitgemacht), das eiserne Kreuz im Knopfloch etc. Das ist der Held des Stückes. Eine interessante Figur! Nämlich Figur als wirklicher Körper genommen, mit Armen, Taille, Beinen etc., und interessant, nicht wegen des Charakters, sondern weil er etwas bleich ist, ein eisernes Kreuz trägt und so ein Ding von einem preußischen Husaren war. Neben diesen Helden kommt ein frisches, rundes »Dingelchen« zu stehen, mit kurzem Röckchen, schönen Zwickelstrümpfen etc. Kurz, das Inventarium ihres Körpers und ihres Anzuges könnt ihr selbst nachlesen oder habt es leider im Kopfe. Das Schweizerkind, die Mimili, ist nun so natürlich als möglich; d. h. sie geniert sich nicht, in Gegenwart des Kriegers das Busentuch zu lüften und ihn den Schnee und dergleichen sehen zu lassen, daß ihm »angst und bange« wird. Einiger Schweizerdialekt ist auch eingemischt, der nun freilich im Munde Claurens etwas unnatürlich klingt. Kurz, es ist nichts vergessen, die Natur ist nicht nur nachgeahmt, sondern förmlich kopiert und getreulich abgeschrieben. Aber leider ist es nur die Natur, so wie man sie mittels einer Camera obscura abzeichnen kann. Der warme Odem Gottes, der Geist, der in der Natur lebt, ist weggeblieben, weil man nur das Kostüm der Natur kopierte. Zeichnet die nächste beste Schweizer Milchmagd ab, so habt ihr eine Mimili, und freilich alles so natürlich als möglich.
Das dritte, was euch so gut mundete an dieser Geschichte, war – das Rührende. Wann und wo war der Kummer der Liebe nicht rührend? Es ist ein Motiv, das jedem Roman als Würze beigegeben wird, wie bittere Mandeln einem süßen Kuchen, um das Süße durch die Vorkost des Bitteren desto angenehmer und erfreulicher zu machen. Ihr selbst, meine jungen Zuhörerinnen, und ich habe dies zu öfteren Malen an euch gerügt, versetzt euch gar zu gerne in ein solches Liebesverhältnis, wenn nicht dem Körper, doch dem Geiste nach. Wenn ihr so dasitzet und nähet oder stricket und über eure Nachbarn gehörig geklatscht habt, kommt gar leicht in eurer Phantasie das[200] Kapitel der Liebe an die Reihe, und ihr träumet und träumet und vergesset die Welt und die Maschen an eurem Strickstrumpf. Wenn man nachts durch den Wald geht, so denkt man gerne an arge Schauergeschichten von Mord und Totschlag. Gerade so machet ihr es. Je greulicher der Schmerz eines Liebespaares ist, von welchem ihr leset, desto angenehmer fühlet ihr euch angeregt. Da wollet ihr keine Natürlichkeit, da soll es recht arg und türkisch zugehen, und wie den spanischen Inquisitoren, so ist euch ein solches Autodafee ein Freudenfest. Je länger die Liebenden am langsamen Feuer des Kummers braten, je mehr man ihnen mit der Zange des Schicksals die Glieder verrenkt, desto rührender kommt es euch vor, und doch habt ihr dabei immer noch den Trost in petto, daß der Autor, der diesen Jammer arrangiert, zugleich Chirurg ist und die verrenkten Glieder wieder einrichtet, zugleich Notar, um den Heiratskontrakt schnell zu fertigen, zugleich auch Pfarrer, um die guten Leutchen zusammenzugeben. Ihr habt recht, ihr guten Seelen! Ihr wollet nicht gerührt sein durch tiefere Empfindungen, man darf bei euch nicht jene Moll-Akkorde anschlagen, die durch die Seele zittern. Wer wollte auch mit einer Aeolsharfe auf einer Kirchweihe aufspielen! Da ist der schnarrende Konterbaß Meister, und je gräßlicher es zugeht, desto rührender ist es.
Ich komme aber auf den vierten Punkt der Mimili-Manier, nämlich auf – – das Reizende. Die drei andern Punkte waren das Schafskleid, das ist aber die Kralle, an der ihr den Wolf erkennet, der im Kleide steckt, jenes war die Kutte, unter welcher er unschuldig wie der heilige Franziskus sich bei euch einführt; aber siehe da, das ist der Pferdefuß, und an seinen Spuren wirst du ihn erkennen. Und was ist dieses Reizende? Das ist die Sinnlichkeit, die er aufregt, das sind jene reizenden, verführerischen, lockenden Bilder, die eurem Auge angenehm erscheinen. Es freut mich, zu sehen, daß ihr, da unten, die Augen nicht aufschlagen könnet. Es freut mich, zu sehen, daß hin und wieder auf mancher Wange die Röte der Beschämung aufsteigt. Es freut mich, daß Sie nicht zu lachen wagen, meine Herren, wenn ich diesen Punkt berühre. Ich sehe, ihr alle verstehet nur allzuwohl, was ich meine.
Ein Lessing, ein Klopstock, ein Schiller und Jean Paul, ein Novalis, ein Herder waren doch wahrhaftig große Dichter, und habt ihr je gesehen, daß sie in diese schmutzigen Winkel der Sinnlichkeit herabsteigen mußten, um sich ein Publikum zu machen? Oder wie? Sollte es wirklich wahr sein, daß jene[201] edleren Geister nur für wenige Menschen ihre hehren Worte aussprechen, daß die große Menge nur immer dem Marktschreier folgt, weil er köstliche Zoten spricht, und sein Bajazzo possierliche Sprünge macht? Armseliges Männervolk, daß du keinen höheren geistigen Genuß kennst, als die körperlichen Reize eines Weibes gedruckt zu lesen, zu lesen von einem Marmorbusen, von hüpfenden Schneehügeln, von schönen Hüften, von weißen Knieen, von wohlgeformten Waden und von dergleichen Schönheiten einer Venus vulgivaga. Armseliges Geschlecht der Weiber, die ihr aus Clauren Bildung schöpfen wollet, errötet ihr nicht vor Unmut, wenn ihr leset, daß man nur eurem Körper huldigt, daß man die Reize bewundert, die ihr in der raschen Bewegung eines Walzers entfaltet, daß der Wind, der mit euren Gewändern spielt, das lüsterne Auge eures Geliebten mehr entzückt als die heilige Flamme reiner Liebe, die in eurem Auge glüht, als die Götterfunken des Witzes, der Laune, welche die Liebe eurem Geiste entlockt? Verlorene Wesen, wenn es euch nicht kränkt, euer Geschlecht so tief, so unendlich tief erniedrigt zu sehen, geputzte Puppen, die ihr euren jungfräulichen Sinn schon mit den Kinderschuhen zertreten habt, leset immer von andern geputzten Puppen, bepflanzet immer eure Phantasie mit jenen Vergißmeinnicht-Blümchen, die am Sumpfe wachsen, ihr verdienet keine andere als sinnliche Liebe, die mit den Flitterwochen dahin ist.
Siehe da die Anmut, die Natürlichkeit, das Rührende und den hohen Reiz der Mimili-Manier. Lasset uns weiter die Fortschritte betrachten, die ihr Erfinder machte. Wie das Unkraut sich üppig ausbreitet, so ging es auch mit dieser Giftpflanze in der deutschen Literatur. Die Mimili-Manier wurde zur Mimili-Manie, wurde zur Mode. Was war natürlicher, als daß Clauren eine Fabrik dieses köstlichen Zeuges anlegte, und zwar nach den vier Grundgesetzen, nach jenen vier Kardinaltugenden, die wir in seiner Mimili fanden? Bei jener Klasse von Menschen, für welche er schreibt, liegt gewöhnlich an der Feinheit des Stoffes wenig. Wenn nur die Farben recht grell und schreiend sind. Mochte er nun selbst diese Bemerkung gemacht haben, oder konnte er vielleicht selbst keine feineren Fäden spinnen, keine zarteren Nüancen der Farben geben, sein Stoff ist gewöhnlich so unkünstlerisch und grob als möglich angelegt; ein fadengerades Heiratsgeschichtchen, so breit und lang als möglich ausgedehnt; von tieferer Charakterzeichnung ist natürlich keine Rede; Kommerzienräte, Husarenmajore,[202] alte Tanten, Ladenjünglinge comme il faut, etc. Die Dame des Stückes ist und bleibt immer dasselbe Holz- und Gliederpüppchen, die nach Verhältnissen kostümiert wird, heiße sie nun Mimili oder Vally, Magdalis oder Doralice, spreche sie Schweizerisch oder Hochdeutsch, habe sie Geld oder keines, es bleibt dieselbe. Ist nun die Historie nach diesem geringen Maßstabe angelegt, so kommen die Ingredienzien.
Bei den Ingredienzien wird, wie billig, zuerst Rücksicht genommen auf das Frauenvolk, das die Geschichte lesen wird. Erstens, einige artige Kupfer mit schönen »Engelsköpfchen,« angetan nach der »allerfunkelnagelneuesten« Mode. Diese werden natürlich in der Fabrik immer zuvor entworfen, gemalt und gestochen, und nachher der resp. Namen unten hingeschrieben. Sündigerweise benutzt der gute Mann auch die Porträts schöner fürstlicher Damen, die er als Quasie-Aushängeschild vor den Titel pappt. So hat es uns in der Seele weh getan, daß die Großfürstin Helena von Rußland, eine durch hohe Geistesgaben, natürliche Anmut und Körperschönheit ausgezeichnete Dame, bei dem Tornisterlieschen (im Vergißmeinnicht 1826) gleichsam zu Gevatter stehen mußte.
Zweitens, ein noch bei weitem lockenderes Ingredienz ist die Toilette, die er trotz der ersten Modehändlerinnen zu machen versteht. Wer wollte es Virgil übelnehmen, wenn er den Schild seines Helden beschreibt, wer lauscht nicht gerne auf die kriegerischen Worte eines Tasso, wenn er die glänzenden Waffen seines Rinaldo oder Tankred besingt? Es sind Männer, die von Männern, es sind edle Sänger, die von Helden singen. Ueberwiegt aber nicht der Ekel noch das Lächerliche, wenn man einen preußischen geheimen Hofrat hört, wie er den Putz einer Dame vom Kopf bis zu den Zehenspitzen beschreibt? Es kommt freilich sehr viel darauf an, ob auf dem hohlen Schädel seiner Mimili ein italienischer Strohhut oder eine Toque von Seide sitzt, ob die Federn, die solche schmücken, Marabu- oder Straußfedern oder gar Paradiesvögel sind; und dann die niedlichen »Sächelchen« von Ohrgeschmeide, Halsbändern, Brasseletts etc., daß »einem das Herz puppert«, und dann die Brüsseler Kanten um die wogende Schwanenbrust und das gestickte Ballkleid und die durchbrochenen Strümpfe und die seidenen Pariser Ballschuhe oder ein Negligee wie aus dem leichtesten Schnee gewoben, und dieses Ueberröckchen und jenes Mäntelchen und dieses Spitzenhäubchen, aus dem sich die goldenen Ringellöckchen hervorstehlen.[203] O sancta simplicitas! Und ihr kneipt, um mich seiner Sprache zu bedienen, ihr kneipt die Kniee nicht zusammen, meine Damen, und wollet euch nicht halb zu Tode lachen über den köstlichen Spaß, daß ein preußischer geheimer Hofrat eurer Zofe ins Handwerk greift und euch vorrechnet, was man im Putzladen der Madame Prellini haben kann? Leider! ihr lachet nicht! Ihr leset den allerliebsten Modebericht mit großer Andacht, ihr sprechet, das ist doch einmal eine Lektüre von Geschmack; nichts Ueberirdisches, Romantisches! Tout chez comme nous, bis aufs Hemde hat er uns beschrieben, der deliziöse Mann, der Clauren!
Ein drittes Ingredienz für Mädchen sind die magnifiken Bälle, die er alljährlich gibt. Hu! wie da getanzt wird, daß das Herzchen »im Vierundsechzigstel-Takt pulsiert!« Wie schön! Vornehme Damen, die bei Präsidents A, bei Geheimrats B., bei dem Bankier C oder gar bei Hofe Zutritt haben, finden alles »haarklein« beschrieben, von der Polonäse bis zum Kotillon. Arme Landfräulein, die nur in das nächste Städtchen auf den Kasinoball kommen können, lesen ihren Clauren nach, ihre Phantasie trägt sie auf den herrlichen Ball bei Hof, und »der Himmel hängt ihnen voll Geigen«. Putzjungfern, welche Ballkleider verfertigen, ohne sich selbst darin zeigen zu können, Kammermädchen, die ihre Dame zu dem Ball »aufgedonnert« haben, nehmen beim Scheine der Lampe ihren Clauren zur Hand, treten unter dem Tisch mit den tanzlustigen Füßen den Takt eines Schnellwalzers und träumen sich in die glänzenden Reihen eines Fastnachtsballes! Treffliches Surrogat für tanzlustige Seelen, köstliche Stallfütterung für Schafe, die nicht auf der Weide hüpfen können!
Als ein viertes treffliches Haupt-Ingredienz für liebevolle weibliche Seelen ist das vollendete Bild eines Mannes, wie er sein soll, zu rechnen, das Clauren zu geben versteht. In der Regel zeichnen sich diese Leute nicht sehr durch hohe Verstandesgaben aus, doch wir wollen diesen Fehler an Clauren nicht rügen; wo nichts ist, sagt ein altes Sprichwort, da hat der Kaiser das Recht verloren. Statt des Verstandes haben die Vergißmeinnicht-Männer herrliche Rabenlocken, einen etwas schwindsüchtigen Teint, der sie aber schmachtend und interessant macht, unter fünf Fuß, sechs Zoll darf keiner messen; kräftige, männliche Formen, sprechende Augen, die Hände und Füße aber wie andere Menschen. Sie sind gerade so eingerichtet, daß man sich ohne weiteres auf den ersten Augenblick in sie verlieben muß. Dabei sind sie meistens arm, aber edel, stolz, großmütig und[204] heiraten gewöhnlich im fünften Akt. Auf welche edle weibliche Seele sollte ein solcher Held neuerer Zeit nicht den wohltuendsten Eindruck machen, wenn sie von ihm liest? Sie schnitzelt das Bild des Obergesellen oder Jagdschreibers oder Apothekergehilfen, das sie im Herzen trägt, so lange zurecht, bis er ohngefähr gerade so aussieht wie der Allerschönste im allerneuesten Jahrgange des allerliebsten Vergißmeinnicht.
Fünftens: Von schimmernden Lüsters, von deckenhohen Trümeaus, von herrlichen Sofas, von feengleicher Einrichtung, von Sepia-Malerei und dergleichen wäre hier noch viel zu reden, wenn es die Mühe lohnte.
Gehen wir, andächtige Versammlung, über zu den Ingredienzien und Zutaten für Männer, so können wir hier leicht zwei Klassen machen: 1) Zutaten, die das Auge reizen, 2) Zutaten, die den Gaumen kitzeln.
Unter Nr. 1 ist vor allem zu rechnen die Art, wie Clauren seine Mädchen beschreibt. Um zuerst von ihrem geistigen Werte zu sprechen, so gilt hier dasselbe, was von den Männern gesagt wurde; eine tiefe, edle, jungfräuliche Seele weiß kein Clauren zu schildern, und wenn er es wüßte, so hat er ganz recht, daß er nie eine Thekla, eine Klothilde oder ein Wesen, das etwa ein Titan oder Horion lieben könnte, unter seiner Affenfamilie mittanzen läßt. Was das Aeußere betrifft, so macht er es wie jener griechische Künstler, der aus sieben schönen Mädchen sich eine Venus bilden wollte. Aber er vergißt den hohen Sinn, der in der Sage von dem Künstler liegt.
Sechs zogen vorüber und zeigten dem entzückten Auge stolz die entfesselten Reize ihrer Jugend. Die siebente, als die Gewänder fallen sollten, errötete und verhüllte sich, und der Künstler ließ jene sechs vorübergehen und bildete nach diesem Vorbild jungfräulicher Hoheit seine Göttin. Nicht also Clauren; die sechs hat er wohl aufgenommen, der siebenten, als sie verschämt, verhüllt, errötend nahte, hat er die Türe verschlossen.
Und jetzt, meine Herren, setzet euch her, macht es euch bequem, der große Meister gibt ja das Panorama aller weiblichen Reize. Siehe die entfesselten Locken, die auf den Alabaster der Schultern niederfallen, siehe – doch wie? Soll ich alle jene erhabenen, ausgesuchten Epitheta wiedergeben, die sich mit Schnee, mit Elfenbein, mit Rosen gatten? Ich bin ein Mann und erröte, erröte darüber, daß ein Mann aus der sogenannten guten Gesellschaft die sittenlose Frechheit hat, alljährlich[205] ein ausführliches Verzeichnis von den Reizen drucken zu lassen, die er bei seinem Weibe fand!
Als Tasso jene Strophen dichtete, worin die Gesandten Gottfrieds am Palaste der neuen Kirke die Nymphen im See sich baden sehen, glaubet ihr, seine reiche glühende Phantasie hätte ihm nicht noch lockendere Bilder, reizendere Wendungen einhauchen können als einem Clauren? Doch, er dachte an sich, er dachte an die hohe, reine Jungfrau, für die er seine Gesänge dichtete, er dachte an seinen unbefleckten Ruhm bei Mit- und Nachwelt, und siehe, die reichen Locken fallen herab und strömen um die Nymphen und rollen in das Wasser, und der See verhüllt ihre Glieder. Aber, si parva licet componere magnis, was soll man zu jener skandalösen Geschichte sagen, die H. Clauren in einem früheren Jahrgang des Freimütigen, eines Blattes, das in so manchem häuslichen Zirkel einheimisch ist, erzählt?
Rechne man es nicht uns zur Schuld, wenn wir Schändlichkeiten aufdecken, die jahrelang gedruckt zu lesen sind. Eine junge Dame kommt eines Tages auf Claurens Zimmer. Sie klagt ihm nach einigen Vorreden, daß sie zwar seit vierzehn Tagen verheiratet, und glücklich verheiratet, aber durch einen kleinen Ehebruch von einer Krankheit angesteckt worden sei, die ihr Mann nicht ahnen dürfe. H. Clauren erzählt uns, daß er der engelschönen Dame gesagt, sie sei nicht zu heilen, wenn sie ihm nicht den Grad der Krankheit et cetera zeige. Die Dame entschließt sich zu der Prozedur. Ich dächte, das Bisherige ist so ziemlich der höchste Grad der Schändlichkeit, zum mindesten ein hoher Grad von Frechheit, dergleichen in einem belletristischen Blatt zur Sprache zu bringen. Eine Dame, glücklich verheiratet, seit vierzehn Tagen ein glückliches Weib und Ehebrecherin! Aber nein! Der Faun hat hieran nicht genug; er ladet uns zu der Prozedur selbst ein; er rückt den Sessel ans Fenster, er setzt die Dame in Positur, er beschreibt uns von der Zehenspitze aufwärts seine Beobachtungen!!!
Ich wiederhole es, man kann von einem solchen Frevel nur zu sprechen wagen, wenn er offenkundig geworden ist, wenn man die Absicht hat, ihn zu rügen. Warum in einem öffentlichen Blatte etwas erzählen, was man in guter Gesellschaft nicht erwähnen darf? Aber das ist H. Clauren, der geliebte, verehrte, geachtete Schriftsteller, der Mann des Volkes. Schande genug für ein Publikum, das sich Schändlichkeiten dieser Art ungestraft erzählen läßt!
In die eben erwähnte Kategorie von berechnetem Augenreiz für Männer gehören auch die Situationen, in welchen wir oft die Heldinnen finden. Bald wird uns ausführlich beschrieben, wie Magdalis aussah, als sie zu Bette gebracht wurde, bald weidet man sich mit Herrn Stern an Doralicens Angst, zu zwei schlafen zu müssen, bald hört man Vally im Bade plätschern und möchte ihrer naiven Einladung dahin folgen, bald sieht man ein Kammermädchen im Hemde, das kichernd um Pardon bittet, der glühenden, durch alle Nerven zitternden Küsse, der Blicke beim Tanze abwärts auf die Wellenlinien der Tänzerinnen u. dgl. nicht zu gedenken; Honigworte für Leute, die nichts Höheres kennen als Sinnlichkeit, köstlich kandierte Zoten für einen verwöhnten Gaumen, treffliches Hausmittel für junge Wüstlinge und alte Gecken, die mit ihrer moralischen und physischen Kraft zu Rande sind, um dem Restchen Leben durch diese Reizmittel aufzuhelfen!
Ein zweites Reizmittel für Männer sind jene Zutaten, die den Gaumen kitzeln. »Heda, Kellner, hierher sechs Flaschen des brüsselnden Schaumweins; ha, wie der Kork knallend an die Decke fährt! Eingeschenkt! laßt ihn nicht verrauchen! jetzt für jeden zwei, drei Dutzend Austern draufgesetzt!« Ist diese Sprache nicht herrlich? Wird man nicht an Homer erinnert, der immer so redlich angibt, was seine Helden verspeisten; freilich gab er ihnen nur gewöhnliches Schweinefleisch, und die Weinsorten rühmt er auch nicht besonders; aber ein Clauren ist denn doch auch etwas anderes als Homer; wer wollte es übelnehmen, wenn er die Korke fliegen läßt und Austern schmaust, fünfhundert Stück zum ersten Anfang?
Ich kannte einen jener bedauernswürdigen Menschen, die man im glänzenden Gewande, mit zufriedener Miene auf den Promenaden umherschlendern sieht. Ihr haltet sie für das glücklichste Geschlecht der Menschen, diese Pflastertreter; sie haben nichts zu tun und vollauf zu leben. Ihr täuschet euch; oft hat ein solcher Herr nicht soviel kleine Münze, um eine einfache Mittagskost zu bezahlen, und was er an großem Gelde bei sich trägt, kann man nicht wohl wechseln. Einen solchen nun fragte ich eines Tages: »Freund, wo speiset Ihr zu Mittag? Ich sehe Euch immer nach der Tafelzeit mit zufriedener Miene die Straße herabkommen, mit der Zunge schnalzend oder in den Zähnen stochernd; bei welchem berühmten Restaurateur speiset Ihr?«
»Bei Clauren,« gab er mir zur Antwort.
»Bei Clauren?« rief ich verwundert. »Erinnere ich mich doch nicht, einen Straßenwirt oder Garkoch dieses Namens in hiesiger Stadt gesehen zu haben.«
»Da habt Ihr recht,« entgegnete er, »es ist aber auch kein hiesiger, sondern der Berliner, H. Clauren. –«
»Wie und dieser schickt Euch kalte Küche bis hierher?«
»Kalte und warme Küche nebst etzlichem Getränke. Doch ich will Euch das Rätsel lösen,« fuhr er fort, »ich bin arm, und was ich habe, nimmt jährlich gerade das Schneiderkonto und die Rechnung für Zuckerwasser im Kaffeehause weg; nun bin ich aber gewöhnt, gute Tafel zu halten, was fange ich in diesen Zeiten an, wo niemand borgt und vorstreckt? Ich kaufe mir alle Jahre von ersparten Groschen das herrliche Vergißmeinnicht von H. Clauren, und ich versichere Euch, das ist mir Speisekammer, Keller, Fischmarkt, Konditorei, Weinhandlung, alles in allem. Ihr müßt wissen, daß in solchem Büchlein auf zwanzig Seiten immer eine oder zwei, wie ich sie nenne, Tafelseiten kommen. Ich setze mich mittags mit einem Stück Brot, zu welchem an Festtagen Butter kommt, nebst einem Glase Wasser oder dünnem Biere an den Tisch, speise vornehm und langsam, und während ich kaue, lese ich im Vergißmeinnicht oder in Scherz und Ernst. Seine Tafelseiten werden mir nun zu delikaten Suppentafeln, denn mein Teller ist nicht mehr mit schlechtem Brot besetzt, meine Zähne malmen nicht mehr dieses magere Gebäck, nein, ich esse mit Clauren, und der Mann versteht, was gute Küche ist. Was da an Fasanen, Gänseleberpasteten, Trüffeln, an seltenen Fischen, an –«
»Genug,« fiel ich ihm ein, »und Eure Phantasie läßt Euch satt werden? Aber könntet Ihr hierzu nicht das nächste beste Kochbuch nehmen? Ihr hättet zum mindesten mehr Abwechselung.«
»Ei, da ist noch ein großer Unterschied! Sehet, das versteht Ihr nicht recht. In den Kochbüchern wird nur beschrieben, wie etwas gekocht wird, aber ganz anders im Vergißmeinnicht; da kann man lesen, wie es schmeckt, Clauren ist nicht nur Mundkoch und Vorschneider, sondern er kaut auch jede Schüssel vor und erzählt, so schmeckte es, und wie natürlich ist es, wenn er oft beschreibt, wie diesem die Sauce über den Bart herabgeträufelt sei, oder wie jener vor Vergnügen über die Trüffelpastete die Augen geschlossen. Ueberdies hat man dabei den herrlichsten Flaschenkeller gleich bei der Hand, und wenn ich das[208] Glas mit Dünnbier zum Munde führe, schiebt er mir immer im Geiste Drymadeira, Bordeaux oder Champagner unter.«
So sprach der junge Mann und ging weiter, um auf sein großes Claurensches Traktament, der Verdauung wegen, zu promenieren.
Was ist Rumford gegen einen solchen Mann? sprach ich zu mir. Jener bereitet aus alten Knochen kräftige Suppen für Arme und Kranke; ist aber hier nicht mehr als Rumford und andere?
Speist und tränkt er nicht durch eine einzige Auflage des Vergißmeinnichts fünftausend Mann? Wenn nur die Phantasie des gemeinen Mannes etwas höher ginge, wie wohlfeil könnte man Spitäler, ja sogar Armeen verproviantieren? Der Spitalvater oder der respektive Leutnant nähme das Vergißmeinnicht zur Hand, ließe seine Kompagnie Hungernder antreten, ließe sie trockenes Kommißbrot speisen und würde ihnen einige Tafelseiten aus Clauren vorlesen.
Doch von solchen Torheiten sollte man nicht im Scherz sprechen, sie verdienen es nicht, denn wahrer bitterer Ernst ist es, daß solche Niederträchtigkeit, solche Wirtshauspoesie, solche Dichtungen à la carte, wenn sie ungerügt jede Messe wiederkehren dürfen, wenn man den gebildeten Pöbel in seinem Wahne läßt, als wäre dies das Manna, so in der Wüste vom Himmel fällt, die Würde unserer Literatur vor uns selbst und dem Auslande, vor Mit- und Nachwelt schänden!
