*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 62358 ***

Neue Novellen

von

Elise Polko.

Leipzig,
Verlag von Bernhard Schlicke.
1861.

»Dem Verfasser des Werkes:
»Die Frauen in der Culturgeschichte«
dem
Oberbibliothekar und Hofrath
Herrn
Dr. G. Klemm
widmet diese »Frauennovellen«
in
herzlicher Verehrung
Elise Polko.

Inhaltsverzeichniss.

  Seite.
Vor hundertfünfzehn Jahren 1745 1
Elisabeth 69
Czinka 187

Vor
hundertfünfzehn Jahren.
1745.

(Ein Skizzenblatt.)

(1860.)

»Euer Stück, Lustspiel benannt, scheint mir in der That nicht übel, junger Freund«, ließ sich der hochberühmte und vielgelehrte Professor der Philosophie und Dichtkunst, Logik und Metaphysik, Johann Christoph Gottsched zu Leipzig, vernehmen, und wandte sich zu einem jungen Studenten, der an seinen Schreibtisch getreten war, während ein Anderer in bescheidener Haltung an der Thür des Studirzimmers stehen geblieben. »Die Redeweise ist rein, die Figuren nicht verzeichnet, ich wüßte nichts Sonderliches gegen Euer Werk zu erinnern, nur muß ich Euch offen gestehn, daß mir ein Trauerspiel allzeit angenehmer denn ein lustiges Stück, und so gefällt mir auch schon aus diesem Grunde das Machwerk Eures Freundes, so er »die Matrone zu Ephesus« benannt, weit besser. Auch schreitet es in Worten und Sätzen ruhig und feierlich einher, und ist ganz nach meinen Regeln aufgebaut, während Euer Stück ohne rechten Zaum und Zügel dahinläuft. Nun ist aber, meines Bedünkens, erst ein gesattelt und gezäumtes Roß zu Jedermanns Nutzen und Frommen da, während ein loslediges Füllen nur sich selber zum Vergnügen daherspringt. Damit Ihr Beide aber nicht die Meinung faßt, ich allein wolle mich zum Richter aufwerfen über Eure Geisteskinder, so mögt Ihr Euch heute um die sechste Abendstunde in den Wohnstuben meiner Frau einfinden. Daselbst wird sich ein Kreis hochgebildeter Frauen und Männer versammeln, denen Ihr selbst Eure Stücke vorlesen könnt. Bringt also Eure Manuscripte wieder mit und seid pünktlich hier!« –

Nach dieser Rede erhob sich der Gelehrte ein klein Wenig von seinem Schreibschemel, grüßte mit der Hand, herablassend wie ein Fürst die beiden Studenten und setzte sich dann, ohne auf deren Abschiedsverbeugungen zu achten, zum Schreiben zurecht. – Die Thür des Arbeitszimmers schloß sich, und man hörte eine Weile Nichts als das Knirschen der Feder, die über das Papier schlich, denn der Professor Gottsched pflegte so langsam zu schreiben als er redete. Er mochte jedoch kaum eine Zeile zu Wege gebracht haben als die Thür sich wieder leise öffnete und ein schöner Frauenkopf hereinschaute. Dem Kopfe folgte eine hohe schlanke Gestalt, die etwas zagend auf den Schreibtisch zuschritt. Auf halbem Wege blieb sie aber stehn und sah ein Wenig furchtsam auf den berühmten Mann, der sich so eben umwandte, einen erstaunten Blick auf die Eingetretene warf und mit dem Ausdruck großer Verwunderung fragte: »Ihr seid es, Victoria Adelgunde, – und zu solch ungewohnter Stunde? Was bringt Ihr?« – »Nichts!« lachte sie heiter und stand mit einem Sprunge neben ihm, die Hand auf seine Schulter legend, »ich komme nur um Euch Etwas zu fragen – aber werdet mir nicht böse ob der Störung.« –

Es geschieht wohl zuweilen, daß eine mitleidige Seele einem armen Gefangenen einmal einen Frühlingsstrauß oder eine Hand voll Rosen in seine Zelle wirft, – just solchen Eindruck machte diese Erscheinung in der großen finstern Gelehrtenstube voll staubiger Folianten, wunderlicher Instrumente, und neben jenem ernsthaften steifen Mann mit der wohlgepuderten Perrücke, der da vor dem Schreibtisch saß. – Der Professor der Logik und Metaphysik selbst mußte, als er in dies Frauenantlitz sah, ein Wenig lächeln, er legte die Feder nieder und seinen rechten Arm um den schlanken Leib der Fragerin, freundlich wiederholend: »Was bringt Ihr – was wollt Ihr denn von mir?« –

»Sagt mir doch, bitte, wer die beiden jungen Leute waren, die da so eben von Euch gingen!«

»Studenten der Theologie – aus denen aber schwerlich etwas Rechtes werden wird, denn sie treiben allerlei Allotria.«

»Aber aus dem mit den großen Augen wird doch gewiß etwas Gutes – wenn auch vielleicht kein Pfarrer. Wie hieß er wohl?«

»Ziemt es sich für die Ehefrau des Professor Gottsched nach den Namen solcher junger Burschen zu forschen? Hat der mit den großen Augen Euch irgend ein Leid angethan?« scherzte der berühmte Mann.

»O nein! Er lief nur etwas hastig die Treppe hinab und ich kam just aus dem Keller, und so hätte er mich fast umgestoßen, er verlor sein Manuscript dabei, – die Blätter flogen um mich her – – und da mußten wir Beide lachen und ich half ihm die Blätter aufnehmen. – Der Andere, glaube ich, stand äußerst verlegen dabei und rührte keine Hand.«

»Wenn er hastig gelaufen, so war das zweifelsohne der Schlimmste der Beiden, nämlich der Studiosus Gotthold Ephraim Lessing aus Kamenz. Ihr hättet Euch den Andern lieber ansehen sollen denn ihn, Frau Victoria Adelgunde, der hat ein wackeres Trauerspiel geschrieben, und war des Ansehens werther. Sein Name lautet Christian Felix Weiße aus Annaberg. Es ist wunderlich daß der sanfte sinnige Mensch so mit Leib und Seele an dem unsteten Burschen, dem Lessing, hängt. Sie wohnen beisammen und sind unzertrennliche Gefährten bei Tag und Nacht. – Beide werden diesen Abend kommen um ihre Dichterversuche zu Gehör zu bringen, Beide haben Stücke geschrieben und hoffen, daß die Neuberin sie auf dem Theater aufführen läßt. – Ich würde aber, so ich mit dem genannten nichtswürdigen Weibe noch ferneren Verkehr pflegte, sicherlich nur dem Trauerspiel des Christian Weiße das Wort reden. Es führt den Titel: »die Matrone zu Ephesus«, – das Lustspiel des Andern heißt nur schlechtweg: »der junge Gelehrte.«

»Wer soll denn heute Abend zuhören?«

»Der Professor Gellert, und meine gelehrten Freundinnen, die berühmten Frauen Leipzig's.«

»Die Zieglerin wollt Ihr einladen?« fragte die schöne Frau, und über ihr Gesicht flog etwas wie ein Wolkenschatten. »Diese Person soll in unser Haus kommen?« – Und heftig zog sie die rosenfarbenen Bänder der kleinen Haube, die oben auf der Spitze des leichtgepuderten Haars befestigt war, zusammen. »Habt Ihr vergessen daß eben sie sich gegen Eure Frau nicht so benimmt, wie es ihr zukäme sich gegen die Gefährtin eines Gottsched zu benehmen?«

»Seid nicht kleinlich, Victoria Adelgunde! Einer so hochberühmten Gelehrtin muß man mancherlei Sonderlichkeiten verzeihn. Sie ist meine Freundin, – und ich bitte Euch sie denn um meinetwillen freundlich aufzunehmen. Ihr seht ja sonst alle diese verdienstvollen Dichterinnen leider niemalen bei Euch, und begleitet mich zu meinem Leidwesen nimmer wenn ich zu ihnen gehe – heute Abend müßt Ihr, nun schon Eurem Eheherrn einmal die Liebe anthun, selbige bei Euch zu empfangen. Und nun laßt mich wieder allein, und sorgt, daß mich ferner Niemand störe.« –

Er stand auf, küßte ihr die Hand, geleitete sie feierlich bis zur Thür, und sie verließ ohne weiter zu reden das Zimmer. Ganz langsam und gedankenvoll schritt sie über den Gang der Treppe zu. – An dem Geländer blieb sie aber plötzlich stehn, schaute hinab und murmelte dann mit dem Lächeln eines Kindes: »da – an der zwölften Stufe war's! – Es ist doch gut, daß ich den Ephraim Lessing schon kenne. Ich denke wir Beide werden heute Abend zusammenhalten. Er sieht ganz so aus als ob er sich auch – wie ich – vor gelehrten Frauen fürchten könne. – Wie wunderbar und fremd blickten aber seine Augen! – Mich dünkt, ich sah nie schönere – – außer den Augen meines Gottsched – –« setzte sie lieblich hinzu und ging dann die Treppe hinab in die Küche. –

Seit zehn Jahren war Luise Victoria Adelgunde, geborene Kulmus aus Danzig, die Gattin des berühmten Leipziger Professors, und bis zur Stunde fühlte sie sich nur in den vier Wänden ihres engen Hauses wohl und heimisch, nicht aber in der Stadt und in dem Bekanntenkreise ihres Mannes. Lange Zeit krankte sie an einem tiefen Heimweh nach ihrer alten düstern Vaterstadt, obgleich sie, außer zahlreichen Freunden, von ihrer eigentlichen Heimath nichts mehr dort fand als – die Gräber ihrer Eltern. Und dies Heimweh steigerte sich, je mehr Menschen sie sah, und von ihrem reizenden Gesicht schwanden die Rosen und das Lächeln wich von ihren Lippen. Stundenlang saß sie an dem Fenster ihres Wohnzimmers in der Grimmaischen Gasse und starrte auf das finstere Thor und den seltsamen Thurm und wünschte sich Flügel, um weit weit hinwegzuflattern aus jener Lindenstadt, die sich Klein-Paris nannte. Die Menschen erschienen ihr so ganz anders denn daheim, so ernsthaft und gelehrt, oder so übermäßig geschäftig und zerstreut. Und doch hatte sie unter den Männern, die ihr hier in den Weg traten, bald mehr denn Einen gefunden, der ihr lieb und werth geworden und dessen Reden sie gern lauschte. Mit besonderer Innigkeit hing sie an dem freundlichen Professor Gellert, der auch seinerseits an der bildschönen kindlichen Frau großes Wohlgefallen bezeigte. Aber jene Frauen, die ihr Gatte seine »Freundinnen« nannte, und mit denen er täglichen Verkehr pflegte, verleideten ihr den ganzen Aufenthalt in Leipzig. So eindringlich Gottsched ihr solchen Umgang als einen besonders bildenden und belehrenden bezeichnet, sie konnte sich trotz aller Mühe, die sie sich gab, mit diesen Gestalten nicht befreunden, ja sie empfand eine Art Grauen vor ihnen und war in ihrer Nähe einem furchtsamen Kinde zu vergleichen. – Vor jeder Frage die eine oder die Andere jener Berühmtheiten an sie richtete, erschrak sie, und beantwortete selbige wie das schüchternste Mädchen nur mit einem »ja« oder »nein.« Um die Welt hätte sie all jene dichtenden Frauen nicht merken lassen, daß sie selber in ihres Vaters Hause so oft und mit voller Seele Poeterei getrieben, und bat fast auf den Knieen ihren Gatten, Keiner von ihnen jemals zu verrathen, daß sie schon als achtzehnjährige Jungfrau eine Ode verfaßt auf die Kaiserin Anna von Rußland, und die Schriften der Frauen Lambert und Gomez aus dem Französischen in's Deutsche übertragen. – Als die hochgefeierte Zieglerin, geborene Romanus, die am 17. October des Jahres 1733 von dem Decan der philosophischen Facultät zu Wittenberg, dem Pfalzgrafen Johann Gottlieb Krause, »Kraft der Kaiserlichen Macht und Gewalt und im Namen seiner Facultät« durch die Ueberreichung eines Lorbeerkranzes und Ringes zur kaiserlichen gekrönten Poetin erhoben worden, zum ersten Mal vor der jungen Gottschedin erschien, fühlte sich Victoria Adelgunde sofort auf das Entschiedenste von der berühmten Dichterin abgestoßen. Hochmüthig und kalt schaute die Leipziger Bürgermeisterstochter auf das Danziger Doctorskind, und hielt mit scharfen grauen Augen Musterung über die Erkorene des gefeierten Freundes Gottsched. Dann ließ sie sich zu der Frage herab: »haben die wertheste Gottschedin auch schon Etwas gearbeitet?« »Ja – ich habe mir alle meine Spitzen selber geklöppelt« stieß da die junge Frau ängstlich hervor, und mit einem siegenden Hohnlächeln wandte sich die Zieglerin an ihre, eben zum Besuch anwesende, Schülerin, die hübsche und anmuthige Hedwig Zäunemann aus Erfurt und sagte laut genug, daß Jeder der im Zimmer war, es hören konnte: »mich dünkt sie gehöre zu jenen Vögeln, deren Geschrei einstmals das Capitol errettet. Wir müssen sie fallen lassen!« –

Ein glückseliges Lächeln hatte damals, nach diesen Worten, die Lippen Victoria Adelgundens umspielt. Tief aufathmend murmelte sie: »O dem lieben Gott sei's gedankt, sie läßt mich fallen!« –

Und es geschah also. Keine der gelehrten und berühmten Frauen, die damals ihren Wohnsitz in Leipzig aufgeschlagen und in dem weltbekannten Pleiß-Athen aus- und einflogen, verkehrte mit der Gottschedin. Sie war erstens zu hübsch und zweitens zu »gering«, um der Ehre für würdig befunden zu werden in jenem Kreise Aufnahme zu erlangen. Man zuckte die Achseln über den wunderlichen Freund und hochgelehrten Mann, daß er eine so seltsame unbegreifliche Wahl getroffen, und tadelte ihn laut und leise, daß auch er ein Mann wie alle Männer, und ein roth und weißes Lärvchen den höchsten innerlichen Schönheiten vorzuziehen gewagt. – Man lud den Gelehrten nach wie vor zu jenen »himmlischen« Abenden ein, wo man, bei möglichst kärglicher irdischer Speise, mit Apollo und den neun Musen schwelgte, ohne Frau Victoria aufzufordern, an jenen Götterfesten Theil zu nehmen, und so sehr auch Gottsched seine Gattin liebte und hoch hielt, so schmeichelte es doch seiner Eitelkeit gar zu gewaltig, in einem Kreise gefeierter Dichterinnen angebetet und besungen zu werden, als daß er es vermocht sich von ihnen loszusagen, weil sie sich von der Frau seiner Wahl lossagten. –

Es war gar zu angenehm Orakelsprüche aus eignem Munde fallen zu lassen, und als unumschränkter Herrscher zu thronen. – Er hatte daher nichts einzuwenden, wenn seine Gattin sich ihr Klöppelkissen zu der Frau des Cantor Doles tragen ließ und in der Wohnung derselben, in der Thomasschule, plaudernd einige Stunden verweilte, oder mit dem Cantor selber Musikübungen anstellte, ihm auf der Laute vorspielte und jene reizenden Weisen mit wunderlieblicher Stimme dazu sang, die sie aus ihrer Vaterstadt Danzig mitgebracht. – Das waren heitere Abende für Victoria Adelgunde. Keine Gewalt der Erde hätte sie vermocht ihren Gatten zu seinen »Freundinnen« zu begleiten, so bitter es sie auch schmerzte, daß er solcher Gesellschaft fast täglich einige Stunden opferte. Sie zog es bei Weitem vor, mit irgend einer schlichten Bürgersfrau von den Preisen der Lebensmittel und den schlechten Mägden und ungehorsamen Kindern zu reden, denn ein Gedicht vorlesen zu hören von der Dichterin selber. Wenn sie ihre Uebersetzungen aus dem Englischen, welcher Sprache sie vollkommen mächtig war, in jenen Stunden nach Tisch unternahm, in denen Gottsched seine Mittagsruhe hielt, so konnte ein Kind, das an einem verbotenen Leckerbissen nascht, nicht erschreckter zusammenfahren denn Victoria Adelgunde bei dem Ton der Hausklingel, und im Nu waren Papier, Dinte und Feder verschwunden. Selbst von ihrem Gatten ließ sie sich nur ungern bei einer schriftlichen Beschäftigung überraschen, und erröthete dann wie eine Siebzehnjährige die man bei dem ersten Liebesbriefe ertappt. – Dagegen kannte sie kein größeres Vergnügen, als ihm bei seinen Arbeiten zu helfen, indem sie für ihn Wörter aufschlug, kleine Auszüge machte, oder ein Manuscript in's Reine schrieb. Wenn er sie zu solchen Hülfsleistungen in das Heiligthum seines Studirzimmers rief, vergaß sie sogar die Küchenschürze abzulegen, und wenn der Braten in diesem Haushalt einmal anbrannte, oder der Suppe das richtige Maß des Salzes fehlte, so trug nicht die Hausfrau, sondern lediglich der Herr Professor Gottsched selber die Schuld daran. – Victoria Adelgunde hielt ihren Hausstand in musterhafter Ordnung, wie man denn auch an ihrer eignen reizenden Person niemalen die kleinste Ungehörigkeit wahrnahm, weder eine zerdrückte Schleife, noch eine schlecht gewaschene Spitze, noch einen schief getretenen Schuh, oder gar lose hängendes Haar oder einen auffallenden Putz. Man konnte zu jeglicher Zeit die Wohnung des Professors der Logik und Metaphysik vom Boden bis zum Keller durchwandern, und die schärfsten Basenaugen würden weder Unordnung noch Staubwolken, aber eben so wenig irgend eine sinnlose Zierrath entdeckt haben. Dies Alles bewunderte nun der gelehrte Mann an der Gefährtin seines Lebens gar sehr – auch wußte er recht wohl, wie hell ihr Geist und wie empfänglich ihre Seele, aber es bekümmerte ihn doch im Grunde mehr denn billig, daß sie sich sogar nichts aus seinen gelehrten Freundinnen machte, und kein einzig Mal Verlangen zeigte zuzuhören, wie man ihn anbetete. – Da er aber den Verkehr mit den Musen Leipzigs nun einmal durchaus nicht entbehren zu können glaubte, so kam es, daß mit jedem Jahre der einsamen Stunden mehrere wurden für die schöne Frau. Einsamkeit ist aber eine gefährliche Freundin, und frommt solcher Umgang besonders keinem Frauenherzen, und dem Wärmsten just am Wenigsten. Da der Himmel dem Gottsched'schen Ehepaar keine Kinder bescheerte, so war es wohl natürlich, daß allmählich allerlei Wünsche und Gedanken aufstiegen in dem Herzen Victoria Adelgundes. – Dann kamen heimliche Thränen, die auf das Klöppelkissen fielen, und tausend halberstickte Seufzer wurden in die Spitzen gewebt – und endlich wählte man sich gar eine Vertraute, zwar zum Glück nicht von Fleisch und Bein aber immerhin gefährlich genug: die kleine Feder nämlich. Die schöne Frau arbeitete in jenen einsamen Stunden plötzlich fast anstrengend. Sie übersetzte Pope's Lockenraub, und Addision's Cato, und in eben dem Jahre, von dem wir just reden, Anno 1745, beschäftigte sie sich mit einer sehr berühmten jesuitischen Streitschrift: la femme docteur, die sie in sehr zierlicher Weise in's Deutsche übertrug. – Wer von den »gelehrten Frauen« hätte Solches von der kleinen »albernen« Gottschedin vermuthet. – Es stiegen aber trotz all dieser Thätigkeit in dem Herzen der jungen Frau doch auch hin und wieder Bedenken auf, ob sie ihrem Manne, den sie so schwindelnd hoch über sich erblickte, nicht vielleicht in der That gar zu einfach sei, und sann sie allen Ernstes darüber nach, was sie wohl lernen und beginnen könne, um ihm endlich jenen verhaßten Verkehr mit seinen »Freundinnen in Apoll« entbehrlich zu machen, und ihn bei sich zurückzuhalten. – Wie ein Lichtstrahl durchblitzte sie endlich ein Gedanke. – Die Zieglerin hatte einmal den Professor Gottsched in einer lateinischen Ode besungen, und Solches hatte einen mächtigen Eindruck auf den Gefeierten gemacht. Er äußerte, daß diese Arbeit das Höchste sei, was je eine Frau geleistet, die Ode lag stets neben ihm auf dem Schreibtisch, und er wiederholte oftmals, daß er um solcher fehlerlosen Dichtung Willen einer Frau anhangen würde, wenn sie auch das Urbild aller Häßlichkeit und Verschrobenheit. – – Victoria Adelgunde hatte es also gefunden: sie wollte ihren Gatten in einer Ode besingen, die mindestens noch einmal so lang als die der Zieglerin. – Dazu fehlte ihr nur noch eine Kleinigkeit: sie mußte erst Latein lernen, heimlich lernen. – Aber wer wollte, wer konnte wohl ihr Lehrmeister sein? –


Am Abend brannten in dem Stübchen der Frau Gottschedin mehrere Kerzen, und seine für die damaligen Zeiten prunkhafte Einrichtung zeigte sich im vollsten Glanze. Die gestreiften Zitzbehänge der Fenster schimmerten rosig, und das harte, aber große, und mit demselben Stoff bezogene Sopha nahm sich gar stattlich aus. Hochlehnige, festgepolsterte Stühle standen um den mächtigen Tisch, und eine niedere Bank war an das Spinett geschoben, das in einem Winkel zwischen dem Fenster und der langen Wand seinen Platz gefunden hatte. Eine Laute hing darüber, mit tief herabhängendem, blauen Bande; die Gottschedin war eine Meisterin im Lautenspiel, aber das wußten kaum ihre nächsten Freunde. – Den Schmuck der Wand über dem Sopha bildeten die kerzengeraden Conterfeys der Eltern der jungen Frau. Der königlich polnische Leibarzt Johann Gottlieb Kulmus schaute gewaltig finster darein, und hatte die Unterlippe mehr als nöthig vorgeschoben, während seine Gattin, ganz Sanftmuth und Ergebung, mit einem matten Lächeln auf eine Rose schaute, die sie zwischen den spitzen Fingern hielt. Ein Schattenriß des Professor Gottsched, auf goldenem Grunde, war unter dem kleinen Spiegel angebracht, ein Kranz von Immergrün schlang sich um den Rahmen. Auf der steifbeinigen Kommode aber stand ein hohes Glas voll frischer Astern, denn es war eben im Herbst, die Abende wurden schon lang und die Stürme rüsteten sich zum Aufstehen. –

Die Stimme der Wanduhr verkündete schrillend die sechste Stunde. Der Herr Professor saß neben seiner Frau in seinem besten Anzug, gestickter Schooßweste, braunem Sonntagsrock und schwarzseidenen Kniehosen, und versuchte ihr zuzureden, sich nicht vor den erwarteten Gästen zu fürchten, wie man einem Kinde zuredet, wenn es sich sträubt, irgend einem bärtigen Onkel oder einer verknöcherten Tante die Hand zu geben. Das feine Gesicht der Gottschedin verlor auch bald genug jenen Ausdruck ängstlicher Spannung, den es seit Mittag zur Schau getragen. Die dunkelblauen Augen wurden wieder heiter und glänzten, und als mit dem Schlage der sechsten Stunde die Hausklingel ertönte, denn dazumal hielt man es für eine Pflicht, pünktlich zu sein, und der Hauswirth sich mit den Worten erhob: »wird wohl die Zieglerin sein mit ihrem Gaste, der berühmten Dichterin Anna Barbara Teuberin, verwitwete Knackrüggin, aus Augsburg« – lachte sie ihm schelmisch zu. Er aber setzte noch hinzu: »ich bitte Euch dringlich, seid freundlich zu ihnen, Herzliebste!« – Und die Herzliebste nickte, warf einen Blick in den Spiegel, drückte die Rose an dem linken Ohr fester in die gepuderten Locken, zupfte an der Spitzengarnitur am Halse und sah aus, als ob sie sich vor keiner gelehrten Frau der Welt mehr fürchte. – Die Stubenthür öffnete sich auch bald darauf, und herein zwängte sich eine rauschende Wolke von wunderlich gemustertem und verblichenem Seidenstoff, und selbige Gestalt blieb mit allerlei Spitzen und Schleifen an der Klinke hängen. Ein paar behandschuhte Hände von gewaltigen Formen zerrissen aber mit Manneskraft die hemmenden Fesseln, und eine sehr große, magere Frau in vorgerücktem Alter, mit weit entblößtem Busen und nackten Schultern, neigte sich drei Mal mit unbeschreiblicher Feierlichkeit vor dem Professor der Logik und Metaphysik, und reichte ihm dann die Fingerspitzen zum Handkuß. Auf den Fersen folgte ihr eine schlichte Erscheinung, deren zerknittertes, braunes Gesicht aus einer tief in die Stirn gehenden, gesteiften Haube schaute, und die altmodisch geschnittene enge Kleider trug, dem Hauswirth derb die Hände schüttelte, sich jedoch gewaltig sträubte, als er bei ihr einen Handkuß versuchen wollte. »Es ist eine gar seltene Freude, zu Gaste geladen zu werden in dem Hause des berühmtesten Mannes zu Leipzig,« sagte die zuerst Eingetretene spöttisch, und verneigte sich vor der Gottschedin, »und haben wir solche hohe Ehre und Vergünstigung wohl nur meinem Gaste und meiner Seelengefährtin, der Anna Barbara Teuberin, verwitwete Knackrüggin, zu danken, welche allhier vor Euch steht.«

»Und welche wohl nimmermehr solcher Ehre genösse, so nicht die hochberühmte, gekrönte Dichterin Christiane Marianne Zieglerin, geborene Romanus, solch armselig Augsburger Gewächslein hierher getragen,« fiel die Teuberin ein und faltete demüthig die Hände, während sie der Hauswirthin einen kurzen Knix machte.

Die Zieglerin lächelte wohlgefällig, machte aber dennoch eine bescheidene Geberde der Abwehr, da flog wiederum die Thür auf und ein rundes, lautlachendes weißgekleidetes Etwas rollte dem gelehrten Manne, unter einem Schwall von zärtlichen Redensarten, an den Hals. Es war eine kleine üppige Frau mit kurzgeschnittenem, dunklem Haar, ziemlich freiem Ausschnitt des fliegenden Kleides, lustigen Augen, die ein Wenig schielten, einem hübschen Munde und großer Zungengeläufigkeit. Ganz Leipzig kannte sie, jeder Student grüßte sie, und die Thomasschüler blieben bei ihren Umzügen gern vor ihrem Hause stehn, da sie wußten, daß sie jeden Vers eines Chorals mit einer Flasche Bier zu bezahlen pflegte, und dazu auch allezeit zur Genüge frische Semmeln beigeschafft wurden. Es war die Dichterin Anna Helena Volkmann, geb. Wolffermann aus Leipzig. Schon im Jahre 1736 waren die Kinder ihrer heitern Muse unter dem Titel erschienen: »Erstlinge unvollkommener Gedichte, durch welche hohen Personen ihre Unterthänigkeit, Freunden und Freundinnen ihre Ergebenheit, vergnügten Seelen ihre Freude und Betrübten ihr Mitleiden erzeiget, sich selbst aber bei ihren Wirthschaftsnebenstunden eine Gemüthsergötzung gemacht: Anna Helena Volkmannin.«

Sie erschien niemalen in ganz sauberem Anzug, auch fehlte es selten an einigen Dintenspuren an den Händen, eben so war es schon vorgekommen, daß sie noch mit der Feder hinter dem Ohr in eine Gesellschaft getreten, aber ihre Bescheidenheit, Fröhlichkeit, und ihre witzige Zunge ließen dergleichen übersehen, wenigstens war die Dichterin trotz alledem bei Männern und Frauen beliebt. Eine sehr hübsche, jugendliche Frau wurde von ihr dem Hauswirth und der Hauswirthin vorgestellt, sie hieß Johanna Charlotte Unzer, geborene Ziegler aus Halle, Gattin eines ausgezeichneten Arztes, die auf ihrer Durchreise nach Hamburg, allwo sich ihr Gatte vor wenigen Wochen angesiedelt, einige Tage in Leipzig verweilte. Man rühmte von den Gedichten der Unzerin, daß sie sich durch ungezwungene Munterkeit auszeichneten, und nannte sie eine Schülerin der Volkmann. Was aber die Gottschedin für diese liebliche Frau zur Stelle einnahm, war der Ruf einer zärtlichen Gattin und Mutter, der ihr vorausging. Die Volkmann selbst konnte nicht müde werden, die beiden Frauen einander gegenseitig anzupreisen, wobei sie nicht verfehlte bald die Eine, bald die Andere heftig zu umarmen. Dann flüsterte sie der Gottschedin zu: »setzt Euch zu mir oder der kleinen Unzerin, und überlaßt den jungen Weiße der Zieglerin, sie ist nämlich in ihn verliebt und er könnte doch beinahe ihr Enkel sein. Den Lessing setzen wir dann zur Augsburgerin. Das wäre zum Todtlachen!« – Damit schlüpfte sie fort und dem eben eintretenden Gellert entgegen, dem sie, ehe er sich dessen versah, einen Kuß auf die Wange gedrückt. – Dicht hinter ihm erschienen nun auch die jungen Studenten Ephraim Lessing und Christian Weiße. – Letzterer war seines sanften feinen Gesichts und seiner anmuthigen Manieren wegen von den Frauen sehr gern gesehen. Den Andern kannten nur Wenige, und diese Wenigen fanden seinen Blick zu stolz, sein Haar zu fliegend, seinen Gang zu kühn, seinen Anzug zu nachlässig, und insbesondere seine Redeweise, für einen jungen Studenten der Theologie, viel zu keck und frei. Während Christian Weiße nun Reihe um die Hände küßte, und Lessing hinter den Stuhl der Hauswirthin trat, huschte die Volkmann an ihn heran, zupfte ihn am Ohr und flüsterte ihm die Frage zu, wie ihm die Gottschedin gefalle. Ein flüchtiges Erröthen war die einzige Antwort des jungen Mannes, was ihm ein helles Gelächter der boshaften Dichterin eintrug. Als sie aber sich von ihm wandte, nahm er, nachdem er einige Worte mit dem Hausherrn gewechselt und alle Anwesenden mit einer stummen Verneigung begrüßt, hinter dem Stuhl der kleine Doctorsfrau aus Halle Platz, allwo er den ganzen Abend hindurch verblieb. – Warum hätte er ihn auch verlassen sollen? – Das reizende Bild, dessen Anblick er von seinem versteckten Sitze aus so ungestört genießen durfte, würde ihm ja dann entzogen worden sein, und welch reichen Stoff zum Denken und Träumen gab eben dies Bildchen, ein Frauenköpfchen auf dunklem Grunde. Von dem tiefbraunen Grunde eines Rockes, den der hochberühmte Professor der Dichtkunst, Logik und Moral, Christian Fürchtegott Gellert, trug, hob sich nämlich ein feines Frauenprofil ab. Die Linien waren so edel und rein, daß sich die Augen des jungen Studenten der Theologie nicht satt daran sehen konnten. Und zuweilen regte und bewegte sich dies Bild ein klein Wenig, das Profil verschob sich und zeigte das holdseligste Antlitz mehr als zur Hälfte, der köstlich geschnittene Mund lächelte, ein Grübchen in der Wange erschien, und die Wimpern des zweiten Auges tauchten auf. Und es kamen auch Momente, wo sich der kleine Kopf Victoria Adelgundens ganz zu ihm wandte und zwei dunkelblaue Augen ihn anschauten, halb fragend, halb schüchtern freundlich grüßend. –

Der Kreis hatte sich endlich unter lebhaftem Hin- und Widerreden geordnet, und der Professor Gottsched zwischen der Zieglerin und der Knackrüggin einen etwas engen Sophaplatz gefunden. Neben der Dichterin aus Augsburg saß der junge Weiße, dann folgte die Volkmann mit dem Professor Gellert, die Gottschedin mit der Unzerin, und der junge Lessing machte den Schluß. – Man schlürfte eine Schaale dünner Chokolade, aß allerlei Backwerk dazu und schickte sich allmählich an zuzuhören. – Ja, aber wem zuerst? – Die Zieglerin sprach nämlich laut und vernehmlich den Wunsch aus, zuvor einige ihrer eignen neuesten Dichtungen vortragen zu dürfen, ehe die jungen Studenten ihre Schauspiele dem Richterspruch des »edlen Kreises« zu unterwerfen begannen, und setzte mit sauersüßem Lächeln hinzu, daß sie hoffe, ihre geliebten Schwestern in Apoll würden nachher desgleichen thun. »Wir wissen gar wohl, wir armen Frauenzimmer,« sagte sie mit einem wohlstudirten Augenniederschlag und tiefem Seufzer, »daß wir nicht mehr bestehen können, so ein Mann vorher seine Werke zu Gehör gebracht. Die Schöpfungen der Herren der Welt gleichen ja den Palmen, dieweil wir nur armselige Gänseblümlein bringen. Ist's nicht so, meine theuren Freundinnen?«

Die Knackrüggin senkte zustimmend das Haupt, die hübsche Doctorsfrau lächelte verstohlen die Hauswirthin an, die Volkmann aber rief: »ich will Nichts wissen von Gänseblümchen, und habe auch, so ich mich erinnere, im Garten der Poesie niemalen welche gepflückt! Die Unzerin und ich suchten nur allezeit nach Veilchen!«

Einen vernichtenden Blick warf die gekrönte Dichterin auf die schalkhafte Sprecherin, dann sagte sie, zu Gottsched gewandt: »Hochverehrter Freund, sintemalen doch Bescheidenheit die höchste Zier des Weibes, mögen denn meine armen Geisteskindlein diesen Reigen eröffnen, damit – –«

»Das Beste gebührend zuletzt komme, meint Ihr sicher, liebste Zieglerin?« unterbrach hier lachend die Volkmann.

Die berühmte Frau fuhr auf, aber der Professor der Logik und Metaphysik zog sie mit einer ängstlichen Geberde auf ihren Sitz zurück und flüsterte: »bleibt würdevoll und ruhig, liebwertheste Freundin. Sie liebt es nun einmal, Jedweden weidlich zu necken, und weiß doch so gut als ich, daß Ihr die berühmteste Frau der Lindenstadt seid und bleibt.« – Die Gottschedin legte erschrocken ihre Hand auf den Arm Gellerts, der aber lächelte und sagte ruhig: »Ihr müßt Euch an dergleichen gewöhnen, schönste Frau, sie sind nun einmal Alle so unter einander und mit einander. Sie fahren sich aber dabei doch nimmer wirklich in die Haare und nennen sich trotz alledem gute Freunde.«

Und die Zieglerin zog geräuschvoll eine dicke Rolle beschriebener Blätter aus der Tiefe ihrer Kleidertasche und las, ohne viel zu wählen, mit erhobener Stimme, wie folgt:

»Auf ein paar schöne Augen.«

»Hört zu, Christian Weiße!« schaltete noch die Volkmann schnell ein.

»So oft ein Künstler euch zu schildern ist bemüht,
So trifft er euch doch nicht, wie man gar öfter sieht;
Doch ist nicht seiner Faust der Fehler beizumessen,
Wenn er die Aehnlichkeit von euch dabei vergessen.
Und lebt' Apelles noch, so könnt' es nicht geschehn,
Denn Adler können nur blos in die Sonne sehn.
Der Strahl, der in euch sitzt, steht gar nicht abzureißen,
Der Maler müßte denn ein Halbgott wirklich heißen.«

»Wessen Augen habt Ihr dabei im Sinne gehabt, theuerste Zieglerin?« fragte die Volkmann sehr freundlich.

»Welche anders als die Euren, geliebte Freundin!« lautete die höhnische Antwort.

»Ich danke Euch, und werde dagegen zum Beweis meiner Erkenntlichkeit Eure Rosenwangen und Perlenzähne besingen.«

»Habt Ihr noch ein so fürtreffliches Gedicht für unsere verzückten Ohren?« fragte da Gottsched rasch, denn die fast zahnlose Dichterin erglühte unter ihrer Schminke vor Wuth. Wie ein Balsamtropfen fielen aber diese Worte in die Wogen ihres Zorns, und sie las und las die verschiedensten ihrer größern und kleinern Dichtungen hastig und bunt durcheinander, wie z. B. »Das Bild eines wahren Christen,« und gleich darauf »die Unterkehle Celindens,« und die »höhnische Lisette« wobei sie während der Schlußstrophe:

»es läßt aus Furcht sich Niemand mit ihr ein,
Lisette ist fürwahr ein schädlich Stachelschwein,«

einen bedeutsamen Blick auf ihre Lieblingsschwester in Apoll zu werfen nicht ermangelte, den die Volkmann jedoch mit dem zärtlichsten Nicken erwiderte. Auch die »Grabschrift eines Verliebten« trug die Unermüdliche vor, welche folgendermaßen lautete:

»Die Gluth verzehrte mir das Mark in den Gebeinen,
Und diese machet auch die Gruft zu Feuersteinen.
Ihr Tobaksbrüder kommt und tretet noch heran,
Zieht Stahl und Schwamm hervor und schlagt euch Feuer an.«

Als hierauf Gellert doch leise an die verrinnende Zeit zu mahnen wagte, las die berühmte Frau noch schnell ein Lied auf die »garstige Lorette«, einige »zufällige Gedanken über einen Mopsen«, ein geistlich Lied, und schloß dann mit den Strophen:

»Bin ich der Arbeit überdrüssig,
Die man von Damen fordern kann,
So kommt mir, weil ich nicht kann müssig
Wie Viele gehn, das Dichten an.
Da greif' ich schnell zu meiner Feder,
Ob selb'ge gleich nur, wie ihr wißt,
Von schlechtem Gänserumpf und Leder
Und nicht vom Schwan geborget ist.«

»Herrlich!« rief die Volkmann, klatschte in die Hände und sprang auf, um die Zieglerin zu umarmen, »man könnte euch allein schon lieben um der wunderbaren treffenden Wahrhaftigkeit willen in Euren meisterlichen Gedichten, Höchstverehrte! Aber nach Euch wage ich nicht in meine Leier zu greifen! Aber ich habe einige Kleinigkeiten unserer Freundin Hedwig Zäunemann aus Erfurt mitgebracht, die, wie Ihr Alle wohl vernommen, vor vier Jahren, bei Arnstadt von einem Brückenstege fallend, eines kläglichen Wassertodes gestorben. Sie hat mir noch wenig Tage vor ihrem unerwarteten Sterben damals ein anmuthig Verslein über unsere Stadt Leipzig eingesandt, allwo sie so oft glückliche Tage verlebt, und das folgendermaßen lautet:

»Was man vordem in Rom, Athen und Tyro fand,
Was diese wünscheten, wonach Karthago stand,
Das läßt die Lindenstadt, das schöne Leipzig sehn,
Welch Pinsel, welcher Kiel kann dessen Ruhm erhöhn?«

Ein ander Gedichtlein von ihr greift die Männer an, meine Freunde, und liest sich auch recht gut. Hört nur!

