The Project Gutenberg eBook of Das Friedensfest, by Gerhart Hauptmann
Title: Das Friedensfest
Author: Gerhart Hauptmann
Release Date: December 11, 2022 [eBook #69523]
Language: German
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1894 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
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Das Friedensfest.
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Von Gerhart Hauptmann erschienen im gleichen Verlage:
Vor Sonnenaufgang.
Soziales Drama.
6. Auflage.
Einsame Menschen.
Drama.
3. Auflage.
Die Weber.
Schauspiel aus den vierziger Jahren.
6. Auflage.
College Crampton.
Comödie.
2. Auflage.
Der Biberpelz.
Eine Diebscomödie.
2. Auflage.
Jeder Band eleg. geh. Mark 2.—
„ „ eleg.
geb. „ 3.—
Der Apostel. — Bahnwärter Thiel.
Novellistische Studien.
Geheftet Mark 1,50, gebunden Mark 2,50.
Hannele.
Eine Traumdichtung.
Reich illustrirt.
Geheftet Mark 5.—, in Prachtband gebunden Mark 7.50.
GERHART HAUPTMANN.
Eine Familienkatastrophe.
Bühnendichtung.
Sie finden in keinem Trauerspiele Handlung, als wo der Liebhaber zu Füßen fällt etc. . . .
Es hat ihnen nie beifallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von Leidenschaften, jede Folge von verschiedenen Gedanken, wo eine die andere aufhebt, eine Handlung sei; vielleicht weil sie viel zu mechanisch denken und fühlen, als daß sie sich irgend einer Thätigkeit dabei bewußt wären. — Ernsthaft sie zu widerlegen, wurde eine unnütze Mühe sein.
Lessing.
Abhandlungen über die Fabel.
Berlin 1894.
S. Fischer, Verlag.
Den Bühnen gegenüber Manuscript.
Dem Dichter
Theodor Fontane
ehrfurchtsvoll
zugeeignet.
Dr. med. Fritz Scholz,
68 Jahre alt.
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Soweit möglich, muß in den Masken eine Familienähnlichkeit
zum Ausdruck kommen.
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Minna Scholz, dessen Ehefrau, 46 Jahre alt.
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Auguste, 29 Jahre alt
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deren Kinder.
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Robert, 28 Jahre alt
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Wilhelm, 26 Jahre alt
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Frau Marie Buchner, 42 Jahre alt.
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Ida, ihre Tochter, 20 Jahre alt.
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Friebe, Hausknecht, 50 Jahre alt.
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Die Vorgänge dieser Dichtung spielen sich ab an einem Weihnachtsabend der 80er Jahre in einem einsamen Landhaus auf dem Schützenhügel bei Erkner. (Mark Brandenburg).
aller drei Vorgänge ist eine hohe, geräumige Halle, weiß getüncht, mit alterthümlichen Bildern, wie auch mit Geweihen und Thierköpfen aller Art behangen. Ein Kronleuchter aus Hirschgeweihen in der Mitte der Balkendecke angebracht, ist mit frischen Lichtern besteckt. Mitten in der Hinterwand ein nach innen vorspringendes Gehäuse mit Glasthür durch die man das schwere, geschnitzte Eichenportal des Hauses erblicken kann. Oben auf dem Gehäuse befindet sich ausgestopft ein balzender Auerhahn. Seitlich über dem Gehäuse rechts und links je ein Fenster, befroren und zum Theil mit Schnee verweht.
Die Wand rechts weist einen offenen, thorartigen Bogen auf, der nach der Treppe in die oberen Stockwerke führt. Von zwei niedrigen Thüren derselben Wand führt die eine nach dem Keller, die andere zur Küche. Die gegenüberliegende Wand hat ebenfalls zwei Thüren, welche beide in ein und dasselbe Zimmer führen. Zwischen diesen Thüren eine alte Standuhr, auf deren Dach ein ausgestopfter Kauz hockt. Die Möblirung des Raumes besteht aus alten, schweren Eichenholztischen und Stühlen. Parallel mit der Seitenwand, rechts vom Zuschauer eine weiß gedeckte Tafel. Rechts im Vordergrund ein eisernes Oefchen mit längs der Wand hingehender Rohrleitung. Alle Thüren sind bunt, die Thürfüllungen mit primitiven Malereien, Papageien etc. darstellend versehen.