Doch ich komme, meine verehrten Zuhörer, noch auf einen andern Punkt, den man weniger Ingredienz oder Zutat, sondern Sauce piquante nennen könnte: das ist die Sprache. Man wirft, nicht mit Unrecht, den Schwaben und Schweizern vor, daß sie nicht sprechen, wie sie schreiben, aber wahrhaftig, es gereicht H. Clauren zu noch größerem Vorwurf, daß er so gemein schreibt, wie er gemein und unedel zu sprechen und zu denken scheint. Man hat in neuerer Zeit manches verschrobene und verschränkte Deutsch lesen müssen; waren es Wendungen aus dem fünfzehnten Jahrhundert, waren es Sätze aus einer spanischen Novelle, es wollte sich in unserer reichen, herrlichen Sprache nicht recht schicken. Ohrzerreißend waren auch die Kompositionen, die Voß nach Analogie Homers vornahm; aber man kann Männer dieser Art höchstens wegen ihres schlechten Geschmacks bedauern, anklagen niemals; denn es lag dennoch ein schöner Zweck ihrem wunderlichen Handhaben der Sprache zugrunde. Was soll man aber von der geflissentlichen Gemeinheit[209] sagen, womit der Erfinder der Mimili-Manier seine Produkte einkleidet? König Salomo, wenn er noch lebte, würde diesen Menschen mit einem Freudenmädchen vergleichen. Sie geht einher im Halbdunkel, angetan mit köstlichen Kleidern, mit allerlei Flimmer und Federputz auf dem Haupte. Du redest sie an mit Ehrfurcht, denn du verehrst in ihr eine wohlerzogene Frau aus gutem Hause, aber sie antwortet dir mit wieherndem Gelächter, sie gesteht, sie müsse lachen, daß »sie der Bock stößt«; sie spricht in Worten, wie man sie nur in Schenken und auf blauen Montagstänzen hören konnte, sie enthüllt sich, ohne zu erröten, vor deinen Augen und spricht Zoten und Zötchen dazu. Wehe deinem Geschmack, wehe dir selbst und deinem sittlichen Wert, wenn dir nicht klar wird, daß die, welche du für eine anständige Frau gehalten, eine feile Dirne ist, bestimmt zum niedrigsten Vergnügen einer verworfenen Klasse!
Wozu ein langes Verzeichnis dieser Sprachsünden hierher setzen, da ja das Buch, über welches wir sprechen, der Mann im Monde, ein lebendiges Verzeichnis, ein vollständiger Katalog seiner Worte, Wendungen, Farben und Bilder ist? Es ist die Sauce, womit er seine widerlichen Frikasseen anfeuchtet, und je mehr er ihr jenen echten Wildbretgeschmack zu geben weiß, der schon auf einer Art von Fäulnis und Moder beruht, desto mehr sagt sie dem verwöhnten Gaumen seines Publikums zu.
Noch ist endlich ein Zutätchen und Ingredienzchen anzuführen, das er aber selten anwendet, vielleicht weil er weiß, wie lächerlich er sich dabei ausnimmt; ich meine jene rührenden, erbaulichen Redensarten, die als auf ein frommes Gemüt, auf christlichen Trost und Hoffnung gebaut erscheinen sollen. Als uns der Fastnachtsball und das erbauliche Ende der Dame Magdalis unter die Augen kam, da gedachten wir jenes Sprichworts: »Junge H…n, alte Betschwestern,« wir glaubten, der gute Mann habe sich in der braunen Stube selbst bekehrt, sehe seine Sünden mit Zerknirschung ein und werde mit Pater Willibald selig entschlafen. Das Tornisterlieschen, Vielliebchen und dergleichen überzeugten uns freilich eines andern, und wir sahen, daß er nur per Anachronismum den Aschermittwoch vor der Fastnacht gefeiert hatte. Wie aber im Munde des Unheiligen selbst das Gebet zur Sünde wird, so geht es auch hier; er schändet die Religion nicht weniger, als er sonst die Sittlichkeit schändet, und diese heiligen, rührenden Szenen sind nichts anderes als ein wohlüberlegter Kunstgriff, durch Rührung zu wirken; etwa wie jene Bettelweiber in den Straßen von[210] London, die alle Vierteljahre kleine Kinder kaufen oder stehlen und mit den unglücklichen Zwillingen seit zehn Jahren weinend an der Ecke sitzen.
Zum Schlusse dieses Abschnittes will ich euch noch eine kleine Geschichte erzählen. Es kam einst ein fremder Mensch in eine Stadt, der sich Zutritt in die gute Gesellschaft zu verschaffen wußte. Dieser Mensch betrug sich von Anfang etwas linkisch, doch so, daß man manche seiner Manieren übersehen und zurechtlegen konnte. Er hielt sich gewöhnlich zu den Frauen und Mädchen, weil ihm das Gespräch der Männer zu ernst war, und jene lauschten gerne auf seine Rede, weil er ihnen Angenehmes sagte. Nach und nach aber fand es sich, daß dieser Mensch seiner gemeineren Natur in dieser Gesellschaft wohl nur Zwang angetan hatte; er sprach freier, er schwatzte den Ohren unschuldiger Mädchen Dinge vor, worüber selbst die Eltern hätten erröten müssen. Wie es aber zu gehen pflegt; das Lüsterne reizt bei weitem mehr als das Ernste, Sittliche; zwar mit niedergeschlagenen Augen, aber offenem Ohr lauschten sie auf seine Rede, und selbst manche Zote, die für eine Bierschenke derb genug gewesen wäre, bewahrten sie in feinem Herzen. Der fremde Mann wurde der Liebling dieses Zirkels. Es fiel aber den Männern nach und nach auf, daß ihre Frauen über manche Verhältnisse freier dachten als zuvor, daß selbst ihre Mädchen über Dinge sprachen, die sonst einem unbescholtenen Kind von fünfzehn bis sechzehn Jahren fremd sein müssen. Sie staunten, sie forschten nach dem Ursprung dieser schlechten Sitten, und siehe, die Frauen gestanden ihnen unumwunden: »Es ist der liebenswürdige, angenehme Herr, der uns dieses gesagt hat.« Viele der Männer versuchten es mit Ernst und Warnung, ihn zum Schweigen zu bringen; umsonst, er schüttelte die Pfeile ab und plauderte fort. Die Männer wußten nicht, was sie tun sollten, denn es ist ja gegen die Sitten der guten Gesellschaft, selbst einen verworfenen Menschen die Treppe hinabzuwerfen. Da versuchte einer einen andern Weg. Er setzte sich unter die Frauen und lauschte mit ihnen auf die Rede des Mannes und merkte sich alle seine Worte, Wendungen, selbst seine Stimme. Und eines Abends kam er, angetan wie jener Verderber, setzte sich an seine Seite, ließ ihn nicht zum Worte kommen, sondern erzählte den Frauen nach derselben Manier, mit nachgeahmter Stimme, wie es jener Mann zu tun pflegte. Da fanden die Vernünftigeren wenigstens, wie lächerlich und unsittlich dies alles sei. Sie schämten sich, und als jener Mensch[211] dennoch in seinem alten Ton fortfahren wollte, wandten sie sich von ihm ab, er aber stand beinahe allein und zog beschämt von dannen.
»Wo Ernst nicht hilft, da nimm den Spott zur Hilfe,« dachte jener, und wohl ihm, wenn es ihm gelang, den Wolf im Schafskleide zu verjagen!
Meine Freunde! Dasselbe, was in dieser Geschichte erzählt ist, dasselbe wollte auch der Mann im Monde, und das war ja unsere erste Frage, er wollte den Erfinder der Mimili-Manier zu Nutz und Frommen der Literatur und des Publikums, zur Ehre der Vernunft und Sitte lächerlich machen.
Wie er diesen Zweck verfolgte? Ob es ihm gelingen konnte? ist der Gegenstand der folgenden Fragen.
II. Haben wir bisher nachgewiesen und darüber gesprochen, welchen Zweck der Mann im Monde zu verfolgen hatte, indem wir den Gegenstand, gegen welchen er gerichtet war, nach allen Teilen auseinandersetzten, so kommt es uns zu, andächtig miteinander zu betrachten, wie er diesen Zweck verfolgte.
Es gibt verschiedene Wege, wie schon in der Parabel vom angenehmen Mann angedeutet ist, verschiedene Wege, um ein Laster, eine böse Gewohnheit oder unsittliche Ansichten aus der sittlichen Gesellschaft zu verbannen. Das erste und natürlichste bleibt immer, einen solchen Gegenstand mit Ernst, mit Gründen anzugreifen, seine Anhänger von ihrem Irrtum zu überführen, seine Blöße offen vor das Auge zu bringen. Diesen Weg hat man auch mit dem Claurenschen Unfug zu wiederholten Malen eingeschlagen. Ihr alle, meine Zuhörer, kennet hinlänglich jene öffentlichen Gerichte der Literatur, wo die Richter zwar, wie bei der heiligen Feme, verhüllt und ohne Namen zu Gericht sitzen, aber unverhüllt und unumwunden Recht sprechen; ich meine die Journale, die sich mit der Literatur beschäftigen. Wie es in aller Welt bestechliche Richter gibt, so auch hier. Es gab einige freilich an Obskurantismus laborierende Blätter, welche jedes Jahr eine Fanfare bliesen, zugunsten und Ehren Claurens und seines Neugeborenen. Dem Vater wie dem Kindlein wurde gebührendes Lob gespendet, und das Publikum eingeladen, einige Taler als Patengeschenk zu spendieren. Doch zur Ehre der deutschen Literatur sei es gesagt, es waren und sind dies nur einige Winkelblätter, die nur mit Modeartikeln zu tun haben.
Bessere Blätter, bessere Männer als jene, die um Geld lobten, scheuten sich nicht, so oft Claurens Muse in die Wochen[212] kam, das Produkt nach allen Seiten zu untersuchen und der Welt zu sagen, was davon zu halten sei. Sie steigerten ihre Stimme, sie erhöhten ihren Tadel, je mehr die Lust an jenen Produkten unter euch überhand nahm, sie bewiesen mit triftigen Gründen, wie schändlich eine solche Lektüre, wie entwürdigend ein solcher Geschmack sei, wie entnervend er schon zu wirken anfange. Manch herrliches Wort wurde da über die Würde der Literatur, über wahren Adel der Poesie und über euch gesprochen, die ihr nicht errötet, ihm zu huldigen, die ihr so verstockt seid, das Häßliche schön, das Unsaubere rein, das Kleinliche erhaben, das Lächerliche rührend zu finden. Woran lag es aber, daß jene Worte wie in den Wind gesprochen scheinen, daß, so oft sich auch Männer von wahrem Wert dagegen erklärten, die Menge immer mehr Partei dafür nahm? Man müßte glauben, der Herr habe ihre Herzen verstockt, wenn sich nicht noch ein anderer Grund fände.
Jene Institute für Literatur, die kein Volk der Erde so allgemein, so gründlich aufzuweisen hat wie wir, jene Journale, wo auch das Kleinste zur Sprache kommt und nach Gesetzen beurteilt wird, die sich auf Vernunft und wahren Wert der Kunst und Wissenschaft gründen – sie sind leider nur für wenige geschrieben. Wer liest sie? Der Gelehrte, der Bürger von wahrer Bildung, hin und wieder eine Frau, die sich über das Gebiet der Leihbibliothek erhoben hat. Ob aber Clauren für diese schreibt? Ob seine Manier diesen schädlich wird? Ob sie ihn nur lesen? Und wenn sie ihn lesen, wird ihnen die Stufe von Bildung, auf welcher sie stehen, nicht von selbst den Takt verleihen, um das Verwerfliche einzusehen? Und wenn unter hundert Menschen, welche lesen, sogar zehn wären, die sich aus jenen Instituten unterrichten, verhallt nicht eine solche Stimme bei neunzig andern?
So kam es, daß Clauren zu wiederholten Malen angegriffen, getadelt, gescholten, verhöhnt, bis in den Staub erniedrigt wurde, er – schüttelte den Staub ab, antwortete nicht, ging singend und wohlgemut seine Straße. Wußte er doch, daß ihm ein großes ansehnliches Publikum geblieben, zu dessen Ohren jene Stimmen nie drangen, wußte er doch, daß, wenn ihn der ernste Vater mit Verachtung vor die Türe geworfen, wie einen räudigen Hund, der seine Schwelle nicht verunreinigen soll, das Töchterlein oder die Hausfrau eine Hintertür willig öffnen werde, um auf die Honigworte des angenehmen Mannes zu lauschen, der Ernst und Scherz so lieblich zu verbinden weiß,[213] um ihm von den ersparten Milchpfennigen ein Sträußchen Vergißmeinnicht abzukaufen.
Man könnte sich dies gefallen lassen, wenn es sich um eine gewöhnliche Erscheinung der Literatur handelte, die in Blättern öffentlich getadelt wird, weil sie von den gewöhnlichen Formen abweicht oder unreif ist oder nach Form und Inhalt den ästhetischen Gesetzen nicht entspricht. Hier kann höchstens die Zeit, die man der Lektüre einer Gespenstergeschichte oder eines ehrlichen Ritterromans widmete, übel angewendet scheinen, oder der Geschmack kann darunter leiden. Solange für die jugendliche Phantasie, für Sittlichkeit keine Gefahr sich zeigt, mögen immer die Richter der Literatur den Verfasser zurechtweisen, wie er es verdient, das allgemeine Publikum wird freilich wenig Notiz davon nehmen. Wenn aber nachgewiesen werden kann, daß eine Art von Lektüre die größtmögliche Verbreitung gewinnt, wenn sie diese gewinnt durch Unsittlichkeit, durch Lüsternheit, die das Auge reizt und dem Ohre schmeichelt, durch Gemeinheit und unreines Wesen, so ist sie ein Gift, das um so gefährlicher wirkt, als es nicht schnell und offen zu wirken pflegt, sondern allmählich die Phantasie erhitzt, die Kraft der Seele entnervt, den Glauben an das wahrhaft Schöne und Edle, Reine und Erhabene schwächt und ein Verderben bereitet, das bedauernswürdiger ist als eine körperliche Seuche, welche die Blüte der Länder wegrafft.
Ich habe euch vorhin ein Bild entworfen von dem Wesen und der Tendenz dieses Clauren, nach allen Teilen habe ich ihn enthüllt, und wer unter euch kann leugnen, daß er ein solches Gift verbreite? Wer es kann, der trete auf und beschuldige mich einer Lüge! Männer meines Volkes, die ihr den wahren Wert einer schönen, kräftigen Nation nicht verkennt, Männer, die ihr die Phantasie eurer Jünglinge mit erhabenen Bildern schmücken wollt, Männer, die ihr den keuschen Sinn einer Jungfrau für ein hohes Gut erachtet, ihr, ich weiß es, fühlet mit mir. Aber ihr müßt auch gefühlt, gesehen haben, daß jene öffentlichen Stimmen, die den Marktschreier rügten, der den Verblendeten Gift verkauft, nicht selten in eure Häuser gedrungen sind. Ich habe gefühlt wie ihr, und der Ausspruch jenes alten Arztes fiel mir bei: »Gegen Gift hilft nur wieder Gift.« Ich dachte nach über Ursache und Wirkung jener Mimili-Manier, ich betrachtete genau die Symptome, die sie hervorbrachte, und ich erfand ein Mittel, worauf ich Hoffnung setzte. Aus denselben Stoffen, sprach ich zu mir, mußt du[214] einen Teig kneten, mußt ihn würzen mit derselben Würze, nur reichlicher überall, nur noch pikanter; an diesem Backwerk sollen sie mir kauen, und wenn es ihnen auch dann nicht widersteht, wenn es ihnen auch dann nicht wehe macht, wenn sie an dieser »Trüffelpastete«, an diesem »Austernschmaus« keinen Ekel fassen, so sind sie nicht mehr zu kurieren, oder – es war nichts an ihnen verloren.
Zu diesem Zweck scheute ich nicht die Mühe, die reiche Bibliothek von Scherz und Ernst, die üppig wuchernde Sumpfpflanze Vergißmeinnicht nach allen ihren Teilen zu studieren. Je weiter ich las, desto mehr wuchs mein Grimm über diese nichtige Erbärmlichkeit. Es war eine schreckliche Arbeit; alle seine Kunstworte (termini technici) alle seine Wendungen, alle seine Schnörkel und Arabesken, jene Kostüme, worein er seine Püppchen hüllt, alle Nüancen der Sinnlichkeit und Lüsternheit, jenen feinen durchsichtigen Schleier, womit er dem Auge mehr zeigt, als verhüllt, alle Schattierungen seines Stils, jenes kokettierende Abbrechen, jenes Hindeuten auf Gegenstände, die man verschweigen will, dies alles und so vieles andere mußte ich suchen mir zu eigen zu machen. Ich mußte einkehren auf seinen Bällen, bei seinen Schmäusen, ich mußte einkehren in seiner Garküche und die rauchenden Pasteten, den Braten, den schmorenden Fisch beriechen, alle Sorten seiner dampfenden Weine mußt' ich kosten, mußte den Kork zur Decke springen lassen, mußte die »brüsselnden Bläschen im Lilien-Kelchglas auf und niedertanzen« sehen – und dann erst konnte ich sagen, ich habe den Clauren studiert.
Dann erfand ich eine Art von Novelle, in der Manier, wie Clauren sie gewöhnlich gibt, etwas mager, nicht sehr gehaltvoll und dennoch zu zwei Teilen lang genug. Notwendiges Requisit war nach den oben angedeuteten Gesetzen: 1) ein junger, schmächtiger, etwas bleicher, rabengelockter Mann, unglücklich, aber steinreich; 2) die Heldin des Stücks, ein tanzendes, plauderndes, naives, schönes, lüsternes, mitleidiges »Dingelchen«, dem das Herzchen alsbald vor Liebe »puppert«, dem die Liebe alles Blut aus dem Herzen in die Wangen »pumpt«. (Welch gemeines Bild, von einem Weinfaß entlehnt, eines Küfers würdig!) 3) ein Spiritus familiaris, wie wir ihn beinahe in allen Claurenschen Geschichten treffen, ein altes, freundliches »Kerlchen«, das den Liebenden mit Rat und Tat beisteht; 4) ein neutraler Vater, der zum wenigsten Präsident sein muß; 5) ein paar Furien von Weibern, die das böse, eingreifende Schicksal[215] vorstellen; 6) einige Husarenleutnants und Dragoneroffiziere, nach seinen Modellen abkonterfeit; 7) ein alter Onkel, der mit Geld alles ausgleicht; 8) Bediente, Wirte etc. So waren die Personen arrangiert, das Stück zu Faden geschlagen, und jetzt mußte gewoben werden. Hier mußte nun hauptsächlich Rücksicht darauf genommen werden, daß man sein Dessin immer im Auge behielt, daß man immer daran dachte, wie würde er, der große Meister, dies weben? Das Gewebe mußte locker und leicht sein, keiner der Charaktere zu sehr herausgehoben und schattiert. Es wäre z. B. ein leichtes gewesen, aus Ida eine ganz honette, würdige Figur zu machen; der Charakter des Hofrats Berner hätte mit wenigen Strichen mehr hervorgehoben werden können; man hätte aus der ganzen Novelle ein mehr gerundetes, würdiges Ganzes machen können! Aber dann – war der Zweck verfehlt. So flach als möglich mußten die verschiedenen Charaktere auf der Leinwand stehen, steif in ihren Bewegungen, übertrieben in ihrem Herzeleid, grell in ihren Leidenschaften, sinnlich, sinnlich in der Liebe. Jene Novelle an sich hat keinen Wert, und dennoch hat es mich oft in der Seele geschmerzt, wenn ich eines oder das andere der gesammelten »Zutätchen« einstreuen, wenn ich von keuschem Marmorbusen, stolzer Schwanenbrust, jungfräulichen Schneehügeln, Alabasterformen etc. sprechen mußte, wenn ich nach seinem Vorgange von schönen »Wäd–«, von süßen »Kü–« (was nicht Küche bedeutet), von wollüstigen Träumen schreiben sollte; wenn die Liebesglut zur Sprache kam, die dem »jungfräulichen Kind« wie glühendes Eisen durch alle Adern rinnt, daß sie alle anderen Tücher wegwirft und die leichte Bettdecke herabschieben muß! Ich habe gelacht, wenn ich nach Anleitung seines Gradus ad Parnassum als Beiwort zu den Haaren »kohlrabenschwarz« oder »Flachsperücke« setzen mußte, wenn man statt der Augen »Feuerräder« oder »Liebessterne« hat, »Korallenlippen«, »Perlenschnüre« statt der Zähne, Schwanenhälse samt dito Brust, Knie, die man zusammen »kneift«, weil man vor Lachen »bersten« möchte; Wäd– und Füßchen zum Kü– und dergleichen lächerliche, gemeine Worte. Nachdem gehörig getollt, gejodelt, getanzt, geweint, abgehärmt war, nachdem, wie natürlich, das Laster besiegt und die Tugend in einem herrlichen Schleppkleide, mit Brüsseler Kanten, Blumen im Haare auf die Bühne geführt war, wurden als Morgengabe mehrere Millionen Taler, einige Schlösser, Parks, Gründe etc. aufnotiert und Hochzeit gehalten. Da gab[216] es nun ein »erschreckliches Hallo, daß man nicht wußte, wo einem der Kopf stand«, es wurde trefflich gespeist und getrunken, und das selige Liebespaar beinahe bis in die Brautkammer befördert.
Das ist der Ur- und Grundstoff, wie zu jedem Claurenschen Roman, so auch zum Mann im Monde, auf diese Art suchte er seinen Zweck zu erreichen, durch Uebersättigung Ekel an dieser Manier hervorzubringen, die Satire sollte ihm Gang und Stimme nachahmen, um ihn vor seinen andächtigen Zuhörern lächerlich zu machen. Mit Vergnügen haben wir da und dort bemerkt, daß der Mann im Monde diesen Zweck erreichte. Jeder vernünftige, unparteiische Leser erkannte seine Absicht, und Gott sei es gedankt, es gab noch Männer, es gab noch edle Frauen, die diese öffentliche Rüge der Mimili-Manier gerecht und in der Ordnung fanden.
Oeffentliche Blätter, deren ernster würdiger Charakter seit einer Reihe von Jahren sich gleich blieb, haben sich darüber ausgesprochen, haben gefunden, daß es an der Zeit sei, dieses geschmacklose, unsittliche, verderbliche Wesen an den Pranger zu stellen. Tadle mich keiner, ehrwürdige Versammlung, daß ich, ein junger Mann ohne Verdienste, ohne Ansprüche auf Sitz und Stimme in der Literatur, es wagte, den Hochberühmten anzugreifen. Steht doch jedem Leser das Recht zu, seine Meinung über das Gelesene, auf welche Art es sei, öffentlich zu machen, steht doch jedem Mann in der bürgerlichen Gesellschaft das Recht zu, über Erscheinungen, die auf die Bildung seiner Zeitgenossen von einigem Einflusse sind, zu sprechen.
Ich bin weit entfernt, mich mit dem großen jüdischen Könige und Harfenisten David vergleichen zu wollen, aber hat nicht der Sohn Isais, obgleich er jung und ohne Namen im Lager war, dem Riesen Goliath ein steinernes Vergißmeinnicht an die freche Stirn geworfen, ihm in Scherz und Ernst den Kopf abgehauen und solchen als Lustspiel vor sich hertragen lassen? Mir freilich haben die Jungfrauen nicht gesungen: »Er hat zehntausend geschlagen« (worunter man die Zahl seiner Anhänger verstehen könnte), denn die Jungfrauen sind heutzutage auf der Seite des Philisters; natürlich hat er ja, wie Asmus sagt,
Selbst die jüdischen Rezensenten haben sich undankbarerweise gegen mich erklärt. Leider hat ihre Stimme wenig zu bedeuten in Israel.
Gehen wir aber in Betrachtung, wie es dem Mondmanne auf der Erde erging, weiter, so stoßen wir auf einen ganz sonderbaren Vorfall. Als dieses Buch, dem neben der Weise und Sprache des Erfinders der Mimili-Manier auch sein angenommener Name nicht fehlen durfte, in alle vier Himmelsgegenden des Landes ausgegeben wurde, erwarteten wir nicht anders, als Clauren werde »geharnischt bis an die Zähne« auf dem Kampfplatz der Kritik erscheinen, uns mit Schwert und Lanze anfallen, seine Knappen und dienenden Reisigen zur Seite. Wir freuten uns auf diesen Kampf, wir hatten ja für eine gute Sache den Handschuh ausgeworfen. Vergebens warteten wir. Zwar erklärte er, was schon auf den ersten Anblick jeder wußte, dieser Mann im Monde sei nicht sein Kind, aber statt, wie es einem berühmten Literator, einem namhaften Belletristen geziemt hätte, wie es sogar seine Ehre gegenüber von seinen Anbetern und Freunden verlangte, öffentlich vor dem Richterstuhl literarischer Kritik, nach ästhetischen Gesetzen sich zu verteidigen, begnügte er sich als Gegengewicht das »Tornisterlieschen« auf die Wagschale zu legen, und ging hin, vor den bürgerlichen Gerichten zu klagen, man habe seinen Namen mißbraucht. Hatte man denn die paar Buchstaben H. Clauren angegriffen, war es nicht vielmehr seine heillose Manier, seine sittenlosen Geschichten, sein ganzes unreines Wesen, was man anfocht? Konnten Schöppen und Beisitzer eines bürgerlichen Gerichts ihn rein machen von den literarischen Sünden, die er begangen, konnten sie mit der Flut von Tinte, die bei diesem Vorfall verschwendet wurde, ihn reinwaschen von jedem Flecken, der an ihm klebte, konnten sie ihm, indem sie ihm ihr bürgerliches Recht zusprachen, eine Achtung vor der Nation verschaffen, die er längst in den Augen der Gutgesinnten verloren? Konnten sie, indem sie genugsam Sand auf das Geschriebene streuten, das, was er geschrieben, weniger schlüpfrig machen?
Wenn aber, andächtige Versammlung, der Gerichtshof H. Clauren als wirklich vorhanden angenommen hat, so hat er damit nur erklärt, daß man Claurens Namen nicht führen dürfe, daß es unrechtmäßigerweise geschehen sei, wenn man die acht Buchstaben, die das non ens bezeichneten, H. C. l. a. u. r. e. n. in derselben Reihenfolge auch auf ein anderes Werk gesetzt habe. In einer andern Reihenfolge wäre es also durchaus nicht unrecht[218] gewesen, und wie viele Anagramme sind nicht aus jenen mystischen acht Buchstaben zu bilden, z. B. Hurenlac oder Harnceul. Der geheime Hofrat Carl Heun bezeugt eine außerordentliche Freude über diesen Spruch und glaubt, somit sei die ganze Sache abgetan, und er habe recht. Wie täuscht sich dieser gute Mann! War denn jene Satire: der Mann im Monde, gegen seinen angenommenen Namen gerichtet? – Namen, Herr! tun nichts zur Sache, der Geist ist's, auf den es abgesehen war. Und die Richter vom Eßlinger Gerichtshof konnten und wollten diese entscheiden, ob die Tendenz, die Sprache, das ganze Wesen von Seiner Wohlgeboren Schriften sittlich oder unsittlich sei, ob sie Probe halten vor dem Auge, das nach kritischen Gesetzen urteilt und nach den Vorschriften der Aesthetik, in welches Gebiet doch die Schriften eines Clauren gehören? Der Name, nicht die Sache, konnte nach bürgerlichen Gesetzen unrecht sein; aber versuche er einmal, nachdem er mit Glück seinen Namen verfochten, auch seine Sache, den Geist und die Sprache seiner Schriften zu verteidigen! – – – – – – – – – – – – – – – Bedenke:
Wohl dem Namen Clauren, wenn er dann trotz so manchem Vergißmeinnicht vergessen sein wird, denn nach wenigen Jahrzehnten verschwindet der Scherz, und Ernst richtet die Nachwelt. Da wird man fragen, von welchem Einfluß war dieser Name auf seine Mitwelt, was hat er für die Würde seiner Nation, für den Geist seines Volkes getan? Und – man wird nach Werken, nicht nach Worten richten.