»Ihr Männer, bildet euch nicht ein,
Als ob Vernunft, Verstand, Gelehrsamkeit und aufgeklärter Sinn
Sollt' Euer Eigenthum und Erbrecht sein.
Nein wahrlich, der das Firmament gesetzt,
Der hat das Weibervolk nicht minder hoch geschätzt,
Und ihnen auch Verstand und Witz verlieh'n.
Es soll wie Ihr des hohen Geistes Gaben
Auch im Besitze haben.
Drum muß ihr Lorbeerzweig so wie der Eure blühn,
Zürnt, tobet, lästert, neidet immerhin,
Ihr werd't es doch nicht hindern können,
Ihr sollt und müßt denselben doch die Ehre gönnen,
Drum bildet Euch, Ihr Männer, ja Nichts ein!«

Ein heiteres Wortgespräch entspann sich nach diesem Madrigal, worin sich insbesondere Gottsched selber und die Volkmann hervorthaten. Aber die Zieglerin gönnte ihrer freundlichen Feindin nicht lange das Vergnügen die Gesellschaft durch ihren Witz zu belustigen, und unterbrach die Debatte mit der dringenden Bitte: die theuerste Teuberin, verwitwete Knackrüggin, möge der Versammlung nun auch einige Proben ihrer herrlichen Kunst ablegen. Die würdige Matrone ließ sich auch nicht allzulange bitten, obgleich sie zuerst behauptete, Nichts bei sich zu haben. Der geschwollene Arbeitsbeutel aber bewies genugsam, daß sie auf den Fall, die »lieben Freunde zu erlustiren mit den Spielen ihres schwachen Geistes« vorbereitet war, und selbiger wurde denn auch mit manchem Scherzwort ausgeleert. Es kamen da allerlei unschuldige Betrachtungen hervor, wie zum Beispiel: »Gedanken bei des Sohnes erster Predigt,« »beim Gesindemiethen,« »beim Aderlassen,« »bei der Wäsche,« »Gedichte auf einen Donnerschlag,« »auf den Tod meines Gatten,« »auf die Tugend der Weiber,« mit welchem Verse sie auch endlich ihre gewaltig lange Vorlesung zu allgemeiner Zufriedenheit, folgendermaßen beschloß:

»Ein Weib, das reinlich ist und jeden Unflath hasset,
Ein Weib, das sparsam ist und niemals Geld verprasset,
Ein Weib, das fleißig bleibt, die Kinder wohl regieret,
Ein Weib, das ihr Gesind' mit Lust zur Arbeit führet,
Ein Weib, das freundlich ist, lacht leise, redet wenig,
Ein Weib, dem Mann getreu, doch mehr dem Himmelskönig,
Ein Weib, das Gott, den Mann und ihre Kinder liebt,
Verdient ein größ'res Lob, als hier die Feder giebt.«

Es war spät geworden unter all diesem Lesen und Reden, und Christian Felix Weiße mußte nun sein Schauspiel: »Die Matrone zu Ephesus« ziemlich rasch lesen, was indessen nicht dazu beitrug das Stück sonderlich zu heben. Dabei hatte sich die Zieglerin obendrein dicht neben ihn gesetzt und schaute mit in das Manuscript. Gar häufig unterbrach sie den Lesenden durch allerlei Ausrufungen und Bemerkungen. Trotzdem sprachen sich Alle zu Gunsten des Stückes aus, als Weiße endlich zum Schluß gelangt war, und tief aufathmend, mit glühenden Wangen, sein Manuscript zusammenrollte. Die gekrönte Poetin aber nahm es ihm ab, las einzelne Stellen mit lauter pathetischer Stimme noch einmal, strich dann mit einem gewaltigen Bleistift, den sie allezeit bei sich führte, einige Worte, auch wohl ganze Sätze, schob dafür andere ein, und äußerte endlich mit vornehmer Herablassung, daß sie selbst sich bei der Neuberin verwenden werde: das Stück solle und müsse aufgeführt werden. »Mein herrlicher Freund und Gönner Gottsched steht jetzund mit dem anmaßenden Weibe nicht sonderlich, sonst würde ich nicht von meiner armen Fürsprache geredet haben,« sagte sie, »die Theaterdirectorin hat sich, wie Jedermann weiß, allzu frech benommen gegen den berühmtesten Mann Leipzigs. Sie wagte es, einem »Cato« Gesetze vorzuschreiben über den Bau und Inhalt der aufzuführenden Stücke, und sogar schnöde Verspottung mußte unser Gefeierter von ihr erleben – –«

»Reden wir nicht davon,« unterbrach sie der Professor der Logik und Metaphysik mit einem Ausdruck von Verlegenheit und Aerger; »ich liebe das nicht!«

Während der letzten Verhandlungen und Besprechungen hatte die schöne Hauswirthin öfters gedankenvoll zu dem jungen Lessing hinübergeblickt, und zwei blaue und zwei dunkle Augen begegneten sich in mancher stummen Frage. Je länger und öfter Victoria Adelgunde das Gesicht des Studenten betrachtete, der nun seine Schöpfung diesem wunderlichen Kreise enthüllen sollte, je anziehender erschien ihr dasselbe. Es war ihr zu Muth, als sie diese klare, herrliche Stirn, ein Eiland des Friedens und der Wahrheit, betrachtete, als könne und dürfe sie sich dorthin flüchten mit ihren Augen und Gedanken aus diesem, für sie so unerquicklichen, Gewirr und Geschwätz. – Ihr eigner Gatte kam ihr so fremd und verwandelt vor in dieser Umgebung, und vor den Frauen empfand sie mehr als Furcht, die heftigste Abneigung. Nur zu der kleinen bescheidenen Doctorsfrau fühlte sie sich hingezogen. – Der Gedanke aber, der junge Lessing solle hier in diesem Kreise lesen, wurde ihr plötzlich unerträglich, und die Vorstellung, die Zieglerin werde auch sein Manuscript, wie das des jungen Weiße, mit jenem dicken Bleistift bearbeiten, trieb ihr das Blut in die Wangen. Je länger sie darüber nachsann, je unmöglicher erschien es ihr, daß er seine Dichtung dieser Kritik unterwerfe. Ein seltsames Angstgefühl kam über sie, wenn sie sich seine weiche Stimme dachte, – die sie zwar nur einmal vernommen deren Ton sie aber nicht vergessen, – wie sie untertauchte in dem Geschwirr dieser scharfen Frauenstimmen. Sie hörte schon im Geiste wie sie über ihn herfielen, schon an dem Titel seines Werkes mäkelten, in jede Scene witzelnd oder tadelnd hineinredeten, um ihn am Ende zu zwingen sich unter den Schutz der Zieglerin zu stellen, die dann bei der Neuberin für ihn zu betteln versprechen würde. – Das sollte, das durfte aber nimmermehr geschehn! – Ein wunderlicher Entschluß stand in ihrer Seele auf. Sie wollte verhindern daß er las, selbst auf die Gefahr hin daß er sie für eine alberne, launenhafte Frau hielt. Um jeden Preis wollte und mußte sie ihm zahllose Kränkungen und Nadelstiche ersparen. Aber alle diese Gedanken, Empfindungen und Vorsätze erregten sie fast fieberisch, und die Farbe wechselte so jäh auf ihren Wangen daß Gottsched plötzlich in besorgtem Tone fragte: ob sie sich unpaß befinde. Mit einem schwachen Lächeln schüttelte sie den Kopf, und beruhigt wandte sich nun der berühmte Gelehrte zu dem Studenten Lessing und sagte: »so mögt Ihr lesen, junger Freund!«

Da aber erhob sich plötzlich die sonst so schüchterne Hauswirthin und antwortete statt des Angeredeten mit fester Stimme: »Ich bitte, daß Herr Lessing nicht lese, – – mein Kopf thut mir sehr weh, und der Abendimbiß verdirbt, da es schon gewaltig spät geworden.« – Eine glühende Purpurröthe folgte dieser ersten Lüge, die diese Lippen ausgesprochen. Man blickte einander theils verwundert, theils spöttisch an. Wie konnte man an solche Dinge denken, und gar von ihnen reden bei solchen Genüssen?! Wieder ein Beweis, wie erbarmungswürdig tief doch die Gottschedin stand. – Die Unzer und Gellert allein fanden einige Worte des Mitleidens, dann aber schlossen auch sie sich den Andern an, die näher zusammenrückend sich wiederum in ein Gespräch über die »Matrone von Ephesus« vertieften. Ephraim Lessing hatte sich während dessen langsam erhoben und trat jetzt zu der jungen Frau. Seine Stirn war lebhaft geröthet, eine feine Ader trat in der Mitten hervor, die Augen blickten finster, und um die vollen Lippen zuckte Schmerz. Das leicht gepuderte Haar mit einer heftigen Handbewegung zurück aus den Schläfen streichend, sagte er stolz: »Erlaubt, daß ich nach Hause gehe – da mein Bleiben allhier nunmehr seinen Zweck verloren.«

»Geht, wenn Ihr durchaus wollt,« antwortete die leise süße Stimme der Gottschedin, »ich mag Euch nicht zumuthen länger unter Fremden zu weilen. Aber Euer Stück müßt Ihr mir zur Aufbewahrung überlassen bis morgen Abend, wo Ihr vielleicht ein Stündchen Zeit finden werdet, es einer armen unwissenden Frau, die Euch keine Bleistiftzeichen auf die Blätter zu kritzeln versteht – sonder Störung vorzulesen. –«

Sie sah ihn ernst und doch voll milder Freundlichkeit an, als sie diese Worte sprach, und es flog plötzlich wie ein Lichtstrahl in seine Seele. – Sein Zorn war verflogen. – Er begriff und verstand wie gut sie es mit ihm gemeint, und sein Herz schwoll ihm vor Dank und Freude. –

»Nicht Morgen allein, sondern allezeit bis an mein Lebensende werde ich zu Euren Diensten sein, Gütigste der Frauen« sagte er fast leidenschaftlich – reichte ihr das Manuscript hin, küßte ihre Hand und flüsterte: »aber gehen werde ich doch – und jetzt erst recht!« verneigte sich stolz vor dem kleinen Kreise, wechselte noch einige flüchtige Worte mit Gottsched und ging. –


An jenem Abend, der mit einem frugalen Nachtmahl schloß, athmete die Gottschedin erst erleichtert auf, als der letzte Gast das Zimmer verlassen. Dann fiel sie ihrem Manne um den Hals und rief: »Thut mit mir was Ihr wollt, herzliebster Ehegemahl, Ihr dürft es ja auch, denn Euch ist die Macht gegeben über meinen Leib wie über meine Seele, – aber versucht nur nimmermehr eine Zieglerin aus mir zu machen!« – –

Als am andern Morgen, – an demselben Abend wagte sie's doch nicht recht, – Victoria Adelgunde ihrem Gatten ihre kleine List in Betreff des Studenten Lessing beichtete und ihn bat, mit ihr zu Gericht zu sitzen über das Werk ihres Schützlings, lachte der Professor, streichelte ihr die Wangen und sagte: »Ihr seid allzu mitleidig mit dergleichen Burschen, und werdet keinen Dank davon haben. Das Stück mag er Euch getrost allein vorlesen, – ich habe es bereits durchgeblättert und dann – – dünkt mich, wolle sich's nicht recht schicken, wenn ein Professor als Zuhörer vor einem Studiosen sitze. –«


Am nächsten Abend sah es behaglicher aus in der Wohnstube der Gottschedin als am verflossenen. Es brannte zwar nur eine einfache Kerze, und auf dem Tische war kein Damasttuch ausgebreitet, sondern das Klöppelkissen lag darauf und davor saß eine heiter blickende Frau im Hauskleide, das gepuderte Köpfchen über die zierliche Arbeit der schlanken Finger geneigt. Gegenüber aber hatte der Student Ephraim Lessing Platz genommen, und las sein Schauspiel: Der junge Gelehrte. –

Der Vogel im Käfig schlief, der kleine Hund Gottsched's lag am Ofen und regte sich nicht, nur dann und wann, wenn vielleicht der Leser seine Stimme ungewöhnlich erhoben, blinzelte er schlaftrunken mit den Augen. Der Asternstrauß, den gestern kein Mensch recht angeschaut, stand heute mitten auf dem Tische im Kerzenlicht und glühte und leuchtete wunderbar, und die Blumen schienen sich zu regen, wie vom Winde geschaukelt. – Die schönsten Lichter und Schatten aber spielten auf dem Frauenantlitz dicht vor dem jugendlichen Lector, der heute so schlecht las wie noch nie in seinem Leben. Das war ein Blitzen und Gaukeln auf dieser mädchenhaften Stirn, auf diesen rosigen Wangen, in dem Grübchen am Kinn, auf Hals und Schultern, und dazu das rasche Spiel der Finger mit den zahllosen Klöppeln. Und wenn gar die Augen langsam aufblickten und auf den Leser sich richteten, und die Hände lässig in den Schooß sanken, weil Victoria Adelgunde das Arbeiten vergaß beim eifrigen Hören, – dann schien das Manuscript gar zu schwer zu entziffern, denn der junge Student gerieth aus einem Stocken in's andere. – Seine Zuhörerin mußte endlich laut darüber lachen, und wie lieblich lachte sie, und da konnte er nicht anders als ein Weilchen mitlachen. – Als das Stück endlich aus war, – der Poet dankte sich selber im Stillen zu tausend Malen, daß er's nicht länger denn zu drei Aufzügen gemacht, geriethen die Beiden unvermerkt so recht in's trauliche Plaudern. Lessing vertraute vor allen Dingen der jungen Frau sein innigstes Wünschen und Hoffen: daß nämlich die Theaterdirectorin Caroline Neuberin sich geneigt finden lassen möchte, dieses sein Lustspiel aufzuführen, und klagte ihr seine Sorge, daß die so vielfach Bestürmte wohl schwerlich das Erstlingswerk eines Studenten ohne gewichtige Empfehlung einstudiren lassen werde. Victoria Adelgunde versuchte ihn hierüber zu trösten, und sie redeten lange hin und her, auch über die bedauerlichen Zerwürfnisse zwischen Gottsched und der Neuberin. Der berühmte Mann hatte nämlich die volle Schale seines Zorns ausgegossen über die einstige Freundin, weil diese sich geweigert, ein Stück nach seiner Bearbeitung aufführen zu lassen. Gottsched war, in Folge dieser Weigerung, die Veranlassung gewesen daß sich eine zweite Truppe, die Schönemann'sche Theatergesellschaft, in Leipzig niederließ, die dann auch die Truppe der Neuberin bald vertrieb. Die energische Frau kehrte jedoch nach mancherlei Irrfahrten im Jahre 1744 nach Leipzig zurück, sprengte durch ihre reizenden Schauspielerinnen, die Lorenz und die Kleefelder, und die ausgezeichneten männlichen Mitglieder ihrer Gesellschaft, wie z. B. Koch und Heydrich, die Schönemann'sche Bande, und eine ihrer ersten Thaten war nun, ihren frühern Freund und Gönner, den Professor der Logik und Metaphysik, Johann Christoph Gottsched, von der Bühne herab als Zerrbild dem allgemeinen Gelächter Preis zu geben. – Nun war an keine Aussöhnung mehr zu denken, so sehr sich auch die Neuberin, ihre Uebereilung bereuend, gar bald mühte den Schwerbeleidigten wieder gut zu machen. Gottsched verbot seiner Frau das Theater zu besuchen, und die ganze Stadt theilte sich in zwei Partheien, die Anhänger der Neuberin und die Gottsched's. Die Parthei der Theaterdirectorin war jedoch unbestritten die Stärkste, denn sie hatte, wenn sie wollte, die Lacher auf ihrer Seite. Victoria Adelgunde hatte sich alle Mühe gegeben, ihren Gatten milder zu stimmen gegen die verdienstvolle Frau, deren rasches entschlossenes Wesen, und große Wärme und Lebendigkeit, sie gar mächtig angezogen, – allein vergebens. Oft war sie sogar mit dem Vorsatz ausgegangen der Neuberin zu begegnen, um sie zu bitten, noch einmal dem Gekränkten ein reuevolles Wort zu sagen, aber seltsamer Weise war es ihr nie gelungen der Ersehnten habhaft zu werden. Die Neuberin zeigte sich auch selten allein, immer nahm sie ihre jungen Schauspielerinnen unter ihre Flügel, für deren Wohlergehn und guten Ruf sie in jeder Art wahrhaft mütterlich sorgte. – Die Gottschedin war dann bei ihrem Herannahen allezeit schüchtern zur Seite getreten und hatte es bei einem verstohlenen Gruß bewenden lassen, statt sie anzureden. Die Zieglerin ließ es sich dagegen bei jeder Gelegenheit angelegen sein, den Professor noch mehr gegen die Neuberin aufzubringen, da ihr die Freundschaft des berühmten Gelehrten mit dieser Frau von allem Anfang an ein wahrer Dorn im Auge gewesen. –

Von all diesen Dingen redete nun Victoria Adelgunde mit dem jungen Studenten, – und die Zeit flog mit solcher Windeseile über ihre beiden Häupter hinweg, daß die junge Frau erstaunt aufblickte als Gottsched eintrat und nach dem Nachtessen verlangte.

»Habt Ihr die Zieglerin, die Ihr besuchen wolltet, nicht daheim getroffen?« fragte sie.

Er lächelte und antwortete: »volle vier Stunden habe ich ihres Umgangs genossen, von 5 Uhr bis 9 Uhr, und ich freue mich von Herzen, daß der Studiosus Lessing Euch in dieser Zeit so wohl unterhalten. Er muß aber nun dafür auch die Abendsuppe mit uns essen!«

Aber Ephraim Lessing dankte. Es war ihm zu Sinn als hätten die Götter eigenhändig ihn mit Necktar und Ambrosia gespeist, – wie sollte ihm da irdische Kost munden? Auch konnte und wollte er sich den Suppenlöffel nicht in einer gewissen kleinen Hand denken, die ihm nur dazu geschaffen schien, Lorbeern und Rosen zu vertheilen, oder allenfalls beim Vorlesen mit schlanken Fingern Spitzen zu klöppeln. – Er stürzte also nach einigen wunderlichen Entschuldigungen fort, nachdem ihn Gottsched noch ungewöhnlich freundlich aufgefordert bisweilen des Abends seiner Frau ein Stündlein zu vertreiben durch erbauliche Lectüre, dieweil er »leider« mit seinen alten Freundinnen nicht brechen dürfe, sondern sie nach wie vor besuchen müsse. –

Während des Nachtessens fragte der berühmte Mann seine schöne Lebensgefährtin: »was haltet Ihr denn eigentlich von dem jungen Studenten und seinem Stück? Meint Ihr daß Beide etwas taugen?« –

»Das Stück verdient daß es die Neuberin aufführe,« antwortete sie lebhaft, »und ich gäbe viel darum wenn ich's zu Wege bringen könnte!«

»Er muß sich an die Zieglerin wenden!«

»Meint Ihr daß die Alles könnte?«

»Ja!«

»Ich meine es aber nicht! Laßt uns das abwarten! – Und was den Lessing angeht, so ist mir heute nur Eines klar geworden, daß aus ihm nämlich eben so wenig ein Pfarrer wird, wie aus mir – eine Zieglerin!«


Seitdem kam der Student Lessing wenigstens drei Mal in der Woche in das Haus des Professors der Logik und Metaphysik, las der jungen Frau vor, oder hielt eine Zwiesprache mit ihr über Alles was sein junges Herz bewegte und seinen Feuergeist beschäftigte. Und es war eine Welt von Fragen und Zweifeln, Träumen und Gedanken, die in diesem Jünglingskopf auf und nieder wogte wie die Wellen des Meeres. Da that es denn wohl Noth, daß solch eine Meerfey am Ufer saß und mit ihrer weißen Hand die wild rauschenden Wasser glättete, und zuweilen ein Zaubersprüchlein murmelte wenn es gar zu ungestüm hin und her und auf und nieder wallte. Und doch zögerte sie zuweilen jenes Wort zu sprechen, denn es dünkte sie gar wunderbar herrlich diesem Auf- und Abwogen zuzuschauen, und dem Gesang der Sturmgeister zu lauschen. So seltsam und erhaben klangen die Melodien, daß die Meerfey darein schaute mit schwimmenden Augen, und ein Entzücken empfand wie noch nie zuvor. – Zuweilen war es ihr als müsse es eine Seligkeit sein, sich in diese brausenden Wellen zu stürzen, sich heben und tragen zu lassen, mit zu kämpfen und mit zu ringen, wie dies junge Herz, diese mächtige Seele da vor ihr, – wie dieser Geist, dessen künftige Größe sie ahnend im Voraus empfand. – Die engen Schranken ihrer eignen Gedankenwelt stürzten gar bald zusammen, in diesem Verkehr mit dem seltsamen jungen Studenten, sie gewöhnte sich unvermerkt weit und immer weiter auszuschauen, die Augen thaten ihr Anfangs weh dabei, aber sie hob sie immer und immer wieder, und lernte allmählich die Fülle des Lichts ertragen, die sie überströmte. – Sie verlor auch nach und nach ihre mädchenhafte Schüchternheit ihrem neuen Freunde gegenüber, wagte einen Gedanken auszusprechen, urtheilte, vertheidigte und unterwarf sich. – Gottsched erstaunte oft, im Zusammensein mit seiner Frau überraschende Blitze freiesten Denkens und Empfindens an ihr wahrzunehmen. Victoria Adelgunde fing sogar, zu seiner großen Freude, an in Gegenwart anderer Männer, erröthend zwar, und in reizend weiblicher Weise, aber doch bestimmt und klar ihr eignen Ansichten darzulegen. Ihr Gatte vermochte sein Entzücken darüber kaum zu bergen, und mit echt männlicher Eitelkeit schrieb er sich allein und seinem Einfluß diese wunderbare Wandlung zu. Wie hätte er auch ahnen können, der berühmte Mann, daß in jenen stillen Abendstunden, in denen sich seine Gattin mit dem »wunderlichen« Studenten aus Kamenz, aus »purer Gutherzigkeit« ohne Zweifel gewaltig »langweilte«, jene Blüthen getrieben wurden, deren Duft ihn jetzt berauschte. –

Und der junge Student selber? – Nun der lag unter einem Blüthenbaum, und neben ihm saß die Göttin Poesie selber, und streute Blumen auf ihn herab und flüsterte: »laß dich begraben Träumer!« – Aber das Grab war nur eine durchsichtige Blumendecke, – und darüber hing der blaue Himmel zweier wunderschönen Frauenaugen. – –

Dem Ephraim Lessing waren, seit er die Fürstenschule zu Meißen verlassen, – allwo schon seine große Selbstständigkeit in seinen Studien und Arbeiten kein geringers Aegerniß erregt, – und die Universität zu Leipzig bezogen, erst wenige Frauen begegnet, mit denen er länger denn fünf Minuten geredet. – Als Student der Theologie eingeschrieben, mit nur unbedeutenden Empfehlungsbriefen versehen, war er in wenigen Häusern und Familien bekannt geworden. Seine Neigung zu den Wissenschaften, zu den alten Sprachen, der Mathematik und Dichtkunst, gab ihm hinlängliche Beschäftigung in seinen Freistunden und bannte ihn in sein Stübchen, er las und schrieb viel, und beschäftigte sich überhaupt unablässig – nur nicht mit dem Studium der Theologie. Die zärtliche Freundschaft, die er mit dem weichen und – liebenswürdigen Christian Felix Weiße schloß, ließ ihn gar keinen andern Umgang vermissen. Das sogenannte schöne Geschlecht war ihm daher ziemlich gleichgültig geblieben, höchstens daß er einmal einem hübschen Mägdlein, das hinter Rosmarin und Rosen am Fenster hervorlugte, eine Kußhand zugeworfen, einem frischen Bürgerkinde die Wange gestreichelt, oder unter dem Fenster einer niedlichen Schauspielerin einige Male zerstreut auf und nieder gegangen war. – Jetzt befand er sich aber zum ersten Mal in einem zwanglosen Verkehr mit einer Frau der höhern Stände, und zwar mit einer eben so schönen als fein gebildeten Frau, die bei all ihrer, von ihm sehr bald erkannten, geistigen hohen Bedeutsamkeit, doch ihren höchsten Ruhm nur darin zu suchen schien, eine tüchtige Hausfrau und zärtliche Gattin zu sein.

Der Zauber ihres ganzen Wesens umspann ihn wie mit einem goldenen Netze, und jener eine Abend hatte ihn plötzlich in eine Sphäre getragen in der er noch nie geathmet, in der zu leben ihm aber wunderbar süß däuchte. Es war ihm zu Muthe wie einem Falter, der nach langem Umherflattern, zum ersten Mal, einer kaum erblühten Rose in den Schooß taumelt. – –

Gotthold Ephraim Lessing war in kurzer Zeit ein täglicher Gast geworden im Gottsched'schen Hause und Gottsched selber fand Gefallen an dem Jüngling, ließ sich wohl auch zu Zeiten herab längere philosophische Gespräche mit ihm zu führen, wunderte sich im Stillen über den Feuergeist, schüttelte aber dennoch den Kopf über die »freigeisterischen Gedanken« des jungen Burschen. Was nun Lessing's wiederholte dichterische Versuche betraf, so schenkte er diesen wenig oder gar keine Aufmerksamkeit, und verwies ihn mit dergleichen »Kinderspielen« an seine Frau, indem er dieser jedoch wiederholt versicherte, daß in dem Felix Weiße ein ungleich größerer Dichter stecke denn in dem Studenten aus Kamenz. –

Mittlerweile aber erblühten unter dem Sonnenschein der schönen Augen Victoria Adelgunden's langsam und farbenfrisch die Anakreontischen Gedichte Lessing's, und zu ihren Füßen legte er diese reizenden Blumen nieder. –

Da geschah es aber eines Tages daß die junge Frau ihren Schützling bat ihr ein wenig im Latein fortzuhelfen, das sie bereits bei ihrem Vater in Danzig begonnen, – – die Anakreontischen Gedichte hatten sie plötzlich in eine seltsame Unruhe gebracht. – Mit großem Eifer erbot sich der junge Dichter zu dieser anmuthigen Arbeit, und dieser Eifer verdoppelte sich als Victoria Adelgunde den schüchternen Wunsch aussprach, diese Lehrstunden einstweilen vor Jedermann geheim zu halten. »Mein eigner Gatte soll nicht eher ein Wort von diesem Unterricht erfahren als bis ich meinem geduldigen Lehrmeister Ehre bringe« sagte sie lieblich lächelnd. –

Die Vorlesungen hörten also nun auf und ernste Lehrstunden nahmen ihren Anfang, die junge Frau athmete erleichtert – sie wußte aber doch nicht recht was sich ihr so schwer auf das Herz gelegt. – Es war ein anmuthiges Bild diesen Lehrer und diese Lernende einander gegenüber zu sehen. Er, dessen Kopf mit der Imperatorstirn und den Feueraugen einen mächtigen Eindruck auf Jedweden machen mußte, der ihn mit Aufmerksamkeit betrachtete, sprach möglichst ruhig im belehrenden Ton, aber mit einem reizenden Schimmer von Glück um den Mund, zu jener Frau die bald schreibend, bald lesend, bald unter mädchenhaftem Erröthen irgend eine Frage beantwortend, sich nun seine Schülerin nannte. –

Victoria Adelgunde war ungewöhnlich lieblich. Ihre Züge waren so fein, ihre Gestalt von vollendeten Formen, ihr Lächeln bezaubernd, ihre Farben rosenfrisch und ihre Augen von wunderbarem Glanz und Ausdruck. – Armer Falter! – – Die junge Frau machte aber auch erstaunenswerthe Fortschritte, und nach kaum einem halben Jahre fing sie bei ihrem jugendlichen Lehrmeister das Griechische an, das sie ebenfalls mit großer Leichtigkeit faßte. Sie äußerte wiederholt ihre Freude bei dem Gedanken, ihren Gatten eines Tages mit dieser neuerworbenen Wissensfülle zu überraschen, ihn die Ode der Zieglerin vergessen zu machen, und lernte in dieser Hoffnung mit immer regerem Eifer, nur zu tausend Malen die Kürze der Zeit beklagend. – Da war es denn Ephraim Lessing selber der einstmals den Vorschlag machte, seine Schülerin möge, um die Zeit außer den festgesetzten Lehrstunden möglichst zu nutzen, lateinische Uebungsbriefe an ihn richten, die er dann am andern Tage wohlcorrigirt und mit allerlei belehrenden Randglossen versehn, ihr wieder einzuhändigen versprach. – Victoria Adelgunde ging nach kurzem Zögern auch wirklich auf jenen nützlichen Vorschlag ein, und so nahm denn an jedem Abend der junge Student ein zierlich beschriebenes, und wohl adressirtes Blättchen mit heim, und legte es in der nächsten Lehrstunde, mit verschiedenen rothen Strichen und Bemerkungen versehn, der schönen Frau wieder vor. – Allmählich wurden der Striche weniger, aber der Blättchen mehr, – – und zuletzt gewöhnte sich Victoria Adelgunde daran, ein ausführliches Tage- und Gedankenbuch in lateinischer Sprache zu führen, das immer in die Hände ihres jungen Lehrmeisters wanderte, und – – immer seltener in die ihren zurückkam. – Es mochten vielleicht der Fehler zu wenige darinnen sein, – oder der junge Student litt an Vergeßlichkeit und hatte versäumt jene Blätter einzustecken, – genug, die Briefe blieben bei ihm, aber ihr Inhalt wurde um so eifriger besprochen in den Lehrstunden, so eifrig, daß die junge Frau über all dem Hin- und Widerreden vergaß die Blätter zurückzufordern. –

In jedem Menschenleben giebt es eine Zeit, – oft ist's nur eine Stunde, – oft ein Tag – ein Monat – wo das Herz jene leidenschaftliche Bitte Josua's nachstammelt: »o Sonne stehe still!« – Aber sie steht nicht still bei unserm Ruf sie eilt unaufhaltsam weiter – – und wenn wir im tiefsten Herzen dies Gebet kaum ausgesprochen – – – dann ist schon Mittag vorüber und – – es will Abend werden. –

Als die zweite Hälfte des Jahres zu Ende gegangen und der Herbst schon dem Winter Platz zu machen sich anschickte, da sann die Gottschedin allen Ernstes darüber nach, welche Freude sie wohl ihrem Lehrmeister bereiten könne zum heiligen Weihnachtsfeste. Und sie sann so viel, daß sie bisweilen in den Lehrstunden gar sehr zerstreut erschien, und somit den jungen Dichter oft genug aus der Fassung brachte. – Noch mehr als ihr verändertes Wesen beunruhigte ihn jedoch ihre Bitte, ihr einmal seinen Freund und Stubengenossen, Felix Weiße, herzusenden, und so zärtlich Lessing jenen treuen Gefährten liebte, so durchzuckte ihn doch ein bis zur Stunde nie gekanntes Gefühl des Neides und der Eifersucht, als er den Jüngling bald allein zu seiner Schülerin gehen sah. – Seit jenem Besuche Weiße's schien auch die Zerstreutheit seiner Schülerin sichtlich zuzunehmen, das glaubte wenigstens Lessing zu bemerken, und gerieth deshalb in nicht geringe Aufregung. In den lateinischen Uebungsblättern fanden sich bald Lücken vor, der Ton wurde unruhiger, die Gedanken springender. Kein Zweifel mehr: sie hatte ein Geheimniß vor ihm, – und Felix Weiße wußte um dies Geheimniß. – In der Woche vor dem Feste bat ihn Victoria Adelgunde sogar plötzlich, die Lehrstunden in den Nachmittag zu verlegen, da sie von nun an des Abends mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt sei. – Mit bedrücktem Herzen erfüllte er ihren Wunsch, – aber am Abend mußte er doch das Haus umstreifen, zu gewohnter Stunde, wie ein abgeschiedener Geist, der Sage nach, die Stätte seines einstigen Glücks umschwebt. – Und was geschah ihm da? – Allabendlich, um die siebente Stunde, öffnete sich nun – und das dauerte eine Woche lang – die Hausthür des Professor Gottsched, – und heraus trat, Ephraim Lessing glaubte zu träumen, seine Schülerin selbst, gestützt auf den Arm Weiße's, eine Magd mit einer Laterne leuchtete dem Paare voraus. Daß sie es war, wirklich und wahrhaftig, wer hätte daran zweifeln können, – keine Frau der ganzen Stadt hatte diese kleinen Füße, diese weichen reizenden Bewegungen, diesen schwebenden Gang. – Die Drei schlüpften allezeit sehr eilig im Schatten der Häuser dahin, über den Markt, die Hainstraße hinunter. Vor dem Gasthof zur Taube machte man Halt – pochte an die Thür, die sich dann sofort öffnete und das Kleeblatt einließ. – Lessing blieb zum ersten Mal wie versteinert stehn. – Allda wohnte ja die Neuberin! – Was konnte die Ehefrau Gottsched's zu seiner Feindin führen? – Und noch dazu in Begleitung Weiße's, dessen Stück die Zieglerin bei der Theaterdirectorin nicht hatte anbringen können?! – Wollte seine Schülerin etwa ein gutes Wort einlegen für die »Matrone zu Ephesus?« Warum hätte sie da nicht eben so gut sich für den »jungen Gelehrten« verwenden können, den bittend zu der Neuberin zu bringen der Dichter selber zu stolz gewesen, und der somit ruhig daheim im Pulte schlummerte. – Wunderliche Gedanken und Empfindungen bewegten den Wartenden, der kaum merkte, daß er wohl zwei Stunden draußen stand in grimmer Winterkälte. – Er verspürte damals eine ganz absonderliche Lust, irgend einen Jemand aus der Welt zu schaffen, aber er war noch nicht mit sich einig, ob den Weiße, die Gottschedin oder – die leuchtende Magd. Dabei wunderte er sich über die ausnehmend heiße Witterung, die ihm den Schweiß auf die Stirne trieb, – und nahm zuweilen eine Hand voll Schnee, um sich zu kühlen. – Als das Kleeblatt endlich wieder erschien, besann er sich jedoch so lange, auf wen er losstürzen solle, bis die Gottschedin mit ihrer Dienerin in ihrem Hause verschwunden, und ihr junger Begleiter sich mit einem äußerst devoten Kratzfuß von ihr verabschiedet. – Wie ein Balsamtropfen fiel aber ihr gleichgültiges: »Gute Nacht, werthester Herr Studiosus – auf Morgen denn –« um dieselbe Zeit in die erregte Seele des Lauschers, und er gewann es in Folge dessen über sich, ruhig nach Hause zu wandern, sich schlafen zu legen wie ein gewöhnlicher Mensch, um wieder – von seiner Schülerin zu träumen wie – er allezeit wachend und schlafend von ihr träumte.

Am nächsten Tage schaute er sie aber doch zuweilen seltsam forschend an, als er ihr wieder als ernster Lehrmeister gegenüber saß, – und wenn sie auch ihre Aufgabe ohne Stocken herzusagen wußte, und einen Akt aus den Trauerspielen des Aeschylos fließend übersetzte, so riefen diese Blicke doch ein Erröthen hervor auf ihren Wangen, und ihre Hand zitterte ein Wenig, als sie ihm die lateinischen Tageblätter gab. – –

»O Sonne stehe still!« – –

Es hatten sich aber mittlerweile gar böse Augen auf das junge Paar gerichtet, das da alltäglich bei einander war, und jene schlimmen Zungen begannen allmählich zu zischeln, von denen es in jenem alten Volksliede heißt:

»Die Disteln und die Dornen die stechen gar zu sehr,
Die falschen, falschen Zungen stechen noch viel mehr!«

Solche Zungen waren es nun, die ungehindert allerlei Uebles redeten von der Gottschedin und dem jungen Studenten. Wie durften auch eine schöne Frau und ein geistvoller feuriger Mann ungestraft mit einander verkehren? Solcher Verkehr allein war schon eine himmelschreiende Sünde wider – jene häßlichen Schwestern, mit denen eben kein junger geistvoller Mann verkehrte. – Und der arglose Professor der Logik und Metaphysik, Johann Christoph Gottsched, erfuhr bald genug von den dünnen Lippen seiner Freundin Marianne Zieglerin, gebotene Romanus, eines Tages gar arge Dinge, – so arg, daß er urplötzlich auffuhr wie von einer Tarantel gestochen, und nach Hut und Stock griff, um spornstreichs nach Hause zu laufen, und zur Stelle die Wahrheit zu erforschen aus dem Munde der geliebten Treulosen selber. – Solches geschah am 22. December in der sechsten Stunde. Es war Licht in dem Stübchen der Frau Victoria Adelgunde, – – Gottsched schlich leise in's Haus und trat an die Thür der Wohnstube. Mit zitternder Hand schob er die Gardine vor dem kleinen runden Fensterchen in der Thür zurück und schaute in's Zimmer. Da sah er denn die Beiden sitzen, die Lehrstunde sollte just geschlossen werden. Seine Frau las noch mit lauter Stimme. – Es war aber Latein, was sie las, – es waren Verse, – es war wahrhaftig eine Ode! – Und in welchem reinen Latein, – und wie correct las sie. Und die Ode, – – es schwindelte ihm, war an ihn gerichtet, er hörte deutlich seinen Namen. Sollte Victoria Adelgunde dies classische Gedicht selbst verfaßt haben?! – – Unmöglich, der Gedanke wäre gar zu schön! – Da verstummte die Leserin und er hörte nun den Studiosus Lessing sagen: »Fürtrefflich, hochgeehrteste Frau Professorin, es ist kein einziger Fehler in Eurem Gedicht!« –

Da riß der freudetrunkene Professor der Logik und Metaphysik die Thüre auf, stürzte mit dem Rufe: »habt Ihr wirklich diese lateinischen Verse gemacht?« auf die Erschrockene los und riß sie in die Arme. Und als sie halb unbewußt leise nickte, sagte er tief aufathmend mit ungewöhnlicher Hast: »Ich weiß zwar jetzt auch, daß ich Euch Nichts zu verzeihn, und daß die Zieglerin eine elende Lügnerin, aber ich gestehe Euch auch, daß ich um einer selbstgefertigten reinen lateinischen Ode Euch ganz gewaltig viel verziehn. O Victoria Adelgunde, ein schöneres Weihnachtsgeschenk hättet Ihr mir nimmer machen können! – Euch aber, mein werthester Herr Lessing, danke ich zu tausend Malen, und werde Euch – hier habt Ihr meine Hand darauf – als Lehrmeister überall empfehlen, – nur eine Schülerin muß ich Euch abnehmen, alldieweil ich sie nun gern selber weiter bringen möchte, und das ist diese hier, – meine geliebteste Ehefrau.« –

Und wieder zog er sie zärtlich an sich.

Sie aber entwand sich ihm und sagte, ihren jungen Lehrmeister seltsam traurig anblickend: »da mein Gatte sein Weihnachtsgeschenk, meine arme Ode so früh empfangen, so mag ich auch Eure Christgabe nicht länger zurückhalten. Nehmt sie denn hiermit, – 's ist ein schwacher Dank für die Mühe, so Ihr mit mir gehabt!« – Und sie zog aus ihrer Kleidertasche einen gedruckten Zettel, worauf zu lesen stand:

»Am zweiten Christtage wird allhier folgendes Stück aufgeführt werden, mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung:

»Der junge Gelehrte.«

Lustspiel in drei Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Folgende Personen werden darin vorkommen:

Chrysander, ein alter Kaufmann Heinrich Koch.
Damis, der junge Gelehrte, Chrysander's Sohn   Karl Heydrich.
Valer Johann Neuber.
Juliane Mamsell Lorenz.
Anton, Bedienter des Damis Fritz Huber.
Lisette Mamsell Kleefelder.
u. s. w.«

Der junge Dichter aber – den Zettel in der Hand – stand da wie ein beschenktes Kind und staunte die schöne Geberin an wie im Traume, – dann wieder die gedruckten Worte, – und hat in seinem Leben kein so seliges Christfest wieder gefeiert denn damals in dem Stübchen der Gottschedin am 22. December Anno 1746. –

Als aber später die Gatten wieder allein waren, und Victoria Adelgunde nach dem Grunde der so überraschenden Rückkehr Gottsched's fragte, – wagte er doch, ihren ernsten reinen Augen gegenüber, nicht die volle Wahrheit zu gestehn. Es war nur eine halbe Beichte, die er ihr da stammelte. Sie hatte jedoch mit dem feinen Gefühl der Frau Alles errathen, – und fühlte plötzlich einen scharfen Schmerz durch ihr Herz gehn. – »Meine Lehrstunden werden mit diesem Tage für immer enden,« sagte sie nach einer Pause ruhig, aber mit einem tiefen Seufzer, »dafür bitte ich Euch aber mir zu erlauben am zweiten Weihnachtstage das Theater der Neuberin zu besuchen. Ich gestehe Euch hiermit, daß ich selbst diese Frau überredet, das Stück Lessing's aufzuführen, – aber auch die »Matrone zu Ephesus« des jungen Weiße soll Anfang Januar einstudirt werden, nachdem die Zieglerin sich vergeblich bei der Theaterdirectorin dafür verwendet. Ich denke, die Verzeihung für diesen Schritt und die Gewährung meiner Bitte sei eine geringe Belohnung für eine lateinische Ode und eine gelinde Strafe für Euch für das, was Ihr von mir, Eurer Ehefrau, geglaubt!« – –

Und am zweiten Weihnachtstage wurde der »junge Gelehrte« wirklich aufgeführt, unter großem Beifall der Zuhörer. Die Schauspieler thaten ihr Bestes, und die versammelte heitere Menge schaute oft neugierig auf den Platz, den der Professor Gellert eingenommen. Hinter ihm saßen nämlich zwei Studenten, und man bezeichnete den Einen von ihnen als den Dichter des Stückes, mit der Bemerkung, »der da, mit den großen Augen und fliegenden Haaren, der ist's!«

Ephraim Lessing aber war in einer wunderbar gehobenen Stimmung. Er sah seiner Seele höchsten Wunsch erfüllt, – er sah seine Dichtung lebendig vor Augen, der Beifall der Hörer klang wie Musik in sein Ohr – es war ihm als lebe er ein Märchen. Und in seinem Herzen fühlte er sich so froh und leicht wie noch nie. Der Schleier, der noch vor Kurzem die Holdeste aller Frauengestalten umhüllt, lag nun zerrissen zu seine Füßen, in ungetrübtem Glanze lächelte Victoria Adelgunden's Bild zu ihm hernieder. – Die Erzählungen seines Freundes Weiße, von dessen Lippen jetzt der Bann des Schweigens genommen, hatten alle seine bangen Zweifel zerstreut. Welch reizende Lösung jenes Räthsels, das den jungen Dichter so sehr bedrückt. Durch Christian Felix allein hatte sich ja die Gottschedin das Manuskript des »jungen Gelehrten« verschafft, – und er war ihr Begleiter gewesen zur Neuberin, in derem Hause man die ersten Proben in Gegenwart der holden Schützerin Lessing's abgehalten. –

Ueber alle diese entzückenden Dinge sann der Dichter wieder und wieder nach, während auf der Bühne seine Worte geredet wurden und die Gestalten seiner Schöpfungen sich vor seinen leiblichen Augen auf und ab bewegten. – Und als endlich der Vorhang fiel und die Zuhörer jubelten, da flog ein Lorbeerkranz auf die Bühne. – Wessen Hand hatte ihn wohl dem jungen Dichter gewunden? –

Am nächsten Tage aber nahm Victoria Adelgunde einen feierlichen Abschied von ihrem Vorleser und Lehrmeister und bat ihn ferner nur in Gesellschaft seines Freundes, nimmer wieder allein, und an fest bestimmten Abenden zu ihr zu kommen. Was sie ihm dann noch erzählt – was sie zu ihm gesprochen – was er ihr erwidert – Niemand weiß es, – aber die Beiden schieden in tiefster Erschütterung von einander und sahen sich fortan selten und immer seltner. – Und wie viele Späheraugen die schöne Frau und den Jüngling auch fort und fort beobachteten wenn man sie mit einander in Gesellschaften unter Andern sah, Niemand konnte in Haltung und Wesen der Beiden gegen einander auch die kleinste Ungehörigkeit entdecken. Denn das leise Zittern, das wohl auf einen Augenblick die Gestalt der liebenswürdigen Gefährtin Gottsched's durchflog wenn der junge Dichter eintrat, – fühlte zum Glück nur sie allein, und das verrätherische Beben seiner Stimme, wenn er mit ihr redete, vernahm Niemand denn sie allein. Aber Beide erkannten aus diesen Zeichen doch daß sie – an einem Abgrund gespielt, wie Kinder, die Gefahr nicht ahnend, – und daß die Hand, die sie zurückgezogen, die Hand eines Mannes war, den Beide verehrten. – – Den Studenten Lessing jedoch litt es nicht mehr lange in Leipzig – – was ihn forttrieb hat wohl Niemand je erfahren.

Victoria Adelgunde aber schloß sich inniger an ihren Mann an, der nun auch nicht ermüdete ihr öffentlich wie unter vier Augen die Beweise einer zärtlichen und anbetenden Liebe zu geben. Es war als fühle er, daß er ihr Etwas zu ersetzen habe, und sie fühlte wiederum daß sie ihm Dank schulde. Wofür – wagte sie sich kaum zu gestehn. – Großes Aufsehn machte aber das Zurückziehn des berühmten Gelehrten von seinen Freundinnen. Gottsched besuchte plötzlich jene »himmlischen« Kreise nicht mehr, und brach allen Verkehr mit den Musen Leipzig's ab. Dagegen öffnete er nun sein Haus jedem jungen strebsamen Talent, und wandte sich jetzt mehr denn je der studirenden Jugend zu, was ihm viele dankbare Herzen erwarb, obgleich er nicht, wie der liebenswürdige Gellert, jenes mild ernste und doch warme Wesen zeigte, das die Jugend so unwiderstehlich anzieht und fesselt. – Victoria Adelgunde nun, fand den leitenden Faden aus dem Labyrinth ihrer aufgeregten Gedanken und Gefühle zunächst in der Arbeit, die schon Manchen davor bewahrt Schaden zu nehmen an Leib und Seele. Sie hörte alle Privat-Vorlesungen ihres Gatten über Philosophie, Poesie und Rhetorik, an der verschlossenen Thüre ihres Schlafzimmers sitzend an, – sie übersetzte aus dem Englischen und Französischen, sie wurde dem Gelehrten eine treue umsichtige Helferin bei all seinen ernsten Arbeiten, sammelte, sichtete, und stellte für ihn die verschiedenen Stoffe zusammen, überraschte ihn auch zu seinem Geburtstag, oder zum Christfest, regelmäßig mit einem kleinen Drama, wie z. B. »Die ungleiche Heirath,« »Die Hausfranzösin,« »Der Witzling« u. A. m. – Nur das Lateinische und Griechische hatte sie, seltsamer Weise, bei Seite geschoben und begraben, trotz aller leisen Mahnungen ihres Gatten. – Ihr Hauswesen dagegen hielt sie nach wie vor in musterhafter Ordnung, sah fleißig in Küche und Keller nach und zeigte eine ungleich lebhaftere Freude wenn ihr Gatte ein von ihr selbst verfertigtes Gericht denn ein Gedicht lobte, und alle ihre Freunde wußten daß sie lieber über ihre Spitzen Bewundrung einerntete als über ihre Feder. –

Noch in ihren letzten schmerzensvollen Lebenstagen sagte sie lächelnd zu Gottsched: »Gottlob daß ich mein Bischen Latein und Griechisch jetzt völlig vergessen, nun darf ich doch sterben wie ich gelebt: eine ungelehrte Frau!« –

Auf ihrem Schreibtisch fanden sich nach ihrem Tode – den 26. Juni 1762 – folgende rührende Verse:

»Mein Gottsched – Du allein
Und daß Du mich geliebt das soll mein Lorbeer sein!
Daß Du mich hochgeehrt, daß Du mich unterwiesen,
Das wird der Nachwelt noch durch manches Blatt gepriesen.
Wer solchen Meister hat, da stirbt der Schüler nicht.
So leb ich denn durch Dich – wie könnt' ich schöner leben?
Dein Ansehn wird mir schon Lob, Ruhm und Ehre geben.«

Eine Sammlung ihrer bewunderungswürdigen Briefe gab eine ihrer Freundinnen, Frau von Runkel, in drei Bänden heraus. In diesen Blättern hat sich die geistvolle warmfühlende Frau das schönste Denkmal gesetzt, und sonnenklar bewiesen, daß nicht jede Frau, die einmal die Feder zu andern Dingen in die Hand nimmt als um Tagesausgaben oder Waschzettel zu schreiben, dintengeschwärzte Finger, und nachlässige Kleidung zur Schau tragen, und eine schlechte Hausfrau sein muß. Es sind reizende Briefe, das Abbild einer wahrhaft schönen Frauenseele, – der zu ihrer vollen Befriedigung vielleicht nur Eines fehlte: – das selige Gefühl Mutter zu sein. – Die lateinischen Uebungsbriefe, die Victoria Adelgunde an ihren jungen Lehrmeister schrieb, sind aber nicht unter jenen gesammelten Blättern. Die hat der Lessing so wie jenen Lorbeerkranz, den ihre Hand damals für den jungen Dichter auf der ersten Stufe des Ruhmestempels niederlegte, – und so gut verwahrt, daß nur ein Augenpaar sie erblickt: nämlich das der Erzählerin

Elise Polko.