Die Halle ist mit grünen Reisern ausgeschmückt. Auf den Steinfliesen liegt ein Christbaum ohne Fuß. Friebe zimmert auf der obersten Kellerstufe einen Fuß zurecht. Einander gegenüberstehend zu beiden Seiten der Tafel beschäftigen sich Frau Buchner und Frau Scholz damit, bunte Wachslichte in den dazu gehörigen Tüllen zu befestigen. Frau Buchner ist eine[S. 2] gesundaussehende, gut genährte, freundlich blickende Person, einfach, solid und sehr adrett gekleidet. Schlichte Haartracht. Ihre Bewegungen sind bestimmt, aber vollständig ungezwungen. Ihr ganzes Wesen drückt eine ungewöhnliche Herzlichkeit aus, die durchaus echt, auch wenn die Art, mit der sie sich kund giebt, zuweilen den Eindruck der Ziererei macht. Ihre Sprache ist geflissentlich rein, in Momenten des Affects deklamatorisch. Ein Hauch der Zufriedenheit und des Wohlbehagens scheint von ihr auszugehen. — Anders Frau Scholz: Sie ist eine über ihre Jahre hinaus gealterte Person mit den beginnenden Gebrechen des Greisenalters. Ihre Körperformen zeigen eine ungesunde Fettansammlung. Ihre Hautfarbe ist weißlichgrau. Ihre Toilette ist weniger als schlicht. Ihr Haar ist grau und nicht zusammengerafft; sie trägt eine Brille. Frau Scholz ist schußrig in ihren Bewegungen, ruhelos, hat eine zumeist weinerliche oder winsliche Sprechweise und erregt den Eindruck andauernder Aufgeregtheit. Während Frau Buchner nur für andere zu existiren scheint, hat Frau Scholz vollauf mit sich selbst zu thun. — Auf der Tafel zwei fünfarmige, mit Lichtern besteckte Girandolen. Weder der Kronleuchter noch die Girandolen sind angesteckt. Brennende Petroleumlampe.
Friebe (führt mit dem Beil einen Schlag): Da jeht mer ooch keen Schlag nich fehl.
Frau Scholz: — ffff!!! Ich kann’s doch aber nich hören, Friebe! wie oft hab’ ich Ihn’n schon . . . wie leicht kann Ih’n das Beil abfahren. Auf Steinen hackt man nich Holz!
Friebe: Da jarantir ick for. Wofor wär ick d’nn sonst zehn Jahre Rejimenter jewesen?
Frau Buchner: Regimenter?
Frau Scholz: Er war Vorarbeiter in den königlichen Forsten.
[S. 3]
Friebe: Keen — (er schlägt zu) — Schlag da — ä! (er schlägt) komm ich for uff.
(Er steigt herauf, betrachtet, was er gemacht hat, bei der Lampe und befestigt dann den Christbaum, so daß er aufrecht steht. Friebe ist klein, bereits ein wenig gebeugt, obeinig und hat eine Glatze. Sein kleines, bewegliches Affengesichtchen ist unrasirt. Kopfhaare und Bartstoppeln spielen in’s Gelblichgraue. Er ist ein Allerweltsbastler. Der Rock, welchen er trägt, ein Ding, das von Putzpulver, Oel, Stiefelwichse, Staub etc. starrt, ist für einen doppelt so großen Mann berechnet, deshalb die Aermel aufgekrempt, die Rockflügel weit übereinander gelegt. Er trägt eine braune, verhältnißmäßig saubre Hausknechtsschürze, unter welcher er von Zeit zu Zeit eine Schnupftabacksdose hervorzieht, um mit Empfindung zu schnupfen. Der Baum ist befestigt, Friebe hat ihn auf die Tafel gehoben, steht davor und betrachtet ihn). Een janzet — schönet — richtijet — Tannenbäumken! (mit wegwerfender Ueberlegenheit zu den Frauen hinüber) ’t is woll jar keens, wat?
Frau Buchner: Als ehemaliger Forstmann müssen Sie ja das wohl unterscheiden können.
Friebe: Na jewiß doch, det wär ja noch verrückter! was de nu de Fichte is . . . .
Frau Scholz (unterbricht ihn ungeduldig): Wir dürfen uns beileibe nich aufhalten Friebe. Meine Tochter hat extra gesagt: Daß Du mir Frieben schickst.
Friebe: Na . . . . i! . . . . meinswejen doch (mit einer wegwerfenden Handbewegung ab durch die Küchenthür.)
Frau Buchner: An dem habt Ihr wohl was?
Frau Scholz: I warum nich gar! ’n ganz verdrehter Zwickel. Wenn nich mei Mann . . . . na sehen Se, so war mei Mann; diese alte Schnupftabacknase, die war nu für ihn, die mußt’ er den[S. 4] ganzen Tag um sich haben, sonst war ihm nich wohl. Ein zu merkwürdiger Mann!
Auguste (in Hast und Bestürzung von draußen herein. Innen angelangt schlägt sie die Glasthür heftig in’s Schloß und stemmt sich dagegen, wie um Jemand den Eintritt zu verwehren.)
Frau Scholz (auf’s heftigste erschrocken schnell nach einander): O Gottogottogott!!!
Frau Buchner: — Ja — was . . .?
(Auguste ist lang aufgeschossen und auffallend mager, ihre Toilette ist hochmodern und geschmacklos. Pelzjacke, Pelzbarrett, Muff. Gesicht und Füße sind lang; das Gesicht scharf mit schmalen Lippen, die fest aufeinander passen und Zügen der Verbitterung. Sie trägt eine Lorgnette. Mit der Aufgeregtheit der Mutter verbindet sie ein pathologisch offensives Wesen. Diese Gestalt muß gleichsam eine Atmosphäre von Unzufriedenheit, Mißbehagen und Trostlosigkeit um sich verbreiten.)
Auguste: Draußen . . . . meiner Seele . . . . es ist Jemand hinter mir hergekommen.
Frau Buchner (die Uhr ziehend): Wilhelm vielleicht schon — nein, doch nicht. Der Zug kann noch nicht da sein, (zu Auguste) warten Sie doch mal! (sie greift nach der Thürklinke, um sie zu öffnen).
Auguste: Nich doch, nich doch!
Frau Buchner: Sie sind nervööös, liebes Kind, (sie geht durch die Glasthür und öffnet das Außenportal. Ein wenig zaghaft) Ist Jemand hier? — (resolut) Ist Jemand hier? (Pause, keine Antwort.)
Frau Scholz (erbost): Großartig wirklich — Ich dächte ma hätte gerade genug Aufregung. Man kann ja den Tod davon haben. Was Du och immer hast.
Auguste: Haben! haben! (batzig) was ich nur immer haben soll?!
[S. 5]
Frau Scholz: Du bist ja recht liebenswürdig zu deiner Mutter!
Auguste: Ach, meinswegen! — soll man sich etwa nicht fürchten, wenn man . . . . im Stockfinstern — mutterseelenallein . . . .
Frau Buchner (die Hände von rückwärts um ihre Taille legend, begütigend): Hitzkopf, Hitzkopf! — wer wird denn immer gleich soo sein?! — Kommen Sie (ist ihr beim Ablegen behülflich) so — sehen Sie!?
Auguste: Ach Frau Buchner, ’s is’ auch wahr!
Frau Buchner: Hört mal, Herrschaften! vier lange Tage sind wir nun schon bei Euch. Ich dächte . . . . wollt Ihr mich nicht Du nennen? — ja?! — schön! also . . . . (umarmt und küßt Auguste, desgleichen Frau Scholz).
Frau Scholz (bevor sie die Umarmung entgegennimmt): Wart nur wart, ich habe Wachshände.
Frau Buchner (zu Auguste, welche an das Oefchen getreten ist, um sich zu wärmen): Gelt, jetzt ist Dir schon gemüthlicher? — war die Bescheerung hübsch?
Auguste: Na, ich geh jedenfalls nicht mehr hin. Schlechte Luft, eine Hitze zum Umkommen.
Frau Buchner: Hat der Herr Pastor schön gesprochen?
Auguste: So viel steht fest: wenn ich arm wäre, ich hätte auf die Rede des Großmann hin . . . . wahrhaftig den ganzen Bettel hätte ich ihnen vor die Füße geschmissen.
Frau Buchner: Es ist aber doch ein großer Segen für die armen Leute.
[S. 6]
(Man hört hinter der Scene durch eine helle, schöne Frauenstimme gesungen:)
[1] Herzenstestament. Komponirt von Max Marschalk.
(Ida tritt ein von der Treppe her. Sie ist zwanzig Jahre alt und trägt ein schlichtes, schwarzes Wollkleid. Sie hat eine schöne, volle Gestalt, sehr kleinen Kopf und trägt das lange, gelbe Haar bei ihrem ersten Auftreten offen. In ihrem Wesen liegt etwas Stillvergnügtes, eine verschleierte Heiterkeit und Glückszuversicht; demgemäß ist der Ausdruck ihres klugen Gesichts meist heiter, geht aber auch mitunter plötzlich in einen milden Ernst über oder zeigt spontan tiefes Versonnensein.)
Ida (ein Handtuch um die Schultern gelegt, einige Cartons auf dem Arm): Es kam doch Jemand?
Frau Scholz: Auguste hat uns ’n schönen Schreck eingejagt.
Ida (rückwärts nach der Treppe deutend): Da oben ist’s auch recht ungemüthlich; (lachend) ich hab gemacht, daß ich runter kam.
Frau Scholz: Aber Kindel! über Dir wohnt ja jetzt noch Robert.
Ida (stellt die Cartons auf den Tisch; öffnet sie und entnimmt ihnen einige Gegenstände): Wenn auch! der ganze Stock ist doch immer leer.
Frau Buchner: Dein Haar müßte doch nun bald trocken sein, höre?
Ida (den Kopf anmuthig wendend und zurückwerfend): Fühl mal!
[S. 7]
Frau Buchner (thut es): O bewahre! — du hätt’st zeitiger baden sollen, Kind.
Ida: Was die alte Mähne doch für Mühe macht, eine ganze halbe Stunde hab ich am Ofen gehockt. (sie hat einem der Cartons eine gelbseidne Börse entnommen, die sie Augusten hinhält.) Die Farbe ist nett, wie? ’S is ja nur so ein kleines Späßchen. Hat er schon manchmal Börsen gehabt?
Auguste (über ihr Peluchejaquet hinweg, an dem sie herumreinigt, achselzuckend): Weiß nicht (sie bringt ihre kurzsichtigen Augen prüfend in nächste Nähe der Börse). Bischen sehr locker im Muster (sogleich wieder in ihre vorige Arbeit vertieft). Der Peluche ist hin.
Ida (ein Kistchen Cigarren aufbauend): Ich freu mich recht! — daß Ihr nur nie einen Baum geputzt habt —?
Auguste: Wenn man’s recht bedenkt: eigentlich ist das doch auch nichts für Erwachsene.
Frau Scholz: Nie! da hätt ich ihm nur kommen sollen, mei Mann hätt mich schöne gestenzt. Bei meinen seligen Eltern . . . . ja wenn ich denke . . . . was war das für ein scheeenes Familienleben! Kein Weihnachten ohne Baum (gleichsam Gang und Maniren des Vaters copirend), wenn der Vater so am Abend aus dem Bureau kam und die schööönen Lehmannschen Pfefferkuchen mitbrachte! (sie bringt Daumen und Zeigefinger, als ob sie ein Stückchen dieses superben Kuchens damit hielte, in die Nähe des Mundes), ach ja, das sind vergangene Zeiten! Mei Mann, — der aß nich mal Mittags mit uns zusammen. Er wohnte oben, wir[S. 8] unten; der reine Einsiedler. Wollte man was von ihm, dann mußte man sich weeß Gott hinter Frieben stecken.
Auguste (am Ofen, wo sie anlegt): Ach, red doch nicht immer so!
Frau Scholz: Heiz Du lieber nich so unsinnig.
Auguste: Ja, soll’s denn nicht warm werden?
Frau Scholz: Die ganze Hitze fliegt ja heut zum Schornstein ’naus.
Auguste (unschlüssig, erbost): Ja, soll denn nu nicht angelegt werden?
Frau Scholz: Laß mich zufrieden!
Auguste (wirft die Kohlenschaufel geräuschvoll in den Kasten): Na, dann nicht! (wüthend links ab).
Ida: Ach, Gustchen, bleibt da! (zu Fr. Scholz) paß auf, ich werd’ sie schon wieder fidel machen (ihr nach, ab.)
Frau Scholz (resignirt): So sind meine Kinder alle! — nein, so ein Mädel wirklich! — und kein Halten. Bald möcht’ se das, bald jen’s. — Da fällt’s ihr uffemal ein . . . . da muß se lernen. Dann steckt se oben und red wochenlang ke Wort — dann kommt se sich wieder mal ganz überflüssig vor. — Ach Du mein Gott ja, Du bist zu beneiden! So’n liebes Dingelchen wie Deine Tochter is . . . .
Frau Buchner: Aber Gustchen doch auch.
Frau Scholz: So allerliebst, wie sie Clavier spielt, und diese reizende Stimme! wie gern ich so ein paar Töne höre! . . . .
Frau Buchner: Warum spielst Du denn garnicht?
[S. 9]
Frau Scholz: I! da käm ich scheen an, da wäre mein bischen Ruhe vollends hin. Auguste ist ja so nervös . . . .! gerade wie ihr Vater, den konnte man auch jagen mit dem Clavierspiel.
Frau Buchner: Deinen Wilhelm solltest Du jetzt spielen hören; der hat sich vervollkommnet! — was wäre denn Ida ohne ihn? von ihm hat sie ja doch alles gelernt, was sie kann.
Frau Scholz: Ach ja, Du sagtest’s ja schon. Talentvoll ist er; davon is nicht die Rede. Es war ’ne Lust, ihn zu unterrichten.
Frau Buchner: Ach und er denkt mit solcher Rührung an die Zeit zurück, wo sein Muttelchen ihm die Anfangsgründe beibrachte.
Frau Scholz: So?! mein Gott ja, schöne Zeiten waren das ja auch. — . . . Damals dacht ich: — . . . Alles kommt anders . . . . — es regt mich doch sehr auf.
Frau Buchner: Es regt Dich . . . . was?
Frau Scholz: Nu, daß er kommt; wie sieht er denn jetzt eigentlich so aus?
Frau Buchner: Gut — dick — gesund — Du wirst Dich freuen über Deinen Sohn.
Frau Scholz: Ich muß mich wirklich wundern, daß der Junge kommt. Mei Herz hat mir manchmal richtig weh gethan; und was ich blos für Papier verschrieben hab’. Nich mal geantwortet hat er seiner alten Mutter. Wie hast Du ihn nur dazu gebracht? das kann ich nich begreifen, das kann ich nich begreifen.
[S. 10]
Frau Buchner: Ich? o nein, Ida hat das über ihn vermocht.
Frau Scholz: Robert kümmert sich ja auch nicht viel um uns, aber er kommt doch wenigstens alle Jahr einmal um die Weihnachtszeit ein paar Tage. Das lobt man sich doch! aber Wilhelm . . . . sechs volle Jahre ist er nich hiergewesen: er und mein Mann sechs volle Jahre! Kommt sie denn mit ihm aus?
Frau Buchner: Ida? sehr gut, in jeder Hinsicht.
Frau Scholz: Das ist aber doch zu wunderlich Du kannst Dir nämlich nich denken, wie verschlossen der Junge immer war, ganz wie der Vater. Keinen Spielkameraden, keinen Schulfreund, kein Nichts hatte er.
Frau Buchner: Ja, ja, so war er anfänglich auch uns gegenüber. — Er wollte durchaus nicht anders als zu den Clavierstunden unser Haus betreten.
Frau Scholz: Na und dann is er doch gekommen?
Frau Buchner: Das heißt . . . . ja. Er sagte; wir sollten ihn nur vorläufig in Ruhe lassen, und wenn er so weit wäre, dann würde er schon selbst kommen. Wir waren so vernünftig, ihm seinen Willen zu lassen, und richtig, nachdem wir ein halbes Jahr gewartet — eigentlich schon nicht mehr gewartet — kam er. Von da ab Tag für Tag. Da ist es denn nach und nach so ganz anders geworden.
[S. 11]
Frau Scholz: Ihr müßt hexen können. Die Verlobung allein schon ist ja ein ganz unbegreifliches Wunder für sich.
Frau Buchner: Mit Künstlern muß man umzugehen wissen. Ich hab’s gelernt, — mein seliger Mann war auch einer.
Frau Scholz: Und — die — Geschichte mit — Vater? — hat er Euch auch in — diese Geschichte eingeweiht?
Frau Buchner: N—ein liebe Freundin. — Siehst Du, das ist der allereinzigste Punkt, das ist . . . . In diesem Punkt hat er sich noch nicht überwinden können. Es läge ja nichts daran, aber Du kannst mir glauben, er leidet an der Erinnerung furchtbar. Bis auf den heutigen Tag leidet er. Nicht am wenigsten freilich dadurch, daß er die Sache geheim hält. Jedenfalls muß er darüber hinweg kommen, auch über diese Sache.
Frau Scholz: I’ Gott bewahre — nee, nee, nee, Alles was recht is. Ehre Vater und Mutter: die Hand, die sich gegen den eigenen Vater erhebt . . . . aus dem Grabe wachsen solche Hände. Wir haben uns gezankt, ja doch! wir haben beide Fehler mei Mann und ich; aber das sind unsre Sachen. Kein Mensch hat sich da ’neinzumischen, am wenigsten der eigne Sohn. — Und wer hat die Sache ausbaden müssen? natürlich ich. So ’ne alte Frau die hat ’n breiten Puckel. Mei Mann ging aus dem Hause, noch am selbigen Tage, und eine halbe Stunde später auch Wilhelm. Da half kein[S. 12] reden. Erst dachte ich, sie würden wiederkommen, aber wer nicht kam, das waren sie. Und Wilhelm allein, kein andrer Mensch is Schuld d’ran, kein andrer Mensch.
Frau Buchner: Wilhelm mag eine schwere Schuld haben, davon bin ich überzeugt, aber sieh mal, wenn man Jahre lang gebüßt hat und — — —
Frau Scholz: Ne, ne! i Gott! wo denkst Du hin?! darüber kann man nich so leicht hinweggehen. Das wäre noch schöner! es ist ja sehr schön von Dir, daß Du Dich des Jungen so angenommen hast, — es ist ja auch sehr hübsch, daß er kommt, ja warum denn nicht? Aber im Grunde, was nützt das alles? so leicht sind die Klüfte nicht auszufüllen. — Ja, ja, es sind Klüfte, — richtige — tiefe Klüfte zwischen uns Familiengliedern.
Frau Buchner: Ich glaube doch, daß wir Menschen mit dem festen, ehrlichen Willen . . . .
Frau Scholz: Der Wille, der Wille! geh mer nur damit! das kenn ich besser. Da mag man wollen und wollen und hundertmal wollen, und Alles bleibt doch beim Alten. Ne, ne! das ist ’n ganz andrer Schlag Deine Tochter: die is so, und Wilhelm is so, und beide bleiben, wie sie sind. Viel zu gutte Sorte für Einen von uns, viel, viel zu gutt. — Gott ja der Wille der Wille! — ja ja Alles gutter Wille — Dein Wille ist sehr gutt, aber ob Du damit was erreichen wirst —? ich glaube nicht.
Frau Buchner: Aber ich hoffe es um so fester.
[S. 13]
Frau Scholz: Kann ja alles sein. Ich will ja nichts verderben. Im Grunde freue ich mich ja auch von ganzem Herzen auf den Jungen, nur regt es mich sehr, sehr auf und paß auf: Du stellst es Dir viel zu leicht vor.
Ida (links hereinkommend zu Fr. Scholz, zuthunlich): Schwiegermütterchen, sie vergoldet Nüsse.
Frau Buchner: Es wird Zeit Idchen! Du mußt Dich hübsch machen. Er kann jetzt jeden Augenblick hier sein.
Ida (erschrocken): Soo? schon?
Frau Scholz: Ach macht ok keene Geschichten! für den Jungen is sie viel zu schön.
Frau Buchner: Ich hab Dir das Blaue zurechtgelegt (Ida’n nachrufend) und steck die Broche an, hörst Du! (Ida ab)
Frau Buchner (fortfahrend zu Fr. Scholz): Auf Schmuck giebt sie garnichts.
(Das Außenportal des Hauses geht.)
Frau Scholz: Wart . . . . wer? . . . . (zu Fr. Buchner) thu mer den Gefallen Du . . . . ich kann ihn jetzt noch nicht sehen, ich . . . .
Frau Buchner (an der Treppenthür hinaufrufend): Ida! Dein Wilhelm kommt.
(Dr. Scholz tritt ein durch die Glasthür.)
Dr. Scholz ist ungewöhnlich groß, breitschultrig, stark aufgeschwemmt. Gesicht fett, Teint grau und unrein, die Augen zeitweilig wie erstorben, zuweilen lackartig glänzend, vagirender, Blick. Er hat einen grauen und struppigen Backenbart. Seine Bewegungen sind schwerfällig und zitterig. Er spricht unterbrochen[S. 14] von keuchenden Athemzügen, als ob er Mehl im Munde hätte und stolpert über Silben.
Er ist ohne Sorgfalt gekleidet: ehemals braune, verschossene Sammetweste Rock und Beinkleider von indifferenter Färbung. Mütze mit großem Schild, steingrau, absonderlich in der Form. Rohseidnes Halstuch. Wäsche zerknittert. Zum Schnäuzen verwendet der Doctor ein großes, türkisches Taschentuch. Er führt bei seinem Eintritt ein spanisches Rohr mit Hirschhornkrücke in der Rechten, hat einen großen Militär-Reisehavelock umgehängt und trägt einen Pelzfußsack über den linken Arm.
Dr. Scholz: Servus! servus!
Frau Scholz (den Doctor wie eine überirdische Erscheinung anstarrend): Fritz! — —
Dr. Scholz: Ja wie Du sehen kannst.
Frau Scholz (mit einem Schrei ihren Mann umhalsend): Fritz!!! — — —
Auguste (öffnet die Thür links, fährt zugleich zurück): Der Vater!
(Fr. Buchner mit starrem Ausdruck rückwärts schreitend, ab durch linke Seitenthür.)
Dr. Scholz: Ich bin’s, wie Du siehst. Vor allem, Du: ist Friebe da?
Friebe (guckt durch die Küchenthür, erschrickt, kommt vollends hervor): Herr Doctor!! (er stürzt auf ihn zu, faßt und küßt seine beide Hände) nu bitt’ ick eenen Menschen! Jott soll mir’n Thaler schenken!
Dr. Scholz: Pssst! — sehen Sie mal nach — schließen Sie die Hausthür fest (Friebe nickt und vollführt den Befehl mit freudigem Eifer.)
Frau Scholz (vor Staunen außer sich): Aber sag mer nur Fritz! sag mer nur . . . . die Gedanken[S. 15] fliegen mer davon, (ihn weinend umhalsend) ach Fritz! was hast Du mir für Kummer gemacht in der langen Zeit!
Dr. Scholz (seine Frau sanft zurückdrängend): Ach, Du . . . . mein Leben ist auch . . . . wir wollen uns doch lieber nicht von Anfang an mit Vorwürfen . . . . Du bist doch immer die alte wehleidige Seele, (mit gelinder Bitterkeit) übrigens würde ich Dich sicher nicht belästigt haben, wenn nicht . . . . (Friebe nimmt ihm Mantel, Fußsack etc. ab.) Es giebt Lebenslagen, liebe Minna . . . . wenn man wie ich einflußreiche Gegner hat.
(Friebe ab durch den Treppenausgang, mit den Sachen des Doctor.)
Frau Scholz (gutmüthig schmollend): Es hat Dich doch Niemand geheißen Fritz! Du hatt’st doch hier ’n sichres, warmes Zuhause. So schön hätt’st Du leben können!
Dr. Scholz: Sei nicht böse, aber: daß verstehst Du nicht!
Frau Scholz: Na ja; ich bin ja nur ’ne einfache Person, das mag ja möglich sein, aber Du warst ja wirklich auf Niemand angewiesen, es war doch garnicht nöthig, daß Du . . . .
Dr. Scholz: Pssst, es war sehr nöthig (halbwegs geheimnißvoll) auf Schuld folgt Sühne, auf Sünde folgt Strafe.
Frau Scholz: Na ja — freilich Fritz — es hat wirklich auch viel an Dir mitgelegen (sie wirft von jetzt ab bis zum Schluß des Gesprächs fortwährend ängstliche Blicke nach der Hausthür, als befürchte sie jeden Augenblick[S. 16] die Ankunft Wilhelms), wir hätten doch so ruhig — so zufrieden . . . . wenn Du nur gewollt hätt’st.
Dr. Scholz: Alles hat an mir gelegen, ganz und gar Alles.
Frau Scholz: Da bist Du nu auch wieder ungerecht.
Dr. Scholz: I! ich will ja auch nicht bestreiten: viel Gemeinheit hat sich verbunden gegen mich; das ist ja bekannt: — zum Beispiel denke Dir: in den Hotels — die Kellner — keine Nacht konnte ich durchschlafen, hin und her, hin und her auf den Corridoren und gerade immer vor meiner Thür.
Frau Scholz: Aber sie werden Dich doch am Ende nicht absichtlich gestört haben.
Dr. Scholz: Nicht? — Du, hör mal, das verstehst Du nicht!
Frau Scholz: Na es kann ja sein; die Kellner sind ja mitunter niederträchtig.
Dr. Scholz: Niederträchtig! ja wohl, niederträchtig! — übrigens wir können ja später darüber reden. Ich habe etwas Kopfschmerz (faßt nach dem Hinterkopf) da! Auch so eine Infamie! ich weiß ganz gut, wem ich das zu verdanken habe . . . . ich will mich nur noch vergewissern, ob ich sie durch einen gesunden Schlaf vertreibe. Ich bin sehr müde.
Frau Scholz: Aber oben ist nicht geheizt! Fritz.
Dr. Scholz: Denk Dir mal an, in einer Tour von Wien. Nicht geheizt? macht nichts: Friebe besorgt das schon. — Sag mal, wie steht’s mit[S. 17] Friebe? — was ich fragen wollte? ist er noch so zuverlässig?
Frau Scholz: Friebe is, wie er immer war.
Dr. Scholz: Das dacht ich mir doch! — auf Wiedersehen! (nachdem er seiner Frau die Hand gedrückt, wendet er sich mit tief nachdenklichem Ausdruck und schreitet auf den Treppenausgang zu. Den Tannenbaum bemerkend, bleibt er stehen und starrt ihn verloren an.) Was heißt denn das?
Frau Scholz: (zwischen Furcht, Beschämung und Rührung): Wir feiern Weihnachten!
Dr. Scholz: Feiern? — — (nach einer langen Pause, in Erinnerung verloren) das — ist — lange — her! (sich wendend mit echter Empfindung redend) Du bist auch weiß geworden.
Frau Scholz: Ja Fritz, — wir beide . . . .
Dr. Scholz (nickt, wendet sich weg. Ab durch den Treppenausgang).
Frau Buchner (hastig von links): Also Dein Mann ist wieder da?!
Frau Scholz: Daß is wie so . . . . wie wenn . . . . ich weeß nich! Jesus, was soll ich nur davon denken?
Frau Buchner: Daß es eine Schickung ist, liebe Freundin! für die wir alle dankbar sein müssen.
Frau Scholz: Ach, der sieht aus! — der hat gelebt! So ein Leben, wie der geführt haben mag: von einem Land in’s andre, von einer Stadt . . . . ach! der hat eingelegt!
Frau Buchner (will die Treppe hinauf).
Frau Scholz (erschreckt): Wo denn hin?
[S. 18]
Frau Buchner: Ida von dem freudigen Ereigniß verständigen! (ab durch den Treppenausgang).
Frau Scholz: O Gott ja! ne ne, wo denkst Du hin! Das dürf’n mer ’n nich merken lassen! Da kenn ich meinen Mann zu gutt! wenn der rauskriegt, daß noch Jemand außer ihm oben wohnt . . . . da käm ich schön an!
Frau Buchner (schon auf der Treppe): Ich werd’ schon ganz leise . . . .
Frau Scholz: Nur ganz leise! das wär’ so was!
Frau Buchner: Ganz leise geh ich.
Frau Scholz: O Gottogott! nur schon ja ganz leise!
Frau Scholz (außer Fassung): Na natürlich! was soll man nu machen? und nu der Wilhelm noch. Todtenangst hab ich ausgestanden. Wenn er nu mit Vater zusammengetroffen wäre? Jeden Augenblick konnte er eintreten. Was werde ich alte Frau noch Alles erleben müssen!
Auguste: Ein zu merkwürdiges Gefühl, Mama, zu merkwürdig! Man hatte sich so daran gewöhnt. — Wie wenn ein Todter nach Jahren wieder aufsteht. Ich hab Angst, Mama.
Frau Scholz: Am Ende ist er mit seinem Gelde alle geworden?
Auguste: Na das wäre doch . . . .! meinswegen! das wäre noch das letzte.
Frau Scholz: Na auf welche Weise wir dann blos auskommen sollten . . . da könnten wir nur gleich betteln geh’n.
[S. 19]
Ida (in Toilette von oben, freudig. Augusten die Hand drückend, innig.) Gustchen! also wirklich?! ach das freut mich. (Frau Scholz und Auguste peinlich berührt).
Robert (aus einer der Thüren links. Er ist mittelgroß, schmächtig, im Gesicht hager und blaß. Seine Augen liegen tief und leuchten zuweilen krankhaft. Schnurr- und Kinnbart. Er raucht aus einer Pfeife mit ganz kurzem Rohr türkischen Taback.)
Robert (leichthin): Es wird ungemüthlich bei Dir Mutter!
Frau Scholz: Nanu fängt der auch noch an!
Auguste: Meinswegen (verstohlen, scheele Blicke auf Idas Toilette).
Robert (zu Ida die ihn angeblickt hat): Ja, so bin ich nun mal, Fräulein Ida!
Ida (schüttelt ungläubig den Kopf):. Nein — nein.
Robert: Wieso nicht? — Ich halte es nicht für der Mühe werth, ’n paar gleichgültige Gefühle zu heucheln. — Wirklich nicht!
Ida: Nein — nein.
Auguste (ausbrechend): Du bist empörend, Robert!
Robert: Nicht mit Absicht. Empöre sich Niemand!
Auguste: Meinswegen.
Robert: Na item.
Auguste: Item, item — Quatsch!
Robert (mit geheucheltem Erstaunen): Verzeih’, — ich glaubte . . . . aber Du hältst ja nichts mehr auf äußere Reize.
Ida (schlichtend): Ach Herr Robert . . . .
[S. 20]
Robert: Ja — soll ich mich denn nicht meiner Haut . . . .?
Auguste (von Thränen halb erstickt): Ganz Du! — ganz Du! Dein ganzes . . . . mein Alter . . . . geradezu perfid! — Frau Buchner! das soll nicht gemein sein? — mir . . . . ich — die ich hier gesessen hab . . . . bei der Mutter hier — die schönste . . . . schönste Zeit meines . . . . Lebens verbracht, während Ihr . . . . ich . . . . geradezu wie eine Dienstmagd . . . .
Robert: Das klingt sehr echt, — in der That! — geh doch zur Bühne! — (mit verändertem Ton, brutal) mach keine schlechten Scherze! hör mal: Du und der Märtyrernimbus, das wirkt einfach putzig. Du bist eben wo anders noch weniger auf Deine Rechnung gekommen, als zu Hause, das ist die Wahrheit!
Auguste: Mutter! Du bist Zeuge: hab ich nicht drei Anträge abgewiesen!
Robert: Hui! Wenn Mutter nur mit dem nöthigen Gelde rausgerückt hätte, dann hätten Dich die Herren gewiß mit in Kauf genommen.
Frau Scholz: Geld? (auf Robert zutretend, ihm die Hand hinhaltend) da nimm ein Küchenmesser! — schneid mir’s raus! schneid mir das Geld aus der Hand!
Auguste: Sie mich? willst Du die Absagebriefe sehen?
Frau Scholz (unterbechend): Kinder! (sie macht eine Bewegung, als ob sie ihre Brust für den Todesstoß entblößen wollte) da hier! — macht mich doch lieber[S. 21] gleich todt! habt ihr denn nich so viel Rücksicht für mich? nich so viel? — wie . . . .? großer Gott nich fünf Minuten . . . . ich weiß nich, was das blos für Kinder . . . ., nich fünf Minuten halten sie Frieden.
Robert: Na ja freilich! ich sag ja schon: — es wird eben wieder ungemüthlich.
Friebe (geschäftig aus dem oberen Stockwerk. Er flüstert Fr. Scholz etwas zu, worauf hin diese ihm einen Schlüssel einhändigt. Friebe ab in den Keller).
Robert (hat stillstehend den ganzen Vorgang beobachtet. Im selben Augenblick, als Friebe in der Kellerthür verschwindet): Aha!
Auguste (hat ihrerseits Robert im Auge behalten. Nun bricht sie aus, entrüstet): Pietätlos bist Du — durch und durch.
Robert: Na item.
Auguste: Aber Du spielst Komödie; Du lügst ganz erbärmlich, und das ist das Widerwärtige daran!
Robert: In Hinsicht auf Vater meinst Du?!
Auguste: Allerdings in Hinsicht auf Vater.
Robert — (achselzuckend): — Wenn Du meinst . . . .
Auguste: Ja — das . . . . das . . . . ja — denn — wenn es anders wäre, dann . . . . ja . . . . dann wärst Du ein Wicht.
Frau Scholz (dazwischen redend): Wird denn das irgend bald aufhören oder was . . . .
Robert (gleichmüthig): Dann bin ich ein Wicht. Nun, und?
[S. 22]
(Ida seit geraumer Zeit unruhig in Erwartung ab durch die Glasthür.)
Auguste: Pfui, schamlos!
Robert: Schamlos, ganz recht, das bin ich.
Frau Buchner: Herr Robert! ich glaube Ihnen nicht . . . . Sie sind besser, als Sie uns glauben machen wollen, — besser, als Sie selbst glauben sogar.
Robert (mit gelindem, sich steigerndem Sarkasmus, kalt): Verehrte Frau Buchner! — es ist ja vielleicht äußerst liebenswürdig . . . . aber wie gesagt: — ich weiß nicht recht, wie ich zu der Ehre . . . . ja ich muß sogar Ihre Liebenswürdigkeit geradezu ablehnen. Meine Selbstachtung ist vorläufig wenigstens noch keineswegs so gering, daß ich Jemand nöthig hätte mich . . . .
Frau Buchner (in gelinder Verwirrung): Das ist ja auch garnicht meine Absicht. — Nur . . . . Ihr Vater — . . . .
Robert: Mein Vater ist für mich ein Doctor medicinae Fritz Scholz.
Auguste: Ja, ja, red’ nur!
Robert: Und wenn ich diesem Menschen nicht ganz so gleichgültig gegenüberstehe, