Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1923 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert.
Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Berarbeiter der Übersichtlichkeit halber an den Anfang des Texts verschoben. Die Seitenzahlen im Abbildungsverzeichnis wurden an die Positionen der Bilder im Text angeglichen.
Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original gesperrt gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt erscheinen.
OPAL-BÜCHEREI
DAS LEBEN EINES ALCHIMISTEN
Nach großenteils unveröffentlichten Urkunden
Herausgegeben und eingeleitet von
GUSTAV BERTHOLD VOLZ
*
Deutsch von
FRIEDRICH VON OPPELN-BRONIKOWSKI
Mit 16 Bildbeigaben
*
PAUL ARETZ VERLAG
DRESDEN
Alle Rechte, insbesondere das der
Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright 1923
by Paul Aretz Verlag, Dresden
EINLEITUNG
|
||
Der „berühmte Alchimist“ S. 5. — Das Rätsel seines
Ursprungs S. 7. — Das Rätsel seines Alters S. 10. — Das erste
Auftreten S. 11. — Sein Aufenthalt in Frankreich S. 13. — Die
Mission des Grafen Saint-Germain im Haag S. 15. — Saint-Germain in
Rußland S. 20. — Das Abenteuer von Tournai S. 23. — Ausgang S. 27. —
Saint-Germains Künste und Geheimnisse S. 31 — War Saint-Germain
Freimaurer und Kabbalist? S. 34. — Saint-Germains Persönlichkeit und
die Legendenbildung S. 37.
|
||
ALLGEMEINE DARSTELLUNGEN, ANEKDOTEN
UND FÄLSCHUNGEN |
||
Aus den „Erinnerungen“ des Barons von Gleichen
|
||
Aus dem „Tagebuch eines Weltkindes“ von Graf
Lamberg
|
||
Schreiben des Grafen Lamberg an Opiz
|
||
Aus Lambergs „Kritischen, moralischen und
politischen Briefen“
|
||
Epigramm des Grafen Lamberg auf Saint-Germain
|
||
Grabschrift Saint-Germains auf den Grafen Lamberg
|
||
Zur Kritik Lambergs (Moehsen)
|
||
Aus den „Denkwürdigkeiten“ der Gräfin Genlis
|
||
Aus Grosleys „Nachgelassenen Schriften“
|
||
Anekdoten
|
||
Aus den „Denkwürdigkeiten“ der Lady Craven
|
||
Aus den „Erinnerungen“ der Marquise von Créquy
|
||
Aus den „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des
Grafen Cagliostro“. Cagliostros Besuch bei Saint-Germain.
Eine Satire (von Luchet)
|
||
Charakteristik des Grafen Saint-Germain
|
||
Kritik der „Charakteristik“ von Meister
|
||
Saint-Germain und Cagliostro
|
||
Graf Saint-Germain (von Luchet)
|
||
Charakteristik des Grafen Saint-Germain
|
||
Kritik der „Charakteristik“
|
||
URKUNDEN ZUR LEBENSGESCHICHTE
DES GRAFEN SAINT-GERMAIN |
||
Saint-Germain in London (1743-1745)
|
||
I.
|
Aus dem Briefwechsel von Horace Walpole
|
|
II.
|
Aus: „The London Chronicle“
|
|
Saint-Germain in Frankreich
|
||
I.
|
Aus Casanovas „Memoiren“ und dem „Monolog eines
Denkers“
|
|
II.
|
Aus den „Denkwürdigkeiten“ der Madame du Hausset
|
|
III.
|
Bericht Hellens (1760)
|
|
IV.
|
Saint-Germain auf Schloß Chambord. (Aus dem
Schriftwechsel des Marquis von Marigny)
|
|
V.
|
Aus einem Schreiben des Grafen Bernstorff (1779)
|
|
VI.
|
Aus den „Episoden meines Lebens“ des Grafen
d’Angiviller
|
|
Die Mission Saint-Germains im Haag (1760)
|
||
I.
|
Aus dem Schriftwechsel des Herzogs von Choiseul
|
|
II.
|
Denkschrift des Grafen d’Affry an die
Generalstaaten
|
|
III.
|
Protokoll der Sitzung der Generalstaaten
|
|
IV.
|
Aus den Aufzeichnungen des Grafen Bentinck
|
|
V.
|
Aus Yorkes Korrespondenz
|
|
VI.
|
Aus Hellens Korrespondenz mit Friedrich dem
Großen
|
|
VII.
|
Aus der Korrespondenz von Knyphausen und
Michell mit Friedrich dem Großen
|
|
VIII.
|
Aus Mitchells Korrespondenz
|
|
IX.
|
Berichte Reischachs an Graf Kaunitz
|
|
X.
|
Aus Kauderbachs Korrespondenz
|
|
XI.
|
Friedrich der Große und Voltaire
|
|
XII.
|
Aus der „Geschichte des Siebenjährigen Krieges“
von Friedrich dem Großen
|
|
XIII.
|
Aus: „The London Chronicle“
|
|
XIV.
|
Graf Danneskjold-Laurwigen an Saint-Germain
|
|
Saint-Germain in Holland (1762)
|
||
I.
|
Aus dem Schriftwechsel des Herzogs von Choiseul
|
|
II.
|
Aus den Aufzeichnungen Hardenbroeks
|
|
Saint-Germain in den österreichischen
Niederlanden (1763)
|
||
I.
|
Aus dem Schriftwechsel des Grafen Karl Cobenzl
|
|
II.
|
Aus den „Erinnerungen“ des Grafen Philipp Cobenzl
|
|
III.
|
Aus Casanovas „Memoiren“
|
|
Saint-Germain in Ansbach (1774-1776)
|
||
„Aufschlüsse über den Wundermann, Marquis
Saint-Germain, und sein Aufenthalt in Ansbach, von einem
Augenzeugen“ (Freiherr von Gemmingen).
|
||
Saint-Germain in Leipzig und Dresden (1776-1777)
|
||
I.
|
Aus den Tagebüchern des Grafen Lehndorff
|
|
II.
|
Aus dem Briefwechsel Friedrichs des Großen mit
Prinz Heinrich, der Prinzessin Wilhelmine von Oranien und
Alvensleben
|
|
III.
|
Aus den Briefen des Kurfürsten Maximilian III.
Joseph von Bayern
|
|
IV.
|
Aus dem Briefwechsel des Prinzen Friedrich August
von Braunschweig
|
|
Saint-Germain in Berlin
|
||
I.
|
Aus den „Erinnerungen“ Thiébaults
|
|
II.
|
Aus Zimmermanns „Fragmenten über Friedrich den
Großen“
|
|
III.
|
Graf Saint-Germain („Berlinische Monatsschrift“)
|
|
Saint-Germain in Hamburg (1778)
|
||
Saint-Germain in Schleswig und Eckernförde
(1779-1784)
|
||
I.
|
Aus den „Denkwürdigkeiten“ des Prinzen Karl von
Hessen-Kassel
|
|
II.
|
Prinz Karl von Hessen an Prinz Christian von
Hessen-Darmstadt (1825)
|
|
III.
|
Prinz Ferdinand von Braunschweig an Prinz Friedrich
August von Braunschweig (1779)
|
|
IV.
|
Aus Briefen des Grafen Warnstedt (1779)
|
|
V.
|
Friedrich der Große an die Königin-Witwe Juliane
von Dänemark (1784)
|
|
Saint-Germains Tod in Eckernförde
|
||
I.
|
Aus dem „Totenregister“ der St. Nikolaikirche in
Eckernförde
|
|
II.
|
Aus den „Einnahmen an Begräbnißöffnung und
Vestegeldern“
|
|
III.
|
Aus dem Verzeichnis der „Glockengelder“
|
|
IV.
|
Aufruf von Bürgermeister und Rat der Stadt
Eckernförde
|
|
V.
|
Nachruf des Professors Remer in den „Neuen
Braunschweigischen Nachrichten“ (1784)
|
|
PERSONENVERZEICHNIS
|
||
ORTSVERZEICHNIS
|
||
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
|
[S. 5]
Der Name des Grafen Saint-Germain führt uns mitten hinein in die Welt der Abenteurer, Projektenmacher und Betrüger, von denen das 18. Jahrhundert, so stolz das Jahrhundert der Aufklärung genannt, wimmelte; denn selten stand das Abenteurertum in solch üppiger Blüte wie damals. In unaufhörlicher Wanderung von einem Staate zum anderen, hier untertauchend, um unvermutet dort wieder zu erscheinen, dabei chamäleonartig Namen und Gestalt wechselnd — so flutet der Strom der abenteuerlichen Gesellen durch ganz Europa. Vor allem sind Frankreich, England und Italien die gesegneten Stätten ihres dunklen Wirkens; aber auch Rußland, das sich seit Beginn des Jahrhunderts aus einem asiatischen Reiche zu einem Mitglied der europäischen Staatenwelt zu entwickeln begann, war ein dankbares Feld ihrer Tätigkeit. Sie bewegen sich nicht nur in den niederen und mittleren Sphären, wie es zu allen Zeiten gewesen, sondern einige Erwählte dringen auch in die Kreise der höchsten Gesellschaft bis in die unmittelbare Nähe der Fürstenthrone. Und auch ihr Gewerbe ist keineswegs das der kleinen Schelme und Betrüger. Sie kommen mit großen Plänen zur Beglückung der Völker, sie gebärden sich als Wohltäter der Menschheit, und was ihrer Tätigkeit den[S. 6] besonderen Stempel aufdrückt, sie umgeben sich mit dem Schimmer des Geheimnisvollen, indem sie bald als Alchimisten, bald als Geisterseher oder gar als Magier auftreten.
Auf dem einzigen Bildnis, das wir von Saint-Germain besitzen, ist er denn auch als der „berühmte Alchimist“ bezeichnet. Überschwänglich wird von ihm gerühmt, daß er die Herrschaft über die Natur besaß, die ihm ebenso wie dem Schöpfer willig gehorchte.
Schon seit altersgrauen Zeiten schwebte den Forschern in dem großen Buche der Natur als höchstes Ziel ihres Strebens die künstliche Erzeugung der Edelmetalle vor. Das war die Aufgabe, die sich eben die Alchimie stellte. Ihre Wiege stand in Ägypten. Als die Araber im 7. Jahrhundert dieses Land eroberten, machten sie sich diese geheime Wissenschaft zu eigen, verpflanzten sie nach Spanien, von wo aus sie ihren Siegeszug durch ganz Europa antrat. So blühte denn die Alchimie durch das ganze Mittelalter hindurch bis in die neuere Zeit hinein, und erst die Entwicklung der Chemie zu einer Wissenschaft machte diesem Spukglauben ein Ende. So zählte denn auch Saint-Germain zu den letzten großen Vertretern der „Adepten“, wie die Meister dieses Geheimnisses hießen, die im Besitz des „Steines der Weisen“ waren; denn letzten Endes lief alles Forschen und Experimentieren darauf hinaus, die materia prima, den Urstoff für die Gewinnung des „Steines der Weisen“, zu finden, mit dem sich das Problem der künstlichen Herstellung von Gold und der Metallverwandlung lösen ließ. Und wer den „Stein der Weisen“ besaß, der besaß damit zugleich auch das Geheimnis der Universalmedizin oder des „Elixiers“, das schier unvergängliche Dauer des Lebens gewährte.
[S. 7]
Das mystische Dunkel, mit dem Saint-Germain seine Person geheimnisvoll umgab, ist bis heute noch kaum gelichtet. Über das Anekdotenhafte kommen die meisten der bisher bekannten Berichte — überdies zum Teil apokrypher Art — kaum hinaus. Nur die Aufzeichnungen der Madame du Hausset, der Kammerfrau der Marquise von Pompadour, und des Ansbachischen Ministers Freiherr von Gemmingen machen davon eine Ausnahme. Aber auch sie erhellen nur kurze Wegstrecken in dem wechselvollen Leben dieses Abenteurers. Die zahlreichen neuen Urkunden, die wir im folgenden aus verschiedenen Archiven mitteilen und die gut die Hälfte dieses Buches umfassen, bringen daher nicht nur weitere wertvolle Aufklärung über sein Schicksal, ja sie gewähren überhaupt erst die Möglichkeit, die Umrisse seiner Gestalt deutlich zu zeichnen. Und wenn auch nicht alle Rätsel gelöst werden können, so sinkt doch der Schleier. Der Nimbus des „Adepten“ schwindet, und es bleibt allein das Bild eines abenteuernden Industrieritters.
Mit höchster Kunst verstand Saint-Germain, über seine Herkunft einen Schleier zu breiten. Mit Vorliebe deutete er auf seine Abstammung aus fürstlichem Geschlecht; ja, er nannte sich wohl selbst im vertraulichen Gespräch einen Nachkommen des letzten siebenbürgischen Fürsten. Andere leiten seine Herkunft aus dem letzten spanischen Herrscherhause ab. In grellem Kontraste dazu stehen die Angaben, nach denen er ein portugiesischer Jude gewesen sein soll. Endlich wird er als Sohn eines savoyischen Steuereinnehmers namens Rotondo oder auch als der[S. 8] italienische Geigenspieler Catalani bezeichnet[1]. Wie steht es um die Zuverlässigkeit dieser einzelnen Nachrichten?
Zunächst die Frage seiner Abstammung von Franz II. Rakoczy, dem letzten Fürsten von Siebenbürgen. Verworren sind alle Angaben des Prinzen Karl von Hessen. So macht er unseren Helden zum Sohne aus erster Ehe des Fürsten mit einer Tököly; diese war aber nicht die erste Gattin, sondern die Mutter desselben. Saint-Germain spricht von zwei Brüdern. Tatsächlich wurden dem Fürsten drei Söhne geboren, aber der älteste, Leopold Georg, für den Saint-Germain sich selbst ausgibt, starb nachweislich im Kindesalter; er wurde 1696 geboren und starb 1700. Wohl trifft es zu, daß die beiden Brüder, Joseph und Georg, am Wiener Hofe aufwuchsen, wo sie den Namen Marquis de San Marco und Marquis della Santa Elisabetta erhielten. Aber beide flüchteten (1726 und 1734) — also sie unterwarfen sich nicht feige und demütig ihrem Lose, wie Saint-Germain dem preußischen Gesandten von Alvensleben und dem hessischen Prinzen erzählt, und damit entfällt auch die Pointe, daß er sich selbst, im Gegensatz zu diesem erniedrigenden Verhalten seiner Brüder, den „heiligen Bruder“, Sanctus Germanus (Saint-Germain) genannt habe. Man sieht: die ganze Fabel der Abstammung aus dem siebenbürgischen Fürstenhause steht auf schwachen Füßen. Verdächtig ist auch der Umstand, daß bereits alle Mitglieder des Hauses tot waren, deren Zeugnis ihn der Lüge hätte überführen können. Tot war auch der letzte Fürst aus dem Hause Medici, der ihn nach der Erzählung des Hessen als zweiter Vater aufgezogen haben sollte.
Nicht größeres Vertrauen erweckt die Fabel seiner Abstammung aus dem spanischen Königshause. Nicht daß[S. 9] Karl II. († 1700) sein Vater gewesen wäre. Die Königin — Maria Anna von Pfalz-Neuburg — soll ihm während ihres Aufenthaltes in Bayonne (1705) als Frucht einer illegitimen Verbindung das Leben geschenkt haben. Damit erscheint er gewissermaßen als Prätendent des durch den Tod Karls II. erledigten spanischen Thrones, und nur wenn man sich diesen historischen Hintergrund vergegenwärtigt, wird die von Grosley überlieferte Frage des spanischen Granden bei der Rückkehr der Königin nach Madrid verständlich: „Ist sie in anderen Umständen?“ Und sollte sich auch, wie gerüchtweise behauptet wird[2], Saint-Germain verschiedentlich als „Prinz von Spanien“ unterzeichnet haben, so läge auch darin noch kein zwingender Beweis für seine Abstammung aus diesem Hause. Im Gegenteil, diese Unterschrift würde eher beweisen, daß sein Anspruch falsch ist, da die spanischen Prinzen offiziell den Titel „Infant von Spanien“ führten.
Für seine portugiesische Abkunft spricht die mehrfach bezeugte Kenntnis der Sprache, die um so überraschender ist, als Portugal bereits damals keine große Weltrolle mehr spielte. Dazu kommt, daß er, wie von verschiedenen Seiten bezeugt wird, bei seinem Aufenthalt in Holland im Frühling 1760 bei reichen portugiesischen Juden in Amsterdam und im Haag wohnte, eine durchaus natürliche Erscheinung, wenn er deren Stammesbruder war.
Aber auch die Hypothese, daß er aus dem savoyischen Flecken San Germano stamme, ist nicht einfach von der Hand zu weisen; denn sie würde seine Namensgebung auf die einfachste und natürlichste Weise erklären.
Mit seiner Herkunft, sei es aus Portugal, sei es aus Savoyen, wäre auch leicht seine Antwort auf die diesbezügliche[S. 10] Frage der Prinzessin Amalie von Preußen zu vereinbaren; denn nach Thiébaults Bericht erwiderte er, seine Heimat sei ein Land mit angestammten Fürsten. Dies aber trifft sowohl auf Portugal wie auf Savoyen zu.
Was endlich die der Marquise von Créquy in den Mund gelegte Version betrifft, daß Saint-Germain der Sohn eines jüdischen Arztes Wolf aus Straßburg gewesen sei, so ist zu bemerken, daß wir es bei den „Erinnerungen“ dieser Dame mit einer groben Fälschung aus späterer Zeit zu tun haben. Ebensowenig kommt die Erzählung von Montaigne[3] in Betracht, der von einem Germain berichtet, den er in Vitry gesehen habe, und der als Mädchen aufgezogen sei, bis ein Zufall sein wahres Geschlecht ans Licht gebracht habe.
Wird das Rätsel seines Ursprunges also auch nicht ganz gelöst, so viel steht fest, daß er nicht fürstlicher Abkunft war; denn auch nicht die Spur eines Beweises läßt sich dafür beibringen.
Nicht minder geschickt, wie er seine Herkunft zu verschleiern wußte, so auch sein Geburtsjahr. Er deutete an, daß sein Lebensalter nicht nach Jahren und Jahrzehnten, sondern nach Jahrhunderten zähle. Der Spaßvogel „Mylord Gower“, von dem der Baron von Gleichen berichtet, mußte ihm als Schrittmacher für die Fabel dienen, daß er schon ein Zeitgenosse Christi gewesen sei. In seinen Gesprächen ließ Saint-Germain gern durchblicken, daß er schon in früheren Jahrhunderten gelebt habe. Für denjenigen, der, wie Alvensleben, ihn stellen wollte, hatte er, in die Enge getrieben, die Antwort bereit, daß er sich[S. 11] von Zeit zu Zeit aus dem Treiben der Welt zurückziehe. Vergeblich suchen die einzelnen Berichterstatter aus seiner äußeren Erscheinung Schlüsse auf sein Lebensalter zu ziehen. Gegenüber all den Zeugnissen fremder Personen, wie der Gräfin Gergy, die ihn nach Jahrzehnten im Äußeren unverändert wiederfinden wollte, fällt das eigene Geständnis des Grafen Saint-Germain schwer ins Gewicht, der dem Prinzen von Hessen nach dessen Aufzeichnung erklärte, er sei bei seiner Ankunft in Schleswig (1779) 88 Jahre alt gewesen. Das würde ungefähr mit dem Lebensalter stimmen, das für den Sohn des Steuereinnehmers aus San Germano angegeben wird.
Aber, so könnte man einwenden, spricht nicht für sein Alter das Stammbuch mit den Eintragungen von Montaigne und dem älteren Grafen Lamberg? Darauf läßt sich mit der Gegenfrage antworten: waren diese echt? Schon der jüngere Lamberg spielt auf die Möglichkeit einer Fälschung an. Waren sie jedoch echt, wo ist dann der Beweis, daß das Album nicht erst später in den Besitz Saint-Germains gelangt ist? Denn jene Einzeichnungen sind ganz unpersönlicher Art. Damit scheidet das Stammbuch als Argument für die Frage des Alters des Grafen aus.
Gleichwie die Abstammung Saint-Germains ist auch die erste Hälfte seines Lebens ins Dunkel getaucht. Es heißt, daß er in Mexiko durch Heirat zu einem großen Vermögen kam und damit nach Konstantinopel durchbrannte. Für das Jahr 1735 ist sein Aufenthalt im Haag nachweisbar; denn von dort aus richtete er am 22. November dieses Jahres ein Schreiben an den englischen[S. 12] Gelehrten Sloane, das über einen alten Bibeldruck handelt, aber sonst keinerlei persönliche Angaben enthält[4].
Erst mit seinem Erscheinen in England ums Jahr 1744 gewinnen wir festen Boden unter den Füßen, und zwar erwähnt ihn Horace Walpole in einem Schreiben vom 9. Dezember 1745. Wir sehen Saint-Germain als Teilnehmer an dem Kampfe, den Karl Eduard Stuart, der Enkel des 1688 vertriebenen Königs Jakob II., um seine Ansprüche auf die Krone mit der englischen Regierung führte. Wagemutig war der Prätendent in Schottland gelandet, hatte Edinburg genommen und stand Anfang Dezember bereits in Derby, um auf London zu marschieren. Doch unter dem Druck der schottischen Häuptlinge, die ihm die Gefolgschaft versagten, mußte er umkehren, und die Niederlage bei Culloden (27. April 1746) besiegelte sein Schicksal.
Nach Walpoles Bericht war Saint-Germain offenbar mehr ein Mitläufer als ein Mitstreiter, wenn er nicht gar, wie es die Nachricht des London Chronicle von 1760 besagt, unschuldig in den Aufstand des Prätendenten verwickelt wurde. Jedenfalls aber spielte er keine Heldenrolle, denn die Untersuchungsakten über den Aufstand schweigen über ihn völlig[5].
Größere, doch unblutige Lorbeeren erntete er, als er sich als Geigenvirtuose vorstellte. In diese Zeit fällt wohl auch die Entstehung seines „Traktats über die Musik nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes für[S. 13] die englischen Damen, die den wahren Geschmack in dieser Kunst lieben“[6].
Immerhin hören wir, daß das Andenken an seinen Londoner Aufenthalt bei den Engländern auch 1760 noch nicht erloschen war.
Das folgende Jahrzehnt liegt wieder im Dunkel. Während dieser Zeit unternahm der Graf zwei Reisen nach Indien. So wenigstens erzählt er in einem späteren Briefe aus dem Jahre 1773, den sein Freund, Graf Lamberg, uns überliefert hat. Aber nur über die zweite Reise erfahren wir einiges Nähere. Er will sie mit dem Admiral Watson und mit Robert Clive, dem berühmten Eroberer Ostindiens, im Jahre 1755 angetreten haben. Allein die Einzelheiten, die er meldet, sind so nichtig und albern, daß es schwer fällt, diesen Bericht ernst zu nehmen. Dabei soll keineswegs bestritten werden, daß er weite Reisen gemacht und auch den Orient besucht hat; denn wie wir von kritischen Ohrenzeugen vernehmen, wußte er anregend zu erzählen, und dies läßt voraussetzen, daß er selbst Land und Leute gesehen hat, die er so fesselnd zu schildern verstand.
Wir kommen jetzt zu seinem Aufenthalt in Frankreich, der den Höhepunkt seines Lebens darstellt.
Wann Saint-Germain nach Frankreich gekommen ist, steht nicht fest. Nach den Aufzeichnungen Casanovas zu[S. 14] urteilen, mit dem sich seine Wege mehrfach kreuzten, ist er dort schon 1757 oder 1758 gelandet. In Chambord erscheint er 1758, während ihn der anonyme Verfasser der „Anecdotes“[7] erst 1759 in Frankreich auftreten läßt.
Hier ging sein Stern auf. Er erlangte die Gunst der Marquise von Pompadour. Höchst anschaulich ist der Bericht ihrer Kammerfrau, Madame du Hausset, über seinen Verkehr am Hofe; denn durch die Marquise trat er auch in Beziehungen zu Ludwig XV., dem er vorgestellt wurde, an dessen Tafel er speiste und mit dem er alchimistische Studien trieb. Darin lag kluge Berechnung der Pompadour. Sann sie doch unablässig auf Mittel und Wege, wie sie dem der Geschäfte überdrüssigen Herrscher die Langeweile vertreiben könnte. Zu diesem Zwecke hatte sie ihm in Versailles ein intimes Theater eingerichtet, an dem sie und ihre Vertrauten mitwirkten. Dann, als sie selbst zu altern begann, hatte sie den berüchtigten Hirschpark geschaffen. Nun zog sie Saint-Germain heran, um alchimistischen Versuchen mit dem regierungsmüden König obzuliegen.
Die Stellung, die er bei Hofe genoß, der Ruf eines Alchimisten, der wie eine Aureole sein Haupt umschwebte, der Glanz seines Reichtums, über den fabelhafte Gerüchte umliefen, — all das kam zusammen, um ihm hohes Ansehen und auch politischen Einfluß zu verschaffen. Der Sturz des Generalkontrolleurs Silhouette, der die französischen Finanzen leitete, soll, so berichtet der preußische Gesandte von der Hellen[8], sein Werk gewesen sein.
Er fühlte sich ferner berufen, das wirtschaftliche Leben Frankreichs zu heben. Durch die Ausbeutung eines Geheimmittels[S. 15] für Farben und Farbstoffe, in dessen Besitz zu sein er vorgab, sollte dieser Plan ins Werk gesetzt werden. Es erregte daher in den weitesten Kreisen gewaltiges Aufsehen, als ihm der König für seine Arbeiten Räume in dem Schloß Chambord, dem einstigen Sitz des Marschalls von Sachsen, zur Verfügung stellte.
Ist es nach alledem verwunderlich, daß es diesem offenbaren Schoßkind Fortunas nicht an geheimen Gegnern und Neidern fehlte? Schon hatte sein Ansehen Einbuße erlitten, der Ruf seines unermeßlichen Reichtums war untergraben — so erfahren wir von einem Augenzeugen —, da lächelte ihm noch einmal das Glück: in geheimer Mission ward er im Auftrag des Hofes zu Anfang des Jahres 1760 nach Holland entsandt.
Zum Verständnis der Rolle, die Saint-Germain im Haag spielte, müssen wir kurz den allgemeinen politischen Hintergrund zeichnen.
Seit mehreren Jahren schon währte der englisch-französische Kolonialkrieg, rangen die Mächte Europas in erbittertem Kampfe miteinander. Mancherlei Versuche, den Frieden wieder herzustellen, waren im Sande verlaufen. Immer größer wurde indessen in Frankreich das Friedensbedürfnis, aber auch in England bestand eine starke Friedenspartei. Da bot im Herbst 1759 die spanische Krone ihre Vermittlung an.
Weit bedeutsamer war der Schritt, zu dem sich im November des Jahres die englische und die preußische Regierung entschlossen. Sie erklärten sich bereit, an einen noch zu bestimmenden Ort Bevollmächtigte zur[S. 16] Verhandlung mit den Gegnern über die Einleitung eines allgemeinen Friedens zu senden. Prinz Ludwig von Braunschweig, der Vormund des oranischen Erbstatthalters, übernahm es, den Vertretern des feindlichen Dreibundes im Haag (Graf d’Affry, Baron Reischach und Graf Golowkin) diese Erklärung zu übermitteln. Auf dem Schlosse zu Ryswijk fand am 25. November dieser feierliche Akt statt. Darauf brachten die Generalstaaten Breda als Konferenzort in Vorschlag. Aber der Plan des Kongresses scheiterte, da die drei eingeladenen Mächte (Österreich, Frankreich und Rußland) am 3. April 1760 durch ihre Vertreter dem Prinzen Ludwig ihre Gegenerklärung abgeben ließen, daß sie ohne Zuziehung ihrer übrigen Verbündeten (Kursachsen und Schweden) sich mit Preußen auf nichts einlassen könnten.
Der Versailler Hof, der bereits mit der Londoner Regierung durch die beiderseitigen Gesandten im Haag, Graf d’Affry und General Yorke, in geheime Besprechungen eingetreten war, fügte noch die weitere Erklärung hinzu, er sei zu einem Sondervergleich mit England bereit. Das Londoner Kabinett stand vor der Frage, ob es seine Verbündeten, Preußen und die übrigen deutschen Fürsten, mit denen es Subsidienverträge abgeschlossen hatte, preisgeben sollte. Doch William Pitt, der Leiter der englischen Politik, beharrte auf ihrem Einschluß in den Frieden. So kam es auch zwischen England und Frankreich zu keiner Verständigung, und der allgemeine Krieg ging weiter.
Neben den Verhandlungen, die von den beglaubigten Vertretern der Mächte geführt wurden, liefen andere einher, die des förmlichen Charakters entbehrten. Eine Zeitlang (1759) hatte Voltaire das Amt des Mittlers zwischen Friedrich dem Großen und dem französischen Premierminister,[S. 17] dem Herzog von Choiseul, versehen. Im Februar 1760 war der junge Freiherr von Edelsheim als geheimer preußischer Agent nach Paris geschickt worden. Nun erschien auch Saint-Germain im Haag auf der Bildfläche, um sich die diplomatischen Sporen zu verdienen.
Um die Mitte des Februar 1760 war er in Holland angelangt, hatte zunächst in Amsterdam verweilt. Als dann Anfang März im Haag die Vermählung der Schwester des Erbstatthalters gefeiert wurde, tauchte er in Hollands Hauptstadt auf. In der Öffentlichkeit sprach er von einer Anleihe, die er für Frankreich vermitteln sollte, von der Aufgabe, die er habe, die Verpflegung der vom Mutterland abgeschnittenen französischen Kolonien sicherzustellen. Einem Freunde vertraute er an, er sei beauftragt, sich über den Gang der Friedensverhandlungen zu unterrichten. Insgeheim aber setzte er sich mit Yorke in Verbindung, um ihm Eröffnungen über einen englisch-französischen Friedensschluß zu machen.
Auf drei mächtige Gönner berief er sich: auf die Pompadour, den Kriegsminister, Marschall von Belle-Isle, von dem er zwei Briefe nebst einem Paß vorweisen konnte, und — im Verlauf einer zweiten Unterredung — auf den Grafen von Clermont, einen Prinzen von Geblüt, der im Jahre 1758 den Oberbefehl über die französischen Armeen in Westdeutschland geführt hatte.
Trotzdem war Saint-Germains Verhandlung ein vorzeitiges und unrühmliches Ende beschieden. Zwar wußte er den Grafen Bentinck, den er zu seinem Werkzeug ausersehen hatte, geschickt für seinen Plan zu gewinnen[9]. Aber das Schreiben, das er mit dieser Mitteilung am 11. März an die Marquise von Pompadour richtete, wurde ihm zum Verhängnis. Die Marquise stellte den Brief[S. 18] dem Herzog von Choiseul zu; denn Saint-Germains Version, daß dieser Brief durch „Diebstahl“ in dessen Besitz gelangt sei[10], ist nicht ernst zu nehmen. Daraufhin verbot der Herzog dem Grafen unter heftigen Drohungen jede Einmischung in die Politik. Und als er gar von Saint-Germains Eröffnungen, den Friedensschluß betreffend, erfuhr, befahl er, auf das höchste erbost, dem Botschafter Graf d’Affry, die Auslieferung des „Abenteurers“ von Holland zu fordern. Ja, am liebsten wäre ihm gewesen, hätte d’Affry ihm eine Tracht Prügel verabfolgen lassen, um den „Halunken“, der die Kreise seiner Politik zu stören wagte, vor aller Welt in Verruf zu bringen. Wenigstens sorgte er aber dafür, daß eine Mitteilung in die Zeitungen gelangte, in der Saint-Germain mit schärfsten Ausdrücken des Mißbrauchs der ihm in Frankreich gewährten Gastfreundschaft beschuldigt wurde[11]. Bevor der Botschafter seinen förmlichen Antrag bei den Generalstaaten stellte, unterbreitete er den Entwurf dazu dem Herzog. So kam es denn erst am 30. April zur Übermittelung der Denkschrift mit dem förmlichen Auslieferungsgesuch an die holländische Regierung. Diese begrub den Antrag durch seine Verweisung an Kommissionen. Überdies war er gegenstandslos geworden, da Saint-Germain beizeiten von der ihm drohenden Gefahr Wind bekommen und mit Hilfe Bentincks sich nach England geflüchtet hatte.
Aber auch hier war seines Bleibens nicht. Sofort in polizeilichen Gewahrsam genommen, wurde er nach kurzer Frist wieder abgeschoben, da die englische Regierung fürchtete, daß sein Aufenthalt in England sie Frankreich[S. 19] gegenüber kompromittiere. Es war von seiner Übersiedlung nach Ostfriesland die Rede, wo ihm König Friedrich unter der Bedingung Zuflucht gewähren wollte, daß er sich künftig von jedem politischen Treiben fernhielt. Allein er begab sich wiederum nach Holland, wo er Unterschlupf fand.
Man vergleiche diese Darstellung, die sich auf die Berichte der Beteiligten stützt, mit dem Bilde, das Saint-Germain in seinem späteren Briefe an Graf Lamberg von den Geschehnissen entwirft. Da sind es Lügenmärchen, die er auftischt!
Zum Schluß noch die Frage: hat Saint-Germain bei seinen Friedenseröffnungen an General Yorke im Auftrage des Hofes gehandelt? Hat Ludwig XV. hinter dem Rücken seines Premierministers, wie dieser nach Gleichens Darstellung ihm vorwirft, eigene Politik gemacht? Waren also der König und die Pompadour seine geheimen Auftraggeber? Diese Frage ist zu verneinen. Denn erstens steht es fest, daß die Pompadour es war, die den Herzog von Choiseul auf die Spur Saint-Germains setzte, indem sie ihm den Bericht überlieferte, den ihr der Graf sofort über seine politische Tätigkeit im Haag erstattet hatte. Einen zweiten Beweis liefert das Schreiben, in welchem der Marschall Belle-Isle seinem Schützling, wenn auch in schonender Form, sein Verhalten vorwirft und ihm bedeutet, daß für die Behandlung politischer Fragen der Botschafter d’Affry zuständig sei[12].
Aber, so wird man einwenden, worauf bezogen sich dann die Schreiben von Belle-Isle und Clermont, die Saint-Germain dem General Yorke gleichsam als seine Beglaubigung vorlegte? Alles spricht dafür, daß sie die 30 Millionen-Anleihe betrafen, die er für den geldbedürftigen[S. 20] Versailler Hof und, wie wir hinzufügen dürfen, in seinem Auftrag vermitteln sollte[13]. Über diese Anleihe hat er offenbar in Amsterdam und auch im Haag mit seinen Gastgebern, den jüdischen Bankiers, verhandelt.
So lockte ihn der politische Ehrgeiz, auf eigene Faust die Rolle des Friedensstifters zu spielen oder, wie Kauderbach schreibt, gleich einer zweiten Jungfrau von Orléans Frankreich abermals zu retten. Doch seine diplomatische Laufbahn fand ein schnelles und klägliches Ende: sein Erscheinen auf der politischen Weltbühne glich einer schillernden Seifenblase, die nach kurzem Fluge jählings zerplatzt.
Die bisherige Überlieferung nimmt an, daß Saint-Germain nach seinem unglücklichen politischen Debut im Haag und nach seiner Ausweisung aus England seine Schritte nach Rußland gelenkt und bei der Revolution, als deren Opfer Zar Peter III. im Juli 1762 um Thron und Leben kam, eine wichtige Rolle gespielt habe. Aber in allen Quellen und Darstellungen der Zeit findet sein Name nirgends Erwähnung. Durch die neuesten Forschungen ist festgestellt, daß nur ein einziger Ausländer an jenen Ereignissen beteiligt war, nämlich der Piemontese Odart, der in Diensten Katharinas II. stand[14].
Demgegenüber ist die Frage, wie es sich mit der uns überlieferten Äußerung des Fürsten Gregor Orlow, des bekannten Günstlings der Zarin, verhält, die das völlige Gegenteil bekundet. Nach Gleichens Mitteilung soll er auf der Durchreise durch Nürnberg von unserem Helden[S. 21] gesagt haben: „Dieser Mann hat eine große Rolle bei unserer Revolution gespielt.“ Aber Gleichens Bericht ist nicht zuverlässig. Er verwechselt die Brüder: nicht Gregor, sondern Alexei Orlow kam durch Nürnberg. Gleichen war auch nicht Augen- und Ohrenzeuge, wie der ansbachische Minister von Gemmingen, der von diesem Ausspruche Orlows nichts weiß: er begnügt sich, Gleichen zu zitieren. Mit diesem Ausspruche steht ferner in unvereinbarem Widerspruch, was Alvensleben 1777 als „feststehende Tatsache“ meldet: Alexei Orlow habe dem Grafen Saint-Germain, zu dem er „in engen Beziehungen“ stehe, einen Empfehlungsbrief an seinen Bruder, den Fürsten Gregor, gegeben und diesem den Grafen als „seinen Busenfreund“ ans Herz gelegt. Zählte nun aber Saint-Germain zu den Verschwörern von 1762, was bedurfte es da für ihn einer besonderen Empfehlung an Gregor, der doch mit Alexei zusammen eine der Hauptrollen bei dem Drama gespielt hatte?
Der letzte Zweifel wird durch die entscheidende Tatsache beseitigt, daß sich Saint-Germains Aufenthaltsort für jene kritische Epoche sicher nachweisen läßt. Seit er aus England zurückgekehrt war, hatte er in Holland unter fremden Namen ein unstetes Leben geführt, bis er sich im Frühjahr 1762 auf seiner neuerworbenen Besitzung Ubbergen bei Nimwegen, nach der er den Namen Surmont annahm, niederließ. Damals geschah es denn auch, daß auf die Anfrage des Grafen d’Affry der Herzog von Choiseul ausdrücklich auf die weitere Verfolgung des Abenteurers in Holland verzichtete[15]. War Saint-Germain bisher noch des öfteren in Amsterdam eingekehrt, so zog er im August 1762 — so bestätigt ausdrücklich[S. 22] Hardenbroek — von dort weg, wahrscheinlich zur vollständigen Übersiedlung nach Ubbergen, worauf er dann, wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden, im Frühling 1763 in Brüssel auftauchte, um dem österreichischen Minister Graf Cobenzl daselbst seinen folgenschweren Besuch abzustatten.
Danach gehört Saint-Germains Teilnahme an der russischen Revolution endgültig ins Reich der Erfindung. Dasselbe gilt für die Korrespondenz, die er angeblich mit der Zarin Katharina II. führte.
Auch seine Beziehungen zur Familie Orlow erfahren einige Einschränkung. Immerhin trifft soviel zu, daß er nach dem Ausdruck unseres Gewährsmannes „das Glück“ hatte, den Grafen Alexei kennen zu lernen, mit dem er nach seiner beliebten Praxis alchimistische Studien trieb, bis dieser seiner überdrüssig wurde[16]. In Italien, wo Alexei während des Türkenkrieges (1768-1774) längere Zeit als Admiral der russischen Flotte weilte, scheint die Bekanntschaft erneuert zu sein. Wenigsten berichtet Gleichen von ihrem Zusammentreffen in Livorno im Jahre 1770. Indessen ist nicht ganz aufgeklärt, was für eine Bewandtnis es mit dem russischen Generalspatent hat, das ihm angeblich von Alexei in Nürnberg auf der Heimreise nach Rußland überreicht wurde. Vielleicht steht es mit den Kämpfen in Zusammenhang, die während des Türkenkrieges im Archipel stattfanden, die aber, wie der Leipziger Bankier Dubosc 1777 boshaft bemerkte, Saint-Germain trotz aller seiner Erzählungen nicht mitgemacht hatte. Und so wäre denn auch das Patent als dreiste Fälschung zu buchen, um so mehr, da es auffälligerweise nur die Unterschrift des Grafen Alexei, aber nicht der Zarin trug.
[S. 23]
Und doch hat Saint-Germain, wie sich aus unseren bisher noch unbekannten Quellen ergibt, den heiligen Boden Rußlands betreten — zwar nicht als Verschwörer und politischer Abenteurer, wie er es darstellen möchte, sondern als schlichter Kaufmann, der aus seinen schönen Erfindungen Kapital schlagen wollte. Gleichwie in Frankreich waren es seine Farben, mit denen er sein Glück versuchte. In einer Kattunfabrik in Moskau war er tätig, aber mißgünstig wandte ihm Fortuna den Rücken, so daß er bettelarm die Stätte seines neuen Wirkens verlassen mußte. Voll Mitleid las ihn, den fußkrank und mühselig des Weges Dahinziehenden, der Schweizer Hotz von der Straße auf, wie er es hernach 1777 in Leipzig, wo er Saint-Germain wieder traf, erzählte[17]. Aber dieser russische Aufenthalt bildete für Saint-Germain doch keinen völligen Fehlschlag. Er wollte ein Bergwerk entdeckt haben, das schöne, den Topasen ähnliche Halbedelsteine lieferte und dessen Ausbeutung ihm zustand. Seitdem trug er sich mit dem Gedanken, daraus einen ertragreichen Handelszweig zu machen, ohne daß er freilich für seine Pläne viel Glauben und Entgegenkommen fand[18].
Aller Wahrscheinlichkeit nach fällt diese russische Episode in die Zeit zwischen dem Abenteuer von Tournai, zu dem wir uns nunmehr wenden, und dem Ausbruch des Türkenkrieges.
Zu Anfang des Jahres 1763 kam Saint-Germain, der, wie erwähnt, sich inzwischen in Holland angekauft und[S. 24] sich den Beinamen Surmont zugelegt hatte, nach Brüssel, wo er die Bekanntschaft des Grafen Karl Cobenzl, des bevollmächtigten Ministers der österreichischen Niederlande, machte und sie geschickt auf seine Weise ausbeutete. Erst durch die von uns erschlossene Korrespondenz Cobenzls mit dem Hof- und Staatskanzler Graf Kaunitz sind wir über diese Episode aus dem Leben Saint-Germains aufs Zuverlässigste unterrichtet. Sie war bisher fast völlig unbekannt.
Sofort fand Cobenzl an der Unterhaltung mit Saint-Germain Gefallen. Geschickt wußte dieser das Gespräch auf seine alchimistischen Kenntnisse zu bringen; er führte ihm einige Experimente vor und begann von Millionengewinnen zu erzählen, die sich mit seinen Geheimmitteln erzielen ließen. In heller Begeisterung ging Cobenzl darauf ein, um so mehr, als Saint-Germain versicherte, „aus reiner Freundschaft“, nur gegen eine kleine Belohnung, seine Geheimnisse hergeben zu wollen. In der Besitzerin des Brüsseler Handlungshauses, Madame Nettine, die in freudigem Enthusiasmus mit ihm wetteiferte, fand Cobenzl die Persönlichkeit, die mit den erforderlichen Geldmitteln zur Begründung des Unternehmens einsprang. Kaunitz suchte den Eifer zu dämpfen; er warnte vor großen und vorzeitigen Ausgaben. Und um seinen Worten erhöhtes Gewicht zu geben, schickte er ein anekdotisches Portrait mit, das von einem Kundigen, der Saint-Germain von Paris her kannte, in recht düsteren Farben entworfen war.
Cobenzl, der im Banne Saint-Germains und seines großen Planes stand, war nicht gesonnen, sich Wasser in seinen Wein gießen zu lassen. Er überhörte die Warnung und erklärte leichthin, auf die Person komme es nicht an, wofern man nur in den Besitz der Geheimmittel[S. 25] gelange. Diese betrafen ein billiges Herstellungsverfahren für Farben und Farbstoffe, für gefärbte Hölzer, das Gerben und Färben von Fellen, die Herstellung eines goldähnlichen Metalls, die Raffinerie von Ölen und die Anlage einer Hutfabrik.
Doch eine unliebsame Überraschung folgte der anderen. Zunächst handelte es sich um die Einsendung von Proben; es waren Färbmittel, gefärbte Hölzer, Leder- und Metallproben. Bei der Prüfung durch Sachverständige, die Kaunitz vornehmen ließ, stellte sich heraus: die Farben waren minderwertig; sie standen mit einer Ausnahme hinter den in Österreich hergestellten zurück, geschweige denn, daß sie den Vergleich mit den englischen und französischen Fabrikaten aushielten. Ja, die Farbenskala war nicht einmal vollständig, da Blau und Grün fehlten. Und es war auch nur ein magerer Trost, wenn Saint-Germain verhieß, daß er für seine Farben das verlangte billige Herstellungsverfahren noch finden werde. Ebensowenig taugten die Holz- und Metallproben, während lediglich das Urteil über das Leder günstiger ausfiel.
Eine zweite Enttäuschung bildete der Anschlag des Unternehmens. Saint-Germain, der den Riesenerfolg auf die billige Herstellung der Fabrikate gründete, begnügte sich mit einer Gegenüberstellung der hohen alten und der billigen neuen Preise, bei denen der Unterschied allerdings mehrere 100 Prozent ausmachte. Aber da jede weitere Unterlage, wie z. B. der Überschlag des zu erwartenden Absatzes, fehlte, so schwebte der ganze Anschlag in der Luft.
Eine dritte Enttäuschung war, daß trotz der Warnungen aus Wien mit der Ausführung des Planes in Tournai bereits begonnen, Häuser und Geräte bereits gekauft[S. 26] waren. Es stellte sich heraus, daß die Ausgaben schon die artige Summe von 100000 Gulden betrugen. Dabei waren noch keinerlei Rohstoffe beschafft, noch keine Gelder für die Arbeitslöhne angewiesen!
Wie hatte alles so schnell und so weit gedeihen können? Es war das Werk Saint-Germains. Solange der Plan des ganzen Unternehmens nur auf dem Papier stand, mußte er befürchten, daß alles zu Nichts zerrann, sobald man von Wien aus ein Veto einlegte. Also drang er — „mit äußerstem Eigensinn“, wie Cobenzl vorwurfsvoll bemerkt — auf schnelle Inangriffnahme der Ausführung. Und da Madame Nettine vorschoß, ging alles flott vonstatten. Damit saß der Gimpel auf der Leimrute fest, denn es gab kein Zurück mehr oder nur unter schweren Verlusten. Doch bald kam es anders, als Cobenzl ursprünglich gedacht hatte. Von einer Hergabe der Geheimnisse, die „aus reiner Freundschaft“ oder nur gegen eine kleine Belohnung erfolgen sollte, war nicht mehr die Rede. Im Gegenteil, es wurde ein Kontrakt geschlossen, der dem Grafen Saint-Germain die Hälfte des Reingewinns sicherte. Also kein unrentables Geschäft, wenn das Unternehmen aufblühte! Doch es lag immerhin in einiger Ferne. Saint-Germain indessen zog nach dem Wort der Bibel den Spatzen in der Hand der Taube auf dem Dache vor. Mit Hilfe eines Geschäftsfreundes aus Nimwegen, der bezeugte, dem Grafen gehörige Wertsachen im Betrage von mindestens einer Million im Depot zu haben, erschwindelte er sich von Madame Nettine Vorschüsse, die von seinem künftigen Anteil am Reingewinn abgezogen werden sollten. Die Wertpapiere waren in Wirklichkeit fast wertlos, die gutgläubig darauf geleisteten Vorschüsse aber — und das war eine neue bittere Enttäuschung — beliefen sich ebenfalls auf rund[S. 27] 100000 Gulden. Damit stieg die Summe der bereits gemachten Aufwendungen auf 200000 Gulden, ohne daß die geringste Sicherheit für Erfolg bestand, von den Millionengewinnen ganz zu schweigen.
Auf den Bericht, den Kaunitz der Kaiserin Maria Theresia erstattete, lehnte diese die Übernahme des Unternehmens rundweg ab, und dieses ging nunmehr in die Hände der Madame Nettine über, die sich schon vorher damit einverstanden erklärt hatte. Cobenzl erteilte daraufhin dem Grafen Saint-Germain sofort den Laufpaß. Bevor dieser Tournai verließ, gab er der Nettine die Zusicherung, binnen wenigen Monaten werde er ihr die Auslagen zurückerstatten. Andernfalls, so fügte er mit blutigem Hohne hinzu, möge sie sich von seinen Geheimmitteln bezahlt machen.
Damit entpuppte sich sein ganzes Unternehmen als raffiniert angelegtes Schwindelmanöver. Er war als gemeiner Betrüger entlarvt, der, nachdem er die Opfer in sein Netz gelockt, sie listig zu rupfen gewußt hatte. Mit seiner Beute verschwand er alsbald aus Brüssel, um sich, wie es hieß, nach Deutschland zum Markgrafen Karl Friedrich von Baden-Durlach zu begeben. Tatsächlich aber scheint er den Weg nach Rußland eingeschlagen zu haben, wo er, wie wir schon hörten, sich in Moskau niederließ.
Auch die nächsten zehn Jahre sind wieder in Dunkel gehüllt. Doch scheint Saint-Germain während dieser Zeit zunächst in Rußland und dann vornehmlich in Italien geweilt zu haben; denn wir hören, daß er in Mantua, in Venedig, in Pisa und Livorno gewesen ist. Dann tauchte er in Deutschland auf.
[S. 28]
Aber Saint-Germains Auftreten ist doch ein anderes geworden. Von seinen Reichtümern ist nicht mehr die Rede; im Gegenteil, es geht ihm offenbar dürftig. Er sucht nicht mehr die große Welt, sondern eine stille Stätte, wo er, in sicherem Hafen gelandet, das Haupt zur Ruhe legen, den Abend seines Lebens verbringen darf. Doch darin bleibt er sich getreu, daß er nach wie vor sein geheimes Wissen als Aushängeschild benutzt, daß er es auf die Großen der Welt abgesehen hat.
Freilich ist hier die Art seines Vorgehens verschieden. Indem er den scheinbar Uneigennützigen spielt, gebärdet er sich als Wohltäter der Menschheit unter dem durchsichtigen Namen Welldone, den er sich nunmehr beigelegt hat. So verfuhr er gegenüber dem großen Preußenkönig, dessen scharfer Blick indessen den Schwindel sofort durchschaute. König Friedrich winkte ihm energisch ab, als Saint-Germain ihm mit einem Begleitschreiben — der einen von den drei uns erhaltenen Schriftproben seiner Hand — sozusagen seine Preisliste einschickte. Er ließ ihm sagen, er möchte anderswo sein Heil versuchen, da man in Berlin „sehr ungläubig“ sei. Mehr Glück hatte Saint-Germain, als er den „Adepten“ herauskehrte und sich an Fürsten wandte, die alchimistischen Neigungen huldigten. So bei dem Markgrafen Alexander von Ansbach, dem er 1774 durch dessen mütterliche Freundin, die Schauspielerin Clairon, vorgestellt wurde, und dann 1779 bei dem Prinzen Karl von Hessen in Schleswig, dem er sich zunächst aufdrängte, den er aber dann in seine Fesseln zu schlagen wußte.
In rückschauender Erinnerung hat der Ansbacher Minister, Freiherr von Gemmingen, seinen Bericht über Saint-Germains Aufenthalt im Ansbachischen, in Schwabach[S. 29] und Schloß Triesdorf, aufgesetzt[19]. Ein typisches Bild: der „Adept“ und sein fürstlicher Schüler im Laboratorium an der Arbeit. Oder er weilt in den ihm zugewiesenen Räumen, über seinen Farben-Rezepten brütend, an deren Vervollkommnung er hinter verschlossenen Türen und Fenstern unablässig arbeitet. Dazwischen fallen praktische Versuche, die er gemeinsam mit dem Fürsten und dessen Minister anstellt, deren Ausfall den letzteren freilich wenig befriedigt. Zwei Jahre vergingen so, während deren Saint-Germain das Geheimnis seiner Person sorgsam gewahrt hatte, bis dann der Fürst auf einer italienischen Reise über die Person seines seltsamen Gastes aufgeklärt wurde. Der Markgraf fühlte sich hintergangen. Dennoch wollte er dem Grafen das Asyl weiter gewähren, wenn dieser ihm die Briefe, die er im Lauf der Jahre an ihn gerichtet hatte, herausgab und sich still verhielt. Aber Saint-Germain, der sich entlarvt sah, zog es vor, den Stab weiter zu setzen. Wollte er sich ob aller fehlgeschlagenen Versuche rechtfertigen oder dem Fürsten den Verlust, den er mit seinem Scheiden erlitt, eindrucksvoll vor Augen führen? Genug, in der letzten großen Aussprache mit dem Minister drückte er sein Bedauern aus, daß gerade in diesem Augenblicke der Bruch eingetreten[S. 30] sei, wo er, Saint-Germain, im Begriffe gestanden habe, „das, was er versprochen, ins Werk zu setzen.“
Im Oktober 1776 traf er in Leipzig ein. Der sächsische Hof machte einen Versuch, ihn zu gewinnen. Doch es kam zu keiner Verständigung; vielmehr beklagte sich Saint-Germain bei dem preußischen Gesandten in Dresden bitter über die unfreundliche Aufnahme, die er in Sachsen gefunden hatte, und trug nun seine wertvollen Dienste dem Preußenkönig an. Wir hörten es schon, Friedrich dankte ironisch. Trotzdem scheint Saint-Germain sich damals nach Berlin begeben zu haben, wo er ein Jahr in stiller Zurückgezogenheit lebte.
Im Herbste 1778 begegnen wir ihm in Hamburg, und ein Jahr darauf, im Spätsommer 1779, erfolgte endlich seine Übersiedlung nach Schleswig. Prinz Karl von Hessen, sein neuer Gönner, hat in seinen Erinnerungen geschildert, wie Saint-Germain ihn in seine Geheimnisse einführte. In dem nahegelegenen Eckernförde wurde dann ebenfalls wie in Tournai seligen Angedenkens der Versuch gemacht, mit seinen Geheimmitteln, den Farben und Farbstoffen, eine Industrie zu begründen.
Während der Prinz sich auf Reisen befand, ist Saint-Germain, von düsterer Melancholie gequält und von Gewissensbissen heimgesucht, so erzählt Frau von Genlis, still und einsam, wie er das letzte Jahrzehnt seines Lebens verbracht hatte, am 27. Februar 1784 in Eckernförde gestorben. Drei Tage darauf, am 2. März, erfolgte seine Beisetzung in der dortigen Nikolaikirche; doch ist nicht mehr zu ermitteln, an welcher Stelle in der Kirche sich seine Grabstätte befindet. Mit der Nikolaikirche bildet das alte Fabrikgebäude, heute das Christianspflegehaus, die letzte sichtbare Erinnerung an Saint-Germains dortigen Aufenthalt.
[S. 31]
Für die Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts bildet die von uns zum erstenmal veröffentlichte Liste seiner Kunstfertigkeiten, die er 1777 für den Preußenkönig aufsetzte, ein Dokument ersten Ranges; denn in authentischer Form findet sich darin ein Überblick über seine ganzen Künste.
Den breitesten Raum nehmen in der Liste seine geheimen Mittel ein, die zur praktischen Verwertung in der Industrie bestimmt waren. Hier behaupten seine Farben und Färbmittel den Vorrang. Sie bildeten ganz offenbar seine Spezialität, auf die er reiste; denn schon von seinen Aufenthalten in Frankreich, in Brüssel, Moskau und Schwabach sind sie uns wohlbekannt. Ebenso kennen wir von Tournai her seine Kunst der Lederbearbeitung. Dazu kommen neue Verfahren zum Waschen von Seide, zum Bleichen von Leinewand, Baumwolle usw.
Eine zweite Kategorie bilden seine Geheimverfahren für Metalle. Zwar war das nicht die Goldmacherei, wie sie das heißerstrebte Ziel der Alchimisten bildete, aber man gab sich in der Alchimie auch schon mit bescheideneren Erfolgen zufrieden; man begnügte sich statt der Metallveredlung mit der Metallverwandlung und brachte auf diese Weise Mischungen und Kompositionen zuwege, wie das in unseren Urkunden öfter erwähnte Similor, ein Erzeugnis, von dem freilich Graf Kaunitz nichts wissen wollte. Von den Künsten Saint-Germains auf diesem Gebiete erzählt auch der Ansbacher Minister, aber doch nur in allgemeinen Andeutungen, die keine sicheren Schlüsse auf sein Geheimverfahren gestatten.
An dritter Stelle steht sein „Lebenselixier“. Zwar hütet er sich in seiner Liste für König Friedrich wohlweislich,[S. 32] sein Präparat mit diesem Namen zu bezeichnen. Worin bestand es und worauf lief es hinaus? Es handelt sich um einen noch heute unter dem Namen des Grafen gehenden Tee, den sog. „Saint-Germain-Tee“, dessen Hauptbestandteil Sennesblätter bilden und der eine abführende Wirkung hat. Dieser Tee hatte seine Bedeutung in dem System, nach dem Saint-Germain lebte. Er befolgte in seiner Lebensweise, in seiner Ernährung eine strenge Diät, an der er beharrlich festhielt, die im weiteren Verfolg denn auch dazu beitrug, seiner Person den Anschein des Besonderen und Ungewöhnlichen zu geben.
Endlich rühmte er sich auch des Geheimnisses, auf künstlichem Wege Edelsteine herstellen zu können. So erzählt er in seinem Briefe an Graf Lamberg von einem großen Diamanten, den er mit dem Grafen Zobor zusammen nach vielem Bemühen hervorgebracht habe. Aber dieser Diamant spielt eine Rolle nur in der lügenhaften Erzählung, die er von seiner angeblichen Verhaftung im Jahre 1760 gibt. Danach sind wir berechtigt, auch seinen Bericht von der künstlichen Herstellung von Diamanten anzuzweifeln.
Anders steht es offenbar mit der ihm ebenfalls zugeschriebenen, aber in der Liste von 1777 nicht angeführten Kunst, Flecken aus Diamanten zu entfernen. Zwar sind dafür die von Madame du Hausset und Casanova und von dem Prinzen von Hessen berichteten Beispiele noch immer keine einwandfreien Beweise. Aber wenn der Schweizer Pictet dem französischen Diplomaten Corberon erzählt, sein Schwiegervater Magnan, ein Diamantschleifer, habe alle Diamanten mit irgendwelchen Flecken für Saint-Germain zurückgelegt, so ist das ein Zeugnis, das sich nicht einfach von der Hand weisen läßt, und das zweifellos zu Saint-Germains Gunsten spricht. Auch[S. 33] die Kunst, Perlen zu vergrößern und ihnen ein schönes Wasser zu geben, wollte ihm der berühmte Arzt und Nationalökonom Quesnay, wie Madame du Hausset erzählt, nicht abstreiten.
Mit den oben angeführten Mitteln ist die Liste seiner Kunstfertigkeiten von 1777 noch nicht erschöpft. Flüchtig deutet er ferner auf seine Kunst der Herstellung von Ölen, Likören, kosmetischen Mitteln, der Weinveredlung, auf Geheimmittel für die Landwirtschaft. Damit erscheint er als ein Mann von staunenswerter Vielseitigkeit. Aber was soll man dazu sagen, wenn es in Nr. 25 der Liste heißt: „Herstellung anderer nützlicher Dinge, über die ich schweige.“ Und ferner am Schluß: „Über einen weiteren Punkt kann hier aus mancherlei Gründen nichts gesagt werden. Er bleibt vorbehalten.“ Das war nichts anderes als die Sprache des Marktschreiers!
Fassen wir das oben Gesagte zusammen. Mochte auch Saint-Germain in seinem mehrfach genannten Briefe an Graf Lamberg sich des Besitzes des „Steines der Weisen“ rühmen — ein „Adept“ war er nicht. Das Geheimnis der künstlichen Herstellung des Goldes besaß er nicht. Als Taschenspielerei erscheint denn auch die Probe dieser Kunst, die er vor Casanova in Tournai ablegte. Seine übrigen Arbeiten auf dem Gebiete der Metallverwandlung und -veredlung, die in das Gebiet der Alchimie gehören, waren nach sachkundigem Urteil minderwertige Leistungen. Was er als „Lebenselixier“ ausgibt, stellt sich als ein recht harmloses Rezept dar.
Nicht besser war es um seine Geheimnisse und Geheimverfahren bestellt, die sich auf das Wirtschaftsleben erstreckten.
Auf ihnen liegt, wenn wir sein Leben überblicken, der eigentliche Schwerpunkt. Ihre Ausbeutung war das[S. 34] Hauptziel seiner Tätigkeit. Sein großer Gaunerstreich von Tournai zeigt jedoch, daß es ihm dabei nicht auf ehrlichen Erwerb und Gewinn ankam. Damit gehört er zu der großen Heerschar der Industrieritter, die das 18. Jahrhundert unsicher machten, vor denen König Friedrich seine Nachfolger in seinem politischen Testament von 1752 mit besonderem Nachdruck warnte.
Mochte er sich immerhin auf die Kunst verstehen, fehlerhafte Diamanten von ihren Flecken zu befreien — das ändert nichts an dem Bilde des Abenteurers, unter dem uns sein Leben und Treiben erscheint.
Während des Mittelalters und noch in der neueren Zeit spielte neben der Alchimie die Geheimlehre der Kabbalisten eine bedeutsame Rolle. Die jüdische „Kabbala“, d. h. die überkommene Lehre, war ursprünglich ein Geheimwissen, das sich mit der Lehre vom Göttlichen und von der Schöpfung beschäftigte. Doch näherte sie sich dann immer mehr der Magie, die sich des Besitzes übernatürlicher Kräfte rühmte. Das große Ziel war der Einblick in die Zukunft. Dazu diente ihr als Hilfsmittel die Punktierkunst; Zahlen, Worte und Buchstaben erhalten geheime Bedeutung. Im Mittelalter blühte die Kunst der Kabbala gleich der der Alchimie in Spanien, um sich ebenfalls von dort über Europa zu verbreiten.
Ein ähnlicher Vorgang wiederholte sich in der Freimaurerei. Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog sich in ihren europäischen Logen eine Bewegung, die über das alte Ziel der Förderung der Humanität in Gesinnung[S. 35] und Betätigung hinausgriff. Auch hier erfolgte eine Wendung zum Mystischen. Das Freimaurertum behauptete, das Geheimwissen der Templer, das der Welt mit dem Untergange des Ordens verloren gegangen war, im Orient wieder erlangt zu haben, und es erhob daraufhin den Anspruch, in den höheren Graden die Geheimnisse der Magie zu enthüllen.
Als Freimaurer trat der berüchtigte Graf Cagliostro auf. Aber er erfand ein eigenes System, das er als ägyptische Freimaurerei bezeichnete. Neben alchimistischen Künsten betrieb er auch die Geisterbeschwörung. Als sein Lehrer und Meister wird Graf Saint-Germain angegeben, jedoch mit Unrecht; denn dazu stempeln ihn erst die „Mémoires authentiques pour servir à l’histoire du comte de Cagliostro“, eine Fälschung aus der Feder des Marquis de Luchet, die nach Saint-Germains Tode 1785 anonym erschien. Luchet stand als Geheimer Rat im Dienste des Landgrafen von Hessen-Kassel. Er war ein überzeugter Gegner aller freimaurerischen Bestrebungen, und so schrieb er diese „Denkwürdigkeiten“, die sich als derbe Verspottung des Freimaurertums kennzeichnen. Er läßt Cagliostro mit seiner als Marquise eingeführten Gattin seine Fahrt in die Welt antreten. Dieser beschließt, da er sich für Paris, die Hochburg des Abenteurertums, noch nicht reif fühlt, nach einem mißglückten Debut in Wien sich in Rußland für seine Laufbahn vorzubereiten. Um sie würdig zu beginnen, läßt er sich zuvor mit seiner Frau in Schleswig vom Grafen Saint-Germain die Weihe erteilen. Daß diese Zeremonie in höchst grotesker Form vor sich geht, ist nach der Tendenz der Schrift selbstverständlich. Die von dem bekannten Schriftsteller Melchior Grimm geleitete „Correspondance littéraire“ verfehlte nicht, vor diesen „Denkwürdigkeiten“ mit ihren[S. 36] „entweder falschen oder waghalsigen Anekdoten“ zu warnen.
Noch in einem zweiten Buche, das einige Jahre später und gleichfalls anonym erschien, zog Luchet gegen Saint-Germain zu Felde, und zwar in einer politischen Streitschrift gegen den im Jahre 1776 aus idealen Beweggründen gestifteten Illuminatenorden, den er gefährlicher, umstürzlerischer Pläne bezichtigte. Auch hier wird Saint-Germains Geheimwissen, mit dem er die Welt, zumal die Großen, zu fangen suchte, mit Spott und Hohn überschüttet.
Durch diese „Denkwürdigkeiten“ ist zu erklären, daß Cagliostro, der den Grafen Saint-Germain wahrscheinlich niemals gesehen hat, mit diesem in Verbindung gebracht ward, um fortan als sein Schüler zu gelten.
Aber Saint-Germain war kein Kabbalist. In allen gleichzeitigen Nachrichten findet sich dafür keinerlei Anhaltspunkt.
Für die weitere Frage, welche Stellung er zum Freimaurertum einnahm, bringt die von uns mitgeteilte maurerische Korrespondenz des Prinzen Friedrich August von Braunschweig, der Großprior der Logen in Preußen war, reichen Aufschluß. Im Kreise dieses Prinzen bildete Saint-Germain während seines Leipziger Aufenthalts den Gegenstand größter Aufmerksamkeit. Sehen wir auch von dem Bankier Dubosc ab, der in dem „rätselhaften Mann“ nur einen Betrüger erblicken wollte, so stimmen sowohl der sächsische Minister von Wurmb, der ihm ernstlich „den Puls fühlte“, wie Bischoffwerder, der von dem Prinzen ausdrücklich um seine Ansicht angegangen wurde, in dem Urteil überein: „Er ist keiner der Unsrigen“ — ein Urteil, dem auch der Rosenkreuzer Frölich aus Görlitz, ein Schüler Schrepfers, mit den Worten beipflichtete:[S. 37] „Er ist kein Maurer; er ist auch kein Magus, auch kein Theosoph[20].“ Ähnlich wie diese, suchte 1778 Dresser, der vier Jahre lang Meister vom Stuhl in der Hamburger Loge Georg gewesen war, das Geheimnis jenes seltsamen Fremden zu ergründen[21]. Aber Saint-Germain hielt sich allem maurerischen Treiben fern, obwohl er als Mitglied der Straßburger Loge „de la Candeur“ (1776) bezeichnet wird[22] und selbst zugab, den vierten Grad zu besitzen. Ja, er machte kein Hehl aus seiner Gleichgültigkeit[23]. Danach kann von einer führenden Rolle, die er in der Freimaurerei gespielt haben soll, nicht gesprochen werden!
Obwohl seine Künste und Geheimnisse, wie wir sahen, im ganzen recht zweifelhafter Art waren, hat sich Saint-Germain doch einen Namen zu erwerben gewußt, der seinen Tod überdauerte. Worin liegt das Rätsel seines Erfolges?
Zusammenfassend dürfen wir sagen: in dem Zauber seiner Persönlichkeit. Nicht, daß in seiner Natur etwas Dämonisches lag, das die Menschen wie mit übernatürlicher Gewalt in seinen Bann zwang. Ganz anderer Art war die Macht, die er ausübte. Er war ein glänzender Gesellschafter, der die Menschen anzuziehen wußte. Er besaß die Gabe fesselnder Unterhaltung; man lauschte ihm gern, wenn er von seinem Leben, seiner Jugend, seinen[S. 38] Reisen, wenn er von den Wundern der Welt erzählte. Er bestrickte die Hörer, denn er sprach mit Eifer und Begeisterung. Er besaß, so berichtet Alvensleben, „eine hervorragende Redegabe“, oder wie Yorke es nennt, „Zungenfertigkeit“. Als der preußische Gesandte ihn stellen wollte, entglitt ihm Saint-Germain, indem er den Offenherzigen zu spielen vorgab, aber mit vielen Worten nichts zu sagen verstand. Dabei liebte er die Debatte, spie aber Feuer und Flamme gegen den, der ihm zu widersprechen wagte. Stieß er hingegen auf ernsten Widerstand, so gebrauchte er die Taktik rechtzeitigen Schweigens.
Dabei verstand er in ungewöhnlichem Maße, sich seiner Umgebung anzupassen. Genau sah er sich die Menschen an, mit denen er zu tun hatte. Schnell fand er heraus, was er ihnen bieten durfte. Den dummen Gläubigen band er dreist seine Lügen auf, während er sich den Klugen gegenüber zurückhielt. Da ließ er nur durchblicken, was er offen zu sagen sich nicht getraute. Zumal liebte er das Spiel mit halben Worten, die die Phantasie des Hörers anregten. Das gelang ihm um so leichter, als seine dunkle Kunst, deren er sich rühmte, unwiderstehlichen Reiz auf die Menschen übte.
So besaß er in hohem Grade die Kunst der Menschenbehandlung. Und so war es ihm möglich, in die hohen Kreise zu dringen, die der Mehrzahl der schlichten Menschen verschlossen sind. Was aber noch weit mehr besagen wollte, er wußte sich dort auch zu behaupten. Unbestreitbar spielte er am Hofe Ludwigs XV. eine Rolle, bis das Haager Abenteuer ihm das Genick brach. Trotzdem gelang es ihm später, noch zu anderen Fürsten in nähere Beziehung zu treten, wie der Ansbachische Markgraf, der Hessische Prinz, der ihm seine Huld bis zu seinem Tode bewahrte. Einen Grafen Cobenzl, der eine hohe[S. 39] Staatsstellung bekleidete, wußte er sogar derart zu bestricken, daß dieser von ihm rühmte: „Er ist Dichter, Musiker, Schriftsteller, Arzt, Physiker, Chemiker, Mechaniker und ein gründlicher Kenner der Malerei. Kurz, er hat eine universelle Bildung, wie ich sie noch bei keinem Menschen fand[24].“
Man würde irren, wollte man ihm jedes Wissen und alle Kenntnisse abstreiten. Ernsthafte Zeugen sind es, die zu seinen Gunsten aussagen. „Er ist ein hochbegabter Mann mit sehr regem Geiste,“ so schildert ihn Alvensleben[25]. Zugleich aber nennt er ihn „urteilslos“, „maßlos eitel“ und kriecherisch. Eitelkeit sei die Triebfeder, die seinen Mechanismus in Bewegung setze. Wir hören ferner, daß er mit seiner angeblichen hohen Herkunft zu prahlen liebte. Er vermaß sich zu dem Ausspruch: „Ich halte die Natur in meinen Händen, und wie Gott die Welt geschaffen hat, kann auch ich alles, was ich will, aus dem Nichts hervorzaubern.“
Seine „Gauklerkünste“, so bezeugt wiederum Alvensleben, öffneten ihm die Häuser der Großen. Aber sie dienten ihm auch dazu, die Menschheit auszubeuten. Wir wundern uns daher nicht, ihm ebenfalls im Salon der Marquise von Urfé, den ja auch sein Bildnis schmückte, mit einem Schwindler vom Schlage Casanovas zu begegnen, ein würdiges Paar, das gleichmäßig die dem Wunderglauben ergebene Dame schröpfte, während er doch sonst die Welt mied, in der ein Casanova und Cagliostro sich bewegten.
Von diesen unterscheidet ihn auch die Tatsache, daß die Frauen in seinem Leben keine Rolle spielten, mag er auch, wie Gleichen erwähnt, der Tochter eines Chevalier Lambert in Paris den Hof gemacht und, wie[S. 40] Hardenbroek als Gerücht verzeichnet, die Absicht geäußert haben, sie zu heiraten. Noch fraglicher erscheint, ob jene unbekannte Dame in Amsterdam, von der Grosley so geheimnisvoll erzählt, überhaupt je etwas mit ihm zu tun hatte. Und mit allen übrigen Berichten über sein Ende steht die Angabe Gleichens in Widerspruch, daß Saint-Germain sich in seinem letzten Lebensjahr „wie ein zweiter Salomo“ von Frauen pflegen und hätscheln ließ und in ihren Armen gestorben sei.
Was neben seinen dunklen Künsten dazu beitrug, ihm eine Stellung in der großen Welt zu sichern, war die Fabel von seinen märchenhaften Reichtümern. Er prunkte mit seinen Edelsteinen — aber ihre Echtheit wird bestritten. Er erwarb Landgüter in Frankreich und Holland — aber er konnte sie nicht bezahlen. Die Madame Nettine in Brüssel mußte zu ihrem Schaden erfahren, was es mit seinen in Nimwegen deponierten Wertsachen für eine fatale Bewandnis hatte. Auch der Wert seiner Gemäldesammlung wird angefochten. Notorische Tatsache ist es endlich, daß es ihm beim Markgrafen von Ansbach und in Leipzig kümmerlich ging. Sogar seine Wohnung in Paris war bescheiden. Aber überraschend ist, daß er sich trotz alledem den Ruf eines reichen Mannes zu geben verstand und daß man es ihm glaubte.
Ein weiteres Rätsel, das seine Person bot, war endlich der Umstand, daß er dauernd unter fremdem Namen auftrat, obwohl er den eines Grafen Saint-Germain, unter dem er auf die Nachwelt gekommen ist, bevorzugte[26].[S. 41] Dieser dauernde Namenswechsel scheint durch seinen abenteuerlichen Wandel hinreichend begründet. Aber es ist bezeichnend für ihn, daß er auch dafür eine geheimnisvolle Erklärung zu geben wußte. Der Ansbacher Minister von Gemmingen hat es uns überliefert. Danach handelte es sich um einen großen Unbekannten, der die Beweise seiner Abkunft in Händen hatte, der ihn verfolgte, vor dem Saint-Germain sich verbergen mußte. Und nur eine weitere Ausschmückung dieses Märchens ist es, wenn er im Elternhause der Frau von Genlis erzählte, daß er als siebenjähriger Knabe flüchten mußte, da ein Preis auf seinen Kopf gesetzt war.
Man sieht: es fehlt kein Zug, um das Bild des Abenteurers vollständig zu machen. Alles ist vorhanden: die rätselhafte Abstammung, der große Unbekannte, der ihn verfolgt, die unbekannte Schöne, der fabelhafte Reichtum. Dazu treten alle die Wunder, die sich mit dem Namen des „berühmten Alchimisten“ verbanden. Er hat den „Stein der Weisen“, er kennt das Geheimnis der künstlichen Herstellung des Goldes, er besitzt das Lebenselixier.
Ist es daher verwunderlich, wenn in der späteren Überlieferung, wie bereits in den Aufzeichnungen eines Lamberg und Gleichen, das Geheimnisvolle und Rätselhafte immer mehr das Geschichtliche der gleichzeitigen Berichte überwuchert? Denn wir hören später kaum noch von allen seinen gewerblichen Künsten, wie der Färbkunst, der Lederbehandlung, die doch das Hauptfeld seiner Tätigkeit ausmachten. Statt dessen ist er ein Goldmacher. Und noch größeren Spielraum bot sein Lebenselixier der menschlichen Phantasie. Da wird er zum Zeitgenossen Christi, und eine Lady Craven, die ihn nur von Hörensagen kennt, malt nun in ihren Denkwürdigkeiten[S. 42] die Fabel immer weiter aus, indem sie dieselbe mit allerlei barocken Einfällen verziert. Da das Lebenselixier andrerseits die Wirkung des Jungbrunnens in sich schließt, so entsteht die Geschichte von der diebischen Kammerzofe, die sich an dem Elixier vergreift, das ihre Herrin um teures Geld erstanden hat, und die nun infolge der genossenen allzu starken Dosis wieder ein kleines Kind wird. Aus der einen Zofe im London Chronicle (bei Grosley) und bei Gleichen macht dann der Fälscher der „Erinnerungen der Marquise von Créquy“ mit drastischer Übertreibung deren zwei. Und den Höhepunkt erreicht der Spaß bei Lamberg mit der alten Frau, die sogar wieder zum Embryo wird.
Indem wir die gleichzeitigen Urkunden, die von ihm erzählen, und die späteren Aufzeichnungen, die über ihn entstanden sind, im folgenden zusammenstellen, tritt uns zum erstenmal das geschichtliche Bild des abenteuerlichen Betrügers entgegen. Zugleich gestattet aber dieser Überblick, den Prozeß der allmählich einsetzenden und von ihm selbst mit Geschick genährten Legendenbildung zu verfolgen, durch die er zum „berühmten Alchimisten“ ward, als der er bis auf unsere Tage fortlebt. —
Um den streng historischen Charakter des Buches zu wahren, ist grundsätzlich davon Abstand genommen, rein literarische Erzeugnisse zu berücksichtigen. Dahin gehören z. B. die phantasievollen Schilderungen von Besuchen Saint-Germains in Wien, am Hofe Karl Augusts in Weimar, am Hofe der Königin Maria Antoinette, wie sie Franz Gräffer in seinen „Kleinen Wiener Memoiren“ (Wien 1845) bringt, A. v. d. Elbe in der Erzählung „Brausejahre“ („Gartenlaube“, Jahrg. 1884) oder der Romanschriftsteller Etienne Léon de Lamothe-Langon in den anonym herausgegebenen „Souvenirs sur Marie Antoinette[S. 43] et sur la cour de Versailles par Madame la comtesse d’Adhémar, dame du palais“ (Paris 1836); denn, um dies ausdrücklich zu betonen, die Gräfin d’Adhémar ist nachweislich keine historische Persönlichkeit, sondern das reine Erzeugnis dichterischer Phantasie. So hat auch die einzige bisher vorliegende Biographie des Abenteurers, das unvollendet gebliebene Werk der Theosophin J. Cooper-Oakley: „The comte de Saint-Germain“ (Mailand 1912) keinen Anspruch auf wissenschaftliche Bedeutung, da sie kritiklos auch aus jenen Darstellungen schöpft und die Märchen der angeblichen Gräfin d’Adhémar als historische Begebnisse erzählt; der Wert ihres Buches beruht allein auf ihren Mitteilungen aus fremden Archiven.
Für die Fülle neuer Aufschlüsse, die mir zahlreiche Archive und Bibliotheken, zumal in Berlin, Wien und Wolfenbüttel gewährten, bin ich der Leitung derselben zu großem Dank verpflichtet. Ferner möchte ich an dieser Stelle auch Herrn Notar Langeveld im Haag meinen aufrichtigen Dank für die liebenswürdige Unterstützung aussprechen, die er meiner Arbeit geliehen hat.
[S. 45]
[S. 47]
Bei meiner Rückkehr nach Paris im Jahre 1759[28] besuchte ich die Witwe des Chevalier Lambert, eine alte Bekannte. Nach mir sah ich einen mittelgroßen, sehr stämmigen Mann eintreten, der mit gesuchter, prächtiger Einfachheit gekleidet war. Er warf Hut und Degen auf das Bett der Hausfrau, setzte sich auf einen Lehnstuhl am Kamin und unterbrach den gerade redenden Herrn mit den Worten: „Sie wissen nicht, was Sie reden. Für diese Frage bin ich allein zuständig. Ich habe sie erschöpft, so gut wie die Musik, die ich aufgegeben habe, weil ich bis zur äußersten Grenze gelangt war.“
Erstaunt fragte ich meinen Nachbar, wer dieser Mann sei, und ich erfuhr, daß es der berühmte Saint-Germain[S. 48] war, der die seltensten Geheimnisse besaß, dem der König[29] eine Wohnung im Schloß Chambord eingeräumt hatte, der in Versailles ganze Abende mit Seiner Majestät und Frau von Pompadour verbrachte und dem alle Welt nachlief, wenn er nach Paris kam. Frau Lambert lud mich zum Essen für den nächsten Tag ein und setzte mit triumphierender Miene hinzu, ich würde mit Herrn von Saint-Germain speisen, der, nebenbei gesagt, einer ihrer Töchter den Hof machte und in ihrem Hause wohnte.
Die Dreistigkeit des Mannes hielt mich bei diesem Diner lange in respektvollem Schweigen. Schließlich wagte ich ein paar Bemerkungen über die Malerei und verbreitete mich über Verschiedenes, was ich in Italien gesehen. Ich hatte das Glück, Gnade vor den Augen von Saint-Germain zu finden. „Ich bin mit Ihnen zufrieden,“ sagte er zu mir, „und Sie verdienen, daß ich Ihnen alsbald ein Dutzend Gemälde zeige, dergleichen Sie in Italien nicht gesehen haben.“ In der Tat hielt er fast Wort; denn die Bilder, die er mir zeigte, trugen sämtlich ein Gepräge von Eigenart oder Vollendung, das sie anziehender machte, als manche klassischen Werke, insbesondere eine Heilige Familie von Murillo, die an Schönheit dem Raffael in Versailles gleichkam.
Aber er zeigte mir noch ganz andere Dinge: eine Menge Edelsteine, insbesondere farbige Diamanten von erstaunlicher Größe und Vollendung. Ich glaubte, die Schätze von Aladins Wunderlampe zu sehen. Unter anderem sah ich einen Opal von ungeheuerlicher Größe und einen eigroßen weißen Saphir, der alle Edelsteine, die ich daneben hielt, durch seinen Glanz überstrahlte. Ich wage mich als einen Juwelenkenner zu rühmen und kann[S. 49] versichern, daß das Auge nichts zu entdecken vermochte, was einen Zweifel an der Echtheit dieser Steine hätte begründen können, zumal sie ungefaßt waren.
Ich blieb bis Mitternacht bei ihm und verließ ihn als sein getreuer Anhänger. Sechs Monate lang folgte ich ihm mit der unterwürfigsten Beharrlichkeit, und ich habe nichts von ihm gelernt als die Praktiken und die Eigenart des Scharlatanismus. Kein Mensch besaß wie er die Gabe, die Neugier zu stacheln und die Leichtgläubigkeit auszunutzen. Er wußte seine Wundergeschichten je nach dem Maße der Empfänglichkeit seiner Zuhörer abzustimmen. Erzählte er einem Dummkopf eine Begebenheit aus der Zeit Karls V., so vertraute er ihm offen an, daß er dabeigewesen sei. Sprach er mit einem etwas weniger Leichtgläubigen, so schilderte er bloß die kleinsten Umstände, Miene und Gebärde der Sprechenden, ja selbst das Zimmer und den Fleck, an dem sie standen, mit allen Einzelheiten und einer Lebendigkeit, daß man den Eindruck erhielt, einen wirklichen Augenzeugen des Vorgangs zu hören. Bisweilen, wenn er eine Rede Franz’ I. oder Heinrichs VIII.[30] wiedergab, spielte er den Zerstreuten und sagte: „Der König wandte sich an mich —“, verbesserte sich aber rasch und fuhr, wie ein Mann, der sich verschnappt hat, hastig fort: „wandte sich an den und den Herzog.“
Im allgemeinen kannte er die Geschichte bis ins kleinste. Er hatte sich Bilder und Szenen zurechtgelegt und sprach von den fernsten Zeiten mit solcher Natürlichkeit, wie kaum ein Zeitgenosse von der jüngsten Gegenwart.