Elisabeth.

(1859.)

Kein Dorfgeschichtenschreiber hätte eine hübschere Lage für die Heimath seiner Lieblingsgestalten erfinden können als die Lage der beiden Dörfer M. und N. Die niedern Häuser mit den rothen Dächern standen in dem Schatten von Obstbäumen, im Vordergrunde breiteten sich fette Wiesen und Kornfelder aus, im Hintergrunde zeigte sich ein frischer Laubwald, dem die dunkleren Parthien, kleine Tannengruppen, auch nicht fehlten, und den Horizont begrenzte jene malerische Bergreihe, die sich längs dem Rheinufer zwischen St. Goar und Bingen hinzieht. Jedes Dorf hatte einen schlanken Kirchthurm, auf dem einen schimmerte ein Kreuzlein, auf dem andern blitzte ein Wetterhahn. Die Kirchthüre in N. stand allezeit weit offen und trug die Inschrift: »Kommt her zu mir Alle, die ihr müheselig seid und beladen – ich will euch erquicken.« Ueber der Kirchthüre des andern Dorfes stand keine Inschrift, und der alte Küster, der zugleich Schullehrer war, schloß sie nur des Sonntags auf, oder zu Trauungen und Kindtaufen. In jener offenen Kirche waren buntgemalte Fenster, die einen warmen lieblichen Schein warfen auf die dunkelbraunen geschnitzten Betstühle und die Steine des Bodens; auf dem sinnig geschmückten Altar standen im Sommer frische Blumen, in silbernen Gefäßen, um das Crucifix, und brennende Kerzen, und inmitten der Kirche hatte man eine lebensgroße heilige Mutter aufgestellt, mit dem Jesuskind im Arme, in einem blauen Mantel, dessen Saum mit silbernen Sternen gestickt war. Die ewige Ampel schimmerte sanft, und graue Weihrauchwolken zitterten wie Nebelschleier durch den geweihten Raum. Kühl und würzig war die Luft in dem Kirchlein, denn die liebe Sonne kam durch die weit offene Thür mit den frommen Betern zugleich herein.

In der viel größeren Sonntagskirche waren die Wände recht hübsch weiß getüncht. Den Mittelraum füllten lange Reihen von braunen Holzbänken, mit braunen Holzwänden davor, die einen vorspringenden Rand hatten um die Gesangbücher darauf zu legen. An diesen Holzwänden, sowie an der Rücklehne der Bänke, waren viele grüne, rothe und blaue Schilder angebracht, worauf mit Goldschrift verschiedene Namen standen. Auf solche Schildplätze durfte sich Sonntags kein anderes Menschenkind setzen als jenes, so den Namen trug der darauf zu lesen war. – Der Altar hatte eine verblichene grüne Tuchdecke auf der die Bibel lag, zwischen zwei Leuchtern deren Kerzen niemals brannten. An der Wand hinter dem Altar war ein großes Bild eingefügt, Gott der Herr, strenges Gericht haltend über die Guten und die Bösen, und die Schafe sondernd von den Böcken. Der unbekannte Maler hatte am Ende des Bildes, mit bedeutendem Farbenaufwand, den leibhaftigen Bösen mit Hörnern, Ofengabel und ellenlangem Schwanz dargestellt, wie er eben mit frohem Grinsen seines feuerspeienden Rachens einige verstoßene Seelen aufspießt. Diese höllische Fratze hatte schon manche fromme Beterin in ihrer Andacht gestört, und sogar manche zu frühe Entbindung veranlaßt. – Die hohen trüben Fenster waren theilweise verhangen mit grauleinenem Zeuge, damit die andächtige Gemeinde nicht von den zudringlichen Sonnenstrahlen verhindert wurde den Herrn Pfarrer auf der Kanzel zu sehen.

Mit einem Worte – das eine Dorf war katholisch, das andere protestantisch, und das hätte man schon allein den Pfarrhäusern anmerken können. In dem protestantischen Pfarrhause in M. standen allezeit die Hausthür und die Hinterthür, die in den Hof und in den Garten führte, gegen einander offen, was einen argen Zug gab, in dem aber verschiedene muntere Knaben und Mägdlein aufwuchsen. Der hübsche Garten, in dem viel Gemüse gedieh, hing die ganze Woche voll Kinderwäsche, bunte Gardinen verhüllten die Fenster, und an den Sonnabenden pflegte der Herr Pastor, bei leidlich gutem Wetter, immer seine Predigt auf dem Spazierwege oder in der Fliederlaube zu memoriren, weil das ganze Haus sodann unter Wasser stand. –

Des andern Pfarrhauses breite dunkelgrüne Thür war immer wohl verschlossen, wer Einlaß begehrte, mußte an ein Seitenpförtchen klopfen, das man im grünen Weinlaube kaum sah. Blendend weiße Gardinen bauschten sich an den hellen Scheiben, sanft singende Vögel hingen in zierlichen Käfigen vor den Fenstern. Im Gärtchen, das so niedlich aussah, daß man es hätte gleich in einem Salon als Zierrath aufstellen mögen, blühten die schönsten Blumen in jeder Jahreszeit, der wohleingerichtete Küchengarten lag versteckt hinter üppigem Strauchwerk, in dem Hof und Hühnerstall sich umzusehen, war eine Lust, und das Taubenhaus sah einem hübschen Pavillon gleich. – Die freundliche alte Schwester des Pfarrherrn trug zwar nur Kattunkleider und weiße, eng anschließende Hauben, sie sah aber doch allezeit aus, wie die Leute im Dorfe meinten, wie eine »Weihnachtspuppe.«

Daß sich »die Herrn Collegen« von M. und N. niemals anders als mit einem sehr steifen Kopfnicken grüßten, und die Frau Pastorin und die »alte Mamsell« gar nicht, verstand sich von selbst. Die M'sche Pfarre war ausgezeichnet, aber der »Herr Pastor« sagte oft zu seiner Frau, daß er mit der Hälfte der Einnahmen zufrieden sein würde, wenn er die Katholiken nicht zu Nachbarn hätte. – Er war sonst, wenigstens nach seiner eignen Meinung, äußerst »tolerant,« nur gegen die »Katholiken« und gegen »Juden« spürte er eine kleine Abneigung, ähnlich jener, die er empfand, wenn ihm seine Frau einmal gelbe Rüben auf den Tisch brachte. – Wäre N. zehn Meilen von M. belegen gewesen, keinen katholikenfreundlicheren Mann hätte man sich denken können als den Pastor Müller. So aber kaufte man im Pfarrhause zu M. keiner Bäuerin aus N. etwas ab, auf strengen Befehl des Hausherrn, was der Pastorin oft schwer genug wurde, und jeder kleine Liebeshandel zwischen einem M'schen und N'schen Pfarrkinde wurde um so strenger vom Pastor getilgt, als der katholische Pfarrherr gegen dergleichen »Verirrungen,« wie er diese Verhältnisse mit seinem feinen Lächeln zu nennen pflegte, ziemlich nachsichtig war.

Der Herr Pastor richtete sogar seine Spaziergänge nie nach der Seite von N., weil er es nicht ertragen konnte, an Marienbildern, Kreuzen und Heiligen vorbei zu passiren. Sein steter Kummer war, daß die Post, die damals von Köln nach Frankfurt ging, zuerst durch N. kommen und anhalten mußte, während der Pfarrherr von N. ohne Neid es geschehen ließ, daß der Schwager auf dem Rückwege seine Pferde in M. fütterte. Weder gemeinsames Glück, nämlich reiche Ernten, noch gemeinsames Unglück, Mißwachs oder Hagelschaden, noch die alles gleichmachende Zeit vermochten hier die Verhältnisse zu ändern, und bewahrte man auch nach Außen hin einen gewissen Schein von Verträglichkeit, predigte man auch von den Kanzeln gewissenhaft das »liebet eure Feinde,« so hatte wenigstens der Herr Pastor seine »grillenhaften Stunden,« in denen er darüber nachsann, warum wohl der Herr nur in »grauen Zeiten« Schwefel und Pech vom Himmel regnen ließ – natürlich auf jene, die es verdienten! –

Als der Herr Pastor älter und in Folge des ewigen Zuges und vielen Scheuerns gar sehr von der Gicht geplagt wurde, bewilligte man ihm auf seine Bitte einen jungen Helfer, den er zu sich in's Haus nahm. Gottfried Berger, ein Theologe wie ihn empfindsame Seelen malen, nämlich »Johannesartig« mit blauen Augen und blondem Haar, war der hinterlassene Sohn der verstorbenen Schwester des Pastors. Er verstand sich trefflich in Onkel und Tante zu finden, und es wurde bald ein Lieblingsgedanke des Kränkelnden, sich diesen Neffen als Nachfolger und – Schwiegersohn dermaleinst in M. zu denken. Hatte er auch zur Zeit an dem jungen Manne noch vieles auszusetzen, vornehmlich daß er den Pfarrherrn von N. viel zu freundlich grüßte, auch seine Spaziergänge in jener von ihm stets vermiedenen Richtung machte und dergl. mehr, so hoffte er ihn doch durch seine unausgesetzten Ermahnungen auch in dieser Hinsicht auf den »allein richtigen« Weg zu leiten.


Die Nachmittagspredigt in der M'schen Kirche war vorüber. – Der junge Berger, der sie gehalten, ging eben langsam über den Kirchhof weg nach dem Pfarrhause. Einige alte Frauen verloren sich, die Gesangbücher in den Händen, zwischen den Gräbern, die Männer schritten grüßend an ihm vorüber. Kinder liefen ihm entgegen und boten ihm große Sträuße von Hollunder und Goldregen. Freundlich dankend nahm er sie und drückte sein Gesicht tief in die Blumen. Als er in den Hausflur trat, sagte die Magd, daß ihn der Herr Pastor bitten lasse, zu ihm in die Laube zu kommen, der Kaffeetisch sei allda aufgestellt. Er nickte und ging hinauf in seine Stube, sich umzukleiden.

Die Laube lag auf einer Anhöhe an dem äußersten Ende des langen Gartens. Im Sommer war sie recht dicht, fast kühl, denn die große Linde, die davor stand, stritt sich tagtäglich mit den Sonnenstrahlen herum, denen sie durchaus den Eintritt wehren wollte. Jetzt hingen nur einige grüne frische Ranken lose über das Gitterwerk, und die Linde selbst stand da, mit ihren jungen Blättern, wie unter einem durchsichtigen grünen Schleier, zitterte in der Frühlingssonne und dachte nicht daran Schatten zu geben. Auf die gelbliche Damastserviette auf dem Tisch fielen helle Lichter und zuckten hin und her.

Der alte Pastor saß in einem bequemen Sessel, den rechten etwas gichtischen Fuß auf einer gepolsterten Bank ruhen lassend. Es war ein hübsch geschnittener Kopf, von schlichtem Haar umgeben mit einigen Härten um Mund und Augen und einer eisernen Stirn. – Die Pastorin war einst schön gewesen, der bitterste Nachruhm für eine Frau, und sehr verwöhnt, als einziges Kind eines reichen Kaufmanns. Ihr Vater machte einen bösen Bankerott und erschoß sich nachher; die Mutter starb vor Schreck und Gram, und die kaum zwanzigjährige Armgard war froh, eine Gouvernantenstelle in einem gräflichen Hause zu erhalten.

Dort umgab sie doch wenigstens jener gewohnte Glanz und Comfort, den sie allein »Leben« nannte. Die Unlenksamkeit ihrer Zöglinge, die Zudringlichkeit des Herrn Grafen, und die Eifersucht der launenhaften Gräfin machten ihr aber im Laufe der Zeit das Dasein im Hause so schwer, daß sie – den Heirathsantrag des Gutspastors annahm, der jeden Abend mit den gräflichen Herrschaften Whist zu spielen pflegte. Gleich nach der Hochzeit erhielt Müller die Pfarrstelle in M., um die er sich insgeheim schon lange beworben, und siedelte mit seiner jungen Frau dahin über.

Ihre Ehe war wie tausend Ehen, wo eben beide Theile nur an das denken, was sie dem Andern geben, nie an das, was sie empfangen. – Armgard fühlte sich noch als die einzige gefeierte Tochter des reichen Bankiers, und Eberhard Müller fand es höchst anerkennenswerth daß ein wohlsituirter Pastor eine arme Gouvernante, »vom Fleck weg« zur Frau Pastorin erhoben. Die junge Frau versuchte Anfangs das schlichte Pfarrhaus umzumodeln in Erinnerung früherer Zeiten. Wunderlicher Flitterkram wurde hie und da aufgestellt, der in keinem Zusammenhange stand mit der übrigen Einrichtung; sie selbst trug sich ziemlich auffallend und schleifte die seidenen Kleider zum Staunen der Gemeinde durch das Dorf. Wer hätte sich getraut an solche vornehme Pastorsfrau ein fragendes oder bittendes Wort zu richten! Eine Weile schaute der Pastor anscheinend geduldig zu. Als aber das erste Kind da war und das Tauffest vorüber, gab es einmal eine ernste Scene im Pfarrhause. Acht Tage lang sah die Magd die Pastorin mit verweinten Augen herumgehen, – nachher verschwand ein Zierrath nach dem andern, der Flitterputz dazu, – statt der langen seidenen, trug sie jetzt kattunene oder wollene Kleider ohne Schleppen, und an die Stelle der dünnen Zeugstiefelchen traten derbe Lederschuhe. – Fünf Kinder wurden im Laufe der Jahre im Pfarrhause geboren, und vier kleine Särge standen zu verschiedenen Zeiten in der Gartenstube. Da gab es Leid genug und Thränen, und in diesem Jammer näherten sich denn auch die Herzen der Gatten mehr als sie es je in der Freude gethan.

Ein einziges, das jüngste Kind wurde groß, es zählte jetzt volle 17 Jahre und führte den Namen Elisabeth. Der Pastor hatte zwar Anfangs viel gegen diesen Namen, er klang ihm zu katholisch, aber er war doch im Laufe der Zeit etwas nachgiebiger geworden gegen die Wünsche seiner Frau, und so wurde die Kleine endlich nach ihrer verstorbenen Großmutter mütterlicherseits, Elisabeth getauft. – Das Mädchen wuchs auf, nicht nur als ein einziges, sondern auch als ein allein übrig gebliebenes Kind, bewacht und gehütet Tag und Nacht. Sie war beider Eltern Abgott, obgleich immer der Vater die Mutter, und diese wieder den Vater beschuldigte der kleinen Elisabeth zu viel Willen zu lassen. Jedes bewachte heimlich das Andere und freute sich über jeden sogenannten »Streich« in Betreff der Verwöhnung des Kindes, um ihn zu notiren und gelegentlich, bei irgend einem Angriff, als Vertheidigungswaffe zu gebrauchen.

So pflegte der Pastor als größten Beweis einer mütterlichen Schwäche zu erzählen, daß seine Frau lächelnd zugesehen, wie die Kleine ein Pastellbildchen – die schöne Armgard im Costüm einer Schäferin darstellend – so lange mit einem feuchten Schwamme bearbeitet, bis von den Farben keine Spur mehr vorhanden. Die Pastorin entschuldigte sich zwar damit, daß Elisabeth eben die Masern gehabt und der Arzt ihr befohlen, das Kind weder zu reizen, noch zum Weinen zu bringen, – ihr Mann lachte aber immer etwas spöttisch dazu. – Als Gottfried Berger später in's Haus zog, hatte ihm jedoch die Pastorin am ersten Abend gleich so viele Anekdoten von umgeworfenen Dintenfässern und zerrissenen Predigten vorgetragen, für welche Verbrechen das Töchterchen völlig straflos davon gekommen sei, daß dem jungen Kandidaten der Kopf schwindelte.

Mit jedem Jahre gestalteten sich die Träume der Pastorin in Bezug auf des Kindes Zukunft farbenreicher. Tausend Hoffnungen hingen an diesem jugendlichen Haupt. Sie verbarg aber dergleichen auf Goldgrund gemalte Bilder sehr sorgfältig vor den Augen ihres Mannes. Durch Elisabeth und mit ihr sollte ja ein neuer Tag kommen, der Tochter wünschte sie jenes reiche Leben, das sie selbst einst gelebt, – in der Tochter Glück gedachte sie sich zu sonnen. Elisabeth sollte keine Dorfpastorin werden, sie wenigstens durfte nicht in dieser Einsamkeit zwischen Rüben, Kartoffeln und Kornfeldern verblühen. Wie das freilich zu verhindern überließ die Pastorin zunächst einigen Jugendfreunden, mit denen sie noch korrespondirte, und – der Zeit. Das Kind war ja noch so jung! –

Eben trat der Kandidat in die Laube. »Haben Sie Elisabeth nicht gesehen?« fragte die Pastorin. Sie nannte vorsätzlich den Neffen ihres Mannes, trotz aller Einreden, »Sie«. – »Sie war nicht in der Kirche!« antwortete der junge Mann und zog einen Holzstuhl an die Seite seines Onkels. »Soll ich mich nach ihr umsehen?« – »O nein! Das große Kind geht nicht mehr verloren – es ist mir nur um den Kaffee zu thun. Er wird kalt.«

»War unser Gotteshaus voll?« fragte der Pastor. – »Nicht sonderlich. Ein Dutzend alter Frauen, kaum eine Handvoll Männer, ein paar Wöchnerinnen, die den ersten Kirchgang hielten – das war alles.« – »Das alberne Volk wird der Prozession nachgezogen sein. Heut haben sie ja wieder da Drüben so etwas. Ich weiß nicht, was für ein Fest es ist! – Wollte nur die Linde endlich einmal grün und voll werden, damit ich doch nicht auch von hier aus die Kirchthurmspitze sähe! – Nicht genug, daß mir diese Nachbarschaft die Pfarre verleidet und die Gemeinde verdirbt – sie verkümmert mir sogar meinen harmlosen Platz in der Laube.« –

Gottfried sah schweigend in seine Tasse.

»Ich begreife nicht, daß Du Dich nicht mehr über Deine leere Kirche ärgerst,« fuhr der Pastor fort. »Aber das soll und muß aufhören! Morgen in der Betstunde werde ich ein strenges Verbot erlassen. Wer sich untersteht –,« – »Da ist Elisabeth!« rief jetzt die Mutter mit froher Stimme dazwischen.

Den gelben Kiesweg herab, der zur Laube führte, kam schnellen Schrittes ein junges Mädchen in einem hellen Sommerkleide. Ein kleines Tuch von dunkelblauer Farbe hing ihr über dem Arm, den runden gelben Strohhut hatte sie abgenommen. Ein schönes etwas sonnenverbrannntes Gesicht lachte Allen einen Willkommen zu. »Wo warst Du so lange?« rief ihr der Vater in einem gereizten Tone entgegen; das abgebrochene Gespräch hatte ihn sehr verstimmt.

»Gleich zeige ich Dir's,« antwortete sie geheimnißvoll und fröhlich zugleich. Dann befreite sie ihre Hände von der Last von verschiedenen Dingen, die sie auf den Tisch legte: – Blumen, Papierblätter, ein Buch, Zeichenstifte, Hut und Tuch. Jetzt erst schob sie die schweren braunen Flechten zurück, die sie noch immer wie in ihrer Kinderzeit um den Kopf geschlungen trug und die sich vom raschen Gange etwas in die Stirn gesenkt hatten. Ohne die Aufforderung der Mutter in Betreff des Kaffees und Kuchens zu beachten, rollte sie ein größeres Papierblatt auf. »Gottfried soll's zuerst sehn! Bitte, komm hieher, da ist das beste Licht.«

Ihre dunkeln Augen lachten ihn an; Gottfried war im Augenblick an ihrer Seite, etwas linkisch zwar und befangen wie immer, aber so schnell als möglich. Kaum hatte er aber einen Blick auf die Zeichnung geworfen, als er blaß wurde und ängstlich flüsterte: »zeige das jetzt nicht – nur heute nicht!« – Sie sah ihn erstaunt an, rollte jedoch langsam das Blatt zusammen und legte es bei Seite.

»Nun? Wirst Du mir Dein Meisterwerk diesmal vorenthalten wollen?« fragte der Pastor. – »Es ist noch nicht ganz fertig.« – »Gieb her, ich will es sehn, ob fertig oder nicht!« sagte der Vater heftig. – Elisabeth zögerte. Die Mutter setzte ängstlich die Tasse aus den Händen. – Einem bestimmten Befehl des Vaters ungehorsam zu sein, das hatte die Tochter noch nie gewagt. Das Mädchen streckte auch jetzt mechanisch die Hand aus, um das verhängnißvolle Blatt zu ergreifen. Allein Gottfried kam ihr zuvor. Schnell wie ein Blitz hatte er das Papier aufgenommen und in viele kleine Stücke zerrissen, die nun der Wind nach allen Seiten davontrug.

Diese ungewöhnliche Handlung und rasche That eines sonst so scheuen stillen Mannes, machte in dem kleinen Kreise einen verschiedenen Eindruck. Das Gesicht des Pastors wurde sehr roth. – – »Was fällt Dir ein, Neffe,« rief er halb verwundert halb zornig. »Hast Du nicht gehört, daß ich die Zeichnung sehen wollte?« – »Sie war aber nicht des Ansehens werth!« lautete die ruhige Antwort. – »Nun, das wäre doch die erste schlechte Zeichnung die Elisabeth gemacht!« sagte da die Mutter gereizt. – »Sie war auch nicht schlecht!« murmelte jetzt das junge Mädchen und warf dem Vetter einen trotzigen Blick zu. »Du hattest wenigstens kein Recht sie zu zerreißen.« – »Du wirst eine bessere Zeichnung machen, Elisabeth!« antwortete er begütigend. – »O gewiß nicht! In meinem ganzen Leben habe ich noch niemals mit solcher Lust gezeichnet wie diesmal.«

»Und was war's, was Dich so gefangen nahm?« fragte der Vater milder und streckte den Arm aus, um die Tochter näher zu sich hinzuziehen. Die Zuversicht des verzogenen Kindes erwachte wieder in Elisabeth. Sie näherte sich dem Vater, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte mit heiterem Lächeln: »ich hatte die Prozession gezeichnet, wie sie vor dem Allerheiligsten auf den Knieen lag.«

Wie von einem Dolchstich getroffen sprang der Pastor auf. »Also mein eigenes Kind macht solche Dinge mit?« rief er bebend vor Zorn. »Und das muß ich erleben? Ich?« – Er schritt mühsam athmend auf und ab. – Keiner regte sich. – Da fragte die weiche Stimme des jungen Mädchens bebend: »War das denn ein Unrecht, daß ich Betende zeichnete? Ich habe sie ja nicht gestört, sondern kniete mitten unter ihnen, Vater!« –

Niemand antwortete. – Der Pastor preßte, gewaltsam nach Fassung ringend, die Lippen zusammen – wandte sich dann plötzlich um und schritt dem Hause zu.

– »Sie haben das Beste des Kindes gewollt, Gottfried,« sagte die Pastorin freundlicher als gewöhnlich, indem sie die Tassen zusammenräumte; »ich sehe das jetzt ein. Ihre Schuld war es nicht, daß der Versuch, das Kind aufmerksam zu machen, mißlang. Du hast Deinem Vetter den trotzigen Blick von vorhin abzubitten, Elisabeth!«

»Ich mag mich lieber schelten lassen vom Vater, als zusehn wie man mir meine Zeichnungen zerreißt,« antwortete sie mehr traurig als trotzig. »Daß es der Gottfried gut meinte, sehe ich ein.« – Dabei nahm sie aber ihren Hut und ihr Zeichenbuch und ging den Kiesweg hinab, schlug dann einen Seitenweg ein und stand nun vor der niedern Kirchhofmauer. Sie setzte sich auf den Rand des Gemäuers und sah hinüber in den stillen Garten der Todten, und wohl kein Lebender hätte jene Fragen beantworten können, von denen eben jetzt dies junge heftig schlagende Herz übervoll war.


Dies anscheinend unbedeutende Ereigniß hatte gewichtigere Folgen als Elisabeth träumte. – Von jenem Tage an durfte sie nämlich nicht mehr allein spazieren gehen. Der Vater erlaubte ihr nur im Garten, auf dem Kirchhofe oder im Hause zu zeichnen, ihre Spaziergänge unternahm sie fortan nur in seiner Begleitung und ohne ihr Zeichenbuch. Alle jene Heiligenbilder, die sie so gern in ihren kleinen Landschaftsskizzen anzubringen pflegte, wurden auf Befehl des Vaters daraus verbannt, selbst kein einfaches Kreuzlein am Wege duldete seine strenge Kritik mehr. Alles, was nur im Entferntesten an den Katholicismus erinnern konnte, sollte auf das Bestimmteste vermieden werden. Er hatte mit seiner Tochter nicht ein Wort über jenen Vorfall mit der Zeichnung geredet, ihr jedoch einfach gesagt, daß er selbst fernerhin ihr Begleiter sein werde auf ihren, sonst so zwanglosen, Spaziergängen.

Anfangs fühlte Elisabeth in dieser Neuerung einen unerträglichen Zwang, bald aber fügte sie sich in das Unabänderliche, und kurze Zeit darauf war sie wieder das heitere, lebensfrohe Mädchen das sie bisher gewesen. Auch ihr Verhältniß zu ihrem Vetter behielt nur wenige Tage lang eine eigenthümliche Spannung, dann warf sie ihm wieder, wie zuvor, ihren Blumenstrauß in's offene Fenster, wenn sie Morgens aus dem Garten kam, und quälte sich redlich, um keine Schelte von ihm zu bekommen, mit ihren französischen Aufgaben. Auch zeichnete sie ihn wieder, zu ihrer Uebung, wie schon hundertmal wenn er mit dem Vater Schach spielte, im Profil, en face und Dreiviertel, und übte geduldig jeden Tag vierhändige Kirchenlieder mit ihm.

So ging ein Tag nach dem andern hin, die Morgen, Mittage und Abende sahen sich gleich wie ein Ei dem andern. Und dennoch fühlte Elisabeth nie Langeweile oder irgend eine Sehnsucht nach Abwechslung. Zuweilen hätte sie wohl gern einmal andere Bücher gehabt, als Friederike Bremer's Werke und Schiller's Geschichte des dreißigjährigen Krieges, – seine Dramen gab ihr der Vater nicht – und die verschiedenen Reisebeschreibungen, aus denen Vetter Gottfried Abends vorzulesen pflegte, machten sie oft gewaltig müde, es schlief sich aber auch um so besser darauf. Zudem drängte ein sonniger Tag oder eine Partie in den Wald diese Wünsche wieder für eine Weile in den Hintergrund. – Freilich standen dafür andere auf, wie z. B. das Verlangen jene alte Kapelle auf der buschigen Anhöhe einmal zu besuchen, wo ein wunderthätiges Marienbild stand, welchen Ort zu betreten ihr der Vater jedoch schon vor Jahren ein- für allemal streng untersagt.

Seltsam, seitdem jene Geschichte mit der Zeichnung vorgefallen, war eben dieser halb vergessene Wunsch plötzlich in ihr mit fast ungestümer Lebhaftigkeit wieder erwacht. – Sie träumte sogar die Nacht von jener stillen Kapelle mit den bunten Scheiben, und von den vielen Herzen von Wachs, die man der Maria geschenkt, wie ihr ein kleines Mädchen aus N., der sie einmal verstohlen einen Maiblumenstrauß abgekauft, erzählt hatte. – Mit der Mutter wagte sie schon eher über diesen Herzenswunsch zu reden – aber helfen konnte ihr die Pastorin auch nicht, sie ehrte in allen Dingen, die sich auf Religion bezogen, ihren Mann sehr, und bemühte sich nach Kräften der Tochter dies »tolle Verlangen«, wie sie es nannte, aus dem Kopfe zu bringen. – Dabei schien sie aber in der letzten Zeit häufiger denn je mit ihren fernen Freunden zu korrespondiren, und die eigenthümliche, halb frohe, halb sorgenvolle Art, mit der sie zuweilen ihre Tochter anblickte, gab dem ruhig beobachtenden Kandidaten viel zu denken.

Da kam eines Tages, Niemand schien sich dessen zu versehen, Besuch ins stille Pfarrhaus, nämlich ein entfernter Verwandter der Pastorin. Herr von Plessow, der Direktor der Malerakademie in F., war auf einer Badereise begriffen und sprach für wenige Stunden in M. ein, um die »liebe Cousine« zu begrüßen. Beide hatten einander viel zu fragen, sich so vieler Dinge und Personen zu erinnern daß es beinahe nicht dazu gekommen wäre, Elisabeth's Skizzenbuch zu durchblättern, nach welchem der »Herr Cousin« doch sogleich gefragt. – Der ältliche freundliche Herr fand sehr viel Wohlgefallen an den artigen Bilderchen, noch größeres aber an der Zeichnerin selber und sagte endlich, im Beisein des Pastors, sehr ernsthaft: »ich möchte Dich wohl mit nach F. nehmen, Elisabeth, wenn ich aus dem Bade komme, – aus Dir kann eine tüchtige Malerin werden. Ueberlege Dir die Sache und schreibe mir nach T., wenn Du willst daß ich Dich abholen soll. Ein halbes Jahr lang unter einem tüchtigen Lehrer und Du würdest Bedeutendes leisten!« –

Ein Wort zu guter oder böser Stunde ist ein Samenkorn, – und der Wind weht selten es auf einen steinigen Boden. Es fällt in warmes Erdreich – es schießt auf – gepflegt in stillen Nächten, getränkt von heimlichen Thränen, und wächst empor, oft eine üppige Giftpflanze – oft ein Rosenstrauch voll Dornen und süßen Knospen – oft eine »blaue Blume,« jene mährchenhafte Blüthe, die demjenigen, der sie einmal erblickt, nie zu stillende Sehnsucht bringt.

Die Worte des Direktors aus F. ließen in dem Herzen des jungen Mädchens jene blaue Blume erwachsen. Eine leise Sehnsucht beschlich sie urplötzlich nach einem Etwas, das sie nicht hatte. – Sie vermochte selbst mit ihrer Mutter nicht darüber zu reden, – sie saß in tiefen Gedanken vor ihrem Zeichenbrettchen, – keine ihrer kleinen Schöpfungen wollte ihr mehr gefallen – und es geschah ihr nicht selten daß sie mitten im Zeichnen unlustig den Stift von sich warf und das angefangene Blatt zerriß. Es begab sich auch, daß sie in der Nacht erwachte und lange, lange schlaflos da lag, und mit ihren Gedanken weit wegflog über den Garten des Pfarrhauses – weit über Hügel und Wälder fort – »wohin – ach wohin?« – Nur einmal, auf einem Spaziergange mit dem Vater, gab sie ihren Gedanken Worte. Sie hatte sich einen Feldblumenstrauß gepflückt. Plötzlich blieb sie stehen, legte ihre Hand auf den Arm des Vaters und sagte, bebend vor Erregung: »Sieh, wenn ich diese Blumen da malen könnte, wie ich sie so vor mir sehe in ihren sanften köstlichen Farben, – ich glaube, ich wäre das glücklichste Geschöpf der Welt!« – Der Pastor lächelte über den Ausdruck strahlender Freude in ihrem Gesicht, antwortete aber nichts.

An einem Sonnabend Abend lehnte sie wieder, wie so oft, an der Kirchhofmauer und schaute hinüber auf die Gräber der Geschwister. Der Pastor ging in seinem Studirzimmer auf und ab, bei geöffnetem Fenster seine Predigt memorirend, denn die Stube war in der Sommerwärme diesmal schon vollständig getrocknet. Die Pastorin stand auf einer kleinen Leiter an dem Pfirsichspalier und pflückte behutsam die ersten reifen Frühpfirsiche. Der Kandidat Berger kam eben von seinem Abendspaziergang zurück. Er trug einen Strauß von Waldblumen in der Hand, blieb erst einen Augenblick bei der »Frau Tante« stehn, ging dann weiter und setzte sich nahe zu dem jungen Mädchen auf die niedrige Mauer. Er reichte ihr den Strauß hin wie immer, sie nahm ihn freundlich nickend wie immer. – Eine Weile sah sie gedankenvoll in die Blumen, dann wandte sie sich plötzlich gegen ihn und sagte mit halberstickter Stimme und schnellem Athem: »ich kann es nicht mehr aushalten hier!« – –

In sprachlosem Erstaunen starrte er sie an. Ihr Gesicht war wie mit Purpur übergossen, ihre Augen standen voll Thränen. »Ja ja, es ist so!« fuhr sie fort und trat ihm näher, »ich weiß es jetzt ganz genau und Dir kann ich's auch zuerst sagen. Ich will nach F. und Malerin werden. In vier Wochen kommt der Direktor wieder hier durch und ich – werde mit ihm gehn!« – »Aber mein Gott, welch ein Gedanke!« – »Und Du mußt mir helfen ihn auszuführen, Du mußt mir beistehen die Eltern zu bereden mich auf ein Jahr, – auf ein halbes vielleicht nur, – von sich zu lassen.« – »Ich, Elisabeth?« – »Eben Du. Warst Du nicht allezeit gut zu mir? Seit Du jene Zeichnung zerrissen habe ich das erst gewußt, aber nun vergesse ich's auch nimmermehr.« – »Aber es ist ja ganz unmöglich daß Du fortgehen kannst von hier!«

»Warum denn? Die Mutter braucht mich nicht so nöthig, sie liebt es gar nicht wenn man ihr im Hause hilft. Und der Vater – wird mit Dir fortan spazieren gehen, bis ich wiederkomme. Du wirst der Einzige sein der mehr Last und Arbeit davon haben wird daß ich gehe, denn ich werde Dir allerlei Aufträge hinterlassen. Du mußt die Vögel füttern und nach meinen Blumen sehn und jede Woche einmal meine Epheuwand abwaschen. Daß Du die Eltern aufheitern mußt, versteht sich ganz von selbst.« – »Ich soll den Eltern rathen, Dich fortzulassen?« wiederholte er noch einmal wie im Traume. »Nein, Elisabeth, das thue ich nicht – das kann ich nicht!« setzte er fast heftig hinzu und richtete sich hoch auf.

Mehr betrübt als erstaunt über seine Weigerung hatte sie langsam ihre Hände zusammengelegt und sah ihn stumm und bittend an. – Es gibt Momente, in denen uns das Bild eines Menschen, wie er eben vor uns steht, plötzlich gleichsam in's Herz gepreßt wird. Die Seele nimmt ein Photographie-Portrait auf, und dies Portrait ist unverwischbar, wir sehen fortan diese Gestalt nur so wie sie uns in jenem Augenblick erschien, und weder Trennung, noch Alter vermag einen Zug in solchem Bilde zu verändern.

Wenn der junge Kandidat von dieser Stunde an des Mädchens gedachte, so sah er sie in einem blaßrothen weiten Sommerkleide, eine Epheuranke um die Flechten geschlungen, eine verwelkte Rose im Gürtel, das kleine seidene Tuch, das sie eben vom Halse genommen, spielend um das Handgelenk geschlungen, mit dem wunderbaren Ausdruck von Sehnsucht und Erwartung in dem blühenden Gesicht, die Augen auf ihn gerichtet, deren lange dunkle Wimpern ihrem Aufschlag einen so eigenthümlichen Zauber gaben.

Da er nicht antwortete, so fragte sie noch einmal, aber ungeduldiger: »Und warum nicht?« Da zuckte es über sein Gesicht – sein Athem stockte – die Lippen öffneten sich – –

»Herr Neffe, wollen Sie mir den Korb heraufreichen? Elisabeth, der Vater verlangt nach einer neuen Pfeife!« rief die Pastorin. – Der junge Mann fuhr auf, wandte sich mechanisch und schritt auf das Spalier zu. – Elisabeth folgte gedankenvoll.


An demselben Abend, vor Schlafengehen, fiel die Tochter der Mutter um den Hals, und bat sie ihr zu erlauben das Anerbieten des Direktors aus F. anzunehmen. »Ich möchte gar zu gern eine Malerin werden!« sagte sie aufgeregt.

Die Pastorin war hocherfreut, obgleich nicht erstaunt – sie hatte ihre Tochter seit des »Cousins« Weggang wohl beobachtet und diese Bitte erwartet. Ihre Gedanken nahmen aber sofort einen hohen Flug. Sie sah für Elisabeth eine Zeit des Glanzes voraus wie sie sie selbst kaum einst erlebt. Wie groß war F., wie lebendig und interessant mußte das Haus des Cousins sein, besonders seit er sich zum zweiten Mal verheirathet! – Wie entscheidend konnte dieser Besuch für die Zukunft Elisabeth's werden! – Von alledem sagte sie aber kein Wort, sie küßte nur ihr Kind und meinte: »ich kann mir wohl denken, wie sehr Dich's verlangen mag eine ordentliche Malerin zu werden. Deine arme Mutter könnte Dich ja doch nicht weiter bringen im Zeichnen, Du hast sie schon längst überholt, und Du kannst nun viel zu viel um es liegen zu lassen. Als meinen Vater das Unglück traf, sollte ich eben auf Porzellan malen lernen – wer weiß, zu was mir das genützt haben würde! Laß mich mit dem Vater reden – und rede Du nicht eher mit ihm über Deinen Wunsch, als bis ich Dir einen Wink gebe.« –

Wie es die Beiden in den nächsten Tagen angefangen, den Pastor zu bereden – wer konnte es sagen? – Gewiß war nur, daß genau eine Woche nach jenem Gespräch zwei Wäscherinnen und zwei Schneiderinnen im Pfarrhause beschäftigt waren, und daß wenige Tage darauf noch eine Büglerin zu Hülfe genommen werden mußte. –

Die Pastorin aber nahm eines Morgens ihre Tochter mit herauf in eine abgelegene Kammer, schloß dort eine große Truhe auf, und zog vor den staunenden Augen des Kindes allerlei Schätze an's Tageslicht. Da kam ein hellblaues Taffetkleid zum Vorschein und ein dunkelgrünes, ein weißes gesticktes Mousselinkleid mit rosenrothen Schleifen, und ein buntschillerndes Seidengewand. Auch wunderliche Echarpen und Umhängsel, die ebenso unmodern aussahen wie die Kleider, zu denen sie getragen worden waren. Elisabeth jubelte aber über Alles. Sie hätte diese Ueberbleibsel aus der so oft beseufzten und betrauerten Glanzzeit ihrer Mutter am liebsten gleich so angezogen, trotz der bauschigen Falten, puffigen Aermel und kurzen Taillen, hätte es die Pastorin gelitten.

In kurzer Zeit aber waren alle diese Kleider durch die Hände der Nadelkünstlerinnen in die prächtigsten Toiletten umgewandelt worden, so meinten wenigstens Mutter und Tochter, – und mit wahrem Stolz packte die Pastorin eigenhändig die Koffer ihres Kindes, ehe noch die bejahende Antwort des Direktors auf die feierliche Anfrage des Pastors eingelaufen war. Elisabeth stand dabei und reichte ihr jedes Stück mit kindlicher Freude hin. – Das war eine anmuthige Arbeit. Zuletzt war aber alles fertig – Schneiderinnen, Wäscherinnen und Büglerin verschwanden, und es gab endlich nichts mehr zu thun als – auf den aus dem Bade Heimkehrenden zu warten. – Seine Antwort war längst da – er beabsichtigte, im Laufe der nächsten Woche in M. einzutreffen. »Es wartet sich doch gar schwer,« meinte Elisabeth. Sie hatte nirgends mehr Rast noch Ruh, selbst nicht auf der Kirchhofmauer. – Die vierhändigen Kirchenlieder spielte sie längst nicht mehr, sie hielt keinen Takt, und der Vater wurde ungeduldig beim Zuhören, sie las auch nicht, – höchstens zeichnete sie dann und wann ein wenig. Am liebsten ließ sie sich von der Mutter von dem Leben und Treiben in F. erzählen, wie es die Pastorin, als sie noch die schöne Amgard Albert war, kennen gelernt.

Gottfried Berger ließ sich jetzt selten sehen, auch Abends zog er sich unter dem Vorwand dringender Studien in sein Zimmer zurück. Man vermißte ihn auch wenig oder gar nicht, denn Elisabeths Abreise war das fesselnde und unerschöpfliche Thema aller Gespräche. Der Pastor erinnerte sich dabei eines alten Universitätsfreundes nach dem Andern, der in F. leben mußte, und denen er sein Kind zu empfehlen gedachte. Der alte Herr hatte übrigens von jeher für das Zeichentalent seines Kindes eine Art von Bewunderung gefühlt, er war stolz auf seine Tochter, und seit jenem Besuche des Cousins war ihm selber der Gedanke gekommen, daß ja sogar die Bibel gebot: »Du sollst dein Licht leuchten lassen vor den Leuten.« Die Idee, sein Kind sei vielleicht dazu bestimmt eine große Malerin zu werden, beschäftigte ihn lebhaft, so daß er sehr bald fest überzeugt war, es bedürfe nur eines Winteraufenthalts in der Stadt, um aus ihr mindestens eine zweite Angelika Kaufmann zu machen. Er blickte so recht eigentlich in Bezug auf Elisabeth in einen »goldenen Kelch« – wie das Volk so poetisch zu sagen pflegt – und in der Tiefe dieses Kelchs lag – eine Perle, ihr Talent, zwar ein Talent, an dessen Ausbildung er auch seinen Antheil zu haben glaubte. Hatte er doch dem Kinde erlaubt alle seine Papiere vollzukritzeln, selbst die Ränder seiner Predigt-Manuscripte! Brachte er ihr doch jedes leere Blatt, das er von eingegangenen Briefen abgeschnitten, und ließ ihr endlich gar ein Zeichenbrett zimmern! –

Obgleich ihm die Trennung von Elisabeth nahe ging, so war es ihm doch äußerst angenehm, sie dann in einer so protestantischen Stadt zu wissen wie eben F. – Es war ihm lieb, sie aus der Nähe der Marien- und Heiligenbilder, der Prozessionen und Kapellen für eine Weile verbannen zu können. Das Kind stand in einem gefährlichen Alter: – eben 17 Jahre alt! »Und was sie da drüben machen sieht sich mit siebzehnjährigen Augen ganz anders an als mit siebzigjährigen!« meinte er.

Als der Direktor der Malerakademie wirklich da war und der Wagen endlich vor der Thür stand, der Elisabeth, und ihren neuen Beschützer fortbringen sollte, da wurde ihr junges Herz mit einemmale centnerschwer. – Während die Andern beim Frühstück saßen, ging sie noch einmal wie im Traume durch's Haus, vom Boden bis zum Keller, öffnete alle Thüren und schaute hinein, besonders lange aber in des Vaters Studierzimmer, allwo die blaue Rauchwolke nimmer wich, die über dem Schreibtisch hing, und wo die vielen gottesgelehrten Männer unter Glas und Rahmen so grämlich dreinschauten, als hätten sie wenig Freude gehabt im Leben. Sie ging auch in die große düstere Küche, wo die alte, sonst so rauhe und zänkische Magd hinter dem Küchenschrank in Thränen zerfloß, weil die »Mamsell Lieschen« fort wollte. Im Gange draußen begegnete ihr die große schwarze Katze, die sonst nimmermehr ihr Liebling war, heute aber lockte sie das Thier und strich ihm sogar schmeichelnd über den Rücken. Draußen auf dem Hofe warf sie dem alten Kettenhunde, der nur noch bellen, nicht mehr beißen konnte, ihr Frühbrödchen zu, trat an ihn heran, nahm seinen rauhen Kopf in ihre Hände, und drückte ihre Wange einmal gegen ihn. Dann ging sie nach der Kirchhofmauer und winkte den Gräbern der Geschwister den Abschiedsgruß zu.

Als sie auf dem Rückwege an der Laube vorüber kam, trat ihr Gottfried entgegen und sagte: »laß mich hier Dir Lebewohl sagen, Elisabeth!« Er sah sehr blaß aus, und die Hand, die er ihr gab, war eiskalt. – »Mache mir doch nicht mit Gewalt das Herz noch schwerer,« antwortete sie; »ich komme ja aus dem Abschiednehmen nicht heraus. Laß es doch in Einem hingehen, lieber Gottfried!«

Stumm ging er an ihrer Seite weiter – denn sie war nicht stehen geblieben. Mild und lieblich bat sie nach einer Weile: »sorge gut für die Eltern!« – Er gab keine Antwort, sondern fragte nur nach einer Pause gepreßt: »wirst Du oft schreiben?« – »So oft ich kann!« – »Wird auch ein Gruß in Deinen Briefen sein für mich?« – »Tausend für einen!« versicherte sie. »Aber weißt Du, ich könnte Dir wohl französisch schreiben, das wäre eine gar gute Uebung – und Du antwortetest mir dann auch so und schriebst mir was ich für Fehler gemacht. – Willst Du?« – Er nickte.

Sie waren bis an das Ende des Kiesweges gekommen. »So leb denn wohl!« brach er plötzlich hervor und die Thränen stürzten aus seinen Augen. – »Aber Gottfried! – Sei doch vernünftig!« bat sie – und seltsam – ihre weiche Stimmung verschwand plötzlich, als sie seine Thränen sah. – »Wenn Du Dich wunderst, daß ich weinen kann, so weißt Du auch nicht –« – »Was denn?« – »Wie unsagbar lieb Du mir bist!« – »Lieber guter Gottfried, ich weiß ja Alles – aber trotzdem sehe ich nicht ein warum Du weinst, wenn ich auf ein paar Monate weggehe, um etwas zu lernen was mich glücklich machen wird!« Sie hatte sehr ruhig gesprochen. – Er sah sie schmerzlich lächelnd an. »Glücklich machen wird!« wiederholte er. »Ja, so glücklich, daß Du – uns (mich hatte er sagen wollen) darüber vergißt!« – »Das thue ich nimmermehr! Da, meine Hand darauf,« sagte sie rasch und innig. »Und nun auf Wiedersehen im nächsten Frühling.«

Sie pflückte eine volle Rose von dem Bäumchen, an dem sie eben standen, und gab sie ihm. Aber als er die Blume ergriff und an sich zog, fielen die rothen Blätter auf den Boden. – Elisabeth sah es nicht mehr – sie hatte sich abgewandt und ging – sich ohne noch einmal umzuschauen, dem Hause zu.

Als aber eine Stunde später das junge Mädchen den Abschiedskuß und die Segensworte des Vaters empfing, weinte sie. – »Geh fleißig in unsere Kirche und berichte mir ausführlich über die Predigten meiner Collegen,« sagte der Pastor noch zum Schluß. »Geh nur fremdem Gottesdienst aus dem Wege, wenn Dir an meinem Segen noch etwas gelegen, – und meide sogar den Umgang mit Andersgläubigen. Enthalte Dich aller religiösen Gespräche und verschließe Deine Ohren vor den Worten der Spötter.« – »Vater, so hübsch wie Heute ist mir unser Pfarrhaus noch nie vorgekommen!« sagte sie als er sie an den Wagen führte. – »So ist's recht!« antwortete er leise. »Du sollst es auch lieb haben! Komm Du nur bald und gern wieder. – Es ist ja Deine eigentliche Heimath, denn so der Herr will, sollst Du Dein Lebenlang hier bleiben, aber nicht etwa als altes Jüngferlein, sondern als junge hübsche Pastorsfrau! – Der Gottfried würde dermaleinst ein prächtiger Ehemann werden! Nur gar zu gut, fürchte ich, für Dich, kleiner Trotzkopf!« – Sie sah ihn überrascht an und blieb einen Augenblick stehen. Die Farbe wich von ihren Wangen. Dann aber lachte sie, wie ein junges Mädchen lacht das man eben geneckt, und meinte: »ja, der wäre wahrlich zu gut!«

Die Mutter, die mit dem Cousin vorausgegangen und bis jetzt sehr gefaßt gewesen, zerfloß nun doch in Thränen und ließ ihr Kind sehr schwer aus den Armen. Aber mitten im Schluchzen, als der Wagen schon sich in Bewegung setzen wollte, rief sie ihr noch zu: »merke es Dir, Elisabeth, das Blaue nur für Abendgesellschaften, das Grüne kannst Du aber jeden Sonntag anziehen! – Die gelbe Echarpe –!« Die Pferde zogen an – ein Winken herüber und hinüber – und Alles war vorbei.

Eine Weile nachher hatte Elisabeth schon die Heimath im Rücken und lachte recht herzlich über die lustigen Geschichten, die der »Herr Onkel,« denn so nannte sie ihn jetzt, ihr von seinen ersten Portraitversuchen erzählte. Zur selbigen Zeit ging der Pastor, von einer seltsamen Unruhe befallen, in seinem Studierzimmer auf und ab, und ließ ein über das andere mal seine Pfeife ausgehn – und in dem kleinen Schlafstübchen saß die Mutter auf dem verlassenen Lager der Tochter und weinte sich satt. – Aber draußen in der Fliederlaube saß Einer – der keine Thränen mehr hatte in seinem Leid.


Der Sommer und Herbst waren vorüber, am ersten November empfing Frau von Plessow wieder, und die Empfangsabende in ihrem Hause waren eben so besucht als amüsant, wie besonders die junge Welt behauptete. – Die verschiedensten Stände fanden dort ihre Vertreter, und wenn auch die Zahl der jungen Mädchen, denen man erlaubte in diesem Salon erschienen, nur klein war, so traf man desto mehr hübsche Frauen dort, mit denen sich's ja ohnehin nach der Ansicht der jungen Elegants, ungleich »bequemer« verkehrt.

Die hübsche Enfilade von fünf Zimmern war glänzend erleuchtet, die Einrichtung zeigte Comfort und feinen Kunstgeschmack. – Große Tische mit prächtigen Mappen und Büchern, davor bequeme Fauteuils und kleine Ottomanen, im Mittelsalon ein aufgeschlagener Flügel, halbversteckte Büffets mit Erfrischungen, und einer leise auftretenden Bedienung, – nirgends betäubend duftende Blumen, überall verschleierte Kugellampen, deren Licht für den Teint so vorteilhaft, überall Winkel zum Plaudern, und in keiner Ecke jene lästigen Nippes, die nur aufgestellt sind um angestoßen zu werden.

Die Räume waren schon ziemlich gefüllt von jungen und alten Künstlern, einigen wenigen Uniformen und ungewöhnlich vielen Frauen in glänzenden Toiletten.

Zu einer heitern Gruppe in der Nähe einer sehr schönen, kleinen Copie der Diana aus dem Louvre, in Marmor ausgeführt, die künstlerisch zwischen dunklem Grün aufgestellt war, trat jetzt der Hausherr. »Ich habe Dir einen angenehmen Gast anzukündigen, liebe Amélie,« sagte er zu einer zarten Frau in blaßblauen Tafft und langen blonden Locken, offenbar eine der elegantesten Erscheinungen im Salon; »Paul Albano ist von Griechenland zurückgekehrt, seit vorgestern, und wird sich selbst und einige seiner Skizzen diesen Abend wieder hier einführen.« – »Albano zurück?« rief Frau von Plessow ungewöhnlich lebhaft, und ihre aristokratisch bleiche Wangen überflog ein verrätherisches Roth. »Ich glaubte er würde den Winter über in Athen bleiben!« – »Wer weiß, welcher Magnet ihn zurückzog,« antwortete Plessow gleichgültig. »Er hat freilich zu Vielen den Hof gemacht, als daß man an eine »Einzige« glauben könnte der solche Macht über den Schmetterling verliehen.«

»Deßhalb also der ungewöhnlich reiche Damenflor!« flüsterte ein bekannter sarkastischer Portraitmaler dem Hausherrn ins Ohr. »Die Kunde seiner Rückkehr hatte sich im Fluge heut in dem guten F. verbreitet. – Welche Macht ist nun ausgerückt den gefährlichen Feind zu bekämpfen.« – »Oder sich besiegen zu lassen!« lachte Plessow. »Seine Skizzen sind mir aber viel werth,« setzte er laut hinzu; »geistvoll und glühend ist alles was aus seinem Pinsel fließt. – Nicht so Amélie?« – Frau von Plessow, anscheinend sehr vertieft in ein Gespräch mit ihrer Nachbarin, der alten Gräfin Darschau, über die Eleganz der Hofmäntel, antwortete nachlässig: »meinst Du die Skizzenblätter Albano's, cher ami? Sie sind allerdings hübsch, aber zu unruhig und phanthastisch für meinen Geschmack. Wie könnten sie auch anders sein da der, der sie schafft –« – »Du hast nun einmal ein kleines Vorurtheil gegen ihn,« unterbrach Plessow die Rede seiner Frau, die in demselben Augenblick in vollendeter Haltung einigen ankommenden Gästen entgegen ging.

Man ging und stand umher, man empfing und theilte Huldigungen aus wie immer. – Die Frau vom Hause war sehr umringt – aber man wollte bemerken daß sie zerstreut war, und mehr als einmal sah man, daß ihre Augen sich auf die Thür richteten mit dem Ausdruck einer gewissen Unruhe. – Auch weigerte sie sich heut ihre graziösen Mazurka's und Notturno's zu spielen, mit denen sie sonst zu brilliren liebte.

»Da ist Albano,« sagte plötzlich ein junger Mann in ihrer Nähe und trat zur Seite. Wieder flog jenes feine Roth über Frau von Plessow's Wangen, – einen Augenblick nachher begrüßte sie aber mit vollkommener Ruhe einen jungen Mann, der rasch durch den Salon geschritten war und ihr jetzt gegenüber stand. – Es war in der That der bekannte und vielgesprochene Landschaftsmaler, dessen Talent selbst in den allerhöchsten Kreisen die schmeichelhafteste Aufnahme gefunden, dessen reizende Skizzenblätter zu kennen zum guten Ton gehörte. Er hatte ein halbes Jahr in Griechenland verträumt, und war so plötzlich zurückgekehrt wie er aufgebrochen. Die Frauen beteten ihn an, nicht obgleich, sondern grade weil er sie unbarmherzig behandelte. Ihn wirklich zu fesseln war noch Keiner gelungen, – an Versuchen dazu ließen es wenige fehlen.

Kurz vor seiner Abreise bezeichnete das Gerücht Frau von Plessow selbst als den ausschließlichen Gegenstand seiner flüchtigen Huldigungen. Seine Flucht gab aber damals kaum mehr Stoff zur Unterhaltung als eben jetzt seine unerwartete Rückkehr. – Unbarmherzige Augen waren von allen Seiten auf die Wirthin gerichtet, feine Ohren lauschten auf jedes ihrer Worte. Frau von Plessow war aber Weltdame genug um das zu wissen. – Vollkommen unbefangen rief sie dem Ankommenden scherzend entgegen: »willkommen im Winterquartier! Nicht wahr, unsere Kamine haben auch ihren Reiz?« – »Sagen Sie lieber, unsere Oefen, gnädige Frau!« antwortete er eben so und küßte ihre Hand. An dem Blick der über ihr Gesicht glitt, an dem conventionellen Lächeln das sie ihm zurückgab, konnte Niemand etwas aussetzen. Auch der übliche Handkuß konnte nicht flüchtiger ausgeführt werden. – »Weßhalb schon zurück, Unstäter?« fragte hinzutretend Plessow, dem Maler die Hand schüttelnd.

»Ich fror!« lautete die einfache Antwort. – Man lachte – eine halbe Stunde verging mit verschiedenen Begrüßungen, – endlich sah man, wie der junge Mann sich an der Seite der Frau vom Hause niederließ. Die Comtesse Feldern, die sich nur zögernd hinweg begab um, wie sie boshaft gegen einen Freund bemerkte, »das Pärchen nicht zu stören,« wollte gehört haben, daß Albano ein »Endlich!« geseufzt. – In Wahrheit sagte er aber in demselben Augenblick, in elegantem Französisch: »nun erzählen Sie mir, angebetete Freundin, wie man hier gelebt hat.«

Ehe sie zu antworten vermochte, kam ein junges Mädchen in einem etwas engen, etwas verblichenen, etwas unmodernen blauen Seidenkleide hastig zu ihr und fragte, nach flüchtiger Verbeugung vor dem Fremden, sichtlich freudig erregt: »liebe Frau Tante, erlauben Sie, daß heute getanzt wird? Herr von Winter will Tänze spielen, wir sind sechs Paare.« – Sie sah so ernsthaft bittend Frau von Plessow an, als hinge Leben und Seligkeit von ihrer Gewährung ab. – Mit einem ungeduldigen Wink der Hand sagte die schöne Frau: »mais mon Dieu – tanzt so viel ihr wollt! Nur erhitzen Sie sich nicht noch mehr – das echauffement ist für Sie nicht vortheilhaft.« – Aber das junge Mädchen war schon verschwunden, ehe sie die zweite Hälfte des Satzes völlig beendet, und mit einem Spottlächeln wandte sich Frau von Plessow wieder zu ihrem Nachbar. – Der aber war aufgestanden und folgte verwundert mit den Augen jener jugendlichen Erscheinung. Dann neigte er sich zu seiner Dame und fragte lebhaft: »Wer war denn dies wunderlich angezogene, reizende Mädchen das Sie »Tante« zu nennen das Glück hat? Sie erzählten mir nie zuvor von dem Dasein einer Nichte.«

»Ich würde auch in Verlegenheit gerathen sein, solch einen Ausbund von Uneleganz als zu mir gehörig präsentiren zu müssen. Die Kleine gehört zur Verwandtschaft meines Mannes. Sie heißt Elisabeth Müller und ist ein Gänseblümchen vom Lande, abgepflückt aus dem Garten einer schlichten Pfarre durch Plessow's Hand. – Er wird sich freuen, daß Sie seinen Geschmack theilen. Die Kleine soll Malerin werden. Sie ist übrigens, glaube ich, ein gutes Kind. Seit September oder Ende August ist sie hier. – Wünschen Sie noch weitere Details?« – Sie sah ihn spottend an und lachte. Sie wußte, daß sie doppelt reizend war wenn sie lachte. – Albano setzte sich wieder.

»Erlauben Sie mir diese »Details,« für jetzt wenigstens, ausreichend zu nennen. – Wie schön kleidet Sie dies schelmische Lachen! – Das Lachen einer Frau ist doch tausendmal bestrickender als ihre Thränen. Ich möchte Sie nie weinen sehen, gnädige Frau!« – »Eine kluge Frau gönnt Euch wahrhaftig solchen Triumph auch nicht so leicht. Denn ein Triumph ist es ja nun doch einmal für einen Mann eine Frau zu Thränen zu bringen! Eine kluge Frau weint daher im Stillen.« – »Vielleicht nur weil sie weiß daß wir es ihren Augen dennoch später ansehen, und daß wir »Augen, die sich im Weinen übten,« um so heftiger lieben. Nur die Thränen selbst zu sehen lieben wir nicht – das wirkliche Weinen macht häßlich!« – »Mich dünkt, niemand verdiene weniger daß eine Frau um seinetwillen häßlich werde, als eben Paul Albano.« – »Sie mögen Recht haben. Ich verlange es aber auch von Keiner – und doch müßte es schön sein wenn eine Frau –.« – »Bitte, nur keine Ihrer alten Paradoxen! Ich vergesse sonst daß Sie sechs Monate fern waren, und also als ein eben Zurückgekehrter noch einigen Anspruch auf Nachsicht haben.« – »Sechs Monate, 15 Tage, 13 Stunden, gnädige Frau – ich rechne besser! – Aber – sagen Sie mir doch, wie lange soll denn jene Kleine in dem seltsamen Kleide bei Ihnen bleiben?« – »So lange wahrscheinlich, bis sie ein wenig pinseln gelernt. Mag sie – mich genirt sie nicht – sie hat ihre eignen kleinen Zimmer und erscheint, außer zum Diner und Souper, nur wenn ich sie rufen lasse.«

Eben trat Plessow heran. »Wollen Sie ein allerliebstes Genrebild sehen, Albano?« fragte er. »Werfen Sie einen Blick in den Tanzsaal dort. Es ist eine wahre Herzenserquickung Elisabeth tanzen zu sehen. Könnte ich ihr diese Freude am Leben doch erhalten!« Albano erhob sich sofort und bot der Frau vom Hause den Arm um sie in den Salon zuführen, wo die jungen Leute tanzten. Aber sie lehnte kühl ab, und trat rasch zu einer Gruppe von Damen, die sich um ein Album gesammelt hatten.

»Mein Gott wie schön ist dies Mädchen!« murmelte Albano, die Tanzende mit glühenden Blicken verfolgend, »wahrhaft leuchtend schön in ihrer Freude!« – »Und wie lieblich sind diese ungeschulten Bewegungen!« fügte Plessow hinzu.

Eben stand sie unfern von ihnen still. Sie bemerkte ihren »Herrn Onkel« und in überwallender Lebhaftigkeit ihm die Hand hinreichend, sagte sie so recht aus tiefster Seele: »ach ich bin so vergnügt! Wie schön ist's doch zu tanzen! Ich hätte es nimmer gedacht!« Aus dem Ton der Stimme klang der innere Jubel durch, ihre wunderschönen Augen, mit den Wimpern einer Murillo'schen Madonna, strahlten vor Glück, ihr reizender Mund lachte, und ihre junge Gestalt erschien wie getragen von Lust und Freude. – Albano beneidete plötzlich ihren Tänzer, er, der seit Jahren schon den Blasirten gespielt auf allen Bällen. Er bat Herrn von Plessow ihn seiner Nichte vorzustellen. – »Hatte das meine Frau nicht schon gethan?« fragte der verwundert indem er ihn zu Elisabeth führte. »Herr Albano kann jetzt Deinen Onkel ein wenig ablösen bei Dir, liebes Kind, und Dein Zeichnen und Malen überwachen. Er ist unser erster Landschaftszeichner. Du mußt ihn aber recht freundlich bitten daß er Dir helfe, er ist gewohnt gebeten zu werden,« setzte er scherzend hinzu.

Ein Schatten von Ernst flog plötzlich über die Stirn des jungen Mädchens. »Dazu hätte ich nicht den Muth, Herr Onkel,« antwortete sie. »Sie wissen, wie verzagt ich geworden bin mit meinem Zeichnen! Ich habe nie geträumt daß man soviel dabei zu lernen hätte. – Ach, ich kann ja noch gar nichts, und niemand wird so viel Geduld haben mit mir als Sie!« – »Sie erlauben, daß wir darüber zu einer andern Zeit ausführlicher reden,« sagte Albano verbindlich. »Morgen z. B., wenn ich meine Mappe bringe. Jetzt aber möchte ich Sie nur bitten den nächsten Tanz mit mir zu tanzen.« – »O! ich bin schon für den ganzen Abend versagt!« entgegnete sie plötzlich wieder in heller Freude aufleuchtend, mit einem triumphirenden allerliebsten Lächeln.

»Nun, dann muß ich eine Extratour haben!« bat er, sich zuerst vor ihr, dann vor ihrem Tänzer verneigend. Ueber und über erglühend nahm sie seine Hand. Wie lange hatte er nicht getanzt. In diesem Augenblicke dachte er daran, aber er empfand zugleich ein süßes Behagen, eine Wiederkehr längst entschwundener jugendlicher Lebenslust, als er seinen Arm um ihre schlanke Taille legte und ihre kleine, rasch pulsirende, Hand in der seinen fühlte. Wie leicht flog sich's mit diesem Kinde! Wie flüchtig berührt ein siebzehnjähriger Fuß den Boden! – Wie anmuthig waren die Bewegungen seiner jungen Tänzerin die noch nie den glatten Boden eines Tanzsaals betreten, ja die noch kein französischer Tanzmeister geschult!

Albano hatte früher für einen der besten Tänzer gegolten, er mühte sich in diesem Augenblick diesen Ruhm aufzufrischen, und als er seine Tänzerin an ihren Platz zurückgeführt, begriff er nicht warum er dem angenehmen Reiz des Tanzes so lange entsagt. »Sie tanzen gut!« sagte sie und sah mit ihrem Kinderlächeln dankend zu ihm auf. – Dies naive Lob entzückte ihn so daß er den Rest des Abends im Tanzsaal verbrachte, abwechselnd zuschauend oder mit Elisabeth plaudernd. Als die jungen Leute endlich aufhörten zu tanzen, und die jungen Damen sich um Elisabeth drängten – sie war ja die Nichte des Hauses wo man sich so gut amüsirte, und viel zu unelegant um ihnen zu schaden – da verschwand Albano.

»Modernisiren Sie doch Ihre artige Verwandte ein wenig, Liebe!« sagte die Gräfin Darschau bittersüß scherzend, als eben Albano zu Frau von Plessow herantrat um sich zu verabschieden. »Geben Sie ihr ein wenig Unterricht in jener Kunst, in der Sie unser aller Meisterin sind, – die böse Welt könnte sonst auf den Gedanken gerathen Sie fürchteten eine Nebenbuhlerin!« – »Unsere Darschau hat Recht!« setzte die überschlanke Comtesse Feldern hinzu. »Etwas mehr Stoff für das Kind, liebe Plessow – – mein Gott, das blaue Taffetfähnchen ist ja kaum vier Ellen weit!« – »Und dennoch ist Fräulein Elisabeth ganz unbeschreiblich reizend!« Mit diesen neckisch hingeworfenen Worten, und einer tiefen Verbeugung vor der Dame des Hauses, entfernte sich Albano.

Elisabeth konnte an diesem Abend lange nicht einschlafen vor lauter Freude. Zwar hatte die »Frau Tante« sie ungewöhnlich unfreundlich entlassen zur guten Nacht, und sie ein tolles Landmädchen gescholten, – es war aber doch schön hier. – Sie hätte nie gedacht, daß solche »soiréen« so angenehm wären. Köstlich lebte sich's in diesen schimmernden Räumen, unter diesen liebenswürdigen Menschen, die ja alle ein Lächeln für sie hatten. An all dieser Freundlichkeit hatte gewiß auch das schöne hellblaue Taffetkleid der guten Mutter seinen Theil – wie hübsch sah es doch aus am Abend! – Sie sah sich noch einmal aufmerksam im Spiegel an. »Wenn die Mutter mich gesehen hätte!« seufzte sie. »Die beiden Fräulein Warburg fanden es freilich nicht genug ausgeschnitten, sie meinten, die Schultern dürften nie bedeckt sein, das mache eine schlechte Figur. Und Alle trugen ein Blumenbouquet vor der Brust, das möchte ich wohl auch künftig tragen. Aber es könnte Flecken geben auf der schönen Seide. Wie habe ich das Kleid lieb – wie köstlich tanzte sich's in dem Kleide, aber am Besten doch mit – – mit wie hieß er doch?«

Seinen Namen hatte sie vergessen, aber seine Augen nicht. Schönere hatte sie nie gesehen! – Und sie träumte von diesen Augen und der Tanzmusik und dem blauen Kleide die ganze Nacht.


Am nächsten Tage, – Elisabeth saß in ihrem Stübchen und arbeitete an den Zeichenvorlagen die ihr Herr von Plessow gegeben, – rief man sie hinab in das Boudoir der »gnädigen Frau.« – Albano war da mit seinen neuen Skizzen. Das junge Mädchen begrüßte ihn erröthend und nahm an dem Tische Platz, worauf man die kostbaren Blätter gelegt. – Frau von Plessow, im Sammetsessel lehnend, in ihrem dunkelblauen Atlaskleide und coquettem Häubchen, wandte sich nur wenig nach ihr um und sagte vornehm nachlässig, indem sie mit ihrem goldenen Lorgnon spielte: »Berühren Sie diese Blätter nicht, Elisabeth – Sie verstehen nicht mit dergleichen Dingen umzugehen!«

Eine Purpurgluth überströmte das junge Gesicht. Albano, der in diesem Augenblick zu ihr herübersah, begriff nicht wie er sie gestern so bezaubernd gefunden. Wie übermäßig frisch sah sie aus, und wie unmodern war sie angezogen! – Dies abscheulich grüne Wollkleid mit dem schwarzen Moireegürtel, und diese dichten weißen Aermel mit den unächten Spitzen an dem Handgelenk! Und dazu eine stehende kleine Halskrause von einem dunkellila Bande zusammengehalten! – Quel horreur! – Wie konnten nur die Hände so ausgezeichnet hübsch aussehen, die aus solchen Aermeln hervorsahen? – Er wunderte sich aber auch als er das offenbar gekränkte Mädchen jetzt so freundlich sagen hörte: »Sie irren, Frau Tante! Der Vater hat eine große Kupferstichsammlung, und ich weiß gar wohl, wie behutsam man dergleichen berühren muß!«

Albano reichte ihr ein Blatt hin und sagte: »ich bin nicht so ängstlich mit meinen kleinen Skizzen, mein Fräulein.« – Sie lächelte wieder und sah plötzlich in diesem Lächeln so hübsch aus, wie man in einem »abscheulichen grünen Wollkleide« nur aussehen kann. – Allein sie blieb still, während die Andern sehr viel und lebhaft von »Tönen – Tinten – Lichteffekten und Uebergängen« redeten, aber ihre ganze Seele war in ihren Augen, indem sie diese reizenden Farbenskizzen anblickte. – Als man das letzte Blatt in die Mappe gelegt, saß sie seinen Augenblick wie in tiefe Gedanken verloren, dann schlug sie plötzlich die Hände vor's Gesicht und Thränen drangen zwischen ihren Fingern hervor, während die junge Brust sich von unterdrücktem Schluchzen hob.

»Was soll diese Kinderei?« fragte unwillig Frau von Plessow, während ihr Mann einige mitleidige Worte an die Weinende richtete. – »Ach!« sagte Elisabeth nach einer Pause mit der Stimme eines tieftrauernden Kindes dem man sein liebstes Spielzeug zertreten, »als ich diese Bilder sah, da wurde es mir erst klar, daß ich – doch nie eine rechte und ordentliche Malerin werden kann!« – »Liebe Kleine,« lachte die schöne Frau, »das hätte ich Ihnen schon früher sagen können. Eine Malerin wird nicht aus einer Jeden die ein bischen zeichnen kann, – und wenn auch vielleicht eine Malerin, doch sicher noch keine Künstlerin.« – »Die Tante scherzt,« sagte Herr von Plessow sehr mild; »Du zeichnest ganz artig und machst tüchtige Fortschritte. Mit den Farben hast Du es ja noch gar nicht versucht. Die Meister fallen nicht mehr vom Himmel, sie müssen sehr langsam zu Meistern werden.« – »Darf ich Herrn Albano bitten daß er einmal meine Skizzenbücher und Zeichnungen durchsieht?« fragte Elisabeth plötzlich sich aufrichtend. »Er soll mir sagen, ob ich – noch länger hier bleiben oder – nach Hause gehen soll. Ich weiß, er wird aufrichtig sein!« – »Hier meine Hand darauf!« antwortete Albano rasch, den diese Scene seltsam berührt hatte. »Lassen Sie mich Ihre Zeichnungen sehn und vertrauen Sie mir!« – Das junge Mädchen verließ das Zimmer. »Er wird aufrichtig sein?! – Pauvre enfant!« flüsterte Frau von Plessow mit einem Seitenblick auf den Maler. –

Es war ein ziemlich dickes Buch und mehrere einzelne Blätter, das Elisabeth brachte. Ehe jedoch Albano einen Blick darauf warf, sagte er: »Aber ich gebe mein unumwundenes Urtheil nur unter einer Bedingung, mein Fräulein. Sie dürfen mir nämlich durchaus nicht böse werden, wenn es nicht nach Ihren Wünschen ausfällt.« – Sie schüttelte, blässer werdend, den Kopf und verließ dann mit ihren Blicken sein Gesicht nicht mehr. – Während er langsam Blatt für Blatt umschlug, wechselte sie oft die Farbe und athmete schnell.

Endlich klappte der Maler das Buch zu und sagte lächelnd: »wenn Sie mir versprechen wollen, eine gehorsame Schülerin zu sein – so möchte ich wohl Herrn von Plessow um die Erlaubniß bitten, ihn einigemal in der Woche bei seinem Unterricht unterstützen zu dürfen. Ich weiß, wie beschränkt seine Zeit ist!« – Elisabeth unterdrückte einen Freudenschrei – aber sie ließ ihre seligen Augen leuchten. »Erlauben Sie es auch, lieber Herr Onkel?« fragte sie dann, und als Herr von Plessow lachend sagte: »ich muß mich sogar bei ihm bedanken für solch großmüthiges Anerbieten!« – da neigte sie mit dem Ausdruck reizendster Demuth ihre Lippen auf die Hand der »gnädigen Frau« und bat: »nicht wahr, auch Sie werden es erlauben?«

»Wie wunderbar hübsch sie jetzt ist!« dachte Albano, während Frau von Plessow kalt ihre Hand zurückzog und in gezwungen scherzhaftem Tone sagte: »Meine Erlaubniß ist überflüssig – ich selbst möchte vielmehr um Erlaubniß bitten, in diesen Unterrichtsstunden als Zuschauerin figuriren zu dürfen, ma chère. Wer weiß, vielleicht nehme ich selbst noch den Pinsel in die Hand und wetteifere mit Ihnen!« – Die Sache war abgemacht. – Man betrachtete noch einmal die Skizze mit der Akropolis, plauderte, kritisirte – Albano erzählte – der kleine Zwischenfall schien vergessen.


»Der Gottfried hat wieder einen Brief mitgebracht von Elisabeth!« rief die Pastorin durch die halbgeöffnete Thür in ihres Mannes Studierstube. – »Endlich! Sie ließ diesmal lange warten!« – »Nun wir haben heut den 12. März und der letzte Brief war vom 1. Februar. Du vergißt immer, wie viel die Kleine mit ihrem Zeichnen zu thun hat.« – »Gieb nur schnell das Schreiben her.« – »Die Aufschrift ist an mich, Väterchen. Ich muß zuerst lesen. Komm Du lieber in die Wohnstube hinunter, da will ich Euch vorlesen. Hier treibt mir der Tabaksqualm ohnehin das Wasser in die Augen. Und der Gottfried möchte doch auch gern zuhören.« – »Gut, so laß uns gehn.«

Während er aber langsam hinter der Voraneilenden die knarrende Treppe hinabstieg, murmelte er doch ärgerlich: »daß sie diese Tabaksempfindelei nicht ablegen kann! Qualm! Als ob je aus einer einzelnen Pfeife ein Qualm aufsteigen könnte!« –

Der Pastor und dessen junger Substitut mußten sich jedoch noch lange gedulden und schritten, in zwar sehr einsilbigen, aber doch kirchlichen Gesprächen auf und nieder. Die Mutter mußte ja erst den Brief allein lesen, ganz allein, dann wurde ein Weilchen geweint, nachher kamen verschiedene Ausrufe und endlich las sie dann, oft unterbrochen von eigenen und fremden Bemerkungen, folgenden Brief:

»Geliebte Mutter! – Böse mußt Du mir nicht sein, und auch der Vater darf's nicht, daß ich so lange nicht geschrieben – ich hab's selber bis zu dieser Stunde nicht gewußt daß es so viele Tage her war. Es fiel mir nur auf, daß Frau von Plessow mich heute fragte, ob ich nicht daran denken wolle meine Kleider und Hüte für das Frühjahr zurecht machen zu lassen. Da erfuhr ich denn erst, welches Datum wir schreiben. In der Stadt merkt man ja den Frühling nicht, wie Ihr ihn merkt da draußen. Am 12. ist ja Gottfrieds Geburtstag – wenn ich Zeit habe, schreibe ich ihm eine französische Gratulation unter den Brief.

»Recht viel habe ich zu thun, liebe Mutter, und doch, wenn ich am Abend zu Bette gehe, bin ich oft recht traurig, denn es kommt mir dann vor, als ob ich nichts gethan. Eine ganze große Mappe voll Zeichnungen habe ich, die ich Euch einst mitbringen werde, aber es stehen nicht wie sonst Bäume, Felsstücke, Wasserfälle, sondern Arme, Beine, Füße und Köpfe darauf. Albano behauptet ich hätte mehr Talent zum Porträt als zur Landschaft. Ich habe nämlich seinen Kopf aus dem Gedächtniß nachgezeichnet, und den fand er in meiner Mappe. Selbst Frau von Plessow fand ihn ähnlich und hat ihn in ihr Album gelegt. Er ist aber auch so leicht zu treffen, die Linien sind alle so schön und regelmäßig. Ich freue mich eigentlich, daß ich Porträtirtalent haben soll, es ist so hübsch ein liebes Gesicht so festzuhalten. Euch Alle will ich zeichnen, Dich, liebe Mutter, in der Blondenhaube mit den breiten Bandschleifen, die Du immer des Sonntags trägst, den Vater im Sammetkäppchen und mit der Pfeife, und den Gottfried? – Ja, wie zeichne ich den gleich? – Am besten wohl über ein Buch geneigt, die Augen tief niedergeschlagen, wie ich ihn immer Abends beim Vorlesen sah. – Auch Brigitte wird gezeichnet im Sonntagsputz, die Katze auf dem Schooße.

»Du fragst gewiß, wann das geschehen wird, Mütterchen. Freilich noch nicht so bald als wir dachten, aber doch, so Gott will, bestimmt im nächsten Herbst. Wer hätte geglaubt, daß so sehr viel zu lernen sei! – Zu den Farben bin ich noch gar nicht gekommen! – Ich begreife nicht, daß Albano nicht die Geduld mit mir verliert. Aber er ist eben so unendlich gut – ich könnte mir keinen bessern Lehrer wünschen. – Im Sommer wollen mich Plessow's mit auf ihr Gut nehmen, da will ich aber doch ganz heimlich wieder Baumschlag und Landschaft studieren. Ein kleines Atelier soll ich dort haben, und mich malen zu lehren, hat mir der Onkel versprochen. Das sind wunderschöne Aussichten. Und Stoff zu Porträts werde ich genug finden, denn es soll immer sehr viel Besuch dort sein. – Obgleich man sagt, daß man mit dem Porträtiren sich viel Geld verdienen könne, so möchte ich doch lieber – arm bleiben, wenn ich dafür nur einen kleinen Theil so warm, so leicht, so lebendig skizziren könnte wie Albano. Ach! wenn ich Euch einmal ein Stückchen Landschaft von ihm zeigen könnte!

»Ein recht unruhig Leben haben wir hier – ich möchte manchmal davonlaufen vor all den Besuchenden. Sitze ich in meinem Stübchen, so schickt Frau von Plessow wohl zehnmal im Vormittag herauf, bald soll ich eine neue Mantille, die mir der Herr Onkel gekauft, anprobiren, bald mir vom Schneider Maß nehmen lassen zu einem neuen Kleide, das mir Frau von Plessow schenkt, bald muß ich mit ihr in die Läden fahren, bald mich einigen Fremden vorstellen lassen. Deine lieben Kleider, gute Mutter, und die langen Shawls habe ich aber nicht etwa aufgetragen, behüte mich der Himmel, ich soll sie nur jetzt eine Weile liegen lassen, Frau von Plessow hat einen so wunderlichen Geschmack.

»Um sie nicht böse zu machen, ziehe ich die Sachen an, die sie mir giebt, aber will ich mich einmal recht nach meinem Sinne putzen und vergnügt sein, so schließe ich meine Thür zu und ziehe eines der Kleider an die Du mir gegeben. Besonders lieb habe ich das blaßblaue Seidenkleid – ich trug es ja an meinem ersten Tanzabend! – Weißt Du, wann ich nur ganz allein bin, liebe Mutter? – Nach Tische, von 3–4, zuweilen sogar bis 5. Dann aber fahren wir aus, und Abends besucht Frau von Plessow Gesellschaften oder das Theater, und ich spiele mit dem Herr Onkel und zwei seiner alten Schwestern Whist, oder wir bleiben ganz einsam und spielen Schach.

Auf einen Ball wollten mich Plessow's zuweilen mitnehmen, aber ich habe ja dem guten Vater versprochen niemals in öffentlichen Sälen zu tanzen, und werde mein Versprechen auch gewissenhaft halten. Aber schön mag's dort sein, Albano erzählt mir oft davon, und wenn Frau von Plessow so strahlend hervorschaute aus einer Wolke von leichten und glänzenden Stoffen, Blumen und Perlen, da – nun, Dir darf ich's ja leise in's Ohr sagen, Mütterchen, da wurde ich so traurig, wie wohl Aschenbrödel gewesen sein mag, wenn sie ihre Stiefschwestern zum Balle schmückte. Wenn dann der Wagen fortgefahren war und ich so allein saß – lauschte ich doch heimlich, ob nicht aus irgend einem Winkel eine gute Fee hervortreten würde, ein Gewand von Silberstoff für mich in der Hand tragend. – Im Theater sehe ich immer nur, wie ich's ja gleichfalls dem Vater versprochen, lauter ernste Stücke. Wie im Traume bin ich wenn der Vorhang aufgegangen, und es ist mir, als lebte ich wirklich mit denen, die da auf- und niedergehen vor mir, und hätte auch ein Wörtchen darein zu reden. Wenn Albano in der Plessow'schen Loge nicht immer hinter mir säße und mich mit ruhigen Worten und Erklärungen zur rechten Zeit aufweckte, wer weiß welchen Unsinn ich begehen würde. – Nur das Weinen kann ich nicht unterdrücken; neulich in der Maria Stuart stürzten mir die Thränen unaufhaltsam aus den Augen. Es war mir, als fühlte ich mein Herz in Stücke brechen, wie sie von dem treulosen Leicester scheidet. Sie hat ihn nämlich noch lieb, Mutter, Du kannst mir's glauben, ich fühlte das. Ich war nur froh, daß sie bald ausgelitten hatte, – der Gang zum Tode kann ihr nicht schwer geworden sein – das Leben wäre ja doch viel schwerer gewesen. – Warum hat uns Gottfried niemals Maria Stuart vorgelesen?

»Liebe, liebe Mutter, schreibe mir nur bald und erzähle mir recht von Euch. Knurrt der alte Caro noch immer so, wenn Gottfried vorübergeht? –

»Wie mir's nur sein wird, wenn ich wieder einmal in der Laube sitze oder an der Mauer lehne, wo ich auf den Kirchhof sah! – Nun, zu Deinem Geburtstag im Oktober bin ich wieder bei Euch. Liebe Mutter, ich kann dem Gottfried nicht mehr besonders gratuliren, thu Du's recht von Herzen für mich. Albano wird gleich hier sein, und ich muß hinuntergehen um Papier und Stifte zurecht zu legen. Lebe wohl, Du Liebe, Gute! Ich denke oft daran, wie einsam es Dir sein mag in unserm stillen Dorfe, da Du ja auch weißt wie bunt und schön sich's in der Stadt lebt. –

»Wie viel werde ich Euch zu erzählen haben, wenn ich heimkehre! Der Gottfried braucht dann nicht vorzulesen, den ganzen Winter lang nicht. – Ich grüße Euch alle und umarme Dich und den Vater in Gedanken viel hundert tausendmal. – Elisabeth.

»Nachschrift. – Ich gehe auch alle Sonntage in die Kirche, aber der alte Konsistorialrath hat keine Zähne mehr, und da können nur die ihn verstehn, die dicht unter der Kanzel, oder ihr gerade gegenüber sitzen. Sie haben hier auch auf allen Bänken Schilder mit Namen, wie bei uns, auch klappert der Küster gerade so hart mit dem Klingelbeutel wie in unserer Kirche. Aber viele geputzte Damen gehen hin, und die Herren stehen in den Gängen umher und gucken sich keck frei die verschiedenen Gesichter an. – Ich bin recht traurig immer auf dem Heimwege, daß ich nie dort von Herzen andächtig sein kann. Wenn mir der Vater nur nicht böse wird deßhalb!« –

Mit strahlenden Augen reichte die Mutter den Brief dem Vater hin. »Sie ist da wie Kind im Hause,« sagte sie freudig, »sie hat ein gutes Leben dort!« – »Und wird als tüchtige Malerin zurückkommen,« meinte der Pastor, nahm die Brille aus dem Futteral und setzte sich behaglich an das Fenster, um die Epistel noch einmal zu lesen. »Ich wundere mich nur,« murmelte er zwischen dem Lesen, »daß sie gar nichts von meinen alten Universitätsfreunden schreibt, für die sie doch dicke Briefe mitgenommen – von dem muntern Fritsche, ehemaligem Calculator, und vom dicken Senf, der uns immer Predigten hielt und nun Nachmittags-Prediger an der F. Frauenkirche ist, so viel ich weiß.«

»Elisabeth lebt in einem gar vornehmen Hause,« fiel hier Gottfried Berger ein, und seine sonst so sanfte Stimme klang so bitter und verändert, daß beide Eltern aufsahen. Er stand abgewendet von ihnen an dem Fenster und trommelte leise an die Scheiben. – »Sie haben ganz recht! Ich glaube nicht, daß eine Frau wie die Plessow, mit Calculatoren und Nachmittags-Predigern verkehrt!« sagte die Pastorin kühl. – »Nun, ein Nachmittags-Prediger ist doch immer ein Prediger, und wer steht denn höher in der menschlichen Gesellschaft als ein geweihter Diener des Herrn?« rief der Pastor, sich hoch aufrichtend mit allem Stolz jenes souveränen Herrschers, dem die Macht gegeben »zu binden und zu lösen.« – »Wer höher steht?« wiederholte der junge Kandidat und wandte langsam sein bleiches Gesicht dem Fragenden zu. »Hier in M. freilich niemand, lieber Onkel; in großen Städten aber gilt jeder Pinsel mehr heut zu Tage.« –

»Herr Kandidat – die Kinder mit dem Geburtstagsstrauß sind draußen!« meldete Brigitte. »Sie haben aber gewaltig schmutzige Klumpen (Holzschuhe) an; in die Wohnstube kann ich sie nicht lassen, die ist gestern erst gewaschen.« – »Sie mögen in meine Stube kommen!« antwortete Gottfried und verließ das Zimmer.

Draußen begrüßte ihn eine kleine Schaar mit Händedrücken und frohem Gemurmel. Das größte Mädchen trug einen Strauß von Tannenreisern und Märzveilchen in der Hand. Er nickte ihnen freundlich zu und schloß seine Stube auf. Nach kurzem Kampf mit Brigitten, die ihnen gewaltsam die beschmutzte Fußbekleidung abnahm, drängte sich die kleine Schaar in Strümpfen nach. – Der junge Mann hörte geduldig allerlei stockende Glückwünsche an, versprach den Ueberbringern für nächsten Sonntag einen Kuchen, und die Kinder gingen vergnügt wieder weg.