Bei den alten Aegyptern war es Sitte, wenn man die Könige der Erde wiedergab, Gericht zu halten über ihre Taten. Man hat in unseren Tagen diese schöne Sitte erneuert, so oft einer unter den Dichtern, den Königen der Phantasie, hinübergegangen war. Ueber Jean Paul vernahmen wir das schöne merkwürdige Wort: »Gute Bücher sind gute Taten!« Wird man von Clauren dasselbe sagen?
Doch genug davon, noch hat weder Clauren noch ein Gerichtshof der Erde den Mann im Monde nach seinem innern Wesen widerlegt; wir sind begierig, ob und wie es geschehen werde.
Und nun zum Schlusse noch ein Wort an euch, verehrte Zuhörer. Habt ihr bis hierher mir aufmerksam zugehört, so[219] danke ich euch herzlich, denn ihr wisset jetzt, was ich gewollt habe. Schmerzen würde es mich übrigens, wenn ihr mich dennoch nicht verständet, nicht recht verständet. Es möchte vielleicht mancher mit unzufriedener Miene von mir gehen und denken: der Tor predigt in der Wüste; sollen wir denn jeglichem heiteren Geistesgenuß entsagen, sollen wir so ganz asketisch leben, daß unsere Taschenlektüre Klopstocks Messias werden soll?
Mit nichten, und es wäre Torheit, es zu verlangen; als der Schöpfer dem Sterblichen Witz und Laune, Humor und Empfänglichkeit für Freude in die Seele goß, da wollte er nicht, daß seine Menschen trauernd und stumm über seine schöne Erde wandelten. Es hat zu allen Zeiten große Geister gegeben, die es nicht für zu gering hielten, durch die Gaben, die ihnen die Natur verlieh, die Welt um sich her aufzuheitern. Nein, gerade weil sie den tiefen Ernst des Lebens und seine hohe Bedeutung kannten, gerade deswegen suchten sie von diesem Ernste – trüben Sinn und jene Traurigkeit zu verbannen, die alles, auch das Unschuldigste, mit Bitterkeit mustert. Wirkliche Tiefe mit Humor, Wahrheit mit Scherz, das Edle und Große mit dem heitern Gewande der Laune zu verbinden, möchte auf den ersten Anblick schwer erscheinen. Aber England und Deutschland haben uns seit Jahrhunderten so glänzende Resultate gegeben, daß wir glauben dürfen, wenn nur der Geschmack der Menge besser wäre, der Geister, die sie würdig und angenehm zu unterhalten wüßten, würden immer mehrere auftauchen. Welchen Mann, der nicht allen Sinn für Scherz und muntere Laune hinter sich geworfen hat, welchen Mann ergötzt nicht die Schilderung eines sonderbaren, verschrobenen Charakters, wer erfreut sich nicht an heiteren Szenen, wo nicht der Verfasser lacht, sondern die Figuren, die er uns gezeichnet? Wem, wenn er auch jahrelang nicht gelächelt hätte, müßten nicht Jean Pauls Prügelszenen ein Lächeln abgewinnen? Auf der Stufenleiter seines Humors steigt er herab bis in das unterste gemeinste Leben, aber sehet ihr ihn jemals gemein werden, wie Clauren auf jeder Seite ist? Walter Scott, der Mann des Tages, der aus manchem Herzen selbst die Wurzeln des Vergißmeinnicht gerissen hat, Walter Scott treibt sich in den gemeinsten Schenken des Landes, in den schmutzigsten Höhlen von Alsatia umher, aber sehet ihr ihn jemals gemein werden? Weiß er nicht, wie jene niederländischen Künstler, sogar das Unsauberste zu malen, ohne dennoch selbst unreinlich und schlüpfrig zu sein? Könnet ihr nicht seine Schilderungen, selbst an das Gefährliche streifende Situationen,[220] jedem Mädchen von Zucht und Sitte vorlesen, ohne sie dennoch erröten zu machen?
Solche Männer kommen mir vor wie anständige Leute, die durch eine schmutzige Straße in gute Gesellschaft gehen sollen. Sie treten leise auf, sie wissen mit sicherem Fuße die breiten Steine herauszufinden und treten reinlich in die Hausflur, während Menschen wie Clauren, wilden Jungen oder Schweinen gleich, durch dick und dünn laufen und, nicht zufrieden, sich selbst beschmutzt zu haben, die Vorübergehenden besudeln und mit Kot bespritzen.
Noch gibt es, Gott sei es gedankt, solcher reinlichen Leute genug in unserer Literatur, gibt es der Männer viele, die mit Wahrheit und Würde jene Anmut, jene Laune verbinden, die euch in trüben Stunden freundlich zu Hilfe kommt. Oder solltet ihr vergessen haben, daß uns ein Goethe, ein Jean Paul, ein Tieck, ein Hoffmann Erzählungen gaben, die sich mit jeder Dichtung des Auslandes messen können? Hat euch der Vergißmeinnicht-Mann so gänzlich gefesselt, daß ihr die schönen Blüten zahlreicher anderer Erzähler nicht einmal vom Hörensagen kennt? Freilich, diese Männer verschmähten es, ihre Blumen am Sumpf zu brechen oder ihre Farbe mit dem Wasser einer Pfütze zu mischen, sie fühlten, daß der Entwurf ihrer Gemälde anziehend und interessant, daß die Stellung der Gruppen nach natürlichen Gesetzen zu ordnen sei, daß selbst das Neue, Ueberraschende angenehm für das Auge sein müsse. Zeichnung der Landschaft, nicht der Spiegel und Sofas, Schilderung der Charaktere, nicht der Hüte und Gewänder, der Geist einer Jungfrau, nicht der üppige Bau ihrer Glieder, war ihnen die Hauptsache. Und darum können wir auch ihre Bilder, wie jedes gute Buch, alle Jahre mit erneuertem Vergnügen lesen, während uns der Berühmte schon nach der ersten Viertelstunde anekelt.
Man hat in neuerer Zeit in Frankreich und England angefangen, unsere Literatur hochzuschätzen. Die Engländer fanden einen Ernst, eine Tiefe, die ihnen bewunderungswürdig schien. Die Franzosen fanden eine Anmut, eine Natürlichkeit in gewissen Schilderungen und Gemälden, die sie selbst bei ihren ersten Geistern selten fanden. Faust, Götz und so manche herrliche Dichtung Goethes sind ins Englische übertragen worden, seine Memoiren entzückten die Pariser, Tiecks und Hoffmanns Novellen fanden hohe Achtung über dem Kanal, und Talma rüstet sich, Schillers tragische Helden seiner Nation vor das Auge zu führen. Wir Deutschen handelten bisher von jenen[221] Ländern ein, ohne unsere Produkte dagegen ausführen zu können. Mit Stolz dürfen wir sagen, daß die Zeit dieses einseitigen Handels vorüber ist.
Aber müssen wir nicht erröten, wenn es endlich einem ihrer Uebersetzer, aufmerksam gemacht durch den Ruhm des Mannes, einfällt, ein Vergißmeinnichtchen oder ein Bändchen von Scherz und Ernst zu übertragen? Mit Recht könnt' er in einer pompösen Anzeige sagen: »Das ist jetzt der Mann des Tages in Deutschland, er macht Furore, den müßt ihr lesen!« Meinet ihr etwa, man sei dort auch so nachsichtig gegen Lächerlichkeit und Gemeinheit, um diese Geschichtchen nur erträglich zu finden? Welchen Begriff werden gebildete Nationen von unserem soliden Geschmacke bekommen, wenn sie den ganzen Apparat einer Tafel oder ein Mädchen mit eigentümlichen Kunstausdrücken anatomisch beschrieben finden? Oder, wenn der Uebersetzer in unserem Namen errötet, wenn er alle jene obscönen Beiworte, alle jene kleinlichen Schnörkel streicht und nur die interessante Novelle gibt, wie Herr N. die Demoiselle N. N. heiratet? Was wird dann übrig sein?
Schneidet einmal dieser Puppe ihre kohlrabenschwarzen Ringellöckchen ab, preßt ihr die funkelnden Liebessterne aus dem Kopfe, reißt ihr die Perlenzähne aus, schnallet den Schwanenhals nebst Marmorbusen ab, leget Schals, Hüte, Federn, Unter- und Oberröckchen, Korsettchen etc. in den Kasten, so habt ihr dem lieben, herrlichen Kinde die Seele genommen, und es bleibt euch nichts als ein hölzerner Kadaver, das Knochengerippe von Freund Heun!
Und wenn ihr euch nicht vor fremden Nationen schämet, wenn ihr über das deutsche Publikum nicht erröten könnet, so errötet vor euch selbst. Schämet euch, ihr Männer, wenn ihr eure Langeweile nicht anders töten könnet als mit Hilfe dieses Clauren, schämet euch, ihr Frauen, wenn ihr Gefallen finden könnet an dieser niedrigsten Darstellung eures Geschlechtes, schämet euch, ihr Jünglinge, wenn ihr wahre Liebe in diesem Handbuche der Sinnlichkeit wiederfinden wollet. Errötet, wenn ihr es in seiner Schule nicht verlernt habt, errötet vor euch selbst, ihr Jungfrauen, eure Phantasie mit diesen lüsternen Bildern zu schmücken. Es gibt eine moralische Keuschheit, eine holde, erhabene Jungfräulichkeit der Seele: man darf darauf rechnen, daß ein Mädchen sie verloren hat, wenn sie Claurens Erzählungen gelesen.
Ueberlasset seine Schilderungen Dirnen, an welchen nichts mehr zu verlieren ist. Man wird es ihnen so wenig übelnehmen, wenn sie ihn lesen, als den Handwerksburschen, wenn sie auf der Straße unzüchtige Lieder singen.
Meine Zuhörer! Ich habe also vor euch gesprochen, weil ich nicht anders konnte. Ich habe nicht auf Dank, nicht auf Lob gerechnet. Die Menge ist vielleicht so tief gesunken, daß sie nicht mehr an solche Worte glaubt, meine Stimme verhallt vielleicht in dem tausendstimmigen Hurra, womit man in diesem Augenblick einen frischen Strauß Vergißmeinnicht empfängt.
Doch, wenn meine Worte auch nur auf einem Antlitz jene Röte der Scham aufjagten, die wie die Morgenröte der Bote eines schöneren Lichtes ist, wenn auch nur zwei, drei Herzen entrüstet sich von ihm abwenden, so habe ich für mein Bewußtsein genug getan! Weiß ich doch, daß es in diesen Landen noch Männer gibt, die mir im Geiste danken, die mir die Hand drücken und sagen: »Du hast gedacht wie wir!« Amen.
Seite. | |
Die Bücher und die Lesewelt. | |
1. Die Leihbibliothek | 225 |
2. Geschmack des Publikums | 227 |
3. Der große Unbekannte | 230 |
4. Besuch im Buchladen | 233 |
5. Der unternehmende Geist | 235 |
6. Schluß | 238 |
Freie Stunden am Fenster | 240 |
2. Die Liebe parterre | 243 |
3. Der zweite Stock | 246 |
4. Jocko | 249 |
5. Die Bel-Etage | 252 |
6. Der arme Schuster | 255 |
7. Die deutsche Literatur | 261 |
Der ästhetische Klub | 264 |
Ein paar Reisestunden | 267 |
Hochzeitgruß an Karl Grüneisen | 278 |
Als ich noch in –n lebte, gehörte es zu meinen Vormittagsvergnügungen, in eine Leihbibliothek zu gehen; nicht um Bücher auszuwählen, denn die Sammlung bestand aus vier- bis fünftausend Bänden, die ich größtenteils zwei Jahre zuvor in einer langen Krankheit durchblättert hatte, sondern um zu sehen, wie die Bücher ausgewählt werden. Ich trug mich damals mit dem sonderbaren Gedanken, ein Buch zu schreiben; ich hatte noch keinen bestimmten Gegenstand oder Zweck und war noch sehr unentschieden, nach welchem großen Meister ich mein erstes Stück verfertigen sollte; an den innern Wert des künftigen Buches dachte ich zwar mit unbehaglichem Gefühl, denn unter allen meinen Gedanken war ich bis jetzt auf keinen gestoßen, der sich, selbst mit Schwabacher Lettern gedruckt, schön ausgenommen hätte; doch schien mir das größte und notwendigste für einen, der ein Buch machen will, daß er die Menschen studiere, nicht um Menschenkenntnis zu sammeln, die lernt man jetzt in Büchern, sondern um den Leuten abzusehen, was etwa am meisten Beifall finde, oft und gerne gelesen werde. Vox populi, vox Dei, dachte ich, gilt auch hier. So saß ich denn manchen Vormittag in der Bibliothek, um die Leser und ihre Neigungen zu studieren.
Der Bibliothekar war ein alter, kleiner Mann, der in den zehn Jahren, die ich in seiner Nähe lebte, beständig einen apfelgrünen Frack, eine gelbe Weste und blaue Beinkleider trug; ich suchte ihm zu beweisen, daß er seinen Anzug nicht greller und abgeschmackter hätte wählen können; er brach aber, nachdem ich einiges Schlagende aus der Farbenlehre vorgebracht hatte, in Tränen aus und versicherte mir, er trage sich so und werde sich bis an sein Ende so tragen, denn von diesen Farben sei sein Hochzeitskleid gewesen, das er sich sechs Wochen vor der Hochzeit und leider zu frühe habe verfertigen lassen; denn die Braut sei schnell am Nervenfieber gestorben. Der Bibliothekar hatte in seinem Fach eine vieljährige Erfahrung, und interessant war, was er zuweilen darüber äußerte. »Morgens,« sagte er mir z. B., »morgens werden am meisten Bücher ausgetauscht, das[226] ist die Zeit der zweiten und dritten Teile. Es kommt nicht daher, wie ich anfänglich glaubte, daß zu dieser Zeit die Bedienten und Kammermädchen ihre Ausgänge in die Stadt machen, denn dann müßte sich dieses Verhältnis auch auf erste Teile erstrecken, nein, es kommt vom Nachtlesen her.« – »Vom Nachtlesen?« fragte ich verwundert.
»Davon, meine ich, daß die Leute interessante Bücher bei Nacht lesen. Ein großer Teil der Menschen, die jungen und ganz gesunden ausgenommen, kann nicht in derselben Minute einschlafen, wo sie zu Bette gehen. Zum Opium mag man nicht greifen, weil man damit, einmal angefangen, fortfahren muß; da gibt es nun kein besseres Mittel, als zu lesen.« – »Gut, ich verstehe,« erwiderte ich; »aber Sie sagen ja selbst von interessanten Büchern: sind denn diese zum Einschläfern eingerichtet?« – »Nicht alle und nicht für alle; natürlich muß man unterscheiden, für wen dies oder jenes interessant sein kann. Sie kennen die Gräfin Winklitz? Nun, die kann am längsten nicht einschlafen; mich dauert nur das Kammermädchen, die ihr jede Nacht oft bis zwei Uhr vorlesen muß. Nun gebe ich einmal aus Irrtum dem Mädchen Görres' Deutschland und die Revolution mit – Sie wissen, für den Kenner gibt es nichts Interessanteres – acht Nächte haben sie daran gelesen, und doch hat es nur 190 Seiten, und jedesmal ist die Gräfin um elf eingeschlafen. Das Mädchen wußte mir Dank für das ›schläfrige Buch‹. Kommt, um Ihnen nur noch ein Beispiel zu geben, kommt zu meinem großen Erstaunen der alte Professor Wanzer, der über Mathematik liest, in meinen Laden. Er habe seit zwanzig Jahren nichts Belletristisches mehr gelesen, als zuweilen die Traueranzeigen im Merkur, und nun wünsche er doch wieder eine Uebersicht über das zu bekommen, was einstweilen Gutes geschrieben worden. Ich fragte ihn, ob er von Walter Scott etwas gelesen? Er erinnerte sich, von dem berühmten Mann gehört zu haben, und nimmt Ivanhoe mit, Ivanhoe, diese herrliche Geschichte! Den andern Tag kommt er ganz verdrießlich, wirft mir ein paar Groschen und den Scott auf den Tisch und sagt, die Rittergeschichten, die er in seiner Jugend gelesen, seien bei weitem schöner gewesen; er sei schon über den ersten Teil eingeschlafen; bitte Sie ums Himmels willen, über Ivanhoe einzuschlafen!« – »Aber wie hängt dies mit Ihren Beobachtungen über die zweiten und dritten Teile zusammen?« unterbrach ich ihn.
»Nun, wir sprachen gerade von interessanten Büchern, und[227] da kam ich auf die Gräfin und den Professor. Kommt aber ein interessantes Buch an den rechten Mann, so geht es, wie wenn ein Pferd flüchtig wird. Abends war man im Theater oder in Gesellschaft, man hat nachher gut zu Nacht gespeist und rüstet sich nun, zu Bette zu gehen. Die Lampe auf dem Tische am Bette ist angezündet, das Mädchen oder der Bediente hat einen ersten Teil zurechtgelegt, alles ist in Ordnung, nur der Schlaf will nicht kommen. Man rückt die Lampe näher, man nimmt das Buch in die Rechte, stützt den linken Ellbogen in die Kissen und schlägt das Titelblatt auf. Sagt der Titel dem Leser zu, hat er sich über das erste, oder, wie ich's nenne, Geburtsschmerzen-Kapitel hinübergewunden, so geht es rasch vorwärts, die Augen jagen über die Zeilen hin, die Blätter fliegen, und solch ein rechter Nachtleser reitet einen Teil ohne Mühe in zwei Stunden hinaus. Gewöhnlich ist der Schluß der ersten Teile eingerichtet wie die Schlußszenen der ersten Akte in einem Drama. Der Zuschauer muß in peinlicher Spannung auf den nächsten Akt lauern. Unzufrieden, daß man nicht auch den zweiten Teil gleich zur Hand hat, und dennoch angenehm unterhalten, schläft man ein; den nächsten Morgen aber fällt der erste Blick auf das gelesene Buch, man ist begierig, wie es dem Helden, der am Schlusse des ersten Teils entweder gerade ertrunken ist oder ein sonderbares Pochen an der Tür hörte und soeben »herein!« rief, weiter ergehen werde, und wenn ich um acht Uhr meinen Laden öffne, stehen die Johanns, Friederichs, Katharinen, Babetten schon in Scharen vor der Türe, weil gnädiges Fräulein, ehe sie eine englische Stunde hat, der Herr Rittmeister, ehe die Schwadron spazieren reitet, die Frau Geheimrätin, ehe sie Toilette macht, noch einige Kapitel im folgenden Teil des höchst interessanten Buches lesen möchten.«
»O, daß ich auch einer der Glücklichen wäre,« dachte ich, als jetzt die Leihbibliothek sich öffnete und ein Gemisch von bordierten Bedientenhüten und hübschen Mädchengesichtern sich zeigte, »einer jener Glücklichen, deren zweiter Teil mit so großer Sehnsucht erwartet wird!« Nicht ohne Neid blickte ich auf die Bände, die der kleine Bibliothekar mit der wichtigen Miene eines Bäckers zur Zeit einer Hungersnot verteilte. – Er hatte[228] die dringendsten Kunden befriedigt, das Geld oder die Leseschulden eingeschrieben, und ich konnte jetzt eine wichtige Frage an ihn richten, die mir schon lange auf den Lippen schwebte, die Frage über den Geschmack des Publikums.
»Er ist so verschieden,« antwortete er, »und ist oft so sonderbar als der Geschmack an Speisen. Der eine will süße, der andere gesalzene; der eine Seefische, Austern und italienische Früchte, der andere nahrhafte Hausmannskost: in einem Punkte stimmen sie aber alle überein, sie wollen gut speisen.« – »Das heißt?« – »Sie wollen unterhalten sein; natürlich jeder auf seine Weise.« – »Aber wer ist der Koch,« rief ich aus, »der für diese verschiedenen und verwöhnten Gaumen das Schmackhafte zubereitet? Wie kann man es allen oder nur vielen recht machen? Denn darin liegt doch der Ruhm des Autors.« – »Sie sind nicht so verwöhnt, als man glaubt,« entgegnete er; »die Mode tut viel, und wenn nur die Schriftsteller fleißiger die Leihbibliotheken besuchten, mancher würde finden, was ihm noch abgeht, oder was er zuviel hat. Kann doch keiner ein guter Theaterdichter werden, der nicht mit der ganzen Stadt vor seinem eigenen Stücke sitzt, aufmerksam zuschaut und lauscht, was am meisten Effekt macht.«
Der Mann sprach mir aus der Seele; er hatte ausgesprochen, was auch ich schon lange mir zugeflüstert hatte. »Die Leihbibliotheken studiere, wer den Geist des Volkes kennen lernen will,« fuhr er mit Pathos fort. »Sehen Sie einmal, Bester, jene lange Reihe von Bänden an; die weißen Pergamentrücken sind so rein, als hätte man sie nie oder nur mit Handschuhen angefaßt. Wer ist wohl der Autor, der so vergessen und gleichsam in Ruhestand versetzt dort steht?«
Ich riet auf eine Reisebeschreibung oder auf ein naturhistorisches Werk.
»Letzteren Artikel führen wir gar nicht,« antwortete er wegwerfend; »nein – es ist Jean Paul.« – »Wie!« rief ich mit Schrecken, »ein Mann, der für die Unsterblichkeit geschrieben, sollte schon jetzt vergessen sein? Hat er denn nicht alles in sich vereinigt, was anzieht und unterhält, tiefen Ernst und Humor, Wehmut und Satire, Empfindsamkeit und leichten Scherz?« – »Wer leugnet dies?« erwiderte der kleine Mann. »Alles hat er in sich vereint, um auch die verschiedensten Gaumen zu befriedigen; aber er hat jene Ingredienzien klein gehackt, wunderlich zusammengemischt und mit einer Sauce piquante gekocht; als es fertig war und das Publikum kostete, fand man es[229] wohlschmeckend, delikat, aber es widerstand dem Magen, weil niemand seine Kraftbrühen, den sonderbaren dunkeln Stil ertragen konnte. Dort stehen alle seine Gerichte unberührt, und nur einige Gourmands im Lesen nehmen hie und da ein Kampanertal oder einen Titan nach Hause und schmecken allerlei Feines heraus, das ich und mein Publikum nicht verstehen. Sehen Sie in jener Ecke die lange Reihe mit den neuen grünen Schildchen? Das ist Herder; auch dieser – doch hier kommt ein lebendiges Beispiel die Straße herauf; kennen Sie Fräulein Rosa von Milben?« – »Gewiß; ich sah sie zuweilen und fand in ihr eine Dame vom feinsten Geschmack und sehr belesen; zwar etwas empfindsam und idealisch, aber dabei von einer liebenswürdigen Unbefangenheit.« – »Des Fräuleins Kammermädchen wird sogleich eintreten, und da haben Sie die beste Gelegenheit, den feinen, empfindsamen Geschmack jener Dame kennen zu lernen.« – »Ich wollte erraten, von welcher Art ihre Lektüre ist,« erwiderte ich, »etwa Rosaliens Nachlaß oder Jacobs' Frauenspiegel, Tiedges Urania oder Agathokles von Karoline Pichler.« – »Stellen Sie sich nur ruhig an jene Seite, wir werden sogleich sehen.«
Ich tat, wie er mir sagte; ich nahm ein Buch aus dem Schrank und stellte mich, scheinbar mit Lesen beschäftigt, in eine Ecke. Das Mädchen trat in das Gewölbe, richtete eine freundliche Empfehlung vom gnädigen Fräulein aus, und sie lasse fragen, ob man denn No. 1629 noch immer nicht haben könne?
»Nicht zu Hause,« antwortete er nach einem flüchtigen Blick auf die Bücherschränke; »hier ist eine andere Nummer für Ihr Fräulein. Sie soll sich gut unterhalten.« Das Mädchen ging. »Schnell einen Katalog,« rief ich, als sich die Türe hinter ihr geschlossen hatte, »lassen Sie mich sehen, was 1629 ist!« Mit ironischem Lächeln reichte mir der Alte den Katalog; ich blätterte eilig, fand, und mein Herz erstarrte vor Verwunderung, denn No. 1629 war – »Leben und Meinungen Erasmus Schleichers von Cramer!« – »Wie! dieses, um wenig zu sagen, gemeine Buch darf Fräulein Rosa, die liebenswürdige Einfalt, lesen?« sprach ich unmutig. »Und wenn keine Gouvernante, keine Mutter ihre Lektüre ordnet, darf sie sich selbst etwas solches erlauben? Doch es ist ein Irrtum, die Zahlen sind falsch aufgeschrieben!« – »Wertester Herr,« erwiderte der Bibliothekar, »Sie trauen den Menschen zu viel Gutes zu. Hier ist ein Zettelchen, das ich heimlich aus dem Körbchen des Kammermädchens nahm, Erasmus Schleicher ist es und kein anderer;[230] noscitur ex socio – an deinem Kameraden kennt man dich; hier stehen die übrigen Nummern, nach welchem das Herz des Fräuleins verlangt, vergleichen Sie!«
Zürnend nahm ich das Blättchen, auf welchem zierlich die Worte: »Für Fräulein von Milben« und eine lange Reihe von Zahlen geschrieben waren. Ich fing mit der ersten Nummer an und fand Leute, welchen freilich die Nachbarschaft des alten Erasmus keine Schande brachte. 1585 der deutsche Alcibiades, 2139 der Geist Erichs von Sickingen und seine Erlösung, 2995 Historien ohne Titel, 1544 der Blutschatz von H. Clauren. 1531–40 Scherz und Ernst von H. Clauren. Nein, weiter mochte ich diese Herzensgeheimnisse nicht entziffern. »Welche Heuchlerin ist dieses Mädchen!« rief ich. »Das ist ihre Lektüre, und ich glaubte, sie werde nur die Stunden der Andacht lesen!« – »Da müßten Sie wahrhaftig einen guten Teil unserer jungen Damen Heuchlerinnen nennen, denn Clauren und Cramer und dergleichen sind ihre angenehmste Lektüre, und daß sie nicht darüber sprechen, ist noch keine Heuchelei.« – »Aber, mein Gott, warum lesen denn wohlgezogene Leute so schlechte Bücher, von welchen sie ohne Erröten nicht sprechen dürfen? Wahrhaftig, der Umgang mit schlechten Büchern ist oft gefährlicher als der Umgang mit schlechten Menschen.« – »Warum?« entgegnete der Büchermann lachend, »warum? Das ist nun einmal der Geschmack der Zeit.«
Ein Bedienter unterbrach uns. »Die Frau Gräfin von Langsdorf läßt sich ein Buch ausbitten;« sprach er.