„Die dummen Pariser“, sagte er eines Tages zu mir, „glauben, daß ich 500 Jahre alt sei, und ich bestärkte[S. 50] sie in dieser Annahme; denn ich sehe, daß ihnen das viel Spaß macht. Ich bin freilich ungleich älter als ich aussehe,“ setzte er hinzu, denn auch mich wünschte er bis zu einem gewissen Grade irrezuführen. Aber die Pariser waren nicht nur so dumm, ihm ein mehrhundertjähriges Alter zuzuschreiben, sie machten ihn sogar zum Zeitgenossen Christi, und zwar aus folgendem Anlaß.
In Paris lebte ein kurzweiliger Mann, den man Mylord Gower nannte, weil er die Engländer hervorragend nachmachte. Nachdem die Regierung ihn im Siebenjährigen Kriege als Spion beim englischen Heere verwandt hatte, wurde er zum Spielzeug einiger Leute am Hofe, die die einfältigen Pariser zum besten haben wollten. Man steckte ihn in die verschiedensten Kostüme und ließ ihn alle möglichen Menschen kopieren. So wurde dieser Mylord Gower im Marais[31] als Herr von Saint-Germain eingeführt, um die Neugier der Damen und Maulaffen dieser Stadtgegend zu befriedigen, die sich leichter nasführen lassen als die Leute in der Gegend des Palais Royal. Auf diesem Schauplatz erlaubte sich unser falscher Adept seine Rolle zu spielen. Anfangs übertrieb er nur wenig. Als er jedoch sah, daß man alles bewundernd aufnahm, griff er von einem Jahrhundert aufs andere bis auf Jesus Christus zurück. Von ihm sprach er mit solcher Vertrautheit, als wäre er sein Freund gewesen. „Ich habe ihn sehr gut gekannt,“ sagte er. „Er war der beste Mensch auf Erden, aber romantisch veranlagt und unbesonnen; ich habe ihm oft gesagt, er würde ein schlimmes Ende nehmen.“ Dann ging unser Schauspieler auf die Dienste ein, die er ihm durch Vermittlung der Frau des Pilatus zu leisten versuchte, in deren Haus er täglich verkehrte. Er behauptete,[S. 51] die heilige Jungfrau, die heilige Elisabeth[32], ja selbst deren alte Mutter, die heilige Anna[33], gut gekannt zu haben. „Der“, sagte er, „habe ich nach ihrem Tode einen großen Dienst geleistet. Ohne mich wäre sie nie heilig gesprochen worden. Zu ihrem Glück war ich beim Konzil zu Nicäa[34], und da ich mehrere der dort versammelten Bischöfe kannte, bat ich so innig und stellte ihnen so oft vor, eine wie brave Frau sie gewesen sei und wie wenig es ihnen kostete, so daß sie dann auch wirklich heilig gesprochen wurde.“ Diese abgeschmackte Posse wurde in Paris ziemlich ernsthaft weitererzählt und trug Herrn von Saint-Germain den Ruf ein, im Besitz eines Lebenselixiers zu sein, das ihn verjüngte und unsterblich machte. Daraus entstand die Schnurre von der alten Kammerfrau einer Dame, die eine Phiole dieser göttlichen Flüssigkeit heimlich bewahrte. Die alte Kammerfrau grub sie aus und trank so viel davon, daß sie immer jünger und schließlich zum kleinen Kinde wurde.
Obwohl alle diese Fabeln und mehrere Anekdoten über Saint-Germains Alter weder Glauben noch Beachtung bei vernünftigen Menschen verdienen, so bleibt immerhin wunderbar, was mir zahlreiche glaubwürdige Personen über seine lange Lebensdauer und die fast unbegreifliche Unveränderlichkeit seines Äußeren bestätigt haben. So hörte ich Rameau[35] und die alte Verwandte eines französischen Botschafters in Venedig[36] versichern, als sie Saint-Germain dort 1710 kennen lernten, habe er[S. 52] wie ein Fünfzigjähriger ausgesehen. Im Jahre 1759 schien er 60 Jahre alt zu sein, und damals erneuerte Morin, mein späterer Gesandtschaftssekretär, für dessen Wahrhaftigkeit ich einstehe, in meinem Hause die Bekanntschaft mit ihm, die er 1739 auf einer Reise in Holland gemacht hatte, und war baß erstaunt, daß er nicht um ein Jahr älter aussah. Alle Personen, die ihn danach bis zu seinem Tode kennen gelernt haben — der, wenn ich nicht irre, 1780 in Schleswig[37] stattfand — und die ich über sein vermeintliches Alter befragte, haben mir stets geantwortet, er mache den Eindruck eines guterhaltenen Sechzigers. Ein Mann von 50 Jahren ist also im Zeitraum von 70 Jahren nur um 10 Jahre gealtert — das scheint mir das Außerordentlichste und Bemerkenswerteste an seiner Geschichte.
Er besaß mehrere chemische Geheimmittel, besonders zur Herstellung von Farben und Färbstoffen und einer Art von Similor von seltener Schönheit. Vielleicht hat er auch die erwähnten Edelsteine, deren Echtheit nur durch die Probe mit der Feile widerlegt werden könnte, selbst angefertigt. Aber von einer Universalmedizin habe ich ihn nie reden hören.
Er lebte sehr mäßig, trank nie beim Essen, purgierte sich mit selbstbereiteten Sennesblättern und gab seinen Freunden keinen anderen Rat, wenn sie ihn fragten, was sie tun müßten, um lange zu leben. Überhaupt pries er nie wie andere Scharlatane übernatürliche Kenntnisse an.
Seine Philosophie war die des Lukrez: er sprach mit geheimnisvoller Begeisterung von den Tiefen der Natur und eröffnete der Phantasie unbestimmte, dunkle und unendliche Ausblicke auf die Art seines Wissens, seine Reichtümer und seine vornehme Abkunft. Gern erzählte[S. 53] er Züge aus seiner Kindheit und schilderte sich selbst, wie er mit zahlreichem Gefolge auf prächtigen Terrassen in einem herrlichen Klima lustwandelte, gleich als wäre er der Erbe eines Königs von Granada zur Zeit der Mauren gewesen. Allerdings hat kein Mensch, keine Polizei je herausbekommen, wer er war und woher er stammte.
Er sprach fließend Deutsch und Englisch. Französisch sprach er mit piemontesischem Akzent, Italienisch ausgezeichnet, aber besonders Spanisch und Portugiesisch ohne den geringsten Akzent.
Wie ich hörte, hat er neben mehreren deutschen, italienischen und russischen Namen, unter denen man ihn in verschiedenen Ländern glänzen sah, in früherer Zeit auch den eines Marquis von Montferrat getragen. Wie ich mich entsinne, sagte mir der alte Baron Stosch[38], er hätte in Florenz zur Zeit des Regenten[39] einen Marquis von Montferrat gekannt, der für einen natürlichen Sohn der Witwe Karls II.[40], die sich nach Bayonne zurückgezogen hatte, und eines Madrider Bankiers galt.
Saint-Germain verkehrte im Hause des Herzogs von Choiseul[41] und war dort gern gesehen. Wir waren daher sehr erstaunt, als dieser Minister seiner Gattin gegenüber eine sehr ausfallende Bemerkung über ihn machte. Er fragte sie plötzlich, warum sie nichts trinke, und als sie antwortete, sie wende gleich mir mit Erfolg die Lebensdiät[S. 54] Saint-Germains an, entgegnete Choiseul: „Der Baron, der, soviel ich weiß, eine besondere Vorliebe für Abenteurer hat, ist sein eigener Herr und kann leben, wie er will. Ihnen aber, Madame, deren Gesundheit mir kostbar ist, verbiete ich, die Narrheiten eines so zweideutigen Menschen nachzuahmen.“ Um dem peinlich werdenden Gespräch eine andere Wendung zu geben, fragte der Komtur von Solar[42] den Herzog von Choiseul, ob die Regierung wirklich die Herkunft eines Mannes nicht kenne, der in Frankreich auf so vornehmem Fuße lebe. „Gewiß kennen wir sie,“ versetzte Choiseul (aber er log), „er ist der Sohn eines portugiesischen Juden, der die Leichtgläubigkeit des Hofes und der Stadt zum besten hat. Seltsam,“ fuhr er, sich erhitzend, fort, „daß man erlaubt, daß der König oft fast allein mit einem solchen Menschen ist, während er nur von Garden umgeben ausgeht, als ob die Welt von Mördern wimmelte.“ Dieser Zornesausbruch kam von seiner Eifersucht auf den Marschall Belle-Isle[43], dem Saint-Germain sich mit Leib und Seele verschrieben hatte: ihm hatte er den Plan und das Modell der berühmten Flachboote gegeben, mit denen eine Landung in England[44] gemacht werden sollte.
Die Folgen dieser Feindschaft und der Argwohn Choiseuls kamen wenige Monate später zum Ausbruch[45]. Der Marschall spann immerfort Ränke zur Herbeiführung eines Sonderfriedens mit Preußen und zum Bruch des Allianzsystems zwischen Österreich und Frankreich, mit[S. 55] dem der Herzog von Choiseul stand und fiel. Ludwig XV. und Frau von Pompadour wünschten diesen Sonderfrieden, Saint-Germain redete ihnen ein, ihn zum Prinzen Ludwig von Braunschweig nach dem Haag zu schicken, dessen Busenfreund er sich nannte. Er versprach, auf diesem Wege erfolgreiche Verhandlungen anzuknüpfen, deren Vorteile er durch seine Beredsamkeit ins hellste Licht setzte.
Der Marschall setzte die Instruktionen auf, und der König übergab sie ihm persönlich mit einer Chiffre für Saint-Germain, der, im Haag angelangt, sich berufen fühlte, die Rolle des Gesandten zu spielen. Infolge seiner Indiskretion kam d’Affry, damals Botschafter im Haag[46], hinter das Geheimnis dieser Sendung und schickte einen Kurier an Choiseul, bei dem er sich heftig beschwerte, daß er einem alten Freund seines Vaters und der Würde eines Botschafters den Schimpf antäte, durch einen obskuren Ausländer Friedensverhandlungen unter seinen Augen anzuknüpfen, ohne ihn überhaupt davon in Kenntnis zu setzen.
Choiseul schickte den Kurier sofort zurück und befahl d’Affry, mit aller denkbaren Energie von den Generalstaaten die Auslieferung Saint-Germains zu fordern. Danach sollte er ihn, an Händen und Füßen gefesselt, in die Bastille einliefern. Am nächsten Tage verlas Choiseul im Kronrat d’Affrys Bericht und seine Antwort darauf. Dann blickte er im Kreise herum stolz auf seine Kollegen, heftete seine Blicke abwechselnd auf den König und Belle-Isle und schloß: „Wenn ich mir nicht die Zeit genommen habe, die Befehle des Königs einzuholen, so geschah es in der Überzeugung, daß hier niemand so dreist wäre, ohne Wissen des Ministers des Auswärtigen[S. 56] Eurer Majestät Friedensverhandlungen zu führen!“ Er wußte, daß der König den Grundsatz aufgestellt und stets beobachtet hatte, kein Minister dürfte sich in die Geschäfte eines anderen einmischen. So kam es, wie er vorausgesehen hatte: der König senkte schuldbewußt die Blicke, der Marschall wagte kein Wort, und Choiseuls Schritt wurde gebilligt. Aber Saint-Germain entwischte ihm. Die Generalstaaten beteuerten ihre Willfährigkeit und schickten ein großes Aufgebot zur Verhaftung Saint-Germains. Der aber war heimlich gewarnt und entfloh nach England.
Aus einigen Nachrichten glaube ich zu entnehmen, daß er bald wieder abreiste und nach St. Petersburg ging. Dann tauchte er in Dresden, Venedig und Mailand auf, verhandelte mit den dortigen Regierungen, um ihnen Geheimnisse der Färberei zu verkaufen und Fabriken zu begründen. Er machte damals den Eindruck eines Glücksritters und wurde in einer kleinen Stadt in Piemont wegen eines verfallenen Wechsels verhaftet. Doch er zeigte dem Inhaber für über 100000 Taler Wertsachen, bezahlte auf der Stelle, behandelte den Bürgermeister dieser Stadt als Kaffern und wurde unter den ehrerbietigsten Entschuldigungen freigelassen.
Im Jahre 1770 tauchte er in Livorno auf, mit russischem Namen und in Generalsuniform. Graf Alexei Orlow[47] behandelte ihn mit einer Auszeichnung, die der stolze und hochfahrende Mann sonst niemandem bezeigte. Das muß in engem Zusammenhang mit einer Bemerkung seines Bruders, des Fürsten Gregor Orlow, gegenüber[S. 57] dem Markgrafen von Ansbach stehen. Saint-Germain hatte sich einige Jahre darauf bei diesem niedergelassen[48] und ihn bestimmt, den berühmten Günstling Katharinas II. bei seiner Durchreise in Nürnberg zu besuchen[49]. Da sagte Orlow ganz leise zum Markgrafen über Saint-Germain, den er aufs feierlichste begrüßte: „Dieser Mann hat eine große Rolle bei unserer Revolution gespielt.“
Er wohnte in Triesdorf und hauste dort nach Belieben mit einer Herrenfrechheit, die ihm ausgezeichnet stand. Den Markgrafen behandelte er wie einen Schulknaben. Stellte ihm dieser bescheidene Fragen über seine Wissenschaft, so antwortete er: „Sie sind zu jung, um Ihnen dergleichen zu sagen.“ Um sich an diesem kleinen Hofe noch mehr in Respekt zu setzen, zeigte er von Zeit zu Zeit Briefe Friedrichs des Großen. „Kennen Sie diese Hand und dies Siegel?“ fragte er den Markgrafen, indem er ihm den Brief in seinem Umschlag zeigte. „Ja, es ist das kleine Siegel des Königs.“ — „Wohlan, was drin steht, sollen Sie nie erfahren.“ Damit steckte er den Brief wieder ein.
Der Markgraf behauptet, er habe sich überzeugt, daß Saint-Germains Edelsteine falsch waren: es sei ihm gelungen, durch seinen Juwelier einen Diamanten heimlich mit der Feile prüfen zu lassen, als der Stein der im Bette liegenden Markgräfin[50] gezeigt wurde; denn Saint-Germain paßte scharf auf seine Steine auf und ließ sie nicht aus den Augen.
[S. 58]
Schließlich starb der außerordentliche Mann bei Schleswig beim Prinzen Karl von Hessen, den er vollständig bestrickt und zu Spekulationen veranlaßt hatte, die jedoch fehlschlugen. In seinem letzten Lebensjahre ließ er sich nur von Frauen bedienen, die ihn pflegten und ihn wie einen zweiten Salomo verhätschelten. Nach allmählichem Kräfteverfall starb er in ihren Armen.
Umsonst gaben sich die Freunde, die Bedienten und selbst die Brüder des Prinzen[51] alle Mühe, ihm das Geheimnis seiner Herkunft zu entlocken. Da der Prinz aber alle Papiere Saint-Germains erbte[52] und alle Briefe erhielt, die nach seinem Tode eintrafen, muß er mehr darüber wissen als wir, die wahrscheinlich nie mehr erfahren werden. Ein so seltsames Dunkel ist seiner Gestalt würdig.
[S. 59]
Eine seltsame Erscheinung ist der Marquis von Aymar oder Belmar, bekannt unter dem Namen Saint-Germain. Er wohnt seit einiger Zeit in Venedig, wo er hundert Frauen, die ihm eine Äbtissin verschafft, mit Versuchen zum Bleichen des Flachses beschäftigt, dem er das Aussehen von italienischer Rohseide gibt.
Er glaubt 350 Jahre alt zu sein, und wohl um nicht zu arg zu übertreiben, behauptet er, den Thamas Chouli-Kan in Persien[54] gekannt zu haben.
Als der Herzog von York[55] nach Venedig kam, beanspruchte er beim Senat den Vorrang vor diesem. Als Grund gab er an, man wisse wohl, wer der Herzog von York sei, kenne aber noch nicht den Titel des Marquis von Belmar.
Er besitzt einen Verjüngungsbalsam: eine alte Frau, die sich zu stark damit einrieb, wurde wieder zum Embryo.[S. 60] Einem seiner Freunde gab er eine Haarwickel und diesem zahlte ein Bankier, der den Marquis nicht kannte, auf Sicht 200 Dukaten in bar.
Ich fragte ihn, ob er nach Frankreich zurückkehre. Er versicherte mir mit überzeugter Miene, daß die Flasche (mit Lebenselixier), die den König in seinem jetzigen Gesundheitszustand erhalte, zu Ende ginge. Infolgedessen werde er mit einem glänzenden Streich wieder auf der Bühne erscheinen und sein Name werde in ganz Europa bekannt werden.
Er soll in Peking gewesen sein, ohne sich irgendeinen Namen beizulegen; als die Polizei ihn drängte, seinen Namen zu nennen, entschuldigte er sich damit, er wisse selbst nicht, wie er heiße. „In Venedig“, sagte er, „nennt man mich den Herrn ‚Was geht’s dich an’, in Hamburg: ‚Mein Herr’, in Rom: ‚Monsignor’, in Wien: ‚Pst’. In Neapel pfeift man nach mir, in Paris beäugt man mich, und auf dieses Zeichen spreche ich gern jeden an, der mich anschaut. Mein Name kann Ihnen, meine Herren Mandarinen, also gleichgültig sein. Solange ich bei Ihnen lebe, werde ich mich wie der Träger eines erlauchten Namens benehmen. Ob ich Erbse oder Bohne, Piso[56] oder Cicero heiße, mein Name muß Ihnen gleichgültig sein.“ Selbst in Venedig erhält er Briefe, auf denen bloß „Venedig“ steht. Der Rest ist freigelassen, und sein Sekretär verlangt auf der Post einfach Briefe ohne jede Anschrift.
Der König (von Frankreich) gab ihm beim Tode des Marschalls von Sachsen[57] das Schloß Chambord und umarmte ihn, als er ihn verließ. Saint-Germain verkehrte in[S. 61] allen vornehmen Häusern und wurde sogar mit Auszeichnung empfangen. Er ging oft zur Fürstin von Anhalt-Zerbst[58], der Mutter der jetzigen Zarin. „Ich muß“, sagte er zu ihr, „recht gern bei Ihnen sein, um zu vergessen, daß mein Wagen seit zwei Stunden auf mich wartet, um mich nach Versailles zu bringen.“
Übrigens weiß niemand, wer dieser seltsame Mann ist. Man hält ihn für einen Portugiesen. Er besitzt tausend Talente, die bei einem einzigen Menschen selten vereint sind. Er spielt hervorragend Violine, aber hinter einem Wandschirm; dann glaubt man fünf bis sechs Instrumente zugleich zu hören.
Er spricht viel und gut. Jeden redet er mit so passenden Fragen an, daß es anfangs überrascht. In einer Art von Stammbuch, in dem Unterschriften mehrerer Berühmtheiten stehen, zeigte er mir eine lateinische Eintragung meines Ahnherrn Kaspar Felix, der 1686 starb, mit seinem Wappen und der folgenden Beischrift: „Lingua mea calamus scribae velociter scribentis. Ps. 44, Vers 2“[59]. Die Tinte und selbst das Papier waren sehr verblaßt und nachgedunkelt und schienen mir alt. Das Datum ist 1678. Eine andere Eintragung von Michel Montaigne[60] ist vom Jahre 1580: „Kein Mensch ist so bieder, daß er wohl nicht zehnmal den Galgen verdient, auch wenn er alle seine Handlungen und Gedanken der Prüfung der Gesetze unterwirft. Und doch wäre es sehr schade und ungerecht, einen solchen zu bestrafen und zu hängen.“
Ich schließe aus alledem, daß es ebenso leicht ist, zwei gleiche Handschriften herzustellen, wie zwei ganz ähnlich[S. 62] aussehende Menschen zu finden. Le Vayer[61] gibt Beispiele an, aus denen man folgern könnte, daß es vorzeiten ein Verdienst war, Handschriften nachmachen zu können ...
Die beiden genannten Eintragungen könnten das Alter des Marquis bestätigen, spräche die menschliche Natur nicht dagegen. Von welchem Zeitalter er auch spricht, man trifft selten auf einen Irrtum. Er erwähnt sehr zurückliegende Daten am rechten Ort und spielt sich dabei keineswegs auf. Er ist ein seltener, überraschender Mann, und was einem Spaß macht: er hält der Kritik stand. Mit großer Überredungsgabe verbindet er eine ungewöhnliche Gelehrsamkeit und das umfassendste Gedächtnis, obgleich es örtlich beschränkt ist. Er behauptet, Wildmann die Kunst gelehrt zu haben, Bienen zu zähmen und den Schlangen Sinn für Musik und Gesang beizubringen. Da beides auf feststehenden Tatsachen beruht, gibt es der Eigenart des Marquis kein anderes Gepräge als das der Neuheit, die er oft anderen anerkannten Vorzügen vorzieht.
Ich habe einen sehr fesselnden Brief abgeschrieben, den er mir 1773 aus Mantua sandte.
„Ich sah ihn (Wildmann) im Haag, als ich dort verhaftet wurde[62]. Bevor ich meinen Degen abgab, bestand ich darauf, d’Affry, den französischen Botschafter bei den Generalstaaten, zu sprechen. Ich wurde in meinem Wagen hingebracht, in Begleitung des Offiziers, der mich zu bewachen[S. 63] hatte. Der Gesandte empfing mich, als ob er überrascht sei, mich zu sehen; bald aber gebot er dem Wächter, sich zurückzuziehen und vor allem den Herren Bürgermeistern zu melden, daß ich die Protektion des Königs besäße und somit unter dem Schutz Sr. Majestät stände, solange ich in Holland bliebe. Ich glaubte, dem Offizier einen Diamanten von reinstem Wasser und von, wenn ich so sagen darf, ungewöhnlichem Karat anbieten zu sollen, aber er lehnte ihn ab, und da all mein Zureden fruchtlos blieb, zerschlug ich den Stein mit einem großen Hammer in mehrere Stücke, die die Lakaien zu ihrem Profit auflasen. Der Verlust des Diamanten, der in Brasilien und im Reiche des Mogul als solcher anerkannt worden, war mir indes nicht gleichgültig, zumal seine Herstellung mir unendliche Mühe gekostet hatte. Graf Zobor, der Kammerherr des verstorbenen Kaisers[63] (ein unvergeßlicher Fürst durch seine erhabenen Eigenschaften wie durch den Schutz, den er den Künsten gewährte), hat Diamanten mit mir gemacht[64]. Prinz T.... hat vor etwa sechs Jahren einen von mir hergestellten für 5500 Louisdors gekauft und ihn dann mit 1000 Dukaten Gewinn an einen reichen Narren verkauft. Man muß in der Tat ein König oder ein Narr sein, sagte der Graf von Barre, um für einen Diamanten erhebliche Summen auszugeben. Da die Narren im Schachspiel[65] übrigens den Königen am nächsten stehen, so verletzt das griechische Sprichwort: Βασιλεῦς ἤ Ὄνος (König oder Esel) und das andere: Aut regem aut fatuum nasci oportet[66] keinen Menschen. Frau[S. 64] von S... hatte einen vom gleichen bläulichen Wasser und ebenso schlecht geschnitten wie jener; in der Fassung sah er wie ein großer böhmischer Stein mit mattem Schliff aus.
„Nun, mein Herr, ein Mann wie ich ist bei der Wahl seiner Mittel sehr oft in Verlegenheit, und wenn es zutrifft, daß die Narren oder die Könige die einzigen sind, denen man einen großen Diamanten anbieten kann, so verdiente ich die Ablehnung des Offiziers; das Unrecht war ganz auf meiner Seite. Übrigens ist der Mensch geneigt, bei den Kunstfertigkeiten oft gewisse Leistungen, die allein auf Rechnung des Künstlers kommen, der Natur zuzuschreiben. Ein Pott, ein Marggraf, ein Rouelle[67] verkünden von ihrem Dreifuß, daß niemand Diamanten gemacht hat, weil sie die Gründe nicht kennen, die dem Gelingen entgegenstehen. Wenn alle diese Herren (ihre Zahl ist groß) die Menschen mehr studieren wollten als die Bücher, so würden sie bei ihnen Geheimnisse entdecken, die sie in der „Goldenen Kette Homers“ und dem großen und kleinen „Albertus“, in dem geheimnisreichen Band „Picatrix“[68] usw. nicht finden. Die großen Entdeckungen werden nur dem zuteil, der reist.
„Ich verdanke die Entdeckung des Schmelzens der Edelsteine der zweiten Reise nach Indien, die ich 1755 mit dem Oberst Clive[69] unter dem Befehl des Vizeadmirals Watson[70] machte. Auf meiner ersten Fahrt hatte ich nur sehr geringe Kenntnisse über dies wunderbare Geheimnis erworben. Alle meine Versuche in Wien,[S. 65] in Paris, in London galten nur als Proben; den Stein der Weisen zu finden, war mir in der genannten Zeit beschieden.
„Aus guten Gründen gab ich mich bei dem Geschwader nur als Graf C...z aus. Überall, wo wir landeten, genoß ich die gleichen Auszeichnungen wie der Admiral. Ohne mich nach meinem Vaterlande zu fragen, erzählte der Nabob von Baba mir nur von England. Ich entsinne mich, mit welchem Vergnügen er meiner Beschreibung vom Pferderennen zu Newmarket zuhörte. Ich erzählte ihm, daß ein berühmtes Pferd namens Eclipse schneller sei als der Wind, und ich log nicht; denn angenommen, daß dies Pferd in einer Minute eine englische Meile lief, d. h. 82½ Fuß in der Sekunde, könnte man, selbst wenn es diesen rasenden Lauf nur ein bis zwei Minuten aushielt, ohne Gefahr begründeten Widerspruchs behaupten, daß ein solches Pferd vor dem Winde herlief; denn dessen größte Geschwindigkeit beträgt 85 Fuß im freien Raum, und ein Schiff, das auch nur ein Drittel seines Anpralls aushielte, würde 6 (französische) Meilen in der Stunde vorwärts getrieben werden, was der größten bekannten Fahrtgeschwindigkeit entspricht.
„Der Nabob schlug mir vor, ihm meinen Sohn, den ich mithatte, dazulassen. Er nannte ihn seinen Lord Bute[71], nach dem Muster seiner Höflinge, die sämtlich englische Namen trugen. Dieser Nabob hatte unter seinen Kindern einen Prinzen von Wales, einen Herzog von Glocester, einen Herzog von Cumberland usw. Als Watson ihn besuchte, erkundigte er sich nach dem Befinden des Königs Georg, und als er erfuhr, daß dieser einen Sohn verloren[S. 66] hatte[72], rief er seufzend aus: „Auch ich habe meinen Prinzen von Wales verloren!“
Der Marquis Belmar.“
Eine Gabe, die Herr von Belmar allein besitzt und die in den Familien gelernt und gepflegt zu werden verdiente, ist, mit beiden Händen zugleich zu schreiben. Ich diktierte ihm etwa zwanzig Verse aus „Zaïre“[73], die er auf zwei Blättern Papier in denselben Schriftzügen zugleich schrieb. „Ich tauge nicht viel,“ sagte er zu mir, „aber Sie werden zugeben, daß ich meinen Sekretär ganz umsonst ernähre. Die Fortschritte in den Kunstfertigkeiten sind langsam; man beginnt mit Versuchen und gelangt schließlich zu einem festen System.“
**
*
Am Schluß berichtigt Lamberg die Angabe der in Florenz erscheinenden Zeitung „Le notizie del mondo“, die im Juli 1770 unter der Rubrik „Nachrichten aus der Welt“ die Mitteilung gebracht hatte:
„Tunis, Juli 1770. Der kaiserliche Kammerherr Graf Maximilian Lamberg hat der Insel Korsika einen Besuch abgestattet, um verschiedene Forschungen anzustellen. Er weilt hier seit Ende Juni in Gesellschaft des Herrn von Saint-Germain, der in Europa wegen seiner umfassenden politischen und philosophischen Kenntnisse berühmt ist[74].“
Lamberg dementiert diese Nachricht mit dem Hinweise, daß ihn die Zeitung zum Reisegefährten Saint-Germains in Afrika mache, „zu einer Zeit, wo Herr von Belmar aus Genua an einen Freund in Livorno schrieb, er wolle[S. 67] nach Wien gehen, um den Prinzen Ferdinand von Lobkowitz[75] wiederzusehen, dessen Bekanntschaft er 1745 in London gemacht hatte.“
„Herr von Saint-Germain hat ziemlich lange in Paris gelebt und das allgemeine Gespräch gebildet. Er behauptete tatsächlich, vierhundert Jahre alt zu sein. Ich war sehr gespannt, ihn zu sehen. Eines Tages traf ich ihn bei der verstorbenen Prinzessin von Talmond. Ich fühlte ihm auf den Zahn und hörte ihm aufmerksam zu. Er schien mir sehr kenntnisreich und sehr unterhaltend. Abends erzählte ich von der zufälligen Begegnung in einem Hause, wo ich zur Nacht speiste. Ich sagte, ich hätte den berühmten Grafen von Saint-Germain gesehen. Man fragte mich, ob er wirklich 400 Jahre alt sei, wie er behaupte. Ich entgegnete kalt: „Ich glaube, er übertreibt. Er sieht nicht älter aus als 200 Jahre.“ Im übrigen empfiehlt sich dieser berühmte Abenteurer, der einen guten Teil seines Lebens mit der Leichtgläubigkeit der Menschen gespielt zu haben scheint, durch seine Kenntnisse und Talente. Die Eigenartigkeit ist durchaus nicht sein einziger Vorzug; man täte ihm Unrecht mit der Annahme, daß sein Ruf nur darauf beruht. Seine Reisen und Forschungen würden eigenartiges und nützliches Material für einen Schriftsteller liefern, der über sichere Nachrichten verfügt.“
[S. 68]
Cagliostro[78] ist undurchdringlich und ebenso eigenartig wie der Graf von Saint-Germain, dessen Schüler er sein soll, wenn er auch seinem Meister an Talenten und Genie weit nachsteht. Dieser verdankte seine Berühmtheit seinem Wissen; jener verdankt sie dem Glück und dem Ränkespiel: Mundus vult decipi[79].
Der brandenburgische Forscher Moehsen schreibt im Anschluß an Lamberg in seinen „Beiträgen zur Geschichte der Wissenschaften in der Mark Brandenburg“, S. 22 (Berlin und Leipzig 1783):
„So hat auch in unseren Tagen der berühmte Marquis Belmar oder Graf Saint-Germain von der außerordentlichen Kraft eines solchen Verjüngungsbalsams eine große Erfahrung durch einen Apostolischen K. K. Kammerherrn bekannt werden lassen. Eine alte Dame hatte sich zu stark damit gerieben und sahe sich in kurzer Zeit in den Zustand eines Embryons versetzt, und man kann sich vorstellen, wie künstlich und beschwerlich es dem Herrn Grafen geworden, wenn er sie wieder zur Welt bringen und aufpäppeln müssen.“
[S. 70]
Ich komme nun zu einer seltsamen Persönlichkeit, die ich länger als ein halbes Jahr fast täglich gesehen habe. Das war der berühmte Schwindler Graf Saint-Germain. Er sah damals höchstens wie ein Fünfundvierzigjähriger aus, aber nach dem Zeugnis von Leuten, die ihn 30 bis 35 Jahre vorher gesehen, war er sicherlich weit älter.
Er war nicht ganz mittelgroß, gut gewachsen und hatte einen sehr leichten Gang. Seine Haare waren schwarz, seine Haut stark gebräunt, sein Gesichtsausdruck sehr geistreich, seine Züge ziemlich regelmäßig. Er sprach fließend Französisch, ohne eine Spur von Akzent, ebenso Englisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch.
Er war ein hervorragender Musiker, begleitete auf dem Klavier aus dem Kopfe alles, was man sang, und mit solcher Vollendung, daß Philidor[83] darüber erstaunt war, ebenso über sein Präludieren.
[S. 71]
Er war ein guter Physiker und ein großer Chemiker. Mein Vater, der das wohl beurteilen konnte, bewunderte seine Kenntnisse auf diesem Gebiet sehr. Er malte auch in Öl, freilich nicht hervorragend, aber doch nett. Er hatte ein Geheimverfahren für wirklich prachtvolle Farben, durch das seine Bilder hervorragend ausfielen. Er malte im Stil der Historienmalerei; seine Frauengestalten waren stets mit Juwelen geschmückt. Für diese Schmuckstücke benutzte er seine Farben, und seine Smaragde, Saphire, Rubinen usw. hatten wirklich die Leuchtkraft, den Wiederschein und Glanz der wirklichen Steine. Latour, Vanloo[84] und andere Maler besichtigten seine Gemälde und bewunderten aufs höchste den erstaunlichen Kunstgriff dieser leuchtenden Farben, die allerdings den Nachteil hatten, die Gesichter auszulöschen und ihre Naturwahrheit durch ihre überraschende Täuschung zu zerstören. Aber für die Ornamentalmalerei hätten diese seltsamen Farben von großem Nutzen sein können, hätte Saint-Germain das Verfahren nicht geheim gehalten.
Im Gespräch war er belehrend und unterhaltend. Er war viel gereist und beherrschte die neuere Geschichte mit erstaunlicher Kenntnis der Einzelheiten. Man sagte daher, er spräche von längst verstorbenen Personen, als hätte er mit ihnen gelebt. Aber ich habe dergleichen aus seinem Munde nie gehört.
Er zeigte die besten Grundsätze, erfüllte gewissenhaft alle äußeren Pflichten der Religion, war sehr wohltätig und, wie allgemein zugegeben wurde, von größter Sittenreinheit. Kurz, in seinem Benehmen wie in seinen Reden war alles gesetzt und moralisch.
[S. 72]
Dieser Mann erschien außergewöhnlich durch seine Talente, seine umfassenden Kenntnisse und alles, was persönliche Achtung verschafft — Wissen, vornehmes, gesetztes Wesen, lauteren Wandel, Wohlstand und Wohltätigkeit. Trotzdem war er ein Schwindler oder doch ein halber Narr, der sich Maßloses auf seine paar besonderen Geheimmittel einbildete, die ihm eine kräftige Gesundheit und ein längeres Leben als das des Durchschnitts der Menschen verschafft hatten. Ich bin überzeugt, und mein Vater glaubte es fest, daß Saint-Germain, der damals höchstens 45 Jahre alt schien, mindestens 90 alt war. Triebe der Mensch nicht Mißbrauch mit allem, so würde er insgemein noch zu höheren Jahren kommen; Beispiele dafür sind vorhanden. Ohne unsere Leidenschaften und unsere Unmäßigkeit würden wir 100 Jahre alt werden und bei sehr hohem Alter 150 bis 160 Jahre. Dann stände man mit 90 Jahren in der Kraft eines Vierzig- bis Fünfzigjährigen. Somit hat meine Annahme über Saint-Germain nichts Ungereimtes, vorausgesetzt, daß er mit Hilfe der Chemie die Bereitung eines Trankes oder einer Flüssigkeit gefunden hätte, die seinem Temperament entsprach. Auch ohne an den Stein der Weisen zu glauben, könnte man annehmen, daß er damals viel älter war, als ich hier voraussetze.
In den ersten vier Monaten unseres vertrauten Umgangs tat Herr von Saint-Germain keine maßlose Äußerung, ja nicht mal eine ungewöhnliche. In seinem Wesen lag etwas so Gesetztes und Achtenswertes, daß meine Mutter ihn gar nicht über die Seltsamkeiten, die man von ihm behauptete, zu fragen wagte. Eines Abends jedoch, als er mich beim Vortrag mehrerer italienischen Arien nach dem Gehör begleitet hatte, sagte er zu mir, ich würde in vier bis fünf Jahren eine sehr schöne Stimme[S. 73] haben. „Und wenn Sie siebzehn bis achtzehn Jahre alt sind,“ setzte er hinzu, „würden Sie dann nicht gern in diesem Alter bleiben, wenigstens für eine lange Reihe von Jahren?“ Ich wäre entzückt darüber, entgegnete ich. „Wohlan!“ fuhr er tiefernst fort, „das verspreche ich Ihnen.“ Und sofort ging er auf andere Dinge über.
Diese paar Worte ermutigten meine Mutter, ihn kurz darauf zu fragen, ob er wirklich aus Deutschland stamme. Da schüttelte er geheimnisvoll den Kopf und versetzte mit einem tiefen Seufzer: „Alles, was ich Ihnen über meine Herkunft sagen kann, ist, daß ich mit sieben Jahren in Begleitung meines Gouverneurs durch die Wälder irrte und daß auf meinen Kopf ein Preis gesetzt war!“ Bei diesen Worten schauderte ich, denn die Ehrlichkeit dieser großen Offenbarung stand für mich außer Zweifel. „Am Tage vor meiner Flucht“, fuhr Saint-Germain fort, „befestigte meine Mutter, die ich nicht wiedersehen sollte, ihr Bild an meinem Arme.“
„Ach Gott!“ rief ich aus. Bei diesem Ausruf blickte Saint-Germain mich an und schien gerührt, weil er meine Augen voller Tränen sah.
„Ich will es Ihnen zeigen“, sagte er.
Damit schlug er seinen Ärmel zurück und zeigte ein Armband mit schöner Emailmalerei, das eine bildschöne Frau darstellte. Ich betrachtete es mit tiefer Bewegung. Saint-Germain sagte nichts weiter und ging auf ein anderes Thema über.
Als er fort war, machte sich meine Mutter zu meinem großen Kummer über seine „Ächtung“ und seine „Königin-Mutter“ lustig; denn der Preis, der mit sieben Jahren auf seinen Kopf gesetzt war, die Flucht in die Wälder mit seinem Gouverneur ließen durchblicken, daß er der[S. 74] Sohn eines entthronten Herrschers war. Ich glaubte an diesen Königsroman und wollte daran glauben, so daß die Scherze meiner Mutter mich sehr verdrossen. Seit jenem Tage sagte Saint-Germain nichts Bemerkenswertes mehr in dieser Hinsicht; er sprach nur noch von Musik, Kunst und Merkwürdigkeiten, die er auf seinen Reisen gesehen.
Er brachte mir jedesmal ausgezeichnete Bonbons in Fruchtform mit, die er, wie er versicherte, selbst gemacht hatte. Von allen seinen Talenten war mir dies nicht das unliebste. Er gab mir auch eine sehr merkwürdige Bonbonniere, deren Deckel er angefertigt hatte. Die Schachtel war aus schwarzem Perlmutter und sehr groß. Der Deckel war mit einem weit kleineren Achat verziert. Stellte man die Schachtel ans Feuer und nahm sie gleich darauf wieder fort, so sah man den Achat nicht mehr, sondern an seiner Stelle eine hübsche Miniatur, die eine Schäferin mit einem Blumenkorb darstellte. Diese Figur blieb so lange, bis die Schachtel wieder erwärmt wurde; dann erschien der Achat wieder und verdeckte die Darstellung. Das wäre ein reizendes Mittel, ein Bild zu verbergen. Ich habe seitdem eine Zusammensetzung entdeckt, mit der ich alle möglichen Steine, selbst durchsichtige Achate, täuschend ähnlich nachahme. Durch diese Erfindung habe ich den Kunstgriff von Saint-Germains Schachtel erraten.
Um mit meinen Erinnerungen über den seltsamen Mann zu schließen, muß ich sagen, daß ich 15 bis 16 Jahre später bei der Durchreise durch Siena in Italien erfuhr, daß er in dieser Stadt wohnte und daß man ihn nicht für älter als 50 Jahre hielte. 16 bis 17 Jahre darauf, als ich in Holstein war, hörte ich vom Prinzen von Hessen, dem Schwager des Königs von Dänemark und Schwiegervater[S. 75] des (heute regierenden) Kronprinzen[85], daß Saint-Germain ein halbes Jahr vor meiner Reise nach Holstein bei ihm gestorben sei. Der Prinz ging auf alle meine Fragen über den berühmten Mann ein. Wie er mir sagte, sah er zur Zeit seines Todes weder alt noch gebrechlich aus; nur schien er von einer unbezwinglichen Trübsal verzehrt. Der Prinz hatte ihm in seinem Schloß eine Wohnung angewiesen und machte mit ihm chemische Experimente. Saint-Germain war nicht als armer Mann zu ihm gekommen, doch ohne Begleitung und ohne glänzendes Auftreten. Er besaß noch mehrere schöne Diamanten. Er starb an Auszehrung, und zwar unter Zeichen furchtbarer Todesangst. Selbst sein Verstand war getrübt. Zwei Monate vor seinem Tode war er ganz geistesgestört. Alles an ihm deutete auf ein gequältes Gewissen hin, das sein Inneres in ungeheuren Aufruhr versetzte. Diese Erzählung betrübte mich; ich hatte noch immer viel für diesen seltsamen Mann übrig.
[S. 76]
Unter den Flüchtlingen, die Holland aufnimmt, gibt es Leute, deren fabelhafte Abenteuer unaufklärbar sind und bleiben. Im Jahre 1758 kam aus Frankreich nach Utrecht eine Frau von 36 Jahren, die durch Ton, Wesen und Benehmen eine gute Erziehung, ja vielleicht vornehme Herkunft verriet. Daran änderte sich nichts in den vier Jahren, die sie in einem Zimmer des Gasthofes, in dem ich wohnte, verbrachte. Sie hatte keine Bekannten und keinen Verkehr nach auswärts, außer daß sie vierteljährlich eine sehr anständige Rente erhielt. Umsonst hatte sie die besorgte Neugier des Wirtes erregt, der nach ihrem Fortgehen vergeblich seine Nachforschungen fortsetzte. Er schien noch voller Bewunderung für die Frömmigkeit und unveränderliche Sanftmut der „schönen Dame“, die er im Verdacht hatte, mit einem berühmten Abenteurer in Verbindung zu stehen: dem sogenannten Grafen Saint-Germain, der in Holland glänzend auftrat, mit allen europäischen Herrschern in Briefwechsel zu stehen behauptete, sich ein Alter von 74 Jahren beilegte, obwohl er erst ein Fünfziger zu sein schien, und den Stein der Weisen zu besitzen vorgab.
[S. 77]
Seit zehn Jahren war die „schöne Dame“ von Utrecht nach Amsterdam übergesiedelt, und da ihre Rente ausblieb, hatte sie eine Stelle in einer alten Wohltätigkeitsanstalt der französischen Kirche erhalten. Sie bildet noch heute die Erbauung dieser Anstalt durch ihre Sanftmut und Frömmigkeit und alle christlichen und menschlichen Tugenden. Hätte ich Holland über Amsterdam statt über Utrecht verlassen, so hätte ich durch gründliche Nachforschungen vielleicht alles herausgebracht, was von ihr zu erfahren war.
Das Ergebnis meiner Nachforschungen über den Grafen Saint-Germain, dessen Geschichte mit der ihren verknüpft war, bilden folgende Einzelheiten, die ein Engländer seinen Landsleuten im London Chronicle vom 5. Juni 1760 zum besten gegeben hat. Der Graf Saint-Germain hatte Paris auf höheren Befehl verlassen und war nach London gegangen[87], wo er die öffentliche Aufmerksamkeit bald erregte und sie so lange fesselte, bis er nach den nordischen Ländern spurlos verschwand. Nachfolgend die wörtliche Übersetzung jenes Zeitungsartikels.
Der London Chronicle
vom 5. Juni 1760
„Welche Gründe den geheimnisvollen Fremdling hierher geführt haben, ist völlig unbekannt, ebenso weshalb der Hof solches Aufheben von ihm gemacht hat. Sein rätselhaftes Leben und die seltsamen Dinge, die von ihm erzählt werden, geben seinen gewöhnlichsten Handlungen, deren Schauplatz ganz Europa ist, etwas Besonderes.
„Die ehrenvollen Titel, mit denen er sich schmückt, verdankt er weder seiner Geburt noch irgendwelcher[S. 78] Fürstengunst. Selbst sein Name ist ein Geheimnis, das bei seinem Tode noch mehr Verwunderung erregen wird als alle wunderbaren Ereignisse seines Lebens. Sein jetziger Name ist angenommen.
„Das Wort „Unbekannter“, mit dem man ihn bezeichnet, ist zu schwach; die Bezeichnung „Abenteurer“ und „Glücksritter“ aber gehen von niedrigen Voraussetzungen aus, die nicht seinem Wandel entsprechen. Sie träfen nur zu, wenn man damit einen Mann — ich möchte fast sagen, einen vornehmen Mann — bezeichnete, der viel ausgibt und von niemandem abhängt, dessen Einnahmequellen unbekannt sind, der aber die der Gauner verschmäht, und dem von keinem Menschen und nirgendwo nachgesagt werden kann, daß er ihn benachteiligt hätte.
„Unsere Kenntnis über sein Vaterland ist ebenso gering wie über seine Herkunft. Die gewagtesten Vermutungen füllen die Lücken aus, und auf dieser Grundlage hat niedrige Gesinnung, die überall etwas Schlechtes annimmt und sieht, Geschichten erfunden, die ebenso lächerlich wie für ihren Helden entehrend sind. Es wäre aber recht und billig, mit dem Urteil zurückzuhalten, bevor man ihn kennt, und Menschenpflicht wäre es, diese widersinnigen, haltlosen Geschichten nicht kritiklos hinzunehmen. Beschränkt man sich auf das, was bekannt ist, so erscheint er nur als ein Unbekannter, dem niemand etwas vorzuwerfen hat und dem Mittel unbekannten Ursprungs zur Verfügung stehen, um in dieser Weise seit geraumer Zeit aufzutreten. Vor Jahren tauchte er in England auf[88]. Seitdem hat er die größten europäischen Höfe mit dem glänzenden Gefolge eines vornehmen Fremden besucht.
[S. 79]
„Gil Blas’ Meister[89] hatte stets Geld, ohne daß man wußte, woher. Das trifft auch auf unseren Unbekannten zu. Sein Wandel ist unter den heikelsten Umständen beobachtet und verfolgt worden, und er hat sich als harmlos und geregelt erwiesen. Zwischen dem Romanhelden und dem unseren besteht nur der Unterschied, daß er alle seine Schätze in winzigem Umfange von unbekannter Form mit sich zu führen scheint. Man könnte den Vergleich mit der Phiole der Alchimisten ziehen, die die Grundstoffe enthält, mit denen sie alle ihre Operationen vornehmen. Nie hat man vor seiner Haustür Tonnen voll Silber abladen sehen, deren er doch bedurft hätte, um ein so großes Haus zu führen.
„Geschickt erfaßt er die Lieblingsneigung jeder Nation, bei derer sich zeigt; dadurch hat er sich überall anziehend und angenehm zu machen gewußt. Bei seiner ersten Reise nach England fand er eine große Vorliebe für Musik vor und entzückte uns durch sein Geigenspiel. Seine Begabung für dies Instrument ist so hervorragend, daß man mit einem unserer Dichter sagen könnte, er sei mit der Violine in der Hand geboren. Italien fand ihn seinen Virtuosen ebenbürtig, ebenso seinen feinsten Kennern der alten und neueren Kunst. Deutschland stellte ihn auf die gleiche Stufe mit seinen geübtesten Chemikern.
„Bei seinen umfangreichen und mannigfaltigen Kenntnissen bildete es eine besondere Empfehlung, daß er sich niemals mit einer anderen Kunst beschäftigt zu haben schien als eben der, in der er hervorragen wollte. So trat er in der Musik als ausübender Künstler wie als Komponist stets mit der gleichen Virtuosität und dem gleichen[S. 80] Erfolg auf, und seine Unterhaltung drehte sich stets um diese Kunst, der er tausend bildliche Ausdrücke entlehnte.
„Aus Deutschland brachte er nach Frankreich den Ruf eines perfekten Alchimisten mit, der den Stein der Weisen und die Universalmedizin besaß. Er sollte Gold machen können, eine Behauptung, die sein glänzendes Auftreten und seine Ausgaben zu rechtfertigen schienen. Die Sache kam selbst dem Minister zu Ohren, der lächelnd sagte, er werde schon herauskriegen, aus welcher Mine er sein Gold bezöge. Doch vergebens stellte er die genauesten Nachforschungen über das Papiergeld und die Wechselbriefe an, in denen er jene Mine erblickte. Während dieser zweijährigen Nachforschungen lebte Saint-Germain wie gewöhnlich, bezahlte überall in klingender Münze, ohne daß man entdecken konnte, daß ein Wechselbrief für ihn nach Frankreich gelangt wäre. Dadurch wurden die Gerüchte bestärkt, er sei im Besitz des Steines der Weisen, und man schrieb ihm nun auch ein Allheilmittel, selbst ein Elixier gegen das Altwerden und seine Folgen zu.
„Eine vornehme Dame wollte die Probe machen. Als gefallsüchtige Frau sah sie mit Schmerz, daß die Jahre ihre Züge zu entstellen begannen. Sie geht zu dem Fremdling und sagt: „Herr Graf, was ich Ihnen sagen werde, wird Ihnen vielleicht etwas wunderlich erscheinen. Aber Sie sind die Gefälligkeit selbst; darum zur Sache. Wie man sagt, besitzen Sie noch etwas Besseres als das Geheimnis, Gold zu machen: die Gabe, die Gebrechen des Alters zu heilen, ja ihnen vorzubeugen. Noch bin ich von ihnen verschont, doch die Jahre gehen hin, und ich möchte nicht warten, bis ich es nötig habe. Reden Sie frei heraus: besitzen Sie diese Art Medizin? Wollen Sie sie mir geben, und unter welchen Bedingungen?“
[S. 81]
„Der Unbekannte hüllte sich in geheimnisvolle Zurückhaltung und sagte nur, wer solche Geheimnisse besäße, vermiede es, daß man davon erführe. „Das weiß ich wohl“, entgegnete die Fragerin und versprach ihm Geheimhaltung. Da sagt er zu, und am nächsten Tage bringt er ihr ein Fläschchen von 4 bis 5 Löffeln Inhalt und verordnet ihr, von diesem Elixier zehn Tropfen beim ersten Mondviertel und beim Vollmond zu nehmen. Das Mittel sei ganz harmlos, aber äußerst kostbar, und wenn es vergeudet werde, ließe es sich vielleicht nicht erneuern.
„Die Dame schloß das Fläschchen in Gegenwart ihrer Kammerfrauen ein. Sei es nun, um ihre Schwachheit zu verbergen oder die Neugier ihrer Kammerfrauen abzulenken, sie sagte ihnen, es sei ein Kolikmittel. Am selben Abend bekommt die erste Kammerfrau heftiges Leibschneiden. Sie geht an das Fläschchen, öffnet es, hält es an die Nase, kostet es, und da sie den Geschmack ebenso köstlich findet wie den Duft, trinkt sie es aus. Das Mittel wirkt ebenso rasch wie sicher. Die Flüssigkeit war wasserhell. Um ihren Diebstahl zu verbergen, füllt sie das Fläschchen mit gewöhnlichem Wasser, in der Hoffnung, daß ihre Herrin nicht so bald Gebrauch davon machen werde; dann sinkt sie in tiefen Schlaf.
„Gegen Morgen kommt ihre Herrin nach Hause, geht in ihr Zimmer, ruft ihre Kammerfrauen zum Auskleiden und blickt die an, die das Fläschchen ausgetrunken hat. „Was machen Sie hier bei mir?“ fragt sie. „Woher kommen Sie?“ Die Gefragte macht statt jeder Antwort eine tiefe Verbeugung. „Nun, was wollen Sie hier?“ fährt die Herrin ärgerlich fort. „Ich habe Sie nicht bestellt. Gehen Sie fort.“ — „Die Gnädige behandelt mich ungewöhnlich streng“, versetzt die Gescholtene. „Ich habe nie meine Pflicht versäumt. Leider war ich eingeschlafen,[S. 82] aber ist das etwas so Schlimmes?“ — „Wollen Sie mir was vormachen?“ entgegnet die Dame. „Ich kenne Sie nicht und habe Sie noch nie gesehen. Ich habe kein so junges Ding in meinem Dienst.“ — Damit klingelt sie und ruft nach Radegonde (so hieß die Kammerfrau, die das Fläschchen ausgetrunken hatte). „Aber hier bin ich ja, gnädige Frau!“ ruft sie aus. „Erkennen Sie mich nicht mehr?“ Sie blickt in den Spiegel und sieht zu ihrer größten Überraschung, daß sie wie ein sechzehnjähriges Mädchen aussieht, obwohl sie 45 Jahre alt ist.
„Ganz Frankreich hat bei diesem seltsamen Ereignis ein Wunder ausgeschrieen. Aber der Fremde war verschwunden, und die unglückliche Dame sah sich dazu verdammt, eine alte Frau zu werden.
„So erzählt man sich die Geschichte in Paris und wird sie wohl noch mehrere Menschenalter erzählen. Hatte der Inhalt des Fläschchens die Fünfundvierzigjährige zur Sechzehnjährigen gemacht? War diese Metamorphose nicht von dem Grafen ins Werk gesetzt? Ich vermag es nicht zu entscheiden.“
Wägt man die Einzelheiten, wie sie London Chronicle angibt, so wird man sie nicht sowohl als Nachrichten über den Grafen Saint-Germain, als vielmehr als Nachrichten von ihm ansehen, die er der englischen Zeitung mitgeteilt hatte, um Nachforschungen zu vereiteln und die für seine Rolle nötige Illusion aufrechtzuerhalten. Diese Rolle war zweifellos die eines Spions in höherem Auftrage, dem seine Auftraggeber die Mittel gaben, durch sein glänzendes Auftreten und seine hohen Ausgaben zu imponieren, wozu dann noch die großen Talente des Grafen traten, die alle zusammengenommen das ausmachten, was die Italiener un gran furbo nennen.
[S. 83]
Herr de l’Épine Danican hatte sich ihm während seines Aufenthalts in Frankreich angeschlossen und sich seine sehr ausgedehnten metallurgischen Kenntnisse zunutze gemacht, um die bisher unbekannten Bergwerke in der unteren Bretagne auszubeuten. Derselbe Danican wollte den Grafen von Saint-Germain in einem gut aussehenden Manne wiedererkennen, der zeitlebens im Zuchthause von Brest eingekerkert war, weil er bei Hofe zur Zeit des Attentats[90] auf den König eine Schmähschrift geschrieben hatte, derentwegen er auf Befehl des Ministers lebenslänglich eingekerkert wurde, ein Befehl, den seine Nachfolger bestätigt oder nicht widerrufen haben.
Dieser Mann, den ich 1776 in dem genannten Zuchthause sah, war von guter Figur, imponierendem Äußern und ehrwürdigem Alter. Seine Zelle stieß an einen der Säle des Zuchthauses. Er bekam sein Essen vom Tische des Zuchthausdirektors, ging täglich zur Messe, kommunizierte jeden Sonntag und nannte sich Ludwig von Bourbon. Die Fürsten und Minister, die seitdem nach Brest kamen, haben ihn dort gesehen und gesprochen. In den Denkwürdigkeiten zur Geschichte dieses Jahrhunderts wird er als Doppelgänger des Mannes mit der eisernen Maske[91] dastehen. —
Drei Jahre nach der Niederschrift des Vorstehenden sagte mir ein Holländer, es sei in Holland bekannt, daß der Graf Saint-Germain der Sohn einer zu Anfang dieses Jahrhunderts nach Bayonne geflüchteten Fürstin[92] und[S. 84] eines Juden aus Bordeaux sei. Bei der Rückkehr in die Heimat wurde sie von einem Großwürdenträger des Hofes ihres Gemahls mit einer Ansprache vorgestellt, die des Lobes von ihr voll war. Der Marchese del Carpio, der mit ihrem Empfange betraut war, trat auf den Redner zu, und statt jeder Antwort sagte er ihm leise ins Ohr: „Ist sie in anderen Umständen?“
[S. 85]
König Friedrich der Große liebte nach der Überlieferung seines Kammerhusaren Schöning[93] folgende Anekdote zu erzählen: „Der bekannte Graf Saint-Germain gab vor, daß er über 2000 Jahre alt sei und sich unter anderem viel im Gelobten Lande aufgehalten habe. ‚Sie müssen also Herrn Jesus Christus gesehen haben?’ frug ihn jemand. — ‚Ich habe ihn wohl gekannt. Man konnte sehr gut mit ihm auskommen. Aber seit der Geschichte mit dem Tempel hatte ich ihn aus den Augen verloren.’ Dieser wandte sich darauf an Saint-Germains Bedienten, um zu sehen, ob der auch so gut wie sein Herr lügen könnte: ‚Ist es denn wahr, lieber Freund, daß Ihr Herr so alt ist?’ — ‚Ach, mein Herr, das kann ich Ihnen nicht sagen; denn ich bin erst 300 Jahre in seinen Diensten.’“
Der französische Geschäftsträger in Petersburg, Chevalier Corberon, erzählt in seinen Aufzeichnungen[94] unter dem 30. März 1776 von einer Unterhaltung mit einem Kaufmann Pictet aus Genf:
[S. 86]
„Die Rede kam auf den Grafen von Saint-Germain, den Pictet kannte. Ihm hat er Dinge über seine Familie erzählt, ebenso dem Marquis du Gouffier[95] über die seine. Pictet hält ihn für einen großen Chemiker und glaubt, daß er ein Geheimmittel besitzt, um einen fleckigen Diamanten tadellos zu machen. Und zwar glaubt er das, weil Pictets Schwiegervater, der Steinschleifer Magnan, alle Diamanten mit irgendwelchen Fehlern beiseite legte und sagte, dies geschähe für den Grafen Saint-Germain.“
Graf Lehndorff (1727-1811), der ehemalige Kammerherr der Gemahlin Friedrichs des Großen[96], berichtet im Februar 1776 über eine Unterredung mit dem Malteserritter, Graf Sagramoso, der Gesandter in Warschau war:
„Er hat den berüchtigten Grafen Saint-Germain sehr gut gekannt, der sich für ewig ausgibt, und mir von ihm die folgende Anekdote erzählt: Bei einer Aufführung des Trauerspiels ‚Mariamne’[97] erklärte er, er sei doppelt davon gerührt, da er diese liebenswürdige Fürstin sehr gut gekannt habe. Eine anwesende Dame, die ihn in Verlegenheit setzen wollte, nahm darauf das Wort und sagte zu ihm: ‚Dann haben Sie auch wohl unseren Herrn[S. 87] Jesus Christus gekannt?’ — ‚Ob ich ihn gekannt habe!’ erwiderte er; ‚so gut, daß ich ihm sagte, als er jene Geschichte im Tempel hatte: Lieber Freund, das kann nicht gut enden.’“
Madame Campan, Kammerfrau der Königin Marie Antoinette, berichtet in den „Anekdoten über die Regierung Ludwigs XV.“[98] von einer Frau von Marchais:
„Sie behielt im höchsten Alter das schönste Haar. Angeblich hatte ihr der berüchtigte Graf Saint-Germain, der am Hofe Ludwigs XV. als hochberühmter Alchimist auftrat, ein Elixier gegeben, das die Haare erhielt und sie vor dem Ergrauen bewahrte.“
Der weimarische Legationsrat Friedrich Johann Justin Bertuch (1747-1822) erzählt in seiner Verdeutschung der Schrift: „Cagliostro in Warschau“, S. 28 Anmerkung (Straßburg 1786) vom Grafen Saint-Germain:
Sein sogenannter Kammerdiener war ihm heimlich durchgegangen und hatte ihm das Rezept zu seinem Wunderpulver gestohlen. Man bringt ihm die Nachricht, daß der Kerl sich irgendwo etabliert habe und damit kurieren wolle, und sagt ihm, es müsse ihm doch höchst unangenehm sein, sein arcanum auf diese Art gemißbraucht zu sehen. — „Nichts weniger!“ antwortet Saint-Germain darauf, „ich werde machen, daß es in des Kerls Händen nicht wirkt!“
[S. 88]
Graf Mirabeau (1749-1791), der berühmte französische Schriftsteller und Politiker, schreibt in seinem Werke „De la monarchie prussienne sous Frédéric le Grand“, Bd. 5, S. 69 (London 1788):
Saint-Germain, der von einem Grafen Lamberg in seinem „Tagebuch eines Weltkindes“ angekündigt worden war[99], hatte Jahrtausende gelebt. Er hatte einen Tee entdeckt, vor dem alle Krankheiten verschwanden. Er machte im Handumdrehen faustgroße Diamanten. Er schloß sich eng an den Prinzen Karl von Hessen an und vergaß, wie seine Vorgänger, nicht zu sterben.
[S. 89]
Ein anderer Wundermann war Saint-Germain, der am Hofe Ludwigs XV. eine Rolle spielte und hier, wie auf seinen Reisen, von der Leichtgläubigkeit der Menschen Vorteil zog. Der Graf von Lamberg[101] war sein Johannes gewesen und hatte ihn feierlich verkündet. Dieser Graf von Saint-Germain hatte mehrere tausend Jahre gelebt und mit den ausgezeichnetsten historischen Personen aller Jahrhunderte genauen Umgang gepflogen; denn er war im Besitz eines Tees, der alle Krankheiten vertrieb und ein wahres Kraut gegen den Tod war. Nur zu seiner Unterhaltung machte er Diamanten von unermeßlicher Größe. Als ein Unsterblicher nahm er nie leibliche Nahrung zu sich. Wenn er bei den Großen zur Tafel geladen worden, berührte er kein Brot, kein Fleisch, setzte kein Glas an seine Lippen, sondern begnügte sich, der Gesellschaft aus dem Schatz seiner tausendjährigen Erfahrung allerlei lehrreiche Geschichten zu erzählen. Mit Cäsar hatte er sich oft über die Mittel[S. 90] unterhalten, der in Verfall geratenen römischen Republik durch eine monarchische Verfassung ein neues, frisches Leben zu geben. Cäsar hatte darüber ganz eigene Ideen gehabt, die durch Unterhaltungen mit den Druiden in Britannien[102] in ihm geweckt worden. Einer von diesen Druiden sei sogar Privatsekretär bei Cäsar gewesen, und Saint-Germain hätte von ihm über den alten Zustand von Britannien viel Interessantes erfahren. Den Apostel Petrus hatte der Graf sehr genau gekannt und ihm oft freundschaftlich geraten, seine Heftigkeit zu mäßigen. Johannes sei ein schlanker, hübscher Mann gewesen, von sanftem Charakter und etwas zum Mystizismus geneigt; er habe seine Schriften dem Saint-Germain vor der Bekanntmachung mitgeteilt, der auch einige dunkle Stellen korrigiert habe.
Solche und ähnliche Geschichten erzählte der Graf mit der größten Ernsthaftigkeit, und gelehrte Männer hatten dabei nicht selten Gelegenheit, seine historischen Kenntnisse zu bewundern.
Er gesellte sich zuletzt zu dem Prinzen Karl von Hessen, dem er den Kopf verdrehte. Am Ende aber wurde dieser Unsterbliche des Lebens müde und starb wie jeder andere gewöhnliche Mensch, und wie alle seine Vorgänger auch getan haben.
[S. 91]
Die Marquise von Urfé[104] trachtete immerfort nach dem Pulver zur Verwandlung von Kupfer in Gold und arbeitete Tag und Nacht, um sich ein Lebenselixier herzustellen. Sie verließ ihr Laboratorium kaum noch und gewährte nur wenigen Zutritt dazu. Ihr Verkehr beschränkte sich auf Adepten und Rosenkreuzer[105]; sie ging[S. 92] nur noch mit Öfen, Retorten und Destillierkolben um. Vier Jahre lang arbeitete sie mit dem angeblichen Grafen von Saint-Germain an Kabbala und dem Stein der Weisen, was ihr 100000 Taler gekostet hat ...
Der Graf von Saint-Germain war ein Zeitgenosse Christi, des Kaisers Tiberius und des Vierfürsten Herodes von Galiläa, von dem er eine dicke braune Haarsträhne besaß. Er kannte Pontius Pilatus aus Jerusalem und aus Grenoble, seinem späteren Exil, aber dieser Mann war ein solcher Tropf, daß er vor Bekanntwerden der Evangelien nur eine undeutliche Erinnerung an Christus hatte ...
Eines Tages besuchte ich Frau von Urfé in Gesellschaft der Gräfin von Brionne. Obwohl die Alchimistin kaum noch Besuche annahm, wurde die Toreinfahrt beim Anblick meiner Livree geöffnet, und wir gingen hinauf. Man führte uns ohne Anmeldung zu ihr, wie es in diesem geheimnisvollen Hause Brauch war, und wir fanden die Marquise — es war im Juli — bei einem starken Kaminfeuer sitzend. Ihr gegenüber saß ein Mann, der wie zu Olims Zeiten gekleidet war. Auf dem Kopfe trug er eine große betreßte Kappe. Beim Erscheinen der Gräfin nahm er sie weder ab, noch stand er auf. Sie war darob sehr betroffen.
„Ich habe gestern einen Brief von Herrn von Créquy-Canaples erhalten“, sagte die Marquise von Urfé zu mir. „Er klagt, daß er in den Hundstagen im Artois friert.“ Teilnehmend setzte sie hinzu: „Er ist offenbar nicht mehr klar im Kopfe.“
„Bei Gott!“ rief der Herr laut und barsch, „ich weiß, woher das kommt! Ich kannte den alten Kardinal de Créquy[106].[S. 93] Ich habe ihn während der ersten Tagung des Konzils von Trient[107] oft gesehen. Er redete da nichts als dummes Zeug. Ich kann Ihnen versichern, daß er völlig überspannt war. Damals war er Bischof von Rennes.“
Ich erriet, daß ich Herrn von Saint-Germain vor mir hatte, dessen Aufschneidereien und die Geschichten, die man davon erzählte, mich stets geärgert hatten. Ich wandte mich mit offener, harmloser Miene an ihn und sagte:
„Sie meinen wohl: Bischof von Nantes?“
„Nein, Madame, Bischof von Rennes, Rennes in der Bretagne. Ich weiß sehr wohl, was ich sage und von wem ich rede!“
„Mein Herr,“ entgegnete ich etwas von oben herab und mit herausfordernder Lustigkeit, „Sie wissen offenbar nicht, mit wem Sie reden.“
„Madame!“ rief er mit Donnerstimme und warf mir wütende Blicke zu.
„Regen Sie sich doch nicht auf, mein Herr“, versetzte ich. „Und da Sie so vieles wissen, sagen Sie mir doch gütigst, wie ich heiße.“
„Unter anderem“, rief er im Ton eines Hierophanten, „tragen Sie einen Namen, dessen Wurzel kufisch, hebräisch und samaritanisch ist, einen gesegneten, sieghaften Namen, aber blutbedeckt, seines Glanzes beraubt und verderblich!“
„Ach!“ unterbrach ich ihn mit vorwurfsvoller, verletzter Miene, „ein durchaus kufischer und vor allem verderblicher Name! Dem werde ich gewiß nicht beistimmen!“
„Wie haben Sie nur erraten, daß sie Viktoria heißt?“ fragte ihn Frau von Urfé mit zärtlich bewunderndem Blick.
[S. 94]
„Es wäre mir lieber gewesen,“ fuhr ich etwas frostig fort, „wenn der Herr uns gesagt hätte, daß ich die Marquise von Créquy bin. Der Kardinal von Créquy“, setzte ich hinzu, „ist nie etwas anderes gewesen als Bischof von Nantes und Amiens, Erzbischof von Tyrus und Patriarch von Alexandria. Auch das Beiwort alt trifft auf ihn nicht zu, denn er starb mit 45 Jahren an der Pest, und was das dumme Zeug anlangt, das er bei der ersten Tagung des Konzils von Trient im Jahre 1545 geredet haben soll, so darf man ihm keinen allzu schweren Vorwurf daraus machen, denn er war damals erst fünf bis sechs Jahre alt ...“
„Madame, Sie beleidigen mich!“
„Nein, mein Herr, ich gebe Ihnen bloß eine Antwort, und ich beleidige Sie so wenig damit wie die Wahrheit.“
„Ich wette um 10000 Louisdors.“
„Mein Herr, ich lebe vom Ertrag meiner Landgüter und habe nicht 10000 Louisdors zu verwetten.“
„Dann wette ich um 100 Louisdors.“
„Lassen Sie es dabei bewenden“, entgegnete ich ihm in gebieterischem Tone, so daß er seine Schwindeleien und Grobheiten herunterschlucken mußte. „Nur Engländer oder Lakaien können eine Dame mit ‚Ich wette! Ich wette!’ herausfordern. Und auch nur, wenn sie keine triftigen Gründe haben.“
Frau von Urfé, die ich dabei anblickte, schien mir lächerlich verwirrt. Sie bat mich, weder zu Hause noch sonstwo darüber zu reden; denn sie fürchtete sich vor dem Kardinal Fleury[108], der kein Freund der Schwindler war, und das versprach ich ihr gern. Die Folge war, daß[S. 95] die Tür ihres Laboratoriums mir nur noch halb geöffnet wurde, und auch nur, wenn sie allein war.
Der Baron von Breteuil hatte als Minister des Königlichen Hauses[109] in den Archiven ausfindig gemacht, daß der angebliche Graf von Saint-Germain der Sohn eines jüdischen Arztes aus Straßburg war und eigentlich Daniel Wolf hieß. Er war 1704 geboren, damals also 68 Jahre alt, während er sich als Mann von 1814 Jahren ausgab — dank einem Lebenselixier, dessen Rezept er angeblich einer ihm sehr gewogenen Königin von Judäa verdankte. Mit 68 Jahren sah er aus wie ein Mann in diesem Alter, der sich kräftiger Gesundheit erfreut. Er hielt sich gerade und hatte einen raschen Gang, sprach bestimmt und gut, wenn auch mit leichtem Elsässer Akzent. Sein Blick war fest, ja frech, seine Haut weiß und glänzend, sein weißes Haar voll, sein Bart üppig, desgleichen die Augenbrauen. Frau von Urfé pflegte deshalb zu sagen, er gleiche Gottvater[110] ...
Eine andere kräftige Abfuhr, die viel von sich reden machte und recht amüsant war, erfuhr Saint-Germain durch den Grafen von Chastellux in einer Gesellschaft bei Herrn Le Normand d’Étioles[111]. Saint-Germain hatte sich nach den Tischgästen erkundigt und sich besonders über Herrn von Chastellux Rat geholt, Bücher gelesen und sich schnell so auf sein Thema vorbereitet. Als der Graf von Chastellux gemeldet wurde, eilte er auf ihn zu und fragte ihn, ob er nicht ein Nachkomme des Marschalls[S. 96] von Chastellux[112] sei, der im 14. Jahrhundert Statthalter der Normandie war. Herr von Chastellux entgegnete, er glaubte sein Nachkomme im siebenten Grade zu sein.
„Ihr erlauchter Ahn war ein Held,“ versetzte Saint-Germain. „Der König[113] bezahlte für ihn im Jahre 1418 2500 Livres Lösegeld. Ich werde mich zeitlebens erinnern, daß ich ihn als Schirmherrn des Domkapitels und Ehrendomherrn der Kathedrale von Auxerre im Chor sitzen sah. Zu dem Zweck trug er ein Chorhemd über seinem Harnisch, einen Chorherrenmantel darüber und den Marschallstab von Frankreich in der Hand. Seine ehrwürdige Mutter, Alix von Bourbon-Montpeyroux[114], war die leibliche Nichte seines Vaters. Ja, Herr Graf, dieser ehrwürdige Marschall, Ihr Vorfahr, war mein Busenfreund, und seinen ältesten Sohn liebte ich wie meinen Augapfel. Sie wissen? Sein ältester Sohn, Johann III. von Beauvoir, Herr von Chastellux und Vicomte von Avallon, der die Tochter des Herrn von Aulnery geheiratet hatte. Ich sehe sie vor mir und versichere Ihnen, sie war im Jahre 1493 eine reizende Frau! Der junge Mann hatte nur einen Fehler, er war verschwenderisch wie ein Landsknecht, und wenn er in Ihren Wäldern von Coulanges und Baserne die hohen Bäume abholzen ließ, war sein Vater wütend auf ihn. Ja, der alte Marschall war knauserig! Ich entsinne mich: eines Tages zu Ostern wollte er seine Familie und seine Leute weiter fasten lassen, weil in seiner Küche eine große Menge Fische übrig geblieben war, die er zur Fastenwoche hatte fischen lassen.“
[S. 97]
„Verzeihen Sie, Sie verwechseln den Großvater mit dem Enkel“, entgegnete Graf Chastellux mit vornehmer Höflichkeit und größter Kaltblütigkeit. „Der Marschall war von prachtvoller Freigebigkeit. Philipp II. von Chastellux, sein Enkel, galt für — sparsam.“
Nun gab es einen chronologischen Disput und beiderseitige Zitate; der Abenteurer brauste auf, aber die Diskussion fiel durchaus zugunsten des Grafen von Chastellux und der Freigebigkeit seines Vorfahren, des Marschalls, aus. Man ließ zwei alte Bücher aus der Bibliothek holen und brachte zwei alte Spottverse von Alain Chartier und Saint-Gelais[115], die 92 Jahre auseinanderlagen, zum Beweise bei. Somit war erwiesen, daß der Graf von Saint-Germain nur ein ungeschickter und schlecht unterrichteter Schwindler war.
Eine andere schöne Geschichte ist die des Prinzen von Craon, den Saint-Germain nicht von Angesicht kannte und der eines Tages im Hotel Uzès in eine große Gesellschaft hineinplatzte, wo besagter Saint-Germain seine Flausen gerade zum besten gab und man ihm mit offenem Munde zuhörte. Es war von Nicolas Flamel[116] und seiner Frau Perronelle, ihrem Lebenselixier und ihrem sympathischen Pulver die Rede.
„Mein Gott!“ rief der Prinz von Craon, „wissen Sie denn nicht, was eben bei der Gräfin von Sennecterre geschehen ist?“
„Was denn? Was denn?“ fragte Saint-Germain, der ihr für bare 200 Louisdors ein Fläschchen seines Elixiers „überlassen“ hatte.
[S. 98]
„Denken Sie nur, mein Herr,“ entgegnete jener, „der Herr Graf Saint-Germain, ein guter Bekannter der Gräfin Sennecterre, hat ihr aus Großmut ein Fläschchen ätherischer Flüssigkeit geschenkt, das sie verjüngen sollte, wenn sie einen Tropfen mit 50 Jahren, zwei nach vollendeten 60 Jahren, vier mit 90 Jahren und so fort nahm. Sie wollte ihrem Gatten, der erst 71 Jahre alt ist, die Sache verheimlichen. Offenbar findet sie ihn noch zu jung.“
„Keine spitzen Bemerkungen! Bitte zur Sache!“ rief die Herzogin von Uzès, die vor Ungeduld und Besorgnis umkam, da sie dasselbe Mittel eingenommen hatte.
„Frau von Sennecterre hatte ihr kostbares Fläschchen einem Fräulein Jacoby anvertraut, einer alten, biederen und sorgsamen Person. Gestern ging Frau von Sennecterre auf einen Ball, und als sie um 5 Uhr morgens zurückkommt — wen findet sie da, meine Damen? Ein kleines Mädchen von sieben bis acht Jahren, das auf allen Möbeln herumkletterte und wie ein Zicklein durch die Zimmer hüpfte. ‚Aber was ist denn das für ein dreistes kleines Ding, das da herumspringt? Wo sind meine Kammerfrauen?’ — ‚Wie, Frau Gräfin,’ erwiderte das Mädchen mit heller, kecker, kichernder Stimme, ‚Sie erkennen Fräulein Jacoby nicht, die Sie seit Ihrem vierten Jahre erzogen hat? Das ist doch arg!’ — ‚Aber wie ist denn das möglich?’ — ‚Ach Gott, ich hatte Leibweh und wollte von dem Wasser des Herrn von Saint-Germain trinken. Es hat mich so prächtig kuriert! Und doch hab’ ich nur ein Schlückchen getrunken.’ — ‚Das war wohl das mindeste, daß Sie mir ein paar Tropfen in dem Fläschchen übrig ließen’, sagte Frau von Sennecterre mit kaum verhehltem Ärger. ‚Schicken Sie mir wenigstens die Julie zum Auskleiden. Wo ist denn Julie?’ — ‚Da, Frau Gräfin’, sagte ihre alte Erzieherin und lachte wie närrisch. Damit[S. 99] wies sie auf ein kleines Kind von höchstens sechs bis acht Wochen, das auf dem Teppich saß und am Daumen lutschte. ‚Das ist Julie. Sie hat alles ausgetrunken, Frau Gräfin, und nun ist sie so verjüngt, daß man sie kaum mehr sieht.’“
„Ich versichere Ihnen,“ fuhr der Prinz von Craon mit unerschütterlichem Ernst fort, „man muß bei der Verabreichung des Lebenselixiers sehr vorsichtig sein. Herr von Saint-Germain bringt uns in Gefahr, wieder zu Kindern zu werden, und hat man Prozesse zu führen oder Töchter zu verheiraten, so ist es nicht immer angebracht, zum Sabberlatz und Gängelband zurückzukehren. Also man kann nicht vorsichtig genug sein.“
Herr von Saint-Germain hatte sich aus dem Staube gemacht, sobald er merkte, daß der Prinz von Craon ihn zum besten hielt. Seitdem machte sich jedermann über Saint-Germain lustig.
[S. 100]
Eine Satire
Sie (das Ehepaar Cagliostro) gehen nach Wien. Im Adel, in der Geistlichkeit und im Kaufmannsstand herrschte solche Unzufriedenheit, daß sie gleich weiterfahren und nach Holstein reisen. Dort hatte der berüchtigte Graf Saint-Germain sein Tabernakel errichtet[118]. Dieser große Mann genoß seit mehreren Jahren die Wonnen der Unsterblichkeit und bildete friedlich das Glück dreier Personen, die ihn mit Champagner und Ungarwein tränkten — zum Dank für den Goldstrom, den er in ihr Land geleitet hatte.
[S. 101]
Graf Cagliostro bat ihn um eine Geheimaudienz, um sich vor dem Gott der Gläubigen niederzuwerfen. Saint-Germain gab ihm 2 Uhr nachts an.
Als der Augenblick nahte, legten er und seine Frau eine weiße Tunika an, die ein aurorafarbener Gürtel zusammenhielt und stellten sich so im Schlosse ein. Die Zugbrücke senkte sich, ein sieben Fuß großer Mann in langem grauen Gewand führt sie in einen schlecht erleuchteten Saal. Plötzlich öffnet sich eine große Flügeltür, und ein von tausend Kerzen strahlender Tempel blendet ihre Blicke. Auf einem Altar saß der Graf; zu seinen Füßen hielten zwei Ministranten goldene Schalen, aus denen süße, sanfte Wohlgerüche emporquollen. Auf der Brust trug der Gott eine Diamantplatte von fast unerträglichem Glanze. Eine große, weiße, durchsichtige Gestalt hielt in ihren Händen eine Schale, auf der „Elixier der Unsterblichkeit“ stand. Etwas weiter erblickte man einen riesigen Spiegel, vor dem eine majestätische Gestalt auf und ab ging. Über dem Spiegel stand geschrieben: „Zuflucht der irrenden Seelen.“
Düsteres Schweigen herrschte in dem heiligen Bezirk. Eine namenlose Stimme rief: „Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr? Was wollt Ihr?“
Da warf sich der Graf Cagliostro nebst der Marquise zu Boden, und nach ziemlich langem Schweigen stammelte er:
„Ich komme, den Gott der Gläubigen, den Sohn der Natur, den Vater der Wahrheit anzurufen. Ich komme, ihn um eins der vierzehntausendsiebenhundert Geheimnisse zu bitten, die er im Busen trägt. Ich komme, um sein Knecht, sein Apostel, sein Märtyrer zu werden.“
Der Gott gab keine Antwort. Doch nach ziemlich langem Schweigen erklang eine Stimme: „Was will Deine Gefährtin?“
[S. 102]
Sie antwortete: „Gehorchen und dienen.“
Da folgte Finsternis auf die Nacht, Lärm auf die Stille, Furcht auf Vertrauen, Verwirrung auf Hoffnung, und eine schrille Stimme sagte drohend: „Wehe dem, der die Prüfungen nicht erträgt!“
Der Graf und die Marquise wurden getrennt. Sie sah sich in ein Gemach eingeschlossen mit einem bleichen, hageren, Fratzen schneidenden Manne. Er erzählt ihr von seinem Glück auf Erden, seinen Schätzen, verliest ihr Briefe der größten Herrscher, und in plötzlicher Wendung fordert er ihr schließlich die Diamanten ab, die ihre Stirn schmücken. Entzückt, sie so leichten Kaufes los zu sein, entledigt sie sich ihrer schleunigst.
Auf diesen ersten Prüfer folgte ein Mann in sehr unanständiger Kleidung. „Bedenken Sie, Frau,“ sagte er, „daß Sie Ihre Blicke stets auf mein Antlitz richten müssen.“ Der Mann war sehr schön und hatte die ausdrucksvollsten Augen. Alles war gefährlich: ihn anzuhören, ihn anzusehen oder die Blicke zu senken.
Nach dieser peinlichen Viertelstunde kam eine Alte und sprach: „Ich allein kann Ihre Tugend erkennen. Die Prüfung, die Sie bestanden haben, besteht in der Feststellung, wie weit Ihre Sinne den Reizen kecker Jugend widerstehen können.“
„Tun Sie, was Ihres Amtes ist“, sagte die Marquise.
Die Alte tat es und übergab ihr dann ein Pergament; es war ein Patent des Widerstandes. Dann führte sie sie in einen großen Keller. Dort sah sie angekettete Männer, Frauen, die bis aufs Blut gepeitscht wurden, Scharfrichter, die Köpfe abschlugen, Menschen, die aus Giftbechern den Tod trinken mußten, glühende Eisen, Galgen mit Schandaufschriften. „Das“, sagte die Alte, „sind die Märtyrer unserer Kunst. So lohnen die Menschen, deren[S. 103] Glück wir uns weihen, unsere Gaben und unseren Eifer.“
Die Marquise blickte ruhigen Auges die traurigen Opfer der angeblichen menschlichen Gerechtigkeit an und verriet nicht die geringste Bewegung.
Die Prüfungen des Grafen waren anderer Art. Man versuchte ihn durch Lobsprüche zu ködern, zeigte ihm sein Weib in den Armen eines liebenswürdigen Mannes, um zu sehen, ob er aus Eifersucht in die lächerlichen Wallungen verfallen werde, die das Hirn der Ehemänner umnebeln. Schließlich las man ihm einen Abschnitt aus dem berühmten Buche der Zukunft vor, das die ihm bevorstehenden Verfolgungen enthielt.