Da saß er nun allein, – den Strauß von Tannenzweigen in den Händen, in tiefe Gedanken versunken. Der starke Duft des winterlichen Grüns durchzog die kleine Stube. Das Feuer im Ofen warf seinen flackernden Schein auf den Fußboden, der mit weißem Sand, von Brigittens kunstfertiger Hand in allerlei Schlangenwindungen, bestreut war, Regentropfen schlugen an die Scheiben, Frühlingswinde fuhren draußen durch die kahlen Bäume – er hörte es nicht. – Seine geistigen Augen sahen eben jetzt einen hellen Sommertag – die Rosen blühten und die Linde – ein warmer Abendschein lag auf dem stillen Garten. Er sah sich auf dem Rande jener Mauer, welche die Gräber abgrenzte von den Blumenbeeten, und – den breiten Kiesweg hinab kam eine schöne junge Gestalt in einem blaßrothen leichten Kleide, eine Epheuranke um die schweren braunen Flechten geschlungen, eine verwelkte Rose im Gürtel.

»Zum Nachtessen, Herr Kandidat!« rief die harte Stimme Brigittens ins Stübchen. – Hatte er denn so lange geträumt? –


Jedes Geschöpf hienieden hat seinen Sonnentag – jedes Menschenherz seinen Frühling. Aber wie ein nordischer Frühling verschieden ist von dem Lenz des Südens, so sind auch die Frühlinge der Herzen verschieden. Wie viele liegen im Norden – in wie wenigen glüht die Wärme des Südens! – Wohl aber, – tausendmal wohl jenen Wenigen! Für sie ist aller Blüthenreichthum da, aller Glanz, alles Licht, wie in jenen gesegneten Ländern des ewig blauen Himmels, und vernichten auch furchtbare Erdstöße oft mit einem Schlage die ganze Herrlichkeit – ist es nicht besser, neidenswerther, einen Tag lang überreich gewesen zu sein – als sich mondenlang zu begnügen mit einer Handvoll kargen Grüns, blasser Blumen, spärlicher Sonnenstrahlen? –

Ueber Elisabeths Herz hing der Himmel des Südens – es war, als sei sie beschenkt worden mit all jener Wärme, die sowohl der Natur des Vaters, wie dem Wesen der Mutter fehlte – und in diesem jungen Herzen blühte eben der erste köstliche Frühling. – Es war Sonnenschein da und Blumenpracht und Lerchenjubel und Nachtigallenklage: – ein junges Herz liebte mit aller Kraft, aller Gläubigkeit und aller Sorglosigkeit einer ersten Liebe. –

Seit drei Monden waren sie alle auf dem reizenden Plessow'schen Gute, zwei Stunden von der Stadt gelegen, – seit drei Monaten fand das junge Mädchen einen Tag schöner als den andern, seit drei Monaten lebte sie mit Albano unter einem Dache und sah ihn täglich. – Sie war freilich niemals allein mit ihm, – er redete kaum zehn Worte mit ihr, und sie sah ihm auch oft mit stiller Trauer nach, wenn er an der Seite der Frau vom Hause seine regelmäßigen Spazierritte unternahm. Denn wie vortheilhaft erschien die zierliche Gestalt der eleganten Reiterin, wie keck saß der braune Hut mit Feder und Schleier auf den blonden Locken, und wie schön war Albano zu Pferde! – Recht lange währten diese Ausflüge, meinte Elisabeth, und so gut sie dem »Herrn Onkel« war, der dann immer mit ihr spazieren ging, oder auf der Terrasse saß und ihre Zeichnungen korrigirte, so hätte sie es – sie wußte nicht recht warum – doch lieber gehabt, wenn er sie ganz allein gelassen. – O, sie war so gern allein! – Es ließ sich so köstlich – an ihn denken. –

Ob er sie wieder liebte, daran dachte sie lange nicht; sie hatte genug an ihre eigene Liebe zu denken. Später – es war an einem schönen Sommerabend, viele Fremde waren da, und sie hatte viel hin und wider zu gehn und für Jeden zu sorgen – da hatte er ihr wohl klar gezeigt, daß auch er sie liebe. – Man war nämlich ein wenig in den nahen Wald gegangen – Frau von Plessow am Arm des schönen Grafen Reinberg voraus, hinter ihnen verschiedene Paare, der »Herr Onkel« war mit einigen gichtischen alten Herren zurückgeblieben. Wer war da plötzlich an die einsam nachschlendernde Elisabeth herangetreten? Wer hatte ihr da einen Waldblumenstrauß gepflückt und Grashalmenkränze im Weiterwandeln für sie gebunden? Und als sie auch ihm einmal die Halme zum Kranz gehalten und ihm gesagt, daß er sich nun etwas Ernstes, Großes wünschen könne, da hatte er leise geantwortet: »ich wünsche mir nur Eines für mein Leben – wollen Sie's wissen, Elisabeth?« – Aber von einer süßen Angst ergriffen, hatte sie da den Kopf schütteln und dann langsam die Augen zu ihm aufschlagen müssen. – Da war sie denn seinen Augen begegnet, die ihre Seele an sich gezogen mit unwiderstehlicher Gewalt – und es war über sie gekommen wie Seligkeit und Entsetzen zugleich, und sie hätte in den Wald hineinlaufen mögen, so weit als ihre Füße sie getragen. – Und doch war sie nicht entflohen, sie hatte vielmehr ihren Arm in den seinen gelegt, und so waren sie neben einander schweigend hergegangen, bis sie die Gesellschaft erreicht.

Das war Alles gewesen – aber dieser Waldgang erschien in ihren schönsten Träumen – an dieser Erinnerung hing sie mit Seele und Gedanken. – In dieser zauberschönen Zeit bemerkte sie nicht, daß Frau von Plessow immer kälter und härter gegen sie wurde, – sie lebte eben in einer andern Atmosphäre. Keiner Wolke aus der Alltagswelt gelang es, ihren Himmel zu trüben. – Nie war sie lieblicher gewesen, nie heiterer, nie hatte sie von allen, die das Plessow'sche Haus besuchten, größere Aufmerksamkeit erfahren. Wäre sie kein armes Predigerstöchterlein gewesen – viele hätten ihr zu Füßen gelegen, viele hätten um ihre Gunst geworben, viele hätten es für ein Glück gehalten, eine so reizende junge Braut zu erringen! – So aber – unsere Geschichte spielt in der Neuzeit, – war »die Kleine« vor allen Dingen nicht reich, zweitens hatte sie einen abscheulich plebejischen Namen, drittens sprach sie nicht Englisch, und viertens war sie durchaus nicht musikalisch. – Sie war also, nach Ansicht der heirathsfähigen Männer, eine Null im Plessow'schen Salon, freilich hübsch genug »pour passer le temps mit der Kleinen.« –

Während dessen träumte aber im stillen Pfarrhaus von M. eine Mutter wunderbare Träume vom einem vierspännigen Wagen mit gräflichem Wappen am Schlage – von einer strahlenden Braut im weißen Spitzenkleide, die in der Dorfkirche getraut wurde, um gleich darauf mit ihrem jungen Ehegemahl eine Reise nach Italien anzutreten, von Koffern, Hutschachteln, Kisten u. s. w.

Albano war sehr gewissenhaft in seinen Unterrichtsstunden, alles Neue reizte ihn. Regelmäßig jeden Vormittag verbrachte er bei den beiden Frauen, mit der Einen plaudernd – die Andere unterweisend. – Elisabeth war eine talentvolle Schülerin und unermüdlich fleißig. Die Welt der Farben, in die sie jetzt die Hand des Geliebten einführte, entzückte sie. Es war ihr, als schmölzen sie alle zusammen zu einem prächtigen Farbenbogen, einem strahlenden Bande, dazu bestimmt ihre Herzen fester aneinander zu ziehen. – Ueber das erste, nach der Natur gemalte Bouquet jubelte sie, um in der nächsten Stunde traurig die unerreichbare Wärme, den unnachahmlichen Schmelz der wirklichen Blumen mit ihren gemalten zu vergleichen. – Und dennoch sagte ihr Albano: »Sie könnten eine der ersten Blumenmalerinnen werden – aber dann müßten Sie auch einen andern bessern Lehrer haben, ich verstehe nichts davon. Wenn wir wieder in die Stadt kommen, muß S. Ihnen Unterricht geben.« – Sie hörte schweigend zu; aber seit jenem Tage wurde sie lässiger im Malen der Blumen und fing, zu seiner Ueberraschung, an sich in Aquarell-Landschaften zu versuchen. Auch hierin zeigte sie Talent, auch hierin machte sie Fortschritte – Albano war ja ihr Lehrer.

Einmal hörte sie von ihm den Ausspruch: »Frauen sollten nur Blumen malen lernen, wenn sie den Pinsel in die Hand nehmen, sie würden sicher sein uns auf diesem Felde allezeit zu besiegen. – Eine Frau, die historische Bilder und Landschaften schaffen will, erreicht im besten Falle nur dasselbe, was eine Frau erreicht, die – einen Roman schreibt. – Wir Männer bilden uns nämlich doch immer ein es tausendmal besser zu verstehn als sie. Und nicht ganz mit Unrecht! – Ein ächter Mann wird übrigens in unserer Zeit ebenso selten Blumenmaler, wie eine kräftige Feder sich herabläßt Lilien- und Rosenmärchen zu schreiben.« –

Zwei Tage nachher brachte sie ihrem Lehrmeister eine wilde Rose in Wasserfarben, halb vom Stengel gebrochen, einen Thautropfen auf den Blättern, mit einer so reizenden Grazie und Wärme gemalt, daß er sie bat, ihm das Blatt zu schenken. – Wie stolz und freudeglühend sah sie zu, als er es in seine Mappe legte! –

Die erste Liebe eines reinen jungen Mädchenherzens ist doch das unschuldigste, lieblichste, traurigste Ding der Welt, – ein Strahl, der dem Gegenstand den er trifft, erst Farben, Glanz und Wärme verleiht. – Und wie der Sonnenstrahl zerfallenes Gemäuer, zerbröckelte Felsen, die alltäglichsten und ärmlichsten Dinge rosig verklärt, – so die erste Mädchenliebe die unbedeutendsten Gestalten. – Ein ächtes Mädchenherz liebt es eben zu malen und zu schmücken, und je mehr graue Flächen vorliegen, desto freudiger geht es an die Arbeit und malt und malt, bis die wirkliche Erscheinung jenem reizenden Fantasiebilde, wie es jede junge Seele mit sich herumträgt, täuschend ähnlich sieht. – Nur Schwärmer reden von einem unwiderstehlichen Zuge der Seele zur Seele in solcher Zeit. – Hand auf's Herz – die feurigsten reinsten Mädchenherzen lieben fast immer zuerst um Nichts. –

In einem flüchtigen Beobachter wäre wohl kaum noch ein Zweifel aufgestiegen daß Elisabeth und Albano sich liebten. Das junge Mädchen verrieth sich zwar nur durch ihr strahlendes Erröthen, durch ihr freudiges Aufleuchten, wenn er sich zu ihr wandte, durch ihre Begeisterung, wenn von seinen Bildern gesprochen wurde; Albano dagegen zeigte bei jeder Gelegenheit die lebhafteste Theilnahme an ihrem Sein und Wesen, und seine wirklich schönen dunklen Augen hingen an der jungen Gestalt mit sichtlichem Entzücken.

Frau von Plessow selbst war es, die ihren Mann zuerst scherzend aufmerksam machte auf die Vorliebe des Malers für die »kleine Feldblume.« Plessow zuckte nur die Achseln und antwortete: »eine Laune – wie wir sie von ihm gewohnt sind! Elisabeth wird aber vernünftig genug sein, das herauszufühlen. Um ihren verlorenen Frieden wäre es schade. Ich werde auf sie achten!« –

Die Plessow'sche Ehe galt schon mehrere Jahre lang für ein Musterverhältniß in den höheren Kreisen F.s. Der stattliche Fünfziger hatte nach zwölfjährigem Witwerstande seinen Namen und sein Vermögen der armen, aber reizenden Adele Felsen zu Füßen gelegt. Sie brachte ihm zwar kein freies, aber ein dankbares Herz zu – er hatte sie ja aus einer drückenden Lage im Hause hochmüthiger Verwandten erlöst, und eine Jugendliebe zu einem armen Offizier war ohnehin hoffnungslos. – Fast zehn Jahre lang stand sie als anmuthige Wirthin und liebenswürdige Frau dem Hause ihres Mannes vor, der sie schmückte und werth hielt wie ein Lieblingsspielzeug. Er versagte ihr keinen Wunsch, aber sie war auch so artig, nur die billigsten Wünsche zu äußern – die unbilligern höchstens errathen zu lassen. – Die Gesellschaft hatte bis vor einem Jahre über Frau von Plessow nicht mehr zu flüstern gewagt, als sie eben über jede hübsche Frau, die einen ältern Mann geheirathet, zu flüstern gewohnt ist. – Da erschien Albano, der junge elegante Maler, im Plessow'schen Hause – die Scenerie veränderte sich – die Beleuchtung wechselte. – Die Männer spöttelten, die Frauen munkelten, verdammten, kreuzigten – aber nicht, weil hier eine Frau heilige Pflichten zu verletzen schien – sondern nur – weil der schönste Mann F.s den kunstreichsten Netzen sich entzogen hatte, um in den Locken der »kleinen koketten Plessow« hängen zu bleiben! –

Eines Tages – der Herbst kam heran, man redete schon davon in die Stadt zurückzukehren – unternahmen Plessow's mit einigen ihrer Gäste einen Ausflug nach einer, wenige Stunden vom Gute entfernten Ruine. – Mehrere Damen, unter ihnen Elisabeth, fuhren, – Frau von Plessow und die Männer ritten. Wieder war Albano an ihrer Seite – wieder wehte die braune Feder und der lange Schleier, und stolz lächelnd, mit flüchtigem Kopfnicken und fliegenden Locken, sprengte die graziöse Frau vorüber. – Ein Seufzer flog ihr nach – ein schöner Mädchenkopf unter einem runden Hute neigte sich weit über den Wagenschlag, um ihr nachzusehen. – Als der Wagen aber nach kurzer Fahrt vor dem Wirthshause hielt, trat Albano an den Schlag – und einen Augenblick lang nur zitterte Elisabeths Hand in der des Geliebten – und fühlte einen kurzen heißen Druck, – aber solche Augenblicke werden zu seligen Jahren in der Erinnerung, Dank dem Gotte der uns die Erinnerung gönnte! – Nachdem man eine Erfrischung genommen, bestieg man die romantische Burg, Elisabeth am Arme ihres »Herrn Onkels« war die Letzte im Zuge. – »Erspare mir die steile Bergtreppe, mein Kind,« sagte Herr von Plessow plötzlich, »im Burggarten ist die Aussicht ebenso schön – komm, ich will Dir's beweisen, auch möchte ich gern mit Dir ein Wort allein reden.«

Sie sah ihn ahnungsvoll an und ließ sich schweigend von ihm führen. – Der Burggarten war groß, romantisch verwildert, und voll poetischer Plätzchen, die einen Blick in das weite Land gestatteten. An Grotten, verfallenen Bassins und eingestürzten Brücken fehlte es nicht, Herr von Plessow zog es aber vor sich auf eine neugezimmerte Bank zu setzen, die der Wirth der naheliegenden Waldschenke für die Besucher der Ruine an einer der lieblichsten Stellen hatte aufführen lassen.

Als Elisabeth neben ihm Platz genommen, sagte er ohne alle Einleitung: »ich habe heute einen Brief von Deinem Vater erhalten. Die Eltern wünschen, daß Du vor dem Winter nach Hause kommst, – die Mutter wird Dir wohl selbst in diesen Tagen schreiben. Der junge Berger will fort. Er hat sich zu einer Pfarrstelle in S. gemeldet und wird bald dort eine Probepredigt halten.« – »Gottfried will den Vater verlassen?« rief Elisabeth und schlug staunend die Hände zusammen. – »Ueberrascht Dich das so sehr?« – »Wie sollte es nicht, Herr Onkel! Und Unrecht ist es auch vom Gottfried!« – »Warum?« – »Nun, er hat mir ja versprochen die Eltern nicht zu verlassen, bis ich heimkomme.« – »Hast Du ihm denn alle Deine Versprechungen so gewissenhaft gehalten, daß Du ihn so streng richtest?« – »Ich habe dem Gottfried im Leben noch nichts versprochen als das Eine: bald möglichst nach M. zu kommen. Sie wissen ja selbst, Herr Onkel, daß ich das nicht halten konnte.«

»Aber – Elisabeth, sieh mich nicht so erschreckt an! – der Vater schreibt ganz so als ob ihr Beiden euch näher anginget, der junge Berger und Du – als ob –« – »Gottfried und ich? Gewiß gehen wir uns nahe an – wir haben uns lieb wie Bruder und Schwester.« – »Nein, Elisabeth – so ist's nicht! Und wenn Du's nicht weißt oder nicht wissen willst, so laß mich Dir's nur rund heraussagen: – Dein Vater will, daß Du den Gottfried heirathest, und der Gottfried will Dich auch zur Frau, – aber jetzt denkt er daß ein Anderer Dich ihm streitig gemacht hat, und da will er denn, nach Art unglücklicher Liebhaber, allsogleich auf und davon gehen.« –

Todtenblaß schaute das Mädchen dem Sprechenden ins Gesicht und ihre Hand zitterte, als sie nach einer Weile die Hand Plessows berührte und mit veränderter Stimme bemerkte: »Herr Onkel, das kann der Vater nicht wollen!« – »Lies den Brief selber, mein Kind! Der Vater ist plötzlich ängstlich geworden um Dich und verlangt Dich heim. – Und wenn Du meinen Rath hören willst, mein Kind – Du weißt, ich habe Dich lieb, sehr lieb sogar – so geh! – Geh, Elisabeth, so lange es noch Zeit ist.« –

Er verstummte, denn Stimmen wurden laut und Fußtritte, die Gesellschaft überraschte die Zurückgebliebenen. Elisabeth steckte den Brief wie im Traume zu sich – sie schrack zusammen, als neben ihr Albano's Stimme leise, halb scherzend, sagte: »jetzt weiche ich nicht mehr von Ihrer Seite!«

Man streifte durch den Garten. Ein breiter Fahrweg durchschnitt unbarmherzig die schönsten Taxuswände, Fuhrleute und arme Wanderer zogen darüber hin, unbekümmert um die gestürzten steinernen Helden und Göttergestalten, die hart an der Straße, überwuchert von Gras und Kräutern, lagen. – Herbstblätter bedeckten den Weg, den jetzt die elegante Gesellschaft betrat. – Der Himmel hing blau über ihnen, die Sonne schien warm, und fröhliches Lachen klang durch die heitere Luft. Die geschmückten Frauen, leicht über den rauhen Pfad hinschreitend, erschienen so glücklich und anmuthig, die Männer so liebenswürdig – die Unterhaltung war so lebhaft und glänzend, der landschaftliche Hintergrund so reich – es war ein lebendiges Wouvermann'sches Bild in moderner Tracht.

Elisabeth erschien ungewöhnlich lebhaft, sie plauderte hastig mit ihrem Begleiter, aber ihre Wangen glühten, ihre Augen schimmerten feucht. In all dieses Schwirren fröhlicher Menschenstimmen klang jetzt plötzlich ein fremder trauriger Ton – das Glöcklein des Monstranzdieners. – Aus dem Walde hervor schritt ein ehrwürdiger Priester, gefolgt von dem Meßner, der die letzte heilige Labung einem Sterbenden entgegen trug – Alle traten zur Seite – der einzige Katholik unter ihnen – Paul Albano – beugte das Knie. – Aber – war es eine weiße Wolke die neben ihm zur Erde sank in demselben Augenblick? – Er hob die Augen – dicht an seiner Seite kniete Elisabeth am Rande der Straße, die Hände gefaltet – das holdselige Gesicht überströmt von einem verklärenden Schimmer von Andacht und – Liebe. –

Warum sie niedergesunken – sie wußte es nicht; sie betete, weil sie eben ihren Geliebten beten sah; sie warf sich mit ihm, neben ihm in den Staub vor dem Gotte der ihr reines Herz – ihre Liebe kannte; sie hatte in diesem einen überwältigenden Moment alles vergessen, nur das Eine nicht: daß sie neben ihm, mit ihm auf den Knien lag. – Der Priester lächelte gütig, machte das Zeichen des Kreuzes über diese beiden jungen Häupter – und wandelte weiter. – Das Glöcklein verhallte, die ganze Scene ging vorüber wie ein Schattenspiel. –

Elisabeth kam erst wieder zu sich bei dem Klange einer scharfen Frauenstimme, die folgende Worte sagte: »seit wann kniet die Tochter eines protestantischen Geistlichen vor einem katholischen Kaplan? Sie spielen ja recht artig Komödie, Fräulein Müller!« – Frau von Plessow war es, die spöttisch lachend neben Elisabeth stand.

Das junge Mädchen erhob sich. Verwirrt blickte sie umher; sie begegnete überall neugierigen Augen; man flüsterte mit einander – man flüsterte über sie! – Jetzt erst besann sie sich was sie gethan; aber ihre plötzliche Verwirrung, ihr Erröthen und Erblassen galt nicht jener Gesellschaft, der sie unbewußt »eine artige Vorstellung« gegeben – Elisabeth dachte einzig und allein in diesem Moment an ihren Vater. – Was würde er empfunden haben, hätte er sein Kind so gesehen! – Sie fühlte ihr Herz heftig schlagen – sie fühlte, wie eine namenlose Angst herankroch: – sie rang nach Athem. »Komm, mein Kind,« sagte jetzt die gedämpfte Stimme Plessow's. »Es ist besser, wir fahren nach Hause – Du und ich. – Meinst Du nicht auch Elisabeth?« – »Ja, ja, nach Hause!« wiederholte sie und athmete auf. – Noch einmal wandte sie im Fortgehen den Kopf zurück – Albano stand neben Frau von Plessow, – seine Augen trafen die ihren mit einem tiefen dunklen Blick.

Als sie im Wagen neben ihrem stummen Begleiter saß, wandte sie sich plötzlich gegen ihn und sagte: »ich will aber wirklich nach Hause, Herr Onkel!« – »Du thust wohl daran, mein Kind!« lautete die Antwort. – »Morgen früh will ich fort! Ich muß dem Vater alles sagen!« – »Wußtest Du nicht, daß Albano ein Katholik sei?« – »Nein! Ich sah nur daß er betete und – ich betete mit ihm.« –

»Aber Elisabeth, glaubst Du, der Vater, Dein Vater, würde zugeben, daß Du, sein einziges Kind, eines Katholiken Weib würdest?«

Sie sah ihn erblassend an – ein Ausdruck von so unendlicher Angst breitete sich über das Gesicht, daß Plessow mitleidig seinen Arm um sie schlug und sehr weich sagte: »sei nur ruhig, Elisabeth, ich schreibe selbst an Deinen Vater – es wird schon alles gut werden. Albano hat doch sicher längst mit Dir geredet?« – »Er hat mir nie gesagt daß er mich zu seiner Frau begehre,« antwortete sie, und ihr Auge strahlte wieder, »aber ich weiß ja – daß er mich lieb hat, denn –« – »Was denn?« – »Denn – ich liebe ihn ja so über alle Maßen!« Sie war in diesem Augenblicke wunderschön in ihrer einfachen starken Zuversicht. – »Armes Kind!« murmelte Plessow. –

Sie sprachen nun Beide kein Wort weiter miteinander auf der Rückfahrt, und als sie aus dem Wagen gestiegen, ging Elisabeth sogleich in ihr Zimmer hinauf. – Herr von Plessow hielt sie nur noch einmal zurück, um ihr zu sagen: »Morgen Mittag, sobald ich aus der Stadt komme, sprechen wir weiter mit einander. Bringe Deine Sachen nur einstweilen in Ordnung, vielleicht begleite ich Dich selber nach M. – Mit der Post kannst Du nicht reisen, die fährt des Nachts um zwei Uhr hier vorbei.« –

Die übrige Gesellschaft kam erst mit Dunkelwerden zurück – Elisabeth ließ sich zum Souper entschuldigen, und bald nach neun Uhr zogen sich die verschiedenen Gäste in ihre Gemächer zurück. –

Es war fast zehn Uhr als Elisabeth, inmitten ihrer fast krankhaften Geschäftigkeit, sich plötzlich erinnerte, ihr Skizzenbuch im Salon vergessen zu haben. Es mußte auf dem Klavier liegen, Albano hatte diesen Morgen noch darin geblättert. – Sie nahm ein Licht und ging geräuschlos die teppichbelegten Treppenstufen hinunter. Im Vorzimmer war es leer, die Thür des Salons nur angelehnt, – es war noch Licht da, auch in dem Boudoir der Frau vom Hause, das dicht daran stieß. Das junge Mädchen fand die Mappe und wollte eben wieder den Rückweg antreten, als eine tiefe, ach nur zu sehr geliebte Männerstimme gedämpft, von dem Nebenzimmer her, an ihr Ohr schlug. Sie hörte Albano reden und stand still, keine Macht der Welt hätte sie jetzt dazu gebracht von dieser Stelle zu weichen. Starr, ein schönes Steinbild, das Buch an die Brust gedrückt, den kleinen silbernen Leuchter mit der brennenden Kerze in der Hand, stand sie und lauschte: – er redete ja! – Bleicher als das weiße Kleid, das sie trug, wurden ihre Wangen, ungestüm schlug ihr Herz – aber sie wankte nicht – es war ja seine Stimme! –

»Aber ich will sie nicht länger dulden in meinem Hause – sie ist eine gemeine Kokette!« sagte die bebende Stimme der Frau von Plessow. – »Erlauben Sie mir zu bemerken daß meiner Ansicht nach Elisabeth sich grade in dieser Hinsicht bis jetzt wunderbar ungelehrig gezeigt hat!« – »Wie? Sie wagen es mir gegenüber dies Mädchen in Schutz zu nehmen?« – »Sie bedarf meines Schutzes nicht, meine Gnädige. Wer so rein und blumenhaft wie dieses junge Wesen –.« »Ich verbitte mir alle sentimentalen Phrasen! Sie langweilen mich!« – »Aber um Gotteswillen Ruhe, Adele! Sie sind ja außer sich – Sie sind – – verblendet!« – »O! Sie meinen ich sei eifersüchtig? Lassen Sie mich lachen! Und recht von Herzen! – Nein, Paul, solche Nebenbuhlerin fürchte ich noch nicht!« – »Aber Sie dürften sie vielleicht zu fürchten haben, wenn Sie – Elisabeth beleidigten, wenn Sie das Mädchen zwängen Ihr Haus zu verlassen!« – »Auf diese Drohung hin wage ich es, mein Herr! – Oder hätten Sie vielleicht Lust die kleine Pastorstochter zu heirathen? Eilen Sie – Papa und Mama in M. werden Sie mit offnen Armen aufnehmen. Ein Schwiegersohn ist allzeit willkommen. Gehen Sie – versäumen Sie keine Zeit mein Herr – wer möchte Sie halten?« – »Und wenn ich nun diese Erlaubniß benutzte?« – Ein halb unterdrückter Schrei – der Name »Paul!«, ausgestoßen in Verzweiflung und Zorn, drang in Elisabeths Ohr.

Das junge Mädchen glitt hinweg, geräuschlos wie sie gekommen. –

Als die Postkutsche in der zweiten Morgenstunde langsam heranrollte, stand eine verhüllte Frauengestalt, ein kleines Bündel in der Hand, am Wege, hart am Thore des Plessow'schen Gartens. – »Nach M.« sagte eine schüchterne Stimme. – Der Wagen war leer. – Die Dame stieg ein, die Pferde trabten weiter, und das Geräusch der Räder verlor sich allmählich in der tiefen Stille der Nacht. – –

Elisabeths kleine Dienerin brachte am frühen Morgen dem Herrn des Hauses folgenden Brief:

»Lieber Herr Onkel! – Zürnen Sie mir nicht, daß ich eher abgereist bin als ich wollte. Ich mußte fort, ich würde gestorben sein wenn der Postwagen nicht gekommen wäre. O wäre ich nur schon zu Haus! – Fragen Sie mich aber nie, weßhalb ich so schnell fortlief, schreiben Sie mir auch nie, auch nicht dem Vater – schicken Sie mir nur meine Staffelei und mein Malergeräth. – Ich will wieder fleißig sein, recht fleißig, damit ich es auch verdiene, daß Sie mich lieb haben. – Dank für Ihre Güte – Dank für alles – Gott segne Sie! – Elisabeth.«


Wie still waren die langen Herbstabende in dem Pfarrhause! – Die Schwarzwälder Uhr in der Wohnstube tickte einförmig, der Pastor saß rauchend und sinnend in einem Sessel, die Pastorin strickend auf dem harten Sopha, Gottfried Berger auf einem Strohsessel ihr gegenüber. Zwar lagen zwei Bände »Lebensbeschreibungen berühmter Deutschen« auf dem Tische, zwar fing der Kandidat regelmäßig nach dem Nachtessen an darin zu lesen – er wurde aber sicher, noch ehe er zwei Seiten vollendet, von irgend einem Etwas unterbrochen. Entweder fiel nämlich die Nadel der Frau Pastorin unter den Tisch, und er bückte sich sie aufzuheben, oder die Pfeife des Pastors erlosch, und der Lesende war es der es zuerst bemerkte und einen Fidibus anzündete, und bei solchen Gelegenheiten war man ehe man sich dessen versah, in das allgemeine Lieblingsgespräch vertieft, das sich immer und immer wiederholte und dessen doch niemand müde wurde: man redete über Elisabeth. – Ihre Briefe wurden aus dem Strickkörbchen, wo sie jederzeit lagen, hervorgeholt, und wieder und wieder durchgegangen und hin und her besprochen.

Wochen waren vergangen, seit der letzte Brief ins Pfarrhaus geflogen. Und diese Zeilen waren so jubelvoll gewesen, und doch so kurz, daß der Vater über das theure Porto schalt. Nachher meinte er aber doch das Blättchen habe ihm Freude gebracht, obgleich im Grunde nichts darin gestanden, es sei ihm gewesen, als ob Elisabeth in alter Weise ihm heimlich einen Blumenstrauß ins Studierzimmer gestellt. – Der Mutter Herz hatte im Stillen gejubelt und in ihr Abendgebet jenen Mann eingeschlossen, dessen Namen ihr Kind nicht in diesem letzten Zettelchen genannt. – »Sie wird die Frau eines berühmten Künstlers, der Himmel hat meine Pläne gesegnet. Gott behüte das Plessow'sche Haus.«

An demselben Abend hatte sie eine lange Unterredung mit ihrem Gatten, und als sie sein Studierzimmer verließ, nahm sie die Genugthuung mit hinweg, daß der Pastor, anscheinend wenigstens, von einer seiner Lieblingsideen völlig zurückgekommen sei. Er hatte nämlich am Schlusse jenes wichtigen Gespräches geäußert: »es sei ihm jetzt ganz lieb und recht, daß der Gottfried die Pfarrstelle in S. erhalten und in einem Monat dahin abgehe.« – Seitdem war aber eine Pause eingetreten, die allmählich anfing auf alle zu drücken: – Elisabeth schrieb nicht.

Es war am Abend vor Gottfried Bergers Abgang nach S. – draußen pfiff ein schneidender Herbstwind, der Himmel zeigte sich grau verhangen, die welken Blätter retteten sich in wilder Flucht von den Bäumen, als fürchteten sie noch einen schlimmern Feind als – den Tod. Drinnen in der Wohnstube hatte man schon längst die grüne Schirmlampe angesteckt, auch brannte ein kleines Feuer im Ofen, – die Drei saßen wie immer um den runden Tisch.

»Ob die Postkutsche schon durchgekommen sein mag?« fragte die Pastorin eben. – »Sie wird in zehn Minuten hier sein,« antwortete Berger mit melancholischer Stimme, »ich will hinunter gehn zum Postverwalter, vielleicht ist heute ein Brief da.« – Und er rückte seinen Stuhl, wie jeden Abend, und stand auf um seinen Hut zu nehmen. Da klinkte es an der Hausthür – da kamen Schritte – da klopfte es wie im Fluge an die Stubenthür – eine hohe Mädchengestalt im verhüllenden Mantel und Hute trat ein, ehe Jemand »herein« gerufen, – eine sanfte Stimme sagte: »Vater! Mutter! Gottfried!« – Herr Gott des Himmels – es war das Kind, – es war Elisabeth!

Als Vater und Mutter sie umfaßt hielten, da begriffen Beide nicht daß sie dies Kind so lange entbehren konnten. – Aber als die Mutter ihr den Mantel und den Hut abnahm und der Vater den Schirm von der Lampe abhob, damit der volle Lichtschein das geliebte junge Angesicht treffe, da war es ihnen, als sei das nicht mehr jenes Mädchen, das damals von ihnen gegangen. – Größer war sie geworden, doch blaß – recht sehr blaß – und ihr Lachen war nicht mehr so fröhlich – ihre Stimme klang anders.

»Und Du kommst allein, – und so überraschend, – warum schriebst Du nicht vorher?« fragte die Mutter und küßte sie wieder und wieder. – »Der Gottfried wollte ja fort, und da mußte ich wohl kommen,« antwortete sie scherzend, aber die Augen standen ihr voll Thränen. – »Er geht auch morgen nach S. zur Probepredigt für nächsten Sonntag,« sagte der Vater. Sie sah ihn erstaunt an. »Also wirklich? Auch nicht noch einen Tag sollen wir mehr mit einander plaudern, Gottfried?« – »Willst Du es – so kann ich noch einen Tag bleiben.« – »Ich bitte Dich darum!«

Die Pastorin konnte es diesen Abend kaum erwarten ihr sichtlich ermüdetes Kind in die Schlafkammer zu führen, – sicherlich hatte Elisabeth eine Last froher Mittheilungen auf dem Herzen. Sie sah ja ganz aus wie eine heimliche Braut – so ernst, so gedankenvoll, sie wechselte die Farbe so jählings! –

Endlich waren die Stunden des Hin- und Herfragens, und das Nachtessen, vorüber, – Brigitte hatte in der Freude ihres Herzens den Eierkuchen verbrannt – und Mutter und Tochter waren allein im stillen Kämmerlein. – Die Pastorin stellte den Leuchter auf den Tisch, und nestelte wie sonst ihrem Kinde das Kleid los. Aber Elisabeth sprach und fragte nur gleichgültige Dinge, wenngleich sie sich's gefallen ließ daß die Mutter, wie vormals, sie auskleidete, ihr das Haar einflocht und das Nachtkleid überwarf. – »Dein Haar ist viel schöner geworden, sieh, ich bringe die Flechten kaum unter das Häubchen!« sagte die Pastorin mit mütterlichem Stolz. »Und wie viel hübscher verstehst Du Dich zu kleiden! Du hast auch gewiß allerlei Schönes mitgebracht. Plessow's waren ja so gut gegen Dich. Wann kommen Deine Sachen?«

Als ihr Kind den Kopf auf die Kissen gelegt, setzte sich die Mutter auf den Rand des Bettes, und herab sich beugend zu der lang entbehrten jungen Gestalt, flüsterte sie bewegt: »hat meine Tochter auch ihr altes schönes Vertrauen zur Mutter wieder mitgebracht?« – Da schlang Elisabeth ihre beiden Arme um den Nacken der Mutter und brach in ein heißes Weinen aus. Lange lange kam kein Wort über ihre Lippen, das Schluchzen sänftigte sich nur allgemach, und als die Thränen endlich milder flossen, konnte sie nur kaum vernehmbar murmeln: »es ist alles – alles vorbei. Aber bitte, bitte, frage mich nicht – ich muß sterben wenn ich davon reden soll! Es ist vorbei und ich bleibe bei Euch für immer.« – Sie hatte die Hände zusammengepreßt und sah mit dem Ausdruck tiefsten Leides zu ihr auf.

»Ich verspreche es, wenn Du wieder ruhig werden willst,« antwortete die weinende Mutter. – »Nun gute Nacht denn, Mütterchen,« sagte sie mit der Zärtlichkeit früherer Tage, »aber bete, ehe Du gehst, noch einmal mein Kindergebet mit mir. Ich habe es lange nicht mehr gebetet.« Und leise flüsterten nun zwei bewegte Stimmen:

»Müde bin ich, geh' zur Ruh,
Schließe meine Augen zu,
Vater laß das Auge dein
Ueber meinem Bette sein.
 
Hab' ich Unrecht heut gethan,
Sieh' es lieber Gott nicht an,
Deine Gnad und Christi Blut
Macht ja allen Schaden gut.
 
Kranken Herzen sende Ruh,
Nasse Augen schließe zu,
Alle Menschen groß und klein
Sollen Dir befohlen sein.«

Die Mutter küßte die Tochter noch einmal und ging. – Ob der liebe Gott wohl diese nassen jungen Augen schloß, in dieser ersten Nacht im Vaterhause?


Seltsame Tage waren es, die nun kamen und gingen im Pfarrhause. Es war scheinbar alles wie sonst und doch alles anders. Zuerst kam der Gottfried schon am zweiten Tage und erklärte, daß er nicht nach S. zur Probepredigt reisen werde. Er gab an, einen Brief erhalten zu haben, der die Aussicht auf Erfolg dort seinerseits zweifelhaft gemacht. Der Pastor und seine Frau sahen ihn zwar zuerst mit großen Augen an, freuten sich aber dann aufrichtig den gewohnten Hausgenossen behalten zu dürfen. Elisabeth reichte ihm stummdankend die Hand.

Sie saß jetzt wieder wie früher mit der Mutter im Wohnstübchen, – Abends versammelte man sich um den runden Tisch, Gottfried las, als ob man gar nichts zu Plaudern hätte, aber es war etwas Fremdes zwischen Allen, das keiner mit Namen zu nennen wußte. Das junge Mädchen trug Kleider von anderm Schnitt, ihr Haar war in anderer Weise geordnet, aus den Schläfen weggestrichen, in Puffen zurückgeschlagen und hinten in einen tiefen Knoten zusammengenommen. Die edlen Linien ihres jugendlichen Profils traten so sehr blendend hervor. Die Rundung ihres Gesichts war aber verschwunden, die Wangen zeigten eine merkliche Verminderung ihrer sonstigen Fülle, und leise Schatten lagen unter den Augen. Das fröhliche Singen durchs Haus, das leichte Springen Trepp ab, Trepp auf, das helle Auflachen – alles war nicht mehr da. Ernst glitt die junge Gestalt durchs Haus und sah man sie die Treppe hinaufsteigen, so meinte man, sie müsse müde sein, sehr müde. – Zu den Poststunden zeigte sie eine gewisse fieberhafte Spannung, die Keinem entging. »Ich erwarte meine Staffelei und mein Malergeräth,« sagte sie dann wie zur Entschuldigung.

Eine Woche war vergangen – da kam Gottfried Berger eines Abends nicht allein von der Post zurück; Männer, die verschiedenes Gepäck trugen, folgten ihm, und Allen voraus eilte ein kleiner starker Herr in einen Mantel gehüllt. Er war schon in der Wohnstube, ehe Berger das Pfarrhaus erreichte.

»Plessow!« rief die Mutter freudig überrascht. Der Pastor stand auf und legte seine Pfeife bei Seite. Aber Plessow beachtete keinen Gruß. »Elisabeth, liebes böses Kind!« rief der Eintretende mit dem heitersten Gesicht, »ich bin Dir nachgelaufen! Nicht nur Deine Sachen mußte ich Dir selbst bringen, sondern auch eine gar gute Nachricht dazu!« – Und damit wollte er sie umarmen, aber sie sah ihn mit weitgeöffneten Augen, ohne sich zu regen an, wurde todtenblaß und sank dann plötzlich zurück. Sie war zum erstenmal in ihrem Leben ohnmächtig geworden.

Das gab denn eine gewaltige Bewegung und viel rathloses Hin- und Herrennen, bis endlich Gottfried das Fenster öffnete, und die Bewußtlose dem frischen Luftstrom entgegentrug. – Sie kam wieder zu sich und streckte auch gleich mit freundlichem Lächeln dem »Herrn Onkel« die Hand entgegen. Er neigte sich zu ihr herab und flüsterte ihr zu: »so sei doch ruhig, wunderliches Kind! Mein Kommen bedeutet das Beste. Ich selbst bin jetzt mit der ganzen Geschichte ausgesöhnt. – Denke Dir, der Schmetterling hat gestern bei mir um Dich angehalten – wirklich angehalten – und ich trage Briefe an Dich und den Vater in der Tasche!«

Da brach ein Freudenstrahl aus ihren Augen, da stand ein siegendes Lächeln auf, in ihrem Angesicht – aber nur einen Moment lang – dann erwiederte sie leise aber fest: »Und Sie sind doch umsonst geschrieben, diese Briefe!« – Er sah sie ungläubig an, – dann bat er den Pastor in scherzhafter Feierlichkeit um eine Unterredung unter vier Augen, überreichte ihm ein Schreiben, drückte Elisabeth einen Brief in die Hand und setzte sich in der Sophaecke zurecht. – Das junge Mädchen verließ sofort das Zimmer.

»Ich denke, wir können diese Unterredung hier abmachen,« sagte der Pastor etwas unruhig. »Vor meiner Frau kann ich kein Geheimniß haben, und vor dem Gottfried da mag ich keins haben, besonders, wenn es unsern gemeinsamen Liebling, die Elisabeth angeht, wie ich vermuthe.« Aber Berger war schon aufgestanden, schützte einen dringenden Krankenbesuch im Dorfe vor, und ging hinaus.


Das Gespräch der Drei währte lange, lange. – Die Mitternachtstunde war vorüber, als sie sich trennten. Die Pastorin geleitete mit rothgeweinten Augen ihren Gast in die Fremdenstube. An der Thür gab Plessow ihr noch die Hand und sagte verdrießlich: »Dein Mann ist ein Starrkopf, wie ich ihn nie gesehn! Heut zu Tage macht kein Mensch mehr einen Unterschied zwischen einem katholischen oder protestantischen Schwiegersohn. Hätte ich eine Tochter, und sie wollte einen Juden oder Türken heirathen – und er wäre brav und das Kind hätte sein Glück in ihm gefunden, – ich sagte Ja. Und ein Prediger will intoleranter sein als wir gewöhnlichen Menschenkinder, die wir dem lieben Herrgott doch lange nicht so nahe stehen? – Er mag sich in Acht nehmen, daß ihm diese Starrköpfigkeit nicht seine Tochter kostet. Ein Mädchenherz ist ein zerbrechlich Ding.« – »Warum habe ich sie je von mir gelassen!« schluchzte die Pastorin.

»Versuche Du Dein Heil mit ihm – wir Beide sind fertig mit einander. Morgen spreche ich noch einmal mit Elisabeth, und dann reise ich ab. Gute Nacht!«

Die tiefbetrübte Mutter schlich noch einmal an Elisabeths Kämmerlein und drückte auf die Klinke. – Die Thür war jedoch abgeschlossen, auf ihr leises Rufen kam keine Antwort. »Gott sei Dank! Sie wenigstens schläft,« dachte sie und ging wieder hinab.

Das junge Mädchen saß aber völlig angekleidet vor einem kleinen Tische, und hatte eben unter tausend, tausend Thränen folgende Zeilen an Paul Albano niedergeschrieben:

»Sie haben mir in Ihrem Briefe gesagt, daß Sie mich liebten, und mich gefragt, ob ich Ihr Weib werden wolle. Vor wenig Wochen hätte mich solch ein Geständniß und solch eine Frage selig gemacht – jetzt machen mich Ihre Worte nur ganz unsagbar traurig. – Vor wenig Wochen glaubte ich ja noch, daß Sie mich liebten wie ich Sie liebte – – das ist nun vorbei. – Ich weiß jetzt daß Sie mir nur geben, was Sie einer Andern genommen, oder – was eine Andere verschmäht, – und die kleine Predigerstochter ist zu ehrlich und zu stolz solche Geschenke anzunehmen. – Fragen Sie nicht woher mir dies traurige Wissen kommt, – ich würde es Ihnen doch nie gestehen, wie ich es wohl keinem Menschen gestehen werde.

»Ob mein Vater seine Einwilligung geben würde zu einer Heirath seines Kindes mit einem Katholiken, weiß ich nicht, – Alle, die ihn kennen zweifeln daran. Wäre Ihre Frage aber vor Wochen gekommen, Albano, Gott weiß es daß meine Liebe stark genug gewesen ihm zu trotzen mit jenem Spruche, der allen Gläubigen gleich heilig sein muß: »Du sollst Vater und Mutter verlassen und Deinem Manne anhangen.« – Jetzt hat meine Liebe eines verloren: – den Muth.

»Leben Sie wohl, Albano! Ich liebe Sie – also glaube ich an ein Wiedersehn, und da ich hier auf Erden nicht Ihr Weib werden sollte, so vergessen Sie nicht, daß ich Sie im Himmel mein nennen will. Leben Sie wohl, tausend, tausendmal, lieber, geliebter Albano! – Elisabeth.«

»Ein Narr mag eine Mädchenliebe begreifen!« murmelte Plessow, als er am andern Tage in dem Wagen saß und nach F. zurückrollte. »Die Kleine ist, seit sie die Luft im Elternhause athmet, wie verwandelt und noch toller als der Alte. – Nun, meintwegen mag sie heirathen wen sie will. Im Grunde gönne ich dem Schmetterling Albano diese Zurückweisung – das Herz bricht ihm nicht darüber! Aus dem Kinde werde ich aber nicht klug. Erst kompromittirt sie sich aus Liebe zu dem Wildfang vor einer ganzen Gesellschaft – kaum eine Woche darauf weist sie den regelrechten Heirathsantrag desselben Mannes zurück, weil – ihr Vater nicht will daß sie die Frau eines Andersgläubigen werde! Und mit welcher Ruhe giebt sie ihm den Abschied! Da glaube einmal Einer noch an die Beständigkeit eines Frauenherzens.«


Von nun an war es stille, sehr stille im Pfarrhause. – Zwar kamen noch einige Briefe aus F. an die Pastorin, nach deren Empfang sie mehrere Tage mit verweinten Augen umherging, – auch an Elisabeth kamen Briefe, die sie aber uneröffnet verbrannte. Gesprochen wurde über den Besuch Plessow's nie wieder, nach des Mädchens ausdrücklichem Wunsch. Ihre Staffelei hatte sie in dem sogenannten Gartenzimmer aufgestellt und arbeitete unermüdlich fleißig, – aber sie malte nur Blumen, gepflückt auf jenen einsamen Spaziergängen die der Vater ihr jetzt schweigend gestattete. Die Zusammenstellung der einzelnen Blumen und Gräser beschäftigte sie oft Tage lang – sie saß wie in tiefen Träumen verloren zwischen all dem Grün und den Blüthen, die sie gesammelt.

Die Bilder aber die dann entstanden, hätte man nicht »Stillleben,« sondern »Seelenleben« nennen mögen, es mußten dem warmherzigen Beschauer lieblich-wehmüthige Gedanken kommen, beim Anblick dieser Schöpfungen. Aus dem kleinen Stückchen frischen Rasen z. B., auf dem eine Hand voll Feldblumen hingestreut war, standen Märchen auf, und das in einem zerbrochenen Glase geordnete Bouquet Astern, an deren schönster ein todter Falter hing – war ein gemaltes Gedicht.

Vater und Mutter standen oft bewundernd vor ihres Kindes Staffelei – aber Elisabeth nahm nicht mehr wie sonst ihr Lob mit freudigem Erröthen entgegen. Es war überhaupt etwas Fremdes zwischen Eltern und Tochter getreten, für das Niemand einen Namen wußte, und das auch Keiner dem Andern gestehen mochte. – Nur das Verhältniß Elisabeths zu Gottfried gestaltete sich unerwartet freundlich, zur großen Genugthuung des Pastors, der allmählich im Stillen seine alten Lieblingsideen wieder aufnahm. – Sie bat den Vetter zuweilen ihr vorzulesen, sie plauderte mit ihm in den Dämmerstunden, sie zeigte ihm ihre Bilder, sie verkehrte mit ihm recht wie eine zärtliche Schwester mit einem Bruder, von dem sie lange getrennt gewesen. Und er? – Nun er war still wie immer, aber er schien heiterer als seit langer Zeit. Keinen Moment ließ er sie aus den Augen, allezeit bereit für sie zu thun was sie eben von ihm begehren mochte, und nur zuweilen bekümmert daß sie eben so wenig begehrte.

»Die Kinder finden sich endlich,« flüsterte der Pastor einmal seiner Frau zu, »und wenn ich den Gottfried bewegen könnte, sich einstweilen um eine kleine Pfarre zu bewerben und wegzugehn, so hoffe ich das Beste. – Trennung ist allezeit ersprießlich für die Liebe. Elisabeth wird sich in einem Jahre nicht mehr weigern Frau Pastorin zu werden, und wenn ich einmal todt bin entgeht dem Gottfried diese Pfarre nicht. Ihre Zukunft ist nun geordnet – wir werden Freude an dem Mädchen erleben! Sie ist ja auch mein starkgläubiges vernünftiges Kind!«

Das »starkgläubige« Kind war seltsamer Weise nur nicht zu bewegen in die Kirche zu gehn, auch spielte sie nie mehr mit dem Vetter jene vierhändigen geistlichen Lieder, die zu hören dem Vater immer so viel Freude gemacht. – Dagegen hatten manche Leute sie am Marienbilde gesehn, und auch im Gespräche getroffen mit der freundlichen Jungfer Marianne, der alten Schwester des katholischen Pfarrers.


Es geschieht oft, daß ein Stück Leben hinschleicht, Jahre lang, wie ein schwüler Sommertag, daß man immerfort ein Gewitter ahnet und doch noch keine Wolke sieht, von der herab der zerschmetternde Blitzstrahl zucken soll.

So waren im Pfarrhause fast zwei Jahre vergangen. Gottfried Berger war schon seit Monaten wohlbestallter Paster in L., kaum zwei Stunden von M. – Einen anderen sehr steifen und sehr trockenen Kandidatus Theologiä hatte man in seine Stelle geschoben, der mit der Familie in gar keiner Verbindung stand. Die Pastorin kränkelte, Elisabeth lebte malend und still einen Tag wie den andern fort. – Sie ging umher mit ernsten Augen und traurigem Lächeln, und die alte Brigitte pflegte von ihr zu sagen, sie schaue aus wie Jemand, dem man einen kalten schweren Stein auf's Herz gebunden. Regelmäßig jeden Morgen in der ersten Frühe trat sie ihren Spaziergang an, Winter und Sommer, und kam um acht Uhr wieder heim. –

So war denn wieder einmal ein Frühling gekommen. Die Laube that diesmal ihr Möglichstes, kein Sonnenstrahl vermochte durch die dichten Geisblattranken zu dringen, die Goldregensträuche legten sich noch zum Ueberfluß darüber hin und schmückten den Eingang mit ihren Trauben, der Flieder blühte blau und weiß, und die alte Linde mit ihren hellgrünen Blättern rauschte ganz vernehmlich: »das Leben ist doch schön!« und die Vögel sangen auf dies Thema die kunstvollsten Variationen. Da kam an einem Sonntag-Nachmittag Gottfried Berger von L. herüber und hielt feierlich, und sichtlich tiefbewegt, um Elisabeth an. – Alles Blut wich aus ihren Wangen als er seine Worte an sie richtete – sie waren allein in der Laube. – Hastig und verwirrt dankte sie ihm für seinen Antrag und – wies ihn bestimmt und kurz ab. –

Er schien im ersten Augenblick völlig fassungslos über solche Antwort. Seine Züge verzerrten sich – seine Augen flammten. »Also das meiner langjährigen Liebe?« stammelte er. »Habe ich noch nicht geduldig und lange genug gewartet und geschwiegen? – Beherrscht sie Dich noch unumschränkt die Erinnerung an jenen Mann der Dich so leichten Kaufes aufgab, daß er nicht einmal kam um – Abschied von Dir zu nehmen?«

»Quäle mich nicht!« sagte sie mit bleichen Lippen; »ich bin kaum fertig geworden mit meinem Herzen, und habe zur Noth so viel Frieden gefunden wie ich brauche, um weiter zu leben. – Ich werde aber nie eines Andern Weib, da ich nicht das Weib dessen werden konnte den ich liebte.« – »O ich weiß Alles! Sein Glaube allein trennte Dich nicht von ihm. Er war ein Nichtswürdiger, der Dich nur zur Ehe begehrte weil er seiner Geliebten, einer verheiratheten Frau, überdrüssig war. Hörst Du nun, daß ich Alles weiß? – Und früher als Du selbst es wußtest – und mein Herz allein hat mir das verrathen!« – »Und trotzdem gehöre ich ihm doch!« – »Und trotzdem lasse ich Dich nicht! Das ist auch Liebe, Elisabeth! Jetzt wollen wir sehen, welche Liebe festeren Stand hält, die Deine oder die meine. Die Zeit des Duldens, Harrens und Schweigens ist jetzt für mich vorbei – es ist eine Kampfeslust über mich gekommen, die mir das Blut wild durch die Adern jagt. – Immer und immer werde ich wieder kommen, Dich bitten, Dich quälen mein Weib zu werden – so lange, bis Du gemartert von meiner Treue, gemartert von Deinem armen öden Leben, gemartert von den Bitten Deiner Eltern, die jetzt Beide zu mir stehen, – die Meinige zu werden einwilligst. – Ich weiß, daß Du mir ein krankes Herz zubringst, eine zerquälte Seele, einen müden Leib, – aber ich will mich begnügen Krankenpfleger zu sein. – Sieh, so liebe ich Dich!« –

War das Gottfried, der Stille, Sanfte, der so sprach, so blickte? Einen Zug von Energie hatte die Leidenschaft in dies Johannesgesicht gezeichnet, der es völlig verwandelte. – Er sah jetzt aus wie – ein Mann. – »Ich nehme den Kampf an – auf Leben und Tod!« sagte Elisabeth nach einer Weile fest. »Gut. Wer unterliegt, dem möge Gott helfen.« – Sie trennten sich. –

Von diesem Tage an begann ein Leben voll Qual für Elisabeth. – Die Eltern fingen an, in Anspielungen und Andeutungen, bald in sanfter, bald in gereizter Weise ihr den Wunsch zu erkennen zu geben, sie nun als Gottfrieds Braut zu sehn. – Des Mädchens ruhiger und beharrlicher Weigerung folgten immer dringendere Versuche. Sie waren ebenso erfolglos. – Lange peinliche Ermahnungen des Vaters kamen nun, und thränenreiches Zureden der Mutter. – Elisabeth setzte jedoch dem allen eine abweisende Kälte entgegen, sie ließ sich weder auf Gründe, noch Erklärungen ihrer Weigerung ein, sondern wiederholte nur immer einfach: »ich will nicht heirathen.« Nach und nach wurden dergleichen Scenen heftiger, die Gereiztheit des Vaters, die Thränen der Mutter nahmen überhand, dazu kam jeden Sonntag Gottfried herüber und warb mit Blicken und Worten unermüdlich. – Sie blieb scheinbar ruhig, unbewegt wie ein Fels, den die Wogen umbrausen, aber sie wurde bleich, ihre Augen verloren an Glanz, ihre Gestalt an Fülle. – So schleppte sie ihr Dasein weiter. Halbe Tage lang verweilte sie vor ihrer Staffelei und die übrige Zeit ließ sie sich geduldig quälen. –

Es schien, als ob die Verheirathung der Tochter plötzlich der alleinige Lebenszweck beider Eltern geworden und kein anderes Interesse, außer dieser einen Angelegenheit, mehr ihre Seelen zu beschäftigen vermöchte. Die Mutter quälte allerdings zunächst die Sorge, die Tochter möchte unverheirathet bleiben in dieser Abgeschiedenheit, ein Gedanke, der ihr wie vielen Müttern unerträglich war. Seitdem sie ihre so kühnen Hoffnungen hatte begraben müssen, ängstigte sie sich allen Ernstes um die Zukunft Elisabeths. Zudem fühlte sie eine Art rastloser Unruhe ihr einen Halt zuzuweisen, da sie sich als die Veranlassung zu dem geheimen Herzleid ihres Kindes ansah. Hätte sie das Mädchen ruhig in M. gelassen, sie wäre ja jetzt ohne Zweifel längst Frau Pastorin Berger. An einem eigenen Heerd, an der Brust eines Mannes der sie auf seinen Händen zu tragen verheißen, würde Elisabeth schon wieder froh werden und sich aufrichten, meinte sie. Der Gottfried war ja in der That auch keine schlechte Partie, so jung und schon eine so gute Pfarre und dazu die sichere Anwartschaft auf M.! Und vor allen Dingen liebte er ihr Kind, gewaltig, unermüdlich, das hatte er in Worten und Thaten bewiesen. Elisabeth mußte das endlich einsehen! Ein Tropfen, der immer und immer auf dieselbe Stelle fällt, höhlt ja den härtesten Stein aus: – die Mutterthränen mußten ihre Wirkung thun mit der Zeit. –

Der Vater marterte sein Kind aus ganz andern Gründen. Es handelte sich bei ihm um Erfüllung eines lange gehegten Wunsches, um eine Bitte die er ja, kraft seiner väterlichen Autorität, in einen Befehl hätte verwandeln können, ohne daß es ihm Jemand zu verwehren vermocht. Und seine Tochter stellte sich trotzig ihm, einem Bittenden, gegenüber! Er war an keinerlei offene Widersetzlichkeiten gewöhnt, weder in dem Verhältniß als Familienvater zu den Seinen, noch als Pastor zu seiner Gemeinde. – Die Störrigkeit seines Kindes betrübte ihn nicht, sie empörte ihn. Als er ihr damals mit dürren Worten gesagt daß er niemals in eine gemischte Ehe willigen und selbige segnen werde, war sie doch so ruhig gewesen, wie es sich für eine gehorsame Tochter ziemte. – Und nun? Doch er verzagte keinen Augenblick, er war sich der Mittel bewußt, diesen Trotz zu brechen. – Hatten Nadelstiche doch schon einen Elephanten getödtet – diesem unablässigen Mahnen und Drohen mußte der Teufel des Eigensinns weichen.

Aber er war trotz alledem noch nicht gewichen, als der Herbst kam – und so befahl denn der Pastor eines Tages seinem Kinde, unter Vorhaltung des Spruches: »ehre Vater und Mutter, auf daß Dir's wohl gehe und Du lange lebest auf Erden,« – am nächsten Sonntage Gottfried Bergers Antrag, falls er denselben wiederholen werde, anzunehmen. –

Elisabeth erwiederte kein Wort – sie ging umher wie sonst, mit ernsten milden Augen – sie blieb nur am Sonnabendmorgen länger als gewöhnlich auf ihrem Spaziergange. Als dann nun am Sonntage Gottfried Berger kam und, in Gegenwart von Vater und Mutter, sie wiederum bat sein Weib werden zu wollen, sah sie ihn kalt an und sagte: »Frage den Vater, ob er eine Ehe einsegnen wolle zwischen mir und Dir! – Seit gestern Morgen gehöre ich nicht mehr zu Euch – seit gestern nahm mich eine Kirche auf, die mir tröstend zurief: »wer viel geliebt, dem wird viel vergeben werden.« – Ich bin Katholikin.« –


Etwa zehn bis zwölf Jahre später sprach man in F. viel von einer Blumenmalerin, deren reizende »Stillleben« ein bedeutendes Aufsehen machten, in den Ausstellungen wie in den Kunsthandlungen. Die kleinen Blumenstücke athmeten eine überwältigende Fülle von trauriger, süßer Poesie. Der Name der Malerin war Elisabeth Müller. – Vorzüglich rühmte man ihre Darstellung verwelkter Blumen. Ueber ihren todten Blättern, geknickten Knospen, sterbenden Rosen, schwebte ein Hauch der Verklärung. – Kleine Skizzen von ihr, in Wasserfarben, wurden sehr gesucht. Elisabeth Müller lebte aber so still und eingezogen in F., daß man dort längst schon ihre Schöpfungen bewunderte, ehe man ahnte, daß die Schöpferin in derselben Stadt wohnte, in der man sich für ihre Bilder so warm begeisterte.

Bei der Comtesse Feldern war »reunion.« Viel Lichterglanz, viel Uniformen, viel blendende Arme und weiße Schultern, viel Blumen und Federn, viel Zuthaten aller Art, wenig Natur, viel hübsche Gesichter, wenig bedeutende, viel nichtssagendes Geplauder, viel versteckte Langweile, viel forcirte Heiterkeit – et voila tout. –

Aber dort, in der Nähe des Kamins, wer war der stattliche Mann mit dem leicht ergrauten Haar und dem schönen Kopfe, mit jener leisen Linie von Lebensüberdruß, die sich an den beiden feinen Mundwinkeln herabzog? Er saß allein und durchblätterte eben mit einem leichten Spottlächeln das Prachtalbum der Gnädigen. Man streifte an dem Einsamen mit besonders freundlichem Gruße vorüber, manche reizende Frau blieb wohl auch neben ihm stehen, einige flüchtige Worte an ihn richtend. Man schien ihn allgemein zu kennen. Es war der berühmte Landschaftsmaler Paul Albano, der erst seit zwei Tagen wieder in F. lebte, nachdem er seit länger als einem Jahrzehnt sich im Orient und Italien umhergetrieben, und bald hier bald dort, sein Künstlerzelt aufgeschlagen.

»Haben Sie das Letzte der Blätter schon eines Blickes gewürdigt?« fragte die sehr alt gewordene Comtesse heranrauschend. – Als er verneinte, schlug sie das Buch ganz auf. Ein Blatt von neuem Datum war sorgfältig angefügt. Man sah einige Feldblumen aus einem Stück Rasen sprießen, unter ihnen ein Vergißmeinnicht das welkend das Haupt neigte. Rings umher blühten Löwenzahn, Schlüsselblumen und Veilchen, frisch und lebendig, trotz des Todes in ihrer Nähe. – Albano stand plötzlich betroffen auf. »Wer hat dies Blatt gemalt?« fragte er hastig und gedämpft.

»Eine gewisse Elisabeth Müller. O, Sie entsinnen sich ihrer gewiß nicht mehr! Sie war mit Plessow's verwandt und einmal, vor vielen Jahren, eine kurze Zeit im Plessow'schen Hause. Daß Sie die Kleine vergaßen, ist ganz natürlich – Sie waren eben damals etwas angelegentlich mit der guten Plessow beschäftigt. Mais – en passant – war die schöne Adele nicht tausendmal liebenswürdiger in jener Zeit als jetzt, wo sie zum Orden der strengen Betschwestern gehört? – Sie haben sie doch wohl schon auf ihrem Landsitz aufgesucht, den sie weder Sommer noch Winter verläßt? Fanden Sie nicht daß die Arme bedeutend gealtert, und daß Plessow etwas mürrisch geworden?« – »Elisabeth Müller – sagten Sie?« wiederholte Albano wie im Traume, und legte die Hand auf das Herz.

»Mon Dieu! – Sie erinnern sich wirklich ihrer? Dann kommt es daher, weil die Kleine sich damals auf die abscheulichste Weise trug. Unvergeßlich ist mir auch eine hellblaue Seidenfahne, kaum vier Ellen weit.« – »Aber sie lebt wirklich hier – hier in F. und – allein?« – »So viel ich weiß. Aber hübsch ist sie nicht mehr, ich sah sie einmal auf der Straße im Vorüberfahren. Kränklich soll sie sein – irre ich nicht, so sprach man neulich bei der Gräfin Reiner von einer auszehrenden Krankheit. Sie trägt sich aber jetzt weit besser – ziemlich elegant im Schnitt, aber immer in Grau oder Schwarz. Künstlermarotte!«

Albano griff nach seinem Hut. »Entschuldigen Sie mich, gnädige Frau, ich muß fort.« – »Doch nicht etwa um sich der kleinen Müller vorstellen zu lassen?« lachte die Dame. »Sie irren sich in der Zeit, lieber Albano! Sehen Sie, meine Uhr zeigt eben Mitternacht. Warten Sie zwölf Stunden länger!« – »Sie haben recht – ich warte. – Vergessen Sie mein lächerliches Auffahren, aber – erzählen Sie mir noch was man von dieser Elisabeth hier sagt.«

Die Feldern lehnte sich in den dunkeln Fauteuil zurück, winkte Albano zu sich und flüsterte geheimnißvoll: »sie soll katholisch geworden sein – aus Interesse für einen jungen hübschen Kaplan wahrscheinlich, der in der Nähe ihres Heimathdorfes Pfarrer war, dergleichen Geschichten ereignen sich ja häufig. Der Uebertritt führte natürlich einen Bruch herbei mit Papa und Mama. Sie verließ ihre Heimath, Plessow verschaffte ihr hier ein Unterkommen in einer Familie, und veranstaltete zuerst eine kleine Ausstellung ihrer Bilder. Plötzlich verschwand sie wieder und pflegte ihre erkrankte Mutter bis zum Tode, brachte dann einen gichtbrüchigen, halb blinden Vater mit zurück, für den sie mit unermüdlicher Treue gesorgt haben soll, bis vor einem Jahre, wo er endlich starb. Ihre Staffelei stand in seinem Krankenzimmer, und sie verließ den Kranken nur zuweilen in den Abendstunden, um frische Luft zu schöpfen in dem kleinen Garten vor dem Hause. – Sie hat ihm seine Verzeihung nach und nach wirklich abringen müssen, – er soll im Anfang sein Kind entsetzlich gequält haben. Zuletzt starb er in ihren Armen, die Tochter segnend. – Da haben Sie die Geschichte. – Mir erzählte sie vor längerer Zeit die Baronin Eichstädt, die dem Hause der Kleinen gegenüber wohnt und sie sehr protegirt. – Apropos, mein Herr – wollen wir etwa morgen zusammen zur Eichstädt fahren? Sie citirt uns dann vielleicht die Malerin herüber?«

»Ich danke, gnädige Frau. Ich reise wahrscheinlich morgen früh auf einige Tage nach D.« – »Unstäter! Aber Sie sehen recht angegriffen aus, Albano, – ich bitte Sie, nehmen Sie ein Glas Eis.« – »Sie sind sehr gütig – meine Gnädige. Sie erlauben – –«

Er stand auf und verließ den Saal. – Als die Comtesse sich nach einer Weile in den andern Zimmern nach ihm umsah, war er verschwunden. –


In der nächsten Woche hatte man nach langer Dürre wieder einmal einen recht pikanten Unterhaltungsstoff in den Salons von F. Die kleine Blumenmalerin war gestorben, an einem schleichenden Fieber, und hatte sich in einem wunderlichen altmodischen hellblauen Seidenkleide begraben lassen. – Ihrem Sarge folgte der katholische Priester, der tieftrauernde Albano, – und die Wagen vieler Vornehmen. Ihre nachgelassenen Bilder übergab eine alte würdige Frau, die schon seit längerer Zeit bei der Verstorbenen gewohnt, und die man im Hause unter dem Namen »Jungfer Marianne« kannte, dem berühmten Maler im Auftrage der Heimgegangenen. Albano ließ ein kostbares Marmorkreuz an dem Grabe aufstellen, auf dem mit goldenen Lettern nur zu lesen war:

Elisabeth.

Man zerbrach sich die Köpfe über den Zusammenhang des Ganzen. – Es war nur leider Niemand da den man ausfragen konnte; Albano reiste am Tage der Kreuzaufstellung nach Italien, ohne von Jemand Abschied zu nehmen, und ließ nie wieder von sich hören. –

Die alte Marianne fand eine neue Heimath in dem Hause des neuen protestantischen Pastors in M. Er kam selbst, um sie von F. abzuholen. Sie sollte ihm den Haushalt führen, da er unverheirathet war und blieb. Sein Name war Gottfried Berger.

Mit seinem neuen Kollegen in N., denn Elisabeths alter Freund ruhte ja längst schon aus von seiner Arbeit in der kühlen Erde, verkehrte er auf das Freundlichste. – Gottfrieds Lieblingsplatz blieb jene Stelle an der Mauer des Gartens, wo man auf die grünen Gräber des Friedhofes schaute, und zu seiner Grabschrift hatte er sich den Spruch bestellt: »Wer viel liebet, dem wird viel vergeben werden.«

Czinka.

(1859.)

»Huzdra Cziganny!«
»Spiel auf, Zigeuner!«

In Wien, der schönen glänzenden Kaiserstadt, lebte vor etwa sechszig Jahren ein junger eleganter Cavalier, der sich durch seinen Reichthum und seine Unabhängigkeit (Eltern und Geschwister waren ihm gestorben) mit leichter Mühe, ohne sonderliches Zuthun gar viele Freunde und Freundinnen erworben. Sie ermüdeten nicht ihm immer und immer zu wiederholen, daß er ohne alle Frage nicht nur der liebenswürdigste Wirth, der angenehmste Gesellschafter, der kühnste Reiter und beste Tänzer, sondern auch der geistvollste und eleganteste Cavalier zehn Meilen in der Runde sei, und seltsamer Weise hörte Graf Alfred diese Versicherungen, so oft sie ihm auch zu Ohren kamen, mit demselben Vergnügen an. Er glaubte seinen Freunden auf's Wort, und mit solcher festen Ueberzeugung der Wahrheit ihrer Behauptungen ließ sichs ganz angenehm leben. Der allgemeine Liebling war daher stets heiterer Laune, hielt offene Tafel, gab reizende kleine Feste und half, wo man ihn um Hülfe ansprach. Die Gesellschaften, die er in seinem mit vollendetem Geschmack eingerichteten Hause veranstaltete, wurden von den vornehmsten Frauen besucht, da eine alte Tante des Grafen, die verwitwete Marquise d'Anville, bei solchen Gelegenheiten die Honneurs auf die feinste Weise zu machen pflegte. Freilich munkelte man auch von manchen andern üppigern Gelagen, bei denen keine Marquise präsidirte, bei denen man aber dennoch nicht minder schöne Gestalten, nicht minder werthvolle Diamanten und Spitzen zu bewundern fand als bei jenen Soupers und Bällen der vornehmen Aristokratie.

Trotz diesen Extravaganzen war der junge Graf durchaus kein Roué, er lebte eigentlich nur äußerlich wie ein vornehmer Cavalier. In seinem Herzen achtete er die Frauen hoch, denn eine engelgleiche Mutter hatte seine Kindheit gehütet und eine zärtlich geliebte, früh verklärte, Zwillingsschwester stand noch wie eine Heilige vor den Augen seiner Seele. Im Grunde war ihm, wie er seinen vertrauten Freunden gestand, der Frauenumgang zu unbequem, er liebte ein lustiges Zechgelage unter Männern weit mehr als jene fantastisch-wilden »gemischten« Feste und die reizendsten Frauen vermochten ihn kaum eine flüchtige Stunde zu fesseln. Wunderliche Geräthschaften verschollener Zeiten, alte Waffen und seltene Blumen interessirten ihn mehr als menschliche Gestalten, eine Eigenthümlichkeit, die er von seinem Vater geerbt, und er reiste viel eher Stunden weit, um eine alte ausgegrabene Vase zu sehen, als daß er um einer hübschen Frau Willen einen Weg von wenigen Minuten gemacht hätte. Tropische Gewächse, und vorzüglich die so mannigfach und seltsam geformten Cacteen waren es denen er eine besondere Zärtlichkeit widmete, seine Wohnzimmer glichen Treibhäusern, und je wunderlicher die Form der Pflanze, je brennender die Farbe der Blüthen, desto leidenschaftlicher liebte er sie.

Seine Freunde baten ihn im Scherze oft inständig sich nicht dermaleinst mit einer Blumenfee zu verheirathen, und Diners und Soupers von Sonnenstaub und Thautropfen zu veranstalten, und warnten ihn ganz besonders dringend vor der gluthäugigen Purpurblüthe des Cactus speciosissimus, welches seltsame Gewächs sein bevorzugter Liebling war. Er pflegte darauf heiter lachend zu antworten, daß er jedenfalls dermaleinst nur eine Frau heimzuführen gedenke, deren Blick ihn an jene geliebte Blume erinnere.

Daß sich der Graf Alfred bis zu seinem neunundzwanzigsten Jahre nicht verheirathete, fand Jeder, wenn auch vielleicht nicht Jede, cavaliermäßig, als man aber seinen dreißigsten Namenstag mit einem lucullischen Mahle feierte, wagten sich schon einige schüchterne Trinksprüche hervor mit deutlichen Anspielungen auf eine junge reizende Hausfrau. Sie veranlaßten manches Erröthen, manchen schmachtenden Augenaufschlag, manches kokette Fächerspiel. Diese Mahnungen wurden mit jedem Jahre lauter und dringlicher, und glichen bei der Feier der dreiunddreißigjährigen Wiederkehr des ominösen Tages fast einer Bestürmung. Da erhob sich endlich der Graf und erklärte, daß er noch in diesem Jahre sein Möglichstes zu thun bereit sei, um den Wunsch seiner Gäste zu erfüllen. Er versicherte feierlich daß er Alles aufbieten werde den Speisezettel des künftigen Festdiners mit einem neuen Gerichte, freilich nur einem Schaugerichte zu vermehren: mit einer schönen Wirthin nämlich.

Unter der anwesenden unverheiratheten Damenwelt brachte diese, einem Versprechen gleiche, Erklärung eine nicht geringe Aufregung hervor und Jede sah sich schon im Geiste dort oben an jenem Ende der Tafel, geschmückt mit Brillanten und Blumen, in weißem schimmerndem Atlas, eingerahmt von hohen silbernen Vasen, bestrahlt vom Lichterglanz des vielarmigen Kronenleuchters. Graf Alfred hielt nämlich alle seine Diners auch zur Frühlingszeit, wie eben jetzt, bei Kerzenlicht.

Es war dies eigentlich ebensowohl eine Beleidigung als eine Galanterie, dem schönen Geschlecht gegenüber. Er behauptete, daß keine vornehme Dame über sechszehn Jahre hinaus, keine Aristokratin der Kaiserstadt wenigstens, die Beleuchtung durch Sonnenstrahlen zu ertragen vermöchte ohne bedenkliche Beeinträchtigung ihrer Reize, und er liebte nun einmal, wie bei den Blumen, vor Allem die Frische in der Erscheinung einer Frau. Keine der Damen seiner Bekanntschaft konnte sich übrigens einer besondern Bevorzugung von ihm rühmen, er war leider liebenswürdig und aufmerksam gegen Jede. Er vergaß keinen Namenstag seiner zahlreichen Freundinnen und knauserte nie mit den Blumen seiner Treibhäuser und seines Gartens. Hatte er auf einem Balle mit der blonden Comtesse Delphine zwei Mal getanzt (die seit ihrer Bekanntschaft mit ihm sehr oft rothe Blumen und rothe Schleifen trug), und dagegen das stolze Freifräulein Melanie zu Tische geführt, so bat er bei der nächsten Gelegenheit sicher die hübsche Comtesse um den »beneidenswerthen« Platz an ihrer Seite, und ließ sich beim Tanze von den Augen der dunkellockigen Melanie heldenmüthig verbrennen. Kein Kaufmann konnte gewissenhafter seine Waare seinen verschiedenen Kunden zuertheilen und abwiegen, als Graf Alfred seine Aufmerksamkeiten, und selbst seine genauesten Freunde hatten keine auf irgend eine derartige Bevorzugung gegründete Vermuthung, welche Erscheinung aus der Reihe der aristokratischen Schönheiten den Platz als Wirthin beim nächsten Diner einnehmen dürfte.

Schon kurze Zeit nach diesem Feste schien jedoch Graf Alfred sein öffentlich gegebenes Versprechen ernstlich zu bereuen, er zeigte sich unruhig, ungleich in seiner Stimmung, verlor seine gute Laune, vernachlässigte seine Blumen, wurde bleich und einsiedlerisch und die Aerzte, so wie seine erschreckten Freunde, riethen ihm dringend und einstimmig zu reisen. Gar mancher bot sich ihm sogar in rührender Opferwilligkeit zum Reisegefährten an, was jedoch der Graf dankend ablehnte. Niemand wußte, ob er wirklich den Rath, den man ihm ertheilt, befolgen werde – als eines Tages die Fenster seines Hauses sich mit grauer Leinwand verhangen zeigten und Abschiedskarten mit der zierlichen Krone und dem Namen »Alfred Graf Saldern« sich in schönen weißen Händen befanden und eben so schöne Augen nachdenklich das bedeutungsvolle »p. p. c.« betrachteten. – Der elegante Cavalier war entflohen. Der sonst so glänzend geschmückte Portier stand in einem unscheinbaren Rocke gähnend in der Thür, der Gärtner lief mit Blumentöpfen aus den Zimmern in das Treibhaus, im Hofe klopften Diener langsam und pfeifend Teppiche aus, die Orangerie des Balcons war verschwunden – es blieb kein Zweifel: Graf Saldern war abgereist – aber wohin wußte Niemand.


Ein warmer Junitag neigte sich seinem Ende zu als der bequeme Reisewagen des Grafen Alfred durch den vielgerühmten Bakonyer Wald rollte in der Richtung nach Raab. Die Sonne blitzte noch durch die Zweige der Bäume und huschte über das Moos, Kräuter und Gräser dufteten, Vögel zwitscherten ihr Abendlied, Bienen taumelten schwer beladen durch die Luft – aufgescheuchtes Wild lief über den Weg, blieb wohl auch in geringer Entfernung keck zwischen den Gebüschen stehen und schaute mit großen glänzenden Augen herüber, – man hörte die Räder des Wagens kaum im tiefen Moose rollen. Der Kutscher hielt die Zügel lässig, der Diener nickte auf seinem schwankenden Sitze und der Graf selber hatte sich noch nie in seinem Leben so wohl gefühlt als eben jetzt. Es war aber nicht ein blos körperliches Wohlsein, auch über sein Herz kam es wie ein Hauch süßer Freude und köstlichen Friedens. Eine wonnevolle Müdigkeit ergriff ihn, er blinzelte schläfrig zwischen den Wimpern hervor und athmete in langen und immer längeren Zügen die berauschende Waldluft ein. Es war ihm zu Sinne als sei er in jenen verzauberten Wald gerathen, von dem ihm die Mutter so oft in seiner Kindheit erzählt, und er müsse nun fahren und fahren und könne doch nimmermehr an's Ende kommen. Aber dieser Gedanke erfüllte ihn nicht mit Furcht wie damals, als er an den Knien der Mutter seinen kleinen Kopf verbarg, er hätte vielmehr immer und immer weiter rollen mögen, an den uralten Baumstämmen vorüber, die ihre Wipfel hoch über seinem Haupte rauschend gegeneinander neigten in die endlose grüne Dämmerung hinein. Die Erinnerung an die prunkende Kaiserstadt, die er verlassen, lag wie ein ferner Traum hinter ihm und nebelhaft wandelten die Gestalten seiner Freunde an ihm vorüber. Er fühlte sich so jung, so kräftig, so lebensfrisch wie noch nie, und doch hätte er sich um die Welt jetzt nicht wieder in jenes Leben hineinstürzen mögen, das er so eben verlassen.

Es geschehen trotz aller Zweifel noch Wunder an uns und Lebenselexire werden trotz aller medicinischen und andern Aufklärung noch täglich gebraut und getrunken. Die Mutter Natur, diese uralte Zauberin, die sich glücklicherweise nicht verbrennen läßt, braut sie aus den einfachsten Mitteln für ihre eigensinnigen störrischen Kinder. Ein Wald, eine Bergwiese, ein Schweizersee, das Alpglühen vollbringen an den verstocktesten Herzen die größten Wunder, – Ketten und Schlacken fallen ab, die Seele athmet Genesungsluft, das Herz verliert seine Runzeln und schaut wieder mit Kinderaugen und Kinderglauben in die schöne reiche Welt hinaus. – Wie lange der Graf in dem köstlichen Eichenwalde umhergefahren – er wußte es nicht, er richtete sich nur rasch auf, als der Kutscher plötzlich die Pferde anhielt und sagte:

»Wir haben uns verirrt, der Weg hat hier ein Ende!«

Der arme Schelm sah leichenblaß aus, denn er kannte die Heftigkeit seines Herrn. Zu seiner großen Verwunderung sprang dieser aber heiter aus dem Wagen und anwortete:

»Wartet nur hier auf mich, ich werde den Weg suchen und Franz soll auch bleiben, ich will allein gehen!«

Und eine lustige Melodie pfeifend schlug er den ersten schmalen Fußweg ein, der vor ihm lag. Wie köstlich ließ sich's hier wandern in dem Purpurschein, der jetzt den Wald durchzitterte. Leichter war er nie über die glänzenden Parquets der Tanzsääle Wiens geschritten. Da war es ihm mit einem Male als trüge der Wind die abgerissenen Klänge einer fremdartigen Musik zu ihm. Unwillkürlich blieb er stehen und lauschte. – Dann folgte er rascher der Richtung, aus welcher die Töne ihm zuströmten. Immer deutlicher, zusammenhängender schlug es an sein Ohr, endlich unterschied er eine wunderliche wilde Tanzweise im Zweivierteltact. Weiter schreitend lösten sich die Töne von Violinen, Violen, einer Clarinette und Cymbal aus dem Chaos.

Darüber war er aber sehr lange gegangen, – endlich überfluthete es ihn wahrhaft mit Tonwellen und zugleich wandte sich der Weg, die Büsche traten zurück, als ob ein grüner Vorhang zerrisse, und Graf Alfred blieb wie erstarrt stehen. Er befand sich vor einem großen freien Platze mitten im Walde. Kaum zwanzig Schritte von ihm hatten ungarische Zigeuner ihr Lager aufgeschlagen. Auf der andern Seite sah man durch eine Lichtung die Umrisse der wunderschönen Cisterzienserabtei bei Zircz im Abendroth schimmern. Kleine Zelte waren aufgeschlagen, ein lustiges Feuer brannte in der Mitte, um das sich einige alte Frauen gesammelt hatten. Nackte braune Kinder, schön geformt wie antike Statuen von Bronce, haschten sich unter den Bäumen, Männer lagen und standen müssig umher und hörten der Musik des Zigeunerorchesters schweigend zu. Die zwölf Musikanten selbst saßen in einem Halbkreise. Sechs von ihnen spielten erste und zweite Geige, zwei die Viola, Einer eine Baßgeige, ein Anderer eine Art von Cello und die beiden Letzten Clarinette und Cymbal. Junge Männer und Mädchen knieten und kauerten am Boden, der kecken Musik lauschend und dem Tanz eines jungen Mädchens zuschauend, das eben in die Mitte des Kreises getreten war, und anfing nach dem Tacte der Musik sich hin und her zu bewegen.

Als der Graf jetzt die Tanzende anschaute, fiel ihm plötzlich seine Lieblingsblume ein, die glühende leuchtende Purpurblüthe der Cactus speciosissimus, und es war ihm als ginge das warme rothe Licht, das jetzt die ganze lebensvolle Gruppe überstrahlte, von dieser einen zarten Gestalt aus. Die Kleine war wohl kaum fünfzehn Jahr alt und reizend gewachsen. Sie trug einen scharlachrothen kurzen Rock und rothe Stiefeln an den kleinen Füßen. Den schlanken Oberkörper umschloß ein blendend weißes faltiges Hemd, das unter dem Halse mit einer Schnur zusammengezogen war. Ein Korallenkreuz hing an einem schwarzen Bande auf ihrer Brust. Eine lose Jacke, die vorn offen war, mit kurzgeschnittenen weiten Aermeln trug sie noch über dem Hemde. Ihr Haar fiel in schweren schwarzen Flechten fast bis zu ihren Knien herab, und an die Enden der Zöpfe hatte sie rothe Schleifen gebunden. Um beide Handgelenke der zarten, aber tadellos geformten Arme trug sie schmale silberne Ringe. Ihr feines, leicht gebräuntes Gesicht mit den köstlich frischen Lippen, lachte wie das Gesicht der glücklichen sorglosen Jugend lacht. Sie hob die Augen und blickte in das Grün der Bäume oder gerade in den Himmel hinein, wer konnte das wissen? Das waren Augen! Ja, von ihnen mußte jener Lichtstrom ausgehen in dem die ganze köstliche Gestalt schwamm, und auf- und niedertauchte, es konnte nicht anders sein! Das war ein Leuchten, Glühen, Schmachten, Funkeln, Drohen und Lächeln dieser zwei großen schwarzen Sterne! – Jenem lautlosen Zuschauer, der Jahre lang ungeblendet in die Augen der berühmtesten Schönheiten der üppigen Kaiserstadt geschaut, kam ein Schwindel an, eine seltsame Angst und Seligkeit zugleich den Augen der kleinen Zigeunerin gegenüber. Und dazu die kleinen beweglichen Füße, dieser von Jugendlust und Jugendkraft geschwellte und getragene Körper! Was war dieser lebensvolle Tanz gegen jenes seltsame Schlürfen und Drehen, gegen jenes Hüpfen und Rasen in den Tanzsälen des großen Wien? Und dies junge, von Luft und Sonne gebräunte Angesicht konnte sich den vollen Sonnenstrahlen aussetzen und wurde nur schöner je heller es beleuchtet. Ein Schauer des Entzückens durchrieselte den Grafen, als endlich die tanzende Kleine mit dem Ausdruck höchster kecker Lust jenen bedeutungsvollen Zigeunerruf: »jah!« herausjubelte, den ebenso das höchste Leid als die höchste Freude von den Lippen gleiten läßt, – und dann mit einem kühnen Sprunge ihren Tanz schloß. Als das Orchester nun mit einem vollen kurzen Accord abbrach, da war es aber dem Grafen plötzlich als sei er im Theater an der Burg und habe eben die schönsten Tänzerinnen gesehen. – Der grüne Wald wurde zur täuschend gemalten Coulisse, die stattlichen, seltsam gekleideten Männer, mit den langen schmalen Schnurrbärten und schwarzen, glatt herabhängenden Haaren, zu trefflich costümirten Choristen, die üppigen, nachlässig verhüllten Frauengestalten zu koketten Choristinnen, die nackten Kinder, das Feuer, die kochenden brodelnden alten Weiber zu meisterhafter Staffage, – Graf Alfred klatschte mit dem Feuer eines echten Balletenthusiasten in die Hände und rief:

»Brava, Brava!«

Da geschah es fast wie in jenen Märchen von den Elfentänzen, wenn die Elfenkönigin plötzlich einen unberufenen Lauscher entdeckte: wie ein Wirbelwind fuhr es über das ganze Zigeunerlager hin und die Scene veränderte sich rascher wie auf einem Pariser Theater. Die Frauen drängten sich hinter die Männer, die Kinder hingen sich an ihre Mütter, die Hexen des Feuers kauerten sich nieder wie zum Sprunge bereite Katzen, die Musikanten hörten auf zu spielen und nahmen eine trotzig drohende Haltung an und wohl hundert flammende Augen richteten sich plötzlich auf den Grafen. Die kleine Tänzerin allein war ruhig geblieben und blickte neugierig zu dem kühnen Fremden hin. Ein dunkler hochgewachsener Knabe, die Geige im Arm, war aber dicht an sie heran getreten in einer so herausfordernden Haltung, so schutz- und kampfbereit, daß der Graf sich eines Lächelns nicht erwehren konnte.

Da wendete sich die Kleine an ihn und fragte in gebrochenem Deutsch mit gerunzelter Stirn:

»Was willst Du hier?«

»Dich bewundern!« antwortete er und sah sie mit seinen hübschen blauen Augen leidenschaftlich an.

Jede Frau, sie gehöre welchem Volke und Stande sie auch wolle, unterscheidet mit einem Blicke die wahrhafte Bewunderung ihres Selbst von leichtem Wohlgefallen und tändelndem Spiel und ist niemals unempfindlich gegen dieselbe. Die junge Zigeunerin nahm daher auch die Hand des Grafen und sagte freundlich:

»Kommt mit mir und bleibt bei uns eine Weile. Seid ohne Sorge, Czinka wird Euch schützen!«

Sie rief ihren Gefährten einige ungarische Worte zu, und führte dann ruhig ihren neuen Bewunderer mitten in den Kreis.

Es war auch kaum eine Stunde vergangen, da saß der Graf wie ein echter Czigàny unter ihnen, plauderte mit den Männern, die sich mit deutscher Zunge einigermaßen verständlich zu machen wußten, scherzte mit den Frauen, sah dabei die schöne Czinka an, die ihm gegenüber saß neben dem finsterblickenden Knaben, und sprach dem großen Becher mit jenem süßen Tranke, den die Weiber trefflich zu bereiten verstanden, tapfer zu. Erst als die Nacht hereinbrach, dachte er wieder an seinen Wagen und an den armen wartenden Kutscher. Zögernd brach er auf und bat um einen Führer, um ihn an den Wagen und dann auf den Weg nach Zircz zu bringen, welcher Ort kaum eine halbe Stunde entfernt sein konnte.

»Anthony mag mitgehen!« sagte da Czinka gebietend und wandte sich zu jenem dunkellockigen Burschen mit der Geige, der noch nicht von ihrer Seite gewichen. Er stand auf, nickte gleichgültig, hing seine Geige an den nächsten Baum, und warf seinen Mantel um die Schultern.

»Wie lange bleibt und lagert Ihr hier an dieser Stelle?« fragte ihn der Graf.

»So lange es uns gefällt,« lautete die kurze Antwort des Burschen.

»Ich möchte Euch noch oft besuchen,« sagte der Graf zur schönen Czinka gewendet, »wenn Ihr es erlauben wolltet.«

Sie neigte freundlich gewährend mit stolzer Grazie den zierlichen Kopf. Dann nahm Alfred Saldern Abschied von den Vornehmsten der Bande und folgte seinem Führer, der eine Fackel angezündet hatte.

Das war ein seltsamer Spaziergang! Mit der Behendigkeit einer Schlange schlüpfte der Knabe voraus durch die Gebüsche, und sprang über Wurzeln und Baumstämme, über Gräben und Bäche, ohne sich zu kümmern ob der Fremde folgte.

Der elegante Cavalier hatte die größte Mühe nachzukommen und blieb überall hängen. Aber das ganze Abenteuer und die seltsame Waldfahrt hatten ihn in eine ungewöhnlich glänzende Laune versetzt und so ließ er sich denn Alles ohne ein Wort des Aergers gefallen.

Nur einmal mußte er athemlos inne halten, er konnte nicht weiter, rief seinen Führer zurück und gebot ihm eine kleine Weile zu warten.

Der Knabe gehorchte und setzte sich mit einem spöttischen Auflachen unfern von dem Erschöpften nieder. Sein seltsames unschönes Gesicht sah in der Fackelbeleuchtung fast koboldartig aus.

»Seid Ihr unter den Musikanten?« fragte der Graf, indem er sich eine Cigarrette anzündete. »Es ist mir als hätte ich Euch im Orchester gesehen als die kleine Czinka tanzte.«

»Ich spiele die Geige,« antwortete der Knabe mürrisch.

»Wie heißt Ihr?«

»Anthony Czermak.«

»Liebt Ihr die Musik?«

»Wie meint Ihr das?«

»Nun – ob Ihr gern Tänze spielt?«

»Wenn die Czinka tanzt – sonst spiele ich lieber Lieder.«

»Habt Ihr die Czinka lieber oder Eure Geige?«

»Wenn Ihr so fragen könnt, so wißt Ihr nichts von einer Geige,« antwortete der Knabe verächtlich. »Mir ist meine Geige lieber als zehn Czinkas.«

Damit stand er trotzig auf und ging weiter. Wie ein Irrlicht huschte er hin und her und den Grafen überkam oft ein unheimliches Gefühl wenn er ihn so auftauchen und verschwinden sah zwischen dem dunklen Grün. Plötzlich verlöschte die Fackel und aus dem Dunkel heraus kicherte wie aus weiter Ferne der Knabe:

»Versuchts noch zehn Schritte weiter – da steht Euer Wagen, Eurem Kutscher habe ich gesagt wie er fahren soll, um nach Zircz zu kommen!«

Dann rauschte Etwas durch die Büsche, streifte hart an ihm vorbei, ein spöttisches Gelächter wurde laut und Graf Alfred stand im tiefsten Dunkel. Mit einem derben Fluch rief er den Namen seines Dieners, der denn auch in geringer Entfernung antwortete und nach einiger Mühe und nachdem er über verschiedene Wurzeln gestolpert, an verschiedene Bäume gerannt, wobei er immer ein leises boshaftes Kichern zu hören glaubte, athmete er wie von einem bösen Traume befreit auf, als er wieder in seinem Wagen saß. Nach der Weisung, die in der That der Kobold Anthony dem Kutscher gegeben, rollte er nun auch auf der Straße nach Zircz fort, und noch vor Mitternacht erreichte er glücklich das Städtchen.


Am nächsten Tage besuchte Graf Alfred das Zigeunerlager wieder und so noch viele Tage, nur daß er sich Abends nie wieder von jenem trotzigen Burschen, sondern von seinem eigenen Diener zurückgeleiten ließ nach seinem Wagen, der ihn stets am Ausgange des Waldes erwartete. Schon beim dritten seiner Besuche nahm er allerlei Geschenke für die Frauen mit, die er von Raab sich kommen ließ, glänzenden Tand, der mit noch glänzenderen Augen empfangen wurde. Für die schöne Czinka brachte er zwei Korallenschnuren, die sie eben lächelnd um ihre Arme zu schlingen sich anschickte, als Anthony, der kleine Geiger, plötzlich herbeisprang, die Ketten aus des Mädchens Händen riß und mit den Worten: »Czinka trägt nur die silbernen Ringe ihrer Großmutter!« die Perlen ins Moos streute.

Da sprang die Kleine mit einem Ruf des Zornes auf – stampfte mit dem Fuße und blitzte den Frevler mit einem Blick an, der den Grafen erschreckte und entzückte. Dann drehte sie ihm langsam fast königlich stolz den Rücken ohne ein Wort zu reden, machte aber auch keine Bewegung die Korallen aufzuheben. – Allein sie erlaubte ihrem fremden Bewunderer den ganzen Abend an ihrer Seite zu sitzen und mit ihr zu plaudern.

Als der Graf endlich den Heimweg antrat, streifte er an dem kleinen Geiger vorüber, der einsam auf einem umgestürzten Baumstamm saß. Die nackten Füße hatte er über einander geschlagen, den Kopf auf den linken Arm gestützt, seine Geige lag neben ihm im Grase. Sein Gesicht war todtenblaß und der Ausdruck um Lippen und Augen ein so verzweifelter, daß Alfred Saldern erschrak. Unwillkürlich blieb er neben dem Knaben stehen in der Absicht ihn anzureden. Aber wie vor dem plötzlichen Anblick einer giftigen Schlange fuhr Anthony Czermak da empor, raffte seine Geige auf und war in zwei Sprüngen verschwunden.

Wenige Tage später sah man nicht nur zwei herrliche Korallenbänder an den Armen Czinka's, sondern sie trug auch eine Korallenkette um ihren Hals. An demselben Abend als Alfred Saldern sie der kleinen Zigeunerin in den Schoß warf, tanzte sie freiwillig vor dem Grafen. Aber Anthony Czermak spielte nicht mit, wie damals. Er warf seine Geige gleich nach den ersten Tacten zu Boden und lief in den Wald.

Ungarische Zigeunermusik! Wer sie je einmal hörte in ihrer melancholischen Wildheit, in ihrer hinreißenden Gluth, ihrem fremdartigen Reiz und wunderbaren Rhythmus, der vergißt sie so wenig wie man eine Masurka, oder einen jener zauberischen traurigen Walzer des Chopin vergißt, wo die Lust mit dem Leid zum Tanz antritt. – Beide Musikarten rufen ähnliche Empfindungen hervor: unsagbare Traurigkeit, die sich gleich darauf in rasende Lust verwandeln möchte, Wohlgefühl wie es den Gefangenen beim Anblick einer Schwalbe durchbebt, und zitternde Seligkeit wie beim Hauche des Wortes: »Ich liebe Dich!« Diese häufigen Synkopen, punktirten Achtel, entgegengesetzten rhythmischen Bewegungen reißen uns in einen Wirbel von Leidenschaft hinein, und die harmonischen kecken Licenzen in Bezug auf Octav und Quintenfortschreitungen, die unvorbereitete Anwendung von Septimen und Nonenaccorden, die seltsamen Halte und Figurirungen auf der Dominante, wirken fast wie der Genuß des Champagners in toller Gesellschaft, wenn wir eben für immer von der Geliebten Abschied genommen. –

Alfred Saldern fühlte sich von einem Taumel befangen, seit er unter und mit diesem seltsamen Völkchen der Zigeuner lebte, gegen dessen täglich wachsende Macht er sich so vergebens wehrte, wie ein des Schwimmens Unkundiger gegen die Gewalt der Wellen. Ein neuer Tag ging allmählich vor den Augen seiner Seele auf und die Sonne dieses Tages hieß: Czinka.

Czinka's fremdartige Schönheit, ihr schillerndes seltsames, halb scheues, halb zuthunliches Wesen bestrickte ihn täglich mehr. Sie verkehrte fast mit ihm wie eine junge Schwester mit einem ältern Bruder verkehrt, dessen Liebe sie verwöhnt, indem sie allen Launen nachgab. Sein Herz fühlte sich von einem Feuer ergriffen das ihn mehr entzückte als marterte, und seine Seele träumte am Tage davon wie es doch eigentlich das Beste und Kurzweiligste sei, eine Zeit lang Zigeuner zu werden, und mit dieser kecken Bande schöner Frauen und fröhlicher Männer, frei und ungebunden in der schönen Gotteswelt umherzuziehen. In den Nächten träumte er aber noch viel seltsamere Dinge, an die er mit wachen Augen kaum zu denken wagte: er sah sich selbst nämlich wieder in Wien in seinem eleganten Hause. – Seine Blumen dufteten ihm entgegen, der Speisesaal war mit Guirlanden geschmückt, auf der gedeckten Tafel schimmerten kostbare Geräthe, – aber es brannten keine Kerzen, wie sonst bei den glänzenden Festen im Saldern'schen Hause, – die Vorhänge waren nicht geschlossen, die Sonnenstrahlen hielten ungehindert Musterung über die Schaar der versammelten Gäste. Und oben an der Tafel saß der Festgeber – und ihm zur Seite – – sein Weib: – die lebendig gewordene fremde, leuchtende Purpurblüthe des Cactus speciosissimus, Czinka, die reizende Zigeunerin.


Das ungewöhnliche Musiktalent des wunderlichen Anthony Czermak erregte selbst die Aufmerksamkeit des vielbeschäftigten Grafen. Unwillkürlich mußte er lauschen, sogar mitten im Gespräch mit dem jungen Mädchen, wenn der Knabe, was jetzt öfter geschah, auf seiner Geige seine phantastischen Stücke vortrug. Die übrigen Musikanten ruhten dann aus, die Frauen zogen die spielenden Kinder auf ihre Knie, die Männer lagerten sich im Kreise, und so schwebte der großartige Ton seiner Geige wie ein Vogel über alle Häupter dahin. Aber es war dieser Ton keine fröhlich himmelan steigende Lerche, sondern eine Nachtigall, die ihr Lied in die dunklen Gebüsche trägt, oder ein sterbender Schwan, der seine Todesseufzer mit dem Gemurmel der Wellen mischt. Einmal, bei einer besonders elegischen Melodie, welche unter allerlei selbstgeschaffenen wilden Verzierungen und Wendungen immer wieder, wie ein blasser Mond durch zerrissene Gewitterwolken, auftauchte, bemerkte Alfred Saldern eine besondere Traurigkeit auf den Gesichtern aller Hörer. Er selbst neigte sich seltsam bewegt zu der schönen Czinka und fragte sie um die Bedeutung jener Melodie.

»Das ist die siralmas nota – die weinende Melodie« sagte sie ernst, »die uralte Klage der Zigeuner um ihr verlorenes Reich.« Und als Anthony geendet rief sie ihm zu: »spiele jetzt die Rakoczy Nota!« Der Ton ihrer Stimme war zwar herrisch, aber ihre Augen baten.

Der junge Geiger streifte das junge Mädchen einen Moment mit einem halb wilden, halb zärtlichen Blick, dann ließ er ein rührendes Adagio, dem ein feuriges Allegro folgte, über die Saiten seiner Geige ziehen. Als er nun geendet, kam er zu Czinka, neigte sich zu ihr und fragte:

»Wirst Du nun auch wieder einmal mit mir singen?«

Sie schlug die Augen nieder und nickte kaum merklich mit dem Kopfe. Da flog ein Lächeln über sein dunkles Gesicht wie ein Sonnenstrahl über die braune Haide. Und nach einem köstlichen Ritornell fiel Czinka mit ihrer schwachen, aber süßen Stimme ein und sang mit der Geige um die Wette ein wehmüthiges Lied im Vierachteltact in sehr langsamem Tempo. Fremd und ergreifend war der Accent der leichten Tacttheile des zweiten und vierten Achtels, den der Geiger mit voller Gewalt unterstützte. Die Textesworte verstand der Graf nicht, die leidenschaftliche klagende Melodie traf aber mächtig sein Herz.

»Wie heißt das Lied?« fragte er am Schlusse die Sängerin.

»Ich will versuchen es Euch zu übersetzen,« antwortete Czinka. »Es ist meine Lieblingsnota, die Worte und die Melodie hat Anthony gemacht:

»O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
In bunten Schuhen
Und möchtet lieber tief
Im Boden ruhen.
 
»O meine armen Augen, ihr müßt blitzen
Im Strahl der Kerzen
Und möchtet im Dunkel lieber
Schlafen von euren Schmerzen.«

»Was kann ich Euch schenken?« fragte der Graf an diesem Abende freundlich den jungen Geiger. »Bis zur Stunde haben sie Alle von mir irgend eine kleine Gabe angenommen, nur Ihr allein nicht! Meint Ihr, es sei mir entgangen, wie Ihr die silberne Kette, die ich Euch durch Czinka überreichen ließ, zerrissen und von Euch weggeschleudert? Erlaubt mir doch endlich Euch zu zeigen wie wohl mir Euer Spiel gefällt!«

»Nun, so schenkt mir den kleinen Dolch, den Ihr immer mit Euch führt!« antwortete Anthony nach kurzem Besinnen.

Alfred zog die zierliche Waffe aus ihrem Futterale und überreichte sie nach kurzem Zaudern dem Geiger. »Laßt uns nun auch Freunde sein,« sagte er.

Die Augen des Knaben blitzten. Er prüfte die feine Klinge und musterte mit Wohlgefallen den zierlich ausgelegten Griff. Dann schob er die Waffe in die lederne Scheide und verbarg sie an seiner Brust. Mit heiterem Lächeln dankte er nun dem Grafen und war von Stund an minder scheu und fremd zu ihm, aber wahrhaft zutraulich wurde er dennoch keinen Augenblick, so viele Mühe sich auch Alfred Saldern gab seine Zuneigung zu erwerben.


Tage und Wochen vergingen – das Leben des Grafen glich einem phantastischen Märchen, und er verspürte zuweilen den Drang sich an Nase und Ohren zu zupfen, um zu erproben ob er wirklich wache. – Jene nächtlichen Träume, in denen er die schöne Czinka in seinem eleganten Hause in Wien sah, träumte er jetzt auch sogar am Tage: immer unabweisbarer tauchte der Gedanke in ihm auf, dies köstlich frische Kind als sein Weib heimzuführen. Zerflossen waren alle Bedenken, verstummt die widerstreitenden Stimmen in seiner Brust; die Stimme der Liebe hatte sie alle zur Ruhe gebracht. Das leidenschaftliche Verlangen nach dem Besitze eines Etwas das er nicht, wie sonst Alles was ihm gefiel, durch die Macht seines Reichthums zu erkaufen vermochte, entzückte ihn, – er schwelgte in diesem neuen Gefühl und empfand zu Zeiten kaum die Sehnsucht sich durch ein entscheidendes Wort aus diesem, für ihn so neuen, köstlichen Zustand zu erlösen. Ob Czinka seine Empfindungen ahnte? Er wagte es nicht zu hoffen. Sie war und blieb unbefangen gegen ihn wie ein Kind. Seine Geschenke hatte sie mit harmloser Mädchenfreude entgegengenommen, seinen Erzählungen von der großen Kaiserstadt, von seinem Palaste, von den Genüssen des Reichthums mit glühenden Wangen und leuchtenden Blicken gelauscht, wenn aber Anthony Czermak seine Geige stimmte, schnellte sie doch empor, wurde zerstreut und unachtsam, und spielte er in seiner kecken wilden Manier gar den ersten Tact irgend eines Tanzes, so hatte Alfred das Gefühl als ob diese Töne Czinka von einem offenen Grabe, worin man ihr Liebstes so eben versenkt, wegzulocken vermöchten. Fast mit einem Schauer sah er zu, wie sie dann auf und dahin flog: ihr Busen wogte, ihre Füße berührten kaum den Boden, ihre Augen lachten und die leichte Gestalt schwebte dahin, als sei eben die Bewegung des Tanzes ihr einziges Element. Ließ sie endlich mit dem letzten Strich der Geige des braunen Knaben die Arme sinken und warf sich in's Gras, halberschöpft, halb selig von der eben genossenen Lust, da hätte der Graf sein Leben und seine Habe ihr zu Füßen werfen mögen und doch war es ihm, als könne er dreister der stolzesten Herzogin in Wien einen Heirathsantrag machen, als zu dieser kleinen Zigeunerin von Liebe reden.

Eines Tages jedoch, der Abend dunkelte bereits, saß er mit ihr auf einem kleinen freien Platze unfern des Lagers unter einer großen Eiche. Die Musikbande war schon am Morgen fortgezogen, um zu dem Hochzeitfeste eines reichen Bauern aufzuspielen, mehrere der Männer und Frauen hatten sie begleitet. Es war still im Zigeunerlager. Das Feuer schimmerte durch die Büsche, das Lärmen und Lachen der spielenden Kinder drang gedämpft herüber. Czinka war ungewöhnlich ernst. Alfred Saldern saß stumm an ihrer Seite. Als die Sonne sank, brach das junge Mädchen plötzlich in Thränen aus und sagte:

»Um diese Stunde, heute vor fünf Jahren, starb meine Mutter und ließ mich allein. Den Vater habe ich nie gekannt, der starb ehe ich geboren war!« Nach diesen Worten küßte sie ein kleines Kreuz, das sie am Halse trug. »Ich möchte so gern wieder einmal in meiner Kirche beten,« fuhr sie dann gedankenvoll fort, »nehmt mich doch einmal mit nach Zircz! Die Andern lassen mich nicht allein fort und sind keine guten Katholiken! – Wenn die Mutter noch lebte, wäre ich auch wohl nicht mehr hier unter ihnen! Wir wollten damals nach Raab ziehen oder vielleicht gar in's österreichische Land mit dem Anthony, damit er tüchtig Geige spielen lerne und ein großer Musikant werde. Armer Anthony!«

»Beklagt ihn nicht, Czinka, für ihn ließe sich noch Hülfe finden – noch ist es Zeit, ich will ihn mit nach Wien nehmen, wir haben dort hochberühmte Meister bei denen er Tüchtiges lernen könnte.«

Sie fuhr empor mit leuchtenden Augen. »O wie gut Ihr seid!« rief sie freudig und faßte seine Hände. »Wollt Ihr das wirklich? – Dann ginge ja die böse Weissagung der Czinka Panna, meiner Großmutter, nimmermehr in Erfüllung! – Habt Ihr niemals von jener vielgefeierten Zigeunerin und Quartettspielerin reden hören? Nun seht, sie starb an dem Tage meiner Geburt. Aber man brachte mich an ihr Bette und da legte sie ihre kalten Hände auf mein Haupt und murmelte: »Armes Kind! Du wirst leben müssen ohne die berauschende Musik unseres Volkes und wenn eines Tages der größte Geiger unsers Stammes die siralmas nota vor Dir spielt, wird es – in Deiner Todesstunde sein!« Wenn nun aber der Anthony Czermak wirklich ein großer Geiger wird, so werde ich ihn alle Tage spielen hören, denn er wird mir oft genug die siralmas nota geigen wenn ich erst seine Frau bin.«

»Ihr des Anthony Frau?«

»Ja, so wollte es die Mutter, um die Prophezeiung der Großmutter zu nichte zu machen. Sie liebte den Anthony, der auch schon längst keine Eltern mehr hat, und Anthony liebt mich sehr!«

»Und Ihr, Czinka – Ihr selbst – redet doch – möchtet Ihr denn solch eines wandernden Zigeuners Weib werden?«

Sie sah ihn erstaunt an, des leidenschaftlichen Tones wegen, in dem er geredet. Er war so bleich geworden daß sie erschrak und eine Bewegung machte sich zu erheben. Mit Heftigkeit aber schlang er seinen Arm um ihren schlanken Leib, zog sie zu sich nieder und rief:

»Nicht eher weicht Ihr, Czinka, als bis ich Euch Alles gesagt!« Und als sie bebend es geschehen ließ daß er ihren Kopf an seine Brust lehnte, da redete er mit leisen glühenden Worten von seiner unbesiegbaren Liebe zu ihr, zu der wilden Rose, die da so dicht an seinem Herzen blühte und strahlte. Was er ihr sagte und versprach – sein Kopf wußte nichts davon, sein Herz allein redete. – Lange währte es auch nicht – dann kam die Endfrage, die er aber mit fester, fast feierlicher Stimme aussprach: »Czinka, wollt Ihr mein Weib werden und mir in meine Heimath folgen?«

Er schwieg wie von einer schweren Last befreit, und lehnte mit dem Ausdruck der Erschöpfung seinen Kopf an den Stamm des Baumes, dessen Zweige sie Beide beschattete.

Da richtete sie sich langsam aus seinen Armen auf, sah ihn traurig an und antwortete mit langsamem Kopfschütteln nur das eine Wort: »Nein!« aber so ruhig, so unabweisbar, daß er fühlte, wie keine Bitten und Klagen diesen Laut in ein »Ja« zu verwandeln vermöchten. – Ein unendlicher Schmerz zog durch seine Seele. Schweigend senkte er die Stirn. – Was kümmerte es ihn zu wissen, was sie zu diesem »Nein« getrieben? Wozu noch ein Auseinanderreißen der Wunde, die er empfangen? Er sah sie noch einmal an, wie sie in ihrer sinnverwirrenden fremdartigen Schönheit vor ihm saß, die Fleisch gewordene Blüthe des Cactus speciosissimus – dann riß er ihre Hände an seine Lippen und sagte einfach:

»Lebt wohl, Czinka!«

Da neigte sie ihr liebliches Haupt herab und küßte ihn leicht wie ein Hauch auf die Stirn. »Lebt wohl!« flüsterte auch sie. Aber plötzlich fuhr sie empor und wurde todtenbleich. »Hörtet Ihr nicht einen Seufzer, wie das Todesächzen eines getroffenen Rehs?« fragte sie leise und ängstlich.

Er schüttelte den Kopf und stand auf. Wirre Töne, Rufen und Lachen, klangen vom Lager her.

»Sie sind wiedergekommen!« sagte Czinka tiefaufseufzend. »Anthony sucht mich gewiß!« Dann legte sie ihre Hand auf den Arm Alfreds und flüsterte: »Jetzt weiß ich, daß ihr den Anthony nicht mit nach Wien nehmen könnt, – aber ich danke Euch doch daß Ihr es gewollt! Vergeßt mich und ihn, ich bitte Euch!«

Sie verschwand im Gebüsch. Er blieb noch einen Augenblick in tiefen Gedanken stehen, dann schlug er einen Seitenweg ein, der ihn zu seinem Wagen leitete.

In Zircz angekommen, befahl er seine Sachen sogleich zu packen und fuhr in derselben Nacht noch nach Raab. Dort blieb er einige Tage, trieb sich ruhelos umher und schwankte stündlich zwischen Abreisen und Bleiben. Die Festungsmauern beengten ihn, die düstern Straßen erhöhten seine Schwermuth, nur in dem Stadtviertel der Juden und Zigeuner, und in dem herrlichen alten Dom athmete er auf. Stunden lang konnte er in den schlechten Schenken sitzen und die Gestalten der ungarischen Zigeuner anstarren, die dort zechten, scherzten und ihr wildes Wesen trieben. Nur wenn irgend Einer der Bande seine Geige stimmte, üppige Frauengestalten aus den Winkeln auftauchten und der Wirth die Bänke zusammenrückte, um die niedere schmale Stube in einen Tanzsaal zu verwandeln, floh er, aber die tolle Musik, das Jauchzen und Stampfen folgte ihm bis an das Portal des ernsten Gotteshauses, allwo erst der böse Spuk wich. Wie viele Tage er in Raab verträumt – er hatte sie nicht gezählt – eines Abends aber stand Alfred Saldern an dem Fenster des Gasthauses mit dem festen Entschlusse, am nächsten Morgen nach Wien abzureisen. Der Regen schlug an die Scheiben, der Wind heulte, im Hofe irrten Laternen umher, – auf den Straßen war es stille, – auf Flur und Treppen nicht minder, obgleich es noch früh am Abend war. Die Lampe brannte düster auf dem Tische, gespenstische Schatten zuckten an den Wänden auf und nieder. Ein unsagbares Heimweh überkam den Verlassenen – aber kein Heimweh nach seinem in all seiner Pracht doch öden Hause in Wien, oder nach den Gestalten der Genossen seiner rauschenden Freuden, nein, eine verzehrende Sehnsucht nach der längst gestorbenen Mutter, nach der längst begrabenen Schwester, – ja nach dem kaum gekannten Vater, und in tiefer Wehmuth legte er seine Stirn in die Hände und fühlte Thränen – seltene Gäste – in seinen Augen. Da klopfte es rasch an die Stubenthür, sein Diener trat ein und meldete einen Knaben, der nach ihm gefragt. Zerstreut winkte der Graf ihn einzulassen. Er blickte kaum auf, in seine Erinnerungen versenkt, als die schlanke Gestalt eintrat – er zuckte erst mit einem Schrei empor als eine kleine Hand, deren Pulsschlag ihn sympathisch berührte, die seine erfaßte. Hastig wandte er sich nun und erkannte, trotz der entstellenden Tracht, trotz des verschnittenen Haars – Czinka, das geliebteste Geschöpf der Erde. Mit einem Laut des Entzückens riß er sie an seine Brust, er sah nicht wie bleich sie war und wie sie zitterte.

»Hier bin ich,« sagte sie mit leidenschaftlichem Trotze, »ich will Dein Weib werden – vergiß, daß ich Dir einst »nein« gesagt, aber Eins mußt Du mir zuvor versprechen: Du mußt ihn mir suchen helfen, den Anthony. Er ist in derselben Nacht da Du uns verlassen, mit seiner Geige entflohen, hinaus in die weite Welt! Niemand wird und kann mir suchen helfen als Du, Du allein! Und wir werden ihn finden – nicht wahr?«


Der Namenstag des Grafen Alfred rückte heran und noch wußte Niemand, wo der wunderliche Flüchtling sich umhertrieb. Manche glaubten ihn auf seinem schönen Gute in der Steyermark, Andere in Italien, wieder Andere wollten gehört haben, daß er sich am Rhein niedergelassen, und Alle bedauerten den Ausfall des sonst allezeit so glanzvollen Festes, als plötzlich die Einladungen für diesen Tag in gewohnter Weise ergingen, die fast ein Jahr lang verschlossenen Fenster und Thore des Saldern'schen Palastes sich öffneten, und bald in ihrem sonstigen Schmuck an Blumen und kostbaren Umhängen wiederum strahlten. Neugierige Freunde eilten herbei, aber der alte Haushofmeister wies einen Jeden ab mit der ruhigen Bemerkung, sein Herr sei noch bis zur Stunde nicht zurückgekehrt. Mit welcher Spannung man endlich am bestimmten Tage die prächtigen Raume des Festgebers betrat, läßt sich denken.

»Ob er wohl jenes Versprechen halten wird, das er vor einem Jahre der Versammlung gegeben, ob er sich verlobte auf seiner langen Reise, oder ob er irgend einer der geladenen Schönen öffentlich Herz und Hand anzubieten gedenkt?« diese Fragen beschäftigten die meisten der Gäste. Treppen, Flur und Vorzimmer waren ungewöhnlich glänzend decorirt, aber im Empfangzimmer wurden Viele unangenehm überrascht: Tageshelle statt des gewohnten Kerzenlichts strömte ihnen entgegen; doch verschwand diese kleine fatale Empfindung bald bei dem überaus liebenswürdigen Empfang des Grafen, der dies Mal seine Gäste mit dem Ausdrucke wahrer Freude begrüßte, und jedem Einzelnen zu verstehen zu geben sich sichtlich mühte, wie sehr angenehm ihm gerade seine Erscheinung sei. Jeder und Jede sagte sich: »so freundlich lächelte er noch nie, so verbindliche Worte hörte ich noch nie von ihm!« Die Stimmung der Versammlung war deshalb sofort eine heitere, trotz aller Spannung. Als der Speisesaal geöffnet wurde, der auch im vollsten Tagesglanze strahlte, bewunderte man die geschmackvoll aufgehäufte Pracht der Geräthe und seltenen Blumen. Der Hausherr führte seine Tante zur Tafel, die alte Marquise d'Anville, die aber dies Mal ihre starre Miene abgelegt und mit schlauem Lächeln um sich schaute; ihm zur Rechten saß die schöne Gräfin Delphine – der Platz auf seiner linken Seite blieb ganz frei – ein leerer rother Sammetsessel stand dort und statt des Couverts erblickte man eine silberne Vase von herrlicher Arbeit, aus der ein selten schönes Exemplar des Cactus speciosissimus seine feurigen Blüthen durch den Saal leuchten ließ. Das Diner war glänzend, doch wollte die Unterhaltung, trotz der Lebhaftigkeit des Wirthes und der ungewöhnlichen Redseligkeit der alten Marquise, nicht recht in Fluß kommen, sie stockte öfter als der gute Ton es erlaubt, die Erwartung und Ungeduld der Gäste wuchs zusehends, man flüsterte unverhohlen mit einander, die Blicke der Männer wurden immer zerstreuter, das Lächeln der Frauen immer gezwungener. Endlich wurde das Desert aufgetragen, der feurige Cliquot löste die Zungen, der erste Toast auf den Hausherrn flog durch den Saal. Da erhob der Graf dankend sein Glas, ließ seine stolzen blauen Augen heiter über die Versammlung wandern, und sagte mit heller Stimme:

»Ich kam nur zurück von meiner Reise um meinen liebenswürdigen Gästen ein Versprechen zu halten, das ich Ihnen vor einem Jahre an eben dieser Stelle gegeben. Darf ich also bitten die Gläser auf das Wohl meiner Hausfrau zu füllen?« Stürmischer Beifallsruf war die Antwort. Als der Jubel verhallt, verlangte man einstimmig die schöne Wirthin zu sehen. »Dieser leere Sessel ist für die Königin dieses Hauses bestimmt, wie Sie Alle wohl schon längst vermuthet, ich hoffe, sie weigert sich nicht ihn einzunehmen!« sagte nun Alfred und erhob sich.

Die schöne Delphine warf schnell einen schmachtenden Blick in den gegenüber hängenden Spiegel: das weiße, theure Spitzenkleid, in Paris gemacht, saß vortrefflich, der blaßrothe Atlas des Unterkleides schimmerte wie Morgenroth durch die köstlichen Kanten, die Rose an der linken Seite der langen Locken hätte freilich noch etwas tiefer, mehr wie herabgesunken, stecken können, die dumme Margot verstand doch gar Nichts! Das Freifräulein Melanie aber, das dem Grafen gegenüber saß, warf ihm zu derselben Zeit einen kecken Blick zu und lachte, – sie wußte nämlich genau daß sie nie hübscher war, als wenn sie lachte. Beide Damen knüpften jedoch ein eifriges Gespräch an mit ihren Nachbarn, denn sie hörten, daß der Graf seinen Sessel rückte und – man mußte ja die Ueberraschte spielen, wenn man ihn plötzlich vor sich sah! Allein sie sprachen und sprachen – was sie redeten, wußten weder sie selber noch verstanden es ihre Nachbarn, – es dauerte auch allzu lange! Endlich mußten doch Beide ein wenig zur Seite blinzeln und da sahen sie – wie die Sammetportière eines Seitencabinets zurückgeschlagen wurde, und der Graf auf dessen Schwelle erschien. – Aber an der Hand führte er eine Frau, die er zu jenem leeren Sammetsessel geleitete und mit den einfachen Worten: »Czinka, Gräfin von Saldern,« jetzt der Versammlung vorstellte. Die neue Gräfin verneigte sich mit der schüchternen Grazie eines Kindes, und nahm den Platz an der linken Seite ihres Gemahls neben der alten Marquise ein, die sie mit mütterlicher Zärtlichkeit empfing. »Da meine Frau als Ungarin unsere deutsche Sprache nur mangelhaft versteht und kaum redet, so sieht sie sich für heute zu ihrem Bedauern noch genöthigt auf das Vergnügen der Unterhaltung mit meinen Freunden zu verzichten,« sagte der Graf noch, dann knüpfte er sofort mit seiner schönen, fast zu Stein erstarrten Nachbarin so unbefangen ein Gespräch an, als gäbe es keine Gräfin Saldern in der Welt und die stolze Delphine war Weltdame genug, um scheinbar heiter auf seine Unterhaltung einzugehen. Dann und wann wandte sich jedoch Alfred Saldern mit einem sonnigen Blick und Lächeln zu seiner jungen Frau, ihr einige leise Worte zuflüsternd, die sie eben so leise und mit einem lieblichen Erröthen beantwortete. Redete er nicht mit ihr, und gönnte die Marquise d'Anville ihr Ruhe, so saß sie ernst und gedankenvoll da und betrachtete mit dem Staunen eines jungen Mädchens das zum ersten Mal den Ballsaal betritt, jene glänzenden Gestalten der Gäste, die sich um die Tafel reihten. Aber überall begegnete ihr Blick dem Ausdruck so lebhafter Bewunderung und Neugier, daß sie endlich ihre dunklen traurigen Augen senkte, und nicht anders wieder erhob als um ihren Gemahl anzusehen, oder jene stolze Purpurblüthe in der silbernen Vase vor ihrem Sitze. – Die junge Gräfin trug ein Kleid von kostbarem indischen Mousselin, mit Spitzen reich verziert, der zarte Hals, die feinen Schultern und Arme schimmerten durch den klaren Stoff doppelt reizend. Die Aermel waren mit Korallenagraffen zurückgenommen, eine Kette von Korallen mit einem prachtvollen Schloß schlang sich um ihren Hals, eine andere um die zierlichen Handgelenke. In dem schwarzen lockigen, kurzverschnittenen Haar trug sie einen Kranz von Granatblüthen. Ihr Gesicht, leicht angehaucht von einem köstlich feinen Bronceton, war bezaubernd in seinen Linien und in dem Ausdruck einer sanften Melancholie. Die Lippen strahlten in köstlicher Frische, und es war nicht möglich sich schönere Augen mit vollkommnerer Zeichnung von Brauen und Wimpern zu denken, so behaupteten wenigstens alle männlichen Gäste des Grafen, während die Frauen den Augen der Gräfin Saldern wenigstens in so fern Gerechtigkeit widerfahren ließen, als sich eine Jede gestand, sie seien, ihre eigenen Augen natürlich ausgenommen, die »hübschesten« im Saale. – Zu diesem glänzenden Vorzug der jungen Frau kam aber noch ein Jugendschein, eine Frische, die in den Herzen der sämmtlichen Schönheiten der Tafelrunde die heißeste Sehnsucht erweckten nach – dem verbannten Kerzenlicht, die Herzen der Männer dagegen in lebhafte Bewegung versetzte. Das war der wirkliche Frühling der sechszehn Jahre der auf dieser Stirn, auf diesen Wangen seinen Siegerthron aufgeschlagen, jener reiche Frühling mit seinem üppigen Grün, seinen Knospen und Verheißungen, seinem Duft und Schimmer. – Ein sechszehnjähriges liebliches Mädchen ist ja eine wilde Rose im Walde, eine Siebzehnjährige eine Moosrosenknospe, die Achtzehnjährige die Moosrose selbst – – die Neunzehnjährige aber schon meist – – eine Theerose – – zuweilen reizend zart, schmachtend – – und Theerose bleibt sie dann bis – – – die Liebe kommt, sie in eine Centifolie zu verwandeln und sie vor dem bittern Loose zu schützen eine – Klatschrose zu werden. –

Als die Tafel aufgehoben war und die Gäste sich zurückgezogen hatten, entließ die junge Frau die glänzende Versammlung mit so vollendeter Haltung, daß Niemand laut gewagt hätte – wenigstens an demselben Tage noch nicht – – die überraschende Wahl des Grafen zu bekritteln. –


»O meine müden Augen,
Ihr müßt blitzen
Im Schein der Kerzen
Und möchtet doch im Dunkeln
Schlafen von euren Schmerzen.«

Jahre waren hingegangen. Aus der sechszehnjährigen wilden Rose war eine bleiche vornehme Theerose geworden, Czinka Saldern trat als sechsundzwanzigjährige Frau so sicher auf, in der großen Welt, als hätte sie sich von Kindheit an in derselben bewegt. Man bewunderte die junge Frau, man machte ihr den Hof, sie war eine gefeierte Erscheinung wo sie sich zeigte, und die Eigenthümlichkeit ihres Wesens und das Fremdartige ihrer Schönheit rechtfertigte diese Bewunderung vollkommen. Ihre Gestalt war noch immer schlank und zierlich, aber von vollendeten Formen, ihr Gesicht mit dem Ausdrucke geduldiger Trauer um den Mund, und den Augen voll verschleierter Leidenschaft war hinreißender denn je. Sie lernte die deutsche Sprache nie vollkommen und schien sie auch nicht gern zu reden; dieser Mangel und ein unbezwinglicher, fast trotziger Stolz, allen Huldigungen gegenüber, erwarben ihr den Namen die »fremde Königin.« Als eine auffallende Seltsamkeit bezeichnete man ihre Abneigung gegen den Tanz. Niemand konnte sie bewegen auf den Bällen einen Fuß zu heben zu irgend einem Walzer oder Galopp. Sie saß dann ruhig und träumerisch auf der Estrade und schaute zu.

»Solche Musik macht mich nicht tanzen, sie schläfert mich ein,« sagte sie einmal.

Eine zweite Eigenthümlichkeit nannte man ihre unbezwingliche Reiselust. In jedem Frühjahr wurde sie nämlich von einer Unruhe und Sehnsucht nach der Ferne befallen, die nicht eher endete als bis sie in den Reisewagen stieg. Man tadelte den Grafen, daß er alljährlich immer wieder diesen kostspieligen Launen nachgab, den größten Theil des Jahres mit seiner Frau auf Reisen zubrachte und Europa nach allen Richtungen hin durchstreifte. Wie ein Kind froh, lachend und strahlend nahm sie allezeit Abschied, und müde und bleich kehrte sie zurück. Allmählich munkelte man deshalb auch, daß der Graf doch vielleicht nicht ganz glücklich sei, und bemerkte mit weisen Mienen, wie es doch wohl nimmer rathsam sein könne sich eine »Curiosität« als sein Weib heimzuführen. Der Graf selbst gab durch sein Wesen durchaus keinen Grund zu dergleichen Bemerkungen, er erschien alle Zeit heiter und angeregt, arrangirte und besuchte Feste wie sonst, begegnete seiner Gemahlin mit der ausgezeichnetsten Aufmerksamkeit, hatte nur Augen für sie, schien es aber doch nicht zu sehen, daß die junge Frau, trotz ihres Lächelns, einer welken Blume glich oder einer an Heimweh Erkrankten. Wie man aber in Wien, der unvergleichlichen Kaiserstadt, sich nach irgend etwas zu sehnen vermochte das Draußen lag, das begriff eben Niemand.

War aber Czinka wirklich heimwehkrank? – Sie wußte es selbst nicht. Sie fühlte nur, daß sie gern sterben würde wenn sie noch einmal den Wald von Zircz über ihrem Haupte rauschen, und Anthony Czermaks Geige dazu hätte spielen hören dürfen. Der böse Anthony – wo war er nur, und warum war er davon gelaufen? Tagtäglich dachte sie ja an ihn und alljährlich suchte sie ihn mit einer Angst und Hast, die sie krank machte, – und bis zur Stunde hatte sie noch keine Spur von ihm gefunden. Wie gut doch Graf Alfred war – er hatte ihn so treulich suchen helfen – er hatte sein Versprechen gehalten! – Und wenn sie den Flüchtling endlich wirklich finden würde? Was dann? – Sie kam nicht weiter mit ihren Gedanken – sie dachte nur daran, daß er dann alle die wilden köstlichen Melodien spielen und sie – tanzen dürfe. O, tanzen, nur noch einmal tanzen nach seiner Geige, – das war die heimliche glühende Sehnsucht ihres Herzens. Wie oft verschloß sie sich in ihrem Schlafzimmer und öffnete einen schmalen unscheinbaren Schrein, der zu Häupten ihres Bettes stand, zog dort zwischen einem Bündel von Kleidern ein Paar kleine rothe Schuhe hervor, und legte sie an. Dann hob sie ihr schleppendes Seidenkleid ein wenig und sah lächelnd wie ein Kind auf ihre Füße, stampfte wohl auch einmal den Boden und stellte sich auf die Spitzen und schwankte, wie eine vom Winde bewegte Blüthe, hin und her. Nach einer Weile zog sie die rothen Schuhe aber langsam wieder aus, drückte sie an die Lippen und schluchzte bitterlich. Dann verschloß sie ihre Kleinodien sorgsam wieder und ihre gewöhnliche stolze Haltung annehmend, verrieth, wenn sie die Thür öffnete, kein Zug ihres Gesichts jene heimlichen Thränen.

Im elften Jahre seiner Ehe, gegen das Frühjahr hin, sah sich der Graf genöthigt, seine Frau auf einige Wochen zu verlassen, um nach Steyermark abzureisen. Auf seinem schönen Besitzthum dort, das ihm der Bruder seiner Mutter hinterlassen, war Feuer ausgebrochen, ein Theil der Wohngebäude zerstört worden, und der Gutsverwalter bat dringend um den Rath und das Erscheinen seines Herrn. Gleich nach des Grafen Rückkunft wollte dann das Paar eine längstbesprochene Reise nach Spanien antreten. Alfred trennte sich schweren Herzens von Czinka, es war ja die erste größere Trennung von ihr, und als er sie an einem kalten trüben Märzmorgen zum Abschied in seinen Armen hielt, lag das Vorgefühl eines ungeheuren Wehs auf seiner Brust.

»Sei heiter, Czinka,« bat er, »zerstreue Dich und schließe Dich nicht ab – in vier Wochen spätestens bin ich bei Dir und dann, – Du weißt es ja, dann suchen wir ihn wieder! Und dies Mal vielleicht nicht umsonst.«

Sie sah ihn gerührt an: »Wie gut Du bist!« antwortete sie leise, »tausend Mal besser als der Anthony! Gott segne Dich, Alfred. Ich wollte, Du bliebest hier!«

Er küßte sie noch einmal zärtlich, der Wagen fuhr vor, er ging – sie neigte sich aus dem Fenster und winkte ihm noch einen letzten Gruß nach. Der Wagen rollte dahin. – Als die Gräfin dann die großen Räume durchschritt, um sich wieder in ihr Boudoir zu begeben, strömte plötzlich das Gefühl der Verlassenheit wie ein Eishauch durch alle ihre Glieder. Sie eilte, angstvoll und erschreckt wie ein Kind das sich im Dunkeln befindet, die Treppen hinauf, warf sich in ihrem reizenden Gemach auf den Divan und weinte bitterlich.


Die einzige Freude und angenehmste Zerstreuung der Gräfin seit längerer Zeit und insbesondere nach der Entfernung des Grafen, war der Besuch des Ballets. Sie zog jene Stunden im Theater der glänzendsten Gesellschaft vor, und an jedem Balletabend stand das elegante Cabriolet der Gräfin vor der Thür des Saldernschen Hauses und man konnte später die schöne Frau, meistens in Weiß gekleidet, welche Farbe sie am Liebsten trug, in Begleitung der Marquise in ihrer Loge erscheinen sehen, aus deren dunkelrothem Hintergrund sich der seltsam fesselnde Kopf wundervoll abhob. Kaum vierzehn Tage nach der Abreise Alfreds war ein neues Ballet angekündigt, und beim Beginn der Vorstellung saß Czinka Saldern einsam in ihrer Loge, mit jenem schweren träumerischen Blick und jener nachlässigen Haltung, die ihre Feindinnen verdammten, die aber ihre Anbeter entzückte. Den Theaterzettel hatte sie spielend zusammengerollt zwischen ihren zierlichen Fingern, sie wußte nicht was er ankündigte, das Lesen war so mühsam! Die Marquise d'Anville hütete heute eines kleinen Unwohlseins halber das Zimmer. Das Theater erschien ungewöhnlich gefüllt. Die Logennachbarin der schönen Frau, die alte Herzogin M., erzählte ihr daß heute eine ausgezeichnete Musikbande spielen werde. Der Vorhang flog auf – die Gräfin zuckte zusammen. Alles Blut drängte sich nach ihrem Herzen. – Die Decoration stellte ein Zigeunerlager vor. Das Feuer brannte, Männer und Frauen lagerten im Kreise, spielende Kinder liefen umher, der Mond stand über dem Walde. Da tönte der erste Accord einer fremden Musik – er übertönte einen schwachen Aufschrei, der sonst wohl großes Aufsehen gemacht haben würde, denn er kam aus dem Munde der schönen gefeierten Gräfin Saldern. – Das war ja eine wirkliche Zigeunerbande, die da spielte! Czinka glaubte zu träumen. Das war ja jener hüpfende, hinreißende Tact, das waren jene leidenschaftlich zuckenden Syncopen, der unregelmäßige Herzschlag der punktirten Achtel, die wie Blitze niederfahrenden unvorbereiteten Septimen und Nonen, und endlich diese Halte auf der Dominante, gleich wie stockender Athem bei dem Worte: »ich liebe Dich!« – Sie starrte in wilder Erregung auf die Bühne. Zwölf junge Zigeuner zogen paarweise herein und gruppirten sich malerisch. Aber wer war jener seltsame, schlanke, hochgewachsene Geiger mit der finstern Stirn und den todestraurigen Augen, der jetzt einige Schritte vortrat und ein Geigensolo begann dem das ganze Haus wie von einem Zauber befangen lauschte? – Niemand wußte es, denn sein Name stand nicht auf dem Zettel. Und doch kannte ihn Eine, Eine nannte heimlich seinen Namen, Eine hing an seinen Zügen mit leuchtenden Augen, – aber diese Eine allein regte keine Hand als das ganze Haus in Jubel ausbrach als der Geiger geendet. Man war entzückt, fast verwirrt von der seltsamen Schönheit dieses Spiels. Die Wiener hatten noch keinem der berühmtesten Geigenvirtuosen so toll zugejauchzt wie jetzt diesem braunen unbekannten Zigeuner. Endlich als sich der Sturm gelegt, begann das Ballet, die steif geschnürten gezierten Zigeunerdamen des Balletcorps erschienen nämlich, und begannen einen kunstvollen Tanz nach der plötzlich voll losbrechenden Zigeunermusik. – Da glitt die Gräfin geräuschlos aus der Loge – da lief sie, in ihren leichten Mantel gewickelt, in den feinen Atlasschuhen pfeilgeschwind durch die Straßen nach Hause, da schlich sie wie eine Diebin die Treppe der Dienerschaft hinauf, in ihr Schlafzimmer, da zog sie jenen geheimnißvollen Schrein hervor, schloß ihn auf, warf ihre Kleider ab in fieberhafter Hast, – und schlich nach Verlauf von kaum einer Viertelstunde tief vermummt wieder fort, an dem Kammermädchen und dem Portier vorüber, die zu tief in ihrer Unterhaltung begriffen waren, als daß sie jene vorüberhuschende Gestalt bemerken konnten. – Im Theater war eben der erste Theil des Ballets vorüber, lebhafter Beifall lohnte den erschöpften Ballerinas. Plötzlich verstummte aber der Jubel, denn eine neue Ueberraschung enthüllte sich. – Durch die Reihen der Tänzerinnen brach sich eine schlanke Frauengestalt Bahn. Sie trug einen kurzen rothen Rock mit seltsamen goldenen Zeichen gestickt, ein eng anschließendes Mieder, kleine rothe Schuhe und silberne Ringe an den Handgelenken. Ihr Haar hing in schweren Flechten herab. Wie schön war sie! Wie fremdartig schön! Und doch meinten Viele dies Antlitz schon einmal gesehen zu haben! Aber wo? – Sie warf einen Feuerblick auf den Geiger und rief: »Huzdra Czigány!« (Spiel auf, Zigeuner!) – Da fuhr es wie ein Blitzstrahl durch die Gestalt des Mannes, seine Lippen wurden aschfarben, seine Augen traten aus ihren Höhlen, er regte sich nicht – wie zu Stein erstarrt stand er da. Aber sie trat dicht an ihn heran – jetzt selber so bleich wie er, – und sagte mit der Miene einer Königin: »Huzdra, Anthony Czermak!« Ihr Blick der nicht von ihm ließ, belebte allmählich die dunkle Statue. Wie im Traume erhob der Zigeuner seine Geige und spielte. Was er spielte – in Worten ließ sichs nicht fassen, noch mit Worten bezeichnen: wie gewitterschwüle Wolken zog es über die Häupter der Hörer hin, wie ein glühendheißer Sommerabend voll schweren betäubenden Blumendufts und Wetterleuchten. Im weiten Saale regte sich Niemand. Keiner war da der solches Geigenspiel je gehört. Wer konnte sagen, wo die gewaltigste Schönheit: im Ton, in der Bogenführung, in der Composition? – Und zu diesem hinreißenden Spiel tanzte die fremde Tänzerin wie man noch Keine hatte tanzen sehen. Das war der Tanz wie er zu diesem Spiel gehörte – oder war das Spiel für diesen Tanz gemacht? – Die reizende keusche Beweglichkeit der Glieder – der tolle Jubel und die schmerzliche Lust dieses Tanzes entzückte und erschütterte jedes Herz: – wie Waldesrauschen zog es durch das Haus, wie Elfenmärchen von der todtbringenden Königin zitterte es durch den Saal – wie ein Traum lag es auf Aller Augen. – Die Menge kam erst wieder zur Besinnung als die Zaubergeige längst verstummt war. Das Zigeunerorchester fiel nun rauschend ein. Die Ballettänzerinnen sprangen höher und kunstvoller denn je – die Gestalten des Vorgeigers aber und seiner Tänzerin waren verschwunden!


Im dem kleinen zierlichen Gartenhause des Saldern'schen Gartens lag Anthony Czermak zu den Füßen Czinka's, eine kleine Lampe brannte auf dem Tische, die Läden der Fenster waren geschlossen. Die Gräfin trug aber nicht mehr jenes Zigeunercostüm, das sie während des tollen Tanzes getragen, sie hatte sich in ein weites dunkles Hauskleid gehüllt und einen Mantel fröstelnd um die Schultern geschlagen. Sie sah sehr bleich und erschöpft aus, und ihre Augen hingen voll leidenschaftlicher Trauer an der Gestalt des Geigers, der vor ihr kniete. Langsam strich sie ihm mit der schlanken Hand das lockige Haar aus der Stirn:

»Du siehst so fremd und wild aus,« sagte sie in weichem Ungarisch träumerisch.

»Sage lieber verloren und untergegangen,« antwortete er düster.

»Daß Du mich verloren ist ja Deine Schuld, – Du hast es selbst gestanden, Anthony!«

»Ich konnte nicht mehr an Dich glauben als ich Dich an jenem Abend Stirn an Stirn mit ihm sah, – aber ich wunderte mich, daß ich Euch Beide nicht niederstieß damals.«

»Es wäre vielleicht besser gewesen für uns Alle.«

»Wie Du das traurig sagst – wie Du traurig blickst, Czinka, und wir haben uns doch wieder gefunden, wir sind doch wieder bei einander, Du wirst mir folgen und alles Leid wird vergessen sein!«

»Ich gehe nicht heimlich von ihm fort, ich wiederhole es Dir – er ist zu gut! Es würde ihm das Herz brechen!«

»Mag es doch – hast Du nicht das meinige tausendfach gebrochen?«

»Aber Du hast es so gewollt in blinder Eifersucht und Du hattest einen Trost: Deine Geigeer hat keinen Trost wenn ich ihn verlasse.«

Er schwieg eine Weile und sah finster zu Boden. Dann fragte er hart:

»Und wann willst Du kommen?«

»Wenn ich ihm Alles gestanden – wenn er wieder bei mir ist.«

»Laß mich rechnen: – in etwa vierzehn Tagen wird er zurückkehren. Dann wirst Du in der Stunde des Wiedersehens noch mit ihm reden, hörst Du?« Sie neigte bejahend das Haupt. »Ich erwarte Dich dann hier an dieser Stelle, oder einen Brief von Dir,« fuhr er fort, »der mir die Stunde unserer Vereinigung angiebt. – Du wirst mich nicht warten lassen Czinka, ich weiß es!«

Er stand auf.

»Ich werde kommen,« flüsterte sie, »ich werde ihm in der ersten Stunde unseres Beisammenseins Alles, Alles sagen, Anthony, und er wird mich freigeben, – und sollte ich zögern aus Muthlosigkeit oder aus Mitleid, so komm mit Deiner Geige unter mein Fenster und rufe mich, – Deiner Geige muß ich folgen ohne Wahl. Du bist ein Dämon mit Deinem Spiel! Ich glaube, es risse mich in die Hölle!«

»Ich hätte vielleicht wie die Engel im Himmel geigen gelernt wenn Du bei mir geblieben.«

»Sprich nicht so, Du thust mir weh, sag' mir lieber wer Dich so spielen lehrte?«

»Mein verzweifeltes zertretenes Herz!«

»Armer Anthony!«

»Laß mich – reiche mir nicht die Hand hin – das sieht aus wie ein Almosen! Ich will kein Almosen, ich will Dich – Dich mit Leib und Seele – geh weg mit Deiner Hand und laß Deinen mitleidsvollen Blick von mir! – Hier küsse dies Amulet auf meiner Brust, Czinka, – Du weißt, daß Deine Mutter es mir umgehängt, als sie mich zu Deinem künftigen Schützer bestimmte, und daß Deine berühmte Großmutter, die weise Czinka Panna, es getragen, küsse es, sage ich und schwöre, daß Du kommen willst!«

Sie berührte den aus einem Stein geschnittenen Stern und schwur.

»So leb' denn wohl, Du geliebte Verlorene! Auf Wiedersehen Czinka, auf Wiedersehen, zu einem Leben voll toller Lust!« Er neigte sich, nahm ihr bleiches Antlitz zwischen seine beiden Hände, sah sie mit einem verzehrenden Blicke an und murmelte: »Ich erwarte Dich, Gräfin Czinka Saldern! O, Du bist noch schön genug um die Geliebte Anthony Czermaks zu werden!«

Dann ließ er sie los und ging in die Nacht hinaus.


Zwei Tage später erhielt die Gräfin die entsetzliche Nachricht, daß ihr Gemahl todtkrank in einem kleinen Dorfe an der Grenze von Tyrol daniederliege. Auf der Rückreise begriffen war er mit dem Wagen umgeworfen und schwer verletzt in das Haus des menschenfreundlichen Caplans in B. getragen worden. »Eilen Sie,« schrieb der würdige Geistliche an die Gräfin, »dem Sterbenden den letzten Trost ihrer Gegenwart zu bringen, er nennt Ihren Namen mit dem Ausdruck innigster Sehnsucht.«

Czinka war fast gelähmt vor Schreck und Trauer. Sie ließ sogleich das Nöthigste packen und reiste wenige Stunden nach Ankunft der Schreckensbotschaft in Begleitung ihres Hausarztes nach dem Orte des Unglücks ab. Nach beschwerlicher, unausgesetzter Fahrt von mehreren Tagen, kam sie gegen Abend in dem lieblichen B. an. Sie ließ sich ohne Aufenthalt in's Pfarrhaus führen. Es lag wenige Schritte vom Dorfe entfernt in einem reizenden Garten, und sah aus wie eine Stätte des Friedens, wie ein Zufluchtsort für müde Wanderer. Der schöne Greis, der ihr grüßend auf der Schwelle entgegentrat, erschien ihr wie ein gottgeweihter Bote der Genesung. Sie streckte ihm beide Hände entgegen und brach in Thränen aus, unfähig zu fragen oder seinen Gruß zu erwiedern.

»Er lebt noch,« war sein erstes ernst-mildes Wort.

Erschöpft sank sie nun auf eine kleine Bank im Hausflur und faltete die Hände. Die Schwester des Caplans trat jetzt aus einer Seitenthür, eine freundliche Gestalt mit dem Antlitz einer barmherzigen Schwester, und führte die Fremde in ein kleines zierliches Zimmer.

»Ruhen Sie eine Stunde hier,« bat sie sanft, auf das blendende Bett zeigend, »Sie brauchen Kraft seinen Anblick zu ertragen – der Odem ist noch in ihm, aber noch ist die Besinnung nicht wiedergekehrt!«

Czinka's Augen füllten sich von Neuem mit heißen Thränen, dann aber warf sie ihre Reiseumhüllungen ab und sagte entschlossen:

»Wie könnte ich ruhen, ohne ihn gesehen zu haben! Ich bitte, führt mich sogleich zu ihm!«

Niemand versuchte sie zurückzuhalten. Mit bebenden Knien trat die junge Frau in das enge halbdunkle Krankenzimmer. Da lag er, der sie in der Fülle der Gesundheit und Kraft verlassen, bleich und regungslos, das Gesicht entstellt und verzerrt von tausend Schmerzen, das Haupt in Tücher geschlagen und den linken gebrochenen Arm in den Schienen des Verbandes. Czinka's Herz bebte vor Schmerz. Sie neigte sich über ihn, sie nannte seinen Namen, – er regte sich nicht – nur zuweilen öffnete er müde und schwer die Augen, aber der Blick blieb glanzlos und starr.

»Ich bleibe bei ihm bis zum letzten Athemzuge,« sagte jetzt die Gräfin und sank, im innersten Wesen gebrochen, an dem Lager des Kranken auf einen Schemel.


Tage und Wochen vergingen. Die Gräfin richtete sich in dem einfachen Pfarrhause ein, der Arzt mußte sich's gefallen lassen in der kleinen Dorfschenke zu leben. Der Zustand des Kranken änderte sich wenig. Ein zweiter Arzt war aus der naheliegenden größern Stadt verschrieben worden, auch er schüttelte den Kopf und gab wenig Hoffnung, sprach von Gehirnerschütterung und Rückenmarksverletzung, und prophezeihte im günstigsten Falle bleibenden Blödsinn. Seine traurige Weissagung schien sich in der That erfüllen zu wollen, denn die Körperkräfte des Kranken fingen an sich zu heben, Schlaf und Appetit stellten sich wieder ein, von Tag zu Tag besserte sich sein Aussehen, nur das Bewußtsein blieb erloschen. Mit tiefem Schmerze geleitete ihn nach Monaten Czinka zum ersten Male wieder in den kleinen Garten, er erfreute sich an der Rosenpracht wie ein unmündiges Kind sich an den Lichtern des Weihnachtsbaumes freut, er griff nach den Blumen, um sie entzückt zu betrachten und dann nach einer Weile seufzend wieder fallen zu lassen. – Sanft und geduldig war und blieb er gegen seine Pflegerin, aber mit unendlichem Weh mußte Czinka gewahren, daß er die Schwester des Pfarrherrn mit nicht minderer Freude begrüßte als sie selbst, und ihr oft den Namen Czinka gab, während er sie Therese nannte. Die Vergangenheit schien für ihn auf ewig in die Nacht der Vergessenheit versunken, die Gegenwart kaum mehr als ein Traum, eine Zukunft war für ihn gar nicht da. Nur in den Abendstunden, wo auch das Unglück geschehen, überfiel den Kranken eine seltsame Unruhe, er sprach dann von seiner Abreise, rief den Namen seines Weibes mit zärtlichster Sehnsucht, und konnte nur beruhigt werden wenn Czinka ihn in ihre Arme nahm und seinen Kopf an ihre Brust lehnte. Dann saß er still Stunden lang, bis er endlich heiter lächelnd sagte:

»So – nun laß mich schlafen gehen!«

Sie sagte ihm gute Nacht, und bei diesem Scheiden sah er sie zuweilen noch mit einem Blicke an, der sie bis ins Innerste erbeben ließ: es leuchtete ja ein Etwas wie durch einen Schleier ihr aus diesen Augen entgegen, – eine ringende Seele die ihre fesselnden Bande zu lösen sich mühte. In heißem Gebet sank sie dann in ihrer Kammer auf die Knie und rief:

»Hilf ihm, hilf ihm, heilige Jungfrau!«

Czinka's Leben war jetzt völlig ausgefüllt von einer unablässigen Sorge und Pflege. Wie eine Mutter um ihr hülfbedürftiges Kind, so waltete sie um ihren Gatten. Sie trug dunkle, fast nonnenhafte Gewänder, und wer sie so schaffen und aus- und eingehen sah in dem Zimmer des Genesenden, oder ihr begegnete, wie sie ihn stützte und leitete, der hätte sie für eine jener edlen Gestalten aus dem gesegneten Orden der barmherzigen Schwestern halten müssen, die wie verkleidete Engel Gottes allezeit da zu finden sind, wo Noth und Elend ihre Seufzer zum Himmel schicken. – Schlummerte Alfred, so saß sie bei der schlichten Therese und plauderte mit ihr, oder begleitete auch wohl den würdigen Pfarrherrn auf seinen kurzen Spaziergängen, oder in die Hütten seiner Beichtkinder. – Trotz dieser, aus strenger Pflichterfüllung erwachsenden Thätigkeit, fühlte sie sich nicht ruhig und zufrieden. Der Gedanke an Anthony, der sie erwartete, der ihr vielleicht zum zweiten Male fluchte, quälte sie oft bis zur Verzweifelung. – Sie konnte ihm keine Nachricht von sich geben – sie wußte ja nicht, wohin er sich gewendet. Die furchtbare Angst daß er kommen möchte um sie hier – hier an dieser Stelle zu mahnen, ihr gegebenes Versprechen zu halten, fiel oft mit vernichtender Schwere auf ihre Seele. Was band sie auch noch an Alfred? Fühlte er einen Schmerz, wenn sie jetzt von ihm ging? – Hatte sie eine Entschuldigung, der Leidenschaft Anthony's gegenüber, wenn er jetzt käme und verlangte sie solle ihm zur Stelle folgen? – Sie mußte sich gestehen, daß sie keine hatte – aber dies Bewußtsein brachte ihr seltsamer Weise eine namenlose Qual. Tausendmal versuchte sie sich ein Leben an der Seite Dessen auszumalen, den ihre geliebte todte Mutter ihr einst als Gatten bestimmt – Tausendmal gedachte sie schaudernd der dunklen Prophezeihung der Großmutter – – vergebens, – ein einziger Blick auf ihren Gatten, der mit gedankenlosem Lächeln einen Blumenstrauß zerpflückte, – oder leise vor sich hin den Namen Czinka rief, genügte um in ihrem Herzen den Wunsch hervorzurufen bei ihm zu bleiben, bis sein Auge sich auf ewig schlösse. – – Mit fast fieberhafter Angst widersetzte sie sich dem Andringen der Aerzte, die Rückreise mit dem Grafen anzutreten, sie fürchtete Wien, sie fürchtete die größere Möglichkeit einer Begegnung mit Anthony. – Aber der Herbst kam, der Körperzustand des Kranken war fast der eines völlig Gesunden, täglich wiederholten die Aerzte ihren Rath, den Grafen nach Wien zurückzuschaffen, und als man der Gräfin endlich zu verstehen gab, daß man eine leise Hoffnung auf Wiederherstellung an die Rückkehr in bekannte Räume knüpfe, – da sah sie alle ihre Weigerungsgründe erschöpft, und mit stiller Verzweiflung gab sie eines Tages selbst den Befehl, die Reisewagen zu packen. – Der Abend, der dem gefürchteten Abschiede von diesem Friedensasyl voranging, war ungewöhnlich rauh und traurig. Der Kaplan hatte das Haus verlassen, um einem Sterbenden die letzte Labe zu reichen, seine Schwester Therese trug einer armen Wöchnerin die Abendsuppe hin, die beiden Diener packten, Czinka saß einsam neben dem Grafen, der, wie gewöhnlich ihre Hand in der seinen haltend, seinen Kopf an ihre Schulter lehnte. – Regen und Wind schlugen an die Fenster, die alten Kastanienbäume seufzten und ächzten, Raben flogen mit scharfen Geschrei um das Haus und die Lampe flackerte in der Zugluft bald hell auf, bald sank sie wie erlöschend zusammen. Im Ofen brannte ein kleines Feuer, denn es wehte schon wie Winterhauch durch die Räume, und bei dem scharfen Knistern des feuchten Holzes zuckte der Kranke oft schreckhaft zusammen. – Czinka war mit ihren Gedanken weit, weit weggezogen. Sie sah sich in dem Walde von Zircz – aber es war heller Frühling und junges Grün wohin sie schaute. Und sie saß auf dem moosigen Boden und Alfred Saldern saß neben ihr und wand schöne lange Ketten von geschliffenen Korallen um ihre Arme. – Ihre Augen leuchteten auf in der Erinnerung an dies reizende Geschenk! – Da griff plötzlich eine schlanke braune Hand über ihre Schulter weg nach dem rothen Schmucke: Anthony zerriß mit häßlichem Lachen die Ketten und die glänzenden Perlen rollten wie Blutstropfen in das Gras. Wie böse war sie ihm da gewesen! Und wie bald hatte sie dennoch Alles vergessen beim ersten Tone seiner seltsamen Geige. Dieser Ton – wahrlich er konnte Todte erwecken – – und Engel abtrünnig machen!

Czinka war es jetzt als hörte sie den unbeschreiblichen Ton von Czermaks Geige ganz deutlich in weiter Ferne, – ach, sie träumte ja – träumen ließ sichs gut von Anthony Czermak – er durfte nur nicht in Wirklichkeit da sein mit seinen wilden Feueraugen und seiner verzehrenden Leidenschaft! Horch – da spielte er die Rackoczy Nota – wie süß ist's doch so deutlich zu träumen! – Langsam und deutlich zog sie daher jene köstliche Melodie, mitten durch das Heulen des Sturmes! – Aber da – ewige Barmherzigkeit – da richtete sich Alfred Saldern heftig in ihren Armen auf und rief fieberhaft erregt: »Czinka, hörst Du nicht – es ist Anthony, der da spielt! Rufe ihn herein, mein Kind, freue Dich – wir haben ihn endlich gefunden!« – Nach diesen Worten sank er ohnmächtig zurück. –

Fast zwölf Stunden dauerte die Ohnmacht des Grafen, und während dieser ganzen Zeit des bangen Harrens lag Czinka fast ununterbrochen auf den Knien neben seinem Lager. Sie schien in eine nicht minder gefährliche Apathie verfallen zu sein als der Kranke selbst, – sie gab keine Antwort auf die dringenden Fragen der Aerzte und regte keine Hand zu irgend einer Hülfsleistung für den Ohnmächtigen. Nur wenn man Miene machte sie sanft aufzuheben, und ihr zuredete Ruhe zu suchen, fuhr sie wild empor und barg, heftig den Kopf schüttelnd, wie ein geängstigtes Kind ihr Gesicht in das Kissen des Lagers, auf dem ihr Gemahl ruhte. In der neunten Morgenstunde des folgenden Tages schlug der Graf die Augen auf. Czinka schrie auf: – ein Blick seligsten Erkennens war in ihre arme zagende Seele gefallen! – Der Kranke legte einen Augenblick die Hand auf die Stirn, dann sagte er ruhig:

»Ich bitte, mich eine Stunde mit der Gräfin allein zu lassen.«

Alle entfernten sich. »Wir haben ihn gerettet!« riefen die beiden Schüler Aesculaps triumphirend, und schüttelten einander die Hände.


Als die beiden Gatten sich nach einer fast dreistündigen Unterredung erhoben, sagte Alfred Saldern scheinbar ruhig, aber mit dem Ausdruck unendlichen Schmerzes um Mund und Augen:

»Gott segne Dich, daß Du mir Nichts verschwiegen. Wenn er nun kommen wird, so magst Du allein entscheiden zwischen uns. – Ich habe nicht vergessen daß Dich damals nur Anthony's Flucht in meine Arme trieb. Du hast mir viel gegeben – ich bin nicht undankbar – wenn er kommen wird so merke auf Dein Herz, Czinka, und Du sollst frei sein!« –

Wenige Stunden später reiste das gräfliche Paar ab, aber nicht nach Wien, sondern nach dem kleinen reizenden Gute S. in der Nähe Badens, wo Alfred seine Kinderjahre zugebracht und wo die Gräber seiner Eltern und Schwestern lagen.

Die Gräfin kam krank nach S. Sie erschien hinfällig und doch aufgeregt, reizbar und traurig. Der Arzt empfahl Ruhe. Der Graf verrieth die Sorgfalt eines zärtlichen Bruders. Stunden lang saß er an dem Ruhebette der jungen Frau und bewachte ihren Schlummer. Allein jene tiefe ernste Trauer, die nach jener langen Unterredung mit Czinka über ihn gekommen, wich nicht mehr von ihm und lag wie ein dunkler Schleier über all seinem Thun und Wesen. Sie sah ihn oft verstohlen lange an und wenn sie sich dann von ihm wendete, waren ihre Augen voll Thränen. – Sie lasen jetzt auch öfter zusammen, was sonst nie geschehen, er hatte sich erboten ihr vorzulesen und sie lauschte dem Laute seiner Stimme mit der Achtsamkeit eines Kindes, dem die Mutter Märchen erzählt. – Dagegen redeten sie jetzt weniger denn je mit einander, es war als ob ein unsichtbares Etwas zwischen ihnen stünde und jeden freien Austausch der Gedanken und Empfindungen hemmte. – Nicht das leiseste Zeichen ehelicher Zärtlichkeit erlaubte sich der Graf seiner Frau gegenüber, er küßte ihr nur zuweilen mit der Innigkeit eines Bruders die Hand, streichelte auch wohl einmal ihr Haar – das war Alles. Sie schien scheu und befangen in seiner Gegenwart, und doch war es immer als ob etwas wie Sonnenschein über ihr Gesicht flog, wenn er am Morgen in ihr Zimmer trat. Er ließ sich seine Bücher und sein Lieblingspferd aus Wien kommen, auch einige seiner Blumen, und richtete sich in der herbstlichen Einsamkeit des kleinen Schlosses allmählich ein als wolle er für alle Ewigkeit da bleiben. Auch einige Lieblingsmöbel der Gräfin kamen an, und ihr kleiner Papagei, mit dem man sonst so viele Stunden, träge im Sessel ruhend und mit den schönen Fingern am Käfig hin- und wiederstreifend vertändelt hatte. Der einen Sendung hatte man auch jenen geheimnißvollen Schrein beigefügt, der in Wien alle Zeit zu Häupten des Bettes der Gräfin gestanden. Der Graf ließ ihn in das kleine Schlafgemach Czinka's tragen. Sie bemerkte es erst am Abend und schrak zusammen. Als sie am nächsten Morgen ihren Gatten wieder sah, und er sie in gewohnter Weise fragte wie sie geschlafen, sagte sie ungewöhnlich lebhaft:

»Bitte, laß den Schrein aus meinem Zimmer wegnehmen – er steht da wie ein Sarg und bringt mich um den Schlaf!«

»Ich glaubte einen geheimen Wunsch von Dir zu erfüllen indem ich ihn kommen ließ,« antwortete er ruhig.

Sie sah ihn traurig an und wendete sich ab. – Am Nachmittage stand der Schrein geöffnet und leer mitten im Salon. Als der Graf von einem kurzen Spazierritte heimkehrend seine Gemahlin dort aufsuchte, lächelte sie ihm entgegen und rief:

»Laß nun den Sarg verbrennen oder mach' damit was Du willst, ich nahm den Inhalt heraus. Sieh da, was damit geschehen!«

Und ihn zum Kamin führend zeigte sie ihm noch den Rest eines verkohlten rothen Schuhes und einige verglühende Gold- und Silberflittern. – Er zuckte zusammen und sah sie fragend an, da sie aber schwieg, wandte er sich von ihr und ging einige Male heftig bewegt im Zimmer auf und nieder.

»Fühlst Du Dich wohler, Czinka?« fragte er nach einer Pause in ruhigem Ton und sah zu ihr herüber. Wie schön sie ihm erschien in diesem Augenblicke! Sie erinnerte ihn mehr als je an seine Lieblingsblume, die Purpurblüthe des Cactus Speciocissimus. Fremd und dunkel schaute ihr Antlitz aus den faltigen weißen Kleidern hervor, die längst wieder voll und lang gewordenen Flechten hatten sich verschoben und waren auf ihre Schultern herabgeglitten. Wunderbar! Der Blick, den sie jetzt auf ihn heftete, war nicht mehr jener kecke, aufleuchtende der fünfzehnjährigen Tänzerin im Walde von Zircz, er war auch nicht mehr jener sanft traurige einer in das Treibhaus verpflanzten Waldblume, jener Czinka, die den entflohenen Jugendgefährten vergeblich sucht. Es drang jetzt ein Strahl aus diesen wunderbaren Augen in seine Seele, dessen Licht ihn mit einer zagenden Seligkeit erfüllte und ihn leise beten ließ:

»Ich danke Dir, Gott, daß Du dies Weib für eine Weile an meine Brust gebettet!«

»Fühlst Du Dich wohler?« wiederholte er inniger und trat ihr näher.

»O viel, viel wohler!« antwortete sie heiter.

»Sage mir,« und hier griff sie fast scherzend nach seiner herabhängenden Hand und hielt sie fest, »was würdest Du thun, wenn Du mich nicht mehr hättest?«

»Warum quälst Du mich?« fragte er ernst, fast finster.

»Weil ich wissen muß ob Du mich wirklich missen könntest.« Sie ließ seine Hand los und lehnte sich zurück.

»Nun denn, so wisse, daß ich leben würde, wenn ich Dich todt – aber nicht, wenn ich Dich im Besitze eines Andern wüßte.«

Sie hatte die Augen gesenkt und schob ihren kleinen Trauring am Finger hin und her. »Ob Anthony bald kommen wird?« fragte sie plötzlich und sah ihn fest an.

Wie von einem Dolchstich getroffen fuhr er auf. »Du wünschest es – ich weiß das Czinka – aber Du bist mehr als unbarmherzig, daß Du mir es sagst – gerade jetzt es sagst!«

»Alfred, ich sehne mich, daß er komme!« Sie war bei diesen leise gehauchten Worten aufgestanden, hing sich gewaltsam an seinen Arm und blickte ihn mit ihren heißen Augen so leidenschaftlich an, daß es ihn bis ins Innerste durchschauerte.

»Laß ab von mir, Weib!«

»Ich sehne mich, daß er komme – hörst Du es, und weißt Du auch warum? Weil ich ihm jetzt sagen kann, daß ich ihm nicht mehr folgen darf weil ich – Dich liebe, Alfred!« –

Er stieß einen Schrei des Entzückens aus und riß sie an sich. Sie umschlang ihn mit beiden Armen. Da schwirrte ein Geigenton durch die Luft – kam er aus den Wolken – vom Garten herauf – aus dem Seitenzimmer – vom Balcon her? – Der seltsame Laut wiederholte sich – der Ton klang wie aus weiter Ferne – er schwoll leise an und eine langsame schauerlich klagende Melodie zog daher, wie von unseligen Geistern gesungen.

»Das ist Anthony's Geige!« flüsterte Czinka todtenbleich, »hörst Du, er spielt die Siralmas nota

»Der tolle Geisterspuk soll nun enden!« rief der Graf heftig. »Jetzt ruh' ich nicht eher bis ich ihn gefunden! Hier an dieser Stelle magst Du zwischen uns Beiden wählen – hier entscheide sich unser Aller Geschick!«

Mit diesen Worten eilte er in das anstoßende Gemach, auf den Balcon, und dann hinaus. Die Töne verstummten. – –

Haus und Garten wurden durchsucht – keine Spur des Geigenspielers fand sich. – Es mochte wohl eine Stunde verflossen sein ehe der Graf, unmuthig und erbittert, in das Gemach seiner Gemahlin zurückkehrte. – Ein furchtbarer Schrei rief die entsetzte Dienerschaft gleich darauf herbei, der Graf Saldern lag besinnungslos ausgestreckt neben der Leiche Czinka's. – Einen kleinen Dolch fand man bis an den äußerst kunstvoll gezierten Griff in ihrem Herzen.

Welche Hand hatte den sichern Stoß geführt?


Anthony Czermak, der tolle Geiger, wie ihn die Zigeuner selber nannten, tauchte im Jahre 1818 etwa, plötzlich wieder in Pesth auf. Eine Zigeunerbande spielte in dem berühmten Zrynischen Kaffeehause ungarische Weisen, vor einer dichtgedrängten Zuhörermenge. Da stürzte ein halb nackter, wild blickender Bettler herein, entriß dem Vorgeiger seine Geige, setzte den Bogen an und spielte so hinreißend, so dämonisch, so gewaltig, daß ein Beifallssturm losbrach wie er in den Mauern dieses Saales noch nie gebraust. Mit grellem Gelächter warf der Fremde aber die Geige zu Boden und verschwand. – »Das war Anthony Czermak,« ging es von Lippe zu Lippe. Später erschien er, fast spukhaft, bald hier, bald dort, doch nur wo Zigeunerbanden spielten, und überall wirkte sein Bogen zauberhaft. Er erging sich meistens in freien Phantasien, in die er dann ergreifend ungarische Melodien einzuweben pflegte. Zuletzt will man ihn in Prag gesehen haben, wo endlich diese wunderliche und düstere Erscheinung hinter den Mauern eines Klosters verschwunden sein soll. – –

Die Sage von seinem unvergleichlichen Spiel erhielt sich aber bis auf den heutigen Tag, und so berühmt auch wenige Jahre später der deutsche Zigeuner Mattinovich wurde, der mit mangelhafter Bogenführung, und ungeregeltem Fingersatz Zigeunerweisen, sowie Paganinische Etüden hinreißend vortrug und mit selten markigem Tone spielte, so nannten doch Alle, denen je die Geige des Anthony Czermak geklungen, den Mattinovich nur einen Vasallen jenes Zauberers. Die düster leidenschaftlichen Melodien jenes verschollenen Geigers sind noch heute unter den Zigeunerbanden in und um Raab die Lieblingsnoten, und wenn sie erklingen, reißen sie unaufhaltsam die Herzen der Hörer in ein Meer von schmerzlicher Lust und süßem Weh. Erzählte man sich doch, daß eine Melodie Czermaks, die während der Anwesenheit des Königs der Pianisten, Franz Liszt, von der Bande des berühmten Patikarus Ferko, an einem Festabend ihm zu Ehren in Pesth gespielt wurde, den Gefeierten so mächtig ergriffen, daß er zur Stelle ein Clavier herbeitragen ließ, und in tiefer Erregung die Sturmeswellen seines Spiels mit jenen unendlich klagenden Tönen mischte. – War es vielleicht die Melodie zu jenem Liede, das die schöne Czinka einst im Walde von Zircz gesungen?

»O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
In bunten Schuhen
Und möchtet lieber tief
Im Boden ruhen.
 
»O meine müden Augen, ihr müßt blitzen
Im Strahl der Kerzen
Und möchtet lieber im Dunkeln
Schlafen von euren Schmerzen.«

Druck von G. Pätz in Naumburg.


Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Darstellung abweichender Schriftarten: gesperrt, Antiqua, fett.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Bewunderung" – "Bewundrung", "erwiderte" – "erwiederte", "sehen" – "sehn", "Tanzsääle" – "Tanzsäle",

mit folgenden Ausnahmen,

der Schmutztitel wurde entfernt;

Seite 15:
"und" eingefügt
(das Urbild aller Häßlichkeit und Verschrobenheit)

Seite 19:
"," eingefügt
(und verneigte sich vor der Gottschedin,)

Seite 37:
"«" eingefügt
(ein Professor als Zuhörer vor einem Studiosen sitze. –«)

Seite 43:
"den" geändert in "denn"
(Da that es denn wohl Noth)

Seite 44:
"ihre" geändert in "ihr"
(die Augen thaten ihr Anfangs weh dabei)

Seite 44:
"ihr" geändert in "ihre"
(Sie verlor auch nach und nach ihre mädchenhafte Schüchternheit)

Seite 45:
"," hinter "und" entfernt
(und streute Blumen auf ihn herab)

Seite 46:
"befan der" geändert in "befand er"
(Jetzt befand er sich aber zum ersten Mal)

Seite 47:
"Spähre" geändert in "Sphäre"
(hatte ihn plötzlich in eine Sphäre getragen)

Seite 48:
"," entfernt hinter "ihn" und eingefügt hinter "mußte"
(Eindruck auf Jedweden machen mußte, der ihn mit Aufmerksamkeit)

Seite 54:
"«" entfernt hinter "Studiosus" und eingefügt hinter "denn –"
(»Gute Nacht, werthester Herr Studiosus – auf Morgen denn –«)

Seite 57:
"," entfernt hinter "ihren" und eingefügt hinter "sagte"
(und sagte, ihren jungen Lehrmeister seltsam traurig anblickend)

Seite 57:
":" hinter "Sohn" entfernt
(Damis, der junge Gelehrte, Chrysander's Sohn)

Seite 63:
"«" eingefügt
(sterben wie ich gelebt: eine ungelehrte Frau!« –)

Seite 77:
"einiziges" geändert in "einziges"
(sehr verwöhnt, als einziges Kind eines reichen Kaufmanns)

Seite 78:
"schichte" geändert in "schlichte"
(das schlichte Pfarrhaus umzumodeln in Erinnerung)

Seite 87:
"Enferntesten" geändert in "Entferntesten"
(was nur im Entferntesten an den Katholicismus erinnern konnte)

Seite 88:
"dei" geändert in "die"
(die Morgen, Mittage und Abende sahen sich gleich)

Seite 98:
"," eingefügt
(spielte sie längst nicht mehr, sie hielt keinen Takt)

Seite 102:
"vergißst" geändert in "vergißt"
(uns (mich hatte er sagen wollen) darüber vergißt!)

Seite 110:
"einen" geändert in "einem"
(Mit einem ungeduldigen Wink der Hand sagte die schöne Frau)

Seite 111:
"," eingefügt
(in Verlegenheit gerathen sein, solch einen Ausbund)

Seite 111:
"abgeflückt" geändert in "abgepflückt"
(abgepflückt aus dem Garten einer schlichten Pfarre)

Seite 114:
"entgegente" geändert in "entgegnete"
(entgegnete sie plötzlich wieder in heller Freude)

Seite 116:
"«" eingefügt
(das blaue Taffetfähnchen ist ja kaum vier Ellen weit!«)

Seite 118:
"nachläßig" geändert in "nachlässig"
(vornehm nachlässig, indem sie mit ihrem goldenen Lorgnon spielte)

Seite 120:
"." eingefügt
(Du zeichnest ganz artig und machst tüchtige Fortschritte.)

Seite 120:
"," eingefügt
(fallen nicht mehr vom Himmel, sie müssen sehr langsam)

Seite 122:
"vergißst" geändert in "vergißt"
(Du vergißt immer, wie viel die Kleine mit ihrem Zeichnen)

Seite 124:
"wlches" geändert in "welches"
(Da erfuhr ich denn erst, welches Datum wir schreiben.)

Seite 124:
"." eingefügt
(Am 12. ist ja Gottfrieds Geburtstag)

Seite 126:
"Stükchen" geändert in "Stückchen"
(Euch einmal ein Stückchen Landschaft von ihm zeigen)

Seite 126:
"»" eingefügt
(»Ein recht unruhig Leben haben wir hier)

Seite 134:
"." eingefügt
(der erste köstliche Frühling. – Es war Sonnenschein)

Seite 146:
"gefogt" geändert in "gefolgt"
(ein ehrwürdiger Priester, gefolgt von dem Meßner)

Seite 155:
"!" geändert in ","
(antwortete Berger mit melancholischer Stimme,)

Seite 159:
"eimal" geändert in "einmal"
(noch einmal mein Kindergebet mit mir)

Seite 165:
"sie" geändert in "Sie"
(Leben Sie wohl, tausend, tausendmal)

Seite 175:
"," eingefügt
(Störrigkeit seines Kindes betrübte ihn nicht, sie empörte)

Seite 179:
"wirkilch" geändert in "wirklich"
(Sie erinnern sich wirklich ihrer?)

Seite 190:
"Möglichtes" geändert in "Möglichstes"
(in diesem Jahre sein Möglichstes zu thun bereit sei)

Seite 194:
"Er" geändert in "Es"
(Es war ihm zu Sinne als sei er in jenen)

Seite 198:
"funfzehn" geändert in "fünfzehn"
(Die Kleine war wohl kaum fünfzehn Jahr alt)

Seite 200:
"schönste" geändert in "schönsten"
(habe eben die schönsten Tänzerinnen gesehen)

Seite 202:
"dunckellokigen" geändert in "dunkellockigen"
(zu jenem dunkellockigen Burschen mit der Geige)

Seite 204:
"Seit" geändert in "Seid"
(Seid Ihr unter den Musikanten?)

Seite 208:
"," hinter "Zigeuner" entfernt
(mit diesem seltsamen Völkchen der Zigeuner lebte)

Seite 209:
"," hinter "Macht" entfernt
(wachsende Macht er sich so vergebens wehrte)

Seite 214:
"," eingefügt
(der Gedanke in ihm auf, dies köstlich frische Kind)

Seite 217:
"," eingefügt
(noch ist es Zeit, ich will ihn mit nach Wien nehmen)

Seite 217:
"jenen" geändert in "jener"
(Habt Ihr niemals von jener vielgefeierten Zigeunerin)

Seite 226:
"prachen" geändert in "sprachen"
(und sprachen – was sie redeten, wußten weder sie selber)

Seite 232:
"," eingefügt
(hatte nur Augen für sie, schien es aber doch nicht)

Seite 242:
"sie" geändert in "Sie"
(Sie neigte bejahend das Haupt.)

Seite 243:
"«" eingefügt
(sag' mir lieber wer Dich so spielen lehrte?«)

Seite 250:
"Arzte" geändert in "Aerzte"
(täglich wiederholten die Aerzte ihren Rath)

Seite 254:
"zärtichen" geändert in "zärtlichen"
(Der Graf verrieth die Sorgfalt eines zärtlichen Bruders.)

Seite 257:
"erfülle" geändert in "erfüllte"
(dessen Licht ihn mit einer zagenden Seligkeit erfüllte)

Seite 259:
"»" eingefügt
(flüsterte Czinka todtenbleich, »hörst Du, er spielt)

Seite 259:
"," entfernt hinter "anstoßende"
(Mit diesen Worten eilte er in das anstoßende Gemach)


*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 62358 ***