»Was für eine Nummer?« – »Das hat sie nicht gesagt. Aber ich glaube, sie will eine Geistergeschichte.« – »Geistergeschichte?« fragte der kleine Bibliothekar, umhersuchend, »darf es auch eine Rittergeschichte sein? Die Geister sind alle ausgeliehen.« – »Ja, nur etwas recht Schauerliches, das hat sie gerne,« erwiderte der Diener, »so wie das letzthin, die schwarzen Ruinen oder das unterirdische Gefängnis, das hat uns sehr gut gefallen.« – »Liest Er denn auch mit?« sagte der kleine Mann mit Staunen.
»Nachher, wenn die Frau Gräfin einen Band durch hat, lesen wir es auch im Bedientenzimmer.« – »Gut; will Er lieber[231] das Geisterschloß, die Auferstehung im Totengewölbe oder das feurige Racheschwert von Hildebrandt?« – »Da tut mir die Wahl weh,« erwiderte er; »was müssen das für schöne Bücher sein! Nu – ich will diesmal das feurige Racheschwert nehmen, behalten Sie mir das Geisterschloß für das nächste Mal auf.«
Kaum hatte sich der Diener der Gräfin, die gerne Schauergeschichten las, entfernt, so trat gemessenen Schrittes ein Soldat ein.
»Für den Herrn Leutnant Flunker beim fünfzehnten Regiment den blinden Torwart vom alten Schott?« – »Freund, hat Er auch recht gehört?« fragte der Leihbibliothekar. »Den blinden Torwart vom alten Schott? Ich kenne keinen Autor dieses Namens.« – »Es soll auch kein Auditor sein,« entgegnete der Soldat vom fünfzehnten, »sondern ein Buch; der Herr Leutnant sind auf der Wache und wollen lesen.« – »Wohl! Aber vom alten Schott? Es steht weder ein alter noch ein junger im Katalog.« – »Es ist, glaub' ich, derselbe, der so viel gedruckt hat, und den sich alle Korporals und Wachtmeister um zwei gute Groschen gekauft haben.« – »Walter Scott!« rief der Kleine mit Lachen, »und das Buch wird Quentin Durward heißen.« – »Ach ja, so wird es heißen!« sprach der Soldat. »Aber ich darf den Herrn Leutnant nichts zweimal fragen, sonst hätte ich wohl den Namen gemerkt, und er hat sich das undeutliche Sprechen vom Kommandieren angewöhnt.« Er empfing seinen blinden Torwart und ging. Aber der Himmel hatte ihn in diesem Augenblick in die Leihbibliothek gesandt, und seine Worte hatten einen Lichtstrahl in meine Seele geworfen. »So ist es denn wahr,« sprach ich, »daß die Werke dieses Briten beinahe so verbreitet sind als die Bibel, daß alt und jung und selbst die niedrigsten Stände von ihm bezaubert sind?« – »Gewiß, man kann rechnen, daß allein in Deutschland sechzigtausend Exemplare verbreitet sind, und er wird täglich noch berühmter. In Scheerau hat man jetzt eine eigene Uebersetzungsfabrik angelegt, wo täglich fünfzehn Bogen übersetzt und sogleich gedruckt werden.« – »Wie ist das möglich?« – »Es scheint beinahe so unmöglich, als daß Walter Scott diese Reihe von Bänden in so kurzer Zeit sollte geschrieben haben; aber es ist so, denn erst vor kurzer Zeit hat er sich öffentlich als Autor bekannt; die Fabrik habe ich aber selbst gesehen.« – »Wird vielleicht durch Verteilung der Arbeit Zeit gewonnen?« fragte ich. – »Einmal dies,« entgegnete er, »und sodann wird alles mechanisch betrieben;[232] der Professor Lux ist sogar gegenwärtig beschäftigt, eine Dampfmaschine zu erfinden, die Französisch, Englisch und Deutsch versteht, dann braucht man gar keine Menschen mehr. Die Fabrik ist aber folgendermaßen beschaffen: Hinten im Hof ist die Papiermühle, welche unendliches Papier macht, das schon getrocknet wie ein Lavastrom in das Erdgeschoß des Hauptgebäudes herüberrollt; dort wird es durch einen Mechanismus in Bogen zerschnitten und in die Druckerei bis unter die Pressen geschoben. Fünfzehn Pressen sind im Gang, wovon jede täglich zwanzigtausend Abdrücke macht. Nebenan ist der Trockenplatz und die Buchbinder-Werkstätte. Man hat berechnet, daß der Papierbrei, welcher morgens fünf Uhr noch flüssig ist, den anderen Morgen um elf Uhr, also innerhalb dreißig Stunden, ein elegantes Büchlein wird. Im ersten Stock ist die Uebersetzungsanstalt. Man kommt zuerst in zwei Säle; in jedem derselben arbeiten fünfzehn Menschen. Jedem wird morgens acht Uhr ein halber Bogen von Walter Scott vorgelegt, welchen er bis mittags drei Uhr übersetzt haben muß. Das nennt man dort: ›aus dem Groben arbeiten‹. Fünfzehn Bogen werden auf diese Art jeden Morgen übersetzt. Um drei Uhr bekommen diese Leute ein gutes Mittagbrot. Um vier Uhr wird jedem wieder ein halber Bogen gedruckte Uebersetzung vorgelegt, die durchgesehen und korrigiert werden muß.« – »Aber was geschieht denn mit den übersetzten Bogen vom Vormittag?« – »Wir werden es sogleich sehen. An die zwei Säle stoßen vier kleine Zimmer. In jedem sitzt ein Stilist und sein Sekretär; Stilisten nennt man dort nämlich diejenigen, welche die Uebersetzungen der dreißig durchgehen und aus dem Groben ins Feine arbeiten; sie haben das Amt, den Stil zu verbessern. Ein solcher Stilist verdient täglich zwei Taler, muß aber seinen Sekretär davon bezahlen. Je sieben bis acht Grobarbeiter sind einem Stilisten zugeteilt; sobald sie eine Seite geschrieben haben, wird sie dem Stilisten geschickt. Er hat das englische Exemplar in der Hand, läßt sich vom Sekretär das Uebersetzte vorlesen und verbessert hier oder dort die Perioden. In einem fünften Zimmer sind zwei poetische Arbeiter, welche die Mottos über den Kapiteln und die im Text vorkommenden Gedichte in deutsche Verse übersetzen.«
Ich staunte über diesen wunderbaren Mechanismus und bedauerte nur, daß die dreißig Arbeiter und vier Stilisten notwendig ihr Brot verlieren müssen, wenn der Professor Lux die Uebersetzungsmaschine erfindet.
»Gott weiß, wie es dann gehen wird,« antwortete der kleine Mann; »schon jetzt kostet das Bändchen in der Scheerauer Fabrik nur einen Groschen; in Zukunft wird man zwei Bändchen um einen Silbergroschen geben, und alle vier Tage wird eins erscheinen.«
Mein Entschluß stand fest; einen historischen Roman à la Walter Scott mußt du schreiben, sagte ich zu mir, denn nach allem, was man gegenwärtig vom Geschmack des Publikums hört, kann nur diese und keine andere Form Glück machen. Freilich kamen mir bei diesem Gedanken noch allerlei Zweifel; ich mußte die Werke dieses großen Mannes nicht nur lesen, sondern auch studieren, um sie zu meinem Zweck zu benutzen. Ein dritter und der mächtigste Zweifel war, ob ich einen Verleger bekommen würde. Ich beschloß daher, ehe ich mich an das Werk selbst machte, die Wege kennen zu lernen, die man bei solchen Geschäften zu gehen hat. Den Buchhändler Salzer und Sohn kannte ich von der Harmonie her; ich steckte zwei Taler zu mir, um ein Buch bei ihm zu kaufen und so seine nähere Bekanntschaft zu machen.
»Ein schönes Buch für zwei Taler?« fragte er. »Was soll es sein? Gedichte?« – »Erzählungen oder ein Roman, Herr Salzer.« – »Um diesen Preis werden Sie nichts Schönes finden,« erwiderte er lachend; »doch hier ist der Katalog.« – »Wie? Nichts Schönes um zwei Taler, und doch kostet ein Roman von Walter Scott nur zwanzig Groschen!« – »Wenn Sie Uebersetzungen haben wollen,« sagte er; »ich dachte, Sie wollten Originale.« – »Aber, mein Gott,« entgegnete ich, »wenn ein guter Roman aus einer anderen Sprache nur zwanzig Groschen kostet, warum hält man denn die deutschen Bücher so teuer?« – »Meinen Sie,« erwiderte er unmutig, »wir werden auch noch die Originale um einen Spottpreis wegwerfen? Diese Uebersetzungen, diese wohlfeilen Preise werden uns ohnedies bald genug ruinieren. Was ist denn jetzt schon unser schöner Buchhandel geworden? Nichts als ein Verkaufen im Abstreich; alles soll wohlfeil sein, und so wird alles schlecht und in den Staub gezogen. In jeder Ecke des Landes sitzt einer, der mit wohlfeiler Schnittware handelt, und wir anderen, die uns noch dem Verderben entgegenstemmen, gehen darüber zu Grunde.« – »Aber[234] wie kann denn diese Veränderung des Handels so großen Einfluß auf Originale oder auf die Buchhandlung üben?« – »Wie?« fuhr er eifrig fort. »Wie? Es ist so klar als die Sonne; das Publikum wird dadurch verdorben und verwöhnt! Ich streite Scott und den beiden Amerikanern ihr Verdienst nicht ab; sie sind im Gegenteil leider zu gut. Aber jedes Nähtermädchen kann sich für ein paar Taler eine Bibliothek klassischer Romane anschaffen. Unnatürlich schnell hat sich die Sucht nach dieser Art von Dichtungen verbreitet, und hunderttausend Menschen haben jetzt durch diese Groschenbibliotheken einen Maßstab erhalten, nach welchem sie eigensinnig unsere deutschen Produkte messen.« – »Um so besser für die Welt; wird denn nicht dadurch die Intelligenz und der gute Geschmack verbreitet und das Schlechte verdrängt?« – »Intelligenz und Geschmack, das Bändchen um neun Kreuzer rheinisch!« rief er aus. »O, ich kenne diese schönen Worte! Guter Geschmack! Als ob nur die Leute über dem Kanal guten Geschmack hätten! Intelligenz! Meinen Sie denn, die Menschen denken dadurch vernünftiger, daß sie jetzt alle selbst rezensieren und sagen: Es ist doch nicht so schön als Walter Scott und Cooper, und nicht so tief und witzig als Washington Irving? Und welcher Segen für unsere Literatur und den Buchhandel wird aus diesem Samen hervorgehen, den man so reichlich ausstreut? Verkehrtheit der Begriffe und einige schlechte Nachahmungen (wie ich mich schämte bei seinen Worten!) und überdies unser Ruin. Die Schriftsteller verlangen immer stärkere Honorare; wofür man sonst einen Louisdor zahlte, will man jetzt fünf, und im umgekehrten Verhältnis werden die Bücher weniger gesucht als jemals. Ueberdies hat auch diese Herren Walter Scotts Fruchtbarkeit angesteckt. Sie sind jetzt sparsam mit Gedanken und verschwenderisch mit Worten. Gedanken, Szenen, Gemälde, die man sonst in den engen Rahmen eines Bändchens fügte, werden auseinandergezogen in zehn, zwölf Bände, damit man mehr Geld verdiene, und was früher vier, fünf hübsche Verse gegeben hätte, wächst jetzt in holperiger Prosa zu ebensovielen Seiten an.« – »Also geht die gereimte Poesie nicht mehr?« – »Wer will sie kaufen? Privatleute? die sehen vornehm herab und nennen alles Verselei; Gelehrte? die bekommen es vom Autor, damit sie ihn desto gnädiger rezensieren möchten; Leihbibliotheken? die führen nur Romane, weil sie ihr Publikum kennen. Und diese Leihbibliotheken sind noch unser Unglück. Jedes Städtchen hat ein paar solcher Anstalten. Das Publikum denkt, warum sollen[235] wir für ein Buch so viel Geld wegwerfen, wenn wir es in der Leihbibliothek lesen können. Man kauft sich Groschenübersetzungen oder wohlfeile Taschenausgaben, um doch eine Bibliothek zu haben, und der Buchhändler, der ein Buch verlegen will, kann also höchstens noch auf fünfhundert Leihbibliotheken rechnen. Und wenn heute wieder ein Goethe oder Schiller geboren würde, man könnte keine fünfhundert Exemplare absetzen, das Publikum hat Glauben, Vertrauen und Lust an unserer Literatur verloren.« – »Und von alledem sollten Scott und die Taschenausgaben die Schuld tragen?« – »Ja! und diese unselige Zersplitterung durch alle Zweige ist auch mit schuld! Die Schriftsteller zersplittern ihr Talent in Almanache und Zeitschriften, weil sie dort gut bezahlt werden; das Publikum zersplittert sein Geld für diese Luxuswaren, weil sie Mode geworden sind; wir selbst überbieten uns; jeder will einen Almanach, eine Zeitschrift haben; und diese Taschenkrebse sind es, die unsere Krebse erzeugen.« – »Aber, Herr Salzer,« sagte ich zu dem Unmutigen, »warum schwimmen Sie gegen den Strom? Warum veranstalten Sie nicht selbst Taschenausgaben? Warum unternehmen Sie keine Zeitschrift? Oder schämen Sie sich vielleicht, selbst mitzumachen?« – »Schämen würde ich mich eigentlich nicht,« erwiderte er nach einigem Nachdenken. »Was ein anderer tut, kann Salzer und Sohn auch tun. Aber ehrlich gestanden, ich fürchte, mit einer Zeitschrift zu spät zu kommen; und wer soll sie schreiben? Etwas Neues muß heutzutage neu, auffallend, pikant sein, wenn es Glück machen soll; so habe ich mich schon lange umsonst auf einen ausgezeichneten Titel besonnen, denn der Titel muß jetzt alles tun. Hätte ich nur hier einige tüchtige Männer vom Fache, eine kritische oder belletristische Zeitschrift sollte bald dastehen; denn ich bin ein unternehmender Geist so gut als einer.«
»Man hat jetzt Morgen-, Mittag-, Abend- und Mitternachtblätter, man hat alle Götter- und Musentitel erschöpft, man sieht sich genötigt, zu den sonderbarsten Namen Zuflucht zu nehmen, will man Aufsehen machen, denn nur der neue Klang ist es, der das Alte, längst Gewöhnte übertönt, und jeder Vernünftige sieht ein, daß eine neue Zeitschrift nicht an und für sich besser ist als die alten. Erzählungen, Gedichte, Kritiken finden[236] sich hier wie dort, und gute Mitarbeiter werden nicht zugleich mit dem Namen des Blattes erfunden.« – »Aber, Herr Salzer,« erwiderte ich, »warum verlassen denn die Menschen oft die längst bekannten Zeitschriften, um auf ein paar Probeblätter hin eine neue anzuschaffen?« – »Das liegt ganz in unserer Zeit; Veränderung macht Vergnügen, und neue Besen kehren gut,« antwortete er; »so ist einmal das Publikum, wetterwendisch, und weiß nicht warum. Kleider machen Leute, und eine hübsche Vignette, ein auffallender Titel tun in der Lesewelt so viel als eine neue Mode in einer Assemblee. Wer diesen Charakter der Menschen recht zu nützen versteht, kann in jetziger Zeit noch etwas machen; hätte ich nur einen Titel!« – »Da unsere Zeitschriften gegenwärtig so vielseitig sein müssen,« sprach ich, »was denken Sie zu dem Titel: ›Literarisches Hühnerfutter‹?« – »Wäre nicht so übel; man könnte in der Vignette das Publikum als ein Hühnervolk darstellen, welchem von der Muse kleingeschnittenes Futter vorgestreut wird; aber es geht doch nicht! In dem Futter könnte eine Beleidigung liegen, weil es schiene, als wollte man das Publikum mit dem Abfall von dem großen Mittagstisch der Literatur füttern; geht nicht!« – »Oder etwa – ›die Abendglocke‹.« – »Abendglocke? Wahrhaftig! Ei, das ließe sich hören! Es liegt so etwas Sanftes, Beruhigendes in dem Wort. Will mir doch den Gedanken bemerken; aber ein kritisches Beiblatt müßte dazu; ich habe schon gedacht, ob man es nicht ›der Destillateur‹ nennen könnte.« – »Es liegt etwas Wahres in Ihrer Idee,« entgegnete ich, »die Bücher werden allerdings neuerer Zeit durch einen chemischen Prozeß rezensiert oder abgezogen; man destilliert so lange, bis sich das X Geist, das man suchte, verflüchtigt, oder bis der gelehrte Chemiker der Welt anzeigen kann, aus welchen verschiedenen Bestandteilen das Gebräue bestand, das er zersetzte; aber das Blatt röche doch zu sehr nach einer Materialhandlung oder nach gebrannten Wassern; was aber halten Sie von einem ›kritischen Schornsteinfeger‹?«
Der Buchhändler sah mich eine Zeitlang schweigend an und umarmte mich dann voll Rührung. »Ein Fund, ein trefflicher Fund!« rief er; »was liegt nicht alles in diesem einzigen Wort! die deutsche Literatur stellt den Kamin vor, unsere Rezensenten die Schornsteinfeger, sie kratzen den literarischen Ruß ab, damit das Haus nicht in Brand gerate. Ein Oppositionsblatt soll es werden, Aufsehen muß es machen, das ist jetzt die Hauptsache; der kritische Schornsteinfeger! Und die Kunstkritiken geben wir[237] unter dem vielversprechenden Titel: ›Der artistische Nachtwächter!‹« Hastig schrieb er sich den Namen auf und fuhr dann fort: »Herr! Sie hat mein Schutzengel in meinen Laden geführt; wenn ich so hinter meinem Arbeitstisch sitze, bin ich wie vernagelt, aber schon oft habe ich bemerkt, wenn ich mich ausspreche, kommen mir die Gedanken wie ein Strom. So, als Sie vorhin von Walter Scott und seinem Einfluß sprachen, ging mir mit einemmal eine herrliche Idee in der Seele auf. Ich will einen deutschen Walter Scott machen.« – »Wie? Wollten Sie etwa auch einen Roman schreiben?« – »Ich? o nein, ich habe Besseres zu tun; und einen? nein, zwanzig! Wenn ich nur meine Gedanken schon geordnet hätte. Ich will mir nämlich einen großen Unbekannten verschaffen, dieser soll aber niemand anders sein als eine Gesellschaft von Romanschreibern; verstehen Sie mich?« – »Noch ist mir nicht ganz klar, wie Sie –« – »Mit Geld kann man alles machen; ich nehme mir etwa sechs oder acht tüchtige Männer, die im Roman schon etwas geleistet haben, lade sie hierher ein und schlage ihnen vor, sie sollen zusammen den Walter Scott vorstellen. Sie wählen die historischen Stoffe und Charaktere aus, beraten sich, welche Nebenfiguren anzubringen wären, und dann –« – »O, jetzt verstehe ich Ihren herrlichen Plan; dann errichten Sie eine Fabrik, etwa wie jene in Scheerau. Sie lassen sich Kupferstiche von allen romantischen Gegenden Deutschlands kommen; die Kostüme alter Zeiten kann man von Berlin verschreiben; Sagen und Lieder finden sich in des Knaben Wunderhorn und anderen Sammlungen. Sie setzen ein paar Dutzend junger Leute in Ihr Haus; die Sechseinigkeit, der neue Unbekannte, gibt die Umrisse der Romane, hie und da zeichnet und korrigiert er an einem großartigen Charakter; die vierundzwanzig oder dreißig anderen aber schreiben Gespräche, zeichnen Städte, Gegenden, Gebäude nach der Natur –« – »Und,« fiel er mir freudig ins Wort, »weil der eine mehr Talent für Gegendmalerei, der andere mehr für Kostüme, der dritte für Gespräche, ein vierter, fünfter fürs Komische, andere wieder mehr für das Tragische –« – »Richtig! so werden die jungen Künstler in Gegendmaler, Kostümschneider, Gesprächführer, Komiker und Tragiker eingeteilt, und jeder Roman läuft durch aller Hände, wie die Bilder bei Campe in Nürnberg, wo der eine den Himmel, der andere die Erde, jener Dächer, dieser Soldaten zeichnet, wo der erste das Grün, der zweite das Blau, der dritte Rot, der vierte Gelb malen muß nach der Reihe. Und[238] Einheit, Gleichförmigkeit wird dadurch erreicht, gerade wie in Walter Scott, wo alle Figuren offenbar Familienähnlichkeit haben; und eine Taschenausgabe veranstalten wir davon, so wohlfeil als nur möglich; auf vierzigtausend können wir rechnen. Und der Titel soll heißen: Die Geschichte Deutschlands von Hermann dem Cherusker bis 1830 in hundert historischen Romanen!«
Herr Salzer vergoß einige Tränen der Rührung. Nachdem er sich wieder erholt hatte, drückte er mir die Hand. »Nun? bin ich nicht ein so unternehmender Geist als irgend einer?« sprach er. »Was wird dies Aufsehen machen! Aber Sie, Wertgeschätzter, waren mir behilflich, diesen Riesengedanken zu gebären; suchen Sie sich das schönste Buch in meinem Laden aus, und zum Dank sollen Sie – einer der Vierundzwanzig sein!«
So war ich denn durch mein günstiges Geschick in kurzem dahin gelangt, wohin ich mich so lange gesehnt hatte. Jetzt hatte ich nicht mehr nötig, die Leute und ihren Geschmack in einer Leihbibliothek zu studieren, hatte nicht mehr nötig, ängstlich nach Plan und Anordnung eines Werkes oder gar nach vortrefflichen Gedanken umherzusuchen; ich war ein Glied, ein Finger des neuen Unbekannten geworden, durfte schreiben nach Lust und mein Geschriebenes gedruckt lesen. Es ist bekannt, welch großen Erfolg das Unternehmen des Herrn Salzer hatte, und schon längst ist es kein Geheimnis mehr für die Welt, aus welchen Bestandteilen eigentlich der große Unbekannte bestand. Es konnte uns nur schmeicheln, daß man anfänglich auf berühmte und vorzügliche Schriftsteller riet, wie z. B. auf den Professor Lux, der indessen seine Uebersetzungsmaschine erfand, den Dichter F. Kempler und andere Treffliche, ja, daß man einen Augenblick sogar Willibald Alexis, trotz seiner bekannten Abneigung gegen die deutsche Geschichte, im Verdacht hatte. Längst haben sich jene sehr verdienstvollen Herren genannt, die das Direktorium gebildet haben, und mir bleibt nur noch übrig, einiges von dem Anteil zu erzählen, welchen ich selbst an dem Unternehmen hatte.
Weil ich einige Teile Deutschlands genau kannte, erhielt ich zuerst eine Stelle unter den Gegendmalern. Leider schrieb[239] ich aber in dem Roman das Konzilium in Konstanz: »Leicht und schwebend trug sie der Kahn an den rebenbepflanzten Hügeln hin von Basel nach Konstanz –« diese Stelle wurde, von den sechs Direktoren übersehen, gedruckt, und die Rezensenten und das ganze Publikum wunderten sich höchlich, daß man damals den Rheinfall hinauf gefahren sei, und zur Strafe wurde ich in die Klasse der Gesprächführer versetzt. Gespräche in Wirtshäusern, auf Straßen und Märkten, Händel und Wortstreit wurden mir zugeteilt. In dieser Eigenschaft blieb ich, bis einer der sentimental und heroisch Sprechenden einen großen Fehler machte. Er sagte nämlich: »Die Wolken zogen bald vor, bald hinter dem Mond;« vergebens berief er sich auf die Autorität eines Herrn S…, aus dessen historischem Roman er diese herrliche Stelle entlehnt habe; man erklärte die Worte für widersinnig, weil die Wolken nicht hinter dem Mond vorbeiziehen, und setzte ihn ab; seine Stelle fiel mir zu. In diesem Fache leistete ich mehr als in den beiden andern. So ist z. B. der größte Teil des Romans: »Der Dom zu Aachen oder die Paladine Karls des Großen« von meiner Hand. Auch in »Barbarossa oder die Hohenstaufen« habe ich etwa zehn Kapitel geschrieben. Meine letzte Arbeit vor Auflösung des Unternehmens war das achte, neunte und fünfzehnte Kapitel in der »Schlacht von Kunersdorf«.
Man hat viel über und gegen dieses großartige Unternehmen, das ich, wiewohl zufällig, ins Leben rief, geschrieben und gesprochen. Wenn man bedenkt, daß in der kurzen Zeit von zwei Jahren fünfundsiebzig Bände oder fünfundzwanzig Romane aus der Fabrik des deutschen Unbekannten hervorgingen, so muß man zum mindesten den Fleiß und die Ausdauer der Teilnehmer bewundern. Man hat vorgeworfen, daß einige geschichtliche Charaktere gänzlich verzeichnet seien, daß sogar bedeutende Anachronismen vorkommen; aber wie kraftlos erscheint ein solcher Vorwurf gegen die übrigen Vorzüge des Unternehmens! Sind nicht alle Gegenden so treu geschildert, daß man sieht, man habe nicht die Natur, sondern wirkliche Gemälde abgezeichnet? Haben wir nicht bei den Kleidungen unserer Helden und Damen die Kostüme des pünktlichsten und genauesten Theaters von Europa als Vorlegeblätter vor uns gehabt? Hat nicht Herr Salzer mit schwerem Gelde allerlei altertümliches Hausgerät aus Burgen und Rüstkammern gekauft, damit wir desto richtiger zeichneten?
Das ist historische Wahrheit und Treue, und das ist es auch, was das Publikum verlangt; das übrige, genaue Beachtung der geschichtlichen Charaktere oder Zeiten ist nur Nebensache; Kleider, Schuhe, Stühle, Häuser usw. wird man in allen fünfundsiebzig Bänden niemals unwahr finden. Daß nach zwei Jahren schon diese Art von Darstellungen aus der Mode kam, war nicht unsere Schuld; aber leider scheiterte das schöne Unternehmen an der Veränderlichkeit des Publikums. Aus der Mode entstand das Ganze, und mit dem günstigen Wind dieser Mode segelten wir auf dem Strom der Geschichte, und unser Wahlspruch war: »Verletzet eher die Wahrheit der Geschichte, verzeichnet lieber einen historischen Charakter, nur sündiget nie gegen die Mode der Zeit und den herrschenden Geschmack des Publikums.«
Laetus sorte tua vives sapienter.
Horatius.
Mein Onkel war gestorben; er hinterließ ein hübsches Vermögen, das meinen heimlichen Kummer wieder stillen konnte; aber er hatte es einer Witwe vermacht, die er noch in seinen alten Tagen gern gesehen. Ich erklärte, der Wille des Seligen sei mir zu heilig, als daß ich ihn umstoßen möchte, d. h. die Advokaten hatten mir gesagt, daß ich den Prozeß in allen Instanzen verlieren würde; aber die ganze Stadt pries meinen Edelmut. Sie hatte gut loben, die ganze Stadt; Loben kostet nichts, aber um so viele Hoffnungen betrogen, um das ganze Vermögen des Onkels ärmer zu sein, das war hart! Ich habe in meiner Jugend im Kinderfreund gerne ein Stück gelesen, es hieß: »Edelmut in Niedrigkeit«; nachher hat mich oft ein anderes: »Armut und Edelsinn« bis zu Tränen gerührt. – War es vielleicht die Ahnung, daß ich einst diese Rolle selbst spielen müsse, was mir Tränen auspreßte? Meinen einzigen Trost, meine süße Hoffnung, die Tante in Leipzig, rührte vor vier Wochen der Schlag. Ich, ihr nächster Leibeserbe, machte bei dieser Nachricht bedeutende Einkäufe in schwarzem Tuch, zog einen ganz neuen Menschen an, und meine Bekannten wußten sich diesen Aufwand nicht zu erklären. Die Tante hat ihre Taler[241] einem ganz fremden Menschen vermacht. Ich dachte anfänglich, aus Haß gegen mich, weil ich einmal geäußert: die Zeitung für gebildete und noble Menschen sei schlechtes Zeug, sie aber hatte alles trefflich und genial gefunden; aber nein, es verhielt sich anders. Die Tante, ich erfuhr es erst vor einigen Tagen, die selige Tante war Schriftstellerin gewesen. Unter dem Namen Idoina Strahlen hatte sie in die Zeitung für noble etc. Erzählungen, Aphorismen aus ihrem Leben, Romanzen und dergleichen geliefert. Ja, sie hatte sogar Romane für Leihbibliotheken geschrieben; wer kennt nicht »Lisbethas letzte Seufzer« in Duodez; »Die Mohrenschlacht oder die grausamen Herzen, eine spanische Geschichte«; wem ist nicht »Meine erste Liebe oder der blutige Säbel« bekannt? Ich hatte sie oft auf die Seite geworfen, wenn sie mir nebst anderer dergleichen Ware in die Hände fielen; konnte ich denken, daß sie mich um mein Erbe bringen würden? Idoina las alle ihre Produkte einem Magister vor, der sie quoad stylum korrigierte, reinlich abschrieb, an die Zeitung für noble etc. oder an die Verleger verschickte und, wenn sie erschienen waren, in sechs oder acht Journalen günstig rezensierte. Es konnte nicht fehlen – die selige Tante hinterließ ihm ihren Mammon.
Das neue Kleid war gekauft und konnte nicht mehr ungekauft gemacht werden; ich verkaufte mein Piano, um jenes zu bezahlen. Es war gut, daß nicht noch etwas Schwereres zu vergüten war. Als mir nämlich die Kunde von dem Tod der seligen Idoina kam, als ich mich im neuen Kleide vor dem Spiegel musterte, fand ich, daß ich gut genug zu einem Ehemanne aussehe. Wenn ich nicht irrte, so mochte dies auch des Oberhofmeisters Trinette finden. Ich hatte Aussichten, gemächlich mit einer Frau leben zu können; ich las aufrichtige Liebe in ihren schönen, braunen Augen; ich wollte endlich einen Schritt vorwärts tun, da kam die Leipziger Post, der Magister hatte das Erbe, und ich – blieb stehen, ich ging rückwärts. Jetzt erst war ich arm, denn ich hatte keine Hoffnung mehr. Ich dachte ernstlich über meine Stellung in der Welt nach und fand, daß ein armer Teufel eine um so traurigere Rolle spiele, je weiter er oben steht. Moreaus Rückzug wird für das Glänzendste gehalten, was dieser große General getan hat. An mir war es jetzt, eine ähnliche Operation zu machen; ich mußte mich ohne Schande aus den Salons zurückziehen, mein Rückzug mußte einem Siege gleichen, wenn ich mir das Erröten ersparen wollte. Man kann sich denken, daß ich am schwersten daran kam, jene treffliche[242] Stellung zu verlassen, die ich gegen die Bastion Trinette eingenommen hatte. Meine Vorposten waren schon so weit vorgeschoben, daß sie täglich mit dem Feinde plänkelten, ich war daran, die Laufgräben zu eröffnen, es war mathematisch gewiß, daß ich siegen mußte; wer hat eine solche Stellung nicht mit einer Träne im Auge aufgegeben?
Aber mein Rückzug war meisterhaft; es fand sich eine Gelegenheit, gegen Trinette den Eifersüchtigen zu spielen; ich erschien einige Abende bei den fröhlichsten Soupers, bei den glänzendsten Bällen düster und in mich gekehrt, es fiel auf, und jetzt hatte ich gewonnen. »Er ist melancholisch,« sagte die ganze Stadt; ich war melancholisch, denn ich hatte ja nichts mehr, um die Freude zu bezahlen, die Melancholie kann man aber umsonst haben. Ich gab meine vier Zimmer in der Hauptstraße auf und bezog ein kleines Stübchen in einem entlegenen Teile der Stadt. »Nein, wie er melancholisch ist!« sagten die Leute. Ich speiste sonst im ersten Gasthof; jetzt ließ ich mir die Speisen aus einer Garküche bringen. »Er ist ein Narr,« war das Urteil der Welt, und jeder, der mich sah, fragte mich teilnehmend, wie es mir gehe? Die Ehre war gerettet; ich wollte lieber für einen Narren, für melancholisch – als für einen armen Teufel gelten.
Es wohnt sich übrigens ganz gut in dem kleinen Stübchen. Die einzigen Möbel, die mir gehören, sind ein großer Fauteuil, ich konnte es nicht übers Herz bringen, ihn zu verkaufen, denn meine gute Mutter war darin verschieden; das andere war ein Schreibtisch, der beinahe ein Drittel des Stübchens einnahm – mein Vater hatte daran gearbeitet. Anfangs vermißte ich mein Piano sehr ungern. Es gab in meinem Tag so manche freie Stunde, die ich mir mit Musik verkürzt hatte. Aber bald entdeckte ich ein Möbel, das mir noch größern Genuß verschaffte als das Klavier; es war mein Fenster. Mein Stübchen lag im zweiten Stock; ich konnte, wenn ich mein Opernglas zu Hilfe nahm, ganz bequem in die Etage meiner Nachbarn schauen; ich lernte beobachten, und stundenlang saß ich an meinem Fenster. Ich komme mir oft vor wie der Ritter Toggenburg. Es ist zwar kein Nonnenkloster, dem gegenüber ich mein Hauswesen aufgeschlagen habe; aber doch schaue ich vielleicht mit nicht geringerer Andacht nach dem schönen, zweistöckigen Haus und lausche, bis ein Fenster klingt und ich auch Worte vernehme. Auch bleibe ich so nach und nach ein Junggeselle wie der melancholische Ritter, doch soll mich Gott bewahren, daß ich darüber[243] das bißchen Geist aufgebe wie der Toggenburger, und es wäre mir höchst fatal, wenn man von mir sagte:
»Christel!« sagte ich am Morgen, nachdem ich mich eingerichtet hatte, zu der alten Aufwärterin, die mir den Kaffee brachte, »Christel, wer wohnt da gegenüber in dem breiten Hause?« – »Parterre wohnt der Schuhmacher Rupfer, mitten die gnädige Frau, und oben der Doktor und der Leutnant.« – »Nicht so schnell, Christel, nicht so schnell, da weiß ich so viel als vorher; wem gehört das Haus?« – »Dem Schuhmacher, daß mir's Gott verzeih'!« antwortete sie. »Ist es nicht eine Sünde, daß ein Schuhmacher einen solchen Palast hat? Das kommt aber alles von der Russenzeit. Da hat ihm sein Vetter, der Kriegsrat-Kanzelist, eine Schuhlieferung verschafft, und weil die Russen bekanntlich große Füße haben, so –« – »So war auch der Abfall groß, natürlich; aber wie sind die Leute? Der Meister scheint früh auf zu sein, ich sah schon um fünf Uhr Licht; auch einige Mädchen glaubte ich zu bemerken.« – »Der Alte um fünf Uhr auf?« rief Christel mit wegwerfender Miene. »Ja, dem tut's not; der lebt wie ein großer Herr seit der Russenzeit und steht vor acht Uhr nicht auf. Sie werden schon merken, wann er aufsteht. Geht ein rechtes Geschrei los in der Werkstatt, hören Sie einen Mann schimpfen und die Mädchen heulen, so ist der Alte aufgestanden; das ist alle Tage, die Gott gibt, sein Morgenlied.« – »Wer arbeitet denn aber so früh am Tag in der Werkstatt? Sind die Mädchen so fleißig?« – »Wie man will;« erwiderte sie, »es ist eigentlich der Pariser, der Geselle des Schuhmachers, und Brenners Karlchen, der Lehrjunge; diese arbeiten vom frühesten Morgen; aber auch Mamsell Karoline, die größere mit den schwarzen Augen, ist mit der Torglocke auf. Früher hätte man sie nicht mit zehn Pferden aus dem Bette gebracht; aber seit der Pariser im Haus ist, steht man alle Morgen schon um fünf Uhr auf; das macht, sie lebt mit ihm in einem unchristlichen Verhältnis.« – »Und im ersten Stock wohnt die[244] gnädige Frau? Wie heißt sie denn? Hat sie Familie?« – »Es ist die Frau Oberforstmeisterin von Trichter. Der Mann ist gestorben, sie hat zwei Fräulein und einen ungeratenen Sohn. Sie tun auch zu vornehm; es soll nicht immer richtig sein mit dem Geld, und die Titel und vornehmen Bekanntschaften kann man nicht wechseln lassen.« – »So, die wohnt hier?« Ich hatte in den Zirkeln, die ich vor meinem Rückzug besuchte, von einer solchen Frau von Trichter gehört; doch erinnerte ich mich nicht mehr gewiß, was von ihr gesprochen wurde. »Und oben?« fuhr ich fort, indem ich auf die Fenster zeigte, die in gleicher Höhe mit den meinigen waren; »oben?« – »Nun, da wohnt der Doktor und der kleine Leutnant.« – »Was ist das für ein Doktor? Ein Mediziner?« – »Nein, es ist kein Menschendoktor; aber soviel ich weiß, soll er ein gelehrter Herr sein, der Doktor Salbe, und Bücher schreiben. Ich habe ihm früher auch den Kaffee gebracht, aber er macht ihn jetzt selbst, der Hungerleider, in der Maschine mit Spiritus. Wenn er sich nur die Finger recht verbrennte mit dem Weingeist! Was hat er nötig, mit der Maschine Kaffee zu machen? Aber freilich, jetzt soll alles mit Maschinen gehen und mit Dampf. Sie gönnen einer armen Frau nicht einen Groschen mehr, den sie ehrlich erworben.« – »Und der Leutnant,« unterbrach ich ihre Philippika gegen den Maschinenkaffee des Doktors, »wie sagst du, daß er heiße?« – »Man nennt ihn in der ganzen Nachbarschaft nur den kleinen Leutnant. Er ist ein freundlicher Herr, aber reich muß er auch nicht sein, denn er reitet um sechs Groschen spazieren und hat zwar große Sporen, aber kein Pferd.«
Christel hatte unter diesen Belehrungen mein Stübchen aufgeräumt und ging.
Die Lampe der Schuster war verlöscht, ein schönes Mädchen trat aus dem Hause und machte die eisernen Stangen der Fensterladen los; die Laden öffneten sich von innen, ein hübscher, junger Mann sah heraus, um die Stange herein zu nehmen, das schöne Kind reichte sie hin, zog sie zurück, wenn er helfen wollte, sie neckte ihn, daß er nicht schneller sei als sie. Das wird der Pariser sein, dachte ich, und das Mädchen mit den schwarzen, feurigen Augen, mit dem blühenden Rot auf den Wangen ist wohl niemand anders als Mamsell Karoline, des Meisters Tochter. Diese Scene zog mich an. Sie schienen sich verglichen zu haben, der junge Mann empfing die Stange, man ging an den zweiten Laden. Hier erneuerte sich das Schauspiel; der Pariser drohte ihr, er zeigte mit dem Finger auf seinen Mund und dann[245] auf sie, es war deutlich, er drohte ihr mit einem Kuß, und sie – lachte und gab die Stange nicht. Welch unchristliches Verhältnis! Man ging endlich an das dritte Fenster; der Laden ging auf, der Pariser erschien mit einer Eisenstange bewaffnet und machte Ausfälle gegen seine Schöne; sie parierte aber – malheureusement, mochte der Pariser denken, seine Stange gleitete ab und zerschlug klirrend eine Scheibe. Man senkte bestürzt die Waffen, die feindlichen Parteien vereinigten sich, um das Unglück zu betrachten; eine kleine Figur wurde auf der Bank hinter dem Pariser sichtbar, es war wohl Brenners Karlchen, der Lehrjunge, der so jammervoll die Hände über dem Kopf zusammenschlug; der böse Meister, der seit der Russenzeit erst um acht Uhr aufsteht, und dessen Morgenlied Geschrei und Zanken ist, fiel mir ein – gewiß, ihn fürchteten sie, vor ihm zitterten sie. Der Pariser zog ein Stückchen Geld aus der Tasche, er drehte es hin und her, es war sehr klein – er fuhr wieder in die Tasche, er brachte nichts mehr hervor; wer will es ihm verargen? Es war ja gestern Sonntag, und ich wollte wetten, er war mit Karolinchen auf dem Tanzboden und hat ihr fürstlich aufgewartet. Er sah sein Stückchen Geld an und errötete. Das schöne Kind drängte seine Hand mit dem Gelde zurück; sie zog ein Beutelchen aus dem Busen und zählte ab, was etwa zu einer neuen Scheibe reichen konnte; der Pariser widersetzte sich, aber er schien der süßen Gewalt ihrer Blicke nachzugeben, sie gab dem jammernden Burschen das Geld, man hob das Fenster aus, und bald sah ich ihn aus dem Hause und um die nächste Ecke traben. Mögen die Götter seine Schritte lenken, daß er nicht fällt und die übrigen zwei Scheiben mit zerbricht! Aber diese Unterbrechung hatte die Freuden der beiden Leutchen gestört; Karoline ging ins Haus, der Geselle an die Arbeit, und ich sah nur noch, wie das Mädchen hie und da ängstlich zum Fenster herausschaute, als wolle sie Brenners Karlchen mit dem Fenster erspähen; wenn der Vater kam, ehe er zurück war, wenn er den Schaden bemerkte, den sie beide angerichtet – ich glaubte in ihren Mienen diese Angst zu lesen. Doch war ich überzeugt, wenn dieser unglückliche Fall eintreten sollte, so nahm sie die Schuld auf sich; hätte der Alte nicht auf so manches schließen können, wenn er den Kampf mit den Eisenstäben erfuhr? Es schlug acht Uhr, unwillkürlich fing ich selbst an unruhig zu werden; ich glaubte im Geist den Lieferanten der Russenzeit in weiten Pantoffeln herbeischlurfen zu hören; ein böser Husten wird ihn schon zuvor anzeigen, wie wird er toben, wie wird er fluchen, wenn er –
Da kommt Brenners Karlchen um die Ecke gefahren; er hat das Fenster unter dem Arm; jede Spur von Angst ist aus Karolinchens Zügen verschwunden; sie nimmt dem Burschen das Fenster schon von der Straße ab; sie hängt es ein; triumphierend schaut sie durch die neue Scheibe; der Pariser ergreift ihre Hand und zieht sie vom Fenster. Wird er noch Zeit gefunden haben, seine fürchterliche Drohung zu vollziehen, und sie für die Neckerei an ihren frischen Lippen bestrafen?
Die Jalousien des zweiten Stockes mir gegenüber öffneten sich, ich erschrak; ein ungeheurer Knebelbart schaute zum Fenster heraus. »Das ist sicher der kleine Leutnant,« sagte ich zu mir, »das muß ein fürchterlicher Kriegsmann sein!« Ich wagte es, wieder aufzublicken und nach ihm hinüberzuschielen; wo hatte ich nur meine Augen gehabt, daß ich vor seinem Anblick so erschrak? Der Bart war allerdings bedeutend und gehörte in die Klasse der grimmigen, aber hinter diesem Wall von Haaren lag ein kleines, freundliches Gesichtchen, ein Näschen, das schalkhaft zwischen dem Grimmigen hervorguckte, ein paar wackere Aeuglein, die auch nicht im geringsten zum Erschrecken eingerichtet waren. Der Kriegsmann hatte mit der Brust nicht sehr weit über den Fenstersims emporgeragt, als er die Jalousien öffnete; jetzt hatte er sich wohl einen Stuhl ans Fenster gerückt, denn er erschien auf einmal groß und schaute mit dem halben Leib auf die Straße herab; doch nach Verhältnis seiner Arme und seines Kopfes zu urteilen, mußte er ein kleiner, untersetzter Mann sein; ich erinnerte mich, daß ihn Christel den kleinen Leutnant genannt hatte. Nichtsdestoweniger brachte er eine ungeheure Pfeife hervor, die bis in den ersten Stock hinabreichte. Sie mochte ein bedeutendes Gewicht haben, denn der kleine Leutnant hielt sie mit beiden Fäusten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Als der Kriegsmann einige Zeit seinen Morgenbetrachtungen nachgehängt haben mochte, fing er an, mit der langen Pfeife an den Jalousien zu seiner Linken zu pochen. Sie taten sich auf, ein mageres, bleiches Gesicht, eine lange, hagere Figur, in einen geblümten Schlafrock gehüllt, schaute hervor; es war der Doktor Salbe.
Die Straße, in welcher ich wohnte, war ziemlich schmal; ich konnte, wenn ich das Fenster öffnete, das Gespräch meiner Nachbarn hören; ich öffnete daher mein Fenster, ließ die Gardinen herab, um nicht von ihnen bemerkt zu werden, und lauschte.
»Wo habt Ihr Euch gestern nacht herumgetrieben, Doktor?« sprach der Leutnant mit schalkhaften Blicken, indem sich der Bart zu einem angenehmen Lächeln bis an die Ohren verzog. »Warum kamt Ihr nicht in den goldenen Hahn? Ich wollte wetten, Ihr waret in einem Singtee.«
Der Doktor nickte und zündete still lächelnd eine Zigarre an der Pfeife des Soldaten an. »Ich war im Singtee,« antwortete er mit hohler Stimme; »Leutnant! da war es wieder herrlich! Im goldenen Hahn geht es mir Sonntags gar zu roh her. Eure Kameraden rauchen so schlechten Tabak, und das Schreien und Schwadronieren von den Gefechten setzt meinen Nerven zu. Aber bei dem Professor Nanze war es gestern wieder göttlich!«
»War die Fremde auch dort?« fragte der kleine Krieger und deutete auf den ersten Stock seiner Wohnung. »Waren auch die beiden Fräulein da?«
»Die Mutter, die Töchter und die Fremde; und wissen Sie wohl, wer sie ist? Sie wird Cousine tituliert, und die Oberforstmeisterin tut sehr freundlich mit ihr. Und denken Sie, ich wurde ihr vorgestellt als Nachbar vom oberen Stock; sie war holdselig und hat auch mein Trauerspiel gelesen und meine Erzählungen in der Zeitung für noble Leute.«
Auch ein Genosse der seligen Tante Idoina, dachte ich und machte ihm hinter den Vorhängen eine Faust, denn er schien mit dem Leipziger Magister im Bunde gegen mich zu sein. Indem hörte man einen wahrhaft höllischen Lärm in der Wohnung des Schusters. Eine tiefe Baßstimme fluchte und tobte, wie die rauhen Töne des Violons; dazwischen hörte man Karolinen und ihre Schwester in hohen, klingenden Tönen wie Oboe und Klarinette, und Brenners Karlchen, der wohl Schläge bekam, fistulierte mit greulichen Violinpassagen dazwischen. Es war kein Zweifel, der Russenschuster war erwacht und hielt seinen feierlichen Einzug in sein Reich.
»Hören Sie doch, wie der Alte wieder rumort,« sagte Doktor Salbe; »mich dauern nur die Mädchen, er probiert sicher an Karolinchen ein paar neue Knieriemen. Apropos, wie stehen Sie mit Karolinchen, Leutnant?«
»Gar nicht,« antwortete er mürrisch und blies große Wolken vor sich hin; »die hochmütige, schnippische Person! Ich weiß nicht, was sie jetzt wieder im Kopf hat, sie dankt kaum, wenn ich sie grüße. Es ist mir auch ganz einerlei,« fuhr er ärgerlich fort: »meine Gedanken stehen jetzt auf die Fremde, auf die Cousine; der will ich die Cour machen; Höllenschwernötchen, Doktor! Das sollt Ihr mal sehen.«
»Hoho!« fiel ihm sein Nachbar mit hohlem Lachen ins Wort. »Wenn Sie erst wüßten, was ich weiß, Wertester!«
»Donner! Hat sie von mir gesprochen? Salbe! Ihr foltert mich; hat sie von mir gesprochen?«
»Nein! Aber sie sagte mir viel Schönes über mein Flötenspiel, das sie vorgestern nacht in den Schlaf gewiegt habe.«
Ich glaubte, der Leutnant werde bei diesen Worten zum Fenster hinausstürzen; er hüpfte auf seinem Stühlchen hin und her und rückte weiter über die Brüstung heraus, um dem Doktor näher zu sein. »Und Ihr habt dem lieben Kind doch gesagt, daß ich es bin, der musiziert?«
»Jawohl; ich sagte ihr, daß ich nur Gitarre schlage und etwas weniges dazu singe; der Flötist aber sei mein Nachbar, der Leutnant Münsterturm. Ich will Ihnen auch gar nicht im Wege stehen; ich habe an meinem neugriechischen Roman so entsetzlich zu arbeiten, daß ich vor den nächsten vierzehn Tagen an keine Liebe denken kann; aber den goldenen Hahn sollten Sie sich abgewöhnen; Sie sollten in gebildete Zirkel sich einlassen, dort können Sie die Haus-Cousine treffen.«
»Gott straf' mich, Ihr habt nicht unrecht!« unterbrach ihn der liebende Soldat. »In den goldenen Hahn kommt sie doch nicht, also muß ich sie anderen Ortes aufsuchen. Aber Ihr kennt ja meine Antipathie gegen das Teetrinken, ich riskiere, daß ich auf der Stelle krank werde, wenn ich dieses laue Wasser zu mir nehme. Was haltet Ihr davon, Doktor, wenn ich Punschessenz mit mir nehme in einem Gläschen und, während ich nach der tollen Sitte mit der Tasse auf und ab spaziere, heimlich einige Tröpflein in den Tee gieße? Dann kann er mir nichts schaden.«
»Wahrhaftig, das könnten Sie tun, kaufen Sie Essenz, ich will Sie einführen in Nanzes göttlichen Singtee.«
»Am Donnerstag bekomme ich meinen neuen Uniformsfrack,« antwortete er vergnügt; »dann gehen wir miteinander in den Singtee.«
Ein Besuch, der mir gerade jetzt sehr ungelegen kam, unterbrach meine Beobachtungen. Es war einer jener freundlichen Alltagsmenschen, die, wenn sie mit uns Billard gespielt haben, auf der Promenade einige hundert Schritte mit uns gingen, in der Loge zufällig neben uns einen Platz fanden, sich unaufgefordert zu unsern Freunden zählen. Er hatte sicher nicht geruht, bis er mein geringes Stübchen aufgefunden; er kam, wie er versicherte, nur aus Teilnahme, und doch war es die unverschämteste Neugierde, die ihn hergetrieben hatte; er und sein Hund beguckten und berochen jeden Winkel meines Zimmers; ich sah ihm an, wie er Notizen sammelte, um abends einige Damen über mich und meinen Spleen zu unterhalten.
»Sie sind doch ein glücklicher Mensch,« sagte er; »waren Sie in Gesellschaft, so vergaßen die Damen, daß es gegen allen guten Ton sei, länger als fünf Minuten über einen Gegenstand zu sprechen. Man lauschte begierig auf Ihre Worte, weil Sie ein halber Gelehrter sind.«
»Sie können sich doch wahrlich nicht beklagen,« erwiderte ich; »wie glänzend haben Sie vor drei Wochen die Damen unterhalten, als Sie den Brief aus Paris bekommen hatten.«
»Es war der einzige glückliche Abend meines Lebens,« sprach er mit süßer Wehmut; »mein Mode-Korrespondent hatte den vernünftigen Einfall, mir einige Anekdoten aus den Salons, einiges Neue über Damenputz und über die Stellung einer modernen Pariserin beim Tee-Eingießen, und wie sie in Gegenwart ihres jungen Ehemannes die Schlafhaube aufsetze, zu schreiben. Ich brachte es bei Graf C. vor; man fand mich köstlich, man fand mich liebenswürdig und amüsant. Es war aber auf Ehre der einzige Abend. Aber Sie! Wie glücklich sind Sie.«
»In was soll nur mein Glück bestehen?« fragte ich, ärgerlich über seine Ausrufungen.
»Haben Sie nicht immer das verdammte Spiel: ›Der Chevalier de Papillot‹, von vorn bis hinten ohne Anstoß behalten können? Und ich! Wenn ich am herrlichsten frisiert und gebrannt war, so wurde das dumme »Chevalier de Papillot a une papillote« gespielt, meine Frisur ging zum Teufel, denn ich konnte den französischen Sermon nicht behalten und bekam den ganzen Kopf voll Papilloten. Aber Sie! Hatten[250] Sie den ganzen Abend nichts getan, als an einer Tür gestanden und finster in die Zimmer geblickt, so gab es doch Leute, die Sie sehr interessant fanden. Jetzt verlassen Sie sogar die Welt, werden melancholisch; ich wollte wetten, wenn ich es geworden wäre, man hätte gelacht, und Sie werden bemitleidet, zurückgesehnt; es gibt sogar junge Damen, die ganz offen den Fächer vor das linke Auge halten, wenn von Ihnen gesprochen wird.«
»Den Fächer vor das linke Auge halten? Wozu denn, was soll es denn bedeuten?«
»Sie wissen nicht einmal dieses Zeichen der trauernden Liebe? Das ist das Neueste, was man hier in der Liebessprache kennt; das heißt à la Jocko trauern.«
»À la Jocko trauern!« rief ich. »Wer trauert denn mit der Windfuchtel vor dem linken Auge um mich?«
»Gehen Sie, das wissen Sie nur zu gut; Oberhofmeisters Trinettchen ist ganz melancholisch geworden. Auf Ehre, ich sah sie zweimal à la Jocko trauern. Ist das nicht rührend?«
»Was werden Sie heute mit Ihrem Tag anfangen?« fragte ich, um mir das Erröten über die trauernde Jocko zu ersparen. »Wo werden Sie speisen? Werden Sie ins Theater gehen?«
»Speisen?« sagte er wehmütig lächelnd. »Speisen! Ich lebe gegenwärtig wie ein Klausner. Denken Sie sich mein Unglück!«
Ich war begierig; sollte ihn etwa auch eine Tante enterbt haben, war er vielleicht auf halben Sold gesetzt wie ich? Er schien bekümmert, geheimnisvoll.
»Denken Sie sich mein Unglück! Schon seit einiger Zeit bemerkte ich, daß mir meine Röcke und Westen nicht mehr recht passen wollten. Ich nahm daher das vormalige Maß meiner Taille (mein Schneider in Frankfurt und ich haben jeder ein Exemplar, und zwar aus Draht geflochten, daß es sich nicht verzieht); ich nehme es, lege es um, und o Schrecken! ich bin seit einem Vierteljahr um zwei Daumen breit stärker geworden! Ich war außer mir, ich wütete, ich war nahe daran, Hand an mich selbst zu legen. Ich entdeckte mich dem jungen Baron F.; Sie kennen seinen herrlichen Wuchs, er tröstete mich, er gab mir Mittel.«
»Nun, in was bestehen diese?«
»Zuerst mußte ich Rhabarbertinktur nehmen, daß ich beinahe tot war. Dann darf ich acht Tage lang nichts genießen als eine Tasse voll Gerstenschleim, einige Austern und ein Glas[251] Madeira, alle Morgen nach acht Uhr muß ich ein Glas Kräuteressig trinken und darauf spazieren gehen. Es ist heute der fünfte Tag; es ist wahr, es hilft, ich bin schon um einen Daumen eingegangen, aber meine Kräfte schwinden, ich bin so schwach, daß ich heute abend nicht werde tanzen können. Es ist nur gut, daß es jetzt Mode ist, daß wir jungen Herren nicht tanzen; aber das ewige Stehen mit dem Hut in der Hand werde ich auch nicht aushalten; ich werde mich setzen müssen gegen allen guten Ton und feine Lebensart.«
»Ich bedaure Sie,« sagte ich, als er mit zitternder Hand von mir Abschied nahm. »Wären denn fünf Tage nicht auch genug?«
»Acht Tage müssen es sein,« antwortete er seufzend; »aber dieser Leidenskelch wird auch an mir vorübergehen; was tut man nicht um den Ruhm, eine Taille à la Jocko zu haben.«
Armer Jocko! sprach ich bei mir, als er weggegangen war. Armseliger Affe! Du schämst dich deiner menschlichen Gestalt und wendest alle Mittel an, ein Pavian oder eine Wespe zu werden! Jene große Werkstätte der Torheit ergötzte sich an einem Menschen in Affengestalt; sie trugen sich wie der herrliche Affe, es gab nichts, was nicht den Namen dieses Affen trug; es nimmt mich wunder, daß sie ihren König nicht à la Jocko krönten. Aber die Narrheit bleibt nicht in jenen Mauern, sie verbreitet sich über die Provinzen, sie passiert ungehindert die Douanen des Rheins, und man schämt sich in Deutschland, auf eine andere Art ein Tor zu sein, als wie es vor sechs Monaten in Paris Sitte war. Wer ist ein größerer Affe und der Tierheit näher, jener Urjocko oder die unzähligen Affenherren, Affenfräulein und Affenmamsellen, die an dem Affen einen Affen gefressen haben, ihm nachäfften und mit Freude samt und sonders Jockos wurden?
Erbärmlicher Affe! Der du mich um eine schöne Stunde betrogst! Warum verbieten es die gesellschaftlichen Sitten, daß ich dich freundschaftlichst aus der Türe warf?
Wie vergnügt, wie zufrieden wäre ich mit mir selbst gewesen! Wie gut hätte ich mich an meinem Fenster unterhalten können! Und dieser hohle Mensch, in dessen Kopf kein Gedanke war, als der an das Souper heute abend, dessen Blick in die Zukunft nicht weiter reichte als bis zum nächsten Ball, dessen Erinnerungen nur in Austern und Tanzmusik bestanden, dessen Herz kein wärmeres Gefühl kannte als Neid, wenn er nicht die feinste Taille hatte, oder die Freude, das neueste Tuch[252] oder die eleganteste Hutfaçon zu haben; dieser Mensch durfte sich meinen Freund nennen, durfte mein stilles Asyl durch sein Geplauder entweihen? Sind nicht diese Menschen die ärgsten Heiden? Es steht im Evangelium: »Ihr sollt nicht sagen, was werden wir essen, was werden wir trinken, wie uns kleiden, denn nach diesem allen fragen die Heiden.« Und diese Leute möchten verzweifeln, weil sie nicht wissen, ob sie heute in jenem Hotel oder bei diesem Italiener speisen werden; sie sind in Gefahr, krank zu werden, weil sie im Zweifel sind, ob sie sich schwarz oder blau ankleiden sollen?
Ich war unter diesen Gedanken wieder an mein Fenster getreten. Der Tag war nun auch im ersten Stock gegenüber angebrochen. Ich konnte, weil das Haus auf der Mittagsseite lag, bis in die Mitte dieser schönen Zimmer schauen; ich nahm mein Opernglas zur Hand und musterte die Fenster. Es waren drei junge und eine alte Dame, die ich sah; von den Mädchen waren zwei noch im Negligee, die eine las im Fenster, schaute übrigens oft über das Buch hinweg auf die Straße; sie schien nicht mehr sehr jung, ihre Züge hatten schon etwas Scharfes angenommen, an ihrem Nasenwinkel glaubte ich jenes unbeschreibliche mokante Etwas zu bemerken, das einer meiner Freunde den Alten-Jungfern-Zug nennt.
Die zweite im Negligee schien jünger und hübscher; sie saß am Klavier und präparierte sich wohl auf ihre Lektion oder gar auf einen Singtee. Mama saß an ihrer Seite und schien ihr Spiel zu bewundern. An einem andern Fenster saß ein Kind von sechzehn bis siebzehn Jahren. Es mußte die Fremde, die Cousine sein; denn wäre dieser schöne Kopf, wären diese Augen, deren Glanz ich aus so weiter Ferne bewunderte, schon länger in der Stadt gewesen, ich hätte gewiß von einer schönen Tochter der Oberforstmeisterin gehört. Sie nähte emsig an einem Kleide, aber dennoch konnte sie sich nicht enthalten, zuweilen die Vorübergehenden zu mustern, mit den niedlichen Fingern zu deuten, wenn ihr etwas auffiel, und die Lesende im Negligee zu befragen. Es mußte die Fremde sein. Ich hatte dazu mehrere Gründe. Die beiden andern Fräulein hatten gleiche Hauben, gleiche Bänder, gleiche Ueberröcke; sie waren die Schwestern. Die eine las, die andere musizierte, das schöne Kind aber arbeitete; was war natürlicher, als daß[253] es die Fremde war, die arbeitete? Sie hatte ihre Garderobe vom Land mitgebracht. Wenn sie auch dort nach der Mode gewesen sein mochte, so war sie doch hier schon um einige Monate zurück. Der Leib am Kleidchen durfte vielleicht nur etwas weiter ausgeschnitten, die Garnitur nur etwas höher gesetzt werden, so war man noch passabel nach der Mode. Auch das, daß sie so frühe schon in vollem Anzug war, bestärkte meine Vermutung.
Ich hatte einige Zeit mit diesen Betrachtungen hingebracht, als ich Madame plötzlich aufstehen sah; sie winkte der Cousine, sie deutete ans Fenster; das schöne Mädchen öffnete und sah heraus, sie heftete ihre Blicke auf die Haustüre. Ich war begierig, wer erscheinen werde, denn offenbar erwartete sie jemand, der aus dem Hause treten sollte; war es der Russenschuster? Hatte der Pariser ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen? Oder ging vielleicht jemand aus dem obern Stock an ihrem Zimmer vorbei? etwa der Doktor oder Münsterturm, der kleine Leutnant? Er war es, der Kleine! Aber welchen sonderbaren Anblick gewährte er! Gleichsam zum Hohn hatte ihm die Natur einen großen Namen gegeben; wer dachte sich nicht, wenn er vom Leutnant Münsterturm hörte, einen Kerl, der dem Kölner oder Straßburger Münster Ehre machte? Aber er war ein Duodez-Münsterchen. Er hatte eine tiefe rauhe Stimme; wenn man die Augen zumachte und ihn fluchen und donnerwettern hörte, glaubte man wenigstens einen riesenhaften Kürassier vor sich zu haben. Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus; es ist der kleine Münsterturm. Er kündigte sich zuerst durch das schreckliche Klirren eines nachschleppenden Säbels an; dann kam ein ungeheurer Hut mit wehendem Federbusch aus der Türe, unter ihm wandelte der Leutnant. Dieser Soldat schien seine verkürzten Formen dadurch entschädigen zu wollen, daß er alles, was er sich selbst beilegen konnte, in größtem Maßstabe hatte; seinen ungeheuren Bart, die lange Pfeife, die er mit zwei Händen balanzierte, hatte ich früher schon bewundert. Der Hut samt Federbusch maß drei Schuh in der Höhe, also zwei Dritteile von dem Leutnant, sein Schwert war eine furchtbare Waffe und reichte ihm, wenn es aufrecht neben ihm stand, hoch über die Brust. Er führte die längste Reitgerte, die ich gesehen, lange Sporen rasselten an seinen Füßchen; er ging wohl aus, um einen Morgenritt für sechs Groschen zu machen. Er machte Front vor der Haustüre, ich sah, daß er unter seinem Hut hinaufschielte in den ersten Stock; er bemerkte[254] die Fremde, eine angenehme Freude blitzte, mir sichtbar, aus seinen Augen; er tat, als hätte er sie nicht erblickt.
Er hieb mit der Reitpeitsche auf seinen Stiefel und rief mit tiefer, dröhnender Stimme: »Johann!«
Ein großer Kerl in abgetragenen Soldatenkleidern fuhr aus dem Haus, stellte sich in militärische Position, die Hand an der Mütze, und antwortete: »Herr Leutnant!«
»Schlingel!« fuhr der Kleine fort, »hab' ich dir nicht gesagt, du sollest meine Flöte jeden Abend einsalben mit Mandelöl? Ha! daß dich das Donnerwetter, sie hat gestern nacht gequiekt wie ein Dudelsack. Schmier' ein! sag' ich dir, salbe das fürtreffliche Instrument, daß es weich töne, oder dich soll der T… holen, und ich lasse dich sechs Stunden auf die Latten legen, daß du kein Glied rühren kannst.«
»Ganz wohl, Herr Leutnant! aber …«
»Was aber, wenn ich befehle, gibt es kein Aber; was willst du denn?«
»Ich hätte schon gestern eingeschmiert und gesalbt, Herr Leutnant, aber der Grunsky, bei dem ich das süße Mandelöl kaufen soll, sagt, er borge – mit Respekt zu vermelden – dem Herrn Leutnant keinen Groschen mehr.«
»Was? mir das?« schrie Münsterturm mit entsetzlicher Stimme, daß meine Fenster zitterten und die schöne Fremde erbleichte. »Ich ermorde ihn, ich renne ihn mit dem Säbel durch und durch, ich zerhacke alle Gläser, Pomeranzen und Zitronen in seinem Laden in Kochstücke, der Kuckuck soll ihn holen, ihn und sein süß Mandelöl!« Der tapfere Soldat wackelte zu diesen Worten mit dem Federbusch, klirrte mit dem Säbel, stampfte mit den Sporen, focht mit der Reitpeitsche in der Luft und blinzelte hinauf ans Fenster, welche Wirkung seine Berserkerwut hervorbringe. »Doch, es ist unter meiner Würde, mich über solche Kanaille zu alterieren,« fuhr er ruhiger fort, »ich werde ihn verklagen, so tu' ich. – Johann!«
»Was befehlen der Herr Leutnant?«
»Geh in die Apotheke in der Königstraße, dort, wo es zur Kirche hinuntergeht, laß dir für zwei Groschen süß Mandelöl geben; laß es aufschreiben – die Welt kennt meinen Namen.«
So sprach der Leutnant Münsterturm. Er nahm seinen Säbel unter den Arm, rückte den großen Hut schiefer aufs Ohr und schritt mit mächtigem Gange die Straße hinab.
Die Fremde aber schlug das Fenster zu, setzte sich an ihren Platz und lachte.
Ich habe jetzt seit mehreren Tagen die Liebenden parterre betrachtet; immer klarer wird es mir, daß ein sehr reines Verhältnis zwischen Karolinchen und dem Pariser besteht. Wenn etwas Unchristliches in dieser Liebe wäre, so müßte es in der Art, wie sie zusammen scherzen, sich zeigen; der Pariser könnte nicht so zart seine Glut verraten; er würde, wenn er schon höhere Rechte sich zugeeignet hätte, nicht, wie ich wohl bemerkt habe, um ein Küßchen so lange betteln und sogar schmollen, wenn er es nicht bekommt. Karolinchen könnte nicht mit jenem heitern, ungetrübten Mut Scherze selbst beginnen, könnte ihn nicht aus ihren klaren Augen so treuherzig anblicken, wenn sie sich etwas Unchristliches bewußt wäre. Es ist etwas Heiliges, Holdes um die Unbefangenheit der ersten Liebe, sollte sie sich bei einem Schustergesellen und seines Meisters Tochter oder in dem Boudoir einer jungen Fürstin zeigen; es ist der herrliche Schmelz, den die Unschuld aushaucht; keine Kunst ersetzt ihn wieder, wenn du ihn abstreifst. Oder kann der Maler dem Schmetterling die Flügel wieder malen, wenn eine rauhe Hand ihn betastet und den Blütenstaub verwischt hat, womit die Natur seinen bunten Mantel überkleidete? Ist nicht die sanfte Röte auf den Wangen eines schönen Kindes ein solcher Blütenstaub? Wird die Schuldbewußte erröten, wenn der Geliebte um ein Küßchen bittet? Wird sie die Augen niederschlagen? Die Kunst einer Kokette geht weit; sie kann durch großes Studium vielleicht lernen, wie und wo man die Augen niederschlagen müsse; aber jenen holden jungfräulichen Schmelz, jenes rouge fin der Natur, kann sie bei Laugier père et fils, rue bourg l'abbé à Paris nicht kaufen.
Ich traute daher lieber meinen Augen und meinem guten Opernglas als der bösen Zunge der alten Christel, meiner Aufwärterin, die mir das Verhältnis der beiden Leutchen als ein unchristliches schilderte. Ich hatte ein Paar Pantoffeln nötig, was war natürlicher, als daß ich meinen Nachbar, den Russenschuster, mit diesem Auftrag beehrte? Ich hatte dabei noch eine Nebenabsicht. Der alte Russe, dachte ich, ist wohl zu bequem und vornehm, als daß er sich zu mir bemüht; Brenners Karlchen, den Lehrjungen, kann er auch nicht wohl schicken, um mein Maß zu nehmen, folglich werde ich den Pariser bei mir sehen. Die alte Christel wollte mir zwar das Vorhaben mit Gewalt ausreden; sie behauptete, daß ich bei dem reichen Nachbar das[256] Doppelte werde zahlen müssen, aber es half nichts, sie mußte hinüber. Sie kam bald wieder und berichtete, man werde kommen; sie lächelte dazu vor sich hin, als wüßte sie noch etwas, das sie sich unbefragt nicht zu sagen getraue. Ich konnte ihr schon den Gefallen tun, zu fragen, denn sie schwatzte gerne.
»Als ich hinüberkam,« sagte sie, »und ausrichtete, daß Sie ein Paar Pantoffeln wünschten, da – nein, ich kann es nicht sagen –«
»So sprich doch, Alte! was sagten sie denn?«
»Karolinchen sah recht mitleidig aus und sagte: ›Ach, zu dem bleichen Herrn im zweiten Stock drüben? was fehlt ihm denn? er ist immer zu Haus und sieht so trübselig durchs Fenster;‹ und der Pariser sagte: ›Ja, und wenn er ausgeht, so sieht er so ernst und traurig aus, was fehlt ihm denn?‹«
»Nun? und was sagtest du, Alte? Was gabst du zur Antwort?«
»Na, ich weiß es ja selbst nicht; ich sagte, es müsse Ihnen jemand gestorben sein, Sie gehen meist in schwarzen Kleidern; und da meinten sie – hi! hi! da sagte Karolinchen: ›Ach, gewiß ist ihm sein Schatz gestorben, dem armen Herrn, oder es geht ihm gar wie dem armen jungen Werther, der auch so viel gelitten hat.‹«
Die guten Seelen! dachte ich; weil sie lieben, so kennen sie kein anderes Leid als die Trauer der Liebe! Wie unendlich prosaischer ist doch mein Kummer! Freilich ist mir ein Schatz gestorben; der Leipziger Magister hat ihn gewonnen. Die alte Tante ist es, der meine Melancholie gilt, der seligen Idoina, der Mitarbeiterin an der Zeitung für noble und gebildete Leute. Wie prosaisch, wie so ganz miserabel und unpoetisch! Meine Farbe spielt etwas ins Blasse, was ist natürlicher, als daß ich Kummer habe? Ich bin viel zu Hause, ich muß über meinem Kummer brüten; ich sehe melancholisch aus, ich könnte schwer verdauen, ich könnte einen Roman unter falschem Namen geschrieben haben und deswegen auf Geldbuße angeklagt sein. Aber dies alles ist uns heutzutage zu prosaisch – er ist melancholisch, er muß Liebeskummer haben, ganz erschreckliche Seelenleiden; sogar die Schustermamsell, die liebende, weiß gleich, wo einen der Schuh drücken könnte. In welcher Schule mag sie das gelernt haben? Ja, sie hält mich für größer als ich bin; sie vergleicht mich sogar mit dem jungen liebenden Werther, dem unvergeßlichen; und ich – muß erröten, jene enorme Höhe von tragischem Pathos noch nicht erreicht zu haben!
Mit diesen Betrachtungen beschäftigt, sah ich den Pariser aus dem Hause treten. Er sah gar nicht übel aus, und ich konnte es Karolinchen nicht verdenken, daß sie gern mit ihm scherzte. Er war nett und elegant gekleidet, denn zu solchen Besuchen wurde der Sonntagsstaat angelegt. Er ist ein hübscher, gedrungener, untersetzter Bursche, lebhaft, gewandt; es kann ihm nicht fehlen, er muß bei den Mädchen Glück machen. Schon der Name, der Pariser, weckt tausenderlei günstige Meinungen zum voraus. Der muß die Welt gesehen haben, denkt man und fühlt sich nicht wenig geehrt, von ihm zu einem Walzer oder Dreher aufgezogen zu werden. Ich konnte mir denken, daß er seine Sitten perfektioniert haben werde. In der Hauptstadt der Welt, wo die Schuster in Glaswagen bei ihren Kunden vorfahren und ihre eigenen geheimen Sekretäre haben, welche sogleich die Maße der Kundenfüße zu Protokoll nehmen, wo die Meister Künstler sind, ein Atelier statt der Werkstatt haben, mehrere Kurse über Anatomie anhören, um sich in ihren Bemühungen um den Fuß zu vervollkommnen, wo die Gesellen nicht auf einfüßigen Schemeln, sondern in prachtvollen Fauteuils Schuhe flicken, und die Lehrjungen oder Garçons den Draht mit parfümiertem Pech wichsen, in einer solchen Stadt hatte er den deutschen Handwerksburschen, diesen aus Flegelei, Courtoisie und Sinnlichkeit zusammengesetzten Kraftmenschen, ausziehen und in den Pariser fahren müssen.
Er kam, ich hatte mich nicht getäuscht. Wie artig wußte er sich zu verbeugen, den Hut abzulegen und ein paar Fünffingerstriche durch sein Haar zu tun? Wie unbefangen näherte er sich, mit welcher Grazie setzte er mir den Stiefelzieher zurecht! Er schien mich mit mitleidigen Blicken zu betrachten, der arme Siegwart mochte ihm einfallen, oder gar die Leiden des jungen Werthers, denn er erkundigte sich dolce nach meiner Gesundheit.
»Sie haben eine angenehme Werkstatt da drüben,« sagte ich zu ihm, indem er mit einem rosenfarbenen Seidenband meinen Fuß maß und sich Notizen in eine saffianene Brieftasche aufzeichnete. »Ich meinte, Ihre Werkstatt muß hell und freundlich sein?«
»Unser Arbeitszimmer meinen Sie? O ja, es ist hübsch und freundlich, und man hat doch auch eine Aussicht auf die Straße.«
»Nun, und die Einsicht ist gewiß auch nicht übel; läßt Ihnen Mamsell Karoline soviel Zeit, auf die Straße zu sehen?«
Stumm vor Staunen lag er vor mir auf den Knien; er hielt in einer malerischen Stellung das rosenfarbne Maß in der Hand, die Brieftasche war ihm entfallen. »I der Tausend!« preßte er heraus. »Wie meinen Sie denn das, wertgeschätzter Herr …?«
»Nun, ich habe letzthin eine kleine Attacke mit den eisernen Ladenstangen gesehen, wo eine Fensterscheibe zerschlagen wurde, da dachte ich –«
»Ei, so hat Brenners Karlchen doch recht gehabt,« rief er, »er hat gesagt, Sie haben herausgesehen; ja, ich hatte einen kleinen Spaß mit des Meisters Tochter.«
»Und wenn ich recht gesehen, ist sie Ihnen gut, die Mamsell?«
Der gute Pariser wurde über und über rot, und ein Strahl der Freude schien aus seinen ehrlichen Augen zu dringen. »Was hilft es mir auch, wenn mir das Mädchen gut ist?« sagte er nach einigen Augenblicken leise, »ich kriege sie doch nicht!«
»Und warum nicht,« fragte ich verwundert, »ein geschickter Arbeiter, der sogar in Paris gelernt hat, diesen sollte der Meister verschmähen?«
»Es ist wahr,« sagte der junge Schuster nicht ohne Selbstgefühl, »ich habe in Deutschland und Frankreich gelernt; ich habe in Paris, Amsterdam, Berlin und Frankfurt in den berühmtesten Ateliers gearbeitet, aber was hilft's? Der Meister ist reich und vornehm, er wird nächstens Stadtrat werden, er sucht seine Tochter in vornehme Familien zu verheiraten. Ein Bierbrauer, ein Schweinemetzger, ein Rotgerber, alles vornehme und angesehene Herren, die wenigstens ihre zwanzig- bis dreißigtausend Taler schwer sind, haben um Karolinchens Hand angehalten, und der Alte ist nur noch im Zweifel, wem er sie geben solle.«
Der arme Bursche dauerte mich, er hatte Tränen in den Augen, während er mir das erzählte. »Und Karolinchen?« fragte ich.
»Ach! das ist gerade mein Jammer; sie hat mich lieb, wir haben es vergangenen Sonntag auf dem Tanzboden einander gestanden. Wenn ich wollte, sie liefe mit mir davon, denn sie mag keinen andern als mich, aber ich weiß wohl, in den Romanbüchern werden oft junge Frauenzimmer entführt, die es nachher recht gut bekommen; aber was kann ich ihr anbieten? Bis ich Meister werde zu Haus, geht mein kleines Vermögen vollends drauf, und ich soll sie in ein Haus voll Kummer und[259] Sorgen führen? Nein; sie wird mich vielleicht doch auch vergessen können. Sie soll heiraten, wie es der Vater will, sie wird dann eine vornehme, wohlhabende Frau, und wenn sie erst ein paar liebe Büblein hat, denkt sie nimmer an unsere Liebschaft und an den armen Pariser.«
»Aber Sie? Können Sie so ruhig entsagen? Wird es Ihnen nicht recht schwer werden, von Karolinchen zu scheiden?«
»Ich mag nicht daran denken,« antwortete er; »es würde mir jede Stunde verbittern; wenn einmal geschieden sein muß, so soll es schnell gehen. Wohl wird es mich schmerzen, wenn ich wieder so allein in die weite Welt hinaus muß, denn hier kann ich nicht bleiben; aber ich denke dann, es wandert mancher arme Teufel durchs Reich, den es im Herzen noch weit schwerer drückt, als sein Bündel auf dem Rücken; so geht's halt in der Welt!«
Er ging mit einer Träne im Auge von mir.
»Also auch hier die unglückselige Macht der Verhältnisse!« dachte ich. »Auch hier der Eigensinn der Väter, auch hier das eifrige Streben nach Geld und Ehre! Man spricht von dem Unglück hochgeborner junger Damen, daß sie nicht dem Zug des Herzens, sondern dem Gebot der Verhältnisse folgen müssen. Man bedauert Prinzessinnen, daß für sie wahrscheinlicherweise das Glück stiller, beglückter Liebe verloren sei; man beklagt junge Gräfinnen und Fräulein von altem Adel, daß ihrem Auge kein Mann gefallen dürfe, der nicht sechzehn Ahnen gehabt, daß ihre Seele kein Bild legitimerweise erfüllen dürfe, das nicht stiftsfähig wäre. Hat die Tochter des Russenschusters ein glücklicheres Los? Es werben reiche Grafen, besternte Diplomaten um die Hand einer jungen Dame, der Arme, Unberühmte muß zurücktreten; hier kommen ganz außerordentlich vornehme und angesehene Leute und wollen Karolinchen zur Frau, wer sind sie? Bierbrauer, Schweinemetzger, Rotgerber; sollte nicht der Pariser ebensogut, sogar noch passender für sie sein? Mit nichten! Jene haben Geld und Ansehen in der Stadt, sie sind außerordentlich vornehm; Karolinchen muß sie heiraten. Aber welche Nötigung ist bei all diesen Fällen? Der Vater des Fräuleins wird die Achseln zucken und sagen: die Verhältnisse. Verflucht sei, wer dieses Wort erfand, um einen Begriff zu bezeichnen, der auf Vernunft und Recht keinen Anspruch machen kann!«
Ich war ergrimmt über diese Unnatur des Schusters, und in meinem Grimm mußte ich die Resignation des Parisers bewundern.[260] Wäre dieser Fall in den höchsten oder in den Mittelständen vorgefallen, der Amoroso hätte sich erstens entweder mit seinem durch die Verhältnisse begünstigten Nebenbuhler schießen wollen, oder zweitens, er hätte gewütet, seiner Geliebten das Leben verbittert, ihr geflucht, gedroht, sich zu erschießen, und erst auf ihr inständiges Bitten sich das Leben geschenkt, oder drittens, er wäre ins Wasser gesprungen, oder viertens, er wäre tiefsinnig geworden, und dieses letzte ist das Allgemeinere. Nicht so der Pariser; er sieht sein Unglück voraus; er könnte zur Not einen dummen Streich machen, aber das Glück und die Ehre der Geliebten ist ihm teurer – er liebt und vergißt sein Unglück, bis es da ist, und dann schnallt er den Ranzen und wandert traurig durch das Reich. Man wird sagen, er hat nicht jenes tiefe Gefühl, nicht jene feinere Bildung, die zur wahren Liebe und zum tieferen Schmerz der Liebe gehört; kann man glauben, daß ein Schustergeselle so innig lieben könnte als ein Dragonerleutnant oder ein Legationsrat oder gar als ein junger Doktor? Kleinliche Torheit, die du auch hier wieder die Gefühle nach den Ständen abmessen willst! Die Aeußerungen dieses armen Burschen sind erhabener als die Rodomontaden hochgeborner Liebhaber, sie zeugen von tieferer Empfindung als eure erlernten und erlesenen Sentiments, und seine Resignation ist edler als euer Toben und Wüten gegen das Schicksal. Er will sich nicht schießen mit seinen Nebenbuhlern wie der Legationsrat; er will sich nicht in seinen eigenen Sonetten ersäufen wie der Doktor; er schließt die Geliebte zum letztenmal in die Arme, wirft sein Ränzel auf den Rücken, nimmt den Wanderstab und geht. Sein Unglück fühlt er tief, wenn er zum letztenmal die Türme der Stadt, die er verläßt, aus der Ferne ragen sieht; aber er denkt, es wandert noch mancher arme Teufel durchs Reich, den es im Herzen noch weit schwerer drückt als sein Bündel auf dem Rücken. Er trocknet eine Träne ab und geht. Aber der Dragoner und der Legationsrat und der Doktor? Wenn jener nicht geblieben ist, wenn sich dieser nicht erschoß, wenn der Doktor nicht ertrunken – so gehen sie auch und geben sich zufrieden. Aber freilich, es gehört dazu, daß sie vorher etwas weniger gestöhnt und gejammert hatten. So wollen es die Verhältnisse!
Vor einigen Tagen traf ich am dritten Ort meinen Nachbar, Doktor Salbe. Er erkannte mich als Nachbar, freute sich, mich zu sehen, und lud mich ein, ihn hie und da zu besuchen. Ich versäumte es nicht. Doktor Salbe ist ein unterrichteter Mann, und ich bin gerne in seiner Gesellschaft. Anfangs war es mir schwer, seiner Einladung in den goldenen Hahn zum zweitenmal zu folgen; diese qualmende Bierstube wollte mir, da ich an diese Tabakshöhlen nicht gewöhnt war, nicht zusagen. Aber ich gewöhnte mich daran, und so mancher Kernwitz, der in dieser Gesellschaft fiel, die gewaltige, tönende Sprache der Leutnants, die aus allen Wissenschaften zusammengeholten Ausdrücke der jungen Doktoren entschädigten mich für das Aeußere. So war es auch in Doktor Salbes Haus. Eine Unordnung, beinahe Unreinlichkeit ohnegleichen. Wenn er mir ein neues Gedicht vorlesen wollte, blickte er mit Falkenaugen im Zimmer umher und fuhr dann oft plötzlich unter den Tisch, denn dorthin hatte sich der Wisch verloren. Einmal erzählte er mir von einem Sonett, an welchem er drei Tage gedreht habe. Es sei ganz unübertrefflich, und die Ausgänge tönen wie lauter Italienisch und Spanisch durcheinander. Er suchte in allen Ecken, auf allen Tischen, in allen Fächern; es fand sich nicht. Endlich führte ihm der Zufall ein zusammengedrehtes, halbverbranntes Papier in die Hand. Er sah es an, er erblaßte, er schlug sich vor die Stirne. »O ihr Götter!« rief er aus, »mit meinem herrlichsten Sonett hat der verdammte Leutnant Münstertürmchen seine Pfeife anzündet! Wie hättest du geglänzt, klangvolles Gedicht, in der Zeitung für noble und gebildete Leute! Jetzt muß ich dich aus meinem miserablen Gedächtnis kompensieren. Du bist ein Torso, und ich soll dir neue Füße einsetzen!«
Trotz dieser schrecklichen Unordnung gefiel es mir wohl bei Salbe. Er hatte eine gewisse gelehrte Atmosphäre, die jeden schlechten, trivialen Gedanken zu ersticken schien; man konnte sich ganz behaglich in seiner Nähe fühlen, denn er hatte eine ungemeine Literatur im Kopf und belehrte im Gespräch auf angenehme Weise. Wir sprachen eines Nachmittags, den ich bei ihm zubrachte, von Literatur und ihrem Einfluß auf die Menschen. Ich sagte: »Die Franzosen haben das vor uns voraus, daß alle ihre Geschichtswerke, ihre Romane, ihre Gedichte,[262] selbst ihre philosophischen Bücher so geschrieben sind, daß sie jeder lesen kann. Die Werke ihrer größten Geister sind unzähligemal als Stereotypen gedruckt, ich habe oft auf meinen Reisen gesehen, daß ein geringer Handwerker, ein Soldat, selbst ein Bauer seinen Voltaire, seinen Rousseau las; dadurch wird die Intelligenz unbegreiflich gesteigert, daher kommt auch, daß jene Redner in der Kammer so ungeheuer wirken; nicht durch den verschwebenden Schall von der Tribüne, der Einzelkampf richtet dort wenig aus, wo man in Massen kämpft, sondern durch die Verbreitung dieser Reden durch die öffentlichen Blätter. Der geringere Bürger, der Landmann liest begierig diese Reden; seine Lektüre hat ihn vorbereitet, das Wahre von dem Falschen zu sondern, und ich versichere Sie, ich habe diese Leute mit einer Wahrheit, mit einer Tiefe über die Schönheiten einer Rede, über die Wendungen eines Satzes sprechen hören, die mich in Verwunderung setzte, und die ich vergebens selbst in unsern Mittelständen, bei dem Kaufmann, dem Künstler, dem Schreiber, suchen würde.«
»Sie machen damit unserm Vaterland und seinen Schriftstellern ein schlechtes Kompliment,« antwortete Doktor Salbe. »Es ist wahr, die eigentlichen Gelehrten bei uns bilden sich eine eigene Sprache; sie konnten sich aus dem früheren lateinischen Jargon nicht gleich in das ehrliche Deutsch finden. Daher kommt es, daß man bei uns, außer Platt, Schwäbisch und Hochdeutsch, auch noch Kantisch, Schellingisch, Hegelisch etc. spricht und schreibt; man muß zu diesen Sprachen eigene Wörterbücher haben, um sie zu verstehen, und es ist kein Wunder, daß man Kant ins Deutsche übersetzt hat.«
»Aber sagen Sie mir um Gottes willen, zu was denn diese Sprachverwirrung? Wie können denn unsere Philosophen auf die Intelligenz des Volkes wirken? Und dazu sind sie ja doch auf der Welt.«
»Im Gegenteil,« erwiderte Salbe, »da haben Sie eine völlig unrichtige Ansicht. Es mag dies vielleicht bei den französischen Philosophen der Fall sein. Aber bei uns sind die Philosophen nur für das Katheder geschaffen; sie haben nur das kleine Publikum, das vor ihnen in den Bänken sitzt, über Sonne, Mond und Sterne und die Erbsünde aufzuklären; sonst haben sie lediglich nichts mit dem Publikum zu tun. Kennen Sie denn nicht den Artikel im Regensburger Reichstags-Abschied?«
»Wie? ein Artikel über die Philosophen? Kein Wort habe ich davon gehört.«
»Man wußte wohl, daß die populäre Philosophie der Franzosen für das Volk durchaus schädlich sei, weil die Menschen dadurch Aufklärung, eine Art von illegitimer Vernunft bekommen; daher hat man sehr weise damals das Gesetz erlassen und heimlich auf allen Universitäten und Gelehrten-Anstalten verbreitet: ›Alldieweilen, die durch die in das für sich schon intelligente Leben so leicht eingreifende Philosophie angesteckten Menschen allzuleicht rebellische sogenannte Ideen bekommen, so sollen die für die auf den zu der Vorbereitung junger Leute errichteten Instituten bestehenden Lehrstühlen angestellten Philosophen dahin gehalten sein, daß, wenn sie Bücher schreiben, so in dies Fach einschlagen, diese also abgefaßt seien, daß andere zu dieser Wissenschaft nicht bestimmte Leute solche gar nicht kapieren können.‹«
»Das stand im Regensburger Reichstags-Abschied?«
»Jawohl, und daher dämmten die Philosophen ihre Bücher mit allerlei wunderlichen Redensarten ein, so daß, wenn ein ungelehrter Bürger in ein solches Opus hineinschaute, ihm die Worte vor den Augen herumtanzten, ihm die überschwenglichen Gedanken wie ein Mühlrad im Kopf herumgingen, und er in Gefahr war, darüber ein Narr zu werden. Es war dies auch ganz gut; Sie wissen, die Deutschen sind eine Nation, die gar zu schnell Feuer fängt wie nasser Zunder, daher war dies Mittel ganz gut. Denken Sie nur an jene Zeit, wo eine Regierung dies Interdikt aufhob, und ein Gelehrter Reden an die deutsche Nation in natürlicher Sprache hielt, was entstand daraus für ein Spektakel. Man hat daher das Interdikt aufs neue geschärft, ja, die Philosophen müssen jetzt sogar mystisch sprechen; selbst wenn einer z. B. über Deutschland und die Revolution schreiben wollte, müßte er seiner Rede kurzen Sinn in diese Wortspezereien einbalsamieren.«
»Ha! jetzt erst ist mir das große Geheimnis unserer Literatur klar und deutlich! Also daher kommt es, daß wir so weit zurück sind; da bleibt also für das Volk nichts übrig als Genoveva und Eulenspiegel?«
»Das möchte ich doch nicht behaupten,« sagte Salbe; »unsere mittlern und untern Stände lesen sehr viel, nur natürlich nichts, was auf den gesunden Menschenverstand Anspruch machen könnte. Sie haben ihren Spieß, ihren Cramer, ihren Lafontaine, in neuerer Zeit hauptsächlich ihren Clauren.[264] Alles liest, aber unschädliches Zeug, das ihren Verstand ganz gelinde affiziert, Gespenstergeschichten, Mordtaten, Räuberhistorien, Heiratsaffären mit vielem Geld etc.«
»O Gott! weiter nichts? so kommen also unsere größten Geister, ein Schiller, ein Goethe, ein Tieck nicht unter das Publikum?«
»Behüte! Schiller kennen sie zur Not vom Theater her, aber er ist meist zu hoch für sie, eigentlich zu gut. Von Goethe, Tieck, Jean Paul weiß man nichts. Sie haben für die Ewigkeit geschrieben, aber nicht für unser Volk.«
Conticuere omnes, intentique ora tenebant.
»Wertester!« sprach mein Freund zu mir, als wir die Treppen meines Hauses herabstiegen, »Sie würden sich sehr irren, wenn Sie glaubten, es gäbe nur in höhern Ständen ästhetische Gesellschaften. Jene herrlichen Tees, wo feingebildete Menschen sich über die neuesten Erzeugnisse der Literatur besprechen, finden sich, nur unter anderer Form, auch unter den gemeineren Leuten. Wie jene mit dem Teewasser eine neue Novelle oder einen Sonettenkranz einschlürfen, so haben diese ihre eigenen Schriftsteller, welche sie beim Biere mit derberem Stoffe bewirten.« – »Und zu einem solchen ästhetischen Biere werden Sie mich führen, Doktor?« – »Gewiß! Der Meister des Hauses, wohin wir wandern, geht alle Nachmittage in die Schenke; seit nun der neue Gesell im Hause ist, wird jeden Nachmittag ästhetischer Klub gehalten. Er ist ein schöner Geist und besorgt mit großer Auswahl die Lektüre. Die beiden Töchter des Meisters und einige Freundinnen aus der Nachbarschaft bilden den Damenzirkel; sie stricken oder nähen, trinken dünnen Kaffee dazu, den die Mädchen unter sich bezahlen, und eine von ihnen hat das Amt des Vorlesers; denn der neue Gesell arbeitet streng an seinen Schuhen fort; sein Geschäft beschränkt sich darauf, den Zirkel auf die Schönheiten des Gelesenen aufmerksam zu machen. Er und der Leipziger trinken Bier. Ich war schon einigemal in diesen Klubs; natürlich hüte ich mich wohl, in die Schönheiten ihrer Literatur einen Zweifel zu setzen. Ich staune und bewundere mit ihnen; und so bin ich wohl gelitten in diesem Kreise und darf es wagen, Sie einzuführen.«
Wir standen vor der Türe und horchten; aber das war kein fröhlicher Leseklub! Ich sah den Doktor ängstlich an, denn deutlich hörte man ein vielstimmiges Schluchzen und Weinen; es wurde mit jammernder Stimme etwas gelesen; wir strengten unsere Ohren an, aber vernahmen nur Gestöhn und tiefes Herzseufzen.
»Ha! Sie lesen etwas Tragisches!« rief mein Freund. »Das ist köstlich; nur zu! Wir wollen ihr Pathos beobachten.« Er machte rasch die Türe auf; welch sonderbarer Anblick! Auf einer Erhöhung saß der Leipziger und heulte laut; es wollte ihm beinahe das Herz abdrücken, und sein Lieblingsdichter hatte für diesen Zustand gesorgt. Neben ihm saß der neue Gesell; sein Schmerz war nicht minder tief, aber er beherrschte ihn mit männlicher Festigkeit; doch auch ihm hing eine Perle in den Wimpern. Auf der Seite saßen fünf oder sechs hübsche Mädchen, unter denen ich Karolinchen sogleich erkannte; sie schienen einem geliebten Toten ein letztes Opfer zu bringen, denn sie wischten mit den Schürzen ihre schönen weinenden Augen, und in ihren Mienen war ein so wahrer Ausdruck von Kummer und namenlosem Jammer, daß ich über die Tiefe ihrer Empfindungen staunte.
Sie nickten uns zu, wir nahmen schweigend Platz. »Tu nur nicht so erschrecklich, Leipziger!« sagte der neue Gesell mit dumpfer, gebrochener Stimme. »Sie wird ja bald vollends ausgerungen haben, die arme Seele; machen Sie nur gefälligst weiter, Jungfer Köhlerin.«
Diese wischte ihre Tränen ab, die wie ein Wasserfall herabrollten, und las mit zitternder Stimme weiter.
Sie hatte geendet und legte schnell das Buch nieder; die Mädchen weinten noch etwas weniges in der Stille fort; der Leipziger aber vertrank seinen Schmerz in einem mächtigen Zuge Bieres.
»Wir sind heute leider zu spät gekommen, um noch etwas von Ihrer Lektüre profitieren zu können. Was haben Sie heute gelesen?« – »Rochus Pumpernickels Tod;« antwortete der neue Gesell. »O, Herr Doktor, das ist eine so grausam rührende Geschichte, als im ganzen Evangelium keine steht!« – »So? A. v. S. macht auch rührende Geschichten?« fragte jener weiter. »Ich habe bisher geglaubt, er sei immer nur fröhlich und heiter und lasse seine Leutchen heiraten, nebst schöner Mitgift von ein paar Milliönchen?« – »Ja, wir haben es anfangs auch geglaubt,« entgegnete Karolinchen; »es ging so hübsch[266] und fröhlich an.« – »Das ist gerade das Schöne, daß man glaubt, es komme alles so freudig wie immer, und dann kommt es auf einmal hageldick mit dem Unglück. Das ist um so rührender, daß einem die Tränen unwillkürlich laufen; ach, und wie wahr ist es! Nicht alle Liebenden können ja glücklich werden! Dies beweist ja der Siegwart und Werthers junge Leiden, die ich in Mannheim gelesen habe, und viele andere rührende Historien. Und sieht man es nicht alle Tage?« setzte er gerührt hinzu, indem er nach Karolinchen blickte. »Wie viele zärtliche Liebschaften hat schon das grausige Schicksal getrennt!«
Karolinchen weinte still; der Leipziger aber schlug mit dem Hammer auf den Absatz eines Stiefels, daß es Funken gab. »Den Kerl, den Alten soll der Teufel holen; er ist an allem schuld, der heimtückische Sackermenter; hier möcht' ich ihn haben, zwischen meinen Knieen, ich wollte ihn hämmern wie Sohlenleder!« – »Ja, der ist an allem schuld,« klagten die Mädchen. – »Sie lieben also diesen Schriftsteller?« fragte ich. »Sie scheinen ihn allen andern vorzuziehen?« – »Gewiß!« sagte der neue Gesell. »Sehen Sie, es mag wohl sonst noch Dichter geben; aber sie sind nur für die vornehmen Leute, sie sind uns zu hoch; da ist nun A. v. S. gerade recht für uns, so gemein wie er schreibt keiner. Ihn verstehen wir; wenn er etwas sagt, so weiß man auch, was er will. Ich kann Ihnen versichern, es ist mir oft, wenn ich ihn lese, als säße ich im Bierhaus, und mein Kamerad, der Straubinger oder der Hamburger, erzählte mir eine schöne Geschichte.«
Ich sah mich nach meinem Freund um, er saß ganz ernsthaft da und rief alle Augenblicke aus: »Es ist zum Erstaunen!«
»Und Kernmädchen hat er,« fuhr der große Kritiker fort, »so schön und köstlich, daß einem ordentlich der Mund wässert. Nicht wahr, ihr Jungfern?«
Die Mädchen erröteten, doch, was sie sich lächelnd in die Ohren flüsterten, mochte den Satz des Leipzigers nicht umstoßen.
»Vox populi, vox Dei!« sagte ich. »Denken viele Leute so wie Sie?« – »Ich bin weit herumgekommen,« erwiderte er mit Feuer, »aber überall fand ich die gleiche Liebe für diesen Mann! Alle Handwerksburschen von Bildung lassen sich für ihn totschlagen.«
Der Doktor stand auf, er mochte glauben, ich habe jetzt genug gehört, um seine Behauptung bestätigt zu finden. Wir nahmen Abschied von diesem ästhetischen Klub und gingen. Unter der Haustür nahm er meine Hand. »Nun, was meinen Sie?«[267] sagte er, indem Spott und Hohn um seinen Mund, aus seinen Augen blitzten. »Glauben Sie jetzt, daß auch in Deutschland ein Schriftsteller allgemein werden könne? Was wollen Sie mit Ihren Franzosen, die ihren Voltaire hinter dem Pfluge lesen und von den Reden eines Foy in den ärmlichsten Hütten begeistert sind? Kann nicht auch bei uns ein großer Geist durchdringen und ein Mann des Volkes allgemein werden?« – »Ja,« erwiderte ich und drückte ihm die Hand, »er kann es, wenn er es versteht, gemein zu sein.«
Ein Bruchstück.
Vorwort an Madame J. Floret,
Eigentümerin des Hôtel de Flandre, Rue Notre Dame des Victoires à Paris.
Sehr verehrte Frau!
Sie gehören unter die wenigen Menschen, die mir auf mein ehrliches Gesicht hin und ohne andern Schein als etwas Scheinheiligkeit getraut haben, und ich würde Ihre trefflichen Eigenschaften, ein gutes Herz, nachsichtige Augen, ein offenes Ohr und einen für Rue Notre Dame des Victoires hinlänglichen Verstand, öffentlich gemacht haben, auch wenn ich es Ihnen nicht versprochen hätte.
Als ich, versehen mit allem, was ein mutiges, junges Herz unterstützt, in Ihr Haus trat, da dachte ich freilich nicht, es einst so plötzlich verlassen zu müssen; doch wäre auch jene Begebenheit schon damals vor meiner ahnungslosen Seele gestanden, an eine so romantische, samaritanische, beinahe unglaubliche Zuversicht einer Eigentümerin eines Hotel garni hätte ich nie geglaubt.
Ich vergesse jenen Abend nie, als ich vor Schrecken, Unwillen und Angst beinahe leblos, bei Ihnen eintrat, nach meiner Rechnung fragte und Ihnen gestand, daß ich abreisen müßte. Ich hatte von allem gemünzten Gold, das auf der Erde umherrollt, noch zwei Zwanzigfrankstücke, von dem ungemünzten in Barren, Gefäßen und Geschmeiden einen Ring, und alles übrige Schätzbare bestand in einigen Kleidern, welche rechtlicherweise noch nicht mein gehörten.
Ihr Scharfblick, verehrte Frau, oder nenne ich es lieber barmherzigen Instinkt? kurz, jene unbegreifliche Ahnung sagte Ihnen in einem Augenblicke alles; Sie schlugen das wohlbekannte Buch von grünem Saffian auf, Sie lispelten freundlich: vierhundertundfünfzig Frank, und ich wiederholte mit bebender Zunge: vierhundertundfünfzig! Und als ich Ihnen dann meinen Kummer auseinanderzusetzen wagte, wie gütig waren Sie da, wie mütterlich besorgt fragten Sie nach den kleinsten Umständen!
Genug! Sie haben mir aus einer Verlegenheit geholfen, die, so klein sie dem Namen nach sein mochte, für mich in jenem Drang der Umstände niederdrückend, schmerzlich war. Es war in meinen Augen, obgleich ich gewiß war, schon im folgenden Monat meine Schuld tilgen zu können, nichts anderes als ein Geschenk; denn konnten Sie wissen, daß ich ehrlich genug sein werde, die Summe heimzuzahlen? Und mit welcher Urbanität wußten Sie es zu bieten! Wie fein wußten Sie der peinlichen Notwendigkeit, eine Wohltat annehmen zu müssen, alles Drückende zu benehmen! Es ist heute ein Jahr seit jenem Abend verflossen, aber noch heute steht jedes Ihrer Worte deutlich und wie gedruckt vor meiner Seele. »Es haben schon viele deutsche Doktoren bei mir gewohnt,« sprachen Sie, bald auf Ihr Buch, bald auf mich blickend, »meistens au cinquième und quatrième, Sie sind der erste gewesen au second; alle haben geraucht wie Sie, alle haben schlecht Französisch gesprochen, alle verlangten anfangs ein Kopfkissen von Federn statt meiner trefflichen Rollen von Roßhaar, keiner von ihnen konnte mit dem Kaminfeuer zurecht kommen, fast alle schrieben den ganzen Vormittag, oft bis vier Uhr, und Gott weiß, was sie geschrieben; aber alle waren redliche, ehrsame Leute und mir, ich gestehe es (ihre runden Köpfe und blonden Haare abgerechnet), lieber als meine jungen Landsleute, die über einen unpolierten Nagel an der Wand eine Stunde sprechen können und doch nicht mehr wert sind, als daß man sie daran aufhänge. Ich habe gehört,« fuhren Sie fort, »daß alle diese jungen Herren, wenn sie nach Deutschland zurückkehren, unsere schöne Hauptstadt in Büchern beschreiben und weitläufig erzählen, was sie daselbst gehört und nicht gehört, gesehen und nicht gesehen haben. Mein Vetter, Doktor Q–, Sie müssen ihn oft bei mir gesehen haben, und die Leute behaupten, er sehe mir ähnlich, obgleich sein Teint dunkler ist als der meinige, nun dieser Vetter ist Mitarbeiter am Globe, und es ist nicht die schlechteste Zeitung, die in Paris gelesen wird. ›Die Deutschen, Madame,‹ sagte er mir oft, ›sind in der[269] Gesellschaft nicht zu gebrauchen, aber die Feder ist ihre Zunge; sie sind treffliche Leute mit der Feder und in der Tat gelehrt; ihre Literatur fängt an, bei uns bekannt zu werden, und es ist nicht das Schlechteste, was wir vom Auslande empfangen.‹ So sprach er oft, und meine Achtung vor Ihren Landsleuten stieg.
»Monsieur Off,« fuhren Sie fort, denn mein Name war Ihnen nicht geläufig, »Sie haben viel geschrieben, solange Sie auf Nr. 15 im Hotel de Flandre waren. Doktor K., Ihr Landsmann, hat mir auch versichert, daß man schon einige von Ihren Schriften gedruckt habe; Monsieur Off, gegen einen solchen Mann kenne ich meine Pflichten, und diese Rechnung (Sie machten einen dicken Strich dadurch) soll Ihnen nicht länger beschwerlich fallen; aber Sie werden auf Ihrer Seite auch so gütig sein, meiner und meines Hauses in Ihrer nächsten Schrift zu erwähnen, und ich weiß, diese vierhundertundfünfzig Frank werden mir dann schöne Zinsen tragen.«
Wahrlich, verehrte Frau, noch zur Stunde kann ich nicht glauben, daß es Ihnen mit jener Bitte ernst war; denn wer von meinen Landsleuten wird gerade deshalb, weil ich dort wohnte, Ihr Hotel beziehen? Dies Buch, vor welches ich Ihren Namen setze, Sie selbst können es nicht lesen, und Jean, le garçon, spricht zwar die Worte Brot, Schnaps, Salz, Wein, Wurst, Bett, die er auf seinen militärischen Durchreisen bei uns zu lernen die Gnade hatte, deutlich genug aus; aber auch er wird unsere Buchstaben so wenig lesen können als die gotischen Charaktere an den Butiken der deutschen Schneidermeister, die ihn oft zu Verwünschungen steigerten. Vielleicht wohnt irgend einer meiner Landsleute au quatrième, und in diesem Fall können Sie sich einige Kapitel übersetzen lassen, vorausgesetzt, daß Sie sein ang und ong verstehen.
Auf jeden Fall aber müssen Sie sich durch Ihren gelehrten Vetter von der Redaktion des Globe ein Certifikat verschaffen, daß à la tête dieser Schrift wirklich eine Zueignung an Sie zu lesen ist, denn Sie könnten glauben, dadurch, daß ich darauf bestand, meine Rechnung zu tilgen, habe ich mich von meinem Wort und einer angenehmen Pflicht losgesagt. Wem könnte ich ein Buch, in dem meine Landsleute flüchtige Zeichnungen der Sitten Ihres und meines Volkes finden sollen, würdiger zueignen als einer liebenswürdigen Repräsentantin des neuen Frankreichs, einem Kinde der Revolution, das, obgleich so weit entfernt von Politik als vom Studium der Geographie, die Abschnitte seines Lebens nach den Leiden und Freuden seines[270] Vaterlandes zählt? Sie wurden von der Sturmglocke des dreizehnten Vendemiaire aus Mutterleibe geläutet; als Bonaparte sich die Krone Karls des Großen auf die Stirne setzte, warf Sie, Neugierige, eine Volkswelle an die Treppe des Hôtel-Dieu; die Stirnnarbe, die Sie davontrugen, ist noch nicht verschwunden, aber sie steht Ihnen gut, und Sie wissen es. Bald fluchte Ihr junges, der Liebe erschlossenes Herz Cäsarn und seinem Glück, denn Ambroise, der hübsche Kommis aus der Rue Montmartre, sollte als Voltigeur helfen Rußland erobern, und bald beweinten Sie Frankreich und sich – Ambroise mit erfrornen Beinen konnte nicht wieder über die Beresina voltigieren. Monsieur Floret war Ambroises Nachfolger in der Wohnung Ihres Herzens; jedoch erbte er nicht das ganze Appartement, er mußte sich mit einer Kammer begnügen, die andern blieben für Ambroises Andenken verschlossen. Alle Kammern konnten sich indessen nicht enthalten, bange zu klopfen, als Herr Floret im Kleide der Pariser Nationalgarde, Gewehr im Arm, Abschied nahm, um an die Barriere zu fliegen, und Sie – zum letztenmal umarmte, ehe er unter Blüchers erstem Kanonendonner wiederkam. Frankreichs Geburtswehen beschleunigten Ihr Glück. Sie stiegen mit Ludwig XVIII. auf den Thron des Zahltisches und saßen ungleich fester, denn Sie bedurften seitdem keiner Restauration; ja, Herrn Florets Tod, der an dem Tage, wo der alte Lilienstengel eine junge Knospe trieb, zu Père la Chaise schlafen ging, statt ihn zu erschüttern, diente dazu, ihn zu befestigen. – Leben Sie wohl auf Nimmerwiedersehen; einfache und – meine Landsmänninnen mögen die Nase rümpfen, so viel sie wollen – tugendhafte Frau; Ihr Andenken soll mich begeistern, wenn sich die liebenswürdige Seite Ihres Volkes mir zuwendet, ich werde sie aufsuchen und mit Liebe aufsuchen, und ewig sollen mir die Worte unvergeßlich bleiben, die Sie im Augenblicke des Abschieds, anfangs in einem Tone, als seien Sie die Sprecherin Ihrer Nation der meinigen gegenüber, dann mit zitternder Stimme und mit feuchtem Auge sprachen: »Monsieur, ich achte Ihre Nation, und diese Achtung hat sich vermehrt, seitdem ich die Ehre hatte, Sie kennen zu lernen. Reisen Sie glücklich, und kommen Sie schnell wieder in das schöne Frankreich, wenn Sie zu Hause friert – car je suppose, qu'il n'y a pas loin de chez vous aux glaces, où mon pauvre petit Ambroise a péri.«
Es sind schon so viele Reisen nach Paris geschrieben und gedruckt worden, daß man eine eigene Bibliothek davon errichten könnte, und es scheint, es sei eine sehr überflüssige Mühe, nach der tausendsten noch die tausendunderste herauszugeben; dennoch kann keinem Reisenden das Recht bestritten werden, seine eigene Reise zu beschreiben, so wenig als einem verboten werden könnte, seine Biographie oder Reise durchs Leben herauszugeben, weil er etwa nur Nachtwächter, Doktor der Philosophie und nicht König, Kaiser oder Goethe war; jeder lebt, denkt und reist anders als sein Vordermann, und es kommt am Ende weder auf die Reise, noch auf die Beschreibung, sondern darauf an, ob einer etwa so viele Leser findet, als ich mir wünsche.
Vergebens würde übrigens einer aus meiner Reisebeschreibung zu berechnen hoffen, wie viele tausend Taler ein junger Mann etwa in einem Monat brauchen könnte, wo die besten Nachtlager und die teuersten Mittagessen, wo die höchsten Türme und die breitesten Straßen seien. Vergebens wird einer, der töricht genug ist, sie als Guide des voyageurs mitzunehmen, nach andächtigen Empfindungen und richtigen Notizen über irgend ein bedeutungsvolles Monument blättern; ich schreibe weder zur Erbauung noch zur Bereicherung der Geographie, ich dränge niemand meine Empfindungen auf, denn jeder hält am Ende doch seine eigenen für die besten; ich will nur wiedererzählen, was ich gehört habe, nur einiges Vorübergehende, aber Bedeutungsvolle, was andere nicht gesehen haben, will ich beschreiben.
Darunter gehört zum Beispiel nicht das Städtchen Saarlouis, sondern die Leute, die von dort aus in dem Metzer Eilwagen mit mir fuhren; obgleich es beinahe so viele Geschichten von Postwagen gibt als Gespenstersagen und Lichtkarzmärchen, so bin ich doch versucht, von einigen dieser Personen zu sprechen.
Ich saß in einer Ecke und mußte es mir gefallen lassen, wenn mich die übrigen so aufmerksam betrachteten wie ich sie; es ist mir übrigens gewiß nicht zu verargen, wenn meine Blicke hauptsächlich auf einer jungen Dame mir gegenüber hafteten, von deren Antlitz ich freilich nichts sah als eine dunkle Locke und ein glänzendes Auge; denn eine große Kapuze, welche sie am Mund mit einem Tuch verschlossen hielt, umhüllte den Kopf; daß sie jung sei, sagte mir nicht nur die schlanke Taille, die Behendigkeit, womit sie in den Wagen gestiegen war, sondern auch ein gewisser Aberglaube, denn meine Base in Frankfurt hatte[272] mir prophezeit, ich werde mit einer schönen jungen Dame nach Paris fahren. Ich bemerkte, daß ihr die Stellung der nächsten vier Füße unbequem sei, machte ihr Raum, konnte aber nicht verstehen, in welcher Sprache sie mir dankte, denn ich hatte bei dem Manöver einen dicken Mann, ihren Nachbar, auf seinen Leichdorn getreten, und er brummte vernehmlich und deutsch. Es war morgens vier Uhr, die Luft kühl, aber gegen acht Uhr mußte nach meiner Rechnung der Nebel und mit ihm die Kapuze der schönen Nachbarin fallen.
Ein Mann mit kühnem, dunklem Gesicht und schwarzen Falkenaugen, einem schon ins Graue spielenden Bart um die Oberlippe, saß in der anderen Ecke neben dem dicken Mann. »Ein echt französisches Gesicht, ein Offizier,« dachte ich, »und zwar einer von der alten Armee und auf halbem Sold, denn seine Kleidung ist etwas ärmlich, er sieht unzufrieden aus und will wahrscheinlich die Ehrenlegion Heinrichs IV. nicht tragen, denn er hat kein Band im Knopfloch. Welche Gedanken sprechen aus diesem dunkeln Auge! Dieselbe Straße nach Deutschland ist er in der Revolution als junger feuriger Patriot, nachher als Offizier des Kaisers, vielleicht an der Spitze eines Regiments gezogen! Auf diesem Wege vielleicht hat er seine tapfern Truppen aus den Feldzügen von Sechs und Neun zurückgeführt! Jetzt bezeichnet ihm diese Kaiserstraße nur noch wehmütige Erinnerungen ehemaliger Größe; noch lange nicht ist seine ganze Generation ins Grab gestiegen, und doch ist alles dahin vorangeeilt, was ihnen groß und teuer war, und dieses schöne Frankreich deucht ihnen ein großer Kirchhof, wo ihr Ruhm und ihre Hoffnungen begraben liegen und auf eine frohe Urständ warten.«
Der kleine junge Mann an meiner Seite könnte etwa ein angehender Kaufmannsdiener sein; in meinem Herzen halte ich ihn aber für einen deutschen Schneider, der nach Paris reist, um sich auszubilden. Noch gibt es einen jungen Menschen in einem blauen flandrischen Hemde an der Seite meines Nebenmannes; er schläft schon und ist seinem Gesicht nach unbedeutend.
Bis jetzt wurde noch kein deutliches Wort unter der Gesellschaft gewechselt. Nach und nach schlafen die meisten, nur das Auge der jungen Dame sehe ich hie und da aus der Kapuze leuchten.
Fünf bis sechs Uhr morgens.
Der dicke Mann schnarcht schrecklich; sein Kopf droht auf die Schulter der jungen Dame zu sinken, ich bringe ihn durch einen kleinen Fußtritt zu sich selbst, er fährt auf, setzt sich zurecht,[273] schläft wieder ein und schnarcht von neuem. Seine Bewegung hat den französischen Oberst erweckt; er sieht sich unzufrieden und stolz um. Es gefällt mir nicht, daß er eine ungeheure Dose von Horn hervorzieht und schnupft; er schläft bald wieder ein.
Die Morgenluft weht immer kälter. »Soll ich vielleicht das Fenster vorziehen? Wird es Ihnen nicht zu kalt?« fragte ich so freundlich als möglich die junge, schöne Dame und denke erst bei »zu kalt« daran, daß wir längst auf französischem Boden sind und Mademoiselle kein Deutsch verstehen wird. Aber sie antwortet mit heller, wohltönender Stimme, jedoch ohne die Kapuze zu lüften: »Wenn es Ihnen selbst nicht zu kalt wird, danke ich; ich bin wohl verwahrt.«
Also eine Deutsche, dachte ich, nun, um so besser, da werde ich doch so bald unsere Sprache nicht verlernen. »Ihr Nachbar, mein Fräulein,« fuhr ich fort, »ist wohl etwas unbequem für Sie; der Wagen ist zu enge, als daß ein solcher Koloß mit Recht in der Mitte sitzen dürfte.«
»Und doch möchte ich ihn noch weniger zum Tete-a-tete,« erwiderte sie.
Ich errötete beinahe über diese Artigkeit und war doch eitel genug zu fragen: »Und warum?«
»Ich denke, ein schlafender Koloß würde nicht so artig sein, auf meine Bequemlichkeit Rücksicht zu nehmen.«
Ich weiß nicht, ob sie mir wirklich dadurch für ihre Sicherstellung vor den breiten Hufen des dicken Mannes danken wollte, aber ich verbeugte mich, murmelte etwas von Schuldigkeit gegen Damen und war in demselben Augenblicke wieder unmutig über mich selbst; weil sie doch vielleicht mich nicht gemeint hatte, ließ die angeknüpfte Unterhaltung fallen und suchte wie ein gleichgültiger Reisender auszusehen, obgleich noch mancher Streifblick an dem glänzenden Auge der jungen Dame vorüberflog.
Sechs bis sieben Uhr.
Die Pferde werden gewechselt; die Schlafenden erwachen und starren mit glanzlosen, schläfrigen Augen auf einige zerlumpte Weiber und Kinder, die mit ihrem kreischenden Patois und ihren Holzschuhen einen unangenehmen Lärm machen. Der Oberst zieht an einem alten ledernen Riemchen eine silberne Uhr aus der Tasche, und ich denke, er müsse seit der Restauration sehr zurückgekommen sein. Der dicke Mann hat ein unerträglich dummes Gesicht, und wenn ich ihn nicht für einen Viehhändler[274] halte, so ist nur seine reinliche Kleidung schuld; ich mache ihn zu einem holländischen Krämer. – Man fuhr weiter, und aufs neue zogen mich die melancholischen Züge des Obersten an. Er sang ganz leise vor sich hin ein Liedchen, das er mit den Silben »Leon« und einem tiefen Seufzer endete; ach! es war Napoleon, sein Held, sein Kaiser, von welchem er sang! Jetzt zog er eine Schreibtafel heraus, die, ich muß es gestehen, ein wenig schmutzig und verbraucht war; aber nur um so interessanter schien sie mir, denn sie war wohl ein Andenken an einen gefallenen Kameraden; er hatte, stellte ich mir vor, als er einst nachts beim Mondlicht über das Schlachtfeld ritt, die bleichen Züge seines Freundes erkannt, er schwang sich vom Pferd, kniete nieder zu ihm, rief mit schmerzlichen Tönen seinen Namen, aber jener hörte nicht mehr, die bleichen Lippen, die er küßte, sie konnten seinen Abschiedsgruß nicht erwidern. Da nahm er mit einer männlichen Träne jenes Andenken, und es hat ihn in Glück und Unglück begleitet. Ich sah wieder nach ihm hin; er warf bald nachdenkliche Blicke über das Land hin, bald zeichnete er mit fester Hand seine Gedanken auf, und nichts schien mir gewisser, als daß dieser alte Offizier (ich ließ ihn jetzt zum General avancieren) das Land durchfliege, um seine militärischen Erinnerungen aufzufrischen und – seine Memoiren über die Feldzüge der Franzosen zu ergänzen.
Sieben bis acht Uhr.
Die junge Dame ist eingeschlafen oder scheint wenigstens zu ruhen; noch immer ist ihr Gesicht neidisch verhüllt. Der junge Schneider an meiner Seite läßt seinen großen Hummerkopf bald links, bald rechts fallen, ohne aufzuwachen. Aber der junge Bursche im blauen Hemd ist erwacht, und wunderbar! zwischen ihm und dem General oder Oberst entspinnt sich ein Gespräch; ich lausche, aber es ist nicht Englisch, nicht Deutsch, weder Französisch noch Holländisch; am meisten Aehnlichkeit hat es mit dem Italienischen, und ich würde den Offizier für einen Korsikaner oder einen Veteranen der italienischen Armee halten, kämen nicht Worte in ihrem schnellen Gespräche vor, die völlig fremd tönen. Doch muß es wenigstens nicht die Muttersprache des Jüngern sein, denn er scheint sich hie und da auf den rechten Ausdruck zu besinnen, und der ernste ältere Mann weist ihn mit einem leichten Lächeln zurecht. Der dicke Holländer ist jetzt mit tiefem Stöhnen auch erwacht, betrachtet seine Nachbarn einen Augenblick aufmerksam, lauscht auf ihre Sprache und fragt dann langsam und höflich: »Vos este Espanol, Senor?«
Ah! dachte ich, vielleicht ein edler, vertriebener Spanier, vielleicht ein Genosse Minas?
Aber man denke meinen Schrecken, als der Oberst, der General, Empecinados und Minas Genosse, der interessante Mann in österreichischem Dialekt antwortete: »Um Vergebung, wir sind halt böhmische Glashändler, mein Neffe da und ich, und reisen nach Sevilla, wo ich mit Trink- und Tafelgläsern handle.« Und nun erzählte er unerträglich breit und langweilig, daß sein Bruder in Frankfurt einen Glashandel habe, daß Stoffel, der Neffe, daselbst in Kondition gestanden und jetzt auch auf sechs Jahre nach Spanien gehe; wie dort der Glashandel beschaffen sei, und wie viele tausend Trinkgläser sie alljährlich schmuggeln und verkaufen. Ich verwünschte den Böhmaken, seine Adlernase, sein schönes Auge, seinen ehrwürdigen Bart und den holländischen Krämer, der ihn zum Sprechen gebracht; ich verwünschte vor allem meine eigene Torheit, von einem General der alten Armee zu träumen; seine silberne Uhr fand ich jetzt ganz in der Ordnung, in sein schmieriges Souvenir schrieb er keine erhabenen Erinnerungen, sondern Kunden und Gläser ein, und wenn er mit dem melancholischen Auge über das Land hinstreifte, setzte er Kaisergulden in Dollars, und schlechte Konventionskreuzer in schlechtere Maravedis um. Ich schämte mich, in der Physiognomik noch so weit zurück zu sein; denn jetzt hatte der alte Kerl allen Schimmer der Einbildungskraft verloren und erschien mir, genauer betrachtet, wie ein ganz gewöhnlicher böhmischer Musikant, wie man sie, gelb und sonnenverbrannt, mit dicken Bärten und dunkeln Augen umherziehen sieht; um ihn nicht zu sehen, schloß ich die Augen und drückte mich in meine Wagenecke.
Acht bis neun Uhr.
Das Auge der schönen Dame glänzt wieder, aber der Wind mag ihr noch zu heftig sein, sie hat die Kapuze noch immer nicht zurückgeschoben. Der dicke Mann sucht ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen, aber sie antwortet einsilbig, und diese Zurückhaltung freut mich, denn ich kann den feisten Holländer, seit er Spanisch sprach, noch weniger leiden als zuvor. Er fährt übrigens mit großer Ruhe fort, ihr den Namen jedes Dorfes zu nennen, das man an der Landstraße sieht, und weiß einige Anekdoten von dem Maire von Fouligny, welches eben hinter uns liegt, zu erzählen. Dabei lacht er aber immer zuerst, legt, wenn die Schneide der Anekdote kommt, seine Hand zutraulich auf den Arm der jungen Dame, um sie gleichsam einzuladen, sich ebenfalls mit ihm und[276] den Böhmen halb tot zu lachen, und hält es für keine Beleidigung, wenn sie (offenbar mit einem Seitenblick auf mich) unwillig ihren Arm zurückzieht.
Der dicke Mann befand sich gerade mitten in einer Geschichte, die zu meiner großen Besorgnis für das zarte Ohr der jungen Dame etwas obscön zu werden drohte, als man hinter dem Wagen einigemal heftig: halte! postillon! halte! rufen hörte; zugleich jagte ein Reiter vorüber, der einen großen Brief emporhielt. Der Wagen hielt, Kondukteur und Postillon fluchten; der erstere schwang sich nach einigem Wortwechsel von seinem Imperial herab und trat dann mit dem großen Brief an unserem Schlag herauf, musterte die Gesellschaft aufmerksam, zog seine Mütze und bot den Brief herein. Ich saß zunächst, nahm ihm den Brief aus der Hand und las die Ueberschrift: A monsieur, monsieur le Comte Blankenspeer, à Saarbruk, poste restante, citissimo. Da stieg der schlafende Schneider auf einmal bei mir im Preis, denn niemand anders konnte der Graf sein; des Kondukteurs allons, monsieur! und ein Stoß, den ich ihm in die Seite gab, weckten ihn; ich überreichte ihm den Brief, er starrte ihn gedankenlos an und gab ihn dann kopfschüttelnd und murrend zurück. Der Kondukteur wurde ungeduldig über die Zögerung: »Allez, messieurs,« rief er, »qui est donc monsieur le Comte de Blanquesepère?«
»Ist der Brief an mich?« fragte der Holländer verwundert, riß ihn mir aus der Hand, las flüchtig die Adresse – und erbrach das Siegel. Schnell zog er darauf die Börse, befriedigte den Kurier, den man ihm nachgeschickt hatte, und der Wagen fuhr weiter. Aber ich – sah mich zum zweitenmal getäuscht, und um so bitterer, als der Herr Graf zwar nach wie vor die Miene eines holländischen Käsekrämers behielt, aber das Mädchen mit den schwarzen Augen es jetzt gar nicht mehr bemerken zu wollen schien, daß seine Hand schwer auf ihrem runden Arme ruhe; ja, zu meinem Aerger lachte sie sogar einigemal mit heller Stimme auf, als der Herr Graf die Gnade hatte, einige Schnurren aus seinem Leben zu erzählen.
Von neun bis zehn Uhr.
In Courcelles wurde zum Frühstück angehalten. Wir traten in das freundliche Zimmer, wo bereits auf dem großen Roste die Kotelettes knisterten; die Männer legten Mützen und Mäntel ab; das Gewölk, das um das Haupt der Jungfrau hing, zerriß plötzlich, und mir war, als erwache ich jählings aus einem schmeichelnden Traume. Wer sah nicht schon ein unbekanntes[277] Schloß aus dem Morgennebel tauchen? Man mustert es; es ist bewohnt, ist nicht übel gebaut, ist vollständig unter Dach, aber der Totaleindruck, und hier eine Efeuranke, dort eine unvermauerte Ritze, hier ein Krähennest, dort ein schlimmer, einspringender Winkel am Dachstuhl verkünden laut, es habe seine schönste Zeit gesehen. Wenn ein solcher Zustand einer Baulichkeit herkömmlichermaßen etwas Poetisches hat, so war der analoge Zustand meiner Reisegefährtin nur zu sehr geeignet, mich in die platte Wirklichkeit zurückzuwerfen; kurz, ich hatte ein ziemlich erhaltenes Exemplar einer alten Jungfer vor mir, und die schönen, schwarzen Sterne, die Verführer meiner Einbildungskraft, und die Reminiszenzen einer Jugendblüte, die keine Frucht getragen, preßten mir jetzt nur den Seufzer aus: warum kann man solche Brillanten nicht aus der alten Hülse brechen und modern fassen lassen? Wie mancher Seigneur châtelain mit jedem Quader, der von den Zinnen seines Erbsitzes in den Graben stürzt, froher und lebenslustiger wird, so war meine Unbekannte, wie dies so gewöhnlich ist, mit den Breschen, welche in den Wall ihrer Zähne gefallen waren, regsamer, ihre Zunge geläufiger geworden; denn kaum hatte sich der General-Glashändler einen Zipfel der Serviette in das Ordensknopfloch gesteckt, kaum standen die duftenden Kotelettes auf dem Tisch, so sagte mir die Kadenz ihres quiekenden Sprachinstruments, daß sie eine meiner südlichen Landsmänninnen aus den Grenzmarken von Schwaben und Franken sei, und ungefragt gab sie uns zum besten, wie sie ihren Herrn Bruder, den Kaufmann Morgenstern zu Paris, in einer wichtigen Angelegenheit besuche. Ihr Herr Bruder habe im vorigen Jahre durch die grobe Unwissenheit der französischen Hebammen den Stammhalter des französischen Zweiges des Morgensternschen Hauses verloren; da nun jetzt wiederum nahe Hoffnung zum Aufgang eines neuen Morgensternes sei, so habe er sich entschlossen, trotz der französischen Erziehungskunst, trotz der Protestationen von Madame, denselben à l'allemand aufgehen zu lassen, und deshalb sie, seine Schwester, berufen, die durch langjährige Praxis sich damit vertraut gemacht habe, wie in der Morgensternschen Familie die Sauglappen gebunden und der Kinderbrei gebraut werde. Zur Bekräftigung ihrer Aussage und damit in keinem Winkel unserer Herzen ein Argwohn über ihren wahren Charakter bleibe, teilte sie uns mit triumphierender Miene lithographierte Karten aus, auf denen in gotischen Buchstaben zu lesen stand: Jules Morgenstern, marchand tailleur, palais royal, galerie de[278] bois No. 65 à Paris etc. Unter diesem interessanten Gespräch ging das schmackhafte Frühstück vorwärts, alle Details einer deutschen Wochenstube wurden besprochen und mit den französischen Instituten derselben Art verglichen. Der Herr Graf, überhaupt ein sehr leutseliger Herr, ging mit Herablassung und Sachkenntnis in die populäre Materie ein, und selbst die Böhmen fanden beim Artikel der Milchgläser und Saugflaschen Gelegenheit, ein kritisches Wort anzubringen. Auf diese Weise war die Genesis sämtlicher gräflich Blankenspeerschen und Schneider Morgensternschen Sprossen abgehandelt worden, und schon begann ich zu fürchten, daß nun die Reihe an die böhmische Deszendenz kommen möchte, als sich der Kondukteur den Mund wischte, und Madeleine mit ihrem Teller und ihrem: Messieurs, n'oubliez pas la fille! das Zeichen zum Aufbruch gab. –
Berlin, den 18. September 1826.
Mein lieber Vetter!
Entweder kommt dieser Brief vor Deiner Hochzeit zu Dir, oder er kommt gerade recht dazu oder nachher. In beiden ersten Fällen begünstigt mich der Zufall, im letztern wirst Du auch post festum den guten Willen für die Tat nehmen. Ich möchte Dir nämlich recht viel Glück und Segen in diesem Stande wünschen, und diese, Du hast sie ja schon, sollen lange und ungetrübt bei Dir verweilen. Wie ich noch klein war, dachte ich mir das Heiraten als eine sehr leichte Sache und wußte nicht, warum die Leute so viel Wesen davon machen und sogar in die Kirche gehen. Ich dachte, sie ziehen zu einander, die beiden Brautleute; er sorgt dafür, daß Geld ins Haus kommt, und sie kocht ihm dafür allerlei, was er haben mag, und hält Haus. Es ging mir aber damit wie mit dem Konfirmieren. Auch bei diesem Aktus kamen mir die Menschen und ihre Zeremonien wunderlich vor; die Knaben und Mädchen blieben ja, was sie waren, und wuchsen unter der Hand des Pfarrers um keinen Zoll. Als ich aber selbst dabei war, da ging es mir in einem andern Lichte auf. Ich tat einen kurzen, aber ernsten Blick aufwärts und dann ins Leben vor mir, und da kam mir alles so feierlich vor und hatte eine andere Bedeutung gewonnen. Der Pfarrer trug nichts dazu bei, wohl aber ein anderer. So denke[279] ich mir, wird es auch beim Kopulieren sein. Es gibt Augenblicke, wo der Vorhang vor unserer Seele auffliegt, wo wir ahnungsvoll in die Zukunft blicken. Welch reiche Aussicht hat in solchem Moment ein Hochzeiter! Liebe, treue innige Liebe, und Kindtaufschmäuse, und Weihnachtsbäume, die er anzündet und die dennoch auch ihm leuchten, und Spielsachen und das erste Wort des Kindes; und wenn es erst gehen kann, und wenn die Mutter es singen lehrt, singen die einfach schönen Lieder des Vaters, die er der Mutter dichtete in den Tagen der Jugend! Und wenn Deine Blicke weiter und immer weiter hinausgehen, wenn Enkel um Euch spielen und am goldenen Abend singen: »Und als Großvater die Großmutter nahm, da war Großvater ein Bräutigam.« Schöne Aussicht! und wie feierlich wird sie erst, wenn Dein Auge vorüberstreift am Krankenlager, am Kummer häuslicher Leiden, an mancher tränenschweren Stunde, die jedes wartet, so lange er auf der Erde geht. Da faßt wohl Deine Hand mutig die Hand der Geliebten, da schaut getrost Dein Auge in ihr Auge, da denkst Du wohl, geteilter Schmerz ist halber Schmerz. Und Du hat recht; auch Leiden zu teilen mit der Geliebten, muß süß sein, denn unglücklich ist nur der Einsame.
Glück auf den Weg, mein lieber Vetter, Euch kann es nimmer fehlen, denn Eure Seelen haben sich in einem reinen, klaren Element, im Reiche der Töne, gefunden und verstanden, und gehört denn dieses Reich nicht mehr als jedes andere dem Jenseits an?
In meine innigen Wünsche für Dein Wohl stimmen alle Deine Freunde und Freundinnen in Bremen und Berlin ein; Hitzigs und der Frau v. Chamisso mußte ich Deine l. Frau oder Braut wiederholt beschreiben, und die Ohren müssen Euch geklungen haben, als wir in Bremen im alten Rheinwein Euer Wohl ausbrachten.
Wie gerne hätte ich meine Wünsche in einige Reime gebracht, weil nun einmal Karmina üblich bei derlei Gelegenheiten, aber Du weißt, man muß dazu aufgelegt sein, und einem Dichter möchte ich nicht gerne schlechte Verse zur Hochzeit schicken. Nimm mit diesen Zeilen vorlieb und mit einem redlichen Herzen, das Dir Gutes wünscht. Grüße mir Onkel, Tante und Base Luise; Deiner Liebsten aber küsse, Du tust es ja gerne, die schöne Hand und die blanke Stirne im Namen
Eures treuen Vetters
Wilhelm Hauff.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
Korrekturen:
S. 82: einmal → einmal in der Woche (laut älteren Ausgaben)
welche regelmäßig einmal in der Woche des Abends
S. 186: schimmernde → schwimmende (laut älteren Ausgaben)
in Seligkeit schwimmende Bräutchen
S. 244: Sonne → Scene
Diese Scene zog mich an
End of the Project Gutenberg EBook of Wilhelm Hauffs sämtliche Werke i sechs Bänden. Fünfter Band, by Wilhelm Hauff *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WILHELM HAUFFS SÄMTLICHE *** ***** This file should be named 61539-h.htm or 61539-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/6/1/5/3/61539/ Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away--you may do practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. *** START: FULL LICENSE *** THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License (available with this file or online at http://gutenberg.org/license). Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is in the public domain in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country outside the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org/license 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived from the public domain (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg-tm License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided that - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm works. - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. - You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg-tm works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain works in creating the Project Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://pglaf.org While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://pglaf.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.