Nach dieser Zeremonie wurden sie in den Tempel zurückgeführt. Dort erklärte man ihnen, sie sollten zu den göttlichen Mysterien Zutritt erhalten, sobald die Wölbung von ihren Gelübden widerhallte. Ein Mann in langem, unter dem Arm gerafften Mantel ergriff das Wort und hielt diese Rede, die jeder Adept behalten muß, ohne sie niederschreiben zu dürfen:
„Wisset, das große Geheimnis unserer Kunst ist, die Menschen zu regieren, und das einzige Mittel ist, nie die Wahrheit zu sagen. Richtet euch nie nach den Regeln des gesunden Verstandes; sprecht der Vernunft Hohn und bringt tapfer den größten Blödsinn zutage. Wenn ihr fühlt, daß diese großen Grundsätze nachlassen, so zieht euch zurück, geht in euch und durchwandert die Welt. Da werdet ihr sehen, daß der größte Blödsinn Anbetung findet. Die Torheiten kehren unter verschiedenen Namen wieder, aber sie sind ewig. Das Grab des heiligen Medardus[119] hat den Schatten des heiligen Petrus[S. 104] ersetzt, Mesmers[120] Zauberkasten den Teich des nazarenischen Philosophen[121]. Gedenkt, daß die erste Triebfeder der Natur, der Staatskunst, der Gesellschaft die Fortzeugung ist, daß das Hirngespinst der Sterblichen die Unsterblichkeit und die Kenntnis der Zukunft ist, selbst wenn sie die Gegenwart nicht kennen, daß sie Geist sein wollen, wo doch sie selbst und alles, was sie umgibt, Stoff ist.“
Nach dieser Ansprache verneigte sich der Redner vor dem Gott der Gläubigen und verschwand. Dann traten zwei junge Mädchen vor und entkleideten den Grafen, während drei junge Männer bei der Marquise die gleiche Zeremonie erfüllten. Als sie im Naturzustand waren, sprach die schon vernommene Stimme: „Nun wird dem einen die kostbare Gabe der Kraft und der anderen die noch köstlichere der Schönheit verliehen.“
Im selben Augenblick packte der sieben Fuß große Mann die Marquise an einem Beine, gebot ihr, ihre Hand auf seine Nase zu legen, und trug sie vor den Gott der Gläubigen. Der bedeckte ihren schönen Leib mit Wohlgerüchen und salbte ihr mit rosenfarbenem Öl die Partie zwischen den Lippen, die Rosenknospen ihres Busens, den Nabel und die Schenkel. Dann flüsterte er ihr etwas ins Ohr, und der sieben Fuß große Mann trug sie in eine anstoßende Kapelle.
„Hier werdet Ihr die Weihe vollenden,“ sprach er, „und unsere heiligen Mysterien mit dem großen Werk der Natur krönen. Indes stehen Euch die Mittel frei, und sofern unser beider Wesen sich verschmelzen und Zuflucht in dieser Kapelle finden kann, braucht Ihr Euch nicht den gewöhnlichen Formen zu unterwerfen.“
[S. 105]
„Als ich den Fuß in diesen hehren Bezirk setzte,“ entgegnete die Marquise, „habe ich jeglichen Willen abgelegt. Wenn Ihr aber wollt, daß die Begierde dem Opfer vorangeht und es herbeiführt, so laßt mich ein Weilchen zu Atem kommen und sagt mir, unter wessen Messer ich fallen soll?“
„Gern,“ sprach er, „obwohl dies eigentlich nicht der Augenblick zu langem Gerede ist. Von zartester Jugend auf zu Großem berufen, habe ich mich bemüht, zu erkennen, worin der wahre Ruhm besteht. Die Staatskunst dünkte mich nur eine Kunst des Betruges, die Kriegskunst nur die Kunst des Mordens, die Philosophie nur ein dünkelhafter Wahn, Unsinn zu reden, die Naturwissenschaft nur ein schöner Traum über die Natur und ein fortwährendes Irren des Menschen in unbekannten Ländern, die Theologie nur eine Kenntnis des Elends, zu dem der menschliche Hochmut führt, die Geschichte nur ein trauriges, eintöniges Studium von Verirrungen und Niedertrachten. Daraus schloß ich, daß der Staatsmann nur ein geschickter Lügner ist, der Kriegsheld ein erhabener Narr, der Philosoph ein Sonderling, der Naturforscher ein beklagenswerter Blinder, der Theologe ein Lehrer des Fanatismus und der Geschichtschreiber ein Wortkrämer. Ich hörte vom Gott dieses Tempels sprechen; ich schüttete in seinen Busen meinen Kummer, meine Zweifel, meine Wünsche aus. Er bemächtigte sich meiner Seele, bildete sie und ließ mir alle Dinge in neuem Lichte erscheinen. Fortan begann ich in der Zukunft zu lesen, und diese so beschränkte, so enge, so öde Welt weitete sich. Ich lebte nicht nur mit den Gegenwärtigen, sondern auch mit den Toten. Da ich jung und leidenschaftlich war, brachte er mich mit den schönsten Frauen des Altertums zusammen. Ich lebte mit Aspasia, mit[S. 106] Leontion[122], mit Sappho, Faustina[123], Semiramis und Irene[124], von denen man so viel gesprochen hat. Ich fand es sehr hold, alles zu wissen, ohne etwas zu lernen, über die Schätze der Welt zu verfügen, ohne die Könige darum anzubetteln, den Elementen zu gebieten, statt den Menschen. Der Himmel schuf mich freigebig, jetzt kann ich meine Neigung befriedigen: alles, was mich umgibt, ist reich. Dieser Augenblick beweist das eben Gesagte. Ihr seid zweifellos eines der schönsten Weiber auf Erden, ich halte Euch in meinen Armen, und wenn Ihr darauf achtgeben wollt, werdet Ihr merken, daß die Wollust, auf die bei gewöhnlichen Sterblichen Ermattung folgt, ebenso unsterblich ist wie der Gott, der mir diese Gabe verlieh.“
Hier unterbrach sich der Redner, in der Annahme, auch einmal etwas beweisen zu müssen und den Glauben der Eingeweihten nicht auf eine zu harte Probe zu stellen. Er bewies also die Macht des ihn beseelenden Gottes mit unwiderstehlicher Tatkraft.
Mittlerweile wurde der Graf Cagliostro in ein anderes Mysterium eingeweiht. Man gab ihm zu bedenken, daß die angenehmsten Dinge keine Eintönigkeit ertrügen, daß das gebildeteste Volk der Welt die Griechen, der weiseste Sterbliche Sokrates gewesen sei, daß der liebenswürdigste Mann Alkibiades geheißen habe, daß das frömmste Volk die Italiener seien und daß er in seiner bevorstehenden Laufbahn jene Gefügigkeit haben müsse, die sich allen Gelüsten hingibt. Es war Antinous, der so den Demosthenes spielte. Der Graf unterwarf sich und wurde wie Cäsar behandelt.
[S. 107]
Nachdem man sich wieder angekleidet, beschloß ein prächtiges Mahl die Zeremonie. Im Laufe des Festes erfuhren sie, daß das Lebenselixier nur aus Tokaier bestand, der je nach Bedarf rot oder grün gefärbt sei, daß sie Leute von Geist fliehen, verabscheuen und verleumden, Dummköpfe umschmeicheln, lieben und verblenden müßten, daß sie geheimnisvoll verbreiten sollten, Saint-Germain sei 500 Jahre alt, daß sie Gold und Tee machen und vor allem die Leute anführen sollten.
Mit diesen Weisungen reisten die etwas ausgerenkte Marquise und der etwas beschädigte Graf nach Petersburg, wo sie sich als Heilkünstler ausgaben.
Der vor einigen Jahren verstorbene und schon vergessene Graf Saint-Germain war ein ernsthafter Narr. Er besaß wenig Geist, einige chemische Kenntnisse, war für einen Schwindler nicht unverschämt genug, für einen Fanatiker nicht beredt genug und besaß nicht die Verführungskunst, um Halbwissende zu bestechen. In Chambéry bot er dem Marschall von Bellegarde seine Chemie an. Sie begannen zu schmelzen, doch der Schmelztiegel lieferte einen Stoff, der zwar Farbe und Gewicht, nicht aber die Dehnbarkeit des Goldes besaß. Diese Versuche fanden auf einem Landgute statt, wo der Graf binnen sieben Monaten dreimal Vater wurde. Das Geld schmolz zusammen, er hatte überall Schulden, und man riet ihm, abzureisen. In Paris das gleiche Spiel. Er hatte sich mit einem berühmten Gauner zusammengetan, einem früheren Spion des Marschalls Belle-Isle[126], der sich seitdem nach[S. 108] Bercy[127] zurückgezogen hatte, wo er das Ludwigskreuz auf einem zerlumpten Anzug und das Henkermal auf dem Rücken trug. Sie machten zusammen Vitriolöl. Das war der Vorwand zum Goldmachen. Sie verzankten und schlugen sich. Der Graf zog den kürzeren und verließ eine Stadt, die ihre Arme allen Betrügern öffnet.
November 1785.
Diese Schilderung ist in vieler Hinsicht falsch. Der Graf von Saint-Germain machte auf alle, die ihn kennen lernten, den Eindruck eines sehr geistvollen Mannes. Er besaß jene natürliche Beredtsamkeit, die mehr als alles andere besticht. Er besaß so große Kenntnisse in der Chemie und Geschichte wie wenige. Er besaß die Gabe, das Gespräch auf die bedeutsamsten Ereignisse der alten Geschichte zu bringen und von ihnen zu erzählen wie von einer Tagesneuigkeit, mit den gleichen Einzelheiten, in der gleichen fesselnden Art und mit der gleichen Lebhaftigkeit.
„Ungeachtet aller seiner Talente und Geistesgaben verließ diesen Wundermann (Saint-Germain) sein Hang[S. 109] zum Wunderbaren nie, und er wußte davon gar klüglich Nutzen zu ziehen; denn seine sogenannten arcana verkaufte er sehr teuer. Übrigens wurde er Stifter geheimer Gesellschaften und initiierte mit vielem Gepränge und Aufwand. Selbst den bekannten Abenteurer Cagliostro soll er in einen solchen mystischen Isisorden aufgenommen haben, und man muß gestehen, daß (die Gelehrsamkeit ausgenommen) Saint-Germain an ihm ein seinen geheimen Absichten vollkommen entsprechendes Mitglied fand.“
[S. 110]
Hat der Graf Saint-Germain, der so kräftig beschützt worden ist, etwas anderes getan, als Guillaume Postel[131] nachzuahmen, der den Sparren hatte, sich für älter auszugeben, als er war? Um seinen Bekannten etwas vorzumachen, schminkte er sich, färbte sich die Haare schwarz und nannte sich demgemäß Postellus restitutus. Wie seine Nachfolger versicherte Postel, der Engel Resiel hätte ihm göttliche Geheimnisse offenbart. Was sagen heute die zurückhaltendsten Biographen von ihm? „Er hätte den Wissenschaften zur Zierde gereicht, hätte er nicht infolge seiner Vertiefung in die Rabbiner und der Beobachtung der Gestirne den Kopf verloren“ ...
Nachdem Saint-Germain in dreißig Städten Ärgernis erregt und zweihundert Neulinge in der Chemie angeführt hat, trifft er einen freigebigen und feinfühligen Großen[132] und nimmt sich vor, seine Gaukeleien mit ihm zu beschließen. Er sagt folgendes zu ihm: „Seit fast 80 Jahren[S. 111] (er war damals 77 Jahre alt) suche ich einen Menschen, einen Menschen, den ich zum auserwählten Gefäß machen kann, das den himmlischen Tau aufnimmt, den ich im Gelobten Lande gesammelt habe. Er darf nichts wissen und muß zu allem befähigt sein. An Stelle der alten Kenntnisse muß ich seinen Geist mit neuem Wissen erfüllen. Licht und Finsternis, Reines und Unreines, Gott und Mensch können nicht beieinander wohnen. Ich selbst kenne Sie wenig, aber ich weiß viel von Ihnen durch die, welche Sie nicht kennen, aber eines Tages kennen werden. In Ihre reine Seele hat der Himmel die Keime aller guten Eigenschaften gelegt; lassen Sie mich sie entwickeln! Werden Sie das himmlische Behältnis für die überirdischen Wahrheiten. Sie sind zum Herrscher über große Reiche bestimmt oder werden dazu berufen werden. Schenken Sie Ihre Fürsorge und Ihren Geist den Menschen, aber widmen Sie Ihre Zeit und Ihr Forschen dem höchsten Meister. Im Alter von 27 Jahren werden Sie binnen wenigen Monaten 90 Jahre alt sein. Ich werde für Sie sorgen, wirken, schaffen. Als Wunder für die übrige Menschheit werden Sie doch in Gottes Augen nichts tun, wenn Sie sich begnügen, das Licht eines Planeten zu sein. Als Träger der erstaunlichsten Geheimnisse können Sie dem Lauf der Gestirne Halt gebieten und in Ihren Händen das Schicksal von großen Reichen halten. Aber das Wissen ist nur dann ein Schatz, wenn der, welcher es lehrt, auch die Anwendung überwacht.“
Erstaunt, ein Genie zu sein, entzückt, ein Wunderwesen zu werden, außer sich bei dem Gedanken, daß er Europa regieren wird, schlägt der Große die Augen nieder, wirft sich zu Boden und steht wieder auf, um ein des Wundermannes würdiges Schloß zu erbauen. Als dieser gut untergebracht war, begannen die Zurüstungen, und[S. 112] der große Tag wurde festgesetzt. Welche Geheimnisse sah man nun erblühen? Die Kunst, dem Kupfer mehr Glanz und Biegsamkeit zu geben, die Kunst, Edelsteine von Flecken zu befreien, zwei Wunder, die drei deutsche Chemiker in ihren gelehrten Vorträgen gelehrt haben. Was sah man weiter? Ein Purgiermittel, das jeder Apotheker herstellt und dem Volke verkauft, eine Menge von Flüssigkeiten, deren geheimes Herstellungsverfahren schon mehrere Fabrikanten in Frankreich und Italien gekauft hatten. Im übrigen bewegten sich die Gestirne wie vorher, Europa erfuhr keinerlei Umwälzung, und selbst das kleinste Ländchen lehnte die ihm zugedachte politische Medizin hartnäckig ab. Man lebte jahrelang von Versprechungen; nichts ereignete sich; man ertappte den Gott sogar bei sehr menschlichen Verrichtungen. Nie wurden die Augen aufgetan; und noch beim Begräbnis des Propheten glaubte man an seine wunderbare Himmelfahrt.
(von dem anonymen Übersetzer)
Saint-Germain, Welldone, oder unter was für mehr Namen er hier und dort gewallet haben mag, war unleugbar ein Scharlatan, nachdem er lange genug Aventurier gewesen war. Von einem Manne, der sich so weit und breit in der Welt herumgetrieben hat, ist es höchstwahrscheinlich, daß er auch mit einer oder mehr geheimen Gesellschaften in Bündnis getreten sei. Aber Schwärmer war er gewiß nicht, am wenigsten ein religiöser. Eben den hellen Kopf, den man in des Grafen von Lambergs „Mondain“[133] an Saint-Germain wahrnimmt, behielt er[S. 113] bis an sein Ende. Als ein Mensch, der mit aufmerksamen Augen und Ohren die Welt durchreiset war, ein gutes Gedächtnis und die Gabe eines interessanten Vortrags hatte, war er ein guter Gesellschafter und unterhaltender Tischgenosse, dessen Anekdotenvorrat unerschöpflich schien. Und Tischgenossen von guter Unterhaltung (ich rede ganz ernsthaft) sind seltener und gesuchter als die von bloß gutem Appetit. Aber Saint-Germain hatte auf seinen Reisen nicht bloß nach Anekdoten gehascht; er hatte außer einigen andern, vielleicht zweideutigeren, auch wirklich nützliche Arcana gesammelt, die ihn einem wohltätigen Patrioten eines Landes, das rohe Produkte ausführt und solche verarbeitet von Fremden wiederkauft, weil es ihm noch an Manufakturen und Fabriken fehlt, sehr willkommen machen mußten, und die ihm auch wirklich an manchem Orte eine beneidete, gute Aufnahme erwarben. Freilich mochte er oft mehr von sich erwarten lassen, als er zu leisten imstande war. Aber kann ein Mann, der gut gekleidet, mit einigen kostbaren Nippes in Gesellschaften erscheint, dafür, wenn man ihn für reicher hält, als er wirklich ist? Oder ist es meine Pflicht, jedermann, von dem ich nichts borgen will, den genauen Zustand meines Vermögens anzugeben? Was hat man nicht alles von Wunderessenzen, die Menschen zu verjüngen, von Universalarzneien gegen alle Krankheiten und Tod, ja von dem mehr als Methusalemischen Alter dieses sonderbaren Abenteurers, das er sich beilegen sollte, erzählt und fast allgemein geglaubt! Aber ist ein Märchen deswegen auch schon wahr, weil man es allgemein erzählt und fast durchgängig glaubt? Daß mich der Himmel davor behüte, der Verteidiger oder Lobredner irgendeines Scharlatans zu werden! Ich gestehe vielmehr offenherzig, daß ich jeden Geheimniskrämer wegen verbotener Absicht[S. 114] auf anderer Beutel in Verdacht habe. Aber es tut mir weh, wenn ich sehe, daß man einen Namen wie Saint-Germain, ohne irgendeinen ersichtlichen Zusammenhang mit der Materie, mit Gewalt herbeizieht (denn von Scharlatans ist ja nicht die Rede, sondern von einer für die bürgerliche Gesellschaft höchst schädlichen, theosophisch-magischen und nach Universalmonarchie strebenden Sekte[134]), um durch den Beisatz: „der so kräftig beschützt worden“, ein falsches Licht auf eine Person zu werfen, die, wenn sie auch aller öffentlichen, der Ordnung der Staaten gemäß, Respekt fordernden Würden entkleidet wäre, durch ihre höchst edle Art zu denken und zu handeln die Verehrung und selbst Liebe aller rechtschaffenen Menschen verdient.
Es tut mir weh, zu sehen, daß sich ein Mann es anmaßet, die Menschheit gegen eine geheime Sekte, die er weder zu nennen noch deutlich zu bezeichnen wagt, zu warnen, der sich solche mutwillige (wer einigermaßen starke Ausdrücke liebte, würde sagen: pasquillenhafte) Ausfälle auf wirklich edle Menschen erlaubt und also dadurch, daß er mit solchen Stellen, wie diese und einige andere in seinem Buche, tiefen Unwillen erweckt, seine Absicht verdächtig, seine mit unterlaufenden Wahrheiten zweifelhaft macht und sonach das, was er sonst Gutes gewirkt haben könnte, vereitelt.
Rezensent stößt hier auf eine Note, wo der Übersetzer dem Verfasser wirklich unrecht tut. Der Verfasser vergleicht[S. 115] nämlich den berüchtigten Saint-Germain mit einem älteren Narren und bedient sich bei dieser Gelegenheit der Worte: „Saint-Germain, der so kräftig beschützt worden ist.“ Dies bringt den Übersetzer in eine Wärme, welche sich die meisten Leser schwerlich werden erklären können. Dabei verteidigt er den Saint-Germain, nennt ihn einen hellen Kopf und möchte die Leser gern überreden, daß er gar der Mann nicht gewesen sei, den man in eine solche Parallele stellen sollte. Rezensent, der Gelegenheit gehabt hat, von dem Manne, dessen sich hier der Übersetzer so warm annimmt, sehr authentische Nachrichten zu erhalten, muß hier aber demselben widersprechen.
Saint-Germain war nichts weniger als ein heller Kopf, wie schon der einzige Umstand beweisen kann, daß er noch auf seinem Totenbette verjüngt zu werden hoffte und andern versicherte, daß das, was Auflösung war, Vorbereitung zu seiner bevorstehenden Verjüngung sei.
Andere Umstände läßt Rezensent hier unberührt, weil sie nicht hierher gehören. Besser hätte indessen der Übersetzer getan, er hätte seine Note zu Saint-Germains Rechtfertigung weggelassen; denn sie erregt auch gegen seine Aufrichtigkeit nicht unbegründeten Verdacht.
[S. 117]
[S. 119]
Horace Walpole an den Ritter Man[137]
9. Dezember 1745.
Wir beginnen Volk aufzugreifen[138], aber so vorsichtig und zaghaft, wie Frauen von Stand, die zum erstenmal ihre Juwelen versetzen. Wir haben noch keinen großen Schlag gewagt. Der Propst von Edinburg ist in polizeilichem Gewahrsam. Kürzlich wurde ein Narr verhaftet, der unter dem Namen Graf Saint-Germain lebt. Er ist zwei Jahre hier gewesen und will nicht sagen, wer und woher er ist. Aber zwei ganz wundervolle Sachen gibt er zu, erstens, daß er nicht unter seinem richtigen Namen lebt, und zweitens, daß er nie mit einem weiblichen Wesen etwas zu tun gehabt hat... Er singt, spielt wundervoll Violine, komponiert, ist verdreht und nicht sehr feinfühlig. Er soll Italiener, Spanier oder Pole sein; ein hergelaufener Mensch, der in Mexiko durch Heirat zu[S. 120] großem Vermögen kam und mit den Juwelen seiner Frau nach Konstantinopel durchbrannte; ein Priester, ein Fiedler, ein vornehmer Mann. Der Prinz von Wales[139] war unbändig neugierig auf ihn, doch umsonst. Indes ist nichts gegen ihn geschehen. Er ist freigelassen, und — was mich überzeugt, daß er kein Edelmann ist — er bleibt hier und behauptet, er sei als Spion verhaftet worden.
Horace Walpole an John Chute[140]
Paris (8. Januar 1766).
Ich will nichts mit den französischen „Gelehrten“ und Philosophen zu schaffen haben und beneide Euch nicht gerade um Rousseau[141]. Er ist eben solch ein „Scharlatan“ wie Graf Saint-Germain, der sich selbst zu einem wunderlichen Menschenkinde stempelt und von sich reden macht ... So sehr ich seine Fähigkeiten bewundere, habe ich doch erkannt, daß weder er noch irgendein „Genius“ genügend gesunden Menschenverstand besitzen, um der Maßlosigkeit ihrer Ansprüche die Wage zu halten. Sie hassen die Priester, können aber doch die Kirche nicht entbehren. Aus diesem Grunde ziehe ich ihre Lektüre ihrer persönlichen Bekanntschaft vor.
13.–15. Mai 1760.
Mittwoch, 14. Mai. Wie der Herausgeber der „Gazette de Bruxelles“[143] uns erzählt, ist der hier kürzlich aus[S. 121] Holland angekommene sogenannte Graf von Saint-Germain 1712 in Italien geboren. Er spricht ebenso geläufig deutsch und französisch wie italienisch und drückt sich auf englisch recht gut aus. Er ist in allen Künsten und Wissenschaften bewandert, ein guter Chemiker, Musikvirtuose und zugleich ein sehr angenehmer Gesellschafter.
Im Jahre 1745 kam er in England in eine sehr schlimme Lage. Ein Mann, der wegen einer Liebesgeschichte eifersüchtig auf ihn war, steckte ihm einen falschen Brief des jungen Prätendenten[144] in die Tasche (worin dieser ihm für seine Nachrichten dankte und ihn bat, damit fortzufahren), dann ließ er ihn sofort verhaften. Da die Untersuchung seine völlige Unschuld ergab, wurde er in Freiheit gesetzt und von Lord H... zu Tisch eingeladen. Wer ihn kennt (sagt Herr Maubert), wird sich ärgern, zu hören, daß er sich die Ungnade des Allerchristlichsten Königs[145] zugezogen hat.
[S. 122]
(1757)
Die angenehmste Mahlzeit, die ich (bei der Marquise von Urfé)[147] einnahm, war in Gesellschaft der Frau von Gergy[148], die den berühmten Abenteurer mitbrachte, der als Graf Saint-Germain bekannt ist. Statt zu essen, sprach er vom Anfang bis zum Ende des Mahles, und ich machte es beinahe ebenso, indem ich ihm mit größter Aufmerksamkeit zuhörte. Allerdings konnte man kaum besser sprechen als er.
Saint-Germain gab sich für einen Wundermann aus. Er wollte verblüffen, und das gelang ihm oft. Sein Ton war bestimmt, aber so einstudiert, daß er nicht mißfiel. Er war gelehrt, beherrschte die meisten Sprachen, war ein großer Musiker und Chemiker, hatte ein angenehmes Gesicht und verstand alle Frauen zu kirren; denn er gab ihnen zugleich Schminken und Schönheitsmittel und schmeichelte ihnen mit der Hoffnung, nicht, sie zu verjüngen — denn er war so bescheiden, zu gestehen, daß[S. 123] er dies nicht vermöchte —, wohl aber, sie in ihrem jetzigen Zustande zu erhalten, und zwar mittels eines Wassers, das er ihnen schenkte, obwohl es ihm selbst, wie er sagte, viel Geld kostete.
Er hatte die Gunst der Frau von Pompadour zu erlangen gewußt, die ihm eine Unterredung mit dem Könige verschaffte, und diesem hatte er ein hübsches Laboratorium eingerichtet. Denn der liebenswürdige Monarch, der sich überall langweilte, glaubte etwas Unterhaltung oder doch Zerstreuung beim Herstellen von Farben zu finden. Der König hatte ihm eine Wohnung im Schlosse Chambord angewiesen und ihm 100000 Franken zum Bau eines Laboratoriums gegeben. Wie Saint-Germain behauptete, wollte der König durch seine chemischen Produkte die französischen Fabriken in Blüte bringen.
Dieser eigentümliche Mann, der zum Betrüger großen Stiles geschaffen war, sagte in selbstgewissem Ton und gleichsam beiläufig, er sei dreihundert Jahre alt, besitze das Allheilmittel, mache mit der Natur, was er wolle, besitze das Geheimnis, Diamanten zu schmelzen und aus zehn bis zwölf kleinen einen großen von reinstem Wasser zu machen, ohne daß ein Gewichtsverlust einträte. Alle diese Operationen waren für ihn ein Kinderspiel. Trotz seiner Aufschneidereien, offenkundigen Lügen und maßlosen Wunderlichkeiten brachte ich es doch nicht über mich, ihn unverschämt zu finden. Achtbar fand ich ihn auch nicht, aber unwillkürlich und fast unbewußt fand ich ihn verblüffend; denn er verblüffte mich ...
Der seltsame Mann erschien oft in den besten Häusern der Hauptstadt zum Diner, rührte aber keinen Bissen an und behauptete, sein Leben hinge von seiner Ernährungsweise ab, die niemand außer ihm kennen könne. Mit dieser[S. 124] Wunderlichkeit fand man sich ab, denn man war nur auf seine Erzählerkunst erpicht, die ihn tatsächlich zur Seele aller von ihm besuchten Gesellschaften machte.
(Februar 1758)
Zu Tisch erschien Saint-Germain, aber wie stets aß er nicht, sondern redete nur. Mit unerschütterlicher Sicherheit erzählte er unglaubliche Dinge, und man mußte so tun, als ob man sie glaubte; denn er war stets Augenzeuge oder Held der Geschichte gewesen. Nur als er etwas erzählte, das ihm begegnet war, als er mit den Vätern des Konzils von Trient[149] speiste, mußte ich lachen.
Frau von Urfé trug am Halse als Schmuckstück einen großen Magneten. Eines Tages, so behauptete sie, würde dieser Magnet den Blitz anziehen, und sie würde auf diese Weise zur Sonne aufsteigen. Der berühmte Schwindler versicherte ihr sofort, die Sache sei unfehlbar, aber er allein besäße die Macht, den Magneten ums Tausendfache zu verstärken. Ich entgegnete ihm kalt, ich wollte um 20000 Thaler wetten, daß er ihn nicht einmal um das Doppelte verstärken könne. Frau von Urfé legte sich ins Mittel, um die Wette zu verhindern, und nach Tisch sagte sie mir unter vier Augen, ich hätte sie verloren; denn Saint-Germain sei Magier. Man kann sich wohl denken, daß ich ihr recht gab.
Ein paar Tage darauf reiste der angebliche Magier nach Chambord, wo der König ihm eine Wohnung und 100000 Franken angewiesen hatte, um in voller Freiheit an seinen Farben arbeiten zu können, mit denen er den französischen Tuchfabriken den Vorrang vor denen aller anderen Länder sichern wollte. Saint-Germain hatte den König dadurch bestrickt, daß er ihm in Trianon ein[S. 125] Laboratorium einrichtete, in dem er sich bisweilen die Zeit vertrieb, so gering auch seine chemischen Kenntnisse waren. Aber der König langweilte sich überall, außer auf der Jagd: der Hirschpark betäubte ihn nur und stumpfte ihn immer mehr ab.
Die gefällige Marquise hatte den Adepten dem König zugeführt, in der Hoffnung, ihm die Langeweile zu vertreiben, indem sie ihm Geschmack für die Chemie beibrachte. Zudem glaubte die Pompadour, von Saint-Germain das Lebenselixier bekommen zu haben, und so wollte sie ihm einen großen Vorteil verschaffen. Dies Wunderwasser, das man genau in der von dem Schwindler vorgeschriebenen Dosis einnehmen mußte, besaß nicht die Kraft, den Menschen zu verjüngen — er gab zu, daß dies unmöglich war —, sondern nur die, ihn für mehrere Jahrhunderte nicht altern zu lassen. Tatsächlich hatte dies Wasser — oder sein Erfinder — wo nicht auf den Körper, so doch auf den Geist der berühmten Frau gewirkt: sie hatte dem König versichert, daß sie nicht altere.
Auch der König war ganz im Banne des Betrügers; eines Tages zeigte er dem Herzog von Zweibrücken[150] einen zwölfkarätigen Diamanten von reinstem Wasser, den er selbst gemacht zu haben wähnte. „Ich habe 24 Karat kleinere Diamanten geschmolzen,“ sagte Ludwig XV., „daraus erhielt ich diesen, der durch Schleifen auf 12 Karat verkleinert ist.“ Infolge dieser Voreingenommenheit hatte der König jenem berühmten Abenteurer den früheren Wohnsitz des Marschalls von Sachsen[151] angewiesen. Ich habe diese Anekdote vom Herzog von Zweibrücken selbst gehört, als ich in Metz mit ihm und dem schwedischen Grafen Lewenhaupt speiste.
[S. 126]
Ferner erzählt Casanova in seiner Schrift „Monolog eines Denkers“, S. 34 f. (Prag 1784):
Der unlängst in Schleswig verstorbene Saint-Germain war niemand anders als der Geigenspieler Catalani. Er war groß unter dem Namen eines Marquis de la croix noire in England, wunderbar unter dem Namen eines Grafen Saint-Germain in Frankreich und Spanien, und einzig unter dem eines Grafen Belmar in Italien. Was war das für ein Mensch! Selbst von ihm angeführt zu werden, gereichte nicht zur Unehre. Sein Gesicht war angenehm, vornehm sein Auftreten. Er war ein guter Erzähler, wenn er auch manchmal aufschnitt, sprach alle Sprachen gut. Dazu war er ein großer Chemiker, ein großer Musiker, besaß die Formen der guten Gesellschaft, zeigte sich selten, war zurückhaltend, höflich, witzig, geistvoll — kurz, er war von solcher Art, daß selbst die, die auf ihn hereingefallen waren, es ohne Erröten zugaben. König Ludwig XV., der sich, wo er auch war, langweilte, fand Zeitvertreib in dem von Saint-Germain ihm eingerichteten Laboratorium. Er gab ihm eine Wohnung im Schloß Chambord und 100000 Franken.
Bei Frau von Pompadour verkehrte oft ein Mann, der einer Zauberin kaum etwas nachgab. Das war der Graf Saint-Germain, der glauben machen wollte, daß er mehrere Jahrhunderte alt war.
Eines Tages fragte Madame ihn in meiner Gegenwart bei der Toilette: „Wie sah Franz I.[153] aus? Das war ein[S. 127] König, den ich geliebt hätte.“ — „Er war auch sehr liebenswert“, versetzte Saint-Germain. Dann schilderte er seine Gesichtszüge und seine ganze Erscheinung wie bei einem, den man sich genau angesehen hat. „Leider war er nur zu hitzig. Ich hätte ihm gern einen trefflichen Rat gegeben, der ihn vor all seinem Unglück bewahrt hätte, aber er hätte ihn nicht befolgt; denn es scheint ein Verhängnis über den Fürsten zu walten, die ihre Ohren — die Ohren des Geistes — den besten Ratschlägen verschließen, besonders in kritischen Augenblicken.“ — „Und was sagen Sie von dem Connétable[154]?“ fragte Madame. — „Ich kann weder allzu Gutes noch allzu Schlechtes von ihm sagen“, entgegnete er. — „War der Hof Franz’ I. sehr schön?“ — „Sehr schön, aber der seiner Enkel[155] übertraf ihn unendlich. Zur Zeit der Maria Stuart[156] und der Margarete von Valois[157] war er ein Zauberland, der Tempel der Genüsse, auch der geistigen. Beide Königinnen waren gelehrt, sie machten Verse, und ihnen zuzuhören, war ein Genuß.“ Lachend versetzte Madame: „Wie es scheint, haben Sie das alles gesehen.“ — „Mein Gedächtnis ist stark,“ sagte er, „und ich habe die französische Geschichte eingehend studiert. Bisweilen erlaube ich mir den Spaß, die Leute zwar nicht glauben zu machen, aber glauben zu lassen, daß ich in den ältesten Zeiten gelebt habe.“ — „Aber schließlich sagen Sie doch nicht, wie alt Sie sind, und Sie geben sich für sehr alt[S. 128] aus. Die Gräfin von Gergy, die vor 50 Jahren Botschafterin war, ich glaube in Venedig[158], behauptet, Sie so gekannt zu haben, wie Sie jetzt sind.“ — „Allerdings Madame, habe ich die Gräfin von Gergy vor langer Zeit kennen gelernt.“ — „Aber nach dem, was sie sagt, müßten Sie jetzt über 100 Jahre alt sein.“ — „Das ist nicht unmöglich,“ sagte er lachend, „aber wie ich zugebe, ist es noch möglicher, daß die verehrte Dame Unsinn redet.“ — „Sie behauptet, Sie hätten ihr ein Elixier von wunderbarer Wirkung gegeben. Sie hätte infolgedessen lange wie eine Vierundzwanzigjährige ausgesehen. Warum geben Sie dem König das Elixier nicht?“ — „Ach, Madame,“ versetzte er mit einer Art von Schauder, „wenn ich mir beikommen ließe, dem König eine mir unbekannte Arznei zu geben, müßte ich wahnsinnig sein[159].“
Ich begab mich auf mein Zimmer, um dies Gespräch aufzuschreiben.
Ein paar Tage darauf war zwischen dem König, Madame, einigen Edelleuten und dem Grafen Saint-Germain die Rede von dem Geheimmittel, das er besaß, um Diamanten von Flecken zu befreien. Der König ließ sich einen mäßig großen Diamanten bringen, der einen Fleck hatte. Man ließ ihn wiegen, und der König sagte zum Grafen: „Er wird auf 6000 Livres geschätzt, aber ohne den Flecken wäre er 10000 wert. Wollen Sie es übernehmen, mich 4000 Franken verdienen zu lassen?“ Dieser prüfte ihn genau, dann sagte er: „Das ist möglich. In einem Monat werde ich ihn Eurer Majestät wiederbringen.“
Nach einem Monat brachte der Graf dem König den Diamanten fleckenlos zurück. Er war in Asbestwatte[S. 129] gewickelt, die er entfernte. Der König ließ ihn wiegen, und er wog fast genau soviel wie vorher. Der König schickte ihn durch Herrn von Gontaut[160] zu seinem Juwelier, ohne ihm irgend etwas zu sagen, und der brachte 9600 Livres wieder. Aber der König ließ den Diamanten zurückfordern, um ihn der Wissenschaft halber zu behalten. Er konnte sich von seiner Überraschung nicht erholen und sagte, Herr von Saint-Germain müsse millionenreich sein, besonders, wenn er das Geheimnis besäße, aus kleinen Diamanten große zu machen. Der sagte weder ja noch nein, versicherte aber sehr bestimmt, er könne Perlen vergrößern und ihnen ein schöneres Wasser geben. Der König behandelte ihn achtungsvoll, ebenso Madame, von der ich das eben Gesagte erfuhr. Betreffs der Perlen hat mir Herr Quesnay[161] gesagt: „Die Perlen entstehen durch eine Krankheit der Austern, und es ist möglich, ihr auf den Grund zu kommen. Somit kann Herr von Saint-Germain Perlen vergrößern; trotzdem aber ist er ein Scharlatan; denn er hat ein Lebenselixier und läßt durchblicken, daß er mehrere hundert Jahre alt ist. Übrigens ist der König vernarrt in ihn und spricht bisweilen von ihm, als ob er von erlauchter Geburt sei.“
Ich habe ihn mehrfach gesehen. Er schien 50 Jahre alt, war weder fett noch mager, hatte eine schlaue, geistreiche Miene, war sehr schlicht, aber geschmackvoll gekleidet und trug sehr schöne Diamanten an den Ringen wie an seiner Tabaksdose und Uhr. Eines Tages, bei einem großen Hoffest, kam er mit so schönen Schuhschnallen und Kniebändern, die mit echten Diamanten besetzt[S. 130] waren, zu Madame, daß diese sagte, sie glaube nicht, daß der König so schöne hätte. Er ging ins Vorzimmer, um sie abzumachen, und brachte sie dann wieder, damit man sie näher ansehen könnte. Herr von Gontaut, der dabei war, verglich die Steine mit anderen und sagte, sie seien wenigstens 200000 Franken wert. Am selben Tage trug er eine unschätzbare Tabaksdose und Manschettenknöpfe von funkelnden Rubinen. Kein Mensch wußte, woher dieser so reiche und außergewöhnliche Mann stammte, und der König duldete nicht, daß man verächtlich von ihm sprach und über ihn spottete. Er war angeblich der Bastard eines portugiesischen Königs ...
Eines Tages sagte Herr von Saint-Germain zum König: „Um die Menschen zu achten, darf man weder Beichtvater noch Minister noch Polizeidirektor sein.“ — Der König setzte hinzu: „Und König.“ — „Ach, Sire,“ rief er, „Sie haben den Nebel vor einigen Tagen gesehen, man sah keine vier Schritt weit. Die Könige sind — allgemein gesprochen — in noch viel dichtere Nebel gehüllt, die Ränkeschmiede, treulose Minister um sie entstehen lassen, und in allen Volksklassen ist man sich darin einig, ihnen die Dinge in falscher Beleuchtung zu zeigen.“ Dies hörte ich aus dem Munde des berühmten Grafen Saint-Germain, als ich bei Madame war, die unpäßlich war und im Bette lag. Der König besuchte sie, und auch der Graf wurde als willkommener Gast empfangen. Herr von Gontaut, Frau von Brancas[162] und der Abbé de Bernis[163] waren dabei ...
[S. 131]
Eines Tages besuchte Graf Saint-Germain Madame, die unpäßlich war und auf ihrem Diwan lag. Er zeigte ihr ein Kästchen voller Topase, Rubine und Smaragde. Anscheinend besaß er Schätze davon. Madame rief mich, um all die schönen Dinge zu besehen. Ich blickte sie verblüfft an, machte aber hinten herum Madame ein Zeichen, daß ich alles für falsch hielte. Der Graf suchte etwas in einer Brieftasche, die doppelt so groß war wie ein Brillenfutteral, zog zwei bis drei kleine Päckchen hervor, wickelte sie aus, zeigte einen prachtvollen Rubin und warf geringschätzig ein kleines Kreuz auf den Tisch neben ihm. Es bestand aus weißen und grünen Steinen. Ich betrachtete es und sagte: „Das ist nicht zu verachten.“ Ich legte es an und machte eine Miene, als ob ich es sehr hübsch fände. Sogleich bat der Graf mich, es anzunehmen. Ich weigerte mich, er blieb dabei. Madame schlug es gleichfalls für mich aus. Schließlich drängte er so, daß Madame, die sah, daß es nicht mehr als 40 Louisdors wert sein konnte, mir winkte, es anzunehmen. Ich nahm das Kreuz, sehr befriedigt über die Liebenswürdigkeit des Grafen, und ein paar Tage darauf schenkte Madame ihm eine emaillierte Dose mit dem Bild irgendeines griechischen Weisen, eine Anspielung auf ihn. Übrigens ließ ich das Kreuz prüfen; es war 1500 Franken wert.
Er schlug Madame vor, ihr ein paar Emailbilder von Petitot[164] zu zeigen, und sie sagte ihm, er solle am Nachmittag während der Jagd wiederkommen. Er zeigte seine Bilder, und Madame sagte zu ihm: „Man erzählt von einer reizenden Geschichte, die Sie vor zwei Tagen beim Souper beim Premier zum besten gaben und deren Augenzeuge Sie vor 50 bis 60 Jahren waren.“ Er lächelte und sprach: „Sie ist etwas lang.“ — „Um so besser“,[S. 132] entgegnete Madame und schien ganz entzückt. Herr von Gontaut und die Damen kamen, und man ließ die Tür schließen. Dann winkte Madame mir, hinter einem Wandschirm Platz zu nehmen. Der Graf entschuldigte sich sehr, daß seine Geschichte vielleicht langweilen werde. Manchmal erzähle man gut, und ein andermal hätte man weniger Glück.
Saint-Germains Erzählung
„Der Marchese von San Gil[165] war zu Anfang dieses Jahrhunderts spanischer Botschafter im Haag. In seiner Jugend war er mit dem Grafen von Moncada befreundet gewesen, einem spanischen Granden und einem der reichsten Herren des Landes. Einige Monate nach seiner Ankunft im Haag erhielt er einen Brief des Grafen, der ihn bei seiner Freundschaft beschwor, ihm einen sehr großen Dienst zu leisten. „Wie Sie wissen, lieber Marchese,“ schrieb er ihm, „hatte ich den Kummer, den Namen Moncada nicht fortpflanzen zu können. Doch kurz nachdem ich Sie verlassen, erhörte der Himmel mein Flehen und schenkte mir einen Sohn. Der zeigte frühzeitig eines Mannes seiner Abkunft würdige Neigungen, aber das Unglück wollte, daß er sich in Toledo in die berühmteste Schauspielerin der dortigen Truppe verliebte. Ich schloß die Augen über diesen Jugendstreich, da ich bisher stets zufrieden mit ihm war. Als ich aber erfuhr, daß ihn die Leidenschaft derart verblendete, daß er das Mädchen heiraten wollte, und daß er ihr ein schriftliches Eheversprechen gegeben hatte, bat ich den König, sie einsperren zu lassen. Als mein Sohn von[S. 133] meinem Schritt erfuhr, kam er ihm zuvor und entfloh mit der Geliebten. Seit über einem halben Jahre weiß ich nicht, wohin er seine Schritte gelenkt hat, aber ich habe Grund zu der Annahme, daß er im Haag ist.“ Nun beschwor der Graf den Marchese im Namen seiner Freundschaft, die genauesten Nachforschungen anzustellen, um ihn ausfindig zu machen und ihn zur Heimkehr zu bewegen. „Es ist recht und billig,“ schrieb der Graf, „dem Mädchen eine Versorgung zu geben, falls sie das Heiratsversprechen, das sie sich ausstellen ließ, wieder herausgibt. Ich überlasse es Ihnen, die Entschädigung zu bestimmen und meinem Sohn so viel auszuzahlen, daß er in anständigem Aufzuge nach Madrid zurückkehren kann. Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben“, schloß der Graf. „Wenn ja, so können Sie sich einen Begriff von meiner Sorge machen.“ Dem Brief lag eine genaue Beschreibung seines Sohnes und seiner Geliebten bei.
Sobald der Marchese ihn erhalten hatte, ließ er in allen Gasthöfen von Amsterdam, Rotterdam und dem Haag nachforschen. Doch umsonst! Er brachte nichts heraus. Er begann schon am Erfolg seiner Schritte zu verzweifeln, als er auf den Gedanken kam, einen sehr geweckten jungen französischen Pagen dazu zu benutzen. Er versprach ihm eine Belohnung, falls es ihm gelänge, die so dringend gesuchten Personen zu entdecken, und er gab ihm deren Beschreibung. Mehrere Tage streifte der Page vergebens an allen öffentlichen Orten umher. Endlich, eines Abends im Theater, erblickte er in einer Loge einen jungen Mann und eine Dame, die er aufmerksam betrachtete. Als er merkte, daß beide, durch seine Aufmerksamkeit betroffen, sich in den Hintergrund der Loge zurückzogen, zweifelte der Page nicht mehr am Erfolg seiner Nachforschungen. Er ließ die Loge nicht[S. 134] aus den Augen und beobachtete gespannt alles, was darin vorging.
Als das Stück aus war, stand er in dem Gange, der von den Logen zum Portal führte, und als der junge Mann an ihm vorbeiging, bemerkte er, daß seine Tracht diesem offenbar auffiel, und daß er sein Taschentuch vor den Mund hielt, um sich unkenntlich zu machen. Unauffällig folgte er ihm bis zum Gasthof „Vicomte de Turenne“, in den er ihn mit seiner Begleiterin eintreten sah. Dann eilte er, seiner Sache gewiß, zu dem Botschafter, um ihn zu benachrichtigen.
Der Marchese von San Gil begab sich sofort, in einen Mantel gehüllt und von seinem Pagen und zwei Dienern gefolgt, nach dem Gasthof. Dort angelangt, fragte er den Wirt, wo sich das Zimmer eines jungen Mannes und einer Dame befände, die seit einer Weile bei ihm wohnten. Der Wirt machte zunächst einige Schwierigkeiten, es zu sagen, wenn der Name der beiden nicht angegeben würde. Aber der Page machte ihn darauf aufmerksam, daß er mit dem spanischen Botschafter spräche, der seine Gründe hätte, mit diesen Personen zu reden. Da sagte der Wirt, sie wünschten nicht bekannt zu werden und hätten verboten, jemand bei ihnen einzulassen, der ihren Namen nicht nenne. Aus Hochachtung vor dem Botschafter jedoch gab er ihm das Zimmer an und führte ihn selbst ins oberste Stockwerk in ein elendes Stübchen. Er klopfte an, aber es dauerte ein Weilchen, bis die Tür geöffnet wurde. Endlich, als er von neuem stark gepocht hatte, wurde sie halb geöffnet, aber beim Anblick des Botschafters und seines Gefolges wollte der, welcher sie geöffnet hatte, sie wieder schließen, indem er sagte, man irre sich wohl. Da stieß der Botschafter sie mit Gewalt auf, trat ein und gebot seinen Leuten, draußen zu warten.
[S. 135]
Als er allein im Zimmer stand, sah er einen jungen Mann von sehr hübschem Äußeren, das vollkommen zu der Beschreibung paßte. Bei ihm war ein junges Weib, schön und von guter Figur, dessen Haarfarbe, Wuchs und Gesichtsschnitt gleichfalls mit der Beschreibung des Grafen von Moncada übereinstimmte. Der junge Mann brach zuerst das Schweigen. Er beschwerte sich über das gewaltsame Eindringen bei einem Fremden, der in einem freien Lande sei und unter dem Schutz der Gesetze lebe. Der Botschafter trat auf ihn zu, um ihn zu umarmen, und sprach: „Verstellen Sie sich nicht, lieber Graf! Ich kenne Sie und komme nicht her, um Ihnen Verdruß zu bereiten, auch der jungen Dame nicht, die mir sehr fesselnd erscheint.“
Der Jüngling entgegnete, er irre sich. Er sei kein Graf, sondern der Sohn eines Kaufmanns aus Cadix. Die junge Frau sei seine Gattin, und sie reisten zu ihrem Vergnügen. Der Botschafter warf einen Blick in das elend ausgestattete Stübchen, in dem nur ein einziges Bett stand, sowie auf das armselige Gepäck, das herumlag. „Wohnt hier, liebes Kind — gestatten Sie mir diese Anrede, zu der mich die zärtliche Freundschaft zu Ihrem Herrn Vater ermächtigt —, wohnt hier der Sohn des Grafen Moncada?“ Der junge Mann behauptete immer noch, nicht zu verstehen, was er meinte. Schließlich aber ward er durch den eindringlichen Zuspruch des Botschafters besiegt und gestand weinend, daß er Moncadas Sohn sei, daß er aber niemals zu seinem Vater zurückkehren werde, falls er das angebetete Weib verlassen müsse.
Auch sie brach in Tränen aus, warf sich dem Botschafter zu Füßen und sagte, sie wolle nicht die Ursache des Unglücks des Grafen Moncada sein. Indem ihre Hochherzigkeit oder vielmehr ihre Liebe über ihren eigenen[S. 136] Vorteil siegte, erklärte sie sich bereit, da es sich um sein Glück handle, sich von ihm zu trennen.
Der Jüngling gerät in Verzweiflung, macht seiner Geliebten Vorwürfe und erklärt, er wolle sie nicht verlassen und nicht dulden, daß ihr edles Herz sich gegen sie selbst, gegen ein so liebenswertes Wesen kehre. Der Botschafter entgegnet, es sei nicht die Absicht des Grafen Moncada, sie unglücklich zu machen, vielmehr sei er beauftragt, ihr eine angemessene Summe zu geben, damit sie nach Spanien zurückkehren oder leben könne, wo sie sonst wolle. Ihre vornehme Gesinnung und ihre echte Zärtlichkeit, sagte er, flößten ihm die größte Anteilnahme ein und bestimmten ihn, die Summe, die er ihr gegenwärtig zu geben beauftragt sei, so hoch wie möglich zu bemessen. Somit verspräche er ihr 10000 Gulden (etwa 30000 Franken), die ihr ausgezahlt werden sollten, sobald sie das ihr gegebene schriftliche Heiratsversprechen ausliefere und der Graf Moncada zum Botschafter übergesiedelt sei und nach Spanien zurückzukehren gelobt habe.
Das junge Weib achtet scheinbar nicht auf die Summe und denkt nur an ihren Liebhaber und den Schmerz, ihn zu verlieren, an das grausame Opfer, zu dem Vernunft und Eigenliebe sie zwingen. Dann zieht sie aus einer kleinen Brieftasche das Heiratsversprechen des Grafen und sagt: „Ich kenne sein Herz zu gut, um dies nötig zu haben“, küßt es mit einer Art Überschwang mehrere Male und überreicht es dem Botschafter, der ob solcher Seelengröße erstaunt ist. Er verspricht dem jungen Weibe, sich stets ihrer anzunehmen, und versichert dem Grafen, daß sein Vater ihm verzeihen werde. Mit offenen Armen, sagt er, werde er den verlorenen Sohn aufnehmen, der zu den untröstlichen Seinen zurückkehre; das Herz eines Vaters sei eine unerschöpfliche Quelle der Zärtlichkeit. Wie[S. 137] glücklich werde sein so lange bekümmerter Freund sein, wenn er diese Nachricht erhalte, und wie glücklich fühle er sich selber, das Werkzeug dieses Glückes zu sein! So redete der Botschafter auf den Jüngling ein, und dieser schien lebhaft gerührt.
Da der Botschafter indes befürchtete, die Liebe möchte in der Nacht ihre ganze Gewalt wieder erlangen und über den hochherzigen Entschluß der Dame siegen, drängte er den jungen Grafen, ihm in sein Haus zu folgen. Die Tränen und Schmerzenslaute, die diese grausame Trennung hervorrief, sind schwer zu beschreiben und rührten das Herz des Botschafters tief. Er versprach, der jungen Dame seinen Schutz angedeihen zu lassen. Das kleine Gepäck des Grafen war leicht fortgeschafft, und am Abend befand er sich im schönsten Gemache des Botschafters, der hocherfreut war, dem erlauchten Hause Moncada den Erben seiner Größe und so vieler prächtiger Besitzungen wiedergegeben zu haben.
Als der junge Graf am Tage nach diesem glücklichen Ereignis aufsteht, sieht er Schneider, Stoff- und Spitzenhändler usw. erscheinen, und er braucht nur zu wählen. Zwei Kammerdiener und drei Lakaien warten in seinem Vorzimmer, und zwar Leute, die der Botschafter unter den klügsten und ehrlichsten ausgewählt hat. Sie melden sich bei ihm zum Dienste. Der Botschafter zeigt dem jungen Grafen den Brief, den er soeben an dessen Vater geschrieben hat. Darin beglückwünscht er ihn zu einem Sohne, dessen Gesinnung und Eigenschaften seinem erlauchten Blut entsprechen, und meldet ihm seine baldige Heimkehr. Die junge Frau ist nicht vergessen. Er gesteht, daß er ihrer Hochherzigkeit die Unterwerfung seines Sohnes zum Teil danke, und zweifelt nicht, daß der Graf das Geschenk von 10000 Gulden gutheißen werde.
[S. 138]
Diese Summe wurde der edlen, fesselnden Person noch am selben Tage zugestellt, und sie reiste alsbald ab. Auch die Zurüstungen zur Abreise des Grafen wurden getroffen. Eine prächtige Garderobe, ein ausgezeichneter Wagen wurden in Rotterdam auf ein Schiff verladen, das nach Frankreich in See ging und auf dem der Graf ebenfalls abfahren sollte, um sich von dort nach Spanien zu begeben. Bei seiner Abreise erhielt er eine erhebliche Geldsumme und beträchtliche Wechsel auf Paris. Rührend war der Abschied des Botschafters von dem jungen Herrn.
Voller Ungeduld erwartete der Botschafter die Antwort des Grafen Moncada und genoß dessen Freude, indem er sich an seine Stelle versetzte. Nach vier Monaten traf sie endlich ein. Aber umsonst wird man versuchen, die Überraschung des Botschafters zu schildern, als er folgendes las:
„Der Himmel hat mir nie die Genugtuung gewährt, Vater zu sein, lieber Marchese. Er hat mich mit Gütern und Ehren überhäuft, aber mir den Kummer bereitet, keine Erben zu haben und mein erlauchtes Geschlecht mit mir aussterben zu sehen, und so hat er mein Leben mit dem bittersten Gram erfüllt. Ich sehe zu meinem tiefsten Leidwesen, daß Sie durch einen jungen Abenteurer getäuscht worden sind, der die Kenntnis von unserer alten Freundschaft gemißbraucht hat. Aber Euer Exzellenz sollen nicht der Angeführte sein. Den Grafen Moncada haben Sie sich zu verbinden geglaubt; er hat die Pflicht, das zu begleichen, was Sie ihm in hochherziger Freundschaft vorgestreckt haben, um ihm ein Glück zu bereiten, das ihn aufs höchste erfreut hätte. Ich hoffe also, Herr Marchese, Sie werden ohne Widerstreben die beiliegende Summe von 3000 Louisdors laut ausgestellter Rechnung annehmen.“
[S. 139]
**
*
Die Art, wie der Graf Saint-Germain den jungen Abenteurer, seine Geliebte und den Botschafter reden ließ, brachte die Zuhörer abwechselnd zum Weinen und zum Lachen. Die Geschichte ist buchstäblich wahr, und der Abenteurer ist nach Aussage derer, die ihm zuhörten, geschickter als Guzman von Alfarache[166]. Madame hatte den Einfall, ein Lustspiel daraus zu machen, und der Graf schickte ihr die Geschichte schriftlich, so wie ich sie hier abgeschrieben habe.
Haag, 8. Januar 1760.
Wie ich höre, befindet sich in Paris ein Mann, dessen Auftreten wichtig genug scheint, um E. M. zu berichten, was ich davon erfahren konnte. Es ist eine Art Abenteurer, der unter dem Namen eines Grafen Saint-Germain in Deutschland und England gereist ist. Er spielt vorzüglich Violine, macht auch den Alchimisten und tritt überall groß auf. In Paris wohnt er bei einem englischen Bankier Selwin. Vielleicht haben E. M. von dem Manne schon gehört. Der angebliche Graf soll gegenwärtig am Versailler Hofe eine hervorragende Rolle spielen und sogar Zutritt zu den Privatgemächern des Königs von Frankreich und der Marquise (von Pompadour) haben. Wie man mir versichert, besuchen ihn alle Minister, um sich bei ihm einzuschmeicheln, nicht nur, weil er in hohem Maße die Gunst ihres Gebieters besitzt, sondern auch, um sich Rat bei ihm zu holen.
[S. 140]
Was ihn in so hohe Gunst gebracht hat, ist schwer zu sagen, aber allem Anschein nach hat er der Favoritin und dem König weisgemacht, daß er ihnen das Geheimnis des Steins der Weisen zeigen würde. Die Geistesschwäche des Königs und seine bloße Neugier für alles, was mit den Naturwissenschaften zusammenhängt, dazu die Habsucht der Marquise, machen diese Annahme sehr wahrscheinlich. Übrigens soll er dem König von Frankreich bereits einige recht merkwürdige chemische Entdeckungen mitgeteilt haben, unter anderem ein Geheimmittel zur Herstellung dauerhafter Farben. Wie dem aber auch sei, der Mann spricht den französischen Ministern seine Meinung mit größtem Freimut aus. Er wiederholt ihnen oft, sie hätten die größte Torheit begangen, sich mit E. M. zu entzweien und in den Kontinentalkrieg einzugreifen[168]. Er rät ihnen, schleunigst Frieden zu machen. Er gibt sich überhaupt als großen Bewunderer E. M. aus. Als die beiden Niederlagen gegen Rußland[169] bekannt wurden, hat er immerfort vorausgesagt, was tatsächlich eingetreten ist, nämlich daß E. M. Mittel und Wege finden würden, den Schaden wieder gut zu machen, und daß man sehen würde, daß Ihre Feinde keinen Schritt weiter gekommen seien.
Anscheinend hat er Anteil am Sturze des letzten Generalkontrolleurs[170]. Zum mindesten hat er ihn in einem Brief an einen Freund im Ausland in einer Weise angezeigt,[S. 141] daß diese Annahme fast berechtigt erscheint. „Ich habe Ihnen mein Versprechen gehalten,“ schreibt er, „Silhouette, der Henker Frankreichs, ist gestürzt.“
(Aus dem Schriftwechsel des Marquis von Marigny[171])
Collet[172] an den Marquis von Marigny
Chambord, 10. Mai 1758.
Ich benutze das freundliche Anerbieten des Grafen Saint-Germain, ihn nach Paris zu begleiten, um einige ihn betreffende Angelegenheiten zu ordnen und einige Geschäfte zu erledigen, die vor Ende nächster Woche beendet sein müssen.
Der Abbé de la Pagerie an den Marquis von Marigny
Blois, 12. August 1758.
Herr von Saint-Germain, der die Neugier des ganzen Landes erregt, wird täglich erwartet. Ich habe zweimal mit ihm zu Mittag gespeist. Er scheint ein Mann von großem Wissen und von Grundsätzen zu sein.
Der Marquis von Marigny an den Abbé de la Pagerie
Versailles, 2. September 1758.
Ich erhielt Ihren Brief vom 12. vorigen Monats. Tatsächlich hat der König Herrn von Saint-Germain eine[S. 142] Wohnung in Chambord angewiesen, und Sie sagen mit Recht, daß er ein Mann von Verdienst ist. Ich hatte Gelegenheit, mich davon bei mehreren Unterredungen mit ihm zu überzeugen. Von seinen hervorragenden Kenntnissen darf man sich wirklichen Gewinn versprechen.
Collet an den Marquis von Marigny
Chambord, 4. Dezember 1758.
Graf Saint-Germain ist am letzten Sonnabend (2. Dezember) mit zwei Herren hier eingetroffen. Er will fünf bis sechs Tage hier bleiben und geht dann nach Paris. Er ist so freundlich, mich mitzunehmen.
Herr von Saumery[173] an den Marquis von Marigny
Paris, 15. April 1759.
Ich glaube, die Nebengebäude werden als Wohnung für die Arbeiter hinreichen, die Graf Saint-Germain zur Errichtung seiner Manufaktur mitbringen will.
Collet an den Marquis von Marigny
Chambord, 8. Mai 1759[174].
Graf Saint-Germain ist am letzten Sonnabend (5. Mai) hier eingetroffen. Dies ist sein zweiter Aufenthalt in Chambord. Ich habe zwei Zimmer für einige seiner Leute zurechtgemacht, sowie drei andere mit Küche und Speisekammer im Erdgeschoß zu seiner Bequemlichkeit. Ich habe in diesem Teil des Schlosses nichts verändert, sondern nur dringende Reparaturen machen lassen.
[S. 143]
(1779).
Ich war weder sein Freund noch sein Bewunderer. Hoffentlich hat er vergessen, wie sehr er sich darüber ärgerte, aber seither sind zweiundzwanzig Jahre verflossen ... Jetzt halte ich mein Urteil zurück, gestehe aber, daß ich noch immer sehr zum Mißtrauen gegen einen Mann neige, dessen Persönlichkeit stets ein Rätsel blieb, der mit unsinnigen Behauptungen um sich warf, der immerfort seinen Namen wechselte und sich bald als Adepten, bald als vornehmen Herrn ausgab, den die Vorsehung besonders reich gesegnet habe.
Ich kannte den Grafen Saint-Germain, der vom Prinzen Karl[177] so begünstigt worden ist. Ich war noch sehr jung, aber trotz meiner Jugend, trotzdem er mich gut behandelte und mir sogar schmeichelte, ließ ich ihn nicht etwa friedlich die Ehren genießen, die man seinem Scharlatanismus erwies, sondern trumpfte immerfort erbarmungslos gegen ihn auf.
[S. 144]
Graf d’Affry[179] an Choiseul
Haag, 22. Februar 1760.
Herr Astier[180] schreibt, daß sich in Amsterdam ein gewisser Graf Saint-Germain aufhält, der, soviel ich weiß, früher lange in England gelebt hat und einen recht sonderbaren Eindruck macht. Er spricht in ungewöhnlicher Weise von unseren Finanzen und unserem Ministerium und behauptet, mit einer wichtigen finanziellen Mission für Frankreich betraut zu sein.
Haag, 10. März 1760.
Graf Saint-Germain hat mich vorgestern hier aufgesucht. Er führte mir gegenüber dieselben Reden, wie er sie in Amsterdam geführt haben soll. Er hat soeben mein[S. 145] Haus verlassen; seine Gespräche drehten sich um die gleiche Sache. Er sagte mir zuerst, er könne mir unsere Finanzlage nicht trüb genug schildern; er besitze einen gewissen Plan zu ihrer Aufbesserung; mit einem Wort, er wolle das Königreich retten. Ich ließ ihn reden, soviel er wollte, und als er innehielt, fragte ich ihn, ob der Generalkontrolleur über diesen Plan Bescheid wisse. Er verneinte es und sagte bei dieser Gelegenheit viel Übles über den Vorgänger des Herrn Bertin[181]. Er schien besonders den Herren Pâris de Montmartel und Duverney[182] feindlich gesinnt. Wie er mir sagte, hätte er enge Beziehungen zum Herrn Marschall von Belle-Isle[183]; auch zeigte er mir zwei Briefe von ihm, die er seit seiner Ankunft in Holland erhalten hat. Darin spricht sich Herr von Belle-Isle anerkennend über seinen Eifer aus, aber sie enthalten nur allgemeine Wendungen und keine Einzelheiten.
Ich gestand Herrn von Saint-Germain, daß ich seinen Plan durchaus nicht begriffe. Er gab mir seinerseits zu, daß er ihn schlecht erklärt hätte, und versprach mir, ihn mir morgen mitzubringen. Ich fragte ihn, was seine Reise nach Holland mit diesem Plane zu tun hätte. Er gab mir darauf keine klare Antwort und sagte nur, sein allgemeines Vorhaben sei, uns den Kredit der vornehmsten hiesigen Bankhäuser zu sichern.
Ich werde mich beehren, Herr Herzog, Ihnen am nächsten Freitag (14. März) zu berichten, was Herr von Saint-Germain mir morgen etwa sagt und mitteilt. Ich weiß nicht, ob alle seine Behauptungen völlig wahrheitsgemäß sind, aber er hat sicherlich sehr ungewöhnliche Ansichten.
[S. 146]
Haag, 11. März.
Herr von Saint-Germain hat mir seinen Plan mitgeteilt, der Herrn Bertin bekannt ist und sogar von ihm empfohlen wird.
Graf Saint-Germain an die Marquise von Pompadour
[Haag] 11. März 1760.
Gnädige Frau. Meine reinen und aufrichtigen Wünsche für die Wohlfahrt Ihres verehrten Volkes und für Sie selbst werden, wo ich auch in Europa weile, unverändert bleiben. Doch will ich nicht unterlassen, Ihnen Beweise dafür in aller Reinheit, Aufrichtigkeit und Stärke zu geben. Ich bin jetzt im Haag und wohne beim Grafen Bentinck, Herrn van Rhoon, zu dem ich enge Beziehungen habe[184]. Ich war so erfolgreich, daß ich glaube, Frankreich hat keinen verständigeren, treueren und beständigeren Freund. Des seien Sie versichert, gnädige Frau, wenn Sie auch das Gegenteil davon hören sollten.
Herr von Bentinck ist hier ebenso allmächtig wie in England, ein großer Staatsmann und vollendeter Ehrenmann. Er ist mir gegenüber völlig offen. Aus der Fülle meines Herzens sprach ich ihm von der reizenden Marquise von Pompadour. Meine Gefühle gegen Sie, gnädige Frau, sind Ihnen längst bekannt und gewiß der Herzensgüte und Seelenschönheit wert, die diese Gefühle erweckten. Er war so begeistert davon, daß er ganz bezaubert ist; mit einem Wort, Sie können sich auf ihn verlassen wie auf mich.
[S. 147]
Ich glaube mit gutem Grunde, daß der König angesichts seiner Macht, seiner Aufrichtigkeit und Redlichkeit große Dienste von ihm erwarten kann. Wenn der König glaubt, daß meine Beziehungen zu ihm irgendwie von Nutzen sein können, so will ich mich aufs äußerste bemühen, ihm zu dienen. Meine freiwillige, selbstlose Hingebung an seine heilige Person muß ihm ja bekannt sein. Sie kennen die Treue, die ich Ihnen geschworen habe, gnädige Frau: befehlen Sie, und ich gehorche. Sie können Europa ohne die Verdrießlichkeiten und Schwierigkeiten eines Kongresses den Frieden geben. Ihre Befehle werden mir völlig sicher zukommen, wenn Sie sie an den Grafen van Rhoon im Haag senden oder, wenn Sie es für besser halten, an die Herren Thomas und Adrian Hope[185], bei denen ich in Amsterdam wohne. Was ich Ihnen zu schreiben habe, erscheint mir so bedeutsam, daß ich mir schwere Vorwürfe machen müßte, gnädige Frau, wenn ich es Ihnen verschweigen wollte, da ich nie etwas verborgen habe noch verbergen werde. Wenn Sie keine Zeit haben, mir selbst zu antworten, so bitte ich Sie, es durch eine sichere, vertrauenswürdige Person zu tun. Aber verlieren Sie keinen Augenblick; ich beschwöre Sie bei aller Liebe und Zuneigung für den besten und würdigsten aller Könige.
Graf d’Affry an Choiseul
Haag, 14. März 1760.
Ich habe den Plan gesehen, von dem Herr von Saint-Germain mir gesprochen hatte. Ich habe ihn an ihn zurückgesandt und werde ihm bei nächster Gelegenheit sagen, daß derartige Geschäfte mit meinem Amte nichts zu tun haben. Ich könnte mich ohne Auftrag nicht damit[S. 148] befassen und wünschte selbst, Kredite für die Staatsfinanzen in Amsterdam oder in anderen holländischen Städten zu finden ...
Wie Herr von Saint-Germain mir sagte, hat Herr Bentinck van Rhoon sich über meine Zurückhaltung bei ihm beschwert; ich spräche mit ihm nie von Geschäftssachen. Wie er hinzusetzte, hat Herr Bentinck ihm versichert, niemand sei weniger englisch gesinnt als er; er sei ein guter Patriot und mehr Franzose, als ich glaubte. Ich antwortete Herrn von Saint-Germain mit allgemeinen Wendungen, ließ aber durchblicken, daß ich es seltsam fände, daß Herr Bentinck ihm diesen Auftrag gegeben hätte, und noch seltsamer, daß er ihn übernommen hätte. Ich halte mich für verpflichtet, Ihnen alles mitzuteilen, was zwischen diesem Manne und mir stattgefunden hat.
Choiseul an Graf d’Affry
Versailles, 19. März 1760.
Ich sende Ihnen einen Brief des Herrn von Saint-Germain an die Marquise von Pompadour[186], der die unglaubliche Art dieses Mannes hinreichend beweist. Er ist ein Abenteurer ersten Ranges und zudem, soweit ich sehen kann, sehr töricht. Ich bitte Sie, ihn sofort nach Empfang meines Briefes zu sich kommen zu lassen und ihm zu sagen, ich wisse zwar nicht, wie man im Finanzdepartement über ihn dächte, gäbe Ihnen aber den Befehl, ihm zu eröffnen: sobald ich erführe, daß er sich irgendwie im Großen oder im Kleinen in die Politik einzumischen wage, so könne er sich darauf verlassen, ich würde beim König den Befehl erwirken, ihn bei seiner Rückkehr nach Frankreich für den Rest seiner Tage in[S. 149] einem Kerkerloch einzusperren. Sie wollen hinzusetzen, er möge ganz sicher sein, daß diese meine Absichten ebenso ernst sind, wie daß sie bestimmt ausgeführt werden, falls er mir Anlaß gibt, mein Wort zu halten.
Nach dieser Erklärung werden Sie ihn auffordern, nie wieder einen Fuß in Ihr Haus zu setzen, und Sie werden gut daran tun, allen fremden Gesandten sowie den Amsterdamer Bankiers das Kompliment bekanntzugeben, das Sie diesem unausstehlichen Abenteurer in meinem Auftrage gemacht haben.
Graf d’Affry an Choiseul
Haag, 21. März 1760.
Graf Rhoon van Bentinck hat mich nicht nur durch Herrn von Saint-Germain unterrichtet, sondern mir auch durch andere Personen sagen lassen, wie sehr ihm daran liege, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Ich gab zur Antwort, da ich bisher keinerlei Beziehungen zu ihm gehabt hätte, schiene es mir zwecklos, jetzt damit zu beginnen. Ich wäre jedoch stets bereit, mit Personen zusammenzugehen, die es als gute holländische Patrioten für ihr Land für vorteilhaft hielten, die Freundschaft und das Wohlwollen Seiner Majestät zu pflegen. Ich wüßte, daß Herr von Bentinck diese für sein Land wie für ihn selbst so wünschenswerten Grundsätze stets außer acht gelassen hätte und daß seine diesbezügliche Sinnesänderung Beweise von längerer Dauer erheischte, als ihm recht sein möchte. Er hat meine Antwort erhalten, sich dadurch aber nicht entmutigen lassen.
Ich hielt mich für verpflichtet, den Ratspensionär[187], Herrn van Slingelandt[188] und Herrn von Hompesch zu[S. 150] benachrichtigen. Wie sie mir sagten, wünscht Herr von Bentinck eine Annäherung an uns nur, um seinen Kredit hier und in England aufzufrischen, und er möchte wahrscheinlich zu einem der Bevollmächtigten der Republik auf dem künftigen Kongreß[189] ernannt werden.
Haag, 5. April 1760.
Ihren Erlaß vom 19. März über den Grafen Saint-Germain kann ich erst heute beantworten, weil das indiskrete Benehmen dieses Abenteurers (um nicht mehr zu sagen) mir Nachforschungen nötig erscheinen ließ, bevor ich Ihnen Bericht erstatte. Aber dies Benehmen ist derart, daß ich es für meine Pflicht halte, es zur Kenntnis Seiner Majestät zu bringen.
Am Tage nach Empfang Ihres Schreibens suchte Herr von Saint-Germain, der aus Amsterdam kam, mich auf. Er kam mit Herrn von Brühl und Kauderbach[190] und sagte mir, die Herren wollten mit ihm zum Grafen Golowkin[191] nach Ryswijk, wohin auch ich wollte. Ich sagte Herrn von Saint-Germain, daß ich ihn vorher zu sprechen wünschte, und teilte ihm zugleich den Inhalt Ihres Schreibens über seinen Plan mit. Er war davon niedergeschmettert. Zuletzt bat ich ihn, am nächsten Morgen um 10 Uhr zu mir zu kommen. Kurz darauf teilte ich Kauderbach den Inhalt Ihres Schreibens mit, worauf er sofort beschloß, Saint-Germain nicht nach Ryswijk mitzunehmen.
Saint-Germain ist nicht zu mir gekommen, und da ich glaubte, meine sehr deutlichen Erklärungen würden hinreichen, um ihn vorsichtig zu machen, ja ihn zum Verlassen[S. 151] des Landes bestimmen, so hielt ich es nicht für erforderlich, ihn nochmals zu mir zu bitten, sondern ließ es dabei bewenden, das, was Sie mir geschrieben haben, an die vornehmsten Vertreter der Republik und an einige fremde Gesandte mitzuteilen, sowie Herrn Astier in Amsterdam anzuweisen, die größten Bankhäuser vor den etwaigen Vorschlägen Saint-Germains zu warnen. Wie Herr Astier mir mitteilte, haben unter anderen die Herren Thomas und Adrian Hope seinen Aufenthalt bei ihnen als sehr lästig und peinlich empfunden und wollen die erste Gelegenheit wahrnehmen, um ihn loszuwerden.
Aber die beiden Briefe des Marschalls Belle-Isle, die Sie mir gesandt haben, scheinen mir zu beweisen, daß der Mann sich nicht an die ihm von mir erteilten Weisungen gehalten hat, sondern uns in neue Schwierigkeiten verwickeln wird. Diese Briefe erhielt ich Dienstag (1. April). Ich ließ Herrn von Saint-Germain auffordern, mich am Mittwoch früh aufzusuchen, aber er kam nicht, und vorgestern, am Donnerstag, sagte mir der Prinz von Braunschweig[192] in Gegenwart der Herren Golowkin und von Reischach[193], nachdem wir ihm unsere Gegenerklärungen[194] mitgeteilt hatten, er hätte erfahren, auf Befehl Seiner Majestät seien die Briefe, die Saint-Germain nach Versailles gerichtet hat, an mich übersandt worden. Wahrscheinlich würde ich bald noch andere erhalten; denn er wisse, daß Saint-Germain noch mehrere sehr lange geschrieben hätte, seit ihm mein Haus von mir verboten[S. 152] sei. Er selber hätte sich bestimmt geweigert, ihn zu empfangen. Trotzdem sei ihm bekannt, daß er andere Personen gesehen hätte und daß dieser Mensch hier noch immer Ränke spänne. Es ließe sich ihm zwar nichts zur Last legen, aber er sei in diesem Augenblick und hierzulande eine sehr gefährliche Person, und ein Mensch von solcher Dreistigkeit könne eine Unterhandlung durch einen einzigen Schritt erschweren und verzögern. Nun glaubte ich das Wort ergreifen zu müssen und sagte zum Prinzen Ludwig, ich sei vollauf ermächtigt, ihm sowie den Herren Golowkin und Reischach zu erklären, daß Saint-Germain von uns völlig desavouiert werde und daß auf irgendwelche Äußerungen von ihm über unsere Angelegenheiten oder unsere Regierung nichts zu geben sei. Ich sagte dem Prinzen von Braunschweig ferner, wenn er Gelegenheit habe, Herrn Yorke[195] zu sehen, vielleicht am gleichen Tage, so bäte ich ihn ernstlich, ihm von mir aus die gleiche Erklärung abzugeben. Dasselbe tat ich gestern morgen beim Ratspensionär und beim Greffier[196].
Vorgestern Abend, nach meiner Rückkehr aus Ryswijck, sandte ich zu Herrn von Saint-Germain und ließ ihn um seinen Besuch bitten. Er war nicht zu Hause. Ich sandte ihm eine schriftliche Einladung, mich gestern früh um acht Uhr aufzusuchen. Ich mußte nochmals nach ihm schicken; schließlich kam er. Ich hielt es nicht für angezeigt, ihm die Briefe des Herrn von Belle-Isle zu übergeben, da er schlechten Gebrauch davon machen könnte, aber ich sagte ihm, der Herr Marschall hätte mir auf ausdrücklichen Befehl des Königs geboten, alles anzuhören, was er mir zu sagen hätte. Ich fragte ihn, ob seine Eröffnungen sich auf unser Militär bezögen; er[S. 153] verneinte es. Ich fragte ihn, ob sie unsere Flotte oder unsere Finanzen beträfen. Er verneinte es gleichfalls. Hierauf entgegnete ich, sie könnten also lediglich politischer Natur sein, und darauf las ich ihm alles vor, was Sie mir über sein ihm bevorstehendes Schicksal bei seiner Rückkehr nach Frankreich geschrieben haben. Anfangs trug er große Gleichgültigkeit zur Schau, dann drückte er sein Erstaunen über die Behandlung aus, mit der man einen Mann seines Ranges bedrohe, aber schließlich schien ihn die Sache zu verwirren. Da er indes anscheinend nicht gesonnen war, den Plan, den sein Betätigungsdrang ihm eingibt, fallen zu lassen, warnte ich ihn beim Abschied nochmals sehr ernstlich und sagte ihm, wenn er sich noch weiterhin irgendwie in die Angelegenheiten und Interessen Seiner Majestät einmische, so würde ich Ihnen das melden und hier öffentlich sagen, daß alles, was er hier verbreitet habe, von Seiner Majestät und dessen Ministern völlig dementiert werde.
Sogleich ging ich zu Herrn Yorke ... und fragte ihn, ob Saint-Germain in seinem Hause gewesen sei. Er sagte, er sei zweimal bei ihm gewesen[197]. Beim ersten Besuch hätte er mit ihm vom Frieden gesprochen, und er selbst hätte sich lediglich in allgemeinen Wendungen über Englands ehrlichen Friedenswillen geäußert. Beim zweiten Besuch sei er, Yorke, zurückhaltender geworden, da er gehört habe, daß ich Saint-Germain mein Haus verboten hätte. Er fügte hinzu, daß der Herzog von Newcastle[198] auf seinen Bericht über den ersten Besuch des Mannes an ihn geschrieben hätte, er möge ihm erwidern, daß Eröffnungen über den Frieden von seiten Frankreichs in London stets willkommen seien, einerlei durch wen sie[S. 154] gemacht würden. Aber ich weiß nicht, ob Herr Yorke ihm diesen Bescheid mitgeteilt hat.
Ich bitte Sie, Herr Herzog, diesen Bericht dem Herrn Marschall von Belle-Isle mitzuteilen. Ich bin sicher, daß er jeden brieflichen Verkehr mit einem Manne abbrechen wird, der sich in der von mir geschilderten Weise benommen hat. Anbei folgen die beiden Schreiben zurück, die er mir für Saint-Germain zugesandt hat.
Ich habe Ihnen noch zu sagen, daß Herr von Saint-Germain so anmaßend ist, überall zu behaupten und sogar mir zu sagen, daß Seine Majestät so gütig waren, ihm das Schloß Chambord unter den gleichen Bedingungen zuzuweisen wie dem verstorbenen Marschall von Sachsen, mit Ausnahme der Einkünfte, die er, wie er sagte, gar nicht zu haben wünschte.
Choiseul an Graf d’Affry
Versailles, 11. April 1760.
Aus meinem besonderen Schreiben über den Grafen Saint-Germain[199] haben Sie ersehen, welche Meinung ich von diesem unausstehlichen Abenteurer habe. Ich kann Ihnen versichern, daß alle Minister Seiner Majestät ebenso denken, und der König läßt Ihnen ausdrücklich befehlen, Sie sollen den sogenannten Grafen Saint-Germain nicht nur bei allen Personen in ganz Holland, von denen Sie annehmen können, daß sie diesen Halunken kennen, mit Schimpf und Schande in Verruf bringen, sondern Seine Majestät wünscht auch, daß Sie mit Berufung auf die zwischen ihm und Holland bestehende Freundschaft die Verhaftung dieses Burschen durchsetzen, damit er nach Frankreich überführt und gemäß der Schwere seines[S. 155] Vergehens bestraft wird. Es liegt im Interesse aller Herrscher und der öffentlichen Moral, daß mit solcher Unverschämtheit aufgeräumt wird, die sich in die Angelegenheiten einer Macht wie Frankreich einzumischen wagt, ohne dazu ermächtigt zu sein. Nach meiner Meinung ist das Auslieferungsverlangen in diesem Falle ebenso berechtigt, wie sonst bei Verbrechern. Somit hofft der König nicht ohne Grund, daß Saint-Germain auf Ihren Antrag verhaftet und mit sicherem Geleit nach Lille gebracht wird.
Ich muß gestehen, daß Sie nach meiner Meinung sehr schonend mit ihm verfahren sind und daß ich vielleicht nach Ihrer letzten Unterredung mit ihm den Befehl hätte geben sollen, ihm eine gute Tracht Prügel verabfolgen zu lassen.
Was er Ihnen über Chambord gesagt hat, ist eine Lüge ersten Ranges. Der König will durchaus, daß dieser Abenteurer alsbald in den Vereinigten Provinzen in Verruf und Mißkredit gebracht und, wenn möglich, so bestraft wird, wie sein Unterfangen es verdient. Seine Majestät hat mich ausdrücklich beauftragt, Sie in seinem Namen aufzufordern, daß Sie der Sache Ihre volle Aufmerksamkeit widmen.
Nachschrift. Wäre es nicht möglich, außer dem Antrag auf Auslieferung Saint-Germains bei den Generalstaaten einen Artikel in die holländischen Zeitungen zu bringen, durch den dieser Halunke ein für allemal diskreditiert wird, damit alle Betrüger, die ihn nachahmen wollen, eine Lehre erhalten? Auch dies hat der König vollauf genehmigt, und Sie werden es voll ausführen, wenn Sie es für möglich halten.
[S. 156]
Graf d’Affry an Choiseul
Haag, 17. April 1760.
Ich habe den Kurier bis heute zurückbehalten, um Ihnen über die Ausführung Ihrer Befehle, betreffend den sogenannten Grafen Saint-Germain, eingehend berichten zu können. Gestern suchte ich den Ratspensionär auf, las ihm alles vor, was Sie mir betreffs dieses dreisten Abenteurers geschrieben haben, und bat um dessen Verhaftung und Auslieferung im Namen Seiner Majestät. Das schien ihm Verlegenheit zu bereiten, aber er versprach mir trotzdem, alles zu tun, was in der Sache von ihm abhinge ...
Der Greffier sagte mir, er zweifle nicht, daß dieser Mann an uns ausgeliefert würde. Da jedoch Herr von Bentinck der Vorsitzende des ständigen Ausschusses ist, von dem die Sache während der Abwesenheit der Generalstaaten geprüft werden muß, fürchtete ich sofort, man werde Saint-Germain das Entkommen erleichtern, und diese Befürchtung ist eingetroffen.
Ich erwartete gestern morgen weitere Nachrichten, als Herr Kauderbach zu mir kam und mich fragte, ob ich schon von Saint-Germains Flucht gehört hätte? Ich verneinte es. Darauf sagte er mir, vorgestern abend zwischen 7 und 8 Uhr sei Herr von Bentinck im Hause dieses Abenteurers gewesen[200] und hätte es vor 9 Uhr verlassen. Dann wäre Herr Pieck van Soelen[201] hingekommen, aber nicht lange geblieben. Darauf wäre Herr von Bentinck zwischen 9 und 10 Uhr nochmals erschienen und bis nach Mitternacht dageblieben. Herr von Saint-Germain sei zu Bett gegangen; um 5 Uhr früh hätte er Tee getrunken, und[S. 157] ein Bedienter des Herrn von Bentinck sei mit einem vierspännigen Mietswagen vor der Tür erschienen. Der Schwindler hätte ihn bestiegen, aber der Wirt könne nicht angeben, welche Straße er eingeschlagen habe, noch könne er sagen, ob Herr von Bentincks Bedienter mitgefahren sei. Diese Abreise geschah so hastig, daß er im Wirtshause seinen Degen und Koppel, sowie ein Paket mit Silber- oder Zinnspänen und ein paar Flaschen mit einer unbekannten Flüssigkeit hinterlassen habe. Ich hielt an mich, um Herrn Kauderbach meine Entrüstung über das Benehmen des Herrn von Bentinck zu verbergen. Ich sagte ihm nicht mehr, als ich ihm über das Auslieferungsgesuch sagen sollte, und fragte nur, ob er all der mir angegebenen Einzelheiten sicher sei. Er entgegnete mir, er habe sie von Saint-Germains Gastwirt, einem Sachsen, und schlug vor, diesen zu mir zu senden. Wir ließen ihn holen, und er bestätigte alles, was Herr Kauderbach mir gesagt hatte.
Als Herr Kauderbach mein Haus verlassen hatte, ließ ich den Ratspensionär um eine Audienz bitten. Er war gerade von einem großen Mahle zurückgekehrt, bei dem er seit 7 Uhr gewesen war, und schob meinen Besuch bis heute 9 Uhr morgens auf. Ich ging zu ihm und fragte ihn, wie die Angelegenheit mit Saint-Germain stände. Er entgegnete, er allein könne die Verantwortung nicht auf sich nehmen, und ich müsse durchaus Herrn von Bentinck, dem Vorsitzenden des ständigen Ausschusses, eine Denkschrift überreichen. Der Ausschuß werde wohl Saint-Germains Verhaftung beschließen, nicht aber seine Auslieferung, bevor er nicht von den Staaten von Holland bei ihrem demnächstigen Zusammentritt dazu ermächtigt sei. Ich erwiderte, daß ich auf die Überreichung einer Denkschrift an Herrn von Bentinck verzichte und ihm[S. 158] auch den Grund dafür sagen wolle. Dann erzählte ich ihm Saint-Germains Flucht mit allen Einzelheiten und dem, was vorhergegangen war, ohne den Gastwirt weiter zu erwähnen, und stellte alles so dar, daß er glauben mußte, ich hätte das Ein- und Ausgehen des Herrn von Bentinck in dem Gasthofe und das Erscheinen seines Bedienten mit dem Mietswagen nur durch die Wachsamkeit meiner Spione erfahren. Er schien mir über alles, was er hörte, ehrlich entrüstet. Darauf sagte ich ihm, da man dem Abenteurer vom Haag aus zur Flucht verholfen hätte, hätte er vielleicht Zuflucht in Amsterdam gefunden, und ich wolle an unseren Marinekommissar, Herrn Astier, schreiben, er solle den Schurken im Namen Seiner Majestät verhaften und bis auf weiteren Befehl in sicherem Gewahrsam halten lassen ... Ferner sagte ich dem Ratspensionär, da der Abenteurer vielleicht in anderen Provinzen der Generalstaaten Zuflucht gesucht habe, würde ich zugleich die Genehmigung Seiner Majestät einholen, einen Antrag an die Hochmögenden zu stellen, und falls insbesondere die Provinz Holland oder eine andere diesen Akt der Gerechtigkeit abschlagen oder ihn dadurch vereiteln sollte, daß sie Saint-Germain zur Flucht behilflich sei, so würden wir ihn schon zu finden wissen, und ich sei sicher, wenn er in England oder sonstwo ermittelt würde, daß er nach Friedensschluß unmittelbar an uns ausgeliefert würde. Letzteres schien den Ratspensionär sehr in Verlegenheit zu setzen, und es sollte mich nicht wundern, wenn er in Amsterdam auf unseren Antrag hin verhaftet würde, aber ich bin überzeugt, daß er die Grenze der Republik bereits erreicht hat.
Die Denkschrift[202], zu deren Einreichung an die Generalstaaten ich Ihre Erlaubnis erbitte und deren Entwurf ich[S. 159] hier beilege, kann, wenn es Seiner Majestät genehm ist, in allen Zeitungen erscheinen. Sie wird diesem Abenteurer einen Stempel aufdrücken, den er nie wieder los werden wird. Sie ist eine Art von Verurteilung in contumaciam, die ihn in ganz Europa brandmarkt.
Ich glaube, der Schwindler ist in arger Geldverlegenheit. Er hat sich von dem Juden Boas[203] 2000 Gulden geborgt, für die er bei dem Juden drei Opale, falsche oder echte, in einem versiegelten Papier als Pfand hinterlassen hat. Die 2000 Gulden sollen am 25. d. M. bezahlt werden, und Herr Boas sagte gestern zu Herrn Kauderbach, wenn der Wechselbrief am 25. nicht einträfe, würde er die drei Opale öffentlich versteigern lassen. Betreffs des Herrn von Bentinck werde ich gemäß Ihrem letzten Erlaß handeln, falls Seine Majestät mir nicht neue diesbezügliche Befehle erteilt. Wenn ich ihn dieser Tage treffe, werde ich mit ihm von Herrn von Saint-Germain und dessen Abreise sprechen, ohne mich bloßzustellen, aber so, daß ich ihn zwinge, sein Benehmen und seine Beziehungen zu diesem Abenteurer ein für allemal abzuleugnen.
Choiseul an Graf d’Affry
Versailles, 24. April 1760.
Der König genehmigt, daß Sie den Generalstaaten die Denkschrift über den sogenannten Grafen Saint-Germain einreichen, deren Entwurf Sie mir übersandten.
Graf d’Affry an Choiseul
Haag, 25. April 1760.
Man glaubt, daß der sogenannte Graf Saint-Germain sich nach England begeben hat. Ich hörte sagen, er hätte[S. 160] solche Angst vor der Verhaftung gehabt, daß er nicht in der Stadt Hellevoetsluis zu bleiben gewagt hat, sondern sich sofort auf ein Paketboot begab, wo er bis zum Augenblick der Abfahrt blieb, ohne den Fuß an Land zu setzen. Andere glauben, er sei nach Utrecht gefahren, von wo er Deutschland erreicht haben muß.
Haag, 30. April 1760.
Hochmögende Herren! Ein Unbekannter, der sich Graf Saint-Germain nennt und dem mein Herr und König Zuflucht in seinem Reiche gewähren wollte, hat seine Gnade gemißbraucht. Er ist vor einiger Zeit nach Holland und seit kurzem nach dem Haag gekommen, wo er ohne irgendeine Vollmacht Seiner Majestät und des Ministeriums und ohne irgendeinen Auftrag in schamloser Weise ausgesprengt hat, er wäre zu Unterhandlungen im Namen des Königs ermächtigt. Mein Herr und König befiehlt mir ausdrücklich, dies Ihnen, hochmögende Herren, öffentlich mitzuteilen, damit niemand in Ihrem Machtbereich durch einen derartigen Schwindler getäuscht werde.
Seine Majestät befiehlt mir ferner, die Auslieferung dieses Abenteurers von dunkler Herkunft zu beantragen, der von Anfang an die ihm gewährte Zuflucht gemißbraucht hat, indem er sich beikommen ließ, von der Regierung des Königreiches mit ebenso großer Dreistigkeit wie Unkenntnis zu reden und die falsche und dreiste Behauptung zu verbreiten, er sei mit Vertretung der wichtigsten[S. 161] Interessen meines Herrn und Königs betraut. Seine Majestät zweifelt nicht, daß Sie, hochmögende Herren, ihm die Gerechtigkeit nicht versagen werden, die er von Ihrer Freundschaft und Gerechtigkeit erwarten darf, und daß Sie veranlassen, daß der angebliche Graf Saint-Germain verhaftet und mit guter Bedeckung nach Antwerpen gebracht wird, um von dort nach Frankreich überführt zu werden. Ich hoffe auf unverzügliche Gewährung dieser Bitte.
Haag, 30. April 1760.
In der Versammlung wurde die Denkschrift des Herrn Grafen d’Affry, Botschafter Seiner Majestät des Königs von Frankreich, die die Person eines sogenannten Grafen Saint-Germain reklamierte, verlesen.
Darauf wurde in die Beratung eingetreten. Die Deputierten der verschiedenen Provinzen haben die erwähnte Denkschrift in Abschrift entgegengenommen, um sie in ihren Provinzen weiter mitzuteilen. Ferner wurde einstimmig beschlossen, die Abschrift der obigen Denkschrift dem Herrn Pieck van Soelen und anderen Mitgliedern der Generalstaaten, die zum auswärtigen Ausschuß gehören, zur weiteren Prüfung und Berichterstattung an die Versammlung zu übergeben[206].
[S. 162]
Sonntag, 9. März 1760.
Saint-Germain erzählte mir, England würde dem Frieden keine Hindernisse in den Weg legen, Frankreich dagegen Schwierigkeiten bereiten. Der französische König und Frau von Pompadour, der ganze Hof sowie das gesamte Land verlangten leidenschaftlich nach Frieden. Der Herzog von Choiseul sei der einzige, der dies Bestreben zu vereiteln suche. Er habe seinen Einfluß gewonnen, als er am Wiener Hof weilte[208]. Alles Elend und Mißgeschick in Europa habe der Versailler Vertrag von 1756 verursacht. Durch eine geheime Klausel in demselben sei Flandern dem Infanten zugesichert, und dafür solle Schlesien nach seiner Eroberung der Königin von Ungarn abgetreten und übertragen werden[209]. Einen Weg aus dieser Verlegenheit gebe es: nämlich der Friedensschluß zwischen England und Frankreich. Das übliche System von Präliminarien, Kongressen und Konferenzen würde nur die Lösung unbegrenzt hinausschieben und zu einem neuen Kriege führen. Der bloße Gedanke lasse einen erschaudern.[S. 163] Sobald man nur einige annehmbare Vorschläge vorbrächte oder nur etliche aufrichtige und vertrauenswürdige Männer sich ins Mittel legten, würde seiner Ansicht nach der Friede zustande kommen, den England ebenso dringend gebrauche wie Frankreich. Der König und Frau von Pompadour verlangten sehnsüchtig nach Frieden, nicht minder der englische König. Ebenso wären der Herzog von Newcastle[210] und Lord Granville[211] dafür eingenommen. Pitt[212], der jetzt mit ihnen beiden gemeinsame Sache mache, hätte bisher stets seine Pläne durchkreuzt; aber er wäre dem Könige verhaßt.
Ein Schotte, namens Crammon, der in Paris lebe, habe ein Schreiben von Neufville in Amsterdam[213] erhalten, mit dem Auftrage, sich auf seinen Empfang vorzubereiten. Er bekam noch einen weiteren Brief über Brüssel aus London, und dieses letztere Schreiben enthielt Andeutungen über einen Sonderfrieden zwischen Frankreich und England. Diese Andeutungen kamen vom Herzog von Newcastle und Lord Granville. Frau von Pompadour habe ihn von dem Inhalt dieses Schreibens unterrichtet; sie sei hocherfreut gewesen und habe ihm aufgetragen, Choiseul davon in Kenntnis zu setzen. Nach anfänglicher Weigerung habe er, Saint-Germain, schließlich nachgegeben. Aber Choiseul verwerfe alles.
Dienstag, 11. März 1760.
Wie Saint-Germain mir sagte, hat er Frau von Pompadour mitgeteilt, was zwischen mir und ihm vorgefallen[S. 164] ist[214], ... und auch an den Minister in diesem Sinne geschrieben. Auf meine Frage, wie der Minister diese Nachricht aufnehmen werde, sagte er lächelnd, doch mit zuversichtlichem Blick, es werde sich in Versailles bald manches ändern, und er gab mir zu verstehen, daß es nicht in Choiseuls Macht liegen werde, den Frieden noch lange zu hintertreiben.
Freitag, 4. April 1760.
Der Ratspensionär Steyn erzählte mir, d’Affry hätte ihm mitgeteilt, daß die Weisungen Choiseuls, betreffend Saint-Germain, in der Hauptsache darauf hinausliefen, alles, was Saint-Germain für den Frieden getan hätte oder tun würde, zu desavouieren. Ferner sei er beauftragt, Saint-Germain davon zu unterrichten und die Drohung hinzuzufügen, bei weiterer Einmischung würde er bei seiner Rückkehr nach Frankreich eingekerkert[215] ...
An demselben Tage speiste Saint-Germain zusammen mit mir und erzählte mir, d’Affry habe ihm die Befehle mitgeteilt und Choiseuls Brief[216] gezeigt. Er hätte geantwortet, das werde ihn nie an der Rückkehr nach Frankreich hindern und diese Drohungen würden nie zur Ausführung gelangen; sie stammten lediglich von Choiseul. Ferner berichtete er, er hätte Yorke schon vor 17 Jahren als Kind kennen gelernt und die Familie Yorke wäre stets die Güte selbst zu ihm gewesen. D’Affry hätte ihm auch seine häufigen Besuche bei mir vorgehalten, aber er, Saint-Germain, hätte erklärt, daß er damit fortfahren würde. Dann habe d’Affry ihm Choiseuls Brief zusammen mit dem gezeigt, den er selbst an Frau von Pompadour[S. 165] geschrieben habe[217]. Dazu bemerkte Saint-Germain, nach seiner Überzeugung hätte Choiseul diesen der Frau von Pompadour gestohlen. Wiederholt hätte ihm d’Affry gesagt, Frankreich werde nie Vertrauen in mich setzen. Nach allem scheint es, als ob sich Saint-Germain aus den Weisungen, die d’Affry empfangen hat, wenig macht, und noch weniger aus Choiseul selbst.
Dienstag, 15. April 1760.
Der Ratspensionär erzählte mir, d’Affry habe ihm die in der letzten Nacht durch Kurier überbrachten Befehle gezeigt, in denen es hieß, daß Saint-Germain „ein bloßer Landstreicher“ sei, und daß alles, was er etwa vorgebracht habe, dementiert werden solle. Es solle Klage gegen ihn erhoben, er solle festgenommen und nach Lille zur weiteren Überführung nach Frankreich gebracht und dort eingekerkert werden[218] ... Demgegenüber entwickelte ich meine Ansicht, daß Saint-Germain, wie andere Fremde, im Vertrauen auf den Schutz der Gesetze hergekommen sei und auf seine persönliche Sicherheit rechne; daß er kein Kapitalverbrecher sei, wie Mörder oder Giftmischer, denen kein Herrscher Schutz gewähre, und daß das Asylrecht in unserer Republik als geheiligt gelte ... Er stimmte dem zu, schien aber sehr besorgt wegen der Aufnahme in Frankreich.
Darauf ging ich zum Greffier, der mir in Gegenwart des Ratspensionärs und ebenso wie dieser von d’Affrys Besuch und seinen Forderungen erzählte und daß er ihm geraten habe, sich an die Regierung selber zu wenden usw., daß er aber nicht glaube, die Regierung werde jemand ausliefern, der im Lande im Vertrauen auf dessen Schutz[S. 166] lebe, und der sich kein scheußliches Verbrechen, dem kein Herrscher Schutz gewähre, habe zu schulden kommen lassen.
Mittwoch, 16. April 1760.
Als ich Yorke mitteilte, was ich soeben über Saint-Germain gehört hatte, erwartete ich, er werde ihn in Schutz nehmen; denn Yorke hatte mit Saint-Germain zu verhandeln begonnen und ihn ermutigt. Ich habe seine Originalbriefe an Saint-Germain selbst gesehen; sie sind sehr freundlich und ermutigend. Statt aber Saint-Germain in Schutz zu nehmen, nahm er seinen harten, hochmütigen und anmaßlichen Ausdruck an und sagte, es sei ihm „sehr lieb, Saint-Germain in den Händen der Polizei zu sehen“. Ich war wie vom Donner gerührt und sagte ihm mit voller Absicht meine Meinung, freilich in sehr höflicher und vorsichtiger Weise, um ihn nicht zu verletzen. Aber Yorke blieb dabei und sagte, er „wüsche sich betreffs Saint-Germains die Hände in Unschuld“. Auch verweigerte er mir einen Paß für das Paketboot, um den ich ihn bat. Als ich ihn drängte, sagte Yorke schließlich, wenn ich einen Paß als persönliche Gunst erbäte, werde er ihn mir „mit Rücksicht auf meine Stellung“ nicht abschlagen. Ich nahm es an und betonte, daß d’Affry uns eine Menge Scherereien machen könne, denen sich vorbeugen ließe, wenn man Saint-Germain die Flucht ermöglichte. Darauf rief Yorke seinen Sekretär und ließ einen Paß bringen, den er unterzeichnete und mir unausgefüllt aushändigte, so daß Saint-Germain seinen eigenen Namen oder irgendeinen anderen hineinsetzen konnte, um sich den Verfolgungen d’Affrys oder seiner Agenten zu entziehen. Ich ging mit dem Paß fort, ohne Yorke zu zeigen, wie sehr ich über diesen Vorfall verletzt und empört war.
[S. 167]
18. April 1760.
D’Affry besuchte mich, und als er von Linnières und seinen Beziehungen zu Saint-Germain sprach[219], fiel mir dieser Name auf und erregte meine Neugierde, da ich viel über ihn in England gehört hatte, wo er längere Zeit gewesen war und in den besten Kreisen verkehrt hatte. Kein Mensch dort wußte, wer er war. Aber das wunderte mich nicht, da es in England keine Geheimpolizei gibt. Um so erstaunlicher war dagegen, daß er in Frankreich unbekannt war. Nur der König, so erzählte d’Affry, kannte ihn, und in England, wie er glaubte, der Herzog von Newcastle. Ich berichtete d’Affry, was ich über Saint-Germain, sein Gebaren, seinen Reichtum, sein prächtiges Auftreten gehört hatte, ebenso über die Regelmäßigkeit, mit der er seine Schulden bezahlte, und über die großen Summen, die er in England, wo das Leben teuer ist, ausgab usw. Darauf bemerkte d’Affry, sicher wäre er ein merkwürdiger Mann; die seltsamsten Geschichten würden von ihm erzählt, eine immer abgeschmackter als die andere. Z. B. solle er den Stein der Weisen besitzen, 100 Jahre alt sein, obwohl er noch nicht wie ein Vierziger aussähe usw. Meine Frage, ob er ihn persönlich kenne, bejahte er; im Hause der Prinzessin Montauban sei er ihm begegnet. Saint-Germain sei in Versailles hochwillkommen und eine bekannte Persönlichkeit gewesen und habe oft Frau von Pompadour besucht. Er sei verschwenderisch und trete prächtig auf. Unter anderem erwähnte er seine kostbaren Gemälde, Juwelen und Kunstgegenstände. An Weiteres erinnere ich mich nicht mehr ...
[S. 168]
Auf die Mitteilung von Linnières, daß ich seine Bekanntschaft wünschte, machte mir Saint-Germain im März seinen Besuch. Seine Unterhaltung gefiel mir außerordentlich; sie war glänzend, voll Abwechslung und reich an Schilderungen der verschiedenen Länder, die er gesehen hatte — alles sehr fesselnd. Seinen Urteilen über Personen und Sachen, die mir bekannt waren, konnte ich nur beipflichten. Sein Auftreten war sehr höflich und bewies, daß er in der besten Gesellschaft aufgewachsen war.
Mit Frau Geelvinck und Herrn A. Hope[220] war er von Amsterdam herübergekommen, wo er täglich im Hause des Bürgermeisters Hasselaar[221] verkehrte. Er hatte von der Hasselaarschen Familie Empfehlungen an Herrn van Soelen im Haag, der ihn zu Frau von Byland und anderswohin mitnahm. Am Geburtstag des Prinzen von Oranien[222] nahm ich ihn nach dem „Alten Hof“ (Oude Hof), wo ich seinen Namen nannte, zum Ball mit, wo er von den Hasselaars, Frau Geelvinck und Frau Byland und anderen angesprochen wurde.
Er wollte ursprünglich am Tage nach dem Ball wieder abreisen und hatte zu dem Zwecke eine Kutsche aus Amsterdam gemietet, um mit den beiden Damen, die mit ihm gekommen waren, dorthin zurückzukehren. Aber sie hielten ihn drei bis vier Tage länger auf. Während dieser Zeit war er täglich mit d’Affry zusammen, bei dem er auch speiste, bevor er wieder nach Amsterdam abreiste. Ich hatte verschiedene Unterredungen mit ihm, doch ist das meiste meinem Gedächtnis entfallen. Ich muß noch bemerken, daß während der Zeit,[S. 169] die zwischen dem Ball und seiner Abfahrt verstrich, d’Affry im steten Glauben, daß er abreisen wolle, ihm täglich Wein und Fleisch sandte. Das kann ich persönlich bezeugen, da ich zugegen war, als d’Affrys Bote ihm zwei Tage hintereinander die Sachen brachte. Da aber Saint-Germain trotzdem nicht abreiste, kam er zu Tisch in d’Affrys Haus ...
Ich ging selbst zu Saint-Germain und riet ihm in seinem eigenen Interesse, sobald als möglich fortzugehen[223]. Ich erzählte, ich wäre von dritter Seite unterrichtet[224], daß d’Affry Befehl habe, seine Festnahme zu bewirken, worauf er unter Bedeckung an die Grenze gebracht und an Frankreich ausgeliefert werden solle, damit er dort für den Rest seines Lebens eingekerkert würde. Er war außerordentlich überrascht, nicht sowohl über Choiseuls Befehle, als darüber, daß d’Affry daran dächte, sie in einem Lande, wo Recht und Gesetz noch Geltung hätten, zur Ausführung zu bringen. Er stellte eine Menge Fragen, eine immer gemessener als die andere, und mit der größten Ruhe der Welt. Ich wollte mich auf keinerlei Erörterung einlassen, da es mir zu schwierig schien, alle seine Fragen zu beantworten und alle Punkte, die er zur Sprache brachte, aufzuklären. Ich sagte ihm, dazu wäre keine Zeit; er solle vielmehr an sofortige Abreise denken, wenn ihm seine Sicherheit lieb wäre. Bis zum anderen Morgen hätte er für seine Vorbereitungen Zeit, da d’Affry die Schritte, die er etwa vorhätte, nicht vor 10 Uhr am nächsten Morgen unternehmen könnte. Vor diesem Zeitpunkte müsse also Saint-Germain seine Pläne gefaßt und ins Werk gesetzt haben. Darauf wurde Art und Weise und Ziel der Reise besprochen. Für das erstere stellte ich mich zur Verfügung; für das letztere riet ich zu England.[S. 170] Wir einigten uns darüber, und ich erbot mich, ihm von Herrn Yorke den Paß zu besorgen, dessen er zur Einschiffung auf dem Paketboot bedurfte. Da ein Schiff am nächsten Tage fahren sollte, drängte ich ihn, sich so schnell als möglich nach Hellevoetsluis zu begeben. Sei das geschehen, kämen alle Schritte d’Affrys zu spät ...
Abends zwischen 7 und 8 Uhr brachte ich Saint-Germain den Paß. Er richtete einen Haufen Fragen an mich, auf die ich aber nicht einging; vielmehr bat ich ihn, lieber an Wichtigeres zu denken als Fragen zu stellen, die in der gegenwärtigen Bedrängnis abgeschmackt und nutzlos seien. Er entschloß sich zur Abreise. Da keiner von seinen Bedienten Sprache, Straßen und Bräuche des Landes kannte, bat er mich, ihm einen der meinigen zu leihen, was ich mit Vergnügen tat. Ja, ich tat noch mehr, ich bestellte einen Mietswagen mit vier Pferden, der ihn angeblich nach Leiden bringen sollte, für den nächsten Morgen um 4½ Uhr vor mein Haus und beauftragte einen Diener, den Grafen Saint-Germain auf den richtigen Weg zu bringen und bei ihm zu bleiben, bis dieser ihn zu mir zurückschicken würde.
Yorke an Lord Holdernesse[226]
Haag, 14. März 1760.
Da Seine Majestät[227] geruht hat, Frankreich seine Meinung über die europäischen Verhältnisse im großen und[S. 171] ganzen mitzuteilen und durch mich seinen Wunsch nach Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe auszudrücken[228], nehme ich an, daß der Versailler Hof diesen Weg als den gangbarsten ansieht, um sich mit England in Verbindung zu setzen. Das ist wenigstens der nächstliegende Grund für Frankreichs Versuche, mich durch einen Dritten auszuforschen.
Euer Lordschaft kennen die Geschichte des seltsamen Mannes, der unter dem Namen eines Grafen von Saint-Germain bekannt ist. Er hat sich eine Zeitlang in England aufgehalten[229], ohne irgendwie hervorzutreten; die zwei bis drei letzten Jahre hat er in Frankreich verbracht, wo er auf vertrautestem Fuße mit dem König von Frankreich, Frau von Pompadour, dem Marschall von Belle-Isle usw. stand. Das hat ihm das Geschenk des königlichen Schlosses Chambord eingetragen und ihn instand gesetzt, in jenem Land eine gewisse Rolle zu spielen. In meinen Privatbriefen glaube ich schon einmal von diesem Phänomen gesprochen zu haben.
Der Mann ist vor ein paar Tagen hier angekommen. Er tauchte für einige Tage in Amsterdam auf, wo er sehr umschmeichelt wurde und wo man viel von ihm redete. Anläßlich der Hochzeit der Prinzessin Karoline[230] kam er nach dem Haag, wo er der gleichen neugierigen Aufmerksamkeit begegnete. Seine Zungenfertigkeit warb ihm Zuhörer; der Freimut, mit dem er über alles mögliche sprach, erregte allerlei Vermutungen, nicht zuletzt die, daß er als Friedensunterhändler gekommen sei. Herr d’Affry[S. 172] behandelt ihn mit Achtung und Aufmerksamkeit, ist aber sehr eifersüchtig auf ihn. Ich für mein Teil kümmerte mich nicht um ihn und habe mir nicht einmal die Mühe gegeben, meine Bekanntschaft mit ihm zu erneuern. Trotzdem sprach er bei mir vor, ich erwiderte seinen Besuch, und gestern wünschte er mich zu sprechen, erschien aber nicht zur bestimmten Stunde. Heute früh wiederholte er seine Bitte, und ich empfing ihn.
Er sprach zunächst von der schlechten Lage Frankreichs, von seinem Friedensbedürfnis und seinem Wunsch, Frieden zu schließen, sowie von seinem eigenen Ehrgeiz, zu einem für die gesamte Menschheit so erwünschten Ziele beizutragen. Schließlich betonte er seine Vorliebe für England und Preußen, die ihn nach seiner Behauptung in Frankreich jetzt beliebt mache. Da ich ihn zur Genüge kenne und mich auf eine Unterhaltung mit ihm, ohne näher unterrichtet zu sein, nicht einlassen wollte, war ich zuerst sehr ablehnend und sagte ihm, dergleichen Dinge seien zu heikel, um sie mit unberufenen Leuten zu erörtern; ich wünschte daher seine Absichten kennen zu lernen.
Dies Verfahren verfehlte seinen Zweck nicht; denn sofort zeigte er mir als Beglaubigungsschreiben zwei Briefe des Marschalls von Belle-Isle vom 14. und 26. Februar. In dem ersteren sandte ihm der Marschall einen Blankopaß des Königs von Frankreich mit der Erlaubnis, ihn auszufüllen. In dem zweiten wartete er mit Ungeduld auf Nachrichten von ihm, und in beiden ergeht er sich in Lobeserhebungen über seinen Eifer, sein Geschick und die Hoffnungen, die er auf den Zweck seiner Sendung setze. An der Echtheit beider Briefe zweifle ich nicht. Nachdem ich sie gelesen und ihm ein paar übliche Komplimente gemacht hatte, bat ich ihn, sich zu erklären, was er folgendermaßen tat.
[S. 173]
Der König, der Dauphin, Frau von Pompadour, der ganze Hof und das gesamte Volk, mit Ausnahme Choiseuls und Berryers[231], wünschen Frieden mit England. Sie könnten nicht anders, da die innere Lage es fordere. Die wahre Gesinnung Englands ist ihnen unbekannt, und sie wünschen mit Anstand aus der Sache herauszukommen. Herr d’Affry ist nicht eingeweiht, und der Herzog von Choiseul ist so österreichisch gesinnt, daß er nicht alles ausplaudern wird; aber das hat nichts zu bedeuten, denn er wird hinausgesetzt werden. Frau von Pompadour ist nicht für den Wiener Hof, aber sie ist unentschlossen, weil sie nicht weiß, auf wen sie sich verlassen kann. Sie wird aber entschlossen werden, sobald sie des Friedens gewiß ist. Der Marschall von Belle-Isle hat mit Wissen des Königs von Frankreich den Grafen Saint-Germain als Fühler vorgeschoben. Auf Spanien rechnet man nicht und macht sich in dieser Hinsicht keine Hoffnungen[232], obgleich der Herzog von Choiseul sich bemüht, diesen Glauben zu erwecken. Das und vieles andere brachte der politische Abenteurer vor.
Ich schwankte sehr, ob ich ihm gegenüber auf die Sache eingehen sollte; da ich aber von der Richtigkeit seiner Sendung überzeugt war, glaube ich keine Mißbilligung zu finden, wenn ich in allgemeinen Wendungen antwortete. Ich sagte ihm also, der König wünsche ernstlich den Frieden, und daran sei kein Zweifel möglich, da er ja inmitten seiner Erfolge, die seitdem noch beträchtlich zugenommen hätten, die Hand zum Frieden geboten habe. Mit unseren Verbündeten[233] sei die Sache[S. 174] leicht, aber ohne sie unmöglich, und Frankreich kenne unsere Lage zu gut, um sie erst von mir erfahren zu müssen. Auf Einzelheiten könne man jedoch erst eingehen, wenn wir vom ernstlichen Friedenswunsch der Gegner überzeugt seien; zudem sei ich nicht eingeweiht. Ich ging dann auf Frankreichs Abhängigkeit von den beiden Kaiserinnen[234] und auf die unangenehmen Aussichten ein, die sich für Frankreich böten, selbst wenn der König von Preußen Unglück hätte. Aber ich hütete mich wohl, über die allgemeinsten, wenn auch durchaus positiven Versicherungen hinauszugehen, daß Seine Majestät die Wiederherstellung des Friedens wünsche.
Als das Gespräch lebhafter wurde, fragte ich ihn, welcher Verlust für Frankreich am empfindlichsten gewesen sei? Ob es Kanada[235] wäre?
„Nein,“ sagte er, „denn wir wissen, daß es uns 36 Millionen gekostet hat, ohne uns etwas einzubringen.“
„Guadalupe?“
„Deswegen wird der Frieden nicht scheitern, denn wir haben auch ohne diese Insel Zucker genug.“
„Ostindien?“
„Das ist der empfindliche Punkt, denn es hängt mit unserer Finanzlage zusammen.“
Ich fragte ihn, was man von Dünkirchen dächte.
„Man wird es ohne Schwierigkeit schleifen; darauf können Sie sich verlassen.“
Nun fragte er mich, was wir von Minorka dächten.
Ich entgegnete ihm, wir hätten es vergessen, wenigstens spräche niemand mehr davon.
[S. 175]
„Das“, sagte er, „habe ich ihnen hundert und tausendmal gesagt. Auch die Kostenfrage brächte uns sehr in Verlegenheit.“
Das sind die Hauptpunkte einer dreistündigen Unterredung, über die ich ihm zu berichten versprach.
Er bat mich um Geheimhaltung und sagte, er ginge nach Amsterdam und Rotterdam, bis er erführe, daß ich eine Antwort erhalten hätte. Ich habe ihn nicht ermutigt, darauf zu warten, aber auch nicht das Gegenteil getan.
Ich hoffe, Seine Majestät wird mein Benehmen nicht mißbilligen. Es ist in solchen Verhältnissen nicht leicht, das Rechte zu treffen, aber ich kann diese Verhandlungen ebenso leicht abbrechen, wie ich sie angeknüpft habe. Der König scheint ja dem Frieden eine Tür öffnen zu wollen, und Frankreich scheint ihn sehr nötig zu haben. Die Gelegenheit scheint günstig, aber bevor ich weiter gehe, erwarte ich Weisung. Ein allgemeiner Friedenskongreß scheint nicht nach Frankreichs Geschmack, und man scheint weiter gehen zu wollen, als man gesagt hat, aber es wäre Frankreich sehr angenehm, wenn man ihm irgendein Angebot machte; denn Seine Allerchristlichste Majestät und die Marquise sind etwas schwer von Entschluß.
Lord Holdernesse an Yorke
Whitehall, 21. März 1760.
Ich kann Ihnen zu meiner Freude mitteilen, daß Seine Majestät Ihr Verhalten bei der Unterredung mit dem Grafen Saint-Germain, die Sie durch Geheimbericht vom 14. melden, durchaus billigt. Insbesondere ist es dem König lieb, daß Sie so vorsichtig waren, nicht auf Einzelheiten einzugehen, bevor er die beiden Briefe des Marschalls von Belle-Isle vorzeigte, die, wie Sie richtig bemerken,[S. 176] eine Art Vollmacht waren. Da Sie ihm gegenüber nur in allgemeinen Wendungen und gemäß Ihren früheren Instruktionen gesprochen haben, würde es auch nichts schaden, wenn Ihre Worte öffentlich bekannt würden. Seine Majestät hält es für wahrscheinlich, daß der Graf Saint-Germain — vielleicht sogar mit Vorwissen des Königs von Frankreich — von einigen Mitgliedern des Staatsrats tatsächlich beauftragt war, so zu reden, und es ist einerlei, durch welche Mittelsperson man zum erwünschten Ziele kommt. Weiter aber dürfen die Unterhandlungen zwischen einem beglaubigten Gesandten Seiner Majestät und einer Persönlichkeit wie Saint-Germain, so wie dieser bisher auftritt, nicht gehen. Alles, was Sie sagen, ist offiziell, wogegen Saint-Germain kurzerhand verleugnet werden kann, wenn es dem französischen Hofe paßt. Deshalb ist sein Auftrag auch nicht nur dem französischen Gesandten im Haag unbekannt, sondern auch dem Minister des Auswärtigen in Versailles, der, wenn ihn auch das gleiche Los treffen kann, wie seinen Vorgänger, Kardinal von Bernis[236], doch der offizielle Minister ist.
Seine Majestät wünscht also, daß Sie dem Grafen Saint-Germain sagen sollen: in Beantwortung des Berichtes, den Sie mir über Ihre Unterredung mit ihm schrieben, hätten Sie Befehl erhalten, ihm zu sagen, Sie könnten mit ihm über so wichtige Dinge nur reden, wenn er einen authentischen Beweis dafür beibrächte, daß er tatsächlich mit Wissen und Wollen Seiner Allerchristlichsten Majestät handle. Zugleich aber können Sie hinzufügen, da der König stets geneigt sei, die Reinheit seiner Gesinnung und seinen ehrlichen Wunsch nach Vermeidung jedes weiteren Vergießens von Christenblut zu beweisen, sei er bereit, sich über die Friedensbedingungen auszulassen,[S. 177] wenn der französische Hof einen gehörig beglaubigten Unterhändler schickte. Dabei werde jedoch vorausgesetzt, daß, wenn beide Kronen sich über die Friedensbedingungen einigten, der französische Hof ausdrücklich und zuverlässig seine Zustimmung erklärte, daß die Verbündeten Seiner Majestät, insbesondere der König von Preußen, in das Abkommen einbegriffen werden. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß England sich auf keine Friedensunterhandlungen einläßt, in die Seine Majestät nicht als Kurfürst [von Hannover] eingeschlossen wird.
Yorke an Lord Holdernesse
Haag, 28. März 1760.
Gestern morgen besuchte mich der Graf Saint-Germain, da ich ihn hatte wissen lassen, daß ich ihn sprechen möchte. Ich erklärte ihm offen, weitere Verhandlungen mit ihm seien unmöglich, wenn er nicht eine Vollmacht, die von dem König von Frankreich oder in dessen Namen ausgestellt sei, vorweisen könne. Ich sagte ihm, ich sei beglaubigt und er nicht, und daher könne alles, was er sage, sogleich desavouiert werden, wogegen alles, was von mir käme, das Gepräge der mir vom König verliehenen Eigenschaft trage. Ich betonte das als Einleitung zu den Eröffnungen, die ich auf Weisung Eurer Lordschaft vom 21. ds. Mts. machen sollte. Ich setzte hinzu, obwohl es klar sei, daß die Meinungen am französischen Hofe auseinandergingen, würden wir nicht mit verschiedenen Personen unterhandeln, die teils Vollmacht hätten und teils nicht. Da, wie er wisse, der König seinen Feinden einen Kongreß offen angeboten habe und dank der unvergleichlichen Hochherzigkeit Seiner Majestät Unterhandlungen mit Herrn d’Affry hätten angeknüpft werden[S. 178] können, sei jede weitere Erörterung über die Nutzlosigkeit und Unzweckmäßigkeit weiterer Schritte von unserer Seite zwecklos, wenn wir keine Gegenliebe fänden.
Nachdem ich dies vorausgeschickt hatte, sagte ich zu ihm: Ganz abgesehen von der Person, deren Briefe er mir früher gezeigt hätte, und in der Überzeugung, daß er ein so heilsames Werk ehrlich zu fördern wünsche, hätte der König mir erlaubt, ihm mitzuteilen, daß Seine Majestät auch künftig einer Aussöhnung mit dem französischen Hofe geneigt sei. Das könne jeden Wohlmeinenden von der Lauterkeit der Gesinnung Sr. Majestät überzeugen. Demgemäß teilte ich ihm die Weisung Eurer Lordschaft mit und erlaubte ihm auf seine Bitte, Abschrift von dem letzten Teile zu nehmen, von den Worten: „Seine Majestät wünscht also“, bis zum Schluß.
So weit bin ich gemäß dem mir erteilten Auftrag gegangen. Da jedoch seit meinem letzten Bericht über den Grafen von Saint-Germain ein Zwischenfall eingetreten ist, über den d’Affry (der noch nichts über meine Unterredung mit ihm weiß) ganz offen gesprochen hat, wünschte ich die Geschichte aus seinem eigenen Munde zu hören, und er erzählte mir folgendes:
Am Sonntag (23. März) erhielt d’Affry einen Kurier vom Herzog von Choiseul mit der Weisung, zu erklären, Saint-Germain hätte keinerlei Auftrag vom Versailler Hofe, und er (d’Affry) solle ihn wissen lassen, daß er nicht in seinem Hause verkehren dürfe, ja er solle ihm dies sogar verbieten[237]. Das teilte d’Affry dem Saint-Germain am Mittwoch (26. März) bei seinem Besuche mit, und zwar im Namen des Königs von Frankreich. Als dieser aber den Befehl zu sehen verlangte, da er sich nicht denken[S. 179] konnte, daß er vom König selbst käme, räumte d’Affry ein, daß der Befehl nicht vom König selbst, sondern vom Herzog von Choiseul als Staatssekretär des Auswärtigen käme. Dies begleitete er mit Versicherungen seiner Hochachtung und drückte zugleich den Wunsch aus, ihn am nächsten Tage nochmals zu sprechen. Saint-Germain jedoch lehnte dies ab, da er nicht gewillt sei, den Gesandten nochmals zu einem Verstoß gegen seine Befehle zu veranlassen, die er bereits durch seinen Empfang übertreten hätte. D’Affry ließ einfließen, daß dieser Befehl die Folge eines Briefes sei, den Saint-Germain an die Marquise von Pompadour geschrieben hätte[238], und durch den er, wie er sich ausdrückte, in Versailles in Teufels Küche geraten sei, obwohl er leugnete, von dem Inhalt des Briefes das geringste zu wissen. Saint-Germain berief sich auf die ihm bei seinem ersten Besuche gegebenen Beweise dafür, daß er nicht ohne Vollmacht sei, und erklärte, daß die möglichen Folgen seiner Briefe ihm keine Kopfschmerzen verursachten, was den Gesandten einigermaßen mißtrauisch machte. Schließlich verabschiedete er sich kurzerhand. Nichtsdestoweniger ließ d’Affry sich gestern wieder nach ihm erkundigen. Dabei ließ er ihm sein Bedauern ausdrücken, ihn nicht gesehen zu haben, und seine Besorgnis, er möchte unpäßlich sein. Ob er seitdem bei ihm war, weiß ich nicht.
Diese neue Episode in dem Roman Saint-Germains verwundert mich nicht sehr. Ebensowenig sollte es mich wundern, wenn über kurz oder lang ein mächtiger französischer Minister seinem Treiben ein Ende macht, obwohl er behauptet, sich vor nichts zu fürchten.
[S. 180]
Ich war jedoch begierig zu erfahren, was er nun vorhat und wie er sein Unternehmen fortsetzen will. Mir scheint, fürs nächste wird er nicht recht wissen, was er tun soll. Ob aus Furcht vor dem Groll des Herzogs von Choiseul, oder, wie er behauptet, wegen der Tatlosigkeit des Königs von Frankreich und der Unschlüssigkeit der Marquise, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich fand ihn im Zweifel darüber, ob er nicht versuchen solle, den Herzog von Choiseul selbst für das System zu gewinnen, das seine eigenen Auftraggeber seiner Ansicht nach vertreten. Es war nicht meines Amtes, ihn dazu zu ermutigen, und so sagte ich nur, die Sache schiene mir, aus der Entfernung gesehen, heikel zu sein und könnte seine Beschützer in Ungelegenheit bringen.
Dann suchte ich von ihm zu erfahren, in welcher Weise er von meinen Eröffnungen Gebrauch machen werde, und ob er selbst nach Versailles zu gehen gedächte. Dies lehnte er fürs erste ab, da er, wie er sagte, sonst gleich wieder zurückgeschickt würde und nur neuen Argwohn erregen müßte. Doch wollte er einen seiner Diener mit drei Briefen absenden, einem an die Frau von Pompadour, einem an den Marschall von Belle-Isle und dem dritten an einen Prinzen von Geblüt, den Grafen von Clermont[239], den er anfangs als seinen Busenfreund und als einen Mann hingestellt hatte, der des Königs Vertrauen unabhängig von seinen Ministern besäße und sehr für einen sofortigen Friedensschluß mit England einträte.
Um jeden Verdacht zu zerstreuen, zeigte er mir tatsächlich einen Brief dieses Prinzen an ihn vom 14. d. M., der in den freundschaftlichsten und herzlichsten Ausdrücken[S. 181] gehalten war, seine Abwesenheit beklagte und seine baldige Rückkehr herbeiwünschte. Er hegte keinen Zweifel, daß er von den beiden Letztgenannten Antworten erhalten würde. Von Frau von Pompadour, sagte er, erwarte er dies nicht, denn es wäre bei ihr Grundsatz, über Staatsangelegenheiten nichts zu schreiben, obwohl es unbedingt nötig sei, sie zu unterrichten, damit sie in den Stand gesetzt werde, ihrerseits zu wirken.
Das alles klingt sehr wahrscheinlich, aber der Erfolg muß sich erst noch zeigen. Inzwischen ist es klar, daß die französischen Minister gegeneinander arbeiten und somit verschiedene Systeme verfolgen. Welches den Sieg davontragen wird, hängt nicht von uns ab, aber es kann für den königlichen Dienst nicht nachteilig sein, daß die Gesinnung Seiner Majestät am französischen Hofe bekannt wird, einerlei durch welche Mittelsperson dies geschieht.
Daß d’Affry dem Grafen Saint-Germain noch Komplimente macht, nachdem er ihm den Befehl des Herzogs von Choiseul mitgeteilt hatte, ist ebenso ungewöhnlich wie das übrige, zumal er dessen Beziehungen zum Marschall von Belle-Isle sehr wohl kennt und den vom König ihm ausgestellten Paß gesehen hat.
Dies ganze Mysterium wird nach und nach aufgeklärt werden, und ich werde nicht verfehlen, Euer Lordschaft von allem zu unterrichten, was ich darüber erfahren kann. Ich ließ Saint-Germain wissen, daß er oder irgendeine andere gehörig beglaubigte Person England genehm sei. Was wir gegenwärtig einzuwenden hätten und was die ganze Sache zum Stillstand brächte, sei der Mangel einer richtigen, ausreichenden Vollmacht.
[S. 182]
Hellen an König Friedrich
Haag, 15. März 1760.
Hier ist soeben eine Person eingetroffen, die vielleicht weitgehende Aufträge hat. Es ist eine Art Abenteurer, ein Mann, dessen Vaterland unbekannt ist. Er durchstreift seit mehreren Jahren die Welt, tritt überall groß auf, spricht alle neueren Sprachen und nennt sich Graf Saint-Germain. Ich hatte bereits die Ehre, E. M. einen Immediatbericht darüber zu senden, wie weit dieser Mann es verstanden hat, sich beim Versailler Hofe beliebt zu machen[241]. Wie man mir versichert, hat ihm der König von Frankreich soeben das Schloß Chambord geschenkt. Er ist seit etwa 3 Wochen in Holland, mit einer Empfehlung an Herrn Hope[242], den reichsten Kaufmann in Amsterdam, bei dem er sogar vierzehn Tage gewohnt hat. Hier hat er Empfehlungen an die reichsten portugiesischen Juden. Wie behauptet wird, hat er den Auftrag, über 30 Millionen (Anleihe) für Frankreich zu verhandeln, aber ich neige zu der Ansicht, daß er andere Aufträge hat, und zwar ohne Wissen des Grafen d’Affry, der ihn zwar höflich behandelt, aber im Grunde sehr eifersüchtig auf ihn ist.
Gestern bat er um eine Unterredung mit dem General Yorke, die 2 Stunden gewährt hat. Das sagte mir dieser[S. 183] am Abend ins Ohr, mit dem Zusatz, er schiene beauftragt, ihn auszuforschen, und er würde mir bei anderer Gelegenheit mehr darüber sagen. Ich hoffe, mit der nächsten Post darüber berichten zu können[243].
Heute muß ich mich auf die Meldung beschränken, daß der Mann viel schwatzt, sich als Gegner Österreichs ausgiebt und Frankreich wegen seines Bündnisses mit Wien laut tadelt. Dagegen ist er ein großer Anhänger Eurer Majestät. Ich selbst hörte ihn neulich ganz laut in Gesellschaft und fast in nächster Nähe des Barons Reischach[244] sagen, Frankreich hätte sich sehr unklug benommen.
König Friedrich an Hellen
Freiberg, 22. März 1760.
Ich kann mir kaum vorstellen, daß der König von Frankreich einen Menschen, den man eigentlich nur als Abenteurer ansehen kann, mit einem so wichtigen Auftrag wie Friedensverhandlungen betraut. Sie werden daher gut tun, sich nicht auf den Anschein noch auf unbestimmte Gerüchte zu verlassen, sondern dem Mann scharf auf die Finger zu sehen. Es scheint mir wohl möglich, daß er den Auftrag hat, wegen einer Anleihe zu verhandeln, aber dreißig Millionen kommen mir doch etwas stark vor.
Freiberg, 23. März 1760.
Ihr Bericht vom 18. d. M.[245] ist mir richtig zugegangen. Sehr befriedigt hat mich Ihre genaue Wiedergabe der[S. 184] Unterredung zwischen Yorke und dem Grafen von Saint-Germain. Es giebt wohl nichts Seltsameres, aber sie ist sehr fesselnd.
(Hellen soll Yorke im Namen des Königs für die Mitteilung danken und ihm Verschwiegenheit zusichern.)
Indes habe ich meinem Gesandten in England einiges über diese Unterredung vertraulich mitgeteilt und ihn angewiesen, beim englischen Ministerium nach Kräften darauf zu dringen, daß es jetzt sobald wie möglich seine Weisungen dem General Yorke giebt, damit er genau weiß, welche Friedensbedingungen England für sich und seine Verbündeten Frankreich gegenüber stellt, und was es von seinen Eroberungen behalten oder den Franzosen zurückgeben will. Ist man erst soweit, dann lassen sich schnell bestimmte, klare und unzweideutige Präliminarartikel vereinbaren, die zur Herstellung des Friedens und als Grundlage für den allgemeinen Kongreß dienen können.
Hellen an König Friedrich
Haag, 29. März 1760.
(Hellen berichtet über die weitere Unterredung Yorkes mit Saint-Germain am 27. März, vgl. S. 177 ff.)
Mittlerweile ist ein sonderbarer Zwischenfall eingetreten. Am vergangenen Sonntag (23. März) erhielt Graf d’Affry einen Kurier vom Herzog von Choiseul mit dem Befehl, den Grafen von Saint-Germain nicht mehr zu empfangen und den alliierten Gesandten[246] zu versichern, daß er keinerlei Auftrag hätte. Man wird ja bald sehen, ob Frankreich diesen Mann als Unterhändler benutzen oder ihn verleugnen und den Gesandten mit Unterhandlungen betrauen wird. Das letztere würde beweisen,[S. 185] daß der Staatssekretär und die österreichische Partei noch das Übergewicht haben.
Haag, 1. April 1760.
Es wäre sicherlich recht eigenartig, wollte Frankreich einen Mann wie den Grafen Saint-Germain mit einer so wichtigen Unterhandlung wie der des Friedens betrauen. Zieht man jedoch in Betracht, daß diese Persönlichkeit — welcher Art sie auch nach Aussage aller aus Frankreich kommenden anständigen Leute ist — in Versailles aus und ein geht, mit der Favoritin, dem Marschall Belle-Isle und den ersten Personen am Versailler Hofe auf bestem Fuße steht, daß der König von Frankreich ihm ganz gewiß das Schloß Chambord geschenkt hat, daß der Marschall Belle-Isle ihm persönlich einen Blankopaß Seiner Allerchristlichsten Majestät schickte, — so erscheint es keineswegs unmöglich, daß er in höherem Auftrag handelt.
Als er hier ankam und dem Grafen d’Affry diesen Blankopaß und die Schreiben (Belle-Isles) zeigte, empfing ihn der Botschafter mit Auszeichnung, gab ihm Soupers, führte ihn in seine Theaterloge usw. Allerdings hat er ihm darauf, wenn auch äußerst höflich, gesagt: „Sie haben sich in Versailles furchtbare Unannehmlichkeiten durch einen Brief an die Marquise zugezogen. Ich habe eben einen Kurier mit einem Befehl des Königs erhalten, Sie nicht mehr bei mir zu empfangen.“ Darauf verlangte der Graf von Saint-Germain diesen Befehl zu sehen, und d’Affry mußte einräumen, daß er nicht von Sr. Majestät selbst stamme, sondern vom Staatssekretär. Hierauf erwiderte Saint-Germain: „Das macht mir wenig aus“ und verabschiedete sich ziemlich plötzlich von dem Gesandten, der ihn bat, am nächsten Tage wiederzukommen, da er[S. 186] sehr gern mit ihm plaudern werde. Doch jener entgegnete: „Gestatten Sie, Herr Botschafter, daß ich dies nicht tue. Ich möchte Sie nicht ein zweites Mal in Gefahr bringen, Ihren Befehlen zuwiderzuhandeln.“
So hat Saint-Germain den Vorfall dem General Yorke selbst erzählt[247]. Aber noch merkwürdiger ist, daß Graf d’Affry am übernächsten Tage nochmals zu ihm geschickt haben soll, um sich nach ihm zu erkundigen, indem er sagen ließ, er fürchte, daß er nicht wohl sei, da er seinen Besuch am Tage zuvor erwartet und ihn leider nicht gesehen hätte.
Übrigens hat der Graf dem englischen Gesandten noch einen sehr freundschaftlichen Brief des Grafen von Clermont vom 14. März gezeigt, worin dieser ihn fast wie seinesgleichen behandelt[248]. Nach seiner Angabe steht Graf Clermont in hohem Ansehen und ist sehr zum Frieden geneigt.
Haag, 5. April 1760.
Der Herzog von Choiseul, der sich dem Wiener Hofe verkauft hat, besitzt ständig großen Einfluß in Versailles. Das sieht man wieder an der Art, wie er gegen den Grafen Saint-Germain verfährt. Der Staatssekretär hat dem Grafen d’Affry mit der Pferdepost soeben einen zweiten Brief geschrieben, worin er ihm befiehlt, ihm bei seiner Rückkehr nach Frankreich mit einem Kerkerloch zu drohen, falls er sich noch weiter in Dinge mischte, zu denen er keinen Auftrag hätte[249]. Dieser ganze Zorn kommt von einem ersten Briefe des Genannten an die Marquise[250], den sie so schwach war, dem Staatssekretär mitzuteilen. Soviel ich glaube, war dies aber noch nicht der Bericht über seine Unterredungen[S. 187] mit dem englischen Gesandten. D’Affry hat den Befehl gestern ausgeführt, aber der Graf hat ziemlich selbstbewußt geantwortet, wenn man ihm (Choiseul) den Inhalt seines ersten Briefes mitgeteilt hätte, würde man ihm wahrscheinlich auch die folgenden mitteilen. Recht merkwürdig ist jedoch, daß der Marschall Belle-Isle dem Grafen durch Vermittlung des Grafen d’Affry geantwortet und ihn dabei etwas ausgescholten hat, freilich in sehr schonender Form. Er sagt, der König von Frankreich habe im Haag einen Gesandten, der sein Vertrauen besitze, und er werde dem Grafen d’Affry selber schreiben; trotzdem sei er überzeugt, daß den Grafen Saint-Germain die besten Absichten beseelten.
Bei alledem glaubt der englische Gesandte, der Mann sei nicht zuverlässig und seiner Sache nicht hinreichend sicher. Er wies darauf hin, daß Saint-Germain, als er ihm den Befehl seines Hofes mitteilte, die Neigung durchblicken ließ, den Staatssekretär auf irgendeine Weise in Kenntnis zu setzen, während er doch früher gesagt hatte, er wolle ihn stürzen. Er besann sich dann freilich eines anderen und sagte, er wolle nur an die Favoritin, den Marschall und den Grafen Clermont schreiben[251]. Seitdem ist er nicht mehr beim englischen Gesandten erschienen und hat nur für gestern abend um eine Audienz gebeten, aber ich weiß noch nicht, ob er vorgelassen wurde oder nicht ...
Übrigens erzählte Graf d’Affry dem englischen Gesandten, welche Befehle er betreffs Saint-Germains erhalten hätte, und fragte ihn, ob er ihn gesehen habe. Der Gesandte antwortete, er hätte ihm nichts gesagt, was er nicht überall wiederholen könne. „Das hat er mir auch selbst gesagt“, entgegnete der Franzose[252].
[S. 188]
König Friedrich an Hellen
Freiberg, 8. April 1760.
Die Einzelheiten Ihres Berichtes vom 29. März waren sehr beachtenswert. Was den Grafen Saint-Germain und das Rundschreiben über ihn betrifft, das der Herzog von Choiseul an die Gesandten der Verbündeten Frankreichs im Haag erlassen hat, so muß sich jetzt bald herausstellen, ob der Graf Vollmacht hatte oder nicht. Im ersteren Falle ist es klar, daß der Staatssekretär über die wirkliche Denkweise und die wahren Absichten seines Hofes nicht genau Bescheid weiß. Wie dem aber auch sei, durch die Schritte des Grafen sind die Dinge zwischen Frankreich und England in Fluß gekommen, und wenn Frankreich ernstlich gewillt ist, die Partie abzubrechen und Frieden mit uns Alliierten zu schließen, so muß es sich jetzt England gegenüber bald erklären.
Hellen an König Friedrich
Haag, 22. April 1760.
Soviel steht fest: die Reden, die Graf Saint-Germain geführt hat, haben wenigstens die Wirkung gehabt, daß der Herzog von Choiseul der Friedensströmung im Versailler Kabinett nicht ganz hat widerstehen können. Unseres Wissens hat man ihm auch nicht die letzten Berichte des Grafen mitgeteilt. Wenigstens schien der Botschafter davon keine Kenntnis zu haben, aber der besagte Staatssekretär ist so in Wut auf den armen Teufel geraten, daß er den Grafen d’Affry beauftragt hat, seine Verhaftung und Auslieferung zu beantragen. Dieser hat auch schon tatsächlich mit den Vertretern der Republik darüber gesprochen. Als aber Graf Bentinck davon erfuhr, hat er[S. 189] Saint-Germain mit Wissen des Prinzen Ludwig[253] sofort davon benachrichtigt und ihm einen Paß vom General Yorke beschafft, damit er nach England fliehen kann[254]. Gekränkt, wie er ist, kann der Graf dort sehr gute Nachrichten über die jetzigen Finanzen Frankreichs geben, über die er genau Bescheid weiß.
Haag, 3. Mai 1760.
E. M. werden in der Leidener und Amsterdamer Zeitung den genauen Abdruck des Antrages finden, den Graf d’Affry am 30. April bei den Generalstaaten wegen der Auslieferung des Grafen Saint-Germain gestellt hat[255], obwohl er, wie er nicht abstreitet, schon wußte, daß dieser bereits vor einigen Tagen nach London abgereist ist. Die Hochmögenden haben diesen Antrag im Schoße von Kommissionen begraben[256], offenbar um ihn nicht zu beantworten.
Knyphausen und Michell an König Friedrich
London, 1. April 1760.
Das hiesige Ministerium erhielt gestern die Schreiben des Generals Yorke vom 28. vorigen Monats, worin er[S. 190] über eine Unterredung berichtet, die er tags zuvor mit dem sogenannten Grafen Saint-Germain wegen seiner Eröffnungen über den Frieden hatte[258] ... Wir beschränken uns auf den Hinweis, daß das hiesige Ministerium sehr in Verlegenheit ist, sich ein richtiges Urteil über den Zwischenfall zwischen Graf d’Affry und besagtem Saint-Germain zu bilden. Nur das eine läßt diese Kabale erkennen, daß die Meinungen im Versailler Staatsrat sehr geteilt sind. In Erwartung einer Aufklärung über die Gesinnung des Versailler Hofes ist man hier sehr zufrieden, dem General Yorke eine gleichmäßige Sprache sowohl dem Botschafter wie dem Unterhändler gegenüber vorgeschrieben zu haben.
London, 22. April 1760.
Wie wir in diesem Augenblick erfahren, soll der sogenannte Graf Saint-Germain mit dem heutigen Postschiff in England angekommen sein[259], nicht als Unterhändler, sondern um Zuflucht vor den Gewaltakten des Herzogs von Choiseul zu suchen, der über sein Auftreten im Haag entrüstet ist. Diese Geschichte scheint den Einfluß des Ministers und seine Bundestreue gegen den Wiener Hof von neuem zu bestätigen. Ein Schlachtopfer mußte offenbar fallen, um dafür öffentlich Zeugnis abzulegen.
London, 29. April 1760.
Der Graf Saint-Germain hat sich seit seiner Ankunft hierselbst nicht öffentlich gezeigt und unseres Wissens keinen Minister gesehen. Wir haben jedoch dauernd ein Augenmerk auf sein Tun und Lassen und werden alles in dieser Hinsicht Beachtenswerte gewissenhaft melden.
[S. 191]
König Friedrich an Knyphausen
Meißen, 30. April 1760.
Es ist leicht zu merken ..., daß der Herzog von Choiseul wieder die Oberhand über seinen König und Herrn erlangt und im Staatsrat über die Friedenspartei gesiegt hat. Was dem Grafen Saint-Germain zugestoßen ist, ist ein schlagender Beweis dafür. Ebenso sieht man, daß Frankreich unter dem Einfluß des Wiener Hofes jetzt nicht ernstlich an Frieden denkt, sondern daß es England nur hinhalten und hintergehen will.
Immediatbericht Knyphausens an König Friedrich
London, 6. Mai 1760.
Ich habe E. M. zu melden, daß nach Ansicht des englischen Ministeriums der Aufenthalt des sogenannten Grafen Saint-Germain in England nach außen hin den Verdacht erwecken kann, als ob geheime Unterhandlungen mit England stattfinden, und daß er vielleicht auch im Lande selbst nachteilig wirkt. Deshalb hat Herr Pitt[260] sich nicht nur geweigert, ihn zu empfangen, sondern er besteht auch durchaus auf seiner Abreise. In der Verlegenheit, in die besagter Graf Saint-Germain dadurch gekommen ist, hat er sich entschlossen, sich an mich zu wenden, und Herrn Pitt, der ihn polizeilich überwachen ließ, gebeten, ihm eine Unterredung mit mir zu verschaffen.
Als ich ihn also auf Wunsch des Ministers aufsuchte, erklärte er, er könne um seiner Sicherheit willen nicht nach Holland zurückkehren, und da Herr Pitt durchaus auf seiner Abreise bestehe, habe er beschlossen, sich zu E. M. zu begeben und Sie um Zuflucht in Ihren Staaten[S. 192] gegen die Gewaltakte des Herzogs von Choiseul zu bitten. Wie er hinzufügte, sei dies seine Absicht schon bei der Abreise von Holland gewesen, aber Graf Bentinck habe ihm geraten, vorerst nach England zu gehen[261].
Ich brauche E. M. nicht zu versichern, wie peinlich mir diese Eröffnung war. Da ich jedoch voraussah, daß das Erscheinen dieses Mannes E. M. sehr unliebsam wäre, und da es nicht in meiner Macht stand, ihn daran zu hindern, habe ich im Einvernehmen mit Herrn Pitt mit ihm vereinbart, daß er unter dem Namen Graf Cea nach Aurich reisen und von dort bei E. M. anfragen solle, welches Ihre Absichten seien, so daß E. M. also Ihre Maßnahmen in voller Freiheit treffen können.
Damit er nicht argwöhnte, ich suchte seine Reise zu hintertreiben, habe ich ihm sogar Abschrift des beifolgenden Briefes an E. M. gegeben und ihm gesagt, daß ich ihn aufs wärmste empfohlen hätte. Ich habe hinzugefügt, ich hätte ihm lediglich deshalb geraten, in Aurich Station zu machen, weil ich fürchtete, er könne ohne Regelung seines Reiseweges in österreichische oder französische Hände fallen.
Die Entscheidung steht jetzt bei E. M. Inzwischen glaube ich, E. M. einen Dienst erwiesen zu haben, indem ich die Abreise des Grafen Saint-Germain nach Sachsen[262] hinausgezögert habe. Sie zu verhindern, lag nicht in meiner Macht, so gern ich es getan hätte.
Im übrigen habe ich bei meiner Unterredung mit ihm nichts erfahren, was für E. M. von Belang sein könnte und was Sie nicht schon aus den Briefen aus dem Haag wissen.
Nachschrift. Nach Abschluß dieses Berichtes hat Herr Pitt, mit dem wir nochmals eine Unterredung[S. 193] hatten, uns stark zugesetzt, E. M. nach Möglichkeit abzureden, den Grafen Saint-Germain zu empfangen, damit daraus keine Umtriebe oder Unannehmlichkeiten entstehen.
Knyphausen an das Kabinettsministerium
London, 6. Mai 1760.
Beiliegend die Abschrift meines Immediatberichts an den König, betreffend einen recht eigenartigen Zwischenfall, den ich mit dem sogenannten Grafen Saint-Germain hatte. Da dieser mir seit Jahren bekannte Mann[263] von gefährlichem Ungestüm ist und den König bestricken und zu vielen falschen Maßregeln verleiten könnte, bitte ich Euer Exzellenz, Ihr möglichstes zu tun, um seine Reise nach Sachsen zu verhindern.
König Friedrich an Knyphausen
Meißen, 10. Mai 1760.
Der Graf Saint-Germain sucht in England wohl nichts anderes als eine Zuflucht vor den Verfolgungen des Herzogs von Choiseul, mit dem und dessen Partei er, wie man deutlich sieht, völlig zerfallen ist.
Meißen, 19. Mai 1760.
Was Herr Pitt Ihnen über den Grafen Saint-Germain gesagt hat, leuchtet mir völlig ein. Bisher hat dieser nicht an mich geschrieben. Sollte er es noch tun, so will ich ihm Zuflucht in Emden oder besser in Aurich geben, falls er sich in nichts einmischt[264]. Ich fürchte nur, der seltsame Mann wird so unbesonnen sein, hierher zu[S. 194] kommen, ohne an mich zu schreiben und vorher um meine Erlaubnis zu bitten, wofür ich keine Verantwortung übernehme.
Mitchell[265] an Lord Holdernesse
Freiberg, 27. März 1760.
Der König von Preußen geruhte, mir Kenntnis von einem außergewöhnlichen Gespräch zu geben, das der Graf Saint-Germain am 14. im Haag mit General Yorke hatte[266]. Er bemerkte, obwohl der Mann und seine ganze Art höchst ungewöhnlich seien, hätte General Yorke doch Recht getan, Euer Lordschaft über den Vorfall unmittelbar zu berichten, daß nämlich der Graf mit diesem geheimen Auftrage sehr wahrscheinlich vom Marschall Belle-Isle ohne Kenntnis der übrigen französischen Minister betraut worden sei, da das Kabinett sehr geteilter Meinung ist. Er fragte mich, ob ich den Grafen Saint-Germain kenne, der, wie er gehört habe, eine Zeitlang in England gewesen sei[267]. Ich antwortete, ich hätte ihn dort gesehen, hätte aber nie geglaubt, daß er zum Unterhändler werden würde. Seine Preußische Majestät entgegnete, er hätte gehört, daß der Graf Mittel und Wege gefunden hätte, sich die Gunst des Königs von Frankreich zu verschaffen. Er hätte ihn mit einigen chemischen Versuchen unterhalten, und der König hätte ihm das Schloß Chambord geschenkt.
[S. 195]
Freiberg, 20. April 1760.
Nach Ansicht Seiner Preußischen Majestät erhellt aus allen Gesprächen der Herren d’Affry und Saint-Germain im Haag deutlich, daß das französische Ministerium in seiner Meinung geteilt sei. Einige seien für den Frieden, andere für Fortsetzung des Krieges, aber aus allem bisher Gesagten ließe sich unmöglich folgern, welchen Entschluß sie fassen würden und ob die Friedenswinke ernst gemeint oder nur gegeben seien, um Zeit zu gewinnen.
Lord Holdernesse an Mitchell[268]
Whitehall, 6. Mai 1760.
Sie werden aus meinen letzten Briefen ersehen haben, was zwischen General Yorke und dem Grafen Saint-Germain vorgefallen ist, und ich bin überzeugt, General Yorke wird Sie jedenfalls davon in Kenntnis gesetzt haben, daß Herr von Choiseul ihn in aller Form desavouiert hat und daß Saint-Germain beschlossen hat, nach England zu gehen, um sich den weiteren Verfolgungen des französischen Ministers zu entziehen[269]. Infolgedessen ist er vor einigen Tagen hier eingetroffen. Aber es liegt auf der Hand, daß er keine Vollmacht hatte, auch nicht von den französischen Ministern, in deren Namen er zu sprechen vorgab. Da sein hiesiger Aufenthalt unzweckmäßig ist und üble Folgen haben kann, wurde für angemessen erachtet, ihn bei seiner hiesigen Ankunft zu verhaften. Sein Verhör hat nichts sehr Belangreiches ergeben. Sein Benehmen und seine Sprache sind verschlagen, mit einem wunderlichen Einschlag, der schwer zu bestimmen ist.
Alles in Allem hielt man es für durchaus angezeigt, ihn nicht in England zu dulden. Demgemäß ist er am[S. 196] letzten Sonnabend (3. Mai) früh abgereist, mit der Absicht, Zuflucht im preußischen Staate zu suchen, da er sich in Holland nicht sicher fühlte. Auf seine dringende wiederholte Bitte hin besuchte ihn Baron Knyphausen während seiner Haft[270], aber keiner der königlichen Beamten.
Der König hielt es für richtig, Sie von diesen Vorgängen zu unterrichten. Sein Wunsch ist, daß Sie den Inhalt dieses Briefes Seiner Majestät dem König von Preußen mitteilen.
Haag, 18. (März) 1760.
Der Ew. Excellenz bekannte Freund (Prinz Ludwig von Braunschweig[272]) hat mich vorgestern besuchet, ... um mich zu bereden, ihm die in Händen habende Contre-Declaration[273] einsehen oder ablesen zu lassen. Ich beharrte aber darauf, daß mich dermalen noch nicht im Stande befinde, sondern, wie ihm schon gemeldet, das weitere von dem Herrn Grafen von Starhemberg[274] gewärtige.
Worüber derselbe (Prinz Ludwig) gemeldet, er besorge, man werde mit einer solchen Contre-Declaration solang zuwarten, daß indessen Frankreich soviel Zeit gewinnen werde, um mit Engelland einen Frieden zu schließen.[S. 197] Herr Graf d’Affry habe vor etwas mehr als acht Tagen durch den allhiesigen preußischen Minister von Hellen dem engelländischen Minister Yorke ein Rendezvous in Ryswijk oder in selbiger Gegend antragen lassen ...
Es befinde sich ein gewisser Fremder, der sich Comte Saint-Germain nennt, schon einige Zeit in Amsterdam, allwo er bei dem sehr reichen und geschickten Negocianten Hope[275], welcher dermalen die meiste französischen Geschäften in Amsterdam verrichtet und durch seinen Credit große Geldsummen dem französischen Hofe verschaffe, wohnhaft, seit den allhiesigen Heirats-Festivitäten[276] aber in dem Haag gegenwärtig seie, allwo er den Mr. Yorke besuche und seit kurzem mit ihm eine dreistündige Unterredung tête-à-tête gehabt habe[277], so daß er um so weniger zweifle, er müsse von dem französischen Hofe mit Friedensgeschäften beladen sein, als man wahrnehme, daß dessen allhiesige Anwesenheit den Herrn Graf d’Affry alarmiere und er sein Mißvergnügen hierüber nicht verbergen könne.
Ich trachtete, denselben (Prinz Ludwig) zu verleiten, sich gegen mich weiters zu eröffnen, was nämlich Herr Graf d’Affry dem Mr. Yorke beigebracht habe und in weme dann des Mr. le Comte de Saint-Germain obhabende Commissionen bestehen möchten.
Derselbe ließe sich aber weiter nicht heraus, als daß er eingestanden, Saint-Germain gebe aus, „daß er sich schmeichle, Frankreich durch seinen Aufenthalt in Holland zu retten“. Über die Unterredung des Herrn Graf d’Affry mit Mr. Yorke wollte er sich gar nicht eröffnen, sondern widersetzte mir, daß, weil ich ihm von dem Inhalt der Contra-Declaration nichts beibringen wolle, er mir auch[S. 198] von dem, was zwischen besagten zweien Ministres vorbei gehe, nichts mitteilen könne ...
Als der sogenannte Comte Saint-Germain aus Amsterdam allhier angelanget, so befragte den Herrn Graf d’Affry, ober von dessen Ankunft von seinem Hofe preveniret und ob ihm bekannt, daß er in Holland, wie es verlaute, mit einigen Commissionen beladen sei. Derselbe wollte weder von dem einen noch von dem andern etwas wissen, sondern brache den Discours ab, mit Vermelden, daß er allzeit vor ein espèce d’aventurier passiret habe.
Von solcher Zeit hat derselbe den Herrn Graf d’Affry besuchet, welchen mehrmalen in Compagnie bei ihm angetroffen. Vor 2 Tagen ist er wiederum nach Amsterdam zurückgekehret, solle aber, wie von Herrn Graf d’Affry selbst vernommen, inners ungefähr 8 Tagen wiederum allhier zurück eintreffen.
Man versicheret mich, daß man nicht eigentlich weiß, wer dieser sogenannte Comte Saint-Germain sei. Er redet fast alle europäische Sprachen in perfection, hat sich viele Zeit in Polen, Teutschland, Italien, Spanien, Engelland, Frankreich, auch vor diesem in Holland aufgehalten, allwo er unterschiedliche Namen geführet. Er ist in der Music und sonderbar in Spielung der Violine sehr erfahren, und scheinet aus seinem Umgang, daß er allerorten die große Welt frequentiret habe. Dermalen soll er aus Frankreich kommen, allwo der König ihm das Schloß Chambord, so ehevordem Mr. le maréchal Comte de Saxe[278] zugehöret, überlassen haben soll. Es fehlet ihm an der Leichtigkeit, sich zu explicieren, und an Geist nicht. Wann er aber mit Geschäften beladen, so gedeucht mich, daß er zu viel rede und seine Discours nicht genügsam nach den Reglen der Prudenz abmesse.
[S. 199]
Haag, 25. März 1760.
Vorgestern hat Graf d’Affry wiederum einen Expressen, aber nur aus Brüssel von dem Mr. Lesseps[279] erhalten; wie er mir gestern gemeldet, hat derselbe ihm Depêchen von seinem Hofe mitgebracht, wodurch der Herr Duc de Choiseul ihm auftraget, dem sogenannten Comte de Saint-Germain, von welchem in meinem ehevorigen Berichtschreiben Meldung beschehen und [welcher] dermalen wiederum von Amsterdam in dem Haag angelanget ist, auf das schärfeste zu untersagen, sich nicht zu unterstehen, in die Politique sich einmischen zu wollen, widrigenfalls demselben sein Haus zu verbieten oder gar ihn arretieren zu lassen[280].
Haag, 28. März 1760.
Der Herr Graf d’Affry hat dem sogenannten Comte de Saint-Germain ernstlich untersaget, sich in Friedens- oder politische Geschäften einigermaßen einzumischen, mit Bedrohen, daß er widrigenfalles ihn gar nicht mehr sehen werde.
Mir ist indessen von guter Hande zu vernehmen gekommen, daß Saint-Germain sich allhier gegen einem Freunde über dieses gegen ihm ausübendes Verfahren ungemein beschweret und demselben ein Originalschreiben von dem Herrn maréchal Duc de Belle-Isle vorgezeiget habe, in welchem derselbe ihm zu erkennen gegeben, daß er von ihm eine Antwort über seine allhiesige Verrichtungen mit vielem Empressement erwarte[281]. Ferner habe derselbe ihm, Freunde, vertrauet, daß er beladen worden, Mittel und Wege auszufinden, daß die französisch-amerikanische Insuln und Colonien, welche directe aus Frankreich[S. 200] nicht wohl approvisionniert werden können, von hier aus mit Lebensmitteln und andern Notwendigkeiten versehen werden; wo beinebens er auch chargiret worden sei, alles anzuwenden, den Credit der französischen Finanzien allhier wiederum zu erheben und emporzubringen, auch einzuberichten, was ihm von dem Friedensgeschäft zu Ohren kommen möchte. Dieses letztere habe er nicht besser zu bewirken gewußt, als den Herrn Grafen von Bentinck und Mr. Yorke zu sehen[282]. Der erstere habe sich wider Herrn Graf d’Affry beschweret, daß er von ihm gänzlich negligiret werde, da er doch imstand sich befinde, der Krone Frankreich allhier in Friedens- und andern Geschäften nützlich sein zu können. Mr. Yorke habe ihm die stärkste Versicherung erteilet, wie sehnlich und aufrichtig Engelland einen baldigen Frieden wünsche und suche; diese Krone werde den König in Preußen nicht verlassen, jedoch denselben vermögen, daß von ihm Ihro Majestät der Kaiserin[283] raisonnable und acceptable Friedensvorschläge gemacht werden. Von welchem allem er nach Versailles seinen Rapport abgestattet, darüber aber noch keine Antwort erhalten habe. Saint-Germain habe sich gegen diesem seinem Freunde herausgelassen, in was für großem Credit er bei der Madame la marquise de Pompadour und dem Herrn Duc de Belle-Isle stehe und nicht anders glauben könne, als daß Herr Graf d’Affry die an ihm vollzogene Ordre von Herrn Duc de Choiseul (von welchem ihm, Comte de Saint-Germain, nichts committiret worden) erhalten habe. Er werde aber auf das stärkeste arbeiten, daß alles ohne Anstand repariret und seine hierin verletzte Réputation auf das bäldeste und vollkommenste hergestellt werde.
[S. 201]
Was mir von der Conduite und Verrichtungen des sogenannten Comte de Saint-Germain beigebracht wird, höre ich zwar an, jedoch hüte mich, einigermaßen in Sachen mich einzumischen, die mich nicht weiters interessieren können, als davon die Wissenschaft zu haben.
Haag, 8. April 1760.
Der sogenannte Mr. le Comte de Saint-Germain befindet sich noch allhier und hat dem Mr. Yorke und Herrn Grafen von Bentinck ein und das andere Mal besuchet. Von diesem letzteren wird derselbe wohl angesehen und hält sich unterweils mehrere Stunden bei ihm auf. Derselbe hat auch verlanget, bei dem Herrn Herzog Louis von Braunschweig aufgeführet zu werden. Er hat aber ihn bishero nicht vorkommen lassen wollen, welches er dem Herrn Grafen d’Affry, Herrn Grafen von Golowkin und mir, als wir uns bei Übergebung der Contre-Declaration in Ryswijk beisammen eingefunden, selbst erzählet und zugleich zu verstehen gegeben, daß dessen Anwesenheit allhier das Friedensgeschäft leichtlich embrouilliren und sehr schädlich sein könnte[284].
Herr Graf d’Affry gab die kräftigste Versicherungen, daß er ihm bereits aus Ordre seines Hofes auf das nachdrucksamste untersaget, sich in einige politische Affairen, so seinen Hof betreffen, einzumischen, wie dann er ihm auch sein Haus wirklich verboten habe[285] und ihn nicht anderst als einen aventurier ansehen könne.
Und da der Herr Herzog ihm hierauf zu erkennen gegeben, daß Saint-Germain von der Zeit, als er ihm obiges Verbot getan, den Mr. Yorke nochmals besucht und sich mit ihm unterhalten habe[286], so hat Graf d’Affry demselben erwideret, daß er ihn sogleich zu sich kommen[S. 202] lassen und ihm bedeuten wolle, daß, wann er hiervon nicht sogleich gänzlich abstehe, der französische Hof schon Mittel finden werde, ihn einzusperren und in eine basse-fosse[287] setzen zu lassen, wobei er den Herrn Herzog ersuchte, all solches dem Mr. Yorke zu hinterbringen.
Ich beobachtete hierbei, daß besagter Herr Herzog mit vielem Eifer sich wider Saint-Germain an Laden gelegt[288], welches mich urteilen gemacht, daß er vielleicht besorgen dürfte, es möchte durch seinen Canal ein Fried zwischen der Krone Frankreich und Engelland mit Ausschluß der engelländischen Aliirten beförderet werden.
Von Herrn Grafen d’Affry habe inzwischen vernommen, daß er obgemeldete Bedrohungen dem Saint-Germain wirklich eröffnet und er hierdurch ungemein betroffen worden sei.
Haag, 18. April 1760.
Gestern ist ... der bekannte Graf Saint-Germain von hier abgereiset, ohne daß man weiß, wohin er sich begeben will.
Haag, 22. April 1760.
In meinem letztern Berichtschreiben habe Ew. Excellenz zu melden die Ehre gehabt, daß der sogenannte Graf Saint-Germain von hier abgereiset, ohne daß bekannt ist, wohin er sich begeben habe. Ich bin aber gleich hinnach ganz sicher informiret worden, daß er so gähling und unvermutet dieses Land verlassen habe, weil Herr Graf d’Affry durch den Courier, wovon in meinen letztern zwei Berichtschreiben Meldung getan, von seinem Hofe Befehl erhalten, das Ansuchen allhier zu machen, daß er arretiret und an Frankreich ausgeliefert werde, wovon, als Herr Graf d’Affry, wiewohl ganz in geheime, dessentwegen[S. 203] einige passus gemacht, derselbe benachrichtiget worden und sich alsdann sogleich aus dem Staube gemachet hat. Man weiß zwar noch nicht positive, wohin er sich verfüget; es wird aber durchaus dafür gehalten, daß er nach Engelland abgegangen sei. Hierbei hat sich noch dieser notable Umstand ergeben, daß Herr Graf von Bentinck ihn vor seiner Abreise nachts um 9 Uhr besucht und bei demselben bis nach Mitternacht verblieben sein soll, worauf Graf Saint-Germain gegen anbrechendem Tage in einer mit 4 Pferden bespannten Kutsche abgereiset ist. Man will sogar behaupten, daß ein Bedienter des Herrn Grafen von Bentinck die Pferde und Wagen zu solcher Abreise veranstaltet habe[289].
Herr Graf d’Affry hat mir vor zwei Tagen von der empfangenen Ordre, den Saint-Germain allhier arretieren zu lassen und daß er dessentwegen in der Stille einige passus gemacht, Kenntniß erteilet, mit dem Beisatz, daß er den dessentwegen erhaltenen Courier wiederum zurückgesendet und sich bei seinem Hofe angefraget habe, ob er die Ursachen, warum Saint-Germain habe sollen arretiret werden, allhier kundmachen solle oder nicht.
Haag, 25. April 1760.
Man prätendiret, nunmehro sichere Nachricht zu haben, daß der sogenannte Comte de Saint-Germain von hier gerad nach Hellevoetsluis abgegangen und den 20. dieses mit dem Paquetbot nach Engelland abgefahren sei.
Von sicherer Hand vernehme, daß derselbe von hier aus ein Schreiben an Madame la marquise de Pompadour erlassen, in welchem er unter anderm den Nutzen und die Notwendigkeit vorstellt, den allhiesigen Graf von[S. 204] Bentinck von Seiten Frankreich wegen seinem guten Willen, dieser Krone bei gegenwärtigen Umständen nützliche Dienste zu leisten, und wegen von ihm allhier und bei dem engelländischen Ministerio besitzenden besonderen Credit nicht nur allein sehr zu menagiren, sondern auf alle Weise zu cultivieren[290]. Welches Schreiben aber von dem französischen Hofe an Herrn Graf d’Affry communiciret worden.
Aus allem, was mir zu Ohren kommet, muß ich urteilen, daß Herr Graf Bentinck sehr suchet, sich in künftiges Friedensgeschäft einmischen zu können. Es ist auch gewiß, daß Comte Saint-Germain während seines allhiesigen Aufenthalts sehr vielen Umgang mit ihm gepflogen und deswegen aller Anschein vorhanden ist, daß er mit seinem Wissen und vielleicht aus seinem Rat nach Engelland abgegangen, er auch suchen wird, ihn allda zu protegieren.
Haag, 2. Mai 1760.
Herr Graf d’Affry hat vorgestern bei den Generalstaaten abschriftlich anliegendes Mémoire[291] überreichet, wodurch er das Ansuchen tuet, daß der bekannte Comte de Saint-Germain angehalten, ausgelieferet und gefänglich nach Antwerpen geführet werde. Da nun derselbe, jedermann bekanntermaßen, schon vor mehr als 14 Tagen sich von hier hinweg begeben und von Hellevoetsluis nach Engelland abgegangen ist, so scheinet nicht möglich zu sein, daß die Absicht des französischen Hofes auf dessen Anhaltung zähle, sondern etwa dahin gehen möchte, das Publicum dardurch zu belehren, daß demselben, wo er sich befinden möchte, kein Glauben und noch viel weniger einiges Vertrauen beigemessen werde, maßen Herrn Graf d’Affry[S. 205] nicht unbekannt sein kann, daß er sich allhier verlauten lassen, daß, wann der französische Hof ihm wegen jenem, was mit ihm allhier vorgefallen, nicht Satisfaction geben werde, er sich im Stand befinde, Sachen von demselben an Tage zu legen, welche ihn vollkommen rechtfertigen, demselben aber ungemein nachteilig sein werden.
Was die Generalstaaten über obiges Mémoire entschlossen, ist mir noch nicht bekannt. Und da der widrige Wind noch immer anhaltet, so können keine engelländischen Nachrichten hier ankommen, wodurch man etwa vernehmen könnte, wie derselbe in Engelland angesehen werde oder wie er sich allda betrage.
Beilage zum Bericht Reischachs vom 13. Mai 1760
(Mitteilung eines englischen Correspondenten)
(London, Mai 1760.)
Die Denkschrift des Herrn Grafen d’Affry über den Grafen Saint-Germain[292], die Sie mir gütigst zugesandt haben, steht auch in den französischen Zeitungen. Allerdings lohnt es sich nicht, wie Sie sehr richtig bemerken, so viel Lärm über diese Sache zu schlagen. Man erweist diesem Abenteurer zu viel Ehre, wenn man viel Wesens von ihm macht. Der hiesige Hof glaubte, den Kundgebungen des Mißtrauens, die der französische Hof gegen diesen Mann in Szene gesetzt hat, nicht trauen zu dürfen; denn er verdient nur Verachtung. Sie hat ihn bei seiner Ankunft mit dem Paketboot sofort in polizeilichen Gewahrsam genommen und ihn erst außer Augen gelassen,[S. 206] als er wieder an Bord gebracht wurde, um über das Meer zurückzukehren. Ein scherzhaftes Abenteuer!
Haag, 16. Mai 1760.
Der sogenannte Mr. le Comte de Saint-Germain ist den 11. dieses mit dem Paquetbot aus Engelland zu Hellevoetsluis angelanget und hat sogleich seine Reise über Rotterdam nach Teutschland und, wie hier ausgegeben wird, nach Berlin fortgesetzet. Mehrere allhier halten dafür, daß das engelländische Ministerium denselben aus Attention vor Frankreich sogleich aus Engelland weggeschaffet habe, aus welchem sie inferiren, daß diese Kron sehr geneigt sei oder Hoffnung habe, mit Frankreich den Frieden in Bälde zu schließen.
Haag, 13. Juni 1760.
Wo der bekannte sogenannte Graf von Saint-Germain sich dermalen befinde, ist allhier nicht bekannt; es wird aber von mehreren öffentlich versicheret, daß derselbe schon von geraumer Zeit her einen Espion vor den König in Preußen gemachet habe, dergleichen derselbe an allen Höfen haben und solche reichlich bezahlen solle.
Kauderbach an Graf Wackerbarth-Salmour
Haag, 14. März 1760.
Wir haben hier gegenwärtig einen höchst seltsamen und ganz außergewöhnlichen Mann, der sich Graf Saint-Germain[S. 207] nennt. Er sieht höchstens wie 45 Jahre alt aus, und doch behauptet man, daß er mindestens 110 Jahre zählt. Wie mir Herr d’Affry versicherte, wäre er viel älter als wir beide zusammen, und doch sind wir beide über die Sechzig. Fest steht, daß ein fast siebzigjähriges Mitglied der Generalstaaten mir gesagt hat, er habe diesen seltsamen Mann im Hause seines Vaters gesehen, als er selbst noch ein Kind war, und er hätte fast genau so ausgesehen wie heute. Trotzdem macht er den gelenken, munteren Eindruck eines Dreißigjährigen. Seine Waden sind wie gedrechselt, sein eigenes Haar schwarz und voll, und er hat sozusagen keine Runzel im Gesicht. Fleisch ißt er fast nie, außer etwas Hühnerbrust; seine Nahrung beschränkt sich auf Grütze, Gemüse und Fische. Gegen Kälte schützt er sich sehr, aber er schont sich nicht übermäßig durch frühes Schlafengehen und hat uns, gleichsam aus Gefälligkeit, bis 1 Uhr nachts Gesellschaft geleistet, ohne daß man es ihm am nächsten Morgen anmerkte. Gelingt es mir, dem guten Alten sein Geheimnis zu entlocken, so glaube ich, dem König[294] einen wesentlichen Dienst zu leisten, wenn ich es Euer Gnaden mitteile, um Sr. Majestät ein so kostbares und für seinen Dienst so nützliches Leben zu verlängern.
Saint-Germain besitzt unermeßliche Reichtümer, und wenn man ihm glauben will, auch die schönsten Geheimnisse der Natur. Er spricht gelehrt darüber, ohne den Geheimnisvollen zu spielen, und sucht durch seine Beweisführungen auch die Ungläubigsten zu bekehren, anscheinend ohne jede Hintergedanken. Seine Reichtümer sind eine feststehende, in ganz Frankreich bekannte Tatsache. Er steht in höchster Gunst beim Allerchristlichsten König,[S. 208] der ihm das Schloß Chambord zum lebenslänglichen Wohnsitz angewiesen hat. Er zeigte uns Steine von unschätzbarem Wert und sämtlich von unvergleichlicher Größe und Schönheit. Beiliegend übersende ich E. E. der Wissenschaft halber die Maße eines seiner schönsten Opale, der von tadelloser Reinheit und herrlicher Schönheit ist. Nach seiner Behauptung besitzt kein Herrscher der Welt solche Schätze, wie er sie in Steinen zu besitzen vorgibt. Er sagt, daß alle irdische Größe ihm gleichgültig sei und daß er nur auf den Titel eines Bürgers Anspruch erhebe.
Von Frankreichs Unglück gerührt, hat er dem König[295] seine Dienste angeboten, um das Land zu retten, und zu diesem Zweck ist er nach Holland gekommen. Aus seinem Auftrag oder wenigstens dessen Zweck macht er kein Geheimnis. Wir sind gespannt, welche Mittel er hat; nach seiner Behauptung sind sie unfehlbar, da sie von ihm allein abhängen. Er ist ein großer Fürsprecher der Frau von Pompadour und sucht sie von dem Makel zu befreien, den man ihr hier angeheftet hat. Er schreibt ihr das beste Herz zu, die redlichsten Absichten und beispiellose Uneigennützigkeit. Ich hatte mit ihm ein langes Gespräch über die Ursachen von Frankreichs Mißgeschick und über die Ministerwechsel. Folgendes sagte er mir hierüber:
„Das Grundübel ist die Schwachheit des Monarchen. Seine Umgebung kennt seine übergroße Güte und mißbraucht sie, und diese Umgebung besteht nur aus Kreaturen der Brüder Pâris[296], die allein Frankreichs ganzes Unglück verschulden. Sie haben alles verderbt und die Pläne des besten französischen Bürgers, des Marschalls von Belle-Isle, durchkreuzt. Daher die Uneinigkeit und die Eifersucht unter den Ministern, die jeder einem anderen[S. 209] Herrscher zu dienen scheinen. Alles ist durch die Brüder Pâris verderbt: mag Frankreich zugrunde gehen, wenn sie nur ihr Ziel erreichen, 800 Millionen Vermögen zu erwerben. Unglücklicherweise besitzt der König mehr Güte als Scharfblick, um die Bosheit seiner Umgebung zu durchschauen. Da diese seine Charakterschwäche kennt, tut sie nichts, als seinen Schwächen zu schmeicheln, und findet dadurch vor allen anderen Gehör. Die gleiche Charakterschwäche zeigt sich bei der Mätresse. Sie kennt das Übel, hat aber nicht den Mut, ihm zu steuern.“
Er also, Saint-Germain, will die radikale Heilung unternehmen und macht sich anheischig, durch seine Maßnahmen in Holland zwei Männer zu stürzen, die dem Staate so schädlich sind und die man bisher für ganz unersetzlich hielt. Hört man ihn so frei von der Leber sprechen, so muß man annehmen, daß er seiner Sache gewiß ist, oder man muß ihn für den größten Gimpel auf Erden halten.
Ich könnte Euer Gnaden noch manches über diesen seltsamen Mann und seine physikalischen Kenntnisse erzählen, müßte ich nicht fürchten, Sie durch Berichte zu ermüden, die mehr romanhaft als wirklich erscheinen. Doch halte ich mit meinem Urteil noch zurück. D’Affry erweist ihm die größten Aufmerksamkeiten und scheint ihn für ein Wunder zu halten. Saint-Germain hat die ganze Welt durchstreift und spricht die meisten bekannten Sprachen. Er war mehrmals in Dresden und, wie er mir sagte, dem verstorbenen König[297] wohlbekannt. Auch in der Musik leistet er Hervorragendes. Er spielt vollendet Violine und Klavier und singt entzückend. Man läuft ihm hier das Haus ein, wie einem Wundertier, und er ist in der Tat ein sehr angenehmer Gesellschafter.
[S. 210]
Kauderbach an den Fürsten Golizyn[298]
Haag, 14. März 1760.
Wir haben hier einen seltsamen Mann. Es ist der berühmte Graf Saint-Germain, der in ganz Europa wegen seiner Kenntnisse und seiner ungeheuren Reichtümer bekannt ist. Er ist mit einem wichtigen Auftrag in diesem Lande betraut und redet viel davon, er wolle ähnlich wie früher die Jungfrau von Orleans Frankreich retten. Wir müssen abwarten, wie er es anfangen wird. Er hat ein Lager von Edelsteinen von größter Schönheit. Er behauptet, der Natur ihre tiefsten Geheimnisse entrissen zu haben und sie durch und durch zu kennen. Das Merkwürdigste aber ist, daß er über 110 Jahre alt sein will. Er sieht indes nicht älter als 45 aus. Gaudeant bene nati[299]! Ich wünschte, ich könnte sein Geheimnis für Sie und auch für mich selbst erlangen! Er ist ein warmer Verteidiger der Frau von Pompadour und des Marschalls von Belle-Isle und verabscheut die beiden Brüder Pâris, denen er die Schuld an allem Mißgeschick Frankreichs zuschreibt.[300] Er spricht sehr frei über die französischen Verhältnisse — vom König bis zum Hanswurst.
Haag, 19. März 1760.
Ich schrieb Ihnen bereits von dem berühmten Saint-Germain, der gegenwärtig in Amsterdam bei Herrn Hope wohnt. Er hat Herrn Yorke in seinem Hause aufgesucht und ist drei Stunden bei ihm geblieben[301]. Er hat hier weder zu Herrn d’Affry geschickt noch sich an ihn gewandt, und doch hat er mir selbst erklärt, er sei mit einem wichtigen Auftrage betraut. Um jedoch die Wahrheit zu[S. 211] sagen, erscheint er mir zu anmaßlich und unvorsichtig, als daß man ihm glauben könnte, daß er ein allerhöchst beauftragter Unterhändler ist. Ich stelle ihn auf eine Stufe mit dem berüchtigten Macanas, den Euer Exzellenz hier 1747 kennen lernten, oder wenigstens mit dem Grafen Seckendorff, der im letzten Jahre herkam[302]. Ich müßte mich sehr in ihm täuschen, wenn er mit seinem Auftrag Erfolg hat. Unsere Holländer sind zu schwerfällig, um auf solche Schliche einzugehen. Immerhin zweifle ich nicht mehr, daß wichtige Unterhandlungen im Gange sind.
Graf Wackerbarth-Salmour[303] an Kauderbach
Dresden, 23. März 1760.
Ihre Königlichen und Kurfürstlichen Hoheiten lesen stets mit Vergnügen, was Sie mir schreiben. Sie haben das Bild, das Sie mir von Saint-Germain entwarfen, sehr fesselnd gefunden. Wir können es noch nicht bis ins einzelne deutlich erkennen. Aus der Ferne wirkt es schön, aber man muß es sich näher daraufhin ansehen, ob alle seine Züge übereinstimmen und zutreffen, woran ich stark zweifle. Vor 50 Jahren lernte ich den berüchtigten Huldashop kennen und verkehrte mit ihm. Er behauptete, über 80 Jahre alt zu sein. In Danzig heiratete er 25 bis 30 Jahre später eine Prinzessin von Holstein, die ihn nach den öffentlichen Nachrichten kurz darauf ermorden ließ, um sich in Besitz seiner Forschungen und Geheimmittel zu bringen[304]. Ich kannte einen Mann, den man als Mitschuldigen[S. 212] an diesem Mord in Verdacht hatte; er hat durch seinen Reichtum eine große Rolle gespielt und großes Aufsehen erregt. Derartige Wundermänner blenden eine Zeit lang; man verliert sie aus dem Gesicht, wenn man es am wenigsten glaubt.
Der Opal, dessen Maße Sie mir schickten, scheint mir nicht so außerordentlich. Ich besitze einen orientalischen von fast gleicher Größe, und der König hat viel ansehnlichere in seinem Schatze. Wie Sie wissen, sind farbige Steine, so schön und hart sie scheinen mögen, stets mit Vorsicht zu genießen. Bei den Diamanten handelt es sich darum: besitzt er viele? sind sie groß und von tadellosem Wasser?
Seine politischen Erörterungen bedürfen m. E. gründlicher Beweise und Darlegungen.
Am meisten zu seinen Gunsten scheint mir zu sprechen, daß ihm der König von Frankreich in seiner Huld das Schloß Chambord geschenkt hat; denn ein so bedeutendes Lehen kann er nur infolge von hervorragenden Leistungen im Dienste der Krone erhalten haben.
Kauderbach an Graf Wackerbarth-Salmour
Haag, 4. April 1760.
Wir kennen den angeblichen Grafen Saint-Germain bisher nur nach dem Rufe, den er geflissentlich selbst verbreitet: über seine geheimnisvolle Herkunft, sein hohes Alter und seine Geheimnisse. Trotzdem steht fest, daß er am französischen Hofe eine Zeitlang hoch in Gunst stand und sehr ausgezeichnet wurde. Aber das alles war von kurzer Dauer und hat sich sehr geändert. Herr d’Affry hat mir indes versichert, er sei von Stand, wenn auch kein geborener Franzose. Er selbst behauptet, Spanier zu sein.
[S. 213]
Haag, 24. April 1760.
Wie ich soeben erfahre, hat der Kurier, den d’Affry letzten Montag (14. April) erhielt, ihm Befehl gebracht, bei den Generalstaaten die Verhaftung und Auslieferung des berüchtigten Grafen Saint-Germain zu beantragen, da er ein gefährlicher Mensch sei, mit dem Se. Majestät aus guten Gründen unzufrieden ist. D’Affry hat diesen Befehl dem Großpensionär mitgeteilt und letzterer dem ständigen Ausschuß der Provinz Holland Bericht erstattet. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, Graf Bentinck, hat den Mann gewarnt, ihn nach England abreisen lassen, und zwar hat er ihm dazu seinen eigenen Wagen geschickt[305]. Am Tage vor seiner Abreise war Saint-Germain vier Stunden beim englischen Gesandten[306]. Er hat sich gerühmt, mit der Herbeiführung des Friedens beauftragt zu sein. Ich habe jedoch die Schriftstücke gesehen, auf die er sich für seine Mission beruft[307], und habe darin nichts gefunden, was seine Behauptung erhärtet. Belle-Isle pflegt mit den elendesten Zeitungsschreibern und Projektenmachern in Briefwechsel zu stehen und ihre Offenbarungen sehr teuer zu bezahlen.
Dieser Saint-Germain hat uns so viele andere grobe und elende Märchen erzählt, daß man ihn nur mit Widerwillen zum zweitenmal hört, es sei denn, daß man sich über dergleichen Aufschneidereien belustigen will. Dieser Mann kann kein zehnjähriges Kind betrügen, geschweige denn aufgeklärte Männer. Es ist also anzunehmen, daß die Protektion, die er findet, andere Gründe und Zwecke hat, als Verhandlungen durch ihn anzuknüpfen. Ich betrachte ihn als Abenteurer ersten Ranges, der mit seinen Mitteln am Ende ist, und ich würde mich sehr täuschen,[S. 214] wenn er kein tragisches Ende nähme. Unter den englischen Offizieren, die hier sind, haben einige ihn in London vor 20 Jahren gekannt und sprechen mit größter Verachtung von ihm. Sie halten ihn für einen einfachen Violinspieler.
Haag, 2. Mai 1760.
Der Abenteurer hat sich hier als geheimer Unterhändler des Marschalls Belle-Isle aufgespielt und Briefe von ihm[308] gezeigt, denen allerdings die Glaubwürdigkeit nicht ganz abzusprechen ist. Er ließ durchblicken, daß Belle-Isle ganz im Sinne der Frau von Pompadour, aber im Gegensatz zu Choiseul, leidenschaftlich nach Frieden trachte. Er hat stark aufgetragen und mit den stärksten Farben die Kabalen, die Not und die Zwistigkeiten geschildert, die in Frankreich herrschen sollen, und durch solche Schmeicheleien hat er das Vertrauen der englischen Partei zu gewinnen geglaubt. Andrerseits hat er an den Marschall Belle-Isle geschrieben[309], d’Affry wisse die Bestrebungen des Grafen Bentinck-Rhoon weder zu würdigen noch zu unterstützen. Dabei sei Bentinck von den besten Absichten beseelt und wünsche nichts so sehr, als die französischen Verhandlungen mit England zu fördern. Diese Briefe sind an d’Affry zurückgesandt worden, mit der Weisung, zu verhindern, daß Saint-Germain sich in irgendeine Angelegenheit einmische, falls er seine Dreistigkeit nicht damit büßen wolle, daß er bei der Rückkehr nach Frankreich seine Tage in einem Kerkerloch beschlösse[310].
Trotz dieses Verbots fuhr Saint-Germain fort, Reden zu halten und Schritte zu tun, um sich auch weiterhin das[S. 215] Ansehen eines bedeutenden Mannes zu geben. Er hat beharrlich den englischen Gesandten besucht, der ihn aber scheinbar verachtete. Herr von Rhoon hat ihn beschützt, ihn bevorzugt und viel Aufhebens von ihm gemacht, und als d’Affry seine Auslieferung verlangte, hat er ihn vor der ganzen Stadt nach London reisen lassen[311]. Ich fürchte, der Elende wird noch Anlaß zu manchen Skandalgeschichten geben. Er hat gedroht, alle Urkunden nebst einer Rechtfertigungsschrift zu veröffentlichen. Er ist ein Gauner, der eine Rolle spielen will.
Voltaire an König Friedrich
15. April 1760.
Ihre Gesandten werden in Breda[313] wohl mehr erfahren, als ich weiß. Der Herzog von Choiseul, Graf Kaunitz und Herr Pitt verraten mir ihr Geheimnis nicht. Bekannt soll es nur einem Herrn von Saint-Germain sein, der einst in der Stadt Trient mit den Vätern des Konzils gespeist hat und wahrscheinlich die Ehre haben wird, E. M. in etwa fünfzig Jahren zu besuchen. Der Mann ist unsterblich und allwissend.
König Friedrich an Voltaire
Meißen, 1. Mai 1760.
Ein Kongreß in Breda wird nicht stattfinden, und ich lege die Waffen erst nach drei weiteren Feldzügen nieder.[S. 216] Das Pack soll sehen, daß es mein Entgegenkommen gemißbraucht hat, und der König von England wird den Frieden nur in Paris und ich ihn in Wien unterzeichnen ... Der Graf von Saint-Germain ist nur ein Ammenmärchen[314].
Der König sandte einen Unterhändler nach Frankreich, der die Absichten des Versailler Hofes sondieren und ihm, sowie dem König von England Bericht erstatten sollte. Die Wahl fiel auf einen jungen Edelsheim[316] ... Er wurde in Paris leidlich aufgenommen. Man bedeutete ihm in unbestimmten Ausdrücken, daß die Erledigung seines Auftrages von der mehr oder minder schnellen Beilegung der Streitpunkte zwischen England und Frankreich abhängen würde. Man habe jedoch gehört, der König von Preußen gedenke, den König von Polen auf Kosten zahlreicher deutscher Kirchenfürsten zu entschädigen[317], die er säkularisieren wolle. Das aber könne der Allerchristlichste König nie und nimmer zugeben. Edelsheim brachte dem König den Bescheid nach Freiberg und reiste dann nach London, um ihn den großbritannischen Ministern zu übermitteln.
[S. 217]
Zugleich mit Edelsheim tauchte in London ein anderer Politiker auf, eine rätselhafte Erscheinung, über deren Wesen man nie ins klare gekommen ist. Er nannte sich Graf Saint-Germain, hatte in französischen Diensten gestanden und sich bei Ludwig XV. so in Gunst gesetzt, daß der König ihm das Schloß Chambord schenken wollte. Nun spielte er die Rolle eines Gesandten, befaßte sich ohne Vollmacht mit Unterhandlungen und äußerte sich zugleich in beleidigender Weise über Frau von Pompadour und den Herzog von Choiseul. Die Engländer behandelten ihn als Abenteurer und wiesen ihn aus.
Ob nun aber das englische Ministerium Saint-Germain nicht traute oder infolge seiner Eroberungen die Hoffnungen höher schraubte, oder ob es gar mit der Erklärung des Versailler Ministeriums über den Kongreß[318] unzufrieden war, kurz, das Ministerium beauftragte den englischen Vertreter im Haag, Yorke, mit der Mitteilung an den französischen Gesandten d’Affry, der König von Großbritannien wäre zum Frieden geneigt und böte seine Hand zur Abhaltung eines Sonderkongresses, falls Frankreich die ungeschmälerte Erhaltung Preußens zur Grundlage der Präliminarien mache. Frankreich antwortete, es wünsche zwar nichts sehnlicher als die Beilegung seiner Streitigkeiten mit England. Da es aber mit Preußen gar nicht im Kriege liege, so könne es über die Interessen des Königs von Preußen nicht zugleich mit denen Seiner Britischen Majestät verhandeln. Mit dieser Antwort schwand die ohnedies schwache Hoffnung, die man auf die ganze Verhandlung gesetzt hatte.
[S. 218]
Freitag, 2. Mai 1760.
Haag, 26. April. Ein gewisser Graf Saint-Germain, von dem seit über drei Monaten viel gesprochen wurde, ist verschwunden. Auf Antrag einer benachbarten Macht sollen die Generalstaaten einen Verhaftsbefehl gegen ihn genehmigt haben. Er ist nach London entflohen, der Abfallgrube von Paris und Rom.
Montag, 5. Mai 1760.
Der Graf Saint-Germain, der in unserer letzten Nummer als aus Holland hier angekommen gemeldet wurde, ist ein Ausländer, dem der König von Frankreich in seinem Lande Zuflucht gewährt hat. Da er fand, daß die Freiheit, mit der er von den öffentlichen Angelegenheiten sprach, ihn in eine schiefe Lage bringen konnte, verließ er Paris und ging nach Holland, wo er angeblich mit ganz geheimen Unterhandlungen zwischen Frankreich und der Republik betraut war. Herr d’Affry stellte einen förmlichen Antrag, ihn zu verhaften und ihn unter guter Bedeckung nach Antwerpen zu schicken[320], von wo er nach Frankreich gebracht werden sollte. Aber der angebliche Graf bekam rechtzeitig Wind davon und entfloh nach England.
Freitag, 9. Mai 1760.
Der Mann, der in Holland unter dem Namen Graf Saint-Germain auftrat ... und kürzlich in England eingetroffen ist, wurde in seiner Wohnung in London ermittelt und in polizeilichen Gewahrsam gebracht.
[S. 219]
Montag, 26. Mai 1760[321].
Rotterdam, 18. Mai. Der Graf Saint-Germain ist in London in Freiheit gesetzt worden und hier eingetroffen[322]. Noch während seiner Gefangenschaft hatte er zahlreiche Unterredungen mit mehreren Mitgliedern des Geheimen Rats, die zu noch weiteren Mutmaßungen Anlaß geben. (Gazette de Bruxelles.)
Montag, 30. Juni 1760[323].
Wie wir aus Paris erfahren, haben mehrere vornehme Personen beim König Schritte zugunsten des Grafen Saint-Germain getan, der so viel von sich reden machte. Seine Majestät war im Begriff, ihm zu verzeihen, als es sich herausstellte, daß der Graf ein Spion des Königs von Preußen am französischen Hofe und sein Vertreter bei Frau von Pompadour war.
Freitag, 22. August 1760.
Wie wir erfahren, hat der berühmte Graf Saint-Germain, der vor kurzem hier war, sich in Altona niedergelassen.
Kopenhagen, 3. April 1760.
Gern hätte ich den brieflichen Verkehr mit Ihnen fortgesetzt, solange ich nicht das Glück habe, Sie zu sehen.[S. 220] Aber ich kenne leider Ihre Adresse nicht, und ich wagte Sie nicht zu stören, bis der Kammerherr Baron von Gleichen[325] mir versicherte, daß Sie mich mit Ihrem Angedenken beehrten. Nehmen Sie dies als Zeichen meiner Dankbarkeit und meiner Freude an, von neuem Gelegenheit gefunden zu haben, Ihnen für all die Güte und Freundschaft zu danken, womit Sie mich in England beehrt haben. Den Degen, den Sie mir geschenkt, und die Briefe, die Sie mir geschrieben haben, habe ich als einen Besitz bewahrt, der zu kostbar ist, um mich je davon zu trennen, aber die Ehre, daß Sie meiner gedenken, ist zu tief in mein Herz geschrieben, als daß ich diese Gelegenheit nicht benutzte, um Sie der tiefen Achtung zu versichern, die ich Ihrem teuren Selbst schulde. Bitte, geben Sie mir Nachricht von sich und Ihren Wünschen, falls ich Ihnen hierzulande irgendwie dienlich sein kann. Und glauben Sie mir, ich bin so erfreut, meinen Freund wiederzufinden (gestatten Sie mir diesen Ausdruck), daß ich nicht weiß, wie ich Ihnen all meine Dankbarkeit ausdrücken soll. Bitte nehmen Sie diesen Brief freundlich auf und glauben Sie mir, ich kann mit ehrlicher Freude versichern, daß ich bin und zeitlebens sein werde Ihr usw.
[S. 221]
Graf d’Affry an Choiseul
Haag, 23. März 1762.
Der sogenannte Graf Saint-Germain, der vor zwei Jahren mit der angeblichen Vollmacht zum Abschluß eines Friedens zwischen uns und England hierher kam und dessen Auslieferung als Betrüger zu beantragen ich Befehl erhielt[327], hat sich seitdem in den Provinzen der Republik und in deren Nachbarschaft unter fremdem Namen heimlich herumgetrieben. Doch erfuhr ich in den letzten Tagen, daß er unter dem Namen eines Amsterdamer Kaufmanns Noblet ein Gut in Geldern namens Ubbergen vom Grafen von Welderen gekauft und dafür noch nicht mehr als ungefähr 30000 Franken in französischer Währung gezahlt hat. Ich hielt es für meine Pflicht, Sie davon zu benachrichtigen und zu fragen, ob Seine Majestät wünscht, daß ich gegen diesen Mann durch eine neue Eingabe bei den Generalstaaten vorgehen oder ob ich ihn lieber laufen lassen soll, da ja der Hauptzweck meines Einschreitens erreicht ist; denn ich habe ihn derart[S. 222] in Mißkredit gebracht, daß er sich seitdem nicht mehr hervorwagt und sein Leben dadurch zu fristen suchen muß, daß er mit Hilfe seiner chemischen Geheimmittel Gimpel fängt.
Choiseul an Graf d’Affry
Versailles, 10. April 1762.
Wir haben den sogenannten Grafen Saint-Germain für die Unverschämtheit und Betrügerei seines Unterfangens bestraft und müssen es diesem Abenteurer überlassen, sich selbst vollends in den Mißkredit zu bringen, in den wir ihn schon versetzt haben.
20. März 1762.
Der sogenannte Graf Saint-Germain wohnt jetzt auf Ubbergen bei Nimwegen. Er besitzt noch eine Art Rittergut in der Nähe von Zutphen. Er hat ein großes Laboratorium in seinem Hause, in dem er tagelang sitzt. Er versteht die schönsten Farben allen nur denkbaren Dingen, wie Leder usw., zu geben, ist ein großer Philosoph und Kenner der Natur. Er spricht sehr schön, erscheint tugendsam, sieht wie ein geborener Spanier von erlauchter Abstammung aus, spricht von seiner verstorbenen Frau Mutter mit großer Ehrerbietung. Manchmal unterschreibt er sich: „Prinz von Spanien“[329]. Er ist stolz.
[S. 223]
Er will die Fabriken der Republik fördern, doch ohne die eine oder andere Stadt der Provinz vor den übrigen zu bevorzugen. Amsterdam hatte ihm nämlich für die Erlangung ausschließlicher Vorrechte besondere Vorteile angeboten. Viele Dienste hat er dem Grafen Gronsfeld[330] durch Herstellung und Lieferung von Farben für seine Porzellanfabrik bei Weesp geleistet. Mit Herrn van Rhoon[331] steht er sehr gut, spricht und korrespondiert immer mit ihm. Er führt auch eine außerordentliche ausländische Korrespondenz, ist an allen Höfen bekannt. Von dem verstorbenen Prinzen von Wales[332], der einen schlechten Charakter hatte, wurde er sehr schlecht behandelt. Da aber Saint-Germain unschuldig war, ist ihm bei seiner Freilassung volle Genugtuung gegeben worden[333]. Mit den ersten Leuten in Frankreich hat er in Briefwechsel gestanden, und er spricht viel Gutes von Frau Pompadour usw.
Er ist sehr oft in Amsterdam, kommt viel zu G. Hasselaar[334]. Er besitzt ungewöhnlich schöne Steine, Rubine, Saphire, Smaragden und Diamanten. Man sagt, daß er die Kunst verstände, Diamanten helleres Wasser zu geben und Edelsteine zu verschönern usw. Er ist sehr freigebig, besitzt große Güter in der Pfalz und sonst in Deutschland. In Amsterdam wohnt er einmal im Hotel der vornehmen Welt, dann wieder wo anders und bezahlt überall gut.
[S. 224]
**
*
Später, im August 1762, ist er von Amsterdam fortgezogen. Er hat Kleider, Spitzen, ja selbst Geld von dem Perückenmacher Chaudon geliehen, das er ihm binnen acht Tagen zurückzahlen sollte. Er hat ihn jedoch brieflich um weitere acht Tage Aufschub gebeten.
Er hat überdies eine Wohnung in Chambord in Frankreich gehabt[335]. Dort soll er sich geäußert haben, daß er die Tochter eines gewissen Lambert[336] heiraten wolle. Dadurch sind diese Menschen ruiniert worden.
[S. 225]
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 8. April 1763.
Vor etwa drei Monaten ist der unter dem Namen Saint-Germain bekannte Mann hier durchgekommen und hat mich aufgesucht. Ich fand in ihm den seltsamsten Menschen, der mir im Leben begegnet ist. Seine Herkunft kenne ich noch nicht genau; ich glaube jedoch, daß er einer heimlichen Verbindung aus einem mächtigen und berühmten Hause entsprossen ist. Er ist im Besitz großer Mittel, lebt aber äußerst einfach. Er weiß alles und zeigt eine bewundernswerte Rechtschaffenheit und Seelengüte.
In einem zahlreichen Bekanntenkreise hat er vor meinen Augen einige Versuche gemacht, von denen ich Eurer Exzellenz einige Proben senden werde. Die wesentlichsten bestehen in der Verwandlung von Eisen in ein Metall, das ebenso schön ist wie Gold und sich wenigstens ebenso zu allen Goldschmiedearbeiten eignet, ferner[S. 226] in der Färbung und Bearbeitung von Leder in einer solchen Vollkommenheit, daß es alle Maroquins der Welt und die vollkommensten Gerbverfahren übertrifft. Auch die Seiden- und Wollfärberei hat er zu einer bisher unbekannten Vollendung gebracht. Hölzer färbt er in den lebhaftesten Farben, und zwar durch und durch, ohne Indigo oder Cochenille, mit den einfachsten Zutaten und somit sehr billig. Er stellt auch Malfarben her, das Ultramarin so tadellos wie das aus Lapislazuli gewonnene. Schließlich nimmt er den zum Malen verwendeten Ölen den Geruch und stellt aus Rüböl und anderen noch schlechteren Stoffen das beste Provencer Öl her.
Alle diese Erzeugnisse sind vor meinen Augen hergestellt und befinden sich in meinen Händen. Ich habe sie aufs schärfste prüfen lassen, und da ich einen Millionengewinn darin erblicke, habe ich die Freundschaft, die er mir erweist, dazu benutzt, ihm alle seine Geheimnisse zu entlocken. Er überläßt sie mir und verlangt nur einen angemessenen Gewinnanteil, wohlverstanden, erst wenn ein Gewinn da ist.
Da alles Wunderbare notwendig zweifelhaft erscheinen muß, habe ich die zwei Klippen vermieden, mich täuschen zu lassen und mich auf übermäßige Ausgaben einzulassen. Zur Vermeidung der ersten Klippe habe ich einen Vertrauensmann herangezogen, in dessen Gegenwart ich die Versuche vornehmen ließ. Dabei habe ich mich voll überzeugt, daß es mit diesen Erzeugnissen seine Richtigkeit hat und daß sie billig sind. Betreffs des zweiten Punktes habe ich Herrn von Surmont — so nennt sich Saint-Germain jetzt — einen guten, zuverlässigen Kaufmann aus Tournai[338] beigegeben, bei dem er jetzt arbeitet. Die sehr geringen Vorschüsse habe ich durch Frau Nettine[339][S. 227] zahlen lassen, deren Sohn und Schwiegersohn, Herr Walckiers[340], diese Manufaktur leiten sollen, sobald die Einnahmen aus den ersten Versuchen uns in den Stand setzen, sie ohne Risiko anzulegen. Der Augenblick des Gewinnes steht schon bevor, denn zwei unserer besten Kaufleute, Barbieri und Francolet, sind über die Schönheit der Seidenfarben so entzückt, daß sie mir zur Zeit alle Seiden zum Färben geben, die sie in den hiesigen Provinzen wie in ganz Niederdeutschland vertreiben.
Diese Einzelheiten sind noch sehr unvollkommen, aber ich bitte E. E., sie nur als vorläufigen Bericht über eine Sache zu betrachten, die für die Staatsfinanzen und die Wohlfahrt der Völker Ihrer Majestät von größter Bedeutung werden kann und muß. Zugleich versichere ich E. E., daß ich keine beträchtliche Summe aufs Spiel setzen werde. Bald werde ich ausführlicher berichten und eine genaue Berechnung des Gewinns, die ich schon in Arbeit habe, einsenden. Inzwischen bitte ich um Gutheißung des Geschehenen. Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich versichere, daß die Sache für das Wohl der Monarchie von größter Wichtigkeit ist.
Kaunitz an Cobenzl
Wien, 19. April 1763.
Ich will heute nur auf die Wunder eingehen, die der berüchtigte Graf Saint-Germain aus Freundschaft für E. E. vollbringen will. Ich sehe die Dinge aus der Entfernung und somit ohne den Zauber der Aufmachung. Aber Sie schreiben mir von Tatsachen, von unter Ihren Augen gemachten Versuchen, die die strengsten Prüfungen und Untersuchungen siegreich bestanden haben. Was soll[S. 228] man dazu sagen? Nur das eine, daß der Zweifel, ob das alles richtig gesehen wurde, hier um so begründeter ist, weil einerseits auch die gescheitesten Leute auf chemische Versuche hereingefallen sind, und weil andrerseits zwischen Versuchen im Kleinen und der Herstellung im Großen ein himmelweiter Unterschied ist. Ein Modell ist noch keine Maschine, und ein Versuch beweist noch nichts zu Gunsten einer Fabrik, deren Anlage kostspielige Vorbereitungen, unsichere Vorschüsse und sehr teure Betriebseinrichtungen kostet. Ich weiß nicht, was E. E. bereits für den Betrieb im Großen beschlossen haben. Frau Nettine scheint die gleichen Erwartungen wie E. E. an den Erfolg dieser Unternehmung zu knüpfen. Herr Walckiers leitet den wirtschaftlichen Teil, d. h. die Verwaltung. Das kann auch den ängstlichsten Finanzmann beruhigen.
Aber der Charakter des sonderbaren Mannes, der mehr geeignet ist, die Menschen zu betören als sie zu überzeugen, flößt mir kein Vertrauen und keine Sicherheit ein. Beiliegend ein paar Anekdoten über sein Leben. Ich stehe zwar nicht für ihre Richtigkeit ein, doch war ihr Verfasser an den Szenen beteiligt, die sich in Frankreich abgespielt haben. Der Rest ist allgemein bekannt. Das Stück ist in der Tat eine Komödie. Nur fürchte ich ein wenig, wir werden den Stoff für ihren letzten Akt liefern, und darum halte ich es für unklug, für die Inszenierung eine beträchtliche Summe aufs Spiel zu setzen.
Zudem sprechen E. E. sehr zuversichtlich von den Reichtümern des Herrn von Surmont. Welche Gewißheit haben Sie darüber? Welcher Art sind diese Reichtümer? Bestehen sie in Geld, Wertpapieren, Landbesitz, Handelseffekten? Hier sind viele Nebel zu verscheuchen, bevor wir klar sehen. Ich möchte, daß E. E. sowohl über die Grundlage des Unternehmens wie über die Verhältnisse[S. 229] des Erfinders Auskünfte einziehen, um meine Zweifel zu beheben, und daß Sie die mir in Aussicht gestellte Denkschrift durch einen Sachverständigen ausarbeiten lassen, der die Einzelheiten klar und deutlich anordnet und in seinem Gutachten soviel Licht verbreitet, daß wir die Dinge zu beurteilen vermögen.
Alles, was ich Ihnen schreibe, steht noch unter dem ersten Eindruck Ihrer Mitteilung von den Wundern, die Sie uns verheißen. Ohne die von Ihnen angeführten Tatsachen hätte die Sache mich eher belustigt als mir Eindruck gemacht. Aber es kommt gegenwärtig vor allem darauf an, die Interessen Ihrer Majestät nicht aufs Spiel zu setzen. Das muß ich Ihnen besonders anempfehlen. Ich erwarte mit Spannung positivere Auskünfte.
Anekdoten über die wunderbare Persönlichkeit, die sich gegenwärtig in Brüssel aufhält[341]
Vor vier Jahren lebte dieser eigenartige Mann in Frankreich unter dem Namen eines Grafen Saint-Germain.
Er besaß angeborene Beredtsamkeit, sprach mehrere Sprachen fließend, war fein gebildet, verstand den Geschmack, die Neigungen und Schwächen derer zu erfassen, deren Vertrauen er gewinnen will, kannte alle Kniffe und Pfiffe der Adepten gründlich und wußte sich von den Großen am Versailler Hofe bewundern und umwerben zu lassen, ja sogar mehrere geheime Unterredungen mit dem König und der Marquise (von Pompadour) zu erlangen. Er fand solchen Anklang, daß man nicht nur von seiner erlauchten Herkunft überzeugt war,[S. 230] sondern auch glaubte, er werde die Finanzen durch sein tiefes Wissen und seine wunderbaren Geheimmittel wiederherstellen, und Wohlstand werde unter seiner wohltätigen Schöpferhand erblühen. Diese Bezauberung währte eine Weile. Er hielt alle, die sich einen Anteil an seiner Freigebigkeit und an den von ihm versprochenen Wundern versprachen, in einer Art von Ehrfurcht, so daß sie sogar auf das Recht des Zweifels verzichteten. Sie wagten ihm nicht die geringste Frage über die Möglichkeit seiner wunderbaren Geheimmittel zu stellen, um dies schöpferische Wesen nicht zu kränken.
Trotz seiner einstudierten Miene und seines wohl überlegten Benehmens, seiner zurechtgelegten Reden und seines stets auf die Umwelt berechneten Auftretens entschlüpften ihm Unvorsichtigkeiten und Prahlereien, die die Illusion hätten zerstören müssen. Eines Tages vergaß er sich so weit, an einer Tafel, an der die erlauchtesten Personen des Hofes saßen, zu sagen, nur das Haus Bourbon sei ihm auf Erden ebenbürtig.
Ein Mann, der einem seiner größten und erlauchtesten Bewunderer nahestand, sah mit Kummer, wie dieser Herr sich blindlings in die Hirngespinnste des Grafen Saint-Germain verrannte, und wagte ihm gegenüber einige Zweifel zu äußern. Er fand zunächst schroffe Zurückweisung, ließ aber nicht locker und setzte es durch, den Grafen Saint-Germain in seiner Wohnung in Paris überraschen zu dürfen. Er ging tatsächlich hin und fand ihn in einer ziemlich unsauberen Wohnung. Er fragte ihn über seine Geheimmittel aus, bekam von ihm aber nur ein paar Farbproben zu sehen, sowie eine Art von Zauberbuch, eine alte Scharteke mit Angaben über chemische Prozeduren, deren Wertlosigkeit schon bei flüchtiger Durchsicht sofort erhellte.
[S. 231]
Diese Feststellungen, die er dem genannten Herrn mitteilte, erschütterten Saint-Germains Kredit. Obwohl er immer nur von seinen Reichtümern, von seinen Geldmitteln an allen Plätzen Europas, von den Schiffen, die er auf dem Meere hatte, und von seiner Beteiligung an allen bekannten Banken erzählte, beging er die Unklugheit, vom Grafen Saint-Florentin ein Landgut für 1800000 Franken zu kaufen und einen förmlichen Kaufvertrag aufzusetzen. An den Tagen, wo die Raten fällig waren, trafen keine Zahlungen noch Wechselbriefe ein, und der Käufer verließ Frankreich.
In Holland angelangt, sprengte er aus, er hätte vom Allerchristlichsten König Vollmacht zu Friedensverhandlungen mit England[342]. Herr d’Affry schöpfte Verdacht, meldete Saint-Germains Äußerungen an seinen Hof und erhielt vom Minister des Auswärtigen Befehl, ihn verhaften zu lassen. Saint-Germain bekam Wind davon und entfloh nach England. Dort hielt er sich nur sehr kurz auf, vermutlich, weil das englische Ministerium, das damals mit dem Versailler Hof unterhandelte, eine Frankreich verdächtige Person nicht aufnehmen wollte. Man riet ihm, das Land zu verlassen.
Seitdem hat die Öffentlichkeit den eigenartigen Mann aus den Augen verloren. Man glaubte, er hätte sich nach Berlin begeben, aber wahrscheinlicher ist es, daß er sich in Holland verborgen hielt.
Kaunitz an Maria Theresia
Wien, 22. April 1763.
In der Generalverwaltung der Niederlande bereitet sich eine Szene vor, deren Ausgang mir so zweideutig erscheint,[S. 232] daß ich mich verpflichtet fühle, Eure Kaiserliche und Apostolische Majestät schon jetzt darauf vorzubereiten, wie ich diese Komödie ansehe.
Aus dem beiliegenden Auszug eines Berichtes des Grafen Cobenzl[343] ersehen E. M., welche Wunder ein seltsamer Mann, der vor vier Jahren unter dem Namen eines Grafen Saint-Germain in Frankreich auftrat, zur Bereicherung Ihrer Finanzen und Untertanen vollbringen will. Graf Cobenzl spricht mit solcher Zuversicht von dem völligen Gelingen mehrerer unter seinen Augen gemachter Versuche. Mehr noch: Frau Nettine geht so hitzig darauf ein, daß ich die Möglichkeit der Sache nicht abzustreiten wagte, obgleich ich versucht bin, das Ganze als bloße Vision und Betrügerei anzusehen. Ich habe den Grafen Cobenzl also aufgefordert, äußerst vorsichtig zu sein, keine Staatsgelder aufs Spiel zu setzen und Nachforschungen über die Reichtümer seines angeblichen Orakels anzustellen, von denen er und Frau Nettine mit solcher Begeisterung, indessen ohne nähere Angaben, sprechen. Zu dem Zweck habe ich dem Grafen Cobenzl die gleichfalls beiliegende Antwort erteilt und die Anekdoten über das Leben des angeblichen Grafen Saint-Germain beigefügt[344], die zu meiner Kenntnis gelangt sind.
Damit habe ich ihre großen Pläne weder verworfen noch gebilligt. Möglicherweise befinden sich unter der großen Zahl von Geheimmitteln, deren Ausbeutung so glänzende Erfolge verspricht, auch ein paar recht brauchbare. Möglicherweise aber löst sich auch alles in Dunst auf. Auf jeden Fall wäre es angezeigt, wenn E. M. den Inhalt meines Berichts geheim halten wollten; denn im ersteren Falle würde Saint-Germain zu sehr eine Entlarvung fürchten, und im zweiten müßte man die Schwachheit[S. 233] der Regierung, die sich von einem Schwindler anführen ließ, mit einem Schleier zudecken.
Eigenhändiges Marginal Maria Theresias
Ich bin völlig überzeugt, daß das von Ihnen entworfene Bild mehr zutrifft als das Cobenzl’sche und daß diese Torheit geheim gehalten werden muß. Ich wünschte, der Minister wäre von ihr geheilt.
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 28. April 1763.
Auf den Erlaß vom 19. d. M. versichere ich zunächst, daß die Wunder, die ich täglich sehe, so groß und zugleich so einfach und so leicht sind, daß es mich gar nicht wundern würde, wenn E. E. nicht daran glauben wollten. Auch mir fiel es schwer, das zu glauben, was ich selbst gesehen habe und dann andere sehen ließ, die bessere Augen haben als ich. Jedes chemische Verfahren muß selbst denen verdächtig sein, die in dieser Wissenschaft besser Bescheid wissen als ich. Aber wie soll man den Glauben an etwas verweigern, das sich vor den eigenen Augen abspielt, das man selbst macht und das im großen wie im kleinen das gleiche sein muß? Denn es ist doch ausgeschlossen, daß mit einem Mittel, womit ein Stück gefärbt wird, nicht auch hundert Stück zu färben sind. Dazu kommt die völlige Klarheit der physikalischen Gründe, so daß man erkennt, daß Ursache und Wirkung gleich unfehlbar sind.
Wie ich E. E. schon berichtete, sind die Kosten nicht übermäßig, und die weiteren Ausgaben sollen aus dem Gewinn bestritten werden. Zur Verwandlung des Eisens, zum Färben von Holz, Wolle, Seide, Stoffen und Leder[S. 234] sind bereits folgende Einrichtungen getroffen. Wir haben einen guten, zuverlässigen Fabrikanten in Tournai[345] angenommen und lassen dort die nötigen Vorbereitungen treffen. Wir haben ihm den jungen Lannoy beigegeben, den E. E. in Wien oft gesehen haben. Alles wird so weit vorbereitet, daß Frau Nettines Sohn am 15. oder 16. Mai, nach der Rückkehr seiner Mutter von ihrer Reise nach Paris, die sie am 1. antritt, nach Tournai fahren kann, um dort das Verfahren zu sehen, das Geheimnis zu erfahren und die Herstellung zu lernen.
Bevor ich Punkt für Punkt auf die Mitteilungen über unseren Mann antworte, bitte ich E. E. zu bedenken, daß er nichts von uns verlangt und mir sein Geheimnis überlassen will. Seine persönlichen Eigenschaften sind uns ziemlich gleichgültig, wofern er uns sein Geheimnis preisgibt, das ich zum Teil schon besitze und das ich auf die obengenannte Weise ganz erfahren werde. Nur darauf kommt es an.
Ich sprach zuversichtlich von den Reichtümern dieses Mannes. Folgendes weiß ich darüber. Er besitzt ein Landgut in Holland, das zu zwei Dritteln bezahlt ist, und Wertsachen, die der Kaufmann, der sie in Seeland verpfändet hat, auf über eine Million schätzt. Diese Wertsachen läßt er herkommen, um sie bei Frau Nettine zu hinterlegen. Alles soll in einer Denkschrift von berufener Feder ausführlicher dargelegt werden. Bis dahin bitte ich E. E. versichert zu sein, daß ich sparsam und nur im Einvernehmen mit Frau Nettine vorgehen werde.
Ich komme zu den Anekdoten, die E. E. mir gütigst mitteilten. Die großen Fähigkeiten, die man unserem Manne zuschreibt, sind Tatsache, aber, wie ich hinzufügen muß, verachtet er die Adepten, und abgesehen von[S. 235] den Unterredungen, die er mit dem Allerchristlichsten König, der Marquise und den Ministern hatte, besitzt er viele Briefe von der Marquise und den Ministern, von denen er Gebrauch machen könnte, wenn er sich für die Härte rächen wollte, mit der Frankreich ihn behandelt hat.
Er stammt bestimmt aus einem erlauchten Hause, aber das tut nichts zur Sache, und so muß ich ihm gegenüber das Geheimnis wahren, das er mir darüber anvertraut hat. Er prahlt allerdings gelegentlich damit, aber unmöglich kann man an seinen Wundern zweifeln. Ich habe ihm tausend Einwände gemacht, aber er hat sie alle widerlegt: Ursache und Wirkung haben mich völlig überzeugt.
Die unbesonnene Bemerkung, die ihm entfahren sein soll, kann zutreffen. Wie gesagt, ist er in dieser Hinsicht ruhmredig. Ein Mensch, der seine Herkunft verbergen will, macht bisweilen ungewöhnliche Äußerungen, um die, welche ihn ausforschen wollen, irrezuführen. Aber nochmals: das tut nichts zur Sache.
Die Person, die ihn durch Überraschung entlarven wollte, hat ihn nicht gekannt. Er hat tausend Chemikalien in seinem Zimmer, mit denen er gar nichts macht. Er streut sie umher, damit man nicht auf die kommt, die er wirklich benutzt. Bei seinem Charakter wird man ihm sein Geheimnis durch Überrumplung nicht entreißen. Er überläßt es mir aus Freundschaft, und sicher wird er es nicht anders überlassen.
Er spricht von seinen Reichtümern und muß große besitzen; denn überall, wo er war, hat er prachtvolle Geschenke gemacht, viel ausgegeben und nie jemand um etwas gebeten, auch nirgends Schulden hinterlassen. Der Umstand mit dem Landgut des Herrn von Saint-Florentin[S. 236] ist mir nicht bekannt. Aber ich habe Einsicht in Schriftstücke gehabt, aus denen ich den Grund seiner Reise nach Holland ersah. Es handelte sich um folgendes.
Der Marschall Belle-Isle, dem er besonders nahestand, schickte ihn insgeheim nach Holland, um mit dem General Yorke über einen Sonderfrieden zu verhandeln. Das hat er getan; d’Affry wurde eifersüchtig und beschwerte sich lebhaft. Der Herzog von Choiseul war über die Sache wie über die Form aufgebracht und verfuhr gegen Saint-Germain in der allgemein bekannten Weise[346].
Ich habe die Schriftstücke gesehen und finde auf Saint-Germains Seite kein Verschulden. Aber selbst wenn ein solches vorläge, täte es nichts zur Sache; denn hier handelt es sich nur um Erlangung seiner Geheimmittel. Ich habe anfangs gefürchtet, daß Frankreich, nachdem es ihn aus Holland und England vertrieben hat, ihn auch hier verfolgen möchte. Aber er ist schon seit vier Monaten hier, und Frankreich hat bisher nichts unternommen. Daß dies noch geschehen könnte, fürchte ich um so weniger, als Frau Nettine den Grafen Starhemberg[347] und Herrn de Laborde[348] aufklären wird, und diese werden sicher verhindern, daß Frankreich bei uns seinethalben vorstellig wird.
Nach seiner Abreise aus England hat er sich in Holland aufgehalten. Er hatte dort besonders enge Beziehungen zum Grafen Bentinck[349], Herrn van Gronsfeld-Diepenbroek[350] und dem Bürgermeister Hasselaar[351] in Amsterdam. Er hat das Gut Ubbergen gekauft[352], nach dem er sich Surmont nennt. Dort wollte er eine Manufaktur einrichten.[S. 237] Der Zufall führte ihn hierher, und er besuchte mich auf der Durchreise. Seine Kenntnisse in der Malerei und Zeichenkunst bildeten den Anknüpfungspunkt; allmählich kam er auf seine Entdeckungen zu sprechen. Infolge meiner Ungläubigkeit ging er auf Einzelheiten ein. Da ich für Freundschaft empfänglich bin, bezeigte ich ihm die meine und machte ihn mit Frau Nettine bekannt. Die ausgezeichnete Erziehung, die sie ihren Kindern gibt, machte ihm Eindruck, und er schloß sich derart an sie und an mich an, daß ich glaube, wir könnten ihn zu allem bringen.
Das ist seine ganze Geschichte. E. E. werden sobald wie möglich genaue und ausführliche Einzelheiten über alle unsere Versuche nebst den Proben unserer Erzeugnisse erhalten und daraus erkennen, daß die Sache ihre Richtigkeit hat. Inzwischen wollen E. E. überzeugt sein, daß wir uns auf übermäßige Ausgaben nicht einlassen werden, und daß ein glücklicher Zufall uns durch diesen Mann, mag er sein, wer er will, ein Mittel geschenkt hat, um unsere Provinzen zu bereichern und den Staatsfinanzen einen vielleicht über Erwarten großen Gewinn zu verschaffen.
Kaunitz an Cobenzl
Wien, 10. Mai 1763.
Die Auskünfte Eurer Exzellenz zur Behebung meiner Zweifel an all den Wundern, die Herr von Surmont zugunsten unserer Finanzen wirken soll, vermehren nur meine Überraschung. Noch einmal: ich habe gegen Tatsachen nichts einzuwenden und glaube, wie E. E. schreiben, daß man mit einer Chemikalie, mit der man ein Stück Stoff färbt, auch mehrere färben kann. Weniger leicht ist der Nachweis, daß, wenn das Färben eines Stückes nur[S. 238] einen Gulden kostet, das Färben von tausend Stück sich nur auf tausend Gulden beläuft. Zur Herstellung im Großen bedarf es der Vorbereitungen, besonders bei chemischen Verfahren. Dazu kommt die Verwaltung, die Notwendigkeit, seine Geheimverfahren einer großen Zahl von Menschen mitzuteilen, tausend Zufälle, die durch Nachlässigkeit, Untreue oder Faulheit der Arbeiter entstehen, die Preissteigerung der Herstellungsmittel infolge starken Bedarfes. Alle diese Unkosten müssen berechnet und von dem Gewinn abgezogen werden, der aus einem Versuch im Kleinen errechnet ist. Hier gilt nicht die gewöhnliche Rechnung, daß zwei mal zwei vier ist. Deshalb gab ich E. E. zu bedenken, daß zwischen einem Versuch im Kleinen und der Herstellung im Großen ein himmelweiter Unterschied ist, und daß man bei dergleichen Untersuchungen nicht auf einfachen Versuchen fußen kann. Bliebe mir somit auch nicht der geringste Zweifel mehr über das Vorhandensein der wunderbaren Geheimverfahren des Herrn von Surmont, so kann ich mich doch nicht überzeugen, daß sie im Großbetrieb einen so sicheren und gewaltigen Gewinn abwerfen, wie er ihn in Aussicht stellt.
Auch die Geschichte von seinen Wertsachen, die auf eine Million geschätzt und doch in Seeland verpfändet sind, erscheint mir höchst verdächtig. Ein so schwer reicher Mann, der ein ganzes Peru in seiner Brieftasche trägt, verpfändet seine Wertsachen und besitzt ein Landgut, das er noch nicht bezahlt hat! Wie Sie mir zugeben werden, lieber Graf, sind das auffällige Widersprüche.
Aber schließlich halten die von Ihnen gesehenen und von Sachverständigen geprüften Tatsachen mich ab, diesen Zweifeln und Schwierigkeiten ganz nachzugeben. Ich bin nicht überzeugt, aber ich möchte es werden, und deshalb[S. 239] mache ich mir Sorge darüber, daß Sie sich für die Anlage von so kostbaren Manufakturen eine Stadt an der Grenze ausgesucht haben. Sie müssen dort notgedrungen die ganze Aufmerksamkeit und Eifersucht unserer Nachbarn erregen. Auch Herr von Surmont selbst ist dort nicht völlig sicher. Ich bin wirklich überrascht, Herr Graf, daß Sie, der Sie sich als Augenzeuge gewiß mehr von seinen Geheimmitteln versprechen, als ich bisher zu hoffen vermag, nicht gefürchtet haben, den ganzen Kram so aufs Spiel zu setzen, indem Sie ihn in Tournai anlegen. Doch auch das wird seine Gründe haben. Somit erwarte ich mit Spannung Ihre Denkschrift und Ihre Proben.
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 19. Mai 1763.
Ich will E. E. heute nicht mit langen Einzelheiten über Herrn von Surmont belästigen; denn ich hoffe, bald einen eingehenden Bericht übersenden zu können. Alles Wunderbare oder Unbegreifliche überrascht, selbst wenn man es greifbar vorgeführt sieht. Die vorzügliche Qualität und die Billigkeit muß uns den Vorrang in der Färberei und Gerberei geben. Ich hoffe, die Proben zu erhalten, und werde sie E. E. sofort übersenden. Inzwischen darf ich versichern, daß ich keinen Schritt ohne Frau Nettine tue, und daß wir uns in den Ausgaben beschränken. Als Ort habe ich Tournai bestimmt, weil die Anlage dort billiger ist und ich dort einen Vertrauensmann und Sachverständigen für die Manufakturen (Rasse) habe, schließlich auch, weil ich dort am wenigsten Schwierigkeiten mit den abscheulichen Zünften befürchte. Mein Mann kommt heute aus Tournai zurück und wird in zwei bis drei Tagen mit Herrn von Nettine wieder hinfahren. Dieser letztere allein soll in das Geheimverfahren eingeweiht werden,[S. 240] und dies ist derart, daß weder die Arbeiter noch die Werkmeister es je erraten können. Frau Nettine hat bei ihrer Reise nach Paris nichts Ungünstiges über unseren Mann gehört und sich durch ihre Schwiegersöhne die Sicherheit verschafft, daß wir bei keiner einzigen Unternehmung Widerstand zu befürchten haben. Sobald Herr Nettine das Geheimverfahren kennt, werden wir einen richtigen Vertrag aufsetzen, den ich E. E. zur Genehmigung unterbreiten werde. Damit werden unsere großen Hoffnungen, die ich auf das Unternehmen setze, zur Gewißheit werden.
Brüssel, 27. Mai 1763.
Ich beehre mich, E. E. die Proben von Metall, gefärbter Seide, Wolle, Leder und Holz zu übersenden. Ich habe die Päckchen mit den vom Erfinder versehenen Aufschriften und den von ihm gegebenen Erläuterungen gelassen. Ich hoffe, E. E. werden alles vortrefflich finden. Ich wiederhole nur, daß all diese schönen Färbungen mit den einfachsten Mitteln hergestellt sind, und daß keine Cochenille verwandt ist; somit ist alles sehr billig. Alle anderen Farben sind in gleicher Weise zu erzielen. Grün gefärbte Seide, Wolle oder Holz habe ich nicht gesehen, aber wie mein Mann sagt, kann er auch das machen.
Sehr wichtig ist, wie ich selbst nachgeprüft habe, daß man nach erfolgter Färbung aus dem Farbwasser die schönsten Malfarben, selbst Ultramarin, gewinnt; bisher aber brauchte man zum Blau Cochenille. Der Erfinder glaubt jedoch, ein Verfahren zu finden, wo dies sich erübrigt. Doch ich kann nur für das einstehen, was ich selbst sah.
Nächsten Sonntag[353] fährt er mit Nettine nach Tournai und wird uns alle seine Geheimverfahren angeben. Nettine[S. 241] wird sie selbst ausprobieren, bis er sicher ist, sie nachahmen zu können. Danach werden wir unseren Vertrag entwerfen, und ich werde ihn E. E. zur Genehmigung vorlegen.
Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß diese Farben nicht die einzigen sind, mit denen wir färben können. Befehlen E. E. noch andere zu haben, so bedarf es nur der Zusendung einer Probe.
Brüssel, 28. Mai 1763.
Nach Abgang der Proben, die ich E. E. übersandte, übergab mir Herr von Surmont die beiliegende Denkschrift, die zur weiteren Erläuterung dient[354]. Ich hoffe, in einigen Tagen melden zu können, daß er uns seine Geheimverfahren angegeben hat; denn er wird morgen bestimmt mit dem jungen Nettine abreisen.
Dorn[355] an Cobenzl
Wien, 8. Juni 1763.
Der Herr Kanzler wollte heute die drei Briefe E. E. vom 27. und 28. Mai d. J. beantworten, wurde aber durch eine starke Kolik daran verhindert. Ich beehre mich also, E. E. in seinem Auftrage mitzuteilen, daß die Proben von gefärbter Seide und Wolle hier nicht die gleiche Bewunderung erregt haben wie in Brüssel. Das Färben von Holz ist keine Seltenheit und eignet sich nicht zu[S. 242] einem Handelsartikel, der in Wettbewerb mit über fünfzig indischen Holzarten treten muß. Diese sind eine schöner als die andere und sämtlich von einer Überlegenheit in den Farben und auch sonst für die Kunstschreinerei so viel besser geeignet, daß man sie stets Ihren billigen gefärbten Hölzern vorziehen wird. Die Metalle sind das verdächtigste und zugleich das belangloseste von all diesen Wundern. Nur das Leder scheint einige Beachtung zu verdienen. Es werden Musterkarten von gefärbter Seide und Wolle, die wir hier haben, aufgestellt werden. Neben jeder Gattung wird der Preis für ein Pfund vermerkt. Eine andere Musterkarte wird über gefärbtes Leder aufgestellt werden. Die Metalle werden chemisch geprüft und analysiert werden. E. E. sollen alle Auskünfte erhalten, die wir uns über diese Dinge beschaffen können.
Inzwischen aber sind wir weit entfernt, sie für so äußerst gewinnbringend zu halten, wie man es in den Niederlanden hofft. Der Herr Kanzler kann also nicht umhin, E. E. mitzuteilen, daß alle Vorarbeiten, die etwa zur Herstellung im Großen im Gange sein sollten, einzustellen sind, und daß mit Herrn von Surmont nichts abzuschließen ist, bis wir in der Lage sind, Ihnen den ausdrücklichen Befehl Ihrer Majestät hierüber kundzugeben.
Damit soll aber nicht alles verworfen werden. Unter diesen Geheimverfahren befinden sich einige, die, im Kleinen angewandt, wohl etwas Gewinn abwerfen könnten. Aber nach den Proben zu urteilen, befindet sich darunter nichts, dessentwegen man so große Ausgaben aufs Spiel setzen dürfte, wie sie schon die Vorbereitungen zur Anlage eines Großbetriebes vielleicht erfordern.
Herr von Surmont verspricht uns in seiner Denkschrift zwar Fortschritte in der Feinheit und Leuchtkraft der Farben; er müßte aber doch wissen, daß wir uns ein[S. 243] Urteil darüber nur aus den Proben bilden können, und die sprechen so wenig zu seinen Gunsten, daß unsere hiesigen Farben für Seide weit besser sind als die seinen. Es überrascht uns hier etwas, daß man seine Erzeugnisse nicht mit anderen verglichen hat, oder, wenn dies geschehen ist, daß man sich hat täuschen können. Man hat in Brüssel — oder sollte sie doch haben — die prachtvollen englischen und die glänzenden, schönen französischen Farben, mit denen die des Herrn von Surmont keinen Vergleich aushalten. Werden diese doch selbst von unseren Wiener Farben übertroffen. Die Billigkeit kann diesen Mangel nicht aufwiegen; denn entweder will man nur für den Absatz in den Niederlanden arbeiten, und dann ist die Sache gewiß nicht der Mühe wert, oder man will auch ans Ausland verkaufen und dessen Seiden zum Färben ins Land ziehen. Im letzteren Falle würden aber die Frachtkosten und Kommissionsgebühren, der Zeitverlust und zu alledem die Minderwertigkeit der Farben den Gewinn, der aus der Billigkeit entspringen könnte, auf ein Nichts herabdrücken. Das Färben ohne Cochenille und Indigo ist kein Kunststück. Kunckel, Lémery[356] und viele andere sehr verbreitete Bücher geben das Geheimnis und das Verfahren der Herstellung an. Nur wenn man ohne diese Farbstoffe so lebhafte, schöne, leuchtende und haltbare Farben herstellen könnte wie diejenigen, die auf Cochenille, Indigo und anderen teuren Farbstoffen beruhen, so wäre das ebenso ertragreich wie selten. Aber gerade das vermißt man bei den Surmont’schen Proben.
Was ich E. E. mitzuteilen habe, schließt nicht aus, daß Sie Herrn von Surmont in der bisherigen Weise weiter empfangen. Im Gegenteil, man darf ihm kein[S. 244] Mißtrauen zeigen. E. E. wollen nur darauf bedacht sein, nichts zu unternehmen, nichts abzuschließen und keine erhebliche Ausgabe zu machen, bis der Herr Kanzler Ihnen die Absichten Ihrer Majestät über die Gesamtheit Ihrer Unternehmungen mitteilen kann. Hiervon wollen E. E. auch Frau Nettine in Kenntnis setzen.
Dorn an den Kommerzienrat Thys in Klagenfurt
(Wien, 9. Juni 1763.)
Im Vertrauen auf Ihre Einsicht und Rechtschaffenheit möchte der Herr Kanzler Sie über eine Angelegenheit um Rat fragen, die für Ihre Heimat, die Niederlande, ebenso belangreich ist wie für den Dienst Ihrer Majestät. Somit möchten Sie nach Empfang dieses Schreibens oder wenigstens baldmöglichst mit der Post hierher kommen. Die Reisekosten werden Ihnen erstattet.
**
*
Über das Ergebnis der Untersuchungen von Thys berichtet Kaunitz am 21. Juli 1763 an Maria Theresia:
„Da es sich um eine Unternehmung handelte, die nach Cobenzls ständig wiederholter Versicherung von größtem Nutzen für den Staat sein sollte, und ich in meinem Eifer dies Ziel sehnlichst herbeiwünschte, ließ ich aus Klagenfurt den Kommerzienrat Thys kommen, um ihn insgeheim zu Rate zu ziehen. Er hatte der hiesigen Beurteilung der Proben von Surmonts Geheimverfahren und der Unzuträglichkeit ihres Staatsbetriebes nichts hinzuzufügen und hielt es gleichfalls für unmöglich, diesen Erzeugnissen einen Absatz zu verschaffen, der den in den Niederlanden gehegten überspannten Erwartungen entsprach. Durch einen praktischen Versuch in Gegenwart des Departements-Referenten[357][S. 245] stellte er fest, daß die meisten Surmont’schen Farben nicht mal die erforderliche Qualität besaßen. Auch war er überzeugt, daß das Gelb, wenn es auch leuchtender war als das hiesige, gegen das französische und englische Gelb nicht aufkommen kann. Schließlich hatte Surmont in seiner Denkschrift[358] erklärt, daß in den Niederlanden niemals Stoffe aus Ziegenhaar gefärbt worden seien, wie er sie zu färben sich anheischig machte, aber Thys versicherte, er selbst hätte Brüsseler Kamelott in dem gleichen Kübel mit Tuch zusammen scharlachrot gefärbt, und beides sei gleich gut ausgefallen.“
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 19. Juni 1763.
E. E. erhalten demnächst einen ausführlichen Plan der Manufaktur in Tournai. Wenn die Sache auch nicht so großartig ist, wie ich geglaubt habe, werden hoffentlich E. E. die Überzeugung gewinnen, daß der Versuch sich lohnt.
Kaunitz an Cobenzl
Wien, 21. Juni 1763.
Die Vorstellung, die Sie immer noch von den angeblichen Geheimnissen Ihres Adepten haben, steigert sich nachgerade zur Begeisterung. Das geht über meine Begriffe. Da Sie an Ort und Stelle die gefärbten Stoffe mit den englischen, französischen und holländischen vergleichen und durch sachkundige Kaufleute den Umsatz der Färberei in Europa abschätzen lassen können — wie ist es da denkbar, daß Sie sich einbilden, Ihre Farben, die, bis auf das Gelb, tatsächlich ganz gewöhnlich sind, würden[S. 246] Nachfrage finden oder es ergäbe sich die Möglichkeit zu einem anständigen Gewinn? Dabei spreche ich gar nicht einmal von dem Riesengewinn, den man Ihnen eingeredet hat. Da Sie absolut nichts Neues zu bieten haben, kommt auch ein Monopol gar nicht in Frage, der einzige Weg, auf dem sich Neuheiten wenigstens für eine Zeitlang ausbeuten lassen.
Ihre Hölzer und Metalle sind nur Armseligkeiten — verzeihen Sie mir den Ausdruck, mein lieber Graf! Von dem Holze zu reden, lohnt nicht einmal die Mühe. Was haben Sie mit dem Metall vor? Gesetzt, es eignete sich zur Herstellung von Leuchtern, Lichtputzern, Feuerzeugen usw., wollen Sie für das alles Werkstätten anlegen oder das Metall in Barren oder Blöcken verkaufen? In diesem Falle wird es entweder nachgeahmt, und Sie haben nur die Unkosten davon, oder es kommt in Mißkredit durch die Mängel, die so viele verschiedene minderwertige Verbindungen von Kupfer und Zink in Verruf gebracht haben, wie Tombak, Similor u. a. m., die eines guten Goldüberzuges bedürfen, um erträglich zu sein. Im ersten Falle aber frage ich: Wo ist die Aussicht auf Riesengewinne? Wo ist auch nur die Möglichkeit, die Konkurrenz so vieler, schon bestehender derartiger Fabriken aus dem Felde zu schlagen? Welche Sicherheit haben Sie, auch nur die Anlage-, Verwaltungs- und Betriebskosten zu decken?
Von Ihren Ölen will ich schweigen. Wie ich mir Ihren Abenteurer vorstelle, muß ich glauben, daß es ihm gelingen wird, Ihnen auch hierbei wie bei allem übrigen etwas vorzumachen. Wie, Herr Graf? Jemand, der anderthalb Millionen Vermögen und so wunderbare Geheimmittel besitzt, sollte nicht selbst Gebrauch davon machen, sondern Ihnen aus purer Freundschaft seine Reichtümer ausliefern? Wahrhaftig, ein derartiges Benehmen spricht[S. 247] aller Wahrscheinlichkeit zu sehr Hohn, als daß es auf irgendwen Eindruck machen könnte. Wäre der Mann seiner Sache gewiß, er brauchte Sie nur um Genehmigung zu bitten und dann auf eigene Rechnung zu arbeiten. Aber seine Geheimmittel werden teuer zu stehen kommen, so sagen E. E. jetzt selbst, und doch soll ihre Ausbeutung spottbillig sein. Mich deucht, wir stehen damit vor der Lösung des Knotens, und so erklärt sich auch die Freundschaft, die ihn zu seinen vertraulichen Eröffnungen gedrängt hat.
Wie dem aber auch sei, ich habe Sie rechtzeitig gewarnt, kein Geld auf Kosten Ihrer Majestät aufs Spiel zu setzen. Ich nehme daher an, daß Sie nicht zu weit gegangen sind, und warne Sie nochmals, etwas aufs Spiel zu setzen, bis wir auf Grund Ihrer Denkschrift klar, ganz klar sehen. Erst dann können wir Sie zu beträchtlichen Ausgaben oder kostspieligen Verpflichtungen ermächtigen.
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 25. Juni 1763.
Ich berichte E. E. ganz gehorsamst über alles, was ich mit meinem eigenartigen Manne abgeschlossen habe. Der Ordnung halber muß ich einen Teil von dem wiederholen, was ich in meinen früheren Berichten gesagt habe.
Der Mann suchte mich hier gleichsam nur auf der Durchreise auf. Trotzdem seine Lebensgeschichte und selbst seine Person in geheimnisvolles Dunkel gehüllt ist, fand ich bei ihm hervorragende Begabung für alle Künste und Wissenschaften. Er ist Dichter, Musiker, Schriftsteller, Arzt, Physiker, Chemiker, Mechaniker und ein gründlicher Kenner der Malerei. Kurz, er hat eine universelle Bildung, wie ich sie noch bei keinem Menschen fand, und er spricht alle Sprachen fast gleich gut, am besten[S. 248] Italienisch, Französisch und Englisch. Er hat fast die ganze Welt bereist, und da er bei all seinen Kenntnissen sehr unterhaltsam war, verbrachte ich meine Mußestunden sehr angenehm mit ihm. Ich kann ihm nur häufige Prahlereien über seine Talente und seine Herkunft zum Vorwurf machen.
Bis dahin drehten sich unsere Gespräche nur um Gegenstände der Bildung und Unterhaltung. Als er aber von seinen Geheimmitteln anfing, mir davon Erzeugnisse zeigte und Hoffnung machte, sie mir mitzuteilen, wollte ich mich nicht länger auf mich allein verlassen und machte ihn mit Frau Nettine bekannt. Sie war von den Talenten des Herrn von Surmont nicht weniger begeistert als ich. Er bezeugte die größte Freundschaft für sie, ihre Familie und für mich selbst, und wir ersahen daraus, daß es nur von uns abhing, in Besitz aller seiner Geheimmittel zu kommen. Also prüften wir eifrig ihre Brauchbarkeit und ersahen aus manchen Proben und den Gutachten aller Sachverständigen, daß sein Metall vielleicht gut ist, daß seine Färbstoffe hervorragend sind, daß seine Hölzer weit besser ausfallen als die in Frankreich gefärbten, daß seine Lederarten von größter Bedeutung sind, und daß seine Hüte einen sehr erheblichen Handelsartikel bilden können.
Je weiter wir mit ihm kamen, desto mehr erkannten wir, daß seine seltenen Gaben Hand in Hand mit äußerstem Eigensinn gingen, daß er unseren Wünschen nur entgegen kam, damit wir uns den seinen anbequemten, und daß es kein anderes Mittel gäbe, seine Geheimmittel zu erlangen, als in die Anlage einer Fabrik zu willigen. Hierzu wählte ich die Stadt Tournai aus den früher genannten Gründen[359]. Doch dazu waren Ausgaben nötig. Um mich darauf einzulassen,[S. 249] hätte es der vorgängigen Erlaubnis bedurft, die ich aber von E. E. nicht erlangen konnte. So sprang denn Frau Nettine mit ihrem gewohnten Eifer ein und erklärte sich, wie sie selbst an den Herrn Referendar schrieb[360], gern bereit, das Unternehmen auf eigene Rechnung zu führen, falls Ihre Majestät es nicht übernehmen wolle.
Die Anlage 1 enthält die Aufstellung der von ihr bereits aufgewandten sowie der noch weiter erforderlichen Summen.
Wir haben also unsere Manufaktur begründet. Der Graf ist mehrfach nach Tournai gereist, und der Kaufmann Rasse, bei dem ich ihn untergebracht hatte, hat ihn mit größtem Eifer unterstützt.
Unterdessen erzählte der Graf uns von seinen Reichtümern, insbesondere von den Wertsachen, die er in Holland hätte. Wir wollten Erkundigungen darüber einziehen, und der Kaufmann aus Nimwegen, sein Geschäftsfreund, veranschlagte sie auf mindestens eine Million. Da der Graf kein Geld hatte und seine Wertsachen herkommen lassen wollte, machte Frau Nettine ihm die in Anlage 2 aufgeführten Vorschüsse. Wir merkten indes, daß der Nimweger Geschäftsfreund mit ihm unter einer Decke stecken mußte; die hier eingetroffenen Wertsachen waren ganz unbedeutend, und was in Holland verblieben ist, besteht nur aus Gemälden, die er sehr hoch bewertet, die aber wenig Wert zu haben scheinen. Außerdem merkten wir, daß der Graf verschuldet war und von seinen Gläubigern in Holland gedrängt wurde. Dazu herrscht in seinen Privatverhältnissen so wenig Ordnung und Sparsamkeit, daß wir angesichts seiner Kenntnisse darüber staunen.
[S. 250]
Wir konnten also nur wünschen, ihn loszuwerden, seine Geheimmittel möglichst billig zu erfahren, jede weitere Ausgabe zu vermeiden und die Leitung des Unternehmens einem Manne fortzunehmen, der bei seinem Mangel an Ordnung die Einkünfte in unmäßigen Ausgaben vergeudete. Zu dem Zweck schickte ich den Vicomte von Nettine nach Tournai, damit er sich dort alle Geheimmittel angeben ließ und sie selbst ausprobierte. Sobald ich sicher war, daß wir sie besaßen, schickte ich meinen Neffen[361] mit Herrn Walckiers nach Tournai, um den Handel mit dem Grafen abzuschließen. Das haben sie unter den in Anlage 3 angegebenen Bedingungen getan.
Wir sind jetzt also im Besitz folgender Geheimverfahren: Wir können Eisen in Metall verwandeln. Ist dies Metall gut, so ist es ein Vorteil mehr. Taugt es nichts, so ist die Ausgabe verschwindend, und wir gebrauchen auch nur wenig, da für das zum Färben der Häute erforderliche Wasser nicht viel nötig ist. Aber diese Färberei ist von höchster Bedeutung, und das Metallwasser besorgt nicht bloß das Färben, sondern zieht auch die Häute zusammen, wodurch sie stärker werden und auch kernig bleiben. Wir haben also eine Gerberei eingerichtet, von der in Anlage 4 die Rede ist. Anlage 5 enthält die Gegenüberstellung der bisher landesüblichen Preise für die Häute und der Preise, wie sie sich nach unserem Verfahren stellen.
Wir besitzen das Verfahren zum Färben von Wolle, Seide, Garn, Ziegenhaar und Baumwolle. Die Wichtigkeit dieser Sache ergibt sich aus dem in Anlage 6 dargelegten Preisunterschied zwischen unserem Färbverfahren und[S. 251] dem bisher angewandten. Der Absatz ist sichergestellt; denn unsere größten Kaufleute haben uns bereits schleunigst ihre Tuche, Kamelotte, Seiden und Wollstoffe zum Färben gegeben. Schon dieser Gewerbszweig allein kann Ihrer Majestät beträchtlichen Gewinn und den hiesigen Provinzen unendlichen Segen verschaffen.
Der Rückstand wird danach zum Färben des Holzes benutzt, was ein kostenloser Gewinn ist. Wäre er auch unbedeutend, so verdient er als Reingewinn doch Beachtung.
Die Malfarben, die, wie wir wissen, von französischen Malern ausprobiert sind, bilden ebenfalls einen Reingewinn ohne jede Kosten, denn sie werden nur aus dem Bodensatz der obigen, bereits benutzten Färbstoffe gewonnen.
Die Hutfabrikation schließlich ist auch ein sehr beträchtlicher Posten, wie sich aus Anlage 7 ergibt.
Aus allen diesen Einzelheiten ersehen E. E., welche Verfahren wir erworben haben, welchen Gewinn wir uns davon versprechen können und welche Auslagen wir bereits gemacht haben. Ich brauche nur noch über die weiter erforderlichen Ausgaben zu berichten, was in Anlage 8 ausgeführt ist.
Nun kommt es auf die Allerhöchste Entscheidung an, ob Ihre Majestät das Unternehmen der Frau Nettine überlassen oder es auf eigene Rechnung übernehmen will. Das letztere scheint mir in jeder Hinsicht empfehlenswert. In diesem Falle müßte man Frau Nettine ihre Vorschüsse auf das Unternehmen mit vier Prozent verzinsen und das Kapital nach und nach aus dem Gewinn zurückzahlen. Auch wäre es recht und billig, ihren Sohn zum Generaldirektor des Unternehmens zu ernennen. Er eignet sich dazu besonders durch seinen Eifer und seine Einsicht und[S. 252] als Alleinbesitzer des Geheimverfahrens. Er brauchte nur Seiner Königlichen Hoheit[362] und der Überwachung des Ministers unterstellt zu werden. Der Staatsrat und Lotteriedirektor Walckiers[363] könnte zum Königlichen Kommissar für das Unternehmen ernannt und dies der Lotterieverwaltung angegliedert werden. In Anbetracht des zu erzielenden Gewinns könnte Nettine entweder ein festes Gehalt oder einen Gewinnanteil bekommen.
Ich bitte E. E., mir über dies alles die Befehle Ihrer Majestät zukommen zu lassen, und bemerke nur noch, daß ich in alledem mit höchster Billigung Seiner Königlichen Hoheit verfahren bin und diesen Bericht, den ich ihm vorgelesen habe, nur auf seinen Befehl absende.
BEILAGEN
1. Aufstellung der für die Manufaktur in Tournai ausgegebenen Gelder
Färberei und Lager
Zwei große Häuser, das eine zum Abschweifen der Seide und zum Färben überhaupt, das andere als allgemeines Lager, nebst zwei kleinen anstoßenden Häusern. Kaufsumme in Gulden Kurant
[S. 253]
Gulden
|
|
Ein Haus, das mit dem ersten in Verbindung steht,
|
3000—
|
Zum Ankauf eines Geländes zwecks Erweiterung der
Wasserleitung, die durch den Garten der Färberei läuft,
|
630—
|
Anlagen zur Benutzung der Wasserleitung
|
1000—
|
Reparaturen an den vorgenannten Häusern
|
7500—
|
Noch im Gange befindliche Reparaturen höchstens
|
3000—
|
Ein großer Zinnkübel und Kessel aus Gelbkupfer für
die Färberei
|
5300—
|
Kleine Kübel aus Zinn u. Steingut, Pressen und
anderes notwendiges Färbereigerät
|
3000—
|
Drei Zylinder
|
2000—
|
Gesamtausgabe für die Färberei
|
56135—5—4
|
Gerberei
Gulden
|
|
Ankauf eines Hauses für die Gerberei
|
7800—
|
Für notwendige Umbauten
|
9000—
|
Für die notwendigen Geräte
|
2500—
|
Gesamtausgabe für die Gerberei
|
19300—
|
Hutfabrik
Gulden
|
|
Ankauf eines Hauses für die Hutfabrik
|
1500—
|
Vorgenommene und noch vorzunehmende Reparaturen
|
2760—
|
Gerät für 6 Walken
|
1440—
|
Gesamtausgabe für die Hutfabrik
|
5700—
|
[S. 254] |
Gulden
|
Ankauf eines Hauses für den Grafen Surmont
|
13500—
|
Verschiedene andere Ausgaben
Gulden
|
|
Kosten und Gebühren für den Ankauf der obigen Häuser
|
800—
|
Verschiedene Ausgaben des Herrn Rasse für die
Manufaktur
|
4500—
|
Zusammen
|
5300—
|
Gesamtaufstellung
Gulden
|
|
Ausgaben für die Färberei und das Lager
|
56135—5—4
|
„ „ „ Gerberei
|
19300—
|
„ „ „ Hutfabrik
|
5700—
|
Das Haus für den Grafen
|
13500—
|
Verschiedene Ausgaben
|
5300—
|
Gesamtsumme Gulden Kurant
|
99935—5—4
|
2. Aufstellung der Vorschüsse und Auslagen für den Grafen Surmont
Gulden
|
|
Verschiedene Vorschüsse der Frau Nettine
|
81720—
|
Auslagen des Herrn Rasse und der Frau Nettine für
den Unterhalt des Grafen sowie für seine Reisen nach Tournai usw.
|
12280—
|
Gulden Kurant
|
94000—
|
3. Vorläufige Bedingungen, die zwischen Graf Cobenzl und dem Grafen Surmont vereinbart sind
Der Graf von Surmont wird lebenslänglich[365] an den jetzt in Tournai errichteten Manufakturen zur Hälfte beteiligt.
[S. 255]
Von dem ihm zufallenden Gewinn sind die ihm vorgeschossenen Summen und die für ihn zu machenden Auslagen abzuziehen. Nach erfolgtem Abzug soll er über seinen Gewinn frei verfügen.
Der Graf verpflichtet sich dem Grafen Cobenzl gegenüber noch zur Angabe der Herstellung von Blau und Grün, der Verfeinerung von Ölen, des Krempelns von Leder zur Herstellung von Hüten oder zu jedem anderen, ihm bekannten Gebrauch, sowie zur Bekanntgabe jedes anderen Geheimverfahrens oder jedes geeigneten Mittels, um die Manufakturen zur größten Vollendung zu bringen.
Graf Surmont hat diese Bedingungen unterzeichnet.
4. und 5. Gerberei usw.
Eine Ochsenhaut im Gewicht von 70 Pfund kostet, gegerbt und zugerichtet, einschl. des Arbeitslohns und der Unkosten 14 Gulden 15 Sols. Die Haut verliert gewöhnlich die Hälfte ihres Gewichts und wird mit 9 Sols das Pfund verkauft, somit 35 Pfund = 15 Gulden 15 Sols. Der Gewinn auf jede Haut beträgt 1 Gulden 10 Sols oder 11 Prozent.
Eine Kuhhaut im Gewicht von 45 Pfund, gegerbt und zugerichtet, kostet 7 Gulden 15 Sols. Völlig appretiert wiegt sie nur 15 Pfund und wird das Pfund zu 14 Sols verkauft, also für 10 Gulden 10 Sols. Der Gewinn für jede Haut beträgt 2 Gulden 15 Sols oder etwa 29 Prozent.
Eine Kälberhaut im Gewicht von 12 Pfund, gegerbt und zugerichtet, kostet 3 Gulden. Appretiert wiegt sie nur 4 Pfund und wird das Pfund zu 17,5 Sols verkauft, also für 3 Gulden 10 Sols. Gewinn 10 Sols pro Haut oder 16 Prozent.
[S. 256]
1 Dutzend Ziegenfelle im Gewicht von 20 Pfund kommt auf 23 Gulden. Appretiert wiegen diese Häute nur 18 Pfund und werden das Pfund zu 2 Gulden, also zu 36 Gulden verkauft. Gewinn für 1 Dutzend also 13 Gulden oder etwa 55 Prozent.
Mit Sumach in Fett gegerbtes Maroquinleder, gleichfalls im Gewicht von 20 Pfund, kommt pro Dutzend auf 18 Gulden 15 Sols. Appretiert wiegt es nur 16 bis 17 Pfund und wird das Pfund zu 2 Gulden 16 Sols verkauft, also etwa 44 Gulden 5 Sols. Der Gewinn für 1 Dutzend beträgt also 25 Gulden 10 Sols oder etwa 135 Prozent.
Rotes Maroquinleder, mit Galläpfeln gegerbt, kostet im Dutzend bei gleichem Gewicht 32 Gulden 10 Sols. Appretiert wiegt es 12 Pfund und wird das Pfund für mindestens 4 Gulden 15 Sols verkauft, somit 57 Gulden. Gewinn 25 Gulden 10 Sols pro Dutzend oder 68 Prozent.
Ebenso weißes Maroquinleder.
Das alles wird ohne die Geheimverfahren des Grafen Surmont hergestellt, und zwar durch Mittel, mit denen sich noch weit schönere Farben noch billiger herstellen lassen.
6. Färberei
Abschweifen der Seide
Durch das Geheimverfahren des Grafen Surmont sind bereits 50 Prozent Gewinn erzielt; denn die Seide verliert nur ⅛ ihres Gewichts, beim gewöhnlichen Verfahren das doppelte. Außerdem ist es weit billiger, denn das Abschweifen der Seide kostet gewöhnlich 10 Sols pro Pfund, hier aber höchstens 6.
Außer diesen Vorteilen ist die Seide weit schöner, stärker, voller und nimmt die Farbe weit besser an als bisher.
[S. 257]
Färben der Seide
Rot. Ein Pfund Seide karmoisinrot zu färben kostet nur 21 Sols, in Antwerpen 42 Sols. Der Unterschied beträgt also 100 Prozent. Die gleiche Menge in Ponceaurot kostet nur 4 Gulden, in Antwerpen 24. Das macht einen Unterschied von 500 Prozent. In Hochrot kostet die gleiche Menge nur 40 Sols, in Antwerpen 12 Gulden; Unterschied 600 Prozent. Feines Kirschrot kostet nur 20 Sols, in Antwerpen 4 Gulden; Unterschied 400 Prozent. Rosa 20 Sols, in Antwerpen 3 Gulden; Unterschied 300 Prozent.
Violett. Ein Pfund Seide in feinem Purpurviolett und anderen Violettarten kostet nur 18 Sols, in Antwerpen 36 Sols; Unterschied 200 Prozent.
Gelb. Ein Pfund Seide in kräftigstem Gelb, z. B. für Litzen, kostet nur 2 Gulden, in Antwerpen 10 Gulden; Unterschied 500 Prozent.
Die anderen Schattierungen entsprechend.
Färben von Tuch, Wolle, Kamelott, Ziegenhaar usw.
Rot. Das Färben von Tuch, Wolle, Kamelott und Ziegenhaar in Karmoisinrot, Hochrot, Scharlachrot und allen feinen roten Farben kostet nur 7 Sols. Hier kosten diese Farben 28 Sols. Der Unterschied beträgt 400 Prozent. Rosa unter 5 Sols, sonst 10 Sols; Unterschied 200 Prozent.
Violett. Tuch, Wolle, Kamelott und Ziegenhaar kosten das Pfund nur 6 Sols, sonst 24; Unterschied 400 Prozent.
Gelb. Tuch, Wolle, Kamelott und Ziegenhaar kosten pro Elle und Pfund nur 2 Sols, sonst 4 Sols; Unterschied 200 Prozent.
[S. 258]
Holzfärben
Nach Färben der Seide oder Wolle eignet sich das in den Kübeln zurückbleibende Färbwasser nicht mehr zum Färben von Stoffen, wohl aber zum Holzfärben ohne irgendwelche Unkosten. So wenig Gewinn diese verschieden gefärbten Hölzer also abwerfen mögen, es ist Reingewinn.
Malfarben
Nach dem Holzfärben wird der Färbstoff niedergeschlagen. Auf dem Grunde bleibt eine sehr schöne Malfarbe zurück, die gleichfalls nichts kostet.
7. Hutfabrikation
Graf Surmont besitzt ein Geheimverfahren zur Hutfabrikation, das sehr großen Gewinn bringen kann. Er hat versprochen, es zu zeigen. Aber auch ohne dies Verfahren wird die Hutfabrikation einen sehr anständigen Gewinn abwerfen.
Gattung
|
Bisherige
Kosten im Engros- Einkauf in Gulden |
Künftig,
inbegriffen Arbeitslohn und sonstige Unkosten |
Gewinn
|
|
in
Gulden |
in
Prozenten |
|||
Hochfeiner Biber
|
9—7—8
|
7—14—
|
1—13—8
|
18
|
Gewöhnlicher Biber
|
7—9—8
|
6—10—8
|
—19—
|
13
|
Halbbiber
|
5—2—8
|
4—11—
|
—11—8
|
11
|
Gewöhnl. Halbbiber
|
4—13—8
|
4—4—8
|
—9—
|
10
|
In Betrieb sind 6 Walken. Jede stellt pro Tag 16 Hüte her, somit tägliche Gesamtproduktion 96, in 250 Arbeitstagen jährlich 24000 Hüte mit einem Gewinn von mindestens 20000 Gulden Kurant.
[S. 259]
8. Aufstellung des Personals zur Leitung der Manufakturen
Gulden
|
|
Herr Rasse, Direktor
|
3000
|
„ de Lannoy, Subdirektor
|
2500
|
„ de Lannoy junior für die Korrespondenz
|
500
|
1 Buchhalter für die Färberei
|
500
|
„ „ „ Gerberei
|
500
|
1 Lagerverwalter
|
1000
|
Gulden
|
8000
|
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 2. Juli 1763.
E. E. haben jetzt alles Material über unser Geheimverfahren in Händen. Ich erwarte Ihre Entscheidung und möchte zu Ihrem Schreiben (vom 21. Juni) nur noch ein paar Bemerkungen hinzufügen.
In solchen Dingen, glaube ich, täuscht man sich aus der Nähe wohl leichter als aus der Entfernung. Die Gegenwart und Beredsamkeit des Mannes kann blenden. Aus der Entfernung aber sieht man nur die Tatsachen und prüft sie unbefangen. Um aber auch hier unbefangen zu sein, habe ich Sachverständige zu Rate gezogen, und ein jeder hat alle gefärbten Stoffe durchweg für wunderbar erklärt. Die geringen Herstellungskosten geben ihnen gewiß hohen Wert. Unser Tressenfabrikant und Seidenhändler Barbieri, unser Kamelottfabrikant Francolet und unser Tuchfabrikant t’Kint bitten mich kniefällig um Beschleunigung dieser Färberei, die sie für äußerst wertvoll für den Staat halten.
Die Holzfärberei ist ein Nebenprodukt, das keinerlei Ausgaben verursacht. Wollen unsere und die Pariser[S. 260] Kunstschreiner das Holz kaufen, so ist das ein Gewinn mehr; wo nicht, läßt man die Sache fallen.
Ist das Metall gut, wie ein von mir befragter Chemiker glaubt, so kann es einträglich sein; wo nicht, so stellt man nur soviel her, als man zur Herstellung des Wassers braucht, das sich zum Schwarzfärben des Leders vorzüglich eignet. Die Herstellung von hundert Pfund Metall genügt zum Färben von mehreren tausend Häuten. Ich nenne dies Wasser wunderbar; denn ich habe selbst die Probe gemacht und es mit frischem Wasser, im Verhältnis von 1 zu 60, gemischt. Es färbt das Leder augenblicklich durch und durch, und zwar im schönsten Schwarz. Läßt man das Leder ein paar Stunden darin, so zieht es sich derart zusammen, daß eine sehr starke Kuhhaut so dünn wird wie ein Doppelbogen Papier, ohne daß sie die Form verliert. Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich sage, daß dies äußerst belangreich ist. Die Hutfabrikation ist ebenfalls wichtig, und das gleiche gilt erwiesenermaßen für die Öle.
Wenn ich von all diesen Tatsachen überzeugt bin, so doch nicht vom Reichtum meines Mannes. Ich sehe ein, daß er mir sein Geheimverfahren überlassen hat, weil er in größter Not war und es selbst nicht verwerten konnte.
Der Eventualvertrag, den ich mit ihm abgeschlossen habe[366], beweist, daß die Geheimverfahren zwar durch die an ihn gezahlten Vorschüsse und die Anlagekosten teuer zu stehen kommen, in der Folge aber tatsächlich nichts kosten; denn diese Summen kommen in Anrechnung auf den dem Grafen Surmont zugesagten Gewinnanteil. Auch habe ich für Ihre Majestät nichts aufs Spiel gesetzt; denn Frau Nettine übernimmt das Ganze sehr gern auf[S. 261] eigene Rechnung. Wenn aber Ihre Majestät, wie ich wünsche, das Unternehmen für sich behält, so ist Frau Nettine bereit, den Vorschuß zum üblichen Zinsfuß von 4 Prozent zu geben.
Würde dies Unternehmen mit dem Lotto und der Lotterie verbunden, so wird sich hoffentlich bald zeigen, daß diese drei Unternehmungen eine beträchtliche Einnahmequelle für die Staatsfinanzen bilden.
Kaunitz an Cobenzl
Wien, 5. Juli 1763.
Auf Ihren Bericht (vom 25. Juni) mit den ärgerlichen Einzelheiten Ihrer Unternehmung in Tournai könnte ich sofort mitteilen, daß Ihre Majestät sich nicht mit einem Pfennig beteiligt[367]. Doch ich will der formellen Entschließung, die Ihnen zugehen wird, nicht vorgreifen.
Ich will auch nicht auf den Wechsel Ihrer Ansichten über die Person und die Geheimmittel dieses Schwindlers hinweisen. Es genügt mir, ihn Ihnen als solchen gekennzeichnet zu haben, trotz dem zuversichtlichen Ton, mit dem Sie von seinen Reichtümern, seinem erhabenen Wissen und von den Millionen reden, die er uns aus Freundschaft[367] für Sie und die Familie Nettine verschaffen will.
Wenn ich auch in meiner Antwort auf Ihren ersten Bericht[368] über Ihre Unternehmungen, der, wie ich jetzt sehe, etwas spät[367] kam, Ihnen nicht unumwunden sagen wollte noch konnte, daß Ihre Begeisterung Ihnen den klaren Blick für die Dinge trüben könne, so gab ich es Ihnen doch — Sie werden sich dessen entsinnen — ziemlich deutlich zu verstehen durch meine Abneigung, den von Ihnen berichteten Tatsachen Glauben zu schenken. Ich gebrauchte[S. 262] den Ausdruck: Gegen Tatsachen lasse sich nichts einwenden als das eine, ob man sie richtig gesehen habe. Zu diesen Zweifeln fügte ich vorsichtshalber die Warnung, die Interessen Ihrer Majestät nicht aufs Spiel zu setzen[369].
Diese Vorsicht war durchaus nötig. Sie schrieben mir damals: „Ich habe Vorschüsse in sehr geringem Betrage[369] durch Frau Nettine geben lassen.“ Heute übersteigt dieser sehr geringe Betrag[369] bereits 190000 Gulden[370]!
Das Bild, das ich Ihnen zugleich von diesem berühmten Abenteurer oder Gauner gab — denn schließlich ist ein Betrüger nichts anderes — blieb offenbar eindruckslos; denn Sie mögen geglaubt haben, das Rätsel zu lösen, wie man seine Talente nutzbar machte, ohne seine Betrügereien fürchten zu müssen. War doch Ihre stete Antwort auf meine Warnungen: „Was kümmern uns seine Fehler, wenn wir nur seine Geheimmittel haben!“
Indessen war Ihre Majestät bei meinem Bericht über Ihren Brief und über meine Antwort anderer Meinung. Der Schluß meines Berichtes lautete:
„Damit habe ich ihre großen Pläne weder verworfen noch gebilligt. Möglicherweise befinden sich unter der großen Zahl von Geheimmitteln, deren Ausbeutung so glänzende Erfolge verspricht, auch ein paar recht brauchbare. Möglicherweise löst sich aber auch alles in Dunst auf. Auf jeden Fall wäre es angezeigt, wenn Eure Majestät den Inhalt meines Berichtes geheim halten wollten; denn im ersteren Falle würde Saint-Germain zu sehr eine Entlarvung fürchten, und im zweiten Falle müßte man die Schwachheit der Regierung, die sich von einem Schwindler anführen ließ, mit einem Schleier zudecken[371].“
Das war mein Standpunkt im ganzen Verlauf unseres Schriftwechsels. Obwohl er auf Sie scheinbar keinen[S. 263] Eindruck gemacht hat, habe ich Ihnen lediglich aus Rücksicht und Freundschaft nicht mitgeteilt, welches die Worte Ihrer Majestät über meinen Bericht waren. Ich teile sie Ihnen hierdurch im größten Vertrauen mit:
„Ich bin völlig überzeugt, daß das von Ihnen entworfene Bild mehr zutrifft als das Cobenzl’sche, und daß diese Torheit geheim gehalten werden muß. Ich wünschte, der Minister wäre von ihr geheilt[372].“
Die Torheit ist also begangen, und die arme Frau Nettine, die ich von Herzen bedauere, schwebt in großer Gefahr, die ganze Zeche zu bezahlen. Wie ist es möglich, daß sie diesem Elenden auf seine schönen Augen hin 81720 Gulden vorschießen konnte? Wie konnten Sie Ihrerseits zusehen, daß er 12280 Gulden bloß für Reisen und Verpflegung vertan hat[373]? Wie konnte man sich abgesehen von alledem auf eine Ausgabe von 99935 Gulden[374] einlassen, ohne daß bisher für einen Pfennig Betriebsmittel oder Rohstoffe für Ihre Fabriken angeschafft sind, ja ohne von dem Betrüger die Geheimnisse erfahren zu haben, die scheinbar noch am meisten versprechen? Sie sind seiner sicher, sagen Sie. Jawohl, so sicher, daß ich mich nicht wundern würde, wenn er mit allem, um was er Sie geprellt hat, eines schönen Morgens das Weite suchte und Sie mit all Ihren Reichtümern und Ihren vier- bis fünfhundertprozentigen Gewinnen sitzen ließe!
Doch nach allem, was ich Ihnen darüber schon geschrieben habe, ist jede weitere Aussprache zwecklos. Ihre Berechnungen kommen mir vor wie die eines Handwerkers, der sich sagt: „Ein Gehilfe bringt mir täglich ¼ Gulden ein; ich will also 400 annehmen; das macht 100 Gulden pro Tag“. Aber wird man ihm auch soviel Arbeit liefern, daß er vierhundert Gehilfen beschäftigen[S. 264] kann? Werden Sie soviel Absatz für Ihre ganz gewöhnlichen gefärbten Stoffe finden, daß Sie dabei oft Ihre 4-500 Prozent verdienen, daß Sie auch nur die bisherigen Unkosten decken? Hat man den Bedarf an gefärbten Stoffen im Inland berechnet? Denn an das Ausland ist nicht zu denken, weder an England noch an Frankreich, Holland, Italien, Deutschland usw.
Aber sei dem, wie ihm wolle, ich werde Ihrer Majestät über alles genauen Bericht erstatten und dabei zu folgenden Schlußfolgerungen kommen:
1. Die Fabriken eignen sich nicht zu Staatsbetrieben, weder der Sache nach noch im Hinblick auf das Einzelne und die Verwaltungskosten.
2. Sollte trotz allem, was ich dagegen angeführt habe, die Herstellung oder Ausbeutung von Surmonts Geheimverfahren einen Ertrag abwerfen, so hat Frau Nettine den allerersten Anspruch darauf.
3. Somit kann man ihr nicht den Schutz und die Erleichterungen abschlagen, die sie bei der Regierung beantragen wird, zumal es Regierungsgrundsatz ist, den Manufakturen jede Förderung zu gewähren, die mit der Verfassung des Landes vereinbar ist.
Ich hoffe, daß Ihre Majestät diese Schlußfolgerungen gutheißen wird, kann mich aber nicht dafür verbürgen. Inzwischen geben bereits meine früheren Briefe E. E. die erforderlichen Richtlinien.
Kaunitz an Maria Theresia
Wien, 21. Juli 1763.
Eure Kaiserliche Majestät werden sich erinnern, daß ich am 22. April d. J.[375] einen Bericht des Grafen Cobenzl [S. 265]über die Riesengewinne vorgelegt habe, die er sich von den Geheimverfahren in der Färberei und mehreren anderen Handelsartikeln verspricht, die eine eigenartige Persönlichkeit, früher als Graf Saint-Germain bekannt, zu besitzen vorgibt.
Kaunitz wiederholt den Inhalt des Berichts von Cobenzl vom 8. und seiner Antwort vom 19. April[376].
E. M. haben meine Auffassung der Sache und meine Weisungen an den Grafen Cobenzl gebilligt. Die großen Projekte dieses Ministers sind Ihnen selbst als eine Torheit erschienen, die geheim gehalten werden müsse, und von der E. M. ihn geheilt zu sehen wünschten.
Was mir Graf Cobenzl seither über seinen Wundermann wie über dessen Projekte berichtete, hat meine anfängliche Auffassung nur zu sehr bestätigt. Je verdächtiger also die Sache wurde, desto mehr war ich darauf bedacht, die Interessen E. M. sicherzustellen, und das ist mir, glaube ich, auch gelungen. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, daß Frau Nettine bereits fast 200000 Gulden Vorschüsse für die Fabriken in Tournai gezahlt hat[377], die von Graf Cobenzl auf Drängen Surmonts angelegt worden sind.
Ehe ich jedoch auf diese Anlagen und ihre Bestimmung näher eingehe, muß ich E. M. über die schwankenden Angaben des Grafen Cobenzl, über die Persönlichkeit und die Reichtümer ihres Begründers berichten.
Zuerst sprach der Minister von diesen Reichtümern in einem Tone, der jeden Zweifel ausschließen mußte. Trotzdem zweifelte ich und ersuchte den Grafen Cobenzl um Angabe, welche Gewißheit er über diese angeblichen Reichtümer hätte und welcher Art sie wären, ob sie in Geld, Wertpapieren, Landbesitz oder Handelseffekten beständen.[S. 266] Auch teilte ich ihm Anekdoten mit, aus denen hervorging, daß dieser Mann in Frankreich gleichfalls mit seinen Reichtümern geprahlt hatte und in seiner Dreistigkeit so weit gegangen war, vom Grafen Saint-Florentin ein Landgut im Werte von 1800000 Livres in aller Form zu kaufen, daß aber an den Zahltagen die versprochenen Rückstände und Wechselbriefe nicht eintrafen und daß der Käufer Frankreich verlassen mußte[378].
Auf das alles antwortete mir der Minister am 28. April[379], Surmont hätte das Gut Ubbergen in Holland gekauft, es zu zwei Dritteln bezahlt und den Namen dieses Gutes angenommen. Außerdem besäße er Wertsachen, die er bei Frau Nettine hinterlegen werde, und der Mann, der sie in Seeland verpfändet hätte, schätze ihren Wert auf über eine Million. Wie Graf Cobenzl zugab, spräche Surmont viel von seinen Reichtümern. Doch wiederholte er, er müsse sehr reich sein; denn überall, wo er sich aufgehalten, hätte er fabelhafte Geschenke gemacht und viel ausgegeben, ohne irgendwo Schulden zu hinterlassen[380].
Von dem Gutskaufe vom Grafen Saint-Florentin wußte der Minister nichts. Im übrigen suchte er meine anderen Einwände über Surmonts Charakter und Leben mit dem Hinweis zu entkräften, daß dieser Mann nichts von uns verlangte, und daß er ihm seine Geheimmittel aus Freundschaft überlassen wollte; somit müßten uns seine persönlichen Eigenschaften einerlei sein, wenn man nur in den Besitz seiner Geheimmittel käme.
Diese Aufklärungen vermochten die Eindrücke nicht zu verwischen, die ich aus den sonstigen Nachrichten von diesem Manne gewonnen hatte. Welche Vorstellung könnte man sich auch von den Reichtümern eines Unbekannten[S. 267] machen, dessen Wertsachen verpfändet sind und dessen Grundbesitz nicht bezahlt ist? Ich machte den Grafen Cobenzl am 10. Mai[381] auf diese Widersprüche aufmerksam und verhehlte ihm angesichts der Abenteuer Surmonts in Frankreich meine Befürchtung nicht, er möchte in einer Grenzstadt wie Tournai, wo Graf Cobenzl die Fabrik anlegen wollte, nicht allzu sicher sein.
Der Minister antwortete mir auf alle diese Bedenken nur mit der Versicherung, Frau Nettine hätte bei einer Reise nach Paris nichts Nachteiliges über Surmont erfahren und sich durch ihre Schwiegersöhne vergewissert, daß wir bei keiner einzigen Unternehmung Widerstand zu befürchten hätten[382].
Das fortdauernde Vertrauen, das Frau Nettine auf diesen Mann nach Befragung ihrer Schwiegersöhne in Paris setzte, begann meine Zweifel zu zerstreuen. Ich verhehlte dies dem Grafen Cobenzl in meinem Briefe vom 31. Mai nicht. Als aber ein paar Tage darauf die Proben von Surmonts Kunst eintrafen, sah ich deutlich, daß er es verstanden hatte, über die Tatsächlichkeit seiner Geheimmittel ebenso zu täuschen wie über seine persönlichen Verhältnisse. Auch rühmte sich Graf Cobenzl in seinem Briefe vom 9. Juni nicht mehr, diese Geheimmittel aus Freundschaft zu erhalten. Er meldete schon damals, sie würden teuer sein, und am 25. Juni änderte er seine Sprache über Surmonts Reichtümer und Charakter völlig. Ich lege diesen Bericht nebst allen Anlagen[383] bei. Wie er gestand, hatte er sich durch einen Nimweger Kaufmann und Geschäftsfreund Surmonts nach dessen Reichtümern und besonders nach den Wertsachen erkundigt und erfahren, daß diese mindestens eine Million wert seien. Da er trotzdem ohne Geld war und seine[S. 268] Wertsachen nach Tournai kommen lassen wollte, hatte Frau Nettine ihm 81720 Gulden vorgeschossen. Weiterhin aber hätte man gesehen, daß der Nimweger Kaufmann im Einverständnis mit ihm war, daß nur sehr geringe Wertsachen nach Brüssel gekommen waren, und daß die in Holland zurückgebliebenen nur aus Gemälden bestanden, die zwar Surmont sehr hoch schätzte, die aber sehr wenig wert zu sein schienen. Zudem hatte sich herausgestellt, daß er verschuldet war, von seinen holländischen Gläubigern gedrängt wurde und in seinen Privatverhältnissen keine Ordnung und Sparsamkeit walten ließ. Trotzdem erschien er dem Grafen Cobenzl noch immer als Besitzer wunderbarer Geheimnisse. Zugleich klagte dieser über seine Launen und sein wunderliches Wesen.
Das alles steht in schroffem Gegensatz zu den ersten Berichten des Ministers über seine Redlichkeit, seine schlichten Sitten und seine Reichtümer. Ich begreife nicht, wie man sich so lange hat täuschen lassen können, während ich bei den ersten Nachrichten aus Brüssel alles aufgeboten habe, um den Grafen Cobenzl vor der Redegabe und der eigentümlichen Begabung dieses Schwindlers zu warnen, das Vertrauen auch der Ungläubigsten zu gewinnen. Ich wies ihn namentlich auf Surmonts Abenteuer in Frankreich hin und sagte ihm wörtlich, dieser hätte es dort verstanden, alle, die an seiner Freigebigkeit und an den von ihm verheißenen Wundern teil zu haben hofften, in einer Art von Ehrfurcht zu halten, so daß sie sogar auf das Recht des Zweifels verzichteten. Trotz meiner Warnung ist es ihm nur zu gut gelungen, den Grafen Cobenzl und die Familie Nettine ebenso zu beeinflussen, wie es bei einem Teil des französischen Ministeriums eine Zeitlang der Fall war.
[S. 269]
Nach den Vorschüssen und den großen Ausgaben zu urteilen, die lediglich für seine Person erfolgt sind und die sich bereits auf 94000 Gulden belaufen[384], muß die Begeisterung in Brüssel sogar noch weiter gegangen sein als in Paris. Offenbar hat Graf Cobenzl, als er hinter Surmonts Fehler kam, sich für befähigt gehalten, seine Talente nutzbar zu machen, ohne seine Betrügereien fürchten zu müssen; denn auf meine Verdachtsgründe entgegnete er immer wieder: Was liegt uns an seinen Fehlern, wenn wir nur seine Geheimmittel besitzen?
Diese Denkweise hätte berechtigt erscheinen können, hätte man die Tatsächlichkeit seiner angeblichen Geheimmittel und die Riesengewinne aus ihnen vorher genau festgestellt. Aber zu einer Zeit, wo es noch fraglich ist, ob man den von einem Abenteurer versprochenen Wundern Glauben schenken soll, gebietet die Vorsicht, seine Sitten, seinen Charakter, seine Privatverhältnisse, seine früheren Abenteuer usw. stark in Betracht zu ziehen. Das alles aber spricht durchaus gegen den angeblichen Grafen Surmont und wäre allein genug, um seine Projekte abzulehnen.
Kaunitz prüft die Vorschläge von Cobenzl für Übernahme der Manufakturen in Staatsbetrieb und kommt zu ihrer Verwerfung, da sie den verheißenen Gewinn nicht einbringen würden. Die eingesandten Proben seien minderwertig und trotz des niedrigen Preises keine großen Umsätze zu erwarten. Zu Cobenzls Bericht vom 25. Juni übergehend, bemängelt Kaunitz die Unsicherheit der Unterlagen, bei den Farben überdies das Fehlen von Blau und Grün.
Wenn die neuen Manufakturen in Tournai schon aus sachlichen Gründen nicht für uns in Frage kommen, so erst recht nicht wegen der großen, bereits entstandenen Kosten und der kostspieligen Verwaltung, die sie nach[S. 270] Angabe des Grafen Cobenzl erfordern. Wie schon oben betont, hat Frau Nettine Surmont bereits 94000 Gulden vorgeschossen oder für ihn ausgelegt, ohne daß es bisher gelungen wäre, die Geheimverfahren aus ihm herauszulocken, die scheinbar noch am meisten versprechen. Die Ausgaben für die Fabrikanlagen belaufen sich bereits auf 99935 Gulden, 5 Sols, 4 Pfennig, ohne daß bisher für einen Pfennig Betriebsmittel oder Rohstoffe angeschafft wären oder daß man das Geringste für Beschaffung von Arbeitern ausgegeben hätte. Zudem spricht aus allen diesen Ausgaben eine Verschwendung, die keine günstigen Schlüsse auf die künftigen laufenden Ausgaben erlaubt.
Allein für Surmonts Unterhalt und seine Reisen sind 12280 Gulden verausgabt. Ein Wohnhaus für ihn in Tournai ist für 13500 Gulden gekauft worden, und die verschiedenen nicht näher belegten Auslagen des Kaufmanns Rasse, der einer der Direktoren werden soll, belaufen sich auf 5300 Gulden[385]. Der vom Grafen Cobenzl entworfene Verwaltungsplan zeigt keine größere Sparsamkeit. Die Gehälter für die beiden Direktoren und die übrigen Angestellten betragen 8000 Gulden jährlich[386]. Außerdem schlägt der Minister vor, den Sohn der Frau Nettine, dem Surmont allein seine Geheimverfahren anvertraut hat, zum Generaldirektor des ganzen neuen Unternehmens zu ernennen und ihn lediglich Sr. Kgl. Hoheit und der Oberaufsicht des Ministers zu unterstellen. Ferner meint er, daß der Staatsrat Walckiers zum Königlichen Kommissar bei diesem Unternehmen bestellt, dessen Leitung mit der der Lotterie verbunden werden und daß E. M. dem jungen Nettine aus dem Gewinn ein festes Gehalt oder einen Gewinnanteil gewähren könnte.
[S. 271]
Zugleich übersendet mir Graf Cobenzl den vorläufig mit Surmont abgeschlossenen Vertrag[387], wonach dieser für Lebenszeit an den in Frage stehenden Unternehmungen zur Hälfte beteiligt wird, die ihm vorgeschossenen Summen von seinem Gewinnanteil abgezogen werden und Surmont sich seinerseits verpflichtet, die Herstellungsart von Blau und Grün, die Verfeinerung der Öle, das Krempeln des Leders für die Hutfabrik oder zu jedem anderen ihm bekannten Gebrauch, sowie jedes andere Geheimmittel oder Verfahren anzugeben, durch das die Manufakturen zur größten Vollendung gebracht werden können.
Surmont hat es also nicht nur verstanden, eine Summe von fast 100000 Gulden herauszuschlagen, deren Rückzahlung auf einem zum mindesten sehr zweifelhaften, wo nicht gänzlich hinfälligen Gewinn beruht, sondern er hat sich auch die Möglichkeit weiterer Gewinne aus seinen angeblichen Geheimverfahren gesichert; denn er hat sich die anscheinend wichtigsten vorbehalten und wird sie sich zweifellos teuer bezahlen lassen. Außerdem verspricht er, etwas zu lehren, was er nach eigenem Geständnis selbst noch nicht versteht, nämlich die Herstellung des Blaus. Es kann sich dabei nur um die Herstellung ohne Cochenille handeln; denn von etwas anderem war nie die Rede. Nun schreibt mir Graf Cobenzl am 27. Mai ausdrücklich, Surmont kenne diese Herstellungsart nicht und hoffe nur, ein Verfahren zu finden, das diese teure Zutat unnötig macht. Nicht anders dürfte es mit dem Grün stehen, das er herstellen zu können behauptet, aber von dem der Minister noch nie eine Probe zu sehen bekommen hat[388]. Von diesen zwei Farben ist denn auch, wie oben gesagt, in der Aufstellung der Preise der neuen Farben nirgends die Rede.
[S. 272]
Das alles tritt zu den Gründen, die von einem Unternehmen auf Staatskosten abraten. Trotzdem hält Graf Cobenzl dies für das Zweckmäßigste. Er will, falls E. M. darauf eingehen, der Frau Nettine ihre Vorschüsse für die genannten Unternehmungen in Höhe von 193935 Gulden, 5 Sols, 4 Pfennig mit 4 Prozent verzinsen und sie aus den Überschüssen allmählich zurückzahlen.
Dabei versichert er mir immer wieder, falls E. M. den Betrieb der Surmont’schen Fabriken nicht auf Staatskosten übernehmen wollten, würde Frau Nettine ihn gern auf eigene Rechnung übernehmen. Außerdem erklärt er mir, in der ganzen Sache mit Zustimmung Sr. Kgl. Hoheit gehandelt zu haben, und bittet mich, ihm die Allerhöchste Entscheidung E. M. darüber kundzugeben.
Aus allem Gesagten geht hervor:
1. Graf Cobenzl, Frau Nettine, ihre Familie sowie alle, die an dem lächerlichen Mysterium der angeblichen Geheimmittel dieses Abenteurers beteiligt sind, haben sich derart hereinlegen lassen, daß sie Vorschüsse und Auslagen in Höhe von fast 100000 Gulden nur für seine Person und auf Rechnung seiner ungeheuren Reichtümer gemacht haben, die sich, wie sie heute zugeben, auf Nichtigkeiten beschränken und sich vielmehr in Schulden verwandelt haben, die sicherlich aus ähnlichen Schwindeleien wie die in Brüssel verübten herrühren.
2. Nachdem sie sich so gröblich über den Charakter dieses Gauners getäuscht haben, trotzdem sie seine Geschichte und seine Abenteuer kannten, geben sie uns das Recht, ihrem Urteil über die Geheimmittel zu mißtrauen, die er ihnen so teuer aufgeschwindelt hat. Dies berechtigte Mißtrauen wird bestärkt durch die Abweisungen, die Surmont in Frankreich, in Holland, in England und überall erfahren hat, wo er seine kümmerlichen[S. 273] Geheimmittel wie bei uns angepriesen haben wird. Ich hätte mir also alle Vergleichungen, Berechnungen, Proben und Prüfungen ersparen können.
Aus ihnen hat sich ergeben:
3. Die gefärbten Seiden- und Wollstoffe bieten dem Publikum durchaus nichts Neues und können daher die Vorteile der Neuheit und des Monopols nicht beanspruchen. Sie bieten selbst in den bekannten Farben nichts Hervorragendes und sind bei weitem nicht in allen Farbgattungen vorhanden. Schon die Wiener gefärbten Stoffe übertreffen in dieser Farbenskala die seinen; um wieviel weniger könnten sie sich also gegenüber den englischen, französischen und holländischen behaupten!
4. Somit beruhen alle ihre Erwartungen nur auf dem Absatz in den Niederlanden. Aber sie haben dessen Umfang nicht berechnen können oder wollen, obgleich dies der einzige feste Anhaltspunkt wäre, um die Höhe der Einnahmen zu berechnen und ihr die Kosten gegenüberzustellen. Denn ohne einen solchen vorherigen Anschlag kann, ja muß es geschehen, daß sie bei dem überstürzt und höchst unbesonnen begonnenen Großbetrieb in einem Monat mehr Stoffe färben, als die einheimischen Fabriken in einem Jahre verbrauchen können.
5. Günstigsten Falls, d. h. wenn man den ganzen inneren Markt versorgen könnte, wäre das Unternehmen moralisch unrecht und politisch verkehrt. Unrecht, denn man brächte alle Privatfärbereien mit Güte oder mit Gewalt an den Bettelstab. Mit Güte, wenn man sie durch den billigen Preis überflügelte; mit Gewalt, wenn man zur Billigkeit noch das Monopol fügte. Politisch wäre das Unternehmen verkehrt; denn selbst bei der Annahme, man könnte alle Privatindustrieen verstaatlichen — was der täglichen Erfahrung völlig widerspricht —, wären[S. 274] diese Industrieen in Privathänden für den Staat weit wertvoller als beim Staatsbetriebe. Denn im ersten Falle begünstigen sie den Bevölkerungszuwachs, spornen den Wetteifer an, vermehren die Umlaufskanäle, setzen den einheimischen Handel in Nahrung, vervielfältigen seine Werte und unterstützen die Landwirtschaft und die Landesverteidigung. Beim Staatsbetriebe dagegen fallen durch die Zusammenfassung alle diese günstigen Faktoren fort; der Unterhalt von tausend Familien wird von hundert Angestellten und Arbeitern verzehrt, und hundert Menschen verarmen, um einen einzigen zu bereichern. Ein derartiges Unternehmen würde den Untertanen E. M. also keineswegs nützlich sein, wie man dreist behauptet hat, sondern sie zugrunde richten. Sie würden sich mit Recht laut beklagen, und wir zögen uns die bittersten Beschwerden und Klagen der Stände auf den Hals. Sind dies aber im günstigsten Falle die notwendigen Folgen eines solchen Unternehmens, dann kann man unmöglich mit dem Grafen Cobenzl in der Billigkeit allein das Mittel sehen, um den ganzen Verbrauch der Niederlande an gefärbten Stoffen an sich zu reißen. Damit sinken alle seine Erwartungen in Nichts zusammen, und es bleibt ihm nichts als die Reue, so große Opfer gebracht zu haben. Und tatsächlich hat Cobenzl unrecht; denn er hat nicht bewiesen, daß es möglich ist, die Privatindustrie mit allen ihren Hilfsquellen auszuschalten und ihr für alle Zeit die Kenntnis des Geheimverfahrens zu entziehen, das nach Aussage der Frau Nettine ziemlich leicht zu erraten ist. Ebensowenig hat er schließlich bewiesen, daß es möglich ist, die Privatindustrie durch Schönheit und Güte der Farben und durch Billigkeit des Preises zu übertreffen, wenn sie erst einmal nach seinem Geheimverfahren arbeitet.
[S. 275]
Aus meiner Darlegung ergibt sich ferner:
6. Daß die Gewinne aus der Gerberei heute von den einheimischen Gerbern gemacht werden, und daß Graf Cobenzl diese Gewinne durch Surmonts Geheimverfahren nur zu vergrößern hofft. Dabei verdient die Gerberei unter den angeblichen Geheimverfahren noch am meisten Beachtung, und gerade darüber wissen sie noch am wenigsten; denn alle ihre positiven Angaben beschränken sich auf das Gewicht der heute von unseren Gerbern verarbeiteten und verkauften Felle. Ebensogut könnte man sagen: Es gibt in den Niederlanden 10000 Schuhmacher; jeder verdient täglich soundsoviel. Man braucht also nur alle Stiefel und Schuhe, die diese Schuhmacher anfertigen, auf Rechnung des Staates herzustellen und hat allein den ganzen Gewinn davon. Wenn man so weiter fortfährt, alle Gewerbe an sich reißt und sie selbst ausübt, und angenommen, es gelingt, so muß man E. M. neue Untertanen verschaffen, die soviel Geld haben, um alle diese Waren zu kaufen; denn die Ihren wären zugrunde gerichtet und verarmt. Daß bei der Gerberei Geld zu verdienen ist, wußten wir ohnehin. Daß aber der Staat diesen Gewerbszweig auch noch an sich reißen müsse, das sollte man nicht vorschlagen, ohne vorher deutlich nachzuweisen, was für wirkliche und neue Vorteile für die Bevölkerung daraus entspringen.
Für die Hutfabrik gilt genau das gleiche.
7. Surmont hat ihnen ebensowenig das Geheimverfahren angegeben, durch das gewöhnliche Öle geruchlos gemacht und derart verfeinert werden, daß sie einen Ersatz für das feine Provenceröl bilden. Dieser Artikel wäre der einzige, der den Staatsfinanzen ohne Schaden für die einheimische Industrie und den einheimischen Handel die größten Einkünfte verschaffen könnte; denn[S. 276] es gibt noch nirgends eine derartige Fabrik, die Rohstoffe hätten wir in den Niederlanden, und somit würden neue Werte geschaffen. Aber die Ankündigung dieses Geheimverfahrens ähnelt der uns gegebenen über die Verwandlung von Eisen in ein goldartiges Metall. Beides ist gleich unwahrscheinlich; denn schon das Geheimverfahren zur Verfeinerung von Ölen in der angegebenen Weise wäre Surmont in Holland und England zu jedem von ihm geforderten Preise abgekauft worden.
8. Die uns vorgeschlagene Verwaltung ist ebensowenig sparsam, wie das Benehmen gegen Surmont von Anfang an bis auf diesen Tag klug war. Sie würde sieben bis acht Werkstätten zu verwalten haben, deren jede die ganze Tatkraft und Wachsamkeit, den ganzen Fleiß und die ganze Sparsamkeit mehrerer sehr erfahrener Geschäftsleute in Anspruch nähme. Das Verwaltungsbüro allein würde 8000 Gulden jährlich kosten. Fast ebensoviel würden die Zinsen für die bereits so leichtfertig ausgegebenen Summen erfordern. Dabei ist noch kein Pfennig inbegriffen für die Löhne eines Schwarmes von Arbeitern und für die Beschaffung von Rohstoffen.
Aus all diesen Schlußfolgerungen ergibt sich als offenkundig und unbedingt notwendig, daß diese gewagten Unternehmungen weder der Sache nach noch in ihrer Verwaltung und in ihrem Betrieb den Staatsfinanzen entsprechen. Da jedoch Frau Nettine aus eigener Tasche den unsinnigen Vorschuß von fast 200000 Gulden gemacht hat und sie diese Fabriken auch übernehmen will, so ist es recht und billig, daß E. M. sie ihr überlassen und gleichzeitig Ihre Regierung beauftragen, ihr alle Erleichterungen und Vergünstigungen zu gewähren, die sich mit der Wohlfahrt der Staatsfinanzen und der Landesverfassung vereinbaren lassen.
[S. 277]
Eigenhändiges Marginal Maria Theresias
Placet. Ich billige alle Vorschläge des Kanzlers.
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 22. Juli 1763.
Seit dem Erlaß E. E. vom 5. ist von der Sache in Tournai nicht mehr die Rede. Ich war Zeuge davon, daß Herr Bürgermeister Hasselaar[389] über unseren Mann sehr günstig gesprochen hat, aber von der Anlage einer Manufaktur war zwischen ihnen nie die Rede.
Maria Theresia an Prinz Karl von Lothringen
Wien, 24. Juli 1763.
Mein Hof- und Staatskanzler hat mir über seinen ganzen Schriftwechsel mit dem Grafen Cobenzl betreffs der angeblichen Geheimmittel für Fabriken und Manufakturen berichtet, die ein gewisser Surmont besitzen will, sowie über die Manufaktur, die Graf Cobenzl infolgedessen mit Genehmigung Eurer Hoheit in Tournai bereits eingerichtet hat[390]. Ich teile Ihnen hierdurch mit, daß wir das Ganze aufs unparteiischste und gewissenhafteste haben prüfen lassen, und daß sich daraus ergeben hat, daß diese Manufaktur weder in der Sache noch ihrer Verwaltung nach meinem königlichen Dienst entspricht und bei einem Staatsbetrieb — falls er überhaupt Erfolg hat — eine große Zahl meiner getreuen Untertanen zugrunde richten würde. Ich trete also dem bei, was mein Hof- und Staatskanzler dem Grafen Cobenzl hierüber schon mitgeteilt hat[391], und lehne den Gedanken völlig ab, das fragliche Unternehmen auf Rechnung des Staates betreiben zu lassen. Auch soll[S. 278] der Staat für die bereits erfolgten Ausgaben in keiner Weise herangezogen werden.
Da jedoch die Witwe Nettine, die für das neue Unternehmen schon beträchtliche Vorschüsse gezahlt hat, es auf eigene Rechnung übernehmen will, so ermächtige ich Eure Hoheit, ihr zu diesem Zweck die nötige Genehmigung zu geben und ihr alle Erleichterungen und Vergünstigungen zu gewähren, die sich mit der Wohlfahrt meiner Finanzen und der Verfassung meiner belgischen Provinzen vereinbaren lassen.
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 2. August 1763.
Ich erwarte heute die Nachricht von der Abreise des Herrn von Surmont und hoffe, daß Frau Nettine ihre großen Vorschüsse wieder herauswirtschaften wird. Sicherlich steckt in seinem Geheimverfahren etwas Gutes; zum mindesten ist dies bei der Hutfabrikation und Gerberei anerkannt, und alle unsere Seiden- und Tuchhändler finden die gefärbten Stoffe wunderbar. Se. Kgl. Hoheit wird die diesbezüglichen Befehle Ihrer Majestät[392] mit größter Genauigkeit ausführen.
Kaunitz an Cobenzl
Wien, 14. August 1763.
Ich verstehe nicht recht, was die Wendung in Ihrem Berichte vom 2. bedeutet: „Ich erwarte heute die Nachricht von der Abreise des Herrn von Surmont.“ Geht er freiwillig oder jagt man ihn endlich fort? Im ersteren Falle dürfte er wohl nicht nur das Geld der von mir aufrichtig bedauerten Frau Nettine mitnehmen, sondern auch die freie Verfügung über seine schönen Geheimmittel behalten.[S. 279] Im zweiten Fall wird man ihm hoffentlich noch das Geheimnis der Verfeinerung von Ölen entlockt haben. Offen gestanden, Herr Graf, könnte ich mir noch heute kein Bild machen, hätte ich nicht schon in meiner ersten Antwort[393] die Begeisterung unterstrichen, mit der dieser Schwindler Sie alle erfüllt hat, ganz ähnlich, wie es ihm auch in Frankreich geglückt ist. Aber zu etwas sind schlimme Erfahrungen doch gut, und ich hoffe, in Zukunft wird man bei Ihnen auf der Hut sein, und die Abenteurer werden kein gewonnenes Spiel haben.
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 23. August 1763.
Herr von Surmont ist nicht ausgewiesen worden. Aber in Erwartung der Entscheidung, ob Ihre Majestät die Manufaktur selbst übernehmen oder an Frau Nettine weitergeben will, hatte diese ihren Sohn in Tournai gelassen, um alle Geheimverfahren des Herrn von Surmont kennen zu lernen. Da man nun von ihm alles erfahren hatte, was er wußte, und seine Anwesenheit nicht mehr nötig war, habe ich ihm nach Eintreffen der Allerhöchsten Befehle geschrieben, Ihre Majestät wolle von seinen Geheimverfahren nichts wissen. Zugleich hat Nettine ihm eröffnet, daß seine Mutter sie als Deckung für ihre Vorschüsse behielte, daß sie ihm aber weitere Vorschüsse nicht machen wolle. Darauf hat er sich sofort zur Abreise entschlossen, wobei er erklärte, das Ganze im Laufe weniger Monate zurückzuzahlen. Andernfalls könne man seine Geheimverfahren benutzen, und falls man irgendeiner Aufklärung bedürfe, sei er bereit, sie zu geben, wo immer er sich auch befinde. Er ist nach Lüttich abgereist und wird sich wohl nach Karlsruhe zum Markgrafen von Baden-Durlach[394][S. 280] wenden. Frau Nettine hofft noch, wenigstens einen Teil ihrer Vorschüsse zurückzubekommen.
Man muß den Mann gesehen haben, um unsere Leichtgläubigkeit zu entschuldigen. Auch die vor uns auf ihn Hereingefallenen können uns teilweise entschuldigen, aber sicherlich haben wir die Erfahrung gemacht, daß der Mensch durch etwas betrogen werden kann, was er sieht und mit Händen greift.
Kaunitz an Cobenzl
Wien, 3. September 1763.
Der Fall Surmont ist für mich erledigt. Ich wünschte, daß das, was er in Brüssel getan hat und tun ließ, sich so leicht wieder gutmachen ließe, daß ich es vergessen kann.
Cobenzl an Kaunitz
Brüssel, 2. Oktober 1763.
Ich erhalte von nirgendswoher Nachricht, was aus Herrn von Saint-Germain geworden ist. Die in Tournai begründete Manufaktur beginnt sich zu entwickeln; ich glaube bestimmt, Frau Nettine wird dabei auf ihre Rechnung oder wenigstens auf ihre Kosten kommen.
Gegen Mitte Juni schickte mein Oheim mich nach Tournai, um für ein paar Tage das Benehmen eines[S. 281] berüchtigten Abenteurers zu überwachen[396], auf den mein Oheim, Frau von Nettine und viele andere gründlich hereingefallen waren. Dieser Mann war in Brüssel unter dem Namen eines Grafen Surmont aufgetreten, nachdem er sich anderswo Graf Saint-Germain genannt hatte. Er führte sich bei meinem Oheim in sehr geheimnisvoller Weise durch ein paar Empfehlungsbriefe, ich weiß nicht von wem, ein. Tagsüber ging er nie aus, und zur Zwiesprache mit meinem Oheim stellte er sich nur in vorgerückter Nachtstunde ein. Er erbot sich, mittels seiner angeblichen Geheimverfahren dem Hof große Dienste zu leisten. U. a. handelte es sich um ein Metall, das zwar kein Gold war, aber Farbe, Gewicht und Hämmerbarkeit des Goldes und somit alle Vorzüge desselben besaß. Er hatte, wie er sagte, hervorragende Kenntnisse in der Färberei und konnte Leder, Wolle und Seide sehr billig die glänzendsten Farben geben. Er wollte die feinsten Hüte zu billigerem Preise herstellen, als sonst die Anfertigung der gröbsten Hüte kostete. Fleckige Diamanten wußte er von ihren auffälligsten Flecken zu befreien. Er stellte Arzeneien gegen alle Krankheiten her und besaß Mittel zur unberechenbaren Verlängerung des Lebens. Alle Wissenschaften, von denen man sprach, beherrschte er im höchsten Maße. War von Musik die Rede, so sprach er als Meister davon, setzte sich ans Klavier und trug eigene Kompositionen vor. Sprach man von Malerei, so behauptete er, im Besitz einer hervorragenden Gemäldesammlung zu sein, sagte aber nicht, wo sie war. Welches seine Heimat sei, sagte er nicht, aber er sprach sehr gut Französisch, Italienisch, Englisch, Portugiesisch und Spanisch. Wie alt er war, sagte[S. 282] er nicht; anscheinend zählte er 50 Jahre, aber er sagte, das Menschenleben ließe sich unglaublich verlängern, und er sprach von Ereignissen, die um Jahrhunderte zurücklagen, und deren Augenzeuge er gewesen war.
Er redete wenig und so, daß man mehr erriet als begriff. Durch diese Art von Marktschreierei hatte der gewandte Mann das Vertrauen meines Oheims zu gewinnen verstanden, der mehr als einen Vorteil für den Staat aus einem Teil seiner Geheimmittel zu ziehen hoffte, indem er in Tournai eine Färberei, eine Papierfabrik und eine Werkstätte zur Herstellung des kostbaren Metalls einrichtete. Bestochen hatten meinen Oheim sehr schöne Proben aller dieser Dinge, die der Abenteurer ihm vorlegte, mit der Behauptung, er wolle ihm alle seine Geheimnisse nur aus reiner Freundschaft abtreten; denn er besäße alles, was er wünschte, und hätte nichts nötig. Um meinen Oheim davon zu überzeugen, sagte Graf Surmont eines Tages, als von Malerei die Rede war und mein Oheim äußerte, nur sehr wenige Privatleute könnten sich rühmen, einen echten Raffael zu besitzen, das träfe zwar zu, aber in seiner Sammlung fehlte es nicht daran, und zum Beweis dafür kam vierzehn Tage bis drei Wochen später ein Gemälde an, das Herr von Surmont meinem Oheim als aus seiner Sammlung stammend schenkte, und ein paar Künstler der Stadt, Kenner oder nicht, denen mein Oheim dies Bild zeigte, erklärten es für ein Original Raffaels. Surmont wollte es jedoch nicht zurücknehmen und bat ihn, es als Zeichen seiner Freundschaft zu behalten.
Ein andermal zeigte er meinem Oheim einen großen Solitär mit einem Flecken und sagte, er werde ihn in wenigen Tagen tadellos machen. Tatsächlich brachte er ihm nach ein paar Tagen einen Solitär vom gleichen Schnitt, der tadellos und ohne Flecken war, mit der Versicherung,[S. 283] es sei der gleiche Stein. Als mein Oheim ihn genau geprüft und bewundert hatte, wollte er ihm den Stein zurückgeben, aber jener nahm ihn nicht an und beteuerte, er hätte Diamanten genug, mit denen er nichts anzufangen wisse, und mein Oheim möchte diesen als Erinnerung an ihn behalten. Mein Oheim, der keine Geschenke annehmen wollte, wehrte sich lange dagegen und gab erst nach, als Surmont ihm drohte, Brüssel sofort mit all seinen Geheimmitteln zu verlassen, wenn mein Oheim durch das Ausschlagen dieser Kleinigkeit bewiese, daß er seinen Worten nicht traute.
Es wurde also beschlossen, alle obengenannten Unternehmungen in Tournai zu begründen, und zwar auf Verlangen des Urhebers sogleich in großem Stil. Zunächst mußten Häuser gekauft und teils neu gebaut, sowie alle möglichen Materialien nach einer Liste Surmonts beschafft werden, der die Ausführung mit Hilfe einer Summe unternahm, die man ihm zu diesem Zweck vorschießen mußte. Frau von Nettine übernahm ein paar Aktien, mein Oheim desgleichen; der Rest wurde auf Staatskosten übernommen. Surmont war hierauf nach Tournai gereist, um Hand ans Werk zu legen; ein paar Monate später wurde ich hingesandt, um zu sehen, wie die Dinge standen. Ich blieb vierzehn Tage dort und ließ meinen Mann tags und nachts nicht aus den Augen. Aus meinem nach meiner Rückkehr erstatteten Bericht ergab sich, daß gar nichts geschehen war, und daß alle diesem Manne vorgeschossenen Summen verschwunden waren. Kurz darauf verschwand er selbst, und man mußte sogar noch zahlreiche Schulden bezahlen, die er unter Mißbrauch der ihm leider erteilten Vollmachten gemacht hatte. Später erfuhr man, daß dieser Mann unter verschiedenen Namen schon ähnliche Streiche in anderen Ländern gespielt hatte. Ich weiß nicht, wohin[S. 284] er sich nach Verlassen der Niederlande begab. Mehrere Jahre später hörte ich, er sei in Hamburg, wo er auch starb[397], ohne daß jemand erfahren hätte, woher er stammte noch wovon er lebte.
Am nächsten Tage kam ich (aus Dünkirchen) in Tournai an. Als ich ein paar Stallknechte auf schönen Pferden reiten sah, fragte ich sie aus Neugier, wem sie gehörten.
„Dem Grafen Saint-Germain, dem Adepten, der seit einem Monat hier ist und niemals ausgeht.“
Diese Antwort bewog mich, ihn zu besuchen. Kaum im Gasthof angelangt, schrieb ich an ihn und fragte ihn, wann ich ihn aufsuchen dürfte. Nachstehend seine Antwort, die ich mir aufgehoben habe:
„Infolge meiner Beschäftigung kann ich niemand empfangen. Doch Sie machen eine Ausnahme. Kommen Sie, wann es Ihnen paßt; man wird Sie in mein Zimmer führen. Sie brauchen weder meinen noch Ihren Namen zu nennen. Ich biete Ihnen nicht die Hälfte meines Mittagessens an, denn meine Nahrung eignet sich für niemand, am wenigsten für Sie, wenn Sie noch Ihren alten Appetit haben.“
Ich ging um neun Uhr hin und fand ihn mit einem zwei Zoll langen Stoppelbart. Er hatte eine Anzahl Retorten[S. 285] voller Flüssigkeiten im Zimmer. Einige machten einen chemischen Prozeß durch; sie lagen auf Sand bei natürlicher Wärme. Wie er mir sagte, arbeitete er zu seiner Kurzweil an der Herstellung von Farben und richtete eine Hutfabrik ein, um dem Grafen Cobenzl, dem Minister Maria Theresias in Brüssel, gefällig zu sein. Der Graf hätte ihm nur 105000 Gulden gegeben, die aber nicht hinreichten, doch er würde das Weitere hinzulegen[399]. Dann sprachen wir von Frau von Urfé.
„Sie hat sich durch eine zu starke Dosis von Universalmedizin vergiftet“[400], sagte er. „Ihr Testament beweist, daß sie sich für schwanger hielt. Sie hätte es sein können, wenn sie mich um Rat gefragt hätte. Das Unternehmen ist sehr schwierig, aber ganz sicher, obgleich die Wissenschaft das Geschlecht des Kindes noch nicht zu bestimmen vermag.“
Als er hörte, an welcher Krankheit ich litt[401], beschwor er mich, drei Tage in Tournai zu bleiben. In dieser Zeit wollte er alle meine Drüsenschwellungen beseitigen und mir dann fünfzehn Pillen verschreiben, die ich in fünfzehn Tagen einnehmen sollte und die mich ganz wiederherstellen würden. Er zeigte mir seine „Lebenskraft“, die er „Atoëter“ nannte, eine weiße Flüssigkeit in einem festverschlossenen Fläschchen. Diese Flüssigkeit, sagte er, sei der Universalgeist der Natur; der Beweis dafür sei, daß der Geist sofort das Fläschchen verließe, wenn man das Wachs ganz leicht mit einer Nadel durchbohrte. Ich bat ihn, mir das Experiment zu zeigen. Er gab mir das Fläschchen und eine Nadel. Ich stach leicht in das Wachs, und in der Tat wurde das Fläschchen ganz leer.
[S. 286]
„Herrlich!“ sagte ich. „Aber was ist der Zweck davon?“
„Das kann ich Ihnen nicht verraten: es ist mein Geheimnis.“
Wie gewöhnlich hatte er den Ehrgeiz, mich in Verwunderung zu setzen, und so fragte er mich, ob ich kleines Geld bei mir hätte. Ich zog ein paar Münzen hervor und legte sie auf den Tisch. Ohne mir zu sagen, was er vorhätte, stand er auf, legte eine glühende Kohle auf eine Metallplatte, bat mich um ein Zwölfsousstück, das unter den Münzen lag, legte ein schwarzes Körnchen darauf und das Geldstück auf die Kohle und blies sie mit einem gläsernen Blasrohr an. Binnen zwei Minuten war es glühend.
„Warten Sie, bis es abgekühlt ist“, sagte der Alchimist. Es war in einer Minute geschehen. „Nehmen Sie es mit,“ fügte er hinzu, „denn es gehört Ihnen.“
Ich nahm es: es war Gold. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß er die Münze vertauscht und mir eine andere gegeben hatte, die er zweifellos vorher blank geputzt hatte. Ich wollte ihm keine Vorwürfe machen. Damit er aber nicht glaubte, er hätte mich zum besten gehabt, sagte ich: „Das ist wunderbar, Graf. Das nächste Mal aber müssen Sie, um ganz sicher zu sein, daß Sie auch den schärfsten Beobachter verblüffen, ihm vorher sagen, welche Verwandlung Sie vorhaben. Dann kann er sich die Münze ansehen, bevor Sie diese auf die glühende Kohle legen.“
„Wer an meiner Wissenschaft zweifeln kann, ist unwert, mit mir zu sprechen“, entgegnete der Schwindler.
Dies anmaßliche Benehmen kennzeichnete ihn; es war mir indes nichts Neues. Das war das letztemal, daß ich den berühmten und gelehrten Betrüger sah; vor sechs bis[S. 287] sieben Jahren ist er in Schleswig gestorben[402]. Sein Geldstück war lauteres Gold. Zwei Monate darauf, in Berlin, überließ ich es Mylord Keith[403], der sich neugierig darauf zeigte.
[S. 288]
„Aufschlüsse über den Wundermann, Marquis Saint-Germain, und sein Aufenthalt in Ansbach, von einem Augenzeugen“[404]
Dieser sonderbare Mann, der zu seiner Zeit manches unverdiente Aufsehen erregte, lebte verschiedene Jahre in dem Fürstentume Ansbach, ohne daß man nur von weitem ahnen konnte, er sei der rätselhafte Abenteurer, von dem man so manche wunderbare Sagen verbreitete.
Es war im Jahre 1774, als dem nun verstorbenen Herrn Markgrafen von Brandenburg Karl Alexander[405] angezeigt[S. 289] wurde, daß sich zu Schwabach ein Fremder aufhalte, der sich für einen russischen Offizier ausgebe, sehr eingezogen lebe, zugleich aber manche Handlungen der Wohltätigkeit ausübe. Der damals noch zwischen Rußland und der Pforte obwaltende Krieg[406] und die Anwesenheit der russischen Flotte in dem Archipelago erregten die Vermutung, daß das russische Gouvernement vielleicht einen vertrauten Menschen nach Franken geschickt habe, um ohne Aufsehen die über Italien gehende Korrespondenz zu besorgen. Und der ebenso gütige als menschenfreundliche Fürst gab den Befehl, diesem Fremden insolange den ruhigen Aufenthalt zu gestatten, als er der Polizei keine Veranlassung geben würde, ihn näher zu beobachten.
Einige Zeit nachher meldete der reformierte Geistliche zu Schwabach, Herr Dejan, daß der Fremde, der seit seiner Anwesenheit daselbst bloß mit ihm und dem damaligen Stadtvogt Greiner Umgang gepflogen habe, sehr wünsche, dem Herrn Markgrafen, wenn es ohne Aufsehen geschehen könne, vor seiner Abreise aus der Gegend aufzuwarten und ihm für den so liberal gewährten Schutz zu danken. Dieser Wunsch wurde ihm gewährt, und der Markgraf sah ihn zum erstenmal im Winter abends bei der berühmten Schauspielerin Clairon[407], die zu eben dieser Zeit sich zu Ansbach befand.
Der Fremde schien damals ein Mann zwischen 60 und 70 Jahren zu sein, von mittlerer Größe, mehr hager[S. 290] als stark, der seine grauen Haare unter einer Perücke verbarg und vollkommen einem gewöhnlichen alten Italiener gleich sah. Sein Anzug war so einfach als möglich; sein Ansehen verkündigte nichts Außerordentliches.
Nachdem er dem Markgrafen in französischer Sprache (der Akzent verriet einen Italiener) für die Erlaubnis gedankt hatte, sich in seinen Landen ungestört aufhalten zu dürfen, sagte er ihm viel Schönes über seine Regierung, sprach über große Reisen, die er gemacht hatte, und endigte damit, zu versichern, daß er zu Bezeugung seiner Dankbarkeit dem Markgrafen Geheimnisse anvertrauen wolle, welche geeignet seien, das Glück und den Wohlstand seines Landes zu befördern. Natürlich mußten Äußerungen dieser Art Aufmerksamkeit erregen, die bald aufs höchste gespannt wurde, als er eine Menge sehr schöne Steine vorzeigte, die man für Diamanten ansehen konnte, und die, wenn sie echt waren, von ungeheurem Wert sein mußten.
Der Markgraf lud ihn nun ein, auf das Frühjahr nach Triesdorf, dem Sommeraufenthalt des Fürsten, zu kommen, und Graf Tzarogy[408] — denn unter diesem Namen hatte er sich vorstellen lassen — nahm diese Einladung unter der Bedingung an, wenn man ihm gestatten wolle, dort nach seiner eigenen Weise, ganz unbemerkt und in der Stille leben zu dürfen.
Zu Triesdorf wurde er in die unteren Zimmer des Schlosses logiert, dessen oberen Teil Mademoiselle Clairon bewohnte. Der Markgraf und dessen Gemahlin wohnten im Falkenhause. Er hatte keinen Bedienten, speisete nur auf seinem Zimmer, das er selten verließ, und dies so einfach als möglich. Seine Bedürfnisse waren mehr[S. 291] als eingeschränkt. Er vermied allen Umgang, und nur die Abendstunden brachte er in der Gesellschaft der Mademoiselle Clairon, des Markgrafen und derjenigen Personen, die dieser Herr gern um sich haben mochte, zu. Man konnte ihn nicht bewegen, an der fürstlichen Tafel zu speisen, und nur einige Male sah er die Frau Markgräfin, die auch begierig war, den sonderbaren Menschen kennen zu lernen.
In Gesprächen war er äußerst unterhaltend, verriet viele Welt- und Menschenkenntnis und ließ hier und da einige mysteriöse Reden fallen, von denen er ebenso geschickt abzuspringen und den Discours auf andere Gegenstände zu lenken wußte, wenn man etwas Näheres zu wissen verlangte. Vorzüglich sprach er gerne von den Jahren seiner Kindheit und von seiner Mutter, die er nie ohne scheinbare Rührung und bisweilen mit Tränen in den Augen nannte. Ihm zu glauben, hatte er fürstliche Erziehung genossen.
Er war absprechend, aber nie unhöflich. Daß er, wie der sonst so wahrheitsliebende Baron Gleichen sagte, „zu Triesdorf nach Belieben gehauset, daß er den Markgrafen wie einen Schulknaben behandelt[409]“, ist weder wahr noch wahrscheinlich. So leutselig der Markgraf in dem gesellschaftlichen Umgange war, so gut wußte dieser Fürst die Achtung zu behaupten, die man seiner Geburt, seinem Range und seinen guten moralischen Eigenschaften schuldig war. Er würde es nicht gelitten haben, daß man ihm beföhle; viel weniger würde er dies einem Unbekannten übersehen haben.
Womit sich dieser Sonderling den ganzen Tag über beschäftiget, war schwer zu bestimmen. Er hatte keine Bücher bei sich als eine verschmutzte Ausgabe von dem „Pastor[S. 292] fido“[410]. Man wurde selten bei ihm vorgelassen, und dann fand man ihn meistenteils den Kopf in ein schwarzes Tuch gehüllt. Seine vorzüglichste Beschäftigung mag wohl in Bereitung allerlei Farben bestanden haben; denn die Fenster seines in den Garten hinausgehenden Zimmers waren so mit Farben allerlei Art überschmiert, daß man nicht durchsehen konnte. Bald nach seiner Ankunft zu Triesdorf fing er an, dem Markgrafen Anweisung zu verschiedenen Zubereitungen zu geben, die den Grund zu einträglichen Fabriken legen sollten. Unter diesen zeichneten sich vorzüglich allerlei Arten von Saffian, Korduan und Juchten aus, die aus dem schlechtesten Schafleder hervorgebracht werden sollten, die Zubereitung des schönsten türkischen Garns usw.
Der Markgraf ließ die Rezepte durch den Verfasser dieser Beiträge aufnehmen, und nun ging man an die Versuche selbst, die nach seinem Verlangen mit dem größten Geheimnis angestellt werden sollten. In einem besonders dazu bereiteten Laboratorio wurde die Arbeit angefangen, und die Versuche wurden bei verschlossenen Türen angestellt.
Lebhaft erinnert sich noch nach so manchen Jahren der Verfasser der lustigen Auftritte dieser Versuche, und wie oft und herzlich er mit dem Markgrafen darüber gelacht, den Fürsten und seinen Vertrauten in einer Werkstatt zum Gerber und Färber umgeformt zu sehen. Man wollte alles versuchen und das Gute behalten. Allein die Hoffnung sank bald unter näherer Prüfung. Schon hatte man mit leichter Mühe und geringen Kosten den schönsten Korduan hervorgebracht, und in der Freude[S. 293] seines Herzens ließ sich der Verfasser Schuhe daraus verfertigen, die sehr gut ausfielen, aber in den ersten 24 Stunden in Stücken zersprangen. So unhaltbar war das türkische Garn, und so war es mit mehreren Artikeln. Tzarogy schob, wenn man ihn zu Rate zog, die Schuld auf fehlerhafte Manipulation, die doch sicher in den Ingredienzien lag, deren man sich bediente. Er versprach von Zeit zu Zeit, selbst die Hand anzulegen, um die wahren Vorteile zu zeigen, und so vergingen einige Wochen, während welcher der Unbekannte abwechselnd sich zu Triesdorf und Schwabach aufhielt. War er zu Schwabach, so schrieb er oft an den Markgrafen und an den Verfasser, schickte immer neue Proben von zubereitetem Leder, von gefärbter Seide und Tüchern ein, wovon der Verfasser noch eine ganze Schachtel voll besitzt. Die Proben waren meistenteils mit Tzarogys eigener Hand überschrieben, z. B. auf Lederproben:
„Völlig unbekannte Lederarten; man zerschneide sie und wird die Haltbarkeit merken.“
„Sehr billige Lederarten, die ganz allein ohne den geringsten Kunstgriff aus Abfällen hergestellt werden, die zur Bereitung von Häuten nicht mehr verwendbar sind.“
Auf gefärbte Tuchmuster: „Bei allen diesen Farbproben läßt sich immer größere Schönheit, Feinheit und Haltbarkeit erzielen, ich glaube bis ins Grenzenlose. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur das Schwarz dieser Musterkarte mit den am letzten Dienstag eingesandten zu vergleichen. Dann wird man den Unterschied sehen; man kann noch viel weiter gehen.“
Auf einem anderen Muster: „Dies kostbare Schwarz ist ohne Vitriol, ohne Galläpfel und ohne Sieden erzielt. Es verschießt nie und wird aus feinem Russisch Blau hergestellt. Dies unvergleichliche Gelb wird in lauterem,[S. 294] kristallklarem, kristallreinem Wasser eingefärbt.“ Und dergleichen mehr.
So erhielt er die Aufmerksamkeit und die Hoffnung, daß doch vielleicht unter so vielen vorgelegten Proben sich einige nützliche, bisher unbekannte Gegenstände finden dürften.
Einstmals zeigte Tzarogy dem Markgrafen an, daß er einen Kurier von dem eben aus Italien zurückkehrenden Grafen Alexis Orlow[411] mit der dringenden Einladung erhalten habe, ihn zu Nürnberg auf seiner Durchreise zu besuchen. Er schlug zugleich dem Markgrafen vor, diese Gelegenheit zu benutzen, um den Helden von Tschesme kennen zu lernen. Der Vorschlag wurde angenommen, und der Verfasser begleitete den Markgrafen nach Nürnberg, wo der Graf Alexis Orlow bereits angekommen war.
Orlow kam dem Grafen Tzarogy, der nun zum ersten Mal in russischer Generalsuniform einher trat, mit offenen Armen entgegen, hieß ihn mehrere Male „caro padre“, „caro amico“ usw. Er empfing den Markgrafen mit ausgezeichneter Höflichkeit und dankte ihm vielmals für den Schutz, den er seinem würdigen Freunde gegönnt habe. Und bei dieser Gelegenheit fiel diejenige Äußerung vor, die der Baron Gleichen dem Fürsten Grégoire Orlow (den der Markgraf nie gesehen) zuschreibt[412], eine Äußerung, aus der man schließen mußte, daß Tzarogy eine große Rolle bei der Revolution von Anno 1762 in Rußland gespielt habe.
Man speiste bei dem Grafen Orlow zu Mittag. Die Unterhaltung war äußerst interessant. Man sprach viel von dem Feldzuge im Archipelago, noch mehr aber von[S. 295] nützlichen Erfindungen. Unter andern zeigte Orlow dem Markgrafen ein Stück unverbrennbares Holz, das nach angestellter Probe, als es angezündet wurde, weder Flammen noch Kohlen gab, sondern bloß, nachdem es wie ein Schwamm aufgeschwollen war, in eine leichte Asche zerfiel.
Nach der Tafel führte Orlow den Grafen Tzarogy in ein Nebenzimmer, in welchem sie eine geraume Zeit beisammen blieben. Der Verfasser, der an dem Fenster sich befand, unter welchem die Wagen des Grafen Orlow standen, bemerkte, daß einer von den Leuten des Grafen einen Wagen aufschloß und aus dem Sitzkästchen einen großen Beutel von rotem Leder herausnahm und in das Zimmer hinauftrug.
Man beurlaubte sich in einiger Zeit, und auf der Rückreise hatte Tzarogy alle Taschen voll venetianische Zechinen, mit denen er auf eine nachlässige Art zu spielen schien. Daß dieser Mann zuvor kein Geld hatte, wußte man ganz sicher, weil man auf alles, was ihn betraf, aufmerksam war.
Der Frau Markgräfin brachte er im Namen des Grafen Orlow eine schöne, silberne, auf den Sieg von Tschesme geschlagene Medaille. Nach der Zurückkunft zeigte er zum erstenmal sein unter kaiserlich großem Siegel ausgefertigtes Patent als russischer General, und in der Folge vertraute er dem Markgrafen, daß der Name Tzarogy ein zersetzter, angenommener Name sei, daß er eigentlich Rakoczy heiße und als letzter Sprosse von dem unter Kaiser Leopold geächteten Siebenbürgischen Fürsten Rakoczy[413] abstamme.
Alle diese Umstände zusammen genommen vermehrten die Neugierde, welche aber bald nachher auf eine,[S. 296] diesem sonderbaren Manne nicht sehr günstige Art gestillt wurde.
Der Markgraf reiste im Jahre 1775, begleitet von dem Verfasser dieser Bemerkungen, nach Italien. Zu Neapel erfuhr man, daß der letzte Abkömmling des Rakoczyschen Hauses, das sich dort ansässig gemacht hatte, schon längstens verstorben und von diesem Namen nichts mehr übrig sei[414]. Zu Livorno hörte man bei dem englischen Konsul Sir John Dick, daß der Unbekannte kein anderer als der berüchtigte Graf Saint-Germain sei, daß er in Italien die Bekanntschaft des Fürsten Grégoire Orlow und seines Bruders Alexis gemacht und das Vertrauen dieser Herren sich in einem hohen Grade zu erwerben gewußt habe.
Aus einer anderen, nicht minder glaubhaften Quelle brachte man in Erfahrung, daß er aus Sankt Germano, einer kleinen Stadt in Savoyen, gebürtig sei, woselbst sein Vater, der sich Rotondo genannt, Gefälleinnehmer gewesen und bei einem beträchtlichen Vermögen in ziemlichem Ansehen gestanden habe. Dieser habe seinem Sohn eine sehr gute Erziehung gegeben, sei aber nachher in Verfall geraten und wegen übler Verwaltung seines Dienstes entsetzt worden. Um den Unannehmlichkeiten zu entgehen, welche das Schicksal des Vaters dem Sohne hätte zuziehen können, habe dieser seinen Namen mit dem Namen seiner Vaterstadt vertauscht und sich Saint-Germain geschrieben. Von dieser Zeit an sei er als Abenteurer in der Welt herumgezogen, habe sich zu Paris[S. 297] und London Saint-Germain, zu Venedig Conte de Belle mare[415], zu Pisa Chevalier Schöning, zu Mailand Chevalier Welldone und zu Genua Soltikow genannt und könne damals ungefähr 75 Jahre alt gewesen sein.
Natürlich mußten Entdeckungen dieser Art den Markgrafen gegen einen Mann aufbringen, der auch ihn mystifizieren wollte, und der ihn über seine Herkunft und mehrere andere Dinge auf eine so unverschämte Art belogen hatte. Er gab also nach seiner im Jahr 1776 erfolgten Zurückkunft dem Verfasser dieses den Auftrag, sich nach Schwabach zu begeben, den Abenteurer über alle diese von ihm erfahrenen Nachrichten zur Rede zu setzen und ihm das Mißfallen des Fürsten über den Mißbrauch, den er von seiner Güte gemacht, zu erkennen zu geben, zugleich ihm zu bedeuten, daß er sich nicht mehr vor ihm sehen zu lassen und die Briefe zurückzugeben habe, die ihm der Markgraf von Zeit zu Zeit geschrieben. Im Fall er diese Briefe unverweigerlich zurückgeben würde, sollte ihm erlaubt sein, solange er wolle und solange er sich ruhig verhalte, zu Schwabach zu bleiben; im entgegengesetzten Fall aber sollte er arretiert, seine Papiere ihm abgenommen und er über die Grenze gebracht werden.
Bei seiner Ankunft zu Schwabach traf der Verfasser dieses den Grafen Saint-Germain zu Bette liegend an; denn trotz seines Pochens auf seine Gesundheit und sein hohes Alter hatte er oft Anfälle von Gicht.
Er gestand auf den ihm gemachten Vorhalt, den er sehr gelassen anzuhören schien, daß er alle oben bemerkten Namen, bis auf den von Soltikow, von Zeit zu Zeit angenommen habe; daß er aber allenthalben unter diesen Namen als ein Mann von Ehre bekannt sei, und[S. 298] daß, wenn ein Verleumder sich etwa erlauben sollte, ihm schlechte Handlungen aufzubürden, er bereit sei, sich auf eine genügende Art auszuweisen, sobald er wisse, wessen man ihn beschuldige und wer der Ankläger sei, der gegen ihn aufzutreten gedenke. Er fürchte keine Verfolgungen als diejenigen, welchen ihn sein Name aussetzen könne. Er behauptete standhaft, dem Markgrafen keine Unwahrheit in Ansehung seines Namens und seiner Familie gesagt zu haben. Die Beweise seiner Herkunft befänden sich aber in den Händen einer Person, von der er abhängig sei; eine Abhängigkeit, die ihm in dem Laufe seines Lebens die größeste Verfolgung zugezogen. Eben diese Verfolgungen und Attentate, wie er sich ausdrückte, hätten ihn verhindert, die großen Kenntnisse, die er besitze, werktätig zu benutzen. Er habe sich dieserhalben an einen Ort zurückgezogen, in dem er unbekannt und unbemerkt leben zu können geglaubt. Jetzt sei der Augenblick gekommen, in welchem er das, was er versprochen, in das Werk setzen könne und werde, wenn man ihn nicht selbst daran hindere.
Auf die Frage: warum er den Markgrafen nicht von den verschiedenen Namen praeveniert habe, unter denen er in so manchen Staaten und Städten aufgetreten, erwiderte er, daß er dieses nicht für nötig gefunden habe, weil er geglaubt, daß man ihn, da er nie etwas von dem Markgrafen verlangt, da er niemand beleidigt oder in Schaden gesetzt habe, nicht hiernach, sondern nach seinen Handlungen beurteilen würde. Niemals sei es ihm beigegangen, das Vertrauen des Markgrafen zu mißbrauchen; er habe seinen wahren Namen angegeben; in kurzer Zeit würden seine Handlungen keinen Zweifel über seine Denkungsart hinterlassen, und dann würde er Proben seiner Herkunft vorlegen können. Die ungünstige Meinung,[S. 299] die man dem Markgrafen gegen ihn beigebracht habe, falle ihm sehr empfindlich. Er werde aber, falls man das, was jetzt vorgehe, heimlich halten wolle, fortfahren, seine Versprechungen zu erfüllen und den Markgrafen dadurch zwingen, ihm seine Achtung wieder zu schenken; im Gegenteil werde er sich genötigt sehen, das Land zu verlassen.
In dem weiteren Verfolg dieser Unterredung äußerte er, daß er die erste Bekanntschaft des Grafen Orlow zu Venedig gemacht habe. Das Patent, das er von ihm erhalten, und das er bei dieser Gelegenheit nochmals vorzeigte, war von dem Grafen zu Pisa ausgefertigt und auf den Chevalier Welldone verlautend. Auch erwähnte er hierbei des Vertrauens, mit welchem ihn Ludwig XV. beehrt, der ihn in den 1760er Jahren zur Einleitung einer Friedensunterhandlung mit England heimlich gebraucht. Seine genaue Bekanntschaft mit dem Maréchal von Belle-Isle habe ihm aber den Haß des Grafen Choiseul zugezogen, der nach England geschrieben und seine Verhaftung von dem Minister Pitt verlangt. Der König habe ihn hierauf von dem ihm bevorstehenden Schicksal unterrichtet und ihm den Rat gegeben, nicht wieder nach Frankreich zu kommen[416].
Diese Anekdote stimmt also mit demjenigen, was Baron Gleichen in seinen Mémoires erwähnt[417], vollkommen überein, und noch weit stärker wird sie durch dasjenige bestätiget, was Friedrich II. in seinen Oeuvres posthumes, tome IV, page 73 anführt[418]. (Der König bezeichnet ihn hier als einen Menschen, den man nie habe enträtseln können.)
[S. 300]
Die Briefe des Markgrafen gab er mit scheinbarer Rührung bis auf einen einzigen zurück, den er, wie er sagte, dem Grafen Orlow mitgeteilt habe.
Nach diesem Vorgang blieb er noch einige Zeit ganz still in Schwabach, von wo aus er über Dresden, Leipzig und Hamburg sich nach Eckernförde im Schleswigschen verfügte und daselbst zu Anfang des Jahres 1780[419] an einem Schlagfluß, der ihm gleich die Zunge lähmte, wahrscheinlich in einem Alter von etlichen 80 Jahren seine abenteuerliche Laufbahn beschloß.
Sonderbar ist sie genug, diese Laufbahn. Es bleibt sonderbar, daß ein Mann, der sich in seinem ganzen Leben unter so verschiedenen Namen in der großen und kleinen Welt herumgetrieben, nie dem Richter oder der Polizei in die Hände gefallen. Unstreitig verstand er die Kunst, die Neigung der Menschen zum Wunderbaren zu benutzen und zu unterhalten, und wie oft mag er Veranlassung gefunden haben, mit Figaro auszurufen: „O, que les gens d’esprit sont bêtes[420]!“
Daß er große chemische Kenntnisse besessen, davon kann sich der Verfasser dieser Beiträge nicht überzeugen. Seine Präparate fielen in die Augen, allein es waren lauter Versuche im Kleinen; zu den Fertigungen und Zubereitungen von Leder kamen ätzende Sachen, als Vitriolspiritus, Vitriolöl u. dgl. Dies beweisen die Muster, die noch übrig sind und wovon, wie es der Augenschein gibt, das Papier, in das sie gewickelt waren, zerfressen worden. Nie hat er, solange er in Schwabach war, irgendeinen[S. 301] Artikel ins Große gefertigt. Die oben bemerkten Steine, deren auch Baron Gleichen gedenkt[421], waren zwar schön und würden vielleicht, unter echten Schmuck gefaßt, selbst das Auge eines Kenners getäuscht haben; aber es waren keine Edelsteine. Sie widerstanden der Feile nicht, und ebensowenig hatten sie das Gewicht echter Steine. Saint-Germain selbst hat sie nie für Brillanten ausgegeben. Der Verfasser besitzt noch einen dieser Steine und ein Stück von der Masse, aus der sie vermutlich gefertigt worden. Das Similor, das Saint-Germain als eine wichtige Erfindung ausgab, verlor in kurzer Zeit seinen Glanz und wurde so schwarz wie das schlechteste Messing. Eine Fabrik von diesem Metall, die zu L. errichtet worden, fiel nach kurzer Zeit.
Unter den Proben seiner geheimen Künste zeigte er einst ein großes Taschenmesser, wovon die Hälfte wie Blei biegsam, die andere aber unbiegsam und hartes Eisen war. Er wollte dadurch einen Beweis des Geheimnisses geben, das er besitze, das Eisen so biegsam und ductile[422] wie Blei zu machen, ohne daß es dadurch etwas von seinen übrigen Eigenschaften verliere. Diese Erfindung wäre nun freilich von bedeutendem Nutzen gewesen, allein man konnte ihn nie bewegen, den Versuch im Großen zu machen.
Seine chemischen Kenntnisse waren allem Anschein nach empyrisch. Der nun verstorbene Stadtvogt Greiner zu Schwabach, ein Mann von vielen Kenntnissen, besonders im technischen Fache, versicherte mehrmals, bei seinen Unterhaltungen mit Saint-Germain auch nicht die geringsten theoretischen Kenntnisse entdeckt zu haben.
Besonders rühmte der Marquis sich, medizinische Kenntnisse zu besitzen und durch diese zu einem hohen Alter gelangt[S. 302] zu sein. Seine Vorschriften bestanden besonders in einer strengen Diät[423] und dem Gebrauche eines Tees, den er Thée de Russie oder Acqua benedetta[424] nannte. Von dieser Wunderarznei erhielt der Markgraf die Abschrift des Rezepts von dem oben benannten englischen Konsul zu Livorno. Sie wurde auf der russischen Flotte im Archipelago gebraucht, um die Gesundheit der Equipage[425] unter jenem heißen Himmelsstriche zu erhalten.
Was für Ressourcen Saint-Germain gehabt haben möge, um die nötigen Ausgaben seiner Existenz zu bestreiten; dürfte schwer zu erraten sein. Verfasser dieses vermutet, er habe des Geheimnis besessen, Diamanten von Flecken zu reinigen, die man bisweilen in solchen antrifft und wodurch ihr Wert ansehnlich verringert wird. Doch ist dieses eine bloße Vermutung.
Lieblos würde es sein, diesen Mann für einen Betrüger zu erklären. Hierzu gehören Beweise, und diese hat man nicht. Solange er im Verhältnisse mit dem Markgrafen stand, hat er nie etwas begehrt, nie etwas von dem mindesten Wert erhalten, nie sich in etwas gemischt, das ihn nicht anging. Bei seiner äußerst einfachen Lebensart waren seine Bedürfnisse sehr eingeschränkt. Hatte er Geld, so teilte er’s den Armen mit. Daß er irgendwo Schulden hinterlassen, ist nicht bekannt; doch hat der Verfasser lang nachher erfahren, daß er in den letzten Zeiten seines Aufenthalts in Schwabach einen Baron von L. zu Spekulationen verleitet, die ihn um manche tausend Gulden ärmer gemacht haben. Da aber diese Sache nicht zur Klage kam, so scheint kein Betrug dabei untergelaufen zu sein. Unerklärbar bleibt es immer, durch welche Mittel dieser Abenteurer, besonders in großen Städten wie Paris und London, auf eine anständige Art[S. 303] leben und in der großen Welt den Zutritt bei höheren Ständen finden konnte.
Sein in jüngeren Jahren gefertigtes Porträt fand der Markgraf in Paris bei Madame d’Urfé oder Rochefoucauld[426]; er brachte eine Kopie davon zurück, und diese befindet sich noch zu Triesdorf in den Zimmern, die Saint-Germain einst bewohnte.
[S. 304]
2. Mai 1777.
Ich treibe mich in Leipzig viel auf der Messe herum und besuche den Kupferstecher Bause und den Maler Graff[428].
Von da begebe ich mich zu dem merkwürdigsten Mann im heutigen Europa, dem Grafen Saint-Germain, der unter diesem Namen seit 50 Jahren bekannt ist, gegenwärtig aber den Namen Welldone angenommen hat, was im Englischen Wohltäter bedeutet. Von diesem Menschen behauptet man, er habe schon zur Zeit Christi gelebt. Er selbst sagt das zwar nicht, er gibt aber zu verstehen, daß er schon lange gelebt habe und nicht glaube, sterben zu müssen, und daß die Menschen, wenn sie seiner Lebensweise folgen würden, zum mindesten ein hohes Alter frei von allen Gebrechen erreichen könnten. Es steht fest, daß er selbst eine strenge Diät befolgt. Er befleißigt sich großer Mäßigkeit, trinkt nur Wasser, niemals jungen Wein und nimmt nur einmal am Tage ein leichtes Mahl ein[429]. Seine Unterhaltung ist interessant. Er predigt immer die Tugend,[S. 305] die Mäßigung, die Wohltätigkeit und zeigt diese Eigenschaften an sich selbst. Man kann ihm nicht die geringste anstößige Handlung vorwerfen. Er soll nicht mehr so reich sein, wie es früher den Anschein hatte. In Frankreich, in England und in Venedig gab er jährlich 6000 Dukaten aus, ohne daß man wußte, woher das Geld kam. Hier in Leipzig, sagt man, mangele es ihm an Geld, ohne daß er jedoch jemand darum angegangen hätte; statt dessen soll er aber eine Menge Diamanten besitzen.
Sein Gesichtsausdruck ist außerordentlich geistvoll. Er spricht begeisternd und treffend, liebt aber Widerspruch nicht. Er behauptet, auf dem Gesicht lesen zu können, ob jemand befähigt sei, ihn zu verstehen oder nicht. Im letzteren Fall mag er die Person nicht wiedersehen.
Was mich anbetrifft, so habe ich ihm mit großem Vergnügen zugehört. Er schien mir viel Freundschaft entgegenzubringen, so daß ich ihn in 3 Tagen wohl 24 Stunden gesehen und gehört habe. Er ist sehr fesselnd.
Man dichtet ihm übrigens vieles an, was er gar nicht gesagt hat. Einige glauben, er sei ein portugiesischer Jude; andere schätzen sein Leben auf ein paar Jahrhunderte und nehmen an, er sei irgendein entthronter Fürst. Man beschuldigt ihn, daß er die Leute glauben machen wolle, er sei der dritte Sohn des Fürsten Rakoczy[430].
Er hält sich für einen großen Physiker. Vor allem ist er Arzt und spricht viel von seinem köstlichen Pulver, das man wie Tee trinke. Ich ließ mir eine Tasse davon geben. Es schmeckte nach Anis und führte etwas ab. Unaufhörlich predigt er vom richtigen Gleichgewicht zwischen Leib und Seele. Wenn man das genau beobachte, so könne, meint er, die Lebensmaschine niemals in Unordnung geraten.
[S. 306]
Seit meiner frühesten Jugend hatte ich von dem Manne immer reden hören, und nun bin ich entzückt, ihn hier zu treffen. Vor mehr als 30 Jahren schon erzählte man mir, wie er bei der Aufführung der „Mariamne“ in Paris, der er mit mehreren Damen in einer Loge dort beiwohnte, sehr gerührt wurde und sagte: „Ich muß es sein; denn ich habe diese liebenswürdige Fürstin gut gekannt.“ Man unterbrach ihn mit der kurzen Frage: „Sie haben also auch Jesus Christus gekannt?“ — „Nur zu gut! ich war damals ein ganz junger Mensch, als er die Geschichte im Tempel hatte, und sagte ihm sogleich: „Lieber Freund, das wird schlecht ablaufen!“[431] Mir hat er dergleichen nicht vorgeschwatzt, doch schien er mir überzeugt zu sein, daß er nicht eines natürlichen Todes sterben werde.
Alvensleben[432] an König Friedrich
Dresden, 10. März 1777.
Der berüchtigte Saint-Germain, der in verschiedenen Ländern auch unter dem Namen eines Marquis von Belmar oder eines Herrn Castelane[433] aufgetreten ist, befindet sich seit Oktober unter dem Namen eines Herrn von Welldone in Leipzig. Was mich zur Erwähnung dieses Mannes[S. 307] bestimmt, ist, daß man öffentlich erzählt, er sei von E. M. mehrfach mit Briefen beehrt worden. Aus diesem Grunde dürfte der seltsame Mann, der für E. M. sonst wenig zu bedeuten hat, Ihre Aufmerksamkeit erregen.
König Friedrich an Alvensleben
Potsdam, 15. März 1777.
Versuchen Sie auch zu ermitteln und teilen Sie mir sofort mit, in welcher Absicht der von Ihnen erwähnte Saint-Germain nach Leipzig gekommen ist. Sie werden es leicht durch Kaufleute erfahren, die Beziehungen zu Leipzig haben.
König Friedrich an die Prinzessin Wilhelmine von Oranien[434]
Potsdam, 17. März 1777.
Man droht uns hier mit dem Erscheinen eines berühmten Abenteurers, eines gewissen Saint-Germain, der sich in Frankreich und England aufgehalten hat und von dem man Wunderdinge erzählt. Ich mag dies Volk nicht; es hinterläßt gewöhnlich unangenehme Spuren an der Stätte seines Wirkens. Indes, er ist noch nicht angekommen.
Alvensleben an König Friedrich
Dresden, 24. März 1777.
Der berüchtigte Saint-Germain ist noch immer unter dem Namen Welldone in Leipzig. Ich habe viele Tatsachen[S. 308] und Anekdoten über diesen seltsamen Mann gesammelt, aber das alles ist augenblicklich noch so unzusammenhängend, daß ich es E. M. nicht zu berichten wage, ohne mich lächerlich zu machen. Ich werde mir jedoch alle Mühe geben, Näheres über ihn zu erfahren, und ich verfolge ihn so genau, daß ich hoffe, E. M. Befehle bald erfüllen zu können. Sicher ist, daß er in engen Beziehungen zum Grafen Alexis Orlow steht, daß dieser ihm Briefe an seinen Bruder, den Fürsten[435], gegeben hat; denn damals beabsichtigte er, nach Rußland zu gehen. In diesen Briefen bat Orlow seinen Bruder, ihn wie seinen Busenfreund zu behandeln, da er ihn als einen der achtbarsten Menschen der Welt erkannt habe.
Bevor er nach Leipzig kam, hat er ein volles Jahr in Nürnberg, Schwabach und im Ansbachischen zugebracht[436]. Aus allem, was jetzt über ihn geredet wird, geht hervor, daß er ein äußerst geistvoller und kenntnisreicher Mann ist, der die Menschen kennt, mit denen er spricht, und der seine Reden dem Geist und der Auffassung eines jeden anzupassen versteht.
Der Zweck seines Aufenthaltes in Leipzig ist noch unbekannt; denn alles, was man sich darüber erzählt, ist mehr als unwahrscheinlich.
Dresden, 28. März 1777.
Der berüchtigte Saint-Germain weilt noch immer in Leipzig. Er wird sogar noch während der Messe dort bleiben, aber nicht hierher kommen, obgleich er mehrfach dazu aufgefordert ist. Er wollte dem Magistrat von Leipzig mehrere Projekte vorlegen, man ist aber nicht darauf eingegangen. Obgleich es ihm nicht eigentlich schlecht geht, wird ihm das Geld gegenwärtig knapp. Und doch:[S. 309] als Graf Marcolini eigens zu seinem Besuche nach Leipzig kam und ihm Belohnungen versprach, falls er dem Staate durch Mitteilung seiner Geheimmittel einen wesentlichen Dienst leistete, hat er ihm geantwortet, man irre sich sehr, wenn man dergleichen bei ihm annähme; sein einziges Ziel sei, die Menschheit zu beglücken, und gelänge ihm das, so fühle er sich hinreichend belohnt[437]. Wie man zugibt, hat er in Leipzig nichts getan, was diesen Grundsätzen widerspräche, allerdings auch nichts, was sie bestätigte.
König Friedrich an Alvensleben
Potsdam, 29. März 1777.
An Saint-Germain nehme ich aus bloßer Neugier Anteil. Nur aus diesem Grunde erwarte ich Ihren Bericht über das, was Sie noch von ihm erfahren sollten. Angesichts seiner alten Beziehungen zum Grafen Orlow wäre es wohl möglich, daß er auf den Einfall kommt, seinen Freund während der schönen Jahreszeit in Rußland zu besuchen.
König Friedrich an die Prinzessin Wilhelmine von Oranien
Potsdam, 30. März 1777.
Der Saint-Germain, von dem ich Dir neulich schrieb, ist noch in Leipzig. Wie ich höre, will er nach Petersburg. Wäre der alte Narr gescheit, er wartete in Florenz ruhig den Tod ab, statt sein altes Gerippe am Ufer des Eismeers spazieren zu führen.
[S. 310]
Alvensleben an König Friedrich
Dresden, 25. Juni 1777.
Da ich erwartete, daß der unter dem Namen Saint-Germain bekannte Graf Welldone dies Land verlassen und nicht mehr von sich reden machen würde, habe ich ihn in meinen letzten Berichten nicht mehr erwähnt. Da er sich jedoch schon über fünf Wochen dauernd hier aufhält und die Absicht geäußert hat, nach Berlin zu reisen, habe ich erneut auf ihn achtgegeben und mich nach Kräften bemüht, ihn auszuforschen. Das ist mir um so lieber, als er mir vor einigen Tagen sagte, er wolle sich unmittelbar an E. M. wenden. Vielleicht wird er mir noch heute einen Brief für E. M. zusenden, in dem er sich auf Geheimmittel bezieht, die nach seiner Behauptung ans Wunderbare grenzen. Sein Plan und E. M. Wunsch, Näheres von ihm zu erfahren, entschuldigen mich vielleicht, wenn ich allzusehr auf Einzelheiten eingehe, um nach meiner schwachen Einsicht ein Charakterbild dieses angeblichen Wundermannes zu entwerfen.
Seine Äußerungen über seine Persönlichkeit, die ich selbst gehört habe, sind voller Eitelkeit und Hochmut. Verschiedene Unterhaltungen, die ich mit ihm hatte, seine Komplimente, die er urteilslos und wahllos an jeden verschwendet, und die lebhaften, ernstlichen Debatten, in die er sich leicht einläßt, bestimmen mich zu folgendem Urteil. Er ist ein hochbegabter Mann mit sehr regem Geiste, aber völlig urteilslos, und seinen eigenartigen Ruf hat er nur durch die niedrigste und gemeinste Schmeichelei erlangt, deren ein Mensch fähig ist, sowie durch seine hervorragende Redegabe, zumal wenn man sich durch den Eifer und die Begeisterung hinreißen läßt, mit der er sich auszudrücken versteht und die auf schwache Gemüter[S. 311] stets Eindruck macht. Dazu ist seine Redeweise mit allerlei oberflächlichen Kenntnissen und Tatsachen verbrämt, die er auf seinen Reisen gesammelt hat. Da sie aber in einem so wenig klaren Kopfe wie dem seinen schlecht geordnet sind, wird daraus ein dauerndes wirres Gerede, sobald er aus seinem Hohlkopf neue Gedanken entwickeln will. Maßlose Eitelkeit ist die Triebfeder, die den ganzen Mechanismus in Bewegung setzt, und diese Eitelkeit muß volle Befriedigung finden, wenn er von jüdischer Abstammung ist, wie die Leute behaupten, die ihn am besten zu kennen glauben. Denn es ist sicher erwiesen, daß er lediglich wegen seiner Gauklerkünste Eingang in die Häuser der Großen findet und von vielen mit stummer Bewunderung, die an Verehrung grenzt, als ein neuer Prophet angesehen wird.
Sein Alter — er ist nahezu 70 Jahre — und seine zahlreichen Reisen, die er in Europa, an den Küsten Afrikas, in Ägypten und Kleinasien gemacht haben will, haben seinen Kopf mit zahlreichen Anekdoten und vielen, vielleicht sehr oberflächlichen Handelsprojekten erfüllt. Dadurch ist er auch in Gesellschaft anregend und unterhaltend, solange er bloß erzählt. Sobald er aber eigene Gedanken entwickeln will, zeigt sich seine ganze Schwäche. Denn dann gerät er mit dem gesunden Verstand und mit den klar bewiesenen Grundbegriffen in Widerstreit. Aber wehe dem, der ihm zu widersprechen wagt! Dann kennt er keine Grenzen mehr, speit Feuer und Flamme und redet mit einer Begeisterung, daß man Angst bekommen könnte. Ja, dann geht er so weit, Bannflüche gegen jeden Zweifler an seinem System zu schleudern, obwohl dies System sich selbst widerlegt und in Widersprüche verwickelt. Wenn aber trotzdem jemand den Mut hat, ihm die Stirn zu bieten, nicht an seine Lehren zu glauben[S. 312] und sie mit Gründen zu bekämpfen, erwählt er das klügere Teil und schweigt still.
Wer ihn so reden hört, ist stets geneigt, sich für seinen engsten Vertrauten zu halten. Allerdings fühlt man sich etwas gedemütigt, wenn man bemerkt, daß die Zahl seiner Vertrauten mit der Zahl seiner Bekannten in gleichem Maße wächst. Seine Schmeichelei erschöpft alles, was die ausschweifendste Phantasie zu ersinnen vermag. Ich sah Leute darüber erröten, die sonst nicht gerade an Bescheidenheit leiden. Um E. M. nicht durch Wiederholung all seiner platten Schmeicheleien zu ermüden, will ich als einziges Beispiel dafür anführen, daß er mir vertraulich versichert hat, ich spräche wie eine Perle des Orients, ein Ausdruck, den er besonders betonte.
Er spricht fließend französisch, aber Kenner versichern, daß er dabei viele fremdartige Wendungen einfließen läßt. Auch beweisen zahlreiche Briefe, die er an hiesige Damen gerichtet hat, daß er die Gabe hat, Ausdrücke zu prägen, die der Französischen Akademie gewiß noch unbekannt sind.
Er nennt sich Fürst Rakoczy, und zum Beweise seines besonderen Vertrauens sagte er mir noch, er hätte zwei Brüder[438], die aber so niedrig dächten und so wenig hohen Sinn hätten, daß sie sich ihrem elenden Lose unterwürfen. Er dagegen habe zu einer gewissen Zeit den Namen Saint-Germain angenommen, das bedeute: „der Heilige der Brüder“.
Wie er sagt, hat er fünfzehn Jahre lang einen Franzosen namens Boissy in Indien und China auf seine Kosten gehalten, um sich durch ihn alle Stoffe und Kenntnisse zu verschaffen, deren er bedurfte.
Er verachtet alle Ärzte, Arzneien und Hausmittel; trotzdem vertreibt er ein Pulver, von dem er Wunderdinge[S. 313] erzählt, und er selbst duftet wie eine wandelnde Apotheke.
Er hat mir eine Liste seiner Geheimmittel[439] gezeigt, aber ich sah sie nur einen Augenblick. Sie umfaßt über zwanzig Punkte, läßt sich jedoch, wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, auf folgende zusammenziehen:
1. Färben von Häuten in den kräftigsten Farben.
2. Herstellung aller möglichen Farben, besonders von Weiß, in vorzüglicher Art.
3. Veredlung der minderwertigsten Häute, selbst der Schaffelle, so daß sie dreißig Jahre lang als Hängeriemen für Kutschwagen zu brauchen sind.
4. Ein Ersatzstoff für Cochenillefarbe.
5. Bleichen der Leinwand in kürzester Zeit und besser als in den Niederlanden, doch ohne den Stoff anzugreifen.
6. Veredlung von Seidenstoffen und Färbung mit den schönsten Farben.
7. Herstellung eines Lebenselixiers.
Diese Geheimmittel bestimmt er für die russische Zarin[440], für die er eine ganz besondere Zuneigung hegt. Doch sollen sie nach seiner Behauptung als Grundlage für den Handelsverkehr zwischen Sachsen und Rußland und für ihre gegenseitige politische Verbindung dienen. Beide Länder sollen durch diese Erwerbung zu vollkommenem Glück und zum Überfluß gelangen, sodaß sie sich gegenseitig nicht mehr entbehren und ohne einander nicht glücklich werden können. Gegenwärtig ist er jedoch mit Sachsen und mit dem Empfang, den er hier gefunden hat, unzufrieden, und so scheint es, als ob die Staaten E. M. an Stelle von Sachsen treten sollen, nicht bloß,[S. 314] um ihr Glück zu begründen, sondern auch, um das bestehende Bündnis zwischen Preußen und Rußland[441] zur Notwendigkeit zu machen und auf ewig zu besiegeln. Ich nehme an, daß dies der Hauptinhalt seines Briefes und seines Planes ist, wenigstens nach einigen Äußerungen zu schließen, die er mir darüber gemacht hat. Er ist sogar fest entschlossen, Sachsen als zu kleinen Schauplatz für einen so großen Geist wie den seinen zu verlassen, aber trotzdem wird er einige Menschen glücklich machen, die ihm als getreue Apostel anhängen. Nach seiner Behauptung hat diese Fülle von Geheimmitteln ihm Millionen gekostet, doch soll das Land, das er mit diesen Gaben beschenkt, aus ihrem Gebrauch jährlich mindestens 12 Millionen netto gewinnen, wobei er hinzufügte: „Das habe ich mir nicht erst seit gestern ausgerechnet.“ Und da er über so große Reichtümer verfügt, könne kein Herrscher ihn belohnen noch ihm ein Los bereiten, das ihn zu reizen vermöge, da er selbst ein Fürst sei.
Ich wagte ihm drei Fragen zu stellen, mit denen ich ihn in die Enge zu treiben glaubte, aber er hat sich als geschickter Gaukler aus der Klemme gezogen. Zunächst fragte ich ihn, warum er seine Blicke gerade auf Rußland gerichtet habe, um es zu beglücken, da er mir doch früher gestanden habe, er besäße ein Buch, in das er fünf Herrscher und Fürsten eingetragen habe, die er bewundere und denen er besonders zugetan sei, nämlich E. M., die Zarin von Rußland, den Kaiser[442], den König von Sardinien[443] und den Markgrafen von Baden[444]. Zweitens, warum er so spät auf seine Weltbeglückungspläne käme, da er ja so hochherzige[S. 315] und menschenfreundliche Gesinnungen zur Schau trüge. Drittens, ob er sein langes Leben tatsächlich der Wirkung des Lebenselixiers verdanke.
Bei jeder dieser Fragen näherte er sich mir mit geheimnisvoller Miene und versicherte mir, er müsse mir ein großes Geheimnis enthüllen. Im Grunde sagte er mir aber weiter nichts als große Worte und schwatzte so unzusammenhängendes Zeug, daß es unmöglich wäre, den Inhalt kurz anzugeben noch zu begreifen, wieso ich daraus die erwünschten Erklärungen entnehmen sollte. Nur über die letzte Frage konnte ich einigen Aufschluß erlangen. Ich hatte nämlich betont, daß, wenn sein angebliches Geheimmittel dazu verleiten könnte, an die Berichte über sein hohes Alter zu glauben, mich eine Bemerkung von ihm, die er kurz vorher gemacht hatte, daran fast irremachen könne. Denn als ich an dem besonderen Vergnügen gezweifelt hatte, das er beim Lesen von Swifts[445] Werken empfände, wofern er nicht die kleinsten Einzelheiten jener Zeit kenne, da habe er mir erwidert, er kenne sie aus sehr ausführlichen zeitgenössischen Schilderungen, die er sich zu verschaffen gewußt habe. Das wäre doch unnütz gewesen, wenn er zu jener Zeit gelebt hätte. Darauf entgegnete er nur: Diese Bemerkung widerspräche seinem Geheimmittel nicht; denn es sei sehr möglich, daß er damals für zehn bis fünfzehn Jahre zurückgezogen in einem anderen Lande gelebt hätte, z. B. in Portugal; somit müsse er sich an die Berichte von anderen halten. Zudem wäre es öffentlich bekannt, daß er oft für Jahre verschwunden gewesen sei, ohne daß man seinen Wohnsitz gekannt hätte.
[S. 316]
Aus diesen Antworten ersehen E. M., daß er zwar nicht unumwunden ja sagte, aber doch durchblicken ließ, daß er sein Alter auf Jahrhunderte berechnet.
Oft sagte er: „Ich halte die Natur in meinen Händen, und wie Gott die Welt geschaffen hat, kann auch ich alles, was ich will, aus dem Nichts hervorzaubern.“
Eines Tages, als ich mit ihm von dem Posten des Generalkontrolleurs[446] sprach, den er, wie man sagte, erhalten sollte, versicherte er mir, er hätte diese Stellung nicht ausschlagen können, da sie ihm nie angeboten worden sei. Allerdings hätte man im Kronrat offen gesagt, zum Generalkontrolleur wäre ein Kopf wie der seine nötig. Das träfe auch zu, obgleich er als Fürst weit entfernt sei, eine Stellung anzunehmen, die von Gesindel und von Habenichtsen bekleidet worden sei.
Außer den schon aufgeführten Geheimmitteln schreibt man ihm im Publikum noch die Kunst zu, Kapwein herzustellen und Metalle und Steine zu veredeln.
Da ich mich für verpflichtet hielt, den Charakter eines Mannes, der sich an E. M. persönlich wenden will, genau zu schildern, und mir dies nicht möglich schien, ohne auf Einzelheiten einzugehen, hoffe ich auf E. M. gnädige Nachsicht, wenn ich die Grenzen überschritten habe, die die kostbare Zeit E. M. mir sonst bei meinen Berichten ziehen muß.
Nachschrift I
In diesem Augenblick bringt Graf Welldone mir persönlich die genaue Aufstellung der Geheimmittel, über die er mit E. M. selbst zu reden wünscht, um sie darauf zum Wohl Ihrer Staaten ans Licht bringen zu[S. 317] können. Die beifolgende Aufstellung ist von seiner eigenen Hand. Er hat sie mir für E. M. übergeben, nebst einigen auf seine Geheimmittel bezüglichen Proben. Er hat keinen Brief geschrieben, wie ich annahm, denn er befürchtete, daß die Einzelheiten, auf die er eingehen müßte, zu lang wären, und er wollte lieber in einigen Tagen selbst nach Potsdam reisen, um E. M. seine Künste zu unterbreiten, obwohl ich ihm klarzumachen suchte, daß er besser täte, hier E. M. Antwort abzuwarten.
Das Geheimmittel, über das er keine Auskunft geben will[447], betrifft die Veredlung von Edelsteinen. Allein durch diesen Gewerbszweig will er stündlich Millionenverdienste herbeiführen. Ich wiederhole lediglich, was er gesagt hat.
Nachschrift II
Obgleich Graf Welldone mir keinen Brief an E. M. in Aussicht gestellt hat, sendet er mir eben das beifolgende Kuvert, das wie ein Brief aussieht[448].
Neue Physik in Anwendung auf mehrere Handelsartikel, die ebenso wichtig wie neu sind[449]
1. Verfahren, das allen Sorten von Häuten und Leder eine bisher unbekannte Festigkeit, Güte, Schönheit, Haltbarkeit usw. gibt und besonders den Schaffellen einen wirklichen, sehr beträchtlichen Wert verleiht.
2. Verfahren zur Veredlung von Wolle, durch das diese weit mehr Haltbarkeit, Feinheit, Güte usw. erhält.
3. Verfahren zur äußersten, vollständigen Bleichung von Leinwand, Hanf, Flachs und deren Gespinsten, durchaus[S. 318] besser als in Harlem in Holland, ein Verfahren, das die Stoffe nicht wie dort angreift und nur kurze Zeit beansprucht.
4. Verfahren zum Waschen von Seide, durch welche die italienische Seide den allerschönsten Seiden der Welt überlegen, glänzender und stärker wird.
5. Verfahren zur Veredlung von Angoraziegenfellen, so daß man aus ihnen vorzügliche, glänzende Kamelotts herstellen kann, die nicht reißen, wie die früheren, weil das Fell bei diesem Verfahren fast seidenweich wird.
6. Verfahren zur vollständigen Bleichung und größeren Haltbarkeit von Leinwand und Baumwollgespinsten.
7. Verfahren zum Färben von Häuten und Leder in Blau, Grün, Schwarz, echtem Purpurrot, echtem Violett und feinem Grau von ganz außerordentlicher Schönheit und Güte.
8. Herstellung von unveränderlichen Malfarben in Gelb, Rot, Blau, Grün, Purpur, Violett usw. von vollendeter Schönheit und Güte.
9. Herstellung von Deckweiß in einer alle Begriffe übersteigender Güte. Die Farbe, die man umsonst zu allen Zeiten gesucht hat, bleibt stets weiß, verbindet sich mit allen guten Farben, denen man sie beimischt, verschönert und erhält sie. Kurz, dies Weiß ist ein wahres Wunder.
10. Herstellung von schwarzem Leder mit sehr reiner und sehr schöner Farbe aus Russisch Blau ohne irgendeinen anderen Zusatz. Das ergibt ein unnachahmliches schwarzes Leder von hervorragender Schönheit und Güte.
11. Herstellung von Leinwand und Hanfgespinsten in unvergleichlich reinem und glänzendem Gelb, das sich mit Seifenwasser waschen läßt und in der Luft nicht verschießt, in mehreren Schattierungen.
[S. 319]
12. Herstellung von Baumwolltuchen und Gespinsten von vorzüglichem Gelb in mehreren Schattierungen, gut waschbar und in der Luft nicht verschießend.
13. Herstellung von Leinwand in feinem Grau, mit Seifenwasser waschbar und nicht verschießend.
14. Herstellung von Baumwollstoffen und Gespinsten in feinem Grau, mit Seifenwasser waschbar und nicht verschießend.
15. Herstellung von Leinwand, Leinen- und Hanfgespinsten in echtem Purpur, echtem Violett, echtem Rot usw., gut waschbar und durchaus nicht verschießend, in mehreren Schattierungen.
16. Herstellung von sehr feinen, sehr schönen, sehr haltbaren und ganz neuen Seidengeweben.
17. Herstellung von bunter Leinwand in ganz neuen und feinen Farben, namentlich in Grau und Schattierungen, die weder durch Säuren, noch Luft, noch Seifenwasser ausbleichen.
18. Herstellung von Silbertressen, mindestens ein Drittel billiger und viel weißer, glänzender und dauerhafter als die schönsten Lyoner Tressen.
19. Verschiedene Verfahren bei Edelmetallen, d. h. ohne Gold und Silber, die von großem Nutzen und großer Ersparnis sind und sicherlich das Erstaunen jedes guten Chemikers bilden werden, auch die ungeheuren, verderblichen Luxusausgaben verringern.
20. Herstellung eines ganz neuen Metalls, dessen Eigenschaften höchst überraschend sind.
21. Verschiedene Verfahren bei kostbaren Gegenständen, die völlig unmöglich erscheinen und sämtlich auf Verringerung der ungeheuren Luxusausgaben hinauslaufen.
22. Herstellung von Papier, Federn, Elfenbein, Knochen[S. 320] und gefärbtem Holz in prachtvollen, feinen und sehr schönen Farben.
23. Gute und heilsame physikalische Verfahren bei verschiedenen Weinen.
24. Herstellung von Rossoli-Likör aus Fruchtkernen usw. von vortrefflicher Qualität und zu sehr billigem Preis.
25. Herstellung anderer nützlicher Dinge, über die ich schweige.
26. Vorbeugungsmittel gegen Krankheiten und Unpäßlichkeiten aller Art usw.
27. Richtige Purgiermittel, die dem Körper nur schädliche Stoffe entziehen. Nota bene.
28. Echte, sichere und wohltuende kosmetische Mittel.
29. Hochfeines Olivenöl, in 12 Stunden in Deutschland hergestellt.
Was die Landwirtschaft usw. betrifft, bleibt für später vorbehalten.
L. P. T. C. von Welldone.
Über einen weiteren Punkt kann hier aus mancherlei Gründen nichts gesagt werden. Er bleibt vorbehalten usw.
Die Ausführung dieses neuen Handelsplanes kann der Staatskunst zu höchstem Nutzen gereichen und eine ganz unlösliche Verbindung zwischen gewissen Großmächten herbeiführen.
von Welldone.
Saint-Germain an König Friedrich[450]
Dresden, 25. Juni 1777.
Sire. Von sich selbst anders zu reden als durch Taten, ist durchaus unpassend, wenn man das Glück hat, sich an einen so großen König zu wenden. Eure Majestät[S. 321] werden mir also die Befehle schicken, mit denen Sie mich zu beehren geruhen.
Eurer Majestät
untertänigster und gehorsamster Diener
Graf von Welldone.
König Friedrich an Alvensleben
Potsdam, 30. Juni 1777.
Ich halte es nicht für angezeigt, dem Herrn Saint-Germain auf seinen Brief unmittelbar zu antworten. Ich ermächtige Sie daher, ihm von mir zu sagen, es stände ihm frei, hierher zu kommen, ihn aber zugleich darauf aufmerksam zu machen, man sei hier sehr ungläubig und glaubte im allgemeinen nur an Dinge, die sich handgreiflich beweisen lassen. Somit täte er gut, sich selbst zu fragen, ob er gewillt ist, seine Wissenschaft und seine Geheimmittel vorzuführen. Sonst würde er hier seine Zeit gewiß verlieren, während er sie anderswo vielleicht nützlicher anwenden könnte.
König Friedrich an die Prinzessin Wilhelmine von Oranien
(Potsdam) 30. Juni 1777.
Man droht uns mit dem Erscheinen eines Abenteurers namens Saint-Germain, der mit Projekten, alchimistischen Rezepten, medizinischen Geheimmitteln und Rezepten für den Stein der Weisen durch die Welt zieht. Ich bezweifle, daß er hier sein Glück macht.
König Friedrich an Prinz Heinrich[451]
(Potsdam) 2. Juli 1777.
Der berüchtigte Abenteurer Saint-Germain kommt hierher, um uns in seine Obhut zu nehmen. Er will[S. 322] unser Einkommen um 6 Millionen bereichern. Aber ich glaube, kein Mensch möchte sein Gehalt auf diese Einnahmequelle angewiesen sehen.
(Potsdam) 9. Juli 1777.
Saint-Germain ist noch nicht angelangt. Vielleicht besinnt er sich; denn ich habe ihn vor dem hier herrschenden Unglauben warnen lassen. Anbei eine Denkschrift über seine Kunstfertigkeiten, die er mir gesandt hat[452]. Könnte er Gold machen, so hätte er sich selbst damit versorgt, aber diesen alten Köder wagt er nicht auszuwerfen. Für uns besteht die einzige Kunst des Goldmachens in der Hebung von Landwirtschaft und Handel, aber auch damit kommt man nicht weit; denn die Ein- und Ausfuhrstoffe sind durch unsere Erzeugnisse und unseren Bedarf bedingt. Somit ist es klar, daß wir es bei den jetzigen Verhältnissen nicht so weit bringen werden wie Krösus und Montezuma. Man kann sehr glücklich sein, ohne von Gold zu strotzen; Seelenruhe und Frohsinn sind mehr wert als alle Schätze Perus.
Prinz Heinrich an König Friedrich
Rheinsberg, 15. Juli 1777.
Ich danke Dir, lieber Bruder, für die mir freundlich übersandte Denkschrift mit den Wundern, die Saint-Germain zu vollbringen weiß. Allerdings verheißt er viel; aber er weiß auch viel, muß umfassende Studien getrieben haben und hat stets für einen Wundermann gegolten. Daher ist wohl möglich, daß er das Geheimnis besitzt, gewisse Stoffe auszunutzen und zu vervollkommnen. Ein Versuch mit zwei bis drei von ihm vorgeschlagenen[S. 323] Gegenständen kann keine großen Kosten verursachen und würde, wenn er glückt, immerhin einen beträchtlichen Gewinn eintragen, zwar nicht die Schätze eines Krösus oder Montezuma, aber man kann reich, ja riesig reich sein, ohne sich mit ihnen vergleichen zu können. Den Maßstab für den Reichtum bilden die eigenen Bedürfnisse. Wer sein Genügen findet, büßt nichts von der Heiterkeit und dem Frieden seiner Seele ein, ja, er steigert sie noch, wenn er das Los der Unglücklichen und Bedürftigen zu erleichtern versteht.
Kurfürst Maximilian an seine Schwester, die Kurfürstin-Witwe Maria Antonia von Sachsen[453]
München, 27. März 1777.
Man sagt, bei Euch hielte sich ein Mensch auf, der 200 Jahre alt ist. Schreibe mir doch, was ist wahres daran.
München, 10. April 1777.
Wenn dieser Saint-Germain wirklich 200 Jahre zählt, ohne daß er danach aussieht, so ist er zweifellos ein Adept.
[S. 324]
Dubosc[455] an Prinz Friedrich August
Leipzig, 15. März 1777.
Im Besitz des huldvollen Schreibens Eurer Hoheit[456] hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als dem angeblichen Grafen Saint-Germain den Brief[456] zu senden, mit dessen Übermittlung Eure Hoheit mich beauftragt hatten. Ich habe der Sendung eine sehr dringende Aufforderung beigefügt, gemäß den Wünschen Eurer Hoheit seine Abreise nach Berlin nicht aufzuschieben. Ich hätte ihm das mündlich und nicht schriftlich sagen müssen, aber wir haben uns entzweit, weil ich ihm gegenüber Mißtrauen für angezeigt hielt.
Nachstehend eine kurze Darstellung unserer flüchtigen Beziehungen. Nach einem rätselhaften Aufenthalt von etwa drei Monaten kam der jetzige Graf Saint-Germain, der damals unter dem Namen Graf Welldone bekannt war und geflissentlich durchblicken ließ, daß dies nur ein Deckname für seinen wirklichen Namen Fürst Rakoczy sei, auf den Einfall, sich mit mir anzufreunden. Ich gestehe, daß ich aus Mißtrauen über diesen Annäherungsversuch nicht so geschmeichelt war, wie ich es[S. 325] hätte sein sollen. Wurde er doch von einem Manne von Stand gemacht, der angeblich das höchste Wissen besaß und nach seiner Versicherung nur zur Bereicherung und Beglückung der Menschheit lebte. Heftig kämpfte in mir meine Abneigung mit dem heißen Wunsche, meine Einsicht zu vergrößern und zu berichtigen.
Unsere erste Zusammenkunft begann mit Lobeserhebungen über seine Talente und gewaltigen Leistungen in der Chemie, über die große Rolle, die er in Rußland gespielt hätte, über seine Teilnahme am Krieg im Archipel[457] (den er aber gar nicht mitgemacht hat), über seinen Beruf der Menschheitsbeglückung, über die Millionen, die er für Wohltaten ausgegeben hätte. Schließlich wandte er sich meiner Person zu, rühmte meine Kenntnisse, meine Rechtschaffenheit und viele andere Vorzüge. Höchst sonderbar! Woher wußte er das wohl? Denn er kannte mich ja gar nicht, und ich selbst erkannte mich in diesem Charakterbild nicht wieder. Darauf zeigte er mir Seidenstoffe in allen möglichen Farben, gewöhnliches Leder, aus dem Maroquin oder feines Leder von verschiedener Farbe gemacht, grobes Leinen, das in spanische Leinwand umgearbeitet war. Er sprach von seinem Geheimverfahren zur Verbesserung von Edelsteinen und von anderen unwichtigeren Geheimmitteln.
Als ich ihn verließ, war ich überrascht von seiner Zungenfertigkeit und Überredungskunst, aber keineswegs überzeugt. Wir sahen uns noch mehrere Male; jede Sitzung dauerte sieben Stunden. Ich hatte Zeit genug, um meine Zweifel zu bestärken; ich überzeugte mich, daß er keineswegs ein Adept war. Ich sah in ihm nur einen geistvollen Mann, der viel gelesen, gesehen und[S. 326] versucht hat, einen Mann, der ein paar Geheimmittel und verschiedene chemische Kenntnisse besaß, ohne deswegen ein methodischer Forscher geworden zu sein, kurz einen Mann ohne festes System. Ich erkannte, daß er nichts weniger als Theosoph war, daß er weit entfernt war, das unendliche All in der Gesamtheit der einzelnen Teile zu sehen oder einen rechten Begriff von der schöpferischen Ursache aus der Analyse der Schöpfung zu gewinnen.
Es schien mir, daß ein Mann, der nur auf der Welt ist, um sie zu beglücken und Schätze auszuteilen, nicht in die Lage kommen kann noch darf, daß es ihm an allem fehlt und daß er keinen Groschen hat. Ich gebe zu, daß ein Adept in der bescheidensten Weise auftreten kann, aber er ist nie in dringender Notlage; er prahlt nie mit seiner Einsicht noch seiner Herkunft. Er ist, was er sein soll: schlicht, offen und ehrlich.
Mein Roman endete schließlich, wie ich es voraussah. Er borgte mich in Erwartung seiner Reichtümer an, ich hielt es aber nicht für angezeigt, ihm etwas zu leihen. Damit endeten unsere Beziehungen.
Ich stellte bei ihm mehrere Widersprüche fest und noch mehr Lügen. Jemand verlangte von ihm 4000 Gulden zurück, die er in Schwabach oder Umgegend aus der Zeit seines dortigen Aufenthaltes noch schuldig ist. Er machte ihm weis, daß er sie aus dem Erlös eines Wechselbriefes von 4000 Rubeln bezahlen würde, den er mir zum Verkauf übergeben hätte. Diese Lüge hat er sich in der Zeit geleistet, wo er mich beschwor, ihm durch ein Darlehen aus der Verlegenheit zu helfen.
Kann ein Weiser lügen? Gegenwärtig soll es mit seinen Finanzen besser stehen; er hat einen Leichtgläubigeren gefunden, mit dem er beim Goldmachen ist.
[S. 327]
Ich hoffe, Eure Hoheit werden diese vielen Worte entschuldigen, aber ich glaubte, Ihnen meine Ansicht über diesen Sonderling nicht verhehlen zu sollen.
Nachschrift. Soeben übersendet mir Saint-Germain den beifolgenden Brief für Eure Hoheit[458].
Bischoffwerder[459] an Prinz Friedrich August
Elsterwerda, 25. März 1777.
Ich gestehe, daß ich zu wenig aufgeklärt bin, um ein Urteil über einen Mann wie Herrn von Saint-Germain zu haben. Aber ich will Ihnen gehorchen und Ihnen frei meine Gedanken über den Brief des Bruders Dubosc[460] und den des Grafen Welldone[458] aussprechen.
Obwohl man von jenem sagen kann: Ecce vere Israelita, in quo dolus non est[461], glaube ich doch (aus Erfahrung), daß er in seinem Urteil über sehr achtbare Personen recht vorschnell ist. Der Vorwurf einer Lüge bedarf stichhaltiger Beweise; zudem muß er wissen, daß die größten Kenntnisse mit Armut sehr wohl vereinbar, ja bisweilen (durch das Gesetz) von ihr nicht zu trennen sind. Man kann ungeheure Schätze austeilen und doch davor zurückscheuen, eine sehr mäßige Summe aus Laune auszugeben. Der Bruder Dubosc muß aus den Berichten aller, die Herrn von Saint-Germain seit lange kennen, doch wohl wissen, daß er oft in die Lage gekommen[S. 328] ist, sich Geld zu borgen, aber daß er es durch Anweisung beträchtlicher Summen stets ehrlich zurückgezahlt hat. Kurz, es macht den Eindruck, als ob der Bruder Dubosc durch das Darlehnsgesuch des Grafen von Welldone verblüfft worden ist und in diesem Augenblick alles in falschem Licht gesehen hat.
Andrerseits ist der Brief des Grafen Welldone nicht anders, als man von einem Kenner des T[462] erwarten kann. Ich sehe daher nicht die mindeste Gefahr darin, daß Sie seine Bekanntschaft machen, zumal wenn Sie, wie ich überzeugt bin, nichts verlangen, was mit der Moral und mit dem Berufe[463], zu dem er sich in seinem Briefe bekennt, nicht völlig im Einklang steht, und wenn Sie die Anknüpfung besonderer Beziehungen bis zu dem Zeitpunkt hinausschieben werden, den er Ihnen angibt und den die Guten zum Ruhm Gottes herbeiwünschen.
Frölich[464] an Prinz Friedrich August
Görlitz, 28. März 1777.
Von Saint-Germain werden Ihro Durchlaucht in der Maurerei keine Aufschlüsse bekommen. Dieser Mann ist in Leipzig eine geraume Zeit unter dem Namen Sieur Welldone gewesen. Ich habe bei Dubosc mit ihm gegessen. Ich kenne ihn sehr speziell. Dieser Sieur Welldone ist kein Maurer; er ist auch kein Magus, auch kein Theosoph. Seine Rolle wird in Leipzig traurig ablaufen, wenn er nicht einen gutherzigen Freund kürzlich gefunden, der[S. 329] ihm Geld vorschießt. Ich melde solches Ihrer Durchlaucht als Maurer, damit (er), wenn er nach Berlin kommt, sich nicht auf eben diese Weise zu remboursieren sucht.
Dubosc an Prinz Friedrich August
Leipzig, 2. April 1777.
Da Eure Hoheit anscheinend Interesse an dem angeblichen Grafen Saint-Germain nehmen und ihn sogar mit der Einladung nach Berlin beehrt haben, halte ich mich für verpflichtet, Eurer Hoheit zu berichten, was nach und nach über die Vorgeschichte dieses rätselhaften Mannes zutage kommt. Wie man sagt, ist er in Frankreich geboren, von niederer Herkunft und soll ein Handwerk gelernt haben. Folgendes weiß ich aber positiv von einem meiner Freunde, einem verdienstvollen Mann, einem Schweizer Offizier, Namens Hotz, der als Oberstleutnant in der Garde des russischen Großfürsten steht[465] und zur Zeit in Familienangelegenheiten hier weilt. Wie er mir versichert, hat er unseren Saint-Germain unterwegs in Rußland getroffen, wie er traurig zu Fuß des Weges zog. Wegen eines Fußschadens schleppte er sich nur mühsam weiter. Voll Mitleid ließ ihn der Offizier in seinen Wagen steigen. Er muß in Moskau oder Umgegend ein[S. 330] Fabrikunternehmen gehabt haben, das aber nicht gehen wollte. Er hatte das Glück, den Grafen Orlow[466] kennen zu lernen, mit dem er eine Weile chemische Versuche anstellte, aber schließlich hatte der Graf diese fruchtlose und kostspielige Arbeit satt und entließ ihn. Von den Wohltaten dieses Herrn hat er lange Zeit sein Leben gefristet. Seitdem hat er sich in mehreren Gegenden Deutschlands herumgetrieben, wie die Schulden beweisen, die er namentlich in der Gegend von Schwabach gemacht hat. Hier ging sogar ein von ihm ausgestellter und nicht bezahlter Wechselbrief eines Ansbacher Juden in Höhe von 20000 Gulden ein.
Gegenwärtig erfahre ich, daß er den Brief Eurer Hoheit[467] überall herumzeigt und zum Lesen gibt. Er erzählt jedermann, man bestürme ihn allerorten, zu kommen und der Welt seine erhabenen Kenntnisse nicht vorzuenthalten. So spielt er einen gegen den anderen aus. Verzeihen Eure Hoheit, daß ich solche Geschichten berichte. Aber sie tragen dazu bei, den Betrüger zu entlarven. Ich wollte schließen, vergaß aber noch eine bezeichnende Anekdote. Gestern war ich in einem Hause, in dem ein Ring gezeigt wurde, den er einem seiner hiesigen Beschützer geschenkt hat. Es war ein ziemlich großer gelber Stein, der Feuer besaß. Als er ihn verschenkte, betonte er, daß es ein gelber Diamant sei, und schätzte ihn auf mindestens 1000 Taler. Ein anwesender Juwelier und großer Kenner prüfte den Ring und sagte: „Ei gewiß, dieser Stein kann wohl acht Groschen wert sein.“ Das scheint mir ein recht charakteristischer Zug für ihn.
[S. 331]
Bischoffwerder an Prinz Friedrich August
5. April 1777.
Alles, was ich bezüglich des Grafen Welldone hinzufügen kann, ist, daß er nicht P[rior] Cler[icorum] ist, und daß ich Ihnen trotz der Beweise seines Wissens nicht anraten möchte, ihm Briefe zu schreiben, die nicht öffentlich gezeigt werden können. Eine kurze Unterredung mit den Maurern, die ich in Leipzig antreffen werde, soll dies Geheimnis lichten.
Dubosc an Prinz Friedrich August
Leipzig, 12. April 1777.
Auf Befehl Eurer Hoheit will ich mit dem angeblichen Saint-Germain sprechen. Hoffentlich macht meine Vorhaltung mehr Eindruck, als ich erwarte. Der Mann weiß sich nicht besser ins Licht zu setzen, als dadurch, daß er mit geheimnisvoller Miene Briefe vorzeigt, deren Inhalt einen hohen Begriff von ihm geben kann. Derart gelingt es ihm, für einen Wundermann zu gelten.
Hat man recht viele Anekdoten aus seinem Leben gehört und vergleicht man sie miteinander, so kommt man allmählich hinter seine Schliche. Ich möchte jetzt wetten, daß er jüdischer Abstammung ist. Er ist eine Weile in einer Kattunfabrik in Moskau gewesen, weil er Farben herstellt, worin er nach seiner Behauptung große Kenntnisse besitzt. Da er sich dort nicht zu halten vermochte, scheint das Gegenteil bewiesen. Hält man diesen Umstand mit der Zeit seiner Reise nach Rußland zusammen, so ergibt sich, daß es derselbe Fremde ist, mit dem einer meiner Freunde[468], ein höchst kenntnisreicher Mann, die Reise nach Moskau teilweise gemacht hat. Das stimmt sowohl mit der Zeit, wie mit den Talenten, deren er sich[S. 332] rühmte, und der Schilderung, die mein Freund von ihm gemacht hat. Hier erzählt er immerfort, er sei am russischen Hofe wohlbekannt und sehr beliebt und habe dort eine große Rolle gespielt. Das alles beweist zum mindesten, daß er stark aufschneidet.
Gestern unterhielt ich mich sehr lange mit einem meiner Freunde, einem großen Steinschneider, der auf alles, was darauf Bezug hat, sehr erpicht ist. Er kennt unseren Sonderling gut, weiß über ihn Bescheid und hat sich nach seinem Geheimverfahren zur Herstellung wie zur Verbesserung von Edelsteinen erkundigt. Wie er mir beteuerte, kann Saint-Germain keine Edelsteine herstellen noch fehlerhafte Diamanten verbessern und vervollkommnen. Das Verfahren, dessen er sich rühmt, kann sich höchstens auf Topase oder Halbedelsteine beziehen; er hat einen Versuch mit braunen Topasen gemacht, und zwar mit Erfolg; sie sind ganz weiß geworden. Mein Freund hat den Versuch mit Diamanten mehrfach wiederholt, aber vergeblich; das Mittel blieb völlig wirkungslos.
Die einzigen Steine, die Saint-Germain besitzt und die er sehr hoch veranschlagt, stammen aus einem Bergwerk, das er in Rußland entdeckt hat und das er nach seiner Behauptung ausbeuten darf. Er macht erstaunlichen Lärm darüber und möchte den Leuten weismachen, daß sich daraus ein sehr ertragreicher Handelszweig machen ließe. Man hat ihm jedoch bewiesen, daß dazu keine Aussicht ist; denn diese Steine bestehen aus einer Kristallart, die zwar sehr hart ist, aber weit unter den Topasen steht, da sie weder deren Schönheit noch Glanz haben. Sie sind wie die Kieselsteine, die man bei uns und anderswo findet.
Es ist sehr wohl möglich, daß Herr von Sagramoso[469] ihn in Florenz, Pisa und Venedig gesehen hat, denn er hat[S. 333] sich tatsächlich in Italien herumgetrieben. Aber bei aller schuldigen Hochachtung vor der Einsicht des Herrn von Sagramoso kann ich nicht so günstig von ihm denken wie dieser. Sonst müßte er sich seither gewaltig verändert haben. Aber warum soll ein Mensch sich zum Schlechteren verändern? Auf diese Weise behauptet man weder seinen Ruf noch erwirbt man Anhänger. Ich bleibe also bei meiner Ansicht: Er ist einschmeichelnd, geschmeidig, er redet allen nach dem Munde, aber wehe dem, der auf ihn hereinfällt! Graf Orlow kann ein Lied davon singen[470]. Ob Saint-Germain schon einmal in Dresden war, bezweifle ich; niemand hat ihn dort gesehen. Er redet von so vielen Städten, aber von Dresden sagt er kein Wort. Auch hier muß ich mich über Herrn von Sagramoso wundern.
Saint-Germain ist noch hier; er hat sich nicht gerührt. Graf Marcolini, der eigens hergekommen ist, um mit ihm zu sprechen und ihn nach Dresden mitzunehmen[471], falls er mit ihm zufrieden wäre, ist schleunigst wieder abgereist und hat ihn hier gelassen. Das beweist nicht gerade, daß er befriedigt war. Trotzdem muß Herr von Sagramoso, der den Grafen Marcolini begleitete, von Saint-Germain eine hohe Meinung gehabt haben. Dieser lebt hier weiter im Dunkeln und macht einige Bekanntschaften, aber es dauert nie lange; man überwirft sich sehr bald mit ihm.
Herzog Karl von Kurland[472] an Prinz Friedrich August
Dresden, 22. April 1777.
Bruder B[ischoffwerder] ist diese Nacht nach Leipzig abgereist, wo er rechnet, die Bekanntschaft des seltsamen[S. 334] Mannes zu machen, der sich seit einigen Monaten in Leipzig aufhält und über dessen Kenntnisse wir noch im unklaren sind.
Bischoffwerder an Prinz Friedrich August
Dresden, 2. Mai 1777.
Eure Hoheit werden durch den Bruder Decker die Gründe erfahren haben, aus denen Graf Welldone Ihren Brief gezeigt hat[473].
Frölich an Prinz Friedrich August
Görlitz, 7. Mai 1777.
Saint-Germain befindet sich noch in Leipzig, und man ist immer weniger attent auf ihn, da alle Hoffnung wegfällt, daß er nur im geringsten in der Maurerei Kenntnis hat.
Saint-Germain an Prinz Friedrich August[474]
Leipzig, 8. Mai 1777.
Eure Hoheit wollen gestatten, daß ich Ihnen mein Herz öffne. Es blutet, seit der Herr Rat Dubosc mir in einer für mich peinlichen Form die Befehle zukommen ließ, mit denen Sie ihn seiner Angabe zufolge beehrt haben. Sie galten aber sicherlich nicht mir. Herr Baron von Wurmb[475] und Herr Baron von Bischoffwerder werden stets für mich rühmliches Zeugnis ablegen, daß mein Schritt voller Berechtigung und Redlichkeit war, daß meine Ehrerbietung und meine eifrige und treue Hingabe, die ich für alle Zeit Eurer Hoheit gelobt habe, ihn mir unumgänglich[S. 335] geboten, obwohl ich zunächst voll Zartgefühl meinen Beweggrund verschweigen wollte. Nach Möglichkeit will ich hier die Abwicklung meiner ebenso wichtigen wie unerläßlichen Geschäfte beschleunigen, um alsbald die unaussprechliche Freude zu haben, Ihnen meine Aufwartung zu machen. Unvergleichlicher Fürst, wenn ich erst die Ehre habe, Ihnen genau bekannt zu sein, verspreche ich mir von Ihrer Gerechtigkeit und Ihrem Scharfblick zuversichtlich alles, was mir zukommt und was mir, da von Ihnen kommend, lieb und wert sein wird. Ich bin aus Pflicht, Neigung und ehrerbietiger, treuer Hingebung Eurer Hoheit ehrerbietigster und gehorsamster Diener
Graf Welldone.
Minister von Wurmb[476] an Prinz Friedrich August
Dresden, 19. Mai 1777.
Ich habe meinen vierzehntägigen Aufenthalt in Leipzig benutzt, um dem berühmten Saint-Germain, der sich jetzt Graf Welldone nennt, den Puls zu fühlen. Auf meine Bitte ist er sogar auf einige Zeit hergekommen. Da er, wie ich weiß, es einigen nachträgt, daß sie ihn durchaus zum Wundermann machen wollten, habe ich das Gegenteil getan und ihn als gewöhnlichen Menschen behandelt, dessen chemische und physikalische Kenntnisse meine Neugier erregt haben.
Ich fand einen Mann von 60 bis 70 Jahren, sehr lebhaft für sein Alter. Er spottet über die, welche ihm ein außerordentliches Alter zuschreiben. Er macht zwar keineswegs den Eindruck eines Neugeborenen, hat aber bei seiner geregelten Lebensweise und den guten Medizinen, die er[S. 336] angeblich besitzt, starken Anspruch darauf, noch lange zu leben. Trotz alledem sieht er äußerlich nicht so aus, als ob er es noch lange triebe. Man kann nicht leugnen, daß er schöne Kenntnisse besitzt. Ich werde mit ihm an einigen Artikeln der Färberei und der Verarbeitung von Wolle und Leinen arbeiten, um zu sehen, ob sich für unsere Manufakturen etwas herausschlagen läßt. Was mir mißfällt, ist, daß er oft von Millionen spricht, während er weit entfernt ist, darüber zu verfügen, und anscheinend nicht einmal Gold zu machen versteht.
Nachdem ich sein Vertrauen gewonnen hatte, brachte ich das Gespräch auf die Freimaurerei. Ohne Eifer noch selbst besondere Aufmerksamkeit für die Sache gestand er mir, er sei im vierten Grade, entsänne sich aber der Zeichen nicht mehr. Daher konnte ich nicht näher mit ihm darauf eingehen; denn er bewies durch nichts irgendwelche Kenntnisse des Systems der strikten Observanz. Schließlich bekundete er selbst Neugier über die Angelegenheit Schrepfers[477], und als ich ihm so viel davon sagte, als ich sagen konnte, tischte er mir eine Geschichte auf, die ihm in Paris begegnet war. Dort hatten eine Gesellschaft von etwa 200 Personen, an deren Spitze der blöde Herzog von Bouillon stand, und ein paar Damen, die für das System des Grafen Gabalis[478] schwärmten, seine Bekanntschaft zu machen gesucht, weil sie ihn für einen Oberen hielten. Aus alledem glaube ich zu schließen, daß[S. 337] er entweder sich sehr verstellt oder keiner der Unsrigen ist. Letzteres halte ich für wahrscheinlicher, zumal er in Dingen der Religion und der Philosophie ein nackter Materialist ist.
Bischoffwerder an Prinz Friedrich August
Elsterwerda, 9. Juli 1777.
Graf Welldone ist tatsächlich keiner der Unsrigen. Aber wenn er wirkliche Geheimnisse besitzt, so bin ich im Besitz des wichtigsten. Obgleich es gegen alle Regeln der Wahrscheinlichkeit ist:
1. daß die Sache überhaupt möglich ist,
2. daß ich zum Träger eines so reichen Arkanums bestimmt bin,
3. daß ich es als Novize empfangen habe, will ich doch mein Urteil von heute ab auf 14 Tage hinausschieben, wo kein Zweifel über die Sache mehr möglich sein wird. Nur Ihnen vertraue ich es an und werde ich sagen, was daran ist. Wäre es wohl eine Prüfung neuer Art? Denn es scheint mir bedenklich, daß ein so kostbares Arkanum mir durch die Hand eines Laien, eines Atheisten, angeboten wird.
Elsterwerda, 16. September 1777.
Die Versuche, die ich mit den mir von Saint-Germain mitgeteilten Geheimverfahren angestellt habe, sind von erstaunlicher Wirkung. Stets unter der mindesten Bedingung meines Ehrenwortes, zu schweigen; ich begreife bis heute nicht, warum ich ihr Träger geworden bin.
[S. 338]
Ein ungewöhnlicher Mann, in der Welt als Graf Saint-Germain bekannt, kam nach Berlin und blieb dort über ein Jahr. Der Abbé Pernety[481] besuchte ihn als Adept sofort und erzählte uns Wunderdinge von ihm.
Der Graf war ein Greis, dessen Alter und Heimat unbekannt war. Er war indes noch sehr rüstig, obgleich[S. 339] etwas beleibt. Wie man sagte, besaß er das Geheimnis, Gold zu machen, ja sogar Diamanten. Er lebte — was weit wichtiger ist — seit ich weiß nicht wieviel hundert Jahren. Er war der ewige Jude, etwas ganz Wunderbares, zumal er alle europäischen Sprachen beherrschte. Saint-Germain nahm ein paar Zimmer in einem der ersten Gasthöfe Berlins. Er lebte dort sehr zurückgezogen, hatte zwei Diener und einen Mietswagen, der den ganzen Tag vor der Tür stand. Er bezahlte ihn gut, benutzte ihn aber nie.
Der alte Freiherr von Knyphausen[482] besuchte ihn sogleich als alten Bekannten und lud ihn dringend ein, bei ihm zu speisen. „Gern,“ sagte Saint-Germain, „aber nur, wenn Sie mir Ihren Wagen schicken. Ich kann keine Mietswagen brauchen; sie hängen zu schlecht in den Riemen.“ Bemerkenswert ist, daß der Unbekannte den Freiherrn immer nur „mein Sohn“ anredete.
Die Prinzessin Amalie[483] wollte ihn sehen, und er stellte sich pünktlich ein. Sie fragte ihn, aus welchem Lande er sei.
„Ich bin aus einem Lande,“ entgegnete er, „das nie Ausländer zu Herrschern gehabt hat.“
In dieser geschickten, rätselhaften Art beantwortete er alle Fragen Ihrer Königlichen Hoheit, die zuletzt ganz sprachlos war und ihn verabschiedete, ohne etwas von ihm erfahren zu haben.
Auch Frau du Troussel[484] wollte ihn sehen. Der Abbé Pernety spielte den Vermittler bei dieser Staatsaktion, und eines Abends kam der Graf zu ihr und speiste bei ihr. Man brachte das Gespräch auf den Stein der Weisen. Er[S. 340] bemerkte jedoch nur, die, welche sich damit beschäftigten, begingen zumeist eine wunderliche Torheit, indem sie nur das Feuer als Hauptelement in Anwendung brächten. Sie bedächten aber nicht, daß das Feuer auflöst und zerteilt und daß es somit widersinnig sei, mit Feuer zu arbeiten, wo es sich um eine neue Zusammensetzung handle. Hierüber redete er lang und breit und ging dann zu alltäglicheren Dingen über.
Er hatte feine, durchgeistigte Züge; man sah ihm den Mann aus guter Familie und von guter Erziehung an. Er soll der Lehrmeister des berüchtigten Cagliostro gewesen sein[485], der bekanntlich in Paris den Kardinal von Rohan[486] und so viele andere zum besten gehabt hat. Aber der Schüler konnte sich in keiner Weise mit dem Lehrer messen. Hat sich dieser doch bis zu seinem Tode ohne irgendein peinliches Abenteuer behauptet, wogegen der dreistere Cagliostro oft alles aufs Spiel gesetzt und seine Laufbahn in den Kerkern der römischen Inquisition beschlossen hat, ein trauriges, aber viel zu mildes Schicksal.
Die Geschichte des Grafen Saint-Germain zeigt einen klügeren und vorsichtigeren Abenteurer und nichts, was gegen die Ehre im eigentlichen Sinne verstößt. Nichts ist unredlich, alles wunderbar, nirgends Niedertracht und Ärgernis. Wenn es wahr ist, daß er Damen, die bei dem Trauerspiel „Mariamne“ weinten, gesagt hat: „Wie wäre es erst, meine Damen, hätten Sie sie wie ich gekannt, hätten Sie gesehen, wie liebenswürdig, reizvoll und schön sie war[487]!“ — wenn es wahr ist, daß er vom Leiden Jesu Christi gesagt hat: „Es war seine eigene Schuld; ich hatte es ihm vorhergesagt, daß er ein schlimmes Ende nehmen[S. 341] würde, wenn er seine Ziele nicht änderte“, — so sind das lächerliche Redensarten, aber im Sinne der Gesellschaftsordnung keine Verbrechen.
Als jener seltsame Mann in Berlin weilte, wagte ich eines Tages, mit dem französischen Gesandten, Herrn von Pons Saint-Maurice[488], über ihn zu reden. Insbesondere drückte ich mein Erstaunen über seine besonderen, nahen Beziehungen zu hochstehenden Personen aus, z. B. zum Kardinal de Bernis[489], von dem er vertrauliche Briefe aus der Zeit haben sollte, wo dieser Minister des Auswärtigen war. Der Gesandte ließ sich darüber nicht aus, brachte dann aber Mutmaßungen vor, die recht wahrscheinlich klangen.
„Ich nehme an,“ sagte er zu mir, „daß ein wirklich eigenartiger Mensch den Entschluß faßt, sich ein außerordentliches Schicksal zu zimmern und in der Welt eine Rolle zu spielen, die Erstaunen und allgemeines Aufsehen erregt. Ich nehme an, daß dieser Mann, einzig von dieser Vorstellung beherrscht und sich ihr ganz widmend, Geist besitzt, Kenntnisse erwirbt, auf alle Umstände ein scharfes Augenmerk hat und noch mehr Beharrlichkeit in der Ausführung seines Planes zeigt. Ich nehme besonders an, daß er seine Absichten in den Schleier tiefster Verschwiegenheit zu hüllen versteht und daß es ihm im Bedarfsfalle nie an Geistesgegenwart und Geschmeidigkeit fehlt. Ich nehme schließlich an, daß er ein beträchtliches Vermögen geerbt oder erworben hat, etwa 20000 Franken festes Einkommen. Wie wird ein solcher Mann sich nun benehmen? Er wird weder von seinem Alter noch von seiner Heimat, Familie und Person offen sprechen; er wird sich in den tiefsten Schleier des Geheimnisses hüllen, seine[S. 342] Einkünfte für ein paar Jahre zurücklegen und dadurch ein Kapital erübrigen, das er sicheren und bekannten Bankhäusern anvertraut. Wenn er nach Berlin kommt, wird er seine Gelder z. B. in Leipzig haben. Ein Berliner Bankhaus wird den Auftrag erhalten, ihm 20000 Franken oder mehr auszuzahlen. Er wird sie abheben und sie an ein Bankhaus in Hamburg senden, das sie ihm dann zurückschickt. Das gleiche Spiel wird er mit einigen Frankfurter Bankhäusern und in anderen Städten spielen; aber es wird stets das gleiche Kapital sein, bei dem er nur einige Prozente verliert, und er wird seinen Zweck erreichen; denn man erfährt, daß er allwöchentlich beträchtliche Summen von überall erhält, und wird nicht erfahren, was er damit macht, zumal wenn er wenig ausgibt und sich auf keinerlei Geschäfte einläßt. Alle anderen Wunderdinge, die man von solchen rätselhaften Unbekannten erzählt, lassen sich ebenso leicht natürlich erklären, wie die Gelder, die der Graf Saint-Germain so häufig erhält, obwohl er so wenig ausgibt.“
Madame du Troussel[491] hatte Zufälle, die man in Berlin für unheilbar hielt; deswegen begab sie sich in die Kur des berühmten Grafen von Saint-Germain. Dieser heilte[S. 343] sie aus dem Grunde, und sie zeigte jedermann einen Stein von der Größe eines Hühnereies, der ihr von Saint-Germain abgetrieben sei. Dennoch war das Berlinische Publikum argwöhnisch genug, zu glauben, was auch höchstwahrscheinlich ist: Saint-Germain habe sie bloß von einem Nachlasse ihrer Liebe für den schändlichen Bischof von Breslau[492] geheilt. Zwei Jahre nachher starb diese nicht unberühmte Berlinische Dame an einem hitzigen Fieber.
Dieser vor zwei Jahren im Dänisch-Holsteinischen verstorbene Abenteurer war ein würdiges Gegenstück des verstorbenen Grafen Cagliostro[494]. Auch er fand Bewunderer und Anhänger in Menge, und in welchem Tone ward er bewundert! Eben itzt bekomme ich einen großen Kupferstich[495] zu Gesichte, worin er mit einer unbedeutenden vornehmen Hofmannsmiene in einem prachtvollen Pelzkleide zu sehen ist, und worunter höchst merkwürdige Verse stehen, die mir eine Anzeige zu verdienen[S. 344] scheinen, um die Denkungsart solcher Menschen bekannt zu machen, die sich nicht schämen, von Zeit zu Zeit dergleichen Dinge in die Welt zu streuen.
Ich habe sehr wohl gewußt, daß viele Hohe und Niedere sich von diesem Menschen betören ließen, der weder öffentliche noch geheime wahre Künste und Wissenschaften besaß, obgleich er das Geheimnis verstand, viele glaubend zu machen, daß er ein Wundertäter sei; ein Geheimnis, das itzt so öffentlich, und man kann hinzusetzen, so plump getrieben wird, daß man nachgerade einsieht, wie leicht es ist, sobald nämlich nur jemand mit seinem Gewissen fertig wird, um alle Mittel zu seinem Zwecke anzuwenden.
Dieser Mensch, der mancherlei, aber nicht das geringste gründlich verstand, den in Dresden und Berlin kein gescheiter Mann achtete, der nicht die gemeinste Kenntnis von dem, was große Gelehrte in den wichtigsten Fächern geleistet haben, besaß, der nie etwas wirklich Gutes oder Schönes zustande gebracht hat, der nichts ordentlich gelernt hatte, sondern statt des schweren Studierens die leichtere Mühe magischer Zauberworte anwenden wollte: dieser Mensch war dreist genug, zu verstehn zu geben, daß er alles wisse und alles könne. Und er fand, leider! selbst unter den deutschen Fürsten manche, die ihm glaubten. Er sollte nicht bloß ein großer Tonkünstler sein, sondern die Geige so spielen, als wenn man drei Geigen zugleich hörte[496], und er spielte seine eine höchst mittelmäßig. Er sollte nicht bloß Leder und Wolle verbessern, sondern auch Diamanten von ihren Flecken reinigen und sogar mehrere zusammenschmelzen können, obgleich alle, die ihm in den erstern leichtern Künsten trauten, mit ihrem Schaden seine eitlen Versprechungen[S. 345] erfahren haben und die letztern schwerern Stücke niemals ein Mensch gesehen hat. Er sollte Gold machen können; doch wer kann das anitzt nicht? Er verstand, verjüngende oder gar unsterblich machende Arzeneien, namentlich ein gewisses Salz, zu verfertigen, so daß erdigte Teile dem aus Erde gebaueten Menschen ein überirdisches Los zusicherten. Er kaufte Häuser und Landgüter, ohne sie zu bezahlen, und man bewunderte, wo er das Geld dazu herbekäme usw.
Alles dies weiß ich sehr wohl. Auch weiß ich, daß er sogar dann noch Glauben fand, wenn er teils durch andere sagen ließ, teils wie aus Übereilung selbst zu verstehen gab, teils geradezu erklärte: er sei ganz ungemein alt; welches aber, nach Beschaffenheit der Umstände, sehr verschieden angegeben ward. Bald hatte er nur mit Kaiser Leopold[497] noch Briefe gewechselt, bald schon mit dem Adepten aus der Gold- und Rosenkreuzergesellschaft, Federico Gualdo[498][*], von dessen Kindheit an in Freundschaft gelebt, bald gar unserem Herrn Christus allerlei Rat in Absicht seines Verhaltens gegeben[**]. Ich weiß sogar,[S. 346] daß manche itzt noch, da er gestorben ist, glauben: er lebe und werde bald lebendig hervorgehn! Da er doch wirklich mausetot ist und wahrscheinlich itzt schon fault und stinkt, wie ein ganz gemeiner Mensch, der keine Wunder verrichten kann, und den nie ein Prinz begrüßt hat, auch tun würde.
Obgleich ich alles dies wußte, so hatte ich doch nie glauben können, daß man die unsinnige Verehrung eines solchen Menschen so weit treiben könnte, als ich es auf dem erwähnten Kupferstiche fand. Hier ist die ganze lobpreisende Unterschrift desselben:
Wer hätte glauben sollen, daß in unseren Tagen der Name Alchimist ein im Ernst gegebener Ehrenname sein könnte! Übrigens verdient der freilich ein berühmter Alchimist zu heißen, dessen Stimme die Natur gehorcht und auf dessen Ruf sie sich bewegt. Die Natur! Weiß man, was man sagt, wenn man solche Worte gebraucht? Aber die letzte Zeile, die letzte Zeile!
„Ist er nicht Gott, hat ihn ein Gott begeistert!“
Der bedingende Ausdruck des Gedankens im Vordersatze nimmt denselben offenbar als vielleicht wirklich und als zuverlässig möglich an. Und welchen Gedanken!
[S. 347]
Ich bin gewiß weder intolerant noch verketzernd, ich brauche nicht gern harte Worte und starke Beschuldigungen, wo noch lachender Spott hingehören kann; aber ich würde fürchten, mich des Namens eines Gottesverehrers unwürdig zu machen, wenn ich hier nicht ernsthaft und anklagend sagte: daß dieser schändliche Ausdruck eine der rasendsten Blasphemien enthält, deren sich je der verirrte menschliche Verstand schuldig gemacht hat. Gesetzt auch, dieser Mensch wäre so weise und einsichtsvoll gewesen, als er töricht und unwissend war, so edel, groß und bescheiden, als er kindisch, eitel und prahlerisch, so erhaben gesinnt, als er eigennützig, so offen und wahrhaft, als er ränkevoll und betrügerisch war usw. — so müßte doch jeder Mensch davor zurückbeben, diese Worte, die ich mich schäme, noch einmal hinzuschreiben, von ihm zu gebrauchen. Klarer, plumper Atheismus, der itzt wieder laut zu werden anfängt, ist minder schädlich und gefährlich als solch eine Menschenvergötterung. Traurig genug, wenn ich unter Mitbürgern leben sollte, die den erhabensten Gedanken nie gedacht hätten, die keinen Begriff von dem allgemeinen Vater der Natur und aller Menschen hätten, bei deren Moralität ich mich bloß auf ihr Gefühl oder die Furcht vor Strafen verlassen müßte! Aber tausendmal willkommen sei mir ihre Gesellschaft gegen solche Leute, die es für möglich, für denkbar halten können: daß ein schwacher Mensch, wie ich und sie, die ganze Natur regiere, daß ein beschränktes Wesen die Kraft in Händen habe, wodurch alles lebt und wodurch die Welt existiert, und daß dieser Mensch folglich den uneingeschränktesten Gehorsam, die unwiderstehlichste Befolgung in allen seinen Befehlen und wahre göttliche Verehrung verdiene! Ich schaudere, wenn ich mir vorstelle, wohin dies in Absicht der gesunden Vernunft, des[S. 348] Gewissens und der Regeln menschlicher Handlungen führen müßte.
Und wer braucht diesen Ausdruck? Nicht etwa barbarische Kamtschadalen, deren roher Verstand sich einen Gott gebildet hat, den der schmutzigste Erdensohn übertrifft, und die folglich einen Taschenspieler leicht vergöttern könnten. Nein, kultivierte Europäer tun es, deren Begriffe reiner sein müssen, und die wissen, daß der angestrengteste Verstand sich umsonst bemüht, einen Schatten von den großen Eigenschaften der Gottheit sich lebhaft zu denken, wenn er auch das Erhabenste, was seit Jahrtausenden die Welt kannte, in seiner Vorstellungskraft zusammensetzt. Noch mehr, die einzig fromm und rechtgläubig sein wollenden Christen tun es! Denn dieselben Menschen, die der Geisterseherei, der Goldmacherei und allen verworfenen Träumereien von geheimen Kräften der Natur und von itzigen Wundern anhängen, die den Vorspiegelungen eines Cagliostro, eines Saint-Germain, eines Schrepfer[500], eines Güldenfalk[501], eines Plumenoek[502] usw. Glauben beimessen, die im „Mystère de la Croix“ und im Buche „De l’erreur et de la vérité“[503] menschenbeglückende Weisheit suchen: eben diese sind es ja, die sich der höchsten Reinheit der Glaubenslehre rühmen und immer Frömmigkeit und echtes Christentum im Munde führen. Sie wissen ja so höhnend von Theologen[S. 349] nach der neuen Art, von Spöttern der Religion usw. zu reden, wenn denkende Köpfe die Kraft ihres Verstandes und ihren Untersuchungsgeist auch auf wahrhaft wichtige Dinge anwenden und dadurch zu Begriffen gelangen, die freilich von dem gerade itzt im Schwange gehenden System abweichen, die aber näher zur Sache zu treffen scheinen und schon von tausend frommen und rechtschaffenen Christen in mehreren Jahrhunderten auch gedacht wurden, wovon freilich diese Menschen von gestern her nichts wissen, deren Mangel an Sach- und Sprachkenntnis, Unwissenheit in der Geschichte, Bequemlichkeit im Nachbeten, Unvermögen im Selbstdenken und Aberglauben in williger Annehmung der abgeschmacktesten Behauptungen nur noch von ihrer hartherzigen Verdammungslust übertroffen wird. Diese sich selbst so nennende wahre reine Christen machen sich dann solcher Blasphemien schuldig, die den Grund aller Religion, aller Moralität und Tugend, alles Menschenverstandes und gesunder Vernunft untergraben! Dahin, dahin führt endlich der Weg dieser betrügerischen Heuchler, denen kein Deckmantel, auch der der christlichen Religion nicht, zu heilig ist!
**
*
Der bekannte Berliner Schriftsteller und Verleger Friedrich Nicolai (1732-1811) schreibt ähnlich[504]:
„Saint-Germain ward für einen Gott ausgegeben und erregte die Aufmerksamkeit vieler Fürsten und anderer gar nicht geistloser Köpfe.“
[S. 350]
Hamburg, 23. Oktober 1778.
Jetzt muß ich Ew. Hochwürden von einem besonderen Phänomen Nachricht geben. Ein sich nennender Graf Saint-Germain, der seine Abkunft nicht bekannt machen will, logiert hier in dem Wirtshause: Kaiserhof. Er führt großen Staat; es fehlt ihm nicht an Geld; er bezahlt alles comptant, erhält gleichwohl keine Rimessen[506]. Er schreibt Nacht und Tag, hat Correspondance mit den größesten gekrönten Häuptern, frequentiert außer der Gräfin Bentinck[507] und dem französischen Herrn Minister[508] nicht gern Gesellschaft. Seine Connaissance zu erlangen hält schwer. Er ist ein Liebhaber der Naturgeschichte, hat die Natur studiert und den dadurch erlangten Kenntnissen es zu verdanken, daß er jetzt 182 Jahr alt ist und so jung[S. 351] aussieht, wie ein Mann von 40 Jahr. Im engsten Vertrauen hat er einem Freunde von mir gesagt, daß er gewisse Tropfen besäße, wodurch er das alles, auch transmutationem metallorum[509] pp. bewirkte. In seiner Gegenwart hat er einen kupferreichen Gulden durch einige Tropfen in das feinste Silber, schlechtes Leder in das beste englische Leder und böhmische Steine in Diamanten verwandelt. Dabei ist er beständig vor sich, communiciert sich nicht leicht jemand, hat Überfluß an allen Sorten Gold und silbernen Münzen, die aussehen, als wenn sie erst aus der Münze kamen. Hat sich neulich ein ganz komplettes, silbernes, modernes Tafel-Service nach dem Modell, welches die Frau Gräfin Bentinck hat, machen lassen und sogleich baar in neuen vollwichtigen Dukaten bezahlt. Und doch erhält er von niemand Rimessen und ist auch an keinen Kaufmann adressiert. Wie geht das zu? Sollte der Mann wohl einer von denen sein, die wir bisher suchen?
Ich gebe mir alle Mühe, mit ihm auf eine gute Art bekannt zu werden; denn Zudringlichkeit würde schaden. Ein hier durchgereister dänischer Legationsrat hat den Mann in Paris, London und Haag gekannt und mir versichert, daß er daselbst ebenso, wie hier, sich verhalten hätte; daß er allenthalben bei Hofe gewesen und besondere Distinctions genossen hätte; daß man demohngeachtet nie seine wahre Abkunft habe erfahren können. Von der russischen Kaiserin[510], von der Prinzessin Amalia in Berlin[511] empfängt er fast posttäglich Briefe. Unsere Herren Ministers hier machen ihm die Cour, aber er familiarisiert sich nicht mit ihnen, sondern schreibt beständig und noch[S. 352] dazu im Dunkeln. Seine Bediente wissen nichts von ihm; er schafft sie ab, sowie er einen Ort verläßt. Nur einen Kammerdiener hat er bei sich, den der Legationsrat, mein Freund, schon in Paris, London und Haag bei ihm gesehen. Sollten Ew. Hochwürden mir etwas davon zur Aufklärung mitteilen können, so werde ich alles wagen, um den Mann näher zu entdecken.
[S. 353]
Bei meiner Rückkehr aus Berlin und Hanau sah ich in Altona[513] den berüchtigten Grafen Saint-Germain, welcher mir seine Freundschaft zuzuwenden schien, besonders als er hörte, daß ich kein Jäger sei und auch keine anderen Liebhabereien habe, welche dem Studium der höheren Naturwissenschaften hinderlich sind. Er sagte mir damals: „Ich werde Sie in Schleswig besuchen, und Sie sollen sehen, was wir zusammen für große Dinge ausrichten werden.“ Ich gab ihm zu verstehen, daß ich viele Gründe hätte, die Gunst, die er mir erweisen wolle, für den Augenblick nicht anzunehmen. Er entgegnete: „Ich weiß, daß ich zu Ihnen kommen muß, und ich muß Sie sprechen.“ Ich wußte kein anderes[S. 354] Mittel, um den Erörterungen auszuweichen, als ihm zu sagen, der Oberst Koeppern[514], welcher krank zurückgeblieben war, würde mir in einigen Tagen folgen und er möchte mit diesem darüber reden. Dann schrieb ich an Koeppern einen Brief, um ihm zu sagen, er möchte sein Möglichstes tun, um dem Grafen Saint-Germain zuvorzukommen und ihm, soviel als möglich, abzuraten, hierher zu kommen. Koeppern kam nach Altona und sprach mit ihm, aber der Graf antwortete ihm: „Sie können sagen, was Sie wollen, ich muß nach Schleswig gehen und werde nicht davon abstehen. Das Übrige wird sich finden. Sie werden Sorge tragen, mir dort eine Wohnung bereit zu halten usw.“ Koeppern teilte mir dies Ergebnis ihrer Unterhaltung mit, welches ich nicht billigen konnte.
Ich hatte übrigens bei der preußischen Armee[515] viele Erkundigungen über diesen ungewöhnlichen Mann eingezogen und hatte besonders mit meinem Freund, dem Obersten Frankenberg, über ihn gesprochen. Dieser sagte mir: „Sie können überzeugt sein, daß er kein Betrüger ist, und daß er große Kenntnisse besitzt. Er war in Dresden, als ich mit meiner Frau dort war. Er wollte uns Beiden wohl. Meine Frau wollte ein Paar Ohrgehänge verkaufen; ein Juwelier bot ihr eine Kleinigkeit dafür. Sie sprach in Gegenwart des Grafen davon, welcher zu ihr sagte: ‚Wollen Sie sie mir zeigen?’ Was sie auch tat. Dann sagte er: ‚Wollen Sie mir dieselben für einige Tage anvertrauen?’ Er gab sie ihr zurück, nachdem er sie verschönert hatte. Der Juwelier, welchem sie meine Frau[S. 355] darauf zeigte, sagte: ‚Das sind schöne Steine; die sind ganz anders als die, welche Sie mir früher zeigten!’ und er bezahlte mehr als das Doppelte dafür.“
Saint-Germain kam bald darauf nach Schleswig. Er sprach mit mir von großen Dingen, welche er zum Besten der Menschheit tun wolle usw. Ich hatte keine Lust dazu, aber zuletzt machte ich mir ein Gewissen daraus, Kenntnisse, die in jeder Hinsicht wichtig waren, auf Grund einer vermeintlichen Weisheit oder aus Geiz zurückzuweisen, und ich wurde sein Schüler.
Er sprach viel von der Verschönerung der Farben, welche fast nichts kostete, von der Verbesserung der Metalle, indem er hinzufügte, daß man durchaus kein Gold machen müsse, selbst wenn man es verstände, und diesem Grundsatz blieb er unbedingt treu. Die Edelsteine kosten den Einkaufspreis; aber wenn man ihre Verbesserung versteht, so wird ihr Wert unendlich gesteigert. Es gibt fast nichts in der Natur, was er nicht zu verbessern und nützlich zu machen verstand. Er vertraute mir fast alle seine Kenntnisse von der Natur der Dinge an, aber nur die Anfangsgründe, und ließ mich dann durch Versuche die Mittel zu Erreichung des Zwecks selbst suchen und freute sich ungemein über meine Fortschritte. So machte er es in Bezug auf die Metalle und die Steine; aber die Farben teilte er mir wirklich mit, sowie einige andere sehr wichtige Kenntnisse.
Man wird vielleicht neugierig sein, seine Geschichte kennen zu lernen, und ich will sie durchaus wahrheitsgetreu mit seinen eigenen Worten wiedergeben und nur die nötigen Erklärungen hinzufügen.
Wie er mir erzählte, war er 88 Jahre alt, als er hierher kam, und er starb in einem Alter von 92 oder 93. Er sagte mir, er sei der Sohn des Fürsten Rakoczy von Siebenbürgen[S. 356] und dessen erster Gattin, einer Tököly[516]. Er wurde unter den Schutz des letzten Medici[517] gestellt, der ihn als Kind in seinem eigenen Zimmer schlafen ließ. Als er hörte, daß seine beiden Brüder, Söhne der Prinzessin von Hessen-Rheinfels oder Rotenburg, wenn ich mich nicht irre, sich dem Kaiser Karl VI. unterworfen und nach dem Kaiser und der Kaiserin[518] die Namen San Carlo und Santa Elisabetta erhalten hätten, sagte er zu sich selbst: „Gut, dann will ich mich Sanctus Germanus, den heiligen Bruder, nennen[519].“
Ich kann allerdings seine Herkunft nicht verbürgen; aber daß er von dem letzten Medici außerordentlich begünstigt wurde, das habe ich auch von anderer Seite gehört. Dieses Haus war, wie bekannt, in den höchsten Wissenschaften bewandert, und es ist nicht zu verwundern, daß er dort seine ersten Kenntnisse schöpfte. Aber er behauptete, die Kräfte der Natur durch seinen eigenen Fleiß und seine Untersuchungen erforscht zu haben. Er kannte die Kräuter und Pflanzen aus dem Grunde und hatte Arzneien erfunden, deren er sich ständig bediente, und welche sein Leben und seine Gesundheit verlängerten. Ich habe noch alle seine Rezepte, aber nach seinem Tode eiferten die Ärzte sehr heftig gegen seine Wissenschaft.[S. 357] Wir hatten einen Arzt Lossau, welcher Apotheker gewesen war, und dem ich jährlich 1200 Taler gab, um die Arzneien zuzubereiten, welche der Graf Saint-Germain ihm vorschrieb, unter anderen und vorzugsweise seinen Tee, den die Reichen gegen Bezahlung und die Armen umsonst erhielten. Letztere genossen auch die Pflege dieses Arztes, welcher eine Menge Leute heilte und welchem meines Wissens niemand starb. Aber nach dem Tode desselben ward ich der Äußerungen müde, die ich von allen Seiten zu hören bekam, nahm alle meine Rezepte zurück und ersetzte Lossau nicht wieder.
Die Farbenfabrik wollte Saint-Germain hier im Lande gründen. Die des verstorbenen Otte[520] in Eckernförde stand leer und verlassen. Ich hatte somit Gelegenheit, diese Gebäude vor der Stadt billig zu kaufen, und setzte den Grafen Saint-Germain dorthin. Auch kaufte ich Seidenzeuge, Leinen usw. Außerdem waren vielerlei Gerätschaften zu einer solchen Fabrik erforderlich. Ich sah dort nach der Art, wie ich es gelernt und in einer Tasse selbst versucht hatte, 15 Pfund Seide in einem großen Kessel färben. Das gelang vollkommen. Man kann also nicht sagen, daß es im Großen nicht gehe.
Das Unglück wollte, daß der Graf Saint-Germain, als er nach Eckernförde kam, unten in einem feuchten Zimmer wohnte, wo er einen sehr starken Rheumatismus bekam, von welchem er sich trotz aller seiner Heilmittel nie wieder ganz erholte.
Ich besuchte ihn oft in Eckernförde und kehrte nie ohne neue höchst interessante Belehrungen zurück, da ich mir häufig die Fragen aufschrieb, welche ich ihm vorlegen wollte. In seiner letzten Lebenszeit fand ich ihn[S. 358] eines Tages sehr krank und, wie er glaubte, auf dem Punkte zu sterben. Er schwand zusehends dahin. Nachdem ich in seinem Schlafzimmer das Mittagessen eingenommen hatte, mußte ich mich allein vor sein Bett setzen, und er sprach dann viel rückhaltsloser über viele Dinge, sagte mir vieles voraus und ersuchte mich, so bald wie möglich wiederzukommen, was ich auch tat. Indes fand ich ihn bei meiner Rückkehr weniger krank, dafür aber desto schweigsamer. Als ich 1783 nach Kassel ging, sagte er mir, daß ich, im Fall er während meiner Abwesenheit sterben sollte, ein versiegeltes Billet von seiner Hand finden würde, welches mir genügen werde. Aber dieses Billet fand sich nicht; vielleicht hatte er es ungetreuen Händen anvertraut. Oftmals bin ich in ihn gedrungen, mir noch während seines Lebens das mitzuteilen, was er mir in diesem Billet hinterlassen wollte. Dann ward er traurig und rief: „Ach, wie unglücklich würde ich sein, mein lieber Prinz, wenn ich zu sprechen wagte!“
Er war vielleicht einer der größten Weltweisen, welche je gelebt haben. Er liebte die Menschheit; Geld verlangte er nur, um es den Armen zu geben. Er liebte selbst die Tiere, und sein Herz beschäftigte sich nur mit dem Glück anderer. Er glaubte, die Welt dadurch zu beglücken, daß er ihr zu billigeren Preisen neue Vergnügungen, schönere Stoffe und schönere Farben verschaffte; denn seine herrlichen Farben kosteten fast nichts. Ich habe nie einen Mann von klarerem Geiste gesehen, und dabei besaß er eine Gelehrsamkeit, besonders in der Geschichte, wie ich selten gefunden habe.
Er war in allen Ländern Europas gewesen, und ich kenne fast keines, wo er sich nicht längere Zeit aufgehalten hätte. Er kannte sie alle von Grund aus. In Konstantinopel[S. 359] und in der Türkei war er oft gewesen. Frankreich schien jedoch das Land zu sein, welches er am meisten liebte. Er wurde Ludwig XV. bei der Frau von Pompadour vorgestellt und nahm auch an den kleinen Soupers des Königs teil. Ludwig XV. hatte viel Vertrauen zu ihm. Er benutzte ihn unter der Hand, um einen Frieden mit England zu unterhandeln, und schickte ihn nach dem Haag[521]. Es war die Gewohnheit Ludwigs XV., ohne Vorwissen seiner Minister Emissäre zu benutzen, die er jedoch im Stiche ließ, sobald sie entdeckt wurden. Der Herzog von Choiseul hatte von seinen Umtrieben Kunde erhalten und wollte ihn festnehmen lassen. Er flüchtete aber noch bei Zeiten. Er vertauschte nun den Namen Saint-Germain mit dem eines Grafen Welldone.
Seine philosophischen Grundsätze über Religion waren der reine Materialismus, den er aber so scharfsinnig vorzutragen wußte, daß es schwer war, ihm siegreiche Beweise entgegenzustellen; aber ich hatte öfters das Glück, die Mängel der seinigen darzutun. Er war nichts weniger als ein Verehrer Christi, und da er sich in Bezug auf diesen Äußerungen erlaubte, die mir unangenehm waren, so sagte ich zu ihm: „Mein lieber Graf, es hängt von Ihnen ab, ob Sie an Jesus Christus glauben wollen oder nicht; aber ich gestehe Ihnen offen, daß Sie mir vielen Kummer verursachen, wenn Sie bei mir gegen Den sprechen, welchem ich so gänzlich ergeben bin.“ Er blieb einen Augenblick nachdenklich und antwortete: „Jesus Christus ist Nichts; aber Ihnen Kummer verursachen, das ist Etwas. Also verspreche ich Ihnen, nie wieder darüber mit Ihnen zu reden.“ Auf seinem Sterbebette, während meiner Abwesenheit, trug er eines Tages Lossau auf, mir, wenn ich von Kassel zurückkäme, zu sagen,[S. 360] daß Gott ihm die Gnade erwiesen habe, ihn seine Ansicht noch vor seinem Tode ändern zu lassen, und fügte hinzu, er wisse, wieviel Freude mir das machen und daß ich noch viel für sein Glück in einer anderen Welt tun werde.
17. April 1825.
Was Saint-Germain betrifft, so bin ich der einzige, dem er sich anvertraut hat. Er war der größte Geist, den ich kannte. Er starb bei vollem Verstande in Eckernförde. Ich war damals in Kassel. Er ließ mir durch seinen Arzt[523], der ein eingeweihter Bruder war, sagen, er stürbe im Glauben an Jesus Christus; das würde mich freuen. Wir haben viel zusammen über Religion gesprochen, aber er war nichts weniger als ängstlich.
Middelfort, jenseit des Kleinen Beltes, 2. November 1779.
Ich habe die Bekanntschaft des Grafen Saint-Germain gemacht und bin davon sehr befriedigt. Dreimal war ich [S. 361]bei ihm. Er hat große Kenntnisse in der Erforschung der Natur erworben ... Seine Kenntnisse sind sehr ausgedehnt, und seine Unterhaltung ist denkbar lehrreich.
Schleswig, 24. November 1779.
Wir haben hier auch den berüchtigten Abenteurer Saint-Germain. Er ist der kompletteste Charlatan, Narr, Schwätzer, Windbeutel und in gewisser Hinsicht Gauner, der seit lange gelebt hat. Unser Prinz[526] schätzt und ehrt ihn nach besten Kräften und ganzem Herzen. Er folgt darin seiner angeborenen Neigung für Leute dieses Schlages. Er nimmt täglich drei Stunden Unterricht bei ihm. Hoffentlich wird sein Leibarzt sich mit guten Mitteln versehen, um all die Winde zu vertreiben, mit denen Seine Hoheit sich zur Zeit so zuversichtlich vollpumpt. Dieser Saint-Germain mag trotz seiner allgemeinen Menschenliebe die Stadt Kopenhagen nicht leiden und wird sie nicht besuchen. Der Schlüssel des Rätsels liegt darin, daß Graf Bernstorff ihn vor langen Jahren in Paris als das erkannt hat, was er ist[527].
Schleswig, 11. Dezember 1779.
Ich verbrachte zwei Abende bei dem berüchtigten Saint-Germain. Ich bin so sicher wie von meinem Dasein überzeugt, daß er ein Abenteurer und ein Charlatan in jedem Belange ist. Zudem besitzt er eine glühende Einbildungskraft[S. 362] und betrügt sich daher vielleicht manchmal selbst, wie er andere betrügt. Er ist voller Geist und Kenntnisse — wahrer und falscher —, aber noch weit mehr erfüllt von Dünkel, Hochmut und maßloser, seltener Eigenliebe. Eine Religion hat er wohl nicht; er ist ein Materialist, ein zweiter La Mettrie[528]. Ich halte ihn, nach seinem Aussehen und seiner unsicheren Sprechweise zu schließen, unbedingt für einen portugiesischen oder spanischen Juden. Der Prinz macht sich mit diesem Manne unglaublich lächerlich. Er behauptet, nur 86 Jahre alt zu sein. Übrigens ist es unrecht von mir, schlecht von ihm zu reden; denn er liebt mich sehr.
Potsdam, 16. Oktober 1784.
Der Prinz von Hessen wird nach Kopenhagen reisen, um seine Tochter[530] mit dem Kronprinzen zu vermählen und, wenn er kann, Dänemark zu beherrschen. Er hat den Schwindler Saint-Germain verloren, und zum Trost dafür wird man ihn allmählich in die Staatsgeschäfte einführen.
[S. 363]
„Gestorben am 27. Februar 1784. Am 2. März der sich so nennende Graf von St. Germain und Welldone — weitere Nachrichten sind nicht bekannt worden — in hiesiger Kirche still[532] beigesetzt.“
„1783[534], 1. März, den allhie verstorbenen Grafen von St. Germain eine Begräbniß-Stelle in der hiesigen St. Nikolai-Kirche in das Begräbniß sub Nr. 1 auf 30 Jahr Verwesungs-Zeit: 10 Rthlr., und für Eröffnung desselben: 2 Rthlr. — zus[ammen]: 12 Rthlr.“
[S. 364]
„Der Herr Graf von St. Germain d[en] 2. März in der Kirche beigesetzt morgens ... 12 Mark.“
Wir, Bürgermeister und Rat der Stadt Eckernförde, fügen allen, so daran gelegen, hiedurch zu wissen:
Demnach der auswärts sowohl als hieselbst unter dem Namen Comte de Saint-Germain und Welldone bekannte und sich in den letzten 4 Jahren in hiesigen Landen aufgehaltene Herr Graf von Saint-Germain ohnlängst hieselbst zu Eckernförde Todes verfahren, dessen Nachlaß unter gerichtlicher Versiegelung genommen und es nötig gefunden worden, sowohl an seine etwanige Intestaterben, inmaßen von einem nachgelassenen Testamente bis hiezu nichts constiret[537], als an dessen etwanige Gläubiger ein öffentliches Proclama, diese Erbrechte und Forderungen gehörig anzugeben und zugleich in einem gewissen Termin zu rechtfertigen, ergehen zu lassen, —
als befehlen wir hiedurch allen und jeden, welche an den Nachlaß des obgedachten, hieselbst verstorbenen, sich genannten Grafen von Saint-Germain und Welldone einige, zu Recht bestehende Praetensiones[538] und Ansprüche, dieselben rühren her vel ex capite hereditatis, vel debiti,[S. 365] vel alio quocungue capite vel causa[539] sie immer wollen, zu haben vermeinen, hiemit ein für allemal und sub poena praeclusi[540], daß sie solche samt und sonders, und zwar die Einheimischen innerhalb 6, die Auswärtigen aber innerhalb 12 Wochen a die publicationis[541], im hiesigen Stadt-Secretariat rechtsbehörig angeben, die in Händen habende Documenta und Beweistümer in originali produciren, beglaubte Abschriften davon beim Protocollo zurücklassen, auch die unter hiesigem Foro[542] nicht Angesessenen Procuratores[543] ad Acta bestellen, mit der ausdrücklichen Commination[544] und Verwarnung, daß diejenigen, welche solches in den praefigirten[545] 6 und 12 Wochen zu thun verabsäumen, nach deren Ablauf nicht weiter gehöret, vielmehr praecludiret[546] und ihnen dann als itzt, und itzt als dann, perpetuum silentium[547] imponiret sein solle. Inmaßen dann auch zu Justificirung dieser Angaben sämtliche Profitentes[548] hiedurch ein für allemal und also peremtorie[549] citiret und verobladet werden, am 14. October dieses Jahres coram Magistratu[550] zu erscheinen, ihre Angaben gehörig zu justificiren und nach vorkommenden Umständen und Beschaffenheit des Nachlasses rechtliche Verfügung und Erkenntnis, eventualiter der Erstigkeit halber, zu gewärtigen. Wornach sich ein jeder, dem daran gelegen, zu achten und für Schaden zu hüten hat.
Signatum Eckernförde, den 3. April 1784.
Bürgermeister und Rat hieselbst.
[S. 366]
In dem 56. Stück der „Nachrichten“ vom 6. April 1784 heißt es: „Der große Chemiker Macquer[551] ist in Paris im vorigen Monate gestorben, wie auch in demselben der bekannte marktschreierische Herumstreicher der Graf von Saint-Germain.“
In dem 59. Stück vom 12. April steht der folgende Widerruf[552]:
Niederelbe, den 9. April 1784.
„Der Graf von Saint-Germain, dessen Tod in diesen Blättern erwähnt ist, verdient die beleidigenden Beiwörter keinesweges, deren man sich dabei von ihm bediente. Er hatte Eigenheiten, die aber bei einem Genie fast jedes Mal gefunden werden. Personen, die ihn genau gekannt haben, und deren Urteil nicht zweifelhaft ist, geben ihm das Zeugnis, daß er ein Mann von tiefen Einsichten in die Geheimnisse der Natur war, der das, was er wußte, bis ans Ende seines Lebens mit großer Tätigkeit zum Wohl der Menschheit anwandte. Große und einsichtsvolle Prinzen haben ihn ihrer Gewogenheit und ihres Schutzes[S. 367] gewürdigt. Als er schon vom Schlage gerührt war, so blieb er sich noch stets selbst bewußt und ertrug die Führung des großen Urhebers des Ganzen mit einer besonders hervorleuchtenden und Beispiel gebenden Unterwürfigkeit. Er starb den 24.[553] Februar.“
[S. 368]
[S. 375]
[S. 378]
Der Graf von Saint-Germain
|
|
Fürst Franz II. Rakoczy
|
|
Nikolaikirche in Eckernförde
|
|
Max Joseph Graf von Lamberg
|
|
Frau von Genlis
|
|
Elisabeth von Ansbach und Bayreuth (Lady Craven)
|
|
Cagliostro
|
|
Giacomo Casanova
|
|
Karl Graf Cobenzl
|
|
Staatskanzler Graf Kaunitz
|
|
Alexander Markgraf von Ansbach und Bayreuth
|
|
Schreiben Saint-Germains an Friedrich den Großen
|
|
Schreiben Saint-Germains an Prinz Friedrich August von
Braunschweig
|
|
Karl Prinz von Hessen
|
|
Christianspflegehaus in Eckernförde
|
|
Kirchenbuch von Eckernförde
|
Von diesem
Werke wurde eine Vorzugsausgabe
von vierhundert Exemplaren auf Bütten
in der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig gedruckt.
Diese Vorzugsausgabe ist numeriert und
in Ganz- und Halbleder
gebunden.
Fußnoten:
[1] Von dem Freiherrn von Gemmingen und von Casanova.
[2] Aufzeichnung Hardenbroeks von 1762.
[3] Michel de Montaigne (1533-1592), Essais, Buch 1, Kap. 20.
[4] Das Faksimile dieses Schreibens mit seiner vollen Namensunterschrift P. M. de Saint-Germain ist nach dem Original im British Museum zu London von J. Cooper-Oakley in ihrer Monographie „The comte de St. Germain“ (Mailand 1912) veröffentlicht.
[5] Vgl. Andrew Lang, Historical Mysteries, S. 259 (London 1904).
[6] Ein handschriftliches Exemplar der Abhandlung („Musique raisonnée, selon le bon sens, aux dames anglaises qui aiment le vrai goût en cet art“), 135 Seiten stark, befindet sich in der Bibliothek des Lobkowitzschen Schlosses in Raudnitz in Böhmen. Es ist einem Prinzen Lobkowitz gewidmet, wahrscheinlich dem General und Diplomaten Prinz Joseph Maria Karl (1725-1802), der gleichzeitig ein großer Musikfreund war und u. a. mit Karl Philipp Emanuel Bach in Hamburg einen Briefwechsel unterhielt.
[7] Beilage zu dem Schreiben des Grafen Kaunitz an Graf Cobenzl vom 19. April 1763.
[8] Bericht Hellens vom 8. Januar 1760.
[9] Aufzeichnung Bentincks vom 9. März 1760.
[10] Aufzeichnung Bentincks vom 4. April 1760.
[11] Weisungen Choiseuls an d’Affry vom 19. März und 11. April 1760.
[12] Bericht Hellens vom 5. April 1760.
[13] Bericht Hellens vom 15. März 1760.
[14] Vgl. v. Bilbassoff, Geschichte Katharinas II., deutsche Übersetzung, Bd. 2, Teil 1, S. 15 (Berlin 1893).
[15] Anfrage d’Affrys vom 23. März und Antwort Choiseuls vom 10. April 1762.
[16] Schreiben von Dubosc von 2. April 1777.
[17] Schreiben von Dubosc vom 2. und 12. April 1777.
[18] Schreiben von Dubosc vom 12. April 1777.
[19] Der schwedische Professor Björnstahl berichtet in seinem Reisetagebuch (Resa til Frankrike, Italien, Sweitz, Tyskland etc., Bd. 4, S. 172; Stockholm 1782), er habe am 21. Mai 1774 auf Schloß Hanau einen Herrn von Saint-Germain in Begleitung eines Lord Cavendish getroffen, die er in Lausanne kennen gelernt hatte und die auf dem Wege nach Kassel und Berlin waren. Dieser Saint-Germain war Hofmeister des Lords und hat daher mit unserem, damals schon am Ansbacher Hofe weilenden Helden nichts zu tun. Für den Besuch des Lords und seines Hofmeisters im Juli 1774 in Berlin vgl. „Politische Correspondenz Friedrichs des Großen“, Bd. 35, S. 418, und Tagebücher des Grafen Lehndorff, Nachträge, Bd. 2, S. 303 (Gotha 1913).
[20] Schreiben von Frölich vom 28. März, von Wurmb vom 19. Mai, von Bischoffwerder vom 9. Juli 1777.
[21] Schreiben Dressers vom 23. Oktober 1778.
[22] Vgl. die Zeitschrift „De Vrijmetselaar“ vom Mai 1911.
[23] Schreiben von Wurmb vom 19. Mai 1777.
[24] Bericht vom 25. Juni 1763.
[25] Bericht vom 25. Juni 1777.
[26] Die bisher bekannt gewordenen Namen, unter denen Saint-Germain auftrat, sind: Marquis de la croix noire (in London), Surmont (in Holland), in Italien: Marquis de Montferrat, Marquis d’Aymar, Graf Bellamare oder Belmar (in Venedig), Chevalier Schöning (in Pisa), Graf Soltikow (in Genua), dann Fürst Rakoczy und Graf Welldone.
[27] Baron Karl Heinrich von Gleichen (1733-1807), Diplomat in bayreuther, dann in dänischen Diensten. Er war ein Schöngeist und Theosoph, schrieb über philosophische und künstlerische Fragen, verfaßte u. a. eine Schrift über „Magie, Kabbala und geheime Gesellschaften“. Sein Freund, Graf A. v. Westerholt, veröffentlichte in den „Andenken für Freunde 1811 und 1812“ (Sulzbach) aus den „Erinnerungen“ den Abschnitt über Saint-Germain, der in deutscher Übersetzung im „Morgenblatt“ (1813) und in den von Vulpius herausgegebenen „Curiositäten der Vor- und Mitwelt“, Bd. 7, S. 12 ff. (Weimar 1818) erschien. Der obige Abdruck nach den von Grimblot herausgegebenen „Souvenirs de Charles Henri Baron de Gleichen“, S. 122 ff. (Paris 1868).
[28] Auf dem Wege von Kopenhagen nach Madrid, wohin er als dänischer Gesandter ging.
[29] Ludwig XV.
[30] König Franz I. von Frankreich (1494-1547); König Heinrich VIII. von England (1491-1547).
[31] Pariser Stadtviertel nördlich der Seine.
[32] Die Mutter von Johannes dem Täufer.
[33] Die Mutter von Maria.
[34] Im Jahre 325.
[35] Jean Rameau, französischer Komponist (1683-1764).
[36] Der auch sonst mehrfach erwähnte Chevalier Jacques Vincent Languet, Graf von Gergy, war von 1723 bis zu seinem Tode im Jahre 1734 Botschafter in Venedig.
[37] Vielmehr 1784 in Eckernförde.
[38] Philipp von Stosch (1691-1757), Kunstkenner und Kunstsammler. Er lebte seit 1731 in Florenz.
[39] Herzog Philipp II. von Orléans (1674-1723) führte nach dem Tode Ludwigs XIV. (1715) die Regentschaft für den unmündigen König Ludwig XV.
[40] Maria Anna von Pfalz-Neuburg (1667-1740), Witwe des 1700 gestorbenen Königs von Spanien Karl II.
[41] Herzog Stephan Franz von Choiseul war Staatssekretär des Auswärtigen, vermählt mit Luise Honorine, einer Tochter des Pariser Bankiers Crozat du Châtel.
[42] Robert Ignaz Solar de Breille, Malteserkomtur, 1758-1765 sardinischer Gesandter in Paris.
[43] Ludwig Karl August Graf Belle-Isle, Herzog von Vernon (1684 bis 1761), französischer Marschall und seit 1758 Kriegsminister.
[44] Im Sommer 1759.
[45] Für das folgende vgl. unten den Abschnitt: „Die Mission Saint-Germains im Haag.“
[46] Graf Ludwig August Augustin d’Affry (1713-1793).
[47] Graf Alexei Orlow, ein Bruder des Fürsten Gregor Orlow, des Günstlings der Zarin Katharina II., leitete während des Türkenkrieges 1768/74 die russische Expedition in den Archipel. Unter seinem Oberbefehl errang die russische Flotte am 5./6. Juli 1770 über die türkische den glänzenden Sieg bei Tschesme.
[48] Vgl. dazu den Abschnitt: „Saint-Germain in Ansbach.“
[49] Es liegt eine Verwechslung mit Graf Alexei vor, der im Frühjahr 1775 auf der Rückkehr aus Italien Nürnberg berührte.
[50] Karoline, Gemahlin des Markgrafen Alexander, geb. Prinzessin von Sachsen-Koburg († 1791).
[51] Prinz Karl hatte zwei Brüder, den Landgrafen Wilhelm IX. und Prinz Friedrich, der in holländischen Diensten stand.
[52] Dieser Angabe widerspricht der Aufruf des Magistrats von Eckernförde vom 3. April 1784 an die etwa vorhandenen Erben.
[53] Graf Maximilian Joseph Lamberg (1729-1792), Kaiserlicher Kammerherr, zunächst württembergischer Geheimer Rat, dann Oberhofmarschall des Fürstbischofs von Augsburg, lebte seit 1769 als Schöngeist philosophischen und wissenschaftlichen Studien. Der Abdruck nach seiner Schrift: „Le mémorial d’un mondain“, Bd. 1, S. 80 ff. (Au Cap Corse, 1774).
[54] Gemeint ist der Schah Nadir, bekannt unter dem Namen Thamas Chouli-Kan, der 1736 den persischen Thron bestieg, den Großmogul unterjochte und 1747 ermordet wurde.
[55] Herzog Friedrich von York, Sohn König Georgs III. von England, seit 1764 Fürstbischof von Osnabrück.
[56] Piso, ein Familienname des Calpurnischen Geschlechts.
[57] Graf Moritz von Sachsen, Sohn des Kurfürsten August des Starken von Sachsen und der Gräfin Aurora von Königsmarck, Marschall von Frankreich (1696-1750).
[58] Johanna Elisabeth (1712-1760), Witwe des 1747 gestorbenen Fürsten Christian August.
[59] Vulgata, Psalm 44, Vers 2; in Luthers Bibelübersetzung (Psalm 45): „Meine Zunge ist ein Griffel eines guten Schreibers.“
[61] Jean François de La Mothe Le Vayer († 1764), französischer Rechtsgelehrter.
[62] Vgl. für das folgende den Abschnitt: „Die Mission Saint-Germains im Haag.“
[63] Franz I. (1708-1765), Römischer Kaiser, Gemahl Maria Theresias.
[64] Über einen Aufenthalt Saint-Germains in Österreich liegt sonst keinerlei beglaubigte Nachricht vor.
[65] Fou ist im Französischen der Läufer im Schachspiel.
[66] Man muß als König oder als Narr geboren sein.
[67] Johann Heinrich Pott (1692-1777) und Andreas Sigismund Marggraf (1709-1783), Chemiker in Berlin; Guillaume François Rouelle (1703-1770), französischer Chemiker.
[68] Titel alchimistischer Werke.
[69] Robert Clive (1725-1774), der Eroberer Ostindiens.
[70] Charles Watson (1714-1757).
[71] John Stuart, Lord Bute (1713-1792), englischer Staatsmann, Günstling König Georgs III.
[72] Prinz Friedrich Ludwig von Wales, der Sohn König Georgs II., war 1751 gestorben.
[73] Trauerspiel von Voltaire.
[74] Vgl. Cooper-Oakley, S. 59.
[75] Gemeint ist wohl der bereits S. 13, Anm. 1 erwähnte Prinz Joseph Maria Karl Lobkowitz.
[76] Johann Ferdinand Opiz (1741-1812), österreichischer Schriftsteller, seit 1775 Bankalinspektor in Czaslau. Das Schreiben (undatiert) nach dem Abdruck bei Maynial, Casanova et son temps, S. 268 f. (Paris 1911).
[77] Vgl. „Lettres critiques, morales et politiques“, Bd. 1, S. 3 (Amsterdam 1786).
[78] Der berüchtigte Abenteurer Graf Alexander Cagliostro.
[79] Die Welt will betrogen werden.
[80] Vgl. Maynial, S. 269.
[81] Vgl. Maynial, S. 269 f.
[82] Gräfin Félicité von Genlis (1746-1830), geborene Marquise Ducrest de Saint-Aubin, französische Schriftstellerin. Ihre Erinnerungen an Saint-Germain, den sie im Winter 1759/60, also im Alter von 14 Jahren kennen lernte, sind erst rund 50 Jahre später niedergeschrieben, wie ihre Bemerkung über König Friedrich VI. von Dänemark (vgl. S. 75) beweist. Der obige Abdruck nach den „Mémoires inédits de Madame la comtesse de Genlis sur le dix-huitième siècle et la révolution française depuis 1756 jusqu’à nos jours“, Bd. 1, S. 134 ff. (Paris 1835).
[83] François Philidor (1726-1795), Komponist.
[84] Maurice Quentin de Latour (1704-1788); Carle Vanloo (1705-1765).
[85] Prinz Karl war vermählt mit Prinzessin Luise, der Schwester König Christians VII. (1749-1808); seine Tochter Sophie heiratete 1790 den Kronprinzen Friedrich (VI.), der als König von 1808 bis 1839 regierte.
[86] Pierre Jean Grosley (1718-1785), französischer Gelehrter und Schriftsteller. Der obige Abdruck nach seinen „Oeuvres inédites“, Bd. 3, S. 323 ff. (Paris 1813), aus der Beschreibung einer von ihm 1772 unternommenen Reise nach Holland.
[87] Vgl. den Abschnitt: „Die Mission Saint-Germains im Haag“.
[88] 1743-1745.
[89] In „Gil Blas“, dem berühmten Sittenroman von Alain René Lesage (1668-1747).
[90] Wohl das Attentat, das Damiens 1757 auf Ludwig XV. verübte.
[91] Bei dem Mann mit der eisernen Maske handelt es sich nach der neueren Forschung um einen Minister des Herzogs von Mantua, der in Pinerolo, wohin ihn Ludwig XIV. bringen ließ, verschwand.
[93] Vgl. „Hohenzollern-Jahrbuch“, Jahrg. 1911, S. 296.
[94] Vgl. „Un diplomate français à la cour de Cathérine II. Journal intime du chevalier de Corberon, 1775-1780“, hrsg. von Labande. Bd. 1, S. 195 f. (Paris 1901.)
[95] Charles Antoine Gouffier, Marquis von Heilly und Ribemont (geb. 1698), franz. Brigadegeneral.
[96] Vgl. „Des Reichsgrafen Ernst Ahasverus Heinrich Lehndorff Tagebücher nach seiner Kammerherrnzeit“. Hrsg. von K. E. Schmidt-Lötzen. Bd. 1, S. 6 f. (Gotha 1921.)
[97] Voltaires Trauerspiel: „Hérode et Mariamne“, 1724 zum erstenmal aufgeführt. Herodes der Große, Vierfürst von Galiläa, ließ seine Gemahlin Mariamne hinrichten.
[98] Vgl. die den „Mémoires sur la vie de Marie Antoinette“ angehängten „Anecdotes du règne de Louis XV“.
[100] Elisabeth Berkeley (1750-1828), in erster Ehe mit Lord Craven vermählt, heiratete nach ihrer Scheidung von demselben 1791 den Markgrafen Alexander von Ansbach. Der obige Abdruck nach den „Denkwürdigkeiten der Markgräfin von Ansbach“, Bd. 2, S. 27 f. (Stuttgart und Tübingen 1826). Zur Kritik derselben ist zu beachten, daß sie Saint-Germain persönlich nicht gekannt hat.
[102] Cäsar war in den Jahren 55 und 54 v. Chr. in England gelandet.
[103] Renée Charlotte Victoria de Froulay, Marquise de Créquy (1714-1803), Witwe des 1741 verstorbenen Generalleutnant Marquis Louis Marie de Créquy. Bei den „Erinnerungen“, denen der obige Abdruck entnommen ist, handelt es sich um eine Fälschung, die unter dem Titel „Souvenirs de la marquise de Créquy“ 1834 in sieben Bänden aus der Feder eines gewissen Cousin de Courchamps erschien. Trotzdem haben die im 3. Bande enthaltenen Angaben über Saint-Germain ernsthafte Beachtung gefunden.
[104] Jeanne Camus d’Urfé (1705-1775), geb. de Pontcarré, Witwe des 1734 gestorbenen Louis Christophe de La Rochefoucauld de Lascaris d’Urfé, Marquis de Langeac. Durch ihre alchimistischen Neigungen wurde sie das leichtgläubige Opfer von Abenteurern. Ihr Verkehr mit Saint-Germain ist durch sein Bild bezeugt, das in ihrem Salon hing, nach dem auch der Stich von Thomas (vgl. das Titelbild) angefertigt ist. Eine Kopie des Bildes befand sich auf Schloß Triesdorf, dem Sommersitz des Markgrafen von Ansbach.
[105] Die Brüderschaft der „Rosenkreuzer“, angeblich um 1400 von einem Deutschen, Christian Rosenkreutz, gegründet mit dem Ziel, die Welt zu reformieren. Den Namen der „Rosenkreuzer“ nahm auch eine alchimistische Gesellschaft an, die sich im Haag 1622 bildete und sich von dort aus weit verzweigte. Aus der Verquickung mit der Freimaurerei entstand dann zwischen 1756 und 1768 in Süddeutschland der Orden der „Gold- und Rosenkreuzer“.
[106] Antoine de Créquy, Herr von Créquy und von Canaples, Kardinal, Bischof von Nantes, dann von Amiens (geb. um 1531, † 1574).
[107] 1545-1547.
[108] Andreas Herkules de Fleury, Kardinal und Premierminister von Frankreich, war bereits 1743 gestorben.
[109] Louis Auguste Le Tonnelier Baron de Breteuil (1733-1807) erhielt erst 1783 dieses Amt.
[110] Die Schilderung des Äußeren, vor allem „der üppige Bart“, stimmt in keiner Weise zu dem durch Thomas’ Stich (vgl. das Titelbild) uns überlieferten Porträt von Saint-Germain.
[111] Der geschiedene Gatte der Marquise von Pompadour.
[112] Claude de Beauvoir, Herr von Chastellux, Vicomte d’Avallon (1385 oder 1386-1453), Marschall von Frankreich.
[113] Karl VI. (1380-1422).
[114] Nach der „Biographie Universelle“, Bd. 8, S. 8 f. (Paris 1844) war seine Mutter Jeanne de St.-Verain und seine erste Gemahlin Alix de Toucy.
[115] Alain Chartier (1386-1458) und Mellin de Saint-Gelais (1491 bis 1558), französische Dichter.
[116] Flamel, Schreiber in Paris und Verfasser alchimistischer Schriften, lebte in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Er soll zur Kenntnis der Darstellung des Steins der Weisen gelangt sein.
[117] Der berüchtigte Abenteurer Graf Alexander Cagliostro, mit seinem wahren Namen Joseph Balsamo (1743-1795), aus Palermo, verheiratet mit einem Mädchen aus niederem Stande, Lorenza Feliciani. Der obige Abdruck entstammt den „Mémoires authentiques pour servir à l’histoire du Comte de Cagliostro, par M. de Beaum ...“ (Paris 1785). Die Schrift ist eine Fälschung, ihr Verfasser Jean Pierre Louis de la Roche de Maire, Marquis de Luchet. Als Erdichtung ist Cagliostros Besuch bei Saint-Germain zu betrachten. Schon fast eine zehnjährige Abenteurerlaufbahn lag hinter ihm, mit langen Aufenthalten in London und Paris, als er 1779 in Petersburg auftauchte.
[118] Im Herbst 1779 war Saint-Germain nach Schleswig übergesiedelt.
[119] Auf dem Père Lachaise in Paris, wo damals die gute Gesellschaft hinströmte und Andachten verrichtete.
[120] Friedrich Anton Mesmer (1733-1815), Begründer der Lehre vom tierischen Magnetismus.
[121] Der Teich Bethesda.
[122] Die Geliebte des Epikur.
[123] Die Gemahlin des Kaisers Mark Aurel.
[124] Oströmische Kaiserin, nach dem Tode ihres Gemahls, Kaiser Leos IV., Vormünderin ihres Sohnes Konstantin VI., von Nikephoros (I.) gestürzt († 803).
[125] Als Anmerkung dem Texte der „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Grafen Cagliostro“ angehängt.
[127] Vorstadt von Paris.
[128] Jakob Heinrich Meister (1744-1826), ein geborener Schweizer, Mitarbeiter an der von Grimm und Diderot herausgegebenen „Correspondance littéraire, philosophique et critique“, machte den obigen kritischen Zusatz bei der Anzeige der „Mémoires authentiques“. Vgl. „Correspondance littéraire“, hrsg. von Tourneux, Bd. 14, S. 253 (Paris 1880).
[129] Die Darstellung geht offenbar auf die „Mémoires authentiques“ zurück. Sie entstammt einer anonymen Schrift: „Über Zauberglauben und andere Schwärmereien“, S. 378 (Leipzig 1787), die Vulpius in den von ihm herausgegebenen „Curiositäten der Vor- und Mitwelt“, Bd. 7, S. 11 f. (Weimar 1818) wieder abgedruckt hat.
[130] Nach der ebenfalls von dem Marquis Luchet (vgl. S. 100, Anm. 1) anonym herausgegebenen Schrift: „Essai sur les Illuminés“, S. 96 und 107 ff. (Paris 1789). Die Schrift erschien darauf in deutscher Übersetzung unter dem Titel: „Ist Cagliostro Chef der Illuminaten? oder das Buch Sur la secte des Illuminés, in deutsch“ (Gotha 1790). Die oben angehängte „Charakteristik“ war von dem anonymen Übersetzer (Johann Joachim Christoph Bode) zu Seite 128 der Schrift als Fußnote hinzugefügt.
[131] Guillaume Postel (1510-1581), französischer Schwarmgeist.
[132] Prinz Karl von Hessen. Vgl. den Abschnitt: „Saint-Germain in Schleswig und Eckernförde.“
[134] Die Illuminaten.
[135] Anläßlich einer Besprechung der Übersetzung: „Ist Cagliostro Chef der Illuminaten?“ durch Rw. in der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“, Bd. 7, S. 609 (Kiel 1792).
[136] Horace Walpole, Lord von Orford (1717-1797), Sohn des englischen Staatsmannes Robert Walpole, Mitglied des Parlaments. Er widmete sich später der Kunst und Literatur.
[137] Horace Man war englischer Gesandter in Florenz. Der obige Abdruck nach den von P. Toynbee herausgegebenen „Letters of Horace Walpole, fourth Earl of Orford“, Bd. 2, S. 161 (Oxford 1903).
[138] Anläßlich des Aufstandes des englischen Kronprätendenten Karl Eduard Stuart (1720-1788), Enkel des 1688 vertriebenen Königs Jakob II.
[140] Vgl. Letters of Horace Walpole, Bd. 6, S. 391 (Oxford 1904).
[141] Jean Jacques Rousseau (1712-1778), der bekannte Genfer Philosoph und Schriftsteller.
[142] Nach Maynial, S. 264.
[143] Jean Henri Maubert de Gouvest (1721-1767).
[144] Vgl. S. 119, Anm. 3.
[145] König Ludwig XV.
[146] Giacomo Casanova de Seingalt (1725-1798), der bekannte Abenteurer. Der obige Abdruck nach seinen „Mémoires écrits par lui-même“, Bd. 5, S. 223 ff. und 344 ff. (Paris 1832). Ihre historische Glaubwürdigkeit ist neuerdings stark angefochten.
[148] Anne Henry Gräfin Gergy, die Witwe des 1734 als französischer Botschafter in Venedig gestorbenen Grafen (vgl. S. 51).
[150] Herzog Christian IV. von Zweibrücken-Birkenfeld (1722 bis 1775).
[151] Schloß Chambord.
[152] Vgl. „Mémoires de Madame du Hausset, femme de chambre de madame de Pompadour“, S. 148 ff., 179 und 186 ff. (Paris 1824).
[153] König Franz I. von Frankreich (1494-1547).
[154] Anne Herzog von Montmorency (1492-1567), Connétable von Frankreich.
[155] Franz II. (1559-1560), Karl IX. (1560-1574) und Heinrich III. (1574-1589).
[156] Maria Stuart war in erster Ehe mit König Franz II. vermählt.
[157] Erste Gemahlin König Heinrichs IV., 1599 von ihm geschieden.
[160] Charles Antoine Armand (1708-1788), Marquis, seit 1758 Herzog von Gontaut, Generalleutnant.
[161] François Quesnay (1694-1774), Leibarzt Ludwigs XV. und Nationalökonom, Begründer der physiokratischen Schule.
[162] Maria Angelica, Herzogin von Brancas, war Ehrendame der Dauphine.
[163] François Joachim de Pierre, Graf Bernis (1715-1794), Abbé, Juni 1757 bis Oktober 1758 Staatssekretär des Auswärtigen, seit Oktober 1758 Kardinal, im Dezember 1758 aus Paris verwiesen, seit 1769 Gesandter in Rom.
[164] Jean Petitot (1607-1691), Erfinder der Emailmalerei.
[165] Don Joachim Antonio de Bazan y Melo, Marquis de San Gil, 1734-1746 spanischer Botschafter im Haag.
[166] Held eines spanischen Gaunerromans.
[167] Bruno von der Hellen, preußischer Geschäftsträger im Haag. Der Bericht nach der Ausfertigung im Preußischen Geheimen Staatsarchiv zu Berlin.
[168] Durch den Abschluß der Versailler Allianz vom 1. Mai 1756 mit dem Wiener Hofe war Frankreich auf Seite der Gegner Preußens getreten und stand mit Österreich und Rußland gegen Friedrich den Großen im Felde.
[169] Bei Kay am 23. Juli, wo der zum Diktator ernannte General von Wedell, und bei Kunersdorf am 12. August 1759, wo König Friedrich selbst von den Russen besiegt wurde.
[170] Der Generalkontrolleur der Finanzen, Étienne de Silhouette, erhielt am 21. November 1759 seine Entlassung.
[171] Der Marquis de Marigny war Generaldirektor der Königlichen Schlösser in Frankreich. Der obige Abdruck nach den von J. Cooper-Oakley in ihrer Monographie „The Comte de Saint-Germain“, S. 183 ff. im Auszug mitgeteilten Briefen in der Bibliothèque nationale in Paris.
[172] Haushofmeister der Schlösser Chambord und Blois.
[173] Gouverneur des Schlosses Chambord.
[174] In der Vorlage verschrieben: 1758.
[175] Graf Andreas Peter Bernstorff (1735-1797), dänischer Staatsmann. Er weilte 1757 in Frankreich. Nach dem Abdruck bei Maynial, S. 263 f.
[176] Charles Claude de Flahaut, Herr de la Billarderie, Graf d’Angiviller (1730-1809). Er war Kammerjunker bei den Kindern des 1765 gestorbenen Dauphins Ludwig gewesen. Nach seinen 1805 verfaßten Aufzeichnungen „Épisodes de ma vie“ in den von Bobé herausgegebenen „Efterladte Papirer fra den Reventlowske Familiekreds“, Bd. 7, S. 195 f. (Kopenhagen 1906).
[177] Prinz Karl von Hessen.
[178] Stephan Franz Graf von Stainville (1719-1785), am 11. November 1758 zum Staatssekretär des Auswärtigen ernannt und zum Herzog von Choiseul erhoben. Der obige Abdruck nach dem von J. Cooper-Oakley (S. 188 ff.) im Auszug mitgeteilten Schriftwechsel im Archiv des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten zu Paris.
[179] Vgl. S. 55, Anm. 1.
[180] Französischer Marinekommissar in Amsterdam.
[181] Heinrich Leonhard Johann Baptiste Bertin war der Nachfolger Silhouettes (vgl. S. 140 f.) als Generalkontrolleur der Finanzen.
[182] Jean Pâris de Montmartel, französischer Hofbankier, und sein Bruder Joseph Pâris-Duverney, gleichfalls Bankier.
[183] Vgl. S. 54, Anm. 2.
[184] Graf Willem Bentinck, Herr van Rhoon (1704-1773). Er hatte bei der Wiedereinführung der Statthalterschaft in Holland 1747 eine Rolle gespielt und war ein Anhänger Englands. Vgl. unten S. 162 ff. die Aufzeichnungen Bentincks.
[185] Inhaber eines Handelshauses in Amsterdam.
[187] Peter Steyn.
[188] Govert van Slingelandt, Generalsteuereinnehmer von Holland.
[189] Gemeint ist der von England und Preußen in Vorschlag gebrachte Friedenskongreß.
[190] Der sächsische Resident.
[191] Der russische Gesandte.
[192] Prinz Ludwig von Braunschweig-Wolfenbüttel (1718-1788) führte die Regierung für den minderjährigen Prinzen Wilhelm V. von Oranien.
[193] Der österreichische Gesandte.
[194] Die abschlägige Antwort von Österreich, Rußland und Frankreich auf die englisch-preußische Deklaration vom 25. November 1759 mit dem Vorschlag, einen Friedenskongreß zu beschicken.
[195] Der englische Gesandte.
[196] Heinrich Fagel, Greffier der Generalstaaten.
[197] Vgl. dafür unten S. 170 ff. die Berichte von Yorke.
[201] Mitglied des auswärtigen Ausschusses der Generalstaaten.
[203] Tobias Boas, Bankier im Haag.
[204] Vgl. C. A. van Sypesteyn, Voltaire, Saint-Germain, Cagliostro, Mirabeau en Nederland, S. 100 f. (Haag 1869).
[205] Vgl. C. A. van Sypesteyn, S. 100 f.
[206] Am 16. Mai wurde die Denkschrift d’Affrys darauf durch den Ratspensionär Steyn der Versammlung der Staaten von Holland mitgeteilt. Diese beschloß, daß die Denkschrift von den Herren der Ritterschaft und „anderen Hochedlen, die dem Großen Ausschuß als Ratgeber und Sachverständige beigegeben waren“, geprüft werden solle. Vgl. C. A. van Sypesteyn, S. 101 f.
[207] Für Bentinck vgl. S. 146, Anm. 1. Der obige Abdruck nach den von J. Cooper-Oakley (S. 225 ff.) im Auszug mitgeteilten „Papieren“ Bentincks im Königlichen Hausarchiv im Haag.
[208] Choiseul (damals noch Graf Stainville) war 1757 und 1758 bis zu seiner Berufung zum Staatssekretär des Auswärtigen (vgl. S. 144, Anm. 1) französischer Gesandter in Wien.
[209] Nicht in dem am 1. Mai 1756 zwischen Frankreich und Österreich geschlossenen Versailler Defensivvertrag, sondern erst in dem Offensivvertrag vom 1. Mai 1757 findet sich die geheime Abmachung, nach der Flandern dem Infanten Philipp, Herzog von Parma und Schwiegersohn König Ludwigs XV., abgetreten werden sollte, sobald Maria Theresia wiederum in den Besitz Schlesiens gelangt sei.
[210] Thomas Pelham, Herzog von Newcastle, englischer Erster Lord des Schatzes.
[211] John Carteret, Lord Granville, Präsident des Geheimen Rates.
[212] William Pitt, Lord Chatham (1708-1778), Staatssekretär und Premierminister.
[213] Neufville war Inhaber eines Handelshauses in Amsterdam.
[219] Linnières, angeblich ein Edelmann aus der Franche-Comté, hatte mit Saint-Germain eine Gesellschaft für die Herstellung von hydraulischen Maschinen zur Reinigung von Häfen, Kanälen und Flüssen begründet; doch trat letzterer nur als stiller Teilhaber auf (Bericht d’Affrys vom 27. Juni 1761, vgl. Cooper-Oakley, S. 221).
[221] Gerard Arnoud Hasselaar (1698-1766), Bürgermeister von Amsterdam.
[222] Der Erbstatthalter Wilhelm V. war am 8. März 1748 geboren.
[225] Joseph Yorke, englischer Generalmajor und Gesandter im Haag. Der Abdruck nach Abschriften im Geheimen Staatsarchiv in Berlin.
[226] Robert d’Arcy, Lord Holdernesse, englischer Staatssekretär.
[227] König Georg II. (1683-1760).
[228] In geheimen Besprechungen Yorkes mit dem französischen Botschafter Graf d’Affry.
[229] Vgl. S. 119 ff.
[230] Die Vermählung der Prinzessin Karoline, Schwester des Erbstatthalters Wilhelm V., mit dem Prinzen Karl von Nassau-Weilburg fand am 5. März statt.
[231] Nicolas René Berryer, der Chef des Departements für Marine und Kolonien.
[232] Die spanische Krone hatte im Herbst 1759 ihre Vermittlung für einen englisch-französischen Frieden angeboten.
[233] Mit Preußen und einigen deutschen Fürsten hatte England Subsidienverträge geschlossen.
[234] Die Kaiserin Maria Theresia und Zarin Elisabeth.
[235] Im Pariser Friedensschlusse von 1763 ging Kanada in englischen Besitz über; dagegen wurden die von England in Ostindien gemachten Eroberungen an Frankreich und das 1756 von den Franzosen eroberte Minorka an England zurückgegeben.
[236] Vgl. S. 130, Anm. 2.
[239] Graf Ludwig Clermont, Prinz von Bourbon-Condé, französischer Generalleutnant.
[240] Die Berichte des preußischen Geschäftsträgers von der Hellen (vgl. S. 139) sind dem Geheimen Staatsarchiv in Berlin entnommen; die Antworten des Königs nach dem Abdruck in der „Politischen Correspondenz Friedrichs des Großen“, Bd. 19 (Berlin 1892).
[241] Vgl. S. 139 ff.
[243] Am 18. März berichtet Hellen ausführlich über Yorkes Unterredung mit Saint-Germain (vgl. S. 172 ff.); am 27. teilt der König diesen Bericht seinem Gesandten in London, Freiherrn von Knyphausen, mit (vgl. „Politische Correspondenz“, Bd. 19, S. 198 ff.).
[244] Der österreichische Gesandte.
[246] Baron Reischach und Graf Golowkin.
[253] Vgl. S. 151. Das im Landeshauptarchiv zu Wolfenbüttel aufbewahrte Tagebuch des Prinzen Ludwig von Braunschweig enthält keine Aufzeichnungen über die ganze Saint-Germain-Episode.
[257] Dodo Heinrich Freiherr zu Inn- und Knyphausen, preußischer Gesandter, und Abraham Ludwig Michell, preußischer Geschäftsträger in London. Ihre Berichte sind dem Geheimen Staatsarchiv in Berlin entnommen; die Antworten des Königs nach dem Abdruck in der „Politischen Correspondenz“, Bd. 19.
[258] Vgl. S. 177 ff.
[262] In das Hauptquartier des Königs in Meißen.
[263] Vor seiner Berufung nach London (1758) war Knyphausen von 1751 bis Ende 1756 Gesandter am französischen Hofe gewesen.
[264] Weisungen des Königs für die Aufnahme Saint-Germains in Ostfriesland liegen weder im Geheimen Staatsarchiv in Berlin noch im Staatsarchiv in Aurich vor.
[265] Andrew Mitchell, englischer Gesandter am preußischen Hofe. Er begleitete den König ins Feld. Die Berichte nach dem Abdruck in: „Memoirs and Papers of Sir Andrew Mitchell, by Andrew Bißet, Bd. 2, S. 146 f. und 155 (London 1850).
[266] Vgl. S. 172 ff.
[267] Vgl. S. 119 ff.
[268] Nach dem Abdruck bei J. Cooper-Oakley, S. 141 f.
[271] Freiherr Thaddäus Reischach, österreichischer Gesandter im Haag; Graf Wenzel Kaunitz, österreichischer Hof- und Staatskanzler. Die Berichte Reischachs (im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien) sind großenteils gedruckt bei Gugitz, „Giacomo Casanova und sein Lebensroman“, S. 215 ff. (Wien, Prag und Leipzig 1921). Sie sind deutsch abgefaßt.
[273] Die Antwort der von Preußen und England zum Kongreß eingeladenen Höfe von Wien, Paris und Petersburg. Sie wurde am 3. April 1760 dem Prinzen Ludwig übergeben.
[274] Graf Georg Adam Starhemberg, österreichischer Botschafter in Paris.
[277] Vgl. S. 172 ff.
[279] Der französische Gesandte Martin von Lesseps in Brüssel.
[282] Vgl. S. 162 ff. und 172 ff.
[283] Maria Theresia.
[286] Vgl. S. 177 ff.
[287] Kerker.
[288] an Laden legen = sich ins Zeug legen.
[293] Johann Heinrich Kauderbach, kursächsischer Resident im Haag. Seine Berichte nebst der Antwort des Grafen Wackerbarth-Salmour nach dem Abdruck von K. v. Weber, „Aus vier Jahrhunderten“, Bd. 1, S. 306 ff. (Leipzig 1857).
[294] König August III. von Polen, Kurfürst von Sachsen (1733 bis 1763).
[295] Ludwig XV.
[297] König August II., der Starke, von Polen, Kurfürst von Sachsen (1694-1733).
[298] Fürst Alexander Golizyn, russischer Botschafter in London. Nach dem Abdruck bei J. Cooper-Oakley, S. 259 ff.
[299] Es leben die glücklich Geborenen!
[301] Vgl. S. 172 ff.
[302] Näheres ist über Macanas und Seckendorff nicht festzustellen.
[303] Graf Joseph Anton Gabaleon Wackerbarth-Salmour, kursächsischer Minister und Oberhofmeister des Kurprinzen Friedrich Christian und seiner Gemahlin Maria Antonia, einer bayrischen Prinzessin.
[304] Näheres läßt sich auch über Huldashop und sein Schicksal nicht ermitteln.
[306] Yorke.
[312] Nach dem „Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Voltaire“, hrsg. von Koser und H. Droysen, Bd. 3, S. 97 u. 102 (Leipzig 1911).
[313] Holland hatte Breda als Ort für die Friedenskonferenz den Mächten vorgeschlagen.
[314] Unübersetzbares Wortspiel: „Le Comte de Saint-Germain n’est qu’un conte pour rire.“
[315] Nach den „Werken Friedrichs des Großen“, hrsg. von G. B. Volz, Bd. 4, S. 32 f. (Berlin 1913).
[316] Freiherr Georg Ludwig Edelsheim. Er trat später aus preußischen in badische Dienste. Seine Pariser Sendung erfolgte im Februar 1760.
[317] Für die Einverleibung Sachsens.
[318] Frankreich hatte sich in der Erklärung vom 3. April (vgl. S. 196) bereit erklärt, seinen Zwist mit England durch einen Sonderfrieden zu schlichten.
[319] Nach Maynial, S. 264 ff.
[324] Graf Christian Konrad Danneskjold-Laurwigen (1723-1783), dänischer Admiral. Nach dem Abdruck bei J. Cooper-Oakley, S. 267 f.
[326] Nach dem Abdruck bei J. Cooper-Oakley, S. 222 f.
[328] Gijsbert Jan van Hardenbroek (1719-1788), Mitglied der Ritterschaft von Utrecht und Deputierter der Generalstaaten. Der obige Abdruck nach seinen von F. J. L. Krämer herausgegebenen „Gedenkschriften“, Bd. 1, S. 220 f. (Amsterdam 1901).
[329] In der Vorlage: pr. d’Es... (= prince d’Espagne). Saint-Germain gab sich für einen Sohn der spanischen Königin Maria Anna, Witwe König Karls II., aus.
[330] Graf Bertram Philipp Sigismund van Gronsfeld-Diepenbroek, früher holländischer Gesandter in Berlin und Madrid, seit 1761 Mitglied des Rates der Admiralität in Amsterdam.
[337] Graf Karl Cobenzl (1712-1770), bevollmächtigter Minister in den österreichischen Niederlanden. Nach den Akten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien.
[338] Rasse.
[339] Inhaberin eines großen Handelshauses in Brüssel.
[340] Österreichischer Staatsrat und Direktor der Lotterieverwaltung.
[341] Beilage zu dem Schreiben des Kanzlers Graf Kaunitz an Cobenzl vom 19. April.
[342] Vgl. S. 144 ff.
[343] Vgl. S. 225 ff.
[344] Vgl. S. 227 ff. und 229 ff.
[345] Rasse.
[346] Vgl. S. 144 ff.
[348] Marquis Jean Joseph de Laborde (1724-1794), französischer Hofbankier.
[349] Vgl. S. 162 ff.
[353] 29. Mai.
[354] Die Denkschrift von Saint-Germain liegt nicht vor. Wie Kaunitz in seinem Bericht vom 21. Juli an Maria Theresia (vgl. S. 264) schreibt, „wies er in seiner Denkschrift sowie in den gleichzeitig übersandten Bemerkungen des Grafen Cobenzl darauf hin, daß seine gefärbten Stoffe sowie die anderen Erzeugnisse seiner Geheimverfahren noch vervollkommnet werden könnten.“
[355] Johann Jakob von Dorn, Hofrat und Referendarius für die niederländischen Angelegenheiten in der Geheimen Hof- und Staatskanzlei.
[356] Johann Kunckel (1630-1703), deutscher Chemiker; Nicolas Lémery (1645-1715), französischer Chemiker.
[357] Dorn.
[358] Vgl. S. 241, Anm. 1.
[360] Das Schreiben der Frau Nettine an Dorn liegt nicht vor.
[361] Graf Philipp Cobenzl (1741-1810), später Diplomat und Staatsmann und 1792 Kaunitz’ Nachfolger als Hof- und Staatskanzler.
[362] Der Statthalter der österreichischen Niederlande, Prinz Karl von Lothringen (1712-1780), der Schwager Maria Theresias.
[364] Der Gulden zählte 20 Sols, der Sol (Sou) 12 Pfennige (deniers).
[365] In der Vorlage unterstrichen.
[367] In der Vorlage unterstrichen.
[368] Vgl. S. 227 ff.
[369] In der Vorlage unterstrichen.
[375] Vgl. S. 231 ff.
[376] Vgl. S. 225 ff. und 227 ff.
[379] Vgl. S. 233 ff.
[380] In der Vorlage unterstrichen.
[381] Vgl. S. 237 ff.
[383] Vgl. S. 247 ff.
[390] Vgl. S. 247 ff.
[391] Vgl. S. 261 ff.
[393] Vgl. S. 227 ff.
[394] Karl Friedrich (1728-1811), Markgraf von Baden-Durlach, seit 1771 auch von Baden-Baden, seit 1806 Großherzog.
[395] Nach dem Abdruck der „Souvenirs des différentes époques de ma vie“, die Graf Philipp Cobenzl (vgl. S. 250, Anm. 1) am Abend seines Lebens aufzeichnete. Vgl. A. v. Arneth, „Graf Philipp Cobenzl und seine Memoiren“, S. 84 ff. (Wien 1885).
[397] Vielmehr in Eckernförde.
[398] Casanova (vgl. S. 122 ff.) verlegt in seinen „Mémoires“ (Bd. 10, S. 56 ff.; Brüssel 1838) die obige Erzählung nach seiner Flucht aus England in den März 1764. Da aber seine Angaben nicht immer zuverlässig sind und Saint-Germain nach Cobenzl (vgl. S. 279 f.) bereits im Herbst 1763 nach Deutschland ging, ist die Begegnung in Tournai entsprechend früher anzusetzen.
[401] Casanova war geschlechtskrank.
[402] 1784 in Eckernförde.
[403] Georg Keith, Lordmarschall von Schottland, war 1748 nach Preußen übergesiedelt und nahm 1764 seinen dauernden Wohnsitz in Potsdam.
[404] Der ungenannte Verfasser, der nach einer Mitteilung des Herausgebers Vulpius „am Hofe des Markgrafen“ lebte, war, wie Langeveld in einem Aufsatz über Saint-Germain in der Zeitschrift „De Vrijmetselaar“ (Mai 1911) angibt, der ansbachische Minister Freiherr Reinhard von Gemmingen-Guttenberg auf Bonfeld (1739 bis 1822), der die obigen Aufzeichnungen am 9. August 1817 dem Prinzen Christian von Hessen-Darmstadt sandte. Für diesen späten Zeitpunkt der Abfassung spricht auch die mehrfache Erwähnung der „Erinnerungen“ des Barons von Gleichen, die zum erstenmal 1811/12 veröffentlicht wurden (vgl. S. 47, Anm. 1). Die obige Wiedergabe nach dem Abdruck in den von Vulpius herausgegebenen „Curiositäten der Vor- und Mitwelt“, Bd. 8, S. 279 ff. (Weimar 1820). Die Vorlage ist deutsch.
[405] Markgraf Alexander (Karl Alexander) (1736-1806), übernahm 1757 die Regierung in Ansbach; 1769 erfolgte die Vereinigung mit Bayreuth und 1791 die Übertragung beider Fürstentümer an Preußen. Seitdem lebte der Fürst in England. Er war in erster Ehe vermählt mit Prinzessin Karoline von Sachsen-Koburg, in zweiter Ehe mit Lady Craven (vgl. S. 89).
[406] 1768-1774.
[407] Hippolyte Clairon (Claire Josèphe Hippolyte Leyris de la Tude), (1723-1803), hatte 1763 die Pariser Bühne verlassen. Auf Einladung des Markgrafen war sie 1773 nach Ansbach übergesiedelt und blieb dort bis 1791.
[410] „Der treue Schäfer“ (1585), ein Epos in Dialogform, das Hauptwerk des ferraresischen Hofdichters Giovanni Batista Guarini (1538-1612).
[413] Fürst Franz II. Rakoczy (1676-1735), der Führer des siebenbürgischen Aufstandes (1702-1711).
[414] Von den beiden überlebenden Söhnen des Fürsten starb der ältere, Joseph, 1738 in Cernavoda (mit Hinterlassung einer Tochter, Josepha Charlotte, die 1780 als Nonne starb), und der jüngere, Georg, 1756 in Frankreich.
[416] Vgl. dazu oben S. 144 ff.
[418] Vgl. S. 217. Die „Oeuvres posthumes“, die erste Gesamtausgabe seiner Werke, waren 1788 erschienen.
[419] Vielmehr 1784.
[420] „Oh, wie sind die geistvollen Menschen doch dumm!“ Ausspruch der Zofe Susanne in Beaumarchais’ Lustspiel: „La folle journée ou le mariage de Figaro“ (Akt I, Szene 1).
[422] Dehnbar.
[424] Das gesegnete Wasser.
[425] Mannschaft.
[427] Vgl. S. 86. Zugrunde gelegt ist die deutsche Übersetzung der „Tagebücher nach seiner Kammerherrnzeit“, Bd. I, S. 50 f.
[428] Johann Friedrich Bause (1738-1814); Anton Graff (1736 bis 1813).
[432] Philipp Karl von Alvensleben (1745-1802), preußischer Gesandter in Dresden, später im Haag und in London, seit 1791 Kabinettsminister. Seine Korrespondenz mit dem König nach den Akten des Geheimen Staatsarchivs in Berlin.
[434] Wilhelmine (1751-1820), die Tochter des 1758 gestorbenen Prinzen August Wilhelm, Nichte des Königs, Gemahlin des Erbstatthalters von Holland, Wilhelm V. Die Briefe des Königs nach den Urschriften im Königlichen Hausarchiv im Haag; die Antworten der Prinzessin liegen nicht vor.
[436] Vgl. S. 288 ff.
[437] Graf Camillo Marcolini (1739-1814), kursächsischer Kabinettsminister. Über seine Verhandlung mit Saint-Germain liegen im Hauptstaatsarchiv in Dresden keinerlei Nachrichten vor.
[439] Vgl. dazu unten die Liste von Saint-Germains Hand „Neue Physik“ usw. (S. 317 ff.).
[440] Katharina II. (1729-1796), seit 1762 Zarin.
[441] Das Defensivbündnis war 1764 zunächst auf acht Jahr abgeschlossen und später bis 1788 verlängert worden.
[442] Joseph II. (1741-1790).
[443] Viktor Amadeus III. (1726-1796).
[445] Jonathan Swift (1667-1745), der berühmte englische Schriftsteller und Sittenschilderer, Verfasser von „Gullivers Reisen“.
[446] Das Amt des Finanzministers in Frankreich.
[451] Prinz Heinrich (1726-1802), der Bruder des Königs. Der Briefwechsel mit ihm nach den Urschriften im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin.
[452] Vgl. S. 317 ff.
[453] Nach dem Abdruck bei K. v. Weber, „Aus vier Jahrhunderten“, Bd. I, S. 318 (Leipzig 1857). Die Antwort Maria Antonias auf das Schreiben vom 27. März ist nicht erhalten.
[454] Prinz Friedrich August (1740-1805), Sohn des Herzogs Karl und Neffe Friedrichs des Großen, preußischer Generalleutnant. Der Prinz war Großmeister der Loge „Zu den drei Weltkugeln“ in Berlin und Großprior der Freimaurerlogen der „strikten Observanz“ in den preußischen Staaten. Der folgende Briefwechsel stammt aus seinem Nachlaß in der Braunschweigischen Landesbibliothek zu Wolfenbüttel.
[455] Sächsischer Kammerrat und Bankier, Rosenkreuzer.
[456] Das Schreiben liegt nicht vor.
[457] Während des Türkenkrieges (1768-1774).
[458] Liegt nicht vor.
[459] Johann Rudolf von Bischoffwerder (1741-1803), Stallmeister des sächsischen Prinzen Karl, Herzogs von Kurland. Er trat 1778 in preußischen Dienst, wurde später Generaladjutant König Friedrich Wilhelms II., den er in die Mysterien des Rosenkreuzer-Ordens einführte.
[460] Vgl. S. 324 ff.
[461] Evang. Johannis, Kap. 1, Vers 47: „Siehe, ein rechter Israelit, in welchem kein Falsch ist.“
[462] Das obige freimaurerische Zeichen, zusammengesetzt aus zwei Werkzeugen des Werkmaurers, dem geöffneten Zirkel und dem rechten Winkel, ist das Symbol der Vernunft und der Gerechtigkeit.
[463] Der Menschheitsbeglückung.
[464] Christian Emanuel Frölich, Kaufmann in Görlitz. Er gehörte den Rosenkreuzern an.
[465] Johann Konrad Hotz (1739-1799) stand 1758-1765 in württembergischen Diensten, weilte dann im Winter 1765-66 wahrscheinlich in Petersburg, trat darauf im Mai 1768 in das russische Heer, wo er den Krieg gegen die Polen und dann gegen die Türken mitmachte, wurde im Oktober 1775 Major im Kürassierregiment des Großfürst-Thronfolgers Paul. Ein Jahr später, im September 1776, verließ er den russischen Dienst, den er Anfang 1778 mit dem österreichischen vertauschte, um hier unter dem Namen „Freiherr Friedrich von Hotze“ bis zum Feldmarschall-Leutnant aufzurücken. Auch Hotz war Freimaurer.
[466] Graf Alexej Orlow.
[472] Karl (1733-1796), Sohn König Augusts III. von Polen, von 1758-1763 Herzog von Kurland, lebte seitdem in Dresden und Elsterwerda. Er stand den Bestrebungen der Rosenkreuzer nahe.
[475] Vgl. S. 335, Anm. 1.
[476] Friedrich Ludwig von Wurmb, kursächsischer Konferenzminister und Rosenkreuzer.
[477] Johann Georg Schrepfer, Kaffeewirt in Leipzig, hatte als Rosenkreuzer durch seine Geisterbeschwörungen eine große Rolle gespielt. Er hatte 1774 durch Selbstmord geendet.
[478] „Le comte de Gabalis“ war der Titel eines 1670 in Paris erschienenen Buches, in welchem sich sein Verfasser, der französische Schriftsteller de Montfaucon, Abbé de Villars (1635 bis 1673), mit feinem Spott gegen die Kabbala und Magie und gegen die Rosenkreuzer wandte; der erste Teil des Buches umfaßte „cinq entretriens sur les sciences secrètes“.
[479] Der Aufenthalt Saint-Germains in Berlin ist durch die drei folgenden Aufzeichnungen beglaubigt. Für die Zeitbestimmung ist die Erwähnung des französischen Gesandten Pons (vgl. S. 341), der von 1772-1782 am Berliner Hofe war, von Bedeutung. Die Zeit bis Sommer 1777 kommt nicht in Frage; denn in der Korrespondenz König Friedrichs mit Alvensleben (vgl. S. 306 ff.) wäre sicher ein früherer Besuch des Abenteurers berührt. Dazu ist sein Aufenthaltsort für die Zeit von 1774 bis Sommer 1777 nachweisbar. Da andrerseits der Graf im Oktober 1778 in Hamburg weilte und von dort im Sommer 1779 nach Schleswig übersiedelte, so bleibt für den Berliner Besuch nur die zwischen Sommer 1777 und Herbst 1778 liegende Frist. Weder das Geheime Staatsarchiv noch das Stadtarchiv in Berlin enthalten Nachrichten über Saint-Germains Aufenthalt daselbst.
[480] Dieudonné Thiébault (1733-1807), französischer Gelehrter, 1765-1784 als Lehrer an der „Académie des Nobles“ in Berlin, einer Art Ritterakademie, angestellt. Der obige Bericht nach seinen „Souvenirs de vingt ans de séjour à Berlin“, Bd. 5, S. 96 ff. (Paris 1804).
[481] Anton Joseph de Pernety (1716-1801), Benediktinermönch, 1767-1783 Zweiter Bibliothekar an der Königlichen Bibliothek in Berlin. Er war Freimaurer und Alchimist.
[483] Die jüngste unvermählte Schwester König Friedrichs, Äbtissin von Quedlinburg.
[484] Vgl. unten S. 342, Anm. 2.
[485] Vgl. S. 100 ff.
[486] Anspielung auf die berüchtigte Halsbandgeschichte.
[488] Louis Marie de Pons, Marquis de Saint-Maurice.
[490] Johann Georg Ritter von Zimmermann (1728-1795), Leibarzt und Hofrat in Hannover, war im Sommer 1786 an das Krankenlager Friedrichs des Großen berufen. In den „Fragmenten“ trug er kritiklos zusammen, was er in Potsdam und Berlin über den König und seinen Hof gehört hatte. Der obige Abdruck nach Bd. 2, S. 119 (Frankfurt und Leipzig 1790).
[491] Luise Juliane Dorothea von Schwerin (1736-1779), früher Hofdame der Königin-Mutter Sophie Dorothea, war in erster Ehe mit dem Domherrn Friedrich Konrad von Kleist und, von ihm geschieden, in zweiter Ehe mit dem 1778 verstorbenen Oberstleutnant der Artillerie du Troussel (Trossel) vermählt.
[492] Graf Philipp Gotthard Schaffgotsch (1716-1795). Fürstbischof von Breslau. Er ist durch seinen lockeren Lebenswandel berüchtigt und wurde wegen Hochverrats im Siebenjährigen Kriege abgesetzt und nach Oppeln verbannt, von wo er nach Österreich flüchtete.
[493] Nach dem Aufsatz des ungenannten Verfassers in der „Berlinischen Monatsschrift“, hrsg. von Gedicke und Biester, Bd. 5, S. 8 ff. (Berlin 1785).
[494] Cagliostro starb erst 1795.
[495] „Le comte de Saint-Germain. Gravé en 1783 par N. Thomas ... Tiré du cabinet de feue madame la marquise d’Urfé. A Paris.“ Vgl. das Titelbild und für die Verse unter dem Bilde S. 346.
[497] Kaiser Leopold I. (1658-1705).
[498] Federico Gualdo, angeblich ein Deutscher namens Friedrich Walter, lebte um 1680 in Venedig als Rosenkreuzer (vgl. S. 91).
[*] Anmerkung des Verfassers: Von welchem „Der zuverlässige Kompaß der Weisen“ (Vorrede, S. 43) berichtet: „Daß er noch gegenwärtig lebe und itzt fast 600 Jahre zurückgelegt habe“. Solche Sachen werden itzt in Deutschland geglaubt! und wer darüber lacht, ist ein Freigeist!
[**] Anmerkung des Verfassers: „Natürlich mußte ein Mann, der so vielen Zeiten und so vielen Völkern angehörte, mehrere Namen führen. Auch hatte er derselben eine ganze Menge und war sogar so freigebig damit, daß er bei uns mehr als einen annahm, welches doch teils nicht nötig, teils nicht ganz unverdächtig schien. Die bekanntesten seiner europäischen Namen in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren die zwei: Saint-Germain und Belmare.“
[501] Näheres über Güldenfalk ist nicht zu ermitteln.
[502] Anspielung auf die rosenkreuzerische Schrift: „C[arl] H[ubert] L[obreich] von Plumenoeks geoffenbarter Einfluß in das allgemeine Wohl der Staaten der ächten Freimaurerei, aus dem wahren Endzweck ihrer ursprünglichen Stiftung erwiesen“ (Amsterdam 1777). Ihr Verfasser war der freimaurerische Freiherr Hans Karl, bzw. sein älterer Bruder Hans Heinrich von Ecker und Eckhoffen.
[503] Freimaurerische Schriften.
[504] „Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781“, Bd. 7, Anhang S. 109 (Berlin und Stettin 1786).
[505] Joseph Philipp Dresser (1734-1783), Advokat in Hamburg und Freimaurer, 1773-1777 Meister vom Stuhl der Loge Georg. Baron Uffel war Oberappellationsrat in Celle und gleichfalls Freimaurer. Der obige Abdruck nach der Mitteilung in der Zeitschrift „Latomia“, 31. Jahrg., S. 404 f. (Leipzig 1908). Die Vorlage ist deutsch.
[506] Wechsel.
[507] Gräfin Charlotte Sophie, Gemahlin des Grafen Willem Bentinck (vgl. S. 146), seit 1740 von ihm geschieden, geb. Gräfin Aldenburg.
[508] Baron Mathias de la Houze.
[509] Verwandlung der Metalle.
[510] Katharina II.
[512] Prinz Karl (1744-1836), Sohn des regierenden Landgrafen Friedrich II., dänischer General und Statthalter der Herzogtümer Schleswig und Holstein. Er spielte im Freimaurertum eine Rolle, verfaßte 1824 die Schrift: „La pierre zodiacale du temple de Dendérah“. Die Darstellung des Prinzen nach den von ihm 1816/17 diktierten „Mémoires de mon temps“ (Kopenhagen 1861); zugrunde gelegt ist die deutsche Übersetzung von Bernhardi, S. 142 ff. (Kassel 1866).
[513] Prinz Karl war vom 24.-26. August 1779 in Altona.
[514] Karl Friedrich von Koeppern, Oberst und Hofmarschall des Prinzen.
[515] Prinz Karl hatte den Bayrischen Erbfolgekrieg im Gefolge König Friedrichs mitgemacht.
[516] Helene Zriny, Tochter des Banus von Kroatien, in erster Ehe mit Fürst Franz I. Rakoczy (1645-1676) und nach seinem Tode mit dem Magnaten Emerich Tököly vermählt. Ihr Sohn, Fürst Franz II. (1676-1735), heiratete 1694 die Prinzessin Charlotte Amalie von Hessen-Rheinfels-Wanfried (1679-1722), die ihm 1696 den Prinzen Leopold Georg († 1700) und ferner die Prinzen Joseph (1700-1738) und Georg (1701-1756) gebar. Diese erhielten am Wiener Hofe die Namen Marquis de San Marco und Marquis della Santa Elisabetta.
[517] Giovanni Gasto (1671-1737), Großherzog von Toskana.
[518] Karl VI. (1685-1740) und seine Gemahlin Elisabeth, geborene Prinzessin von Braunschweig († 1750).
[520] Friedrich Wilhelm Otte († 1766), Besitzer einer Fayencefabrik. Das Gebäude ist das heutige Christianspflegehaus.
[521] Vgl. S. 144 ff.
[522] Nach dem Abdruck in der Zeitschrift „De Vrijmetselaar“ vom Mai 1911.
[523] Lossau.
[524] Prinz Ferdinand von Braunschweig (1721-1792), ehemaliger preußischer Feldmarschall, seit 1772 Großprior aller deutscher Logen „strikter Observanz“. Er befand sich auf dem Wege zum Besuch am Kopenhagener Hofe. Das Schreiben nach der Urschrift in der Landesbibliothek zu Wolfenbüttel.
[525] Graf Friedrich Karl von Warnstedt (1750-1811), dänischer Staatsmann. Nach dem Abdruck in den von Bobé herausgegebenen „Efterladte Papirer fra den Reventlowske Familiekreds“, Bd. 6, S. 600 f. (Kopenhagen 1903).
[526] Prinz Karl von Hessen.
[528] Julien Offraye de La Mettrie (1709-1751), französischer Arzt und Philosoph, Verfasser der Schrift: „L’homme-machine“. Von Kirche und Wissenschaft verfolgt, fand er am preußischen Hofe eine Freistatt.
[529] Juliane Marie (1729-1796), Witwe des 1766 gestorbenen Königs Friedrich V., geborene Prinzessin von Braunschweig. Der Brief nach der Urschrift im Reichsarchiv zu Kopenhagen.
[530] Prinzessin Sophie (vgl. S. 75, Anm. 1).
[531] Vgl. das Faksimile.
[532] Ohne Rede des Geistlichen.
[533] Nach Bobé, „Johan Caspar Lavaters Reyse til Danmark i Sommeren 1793“, S. 157 f. (Kopenhagen 1898).
[534] Das Rechnungsjahr 1783 schloß mit Ostern 1784.
[535] Vgl. „Die Heimat“, Jahrg. 17, S. 44 (Kiel 1907).
[536] Aus den „Schleswig-Holsteinischen Anzeigen auf das Jahr 1784“, S. 404 f., 426 f. u. 451 f. (Glückstadt 1784).
[537] bekannt ist.
[538] Forderungen.
[539] aus Erb-, Schuld- oder irgend welchen anderen Ansprüchen.
[540] unter Strafe des Verlustes.
[541] vom Tage der Veröffentlichung an.
[542] Gerichtshof.
[543] Anwälte.
[544] Androhung.
[545] oberwähnten.
[546] ihres Anspruchs verlustig gehen.
[547] ewiges Stillschweigen.
[548] die Ansprüche erheben.
[549] endgültig.
[550] vor dem Rate.
[551] Der französische Chemiker Pierre Joseph Macquer (1718 bis 1784) war am 15. Februar gestorben.
[552] Nach der Mitteilung von Mauvillon im 2. Bande seiner „Geschichte Ferdinands, Herzogs von Braunschweig-Lüneburg“, S. 481 f. (Leipzig 1794) erfolgte der Widerruf vom 12. April durch den Herausgeber Julius August Remer (1738-1803), Professor der Geschichte und Direktor der Zeitungen in Braunschweig, auf Verlangen Herzog Ferdinands (vgl. S. 360), der ihm schrieb, daß er den Tod Saint-Germains „als einen ihn tief schmerzenden Vorfall, als den Verlust eines in seinen Augen vortrefflichen, großen, außerordentlichen Mannes“ empfinde.
[553] Vielmehr am 27. Februar.
[554] Nur die im Text vorkommenden Personen sind aufgenommen; nähere Nachweise über die wichtigeren unter ihnen finden sich in der Regel bei ihrer ersten Erwähnung.
[555] Das Verzeichnis dient lediglich der Nachweisung der Orte und Länder, die für Saint-Germains Wanderleben in Frage kommen. Da er sich in Frankreich, England und Holland fast ausschließlich in den Hauptstädten aufhielt, sind auch die Seitenzahlen, wo nur allgemein das Land genannt ist, unter den Namen: Paris, London und dem Haag eingereiht. Kommen aus diesen Ländern noch andere Orte vor, sind auch diese angeführt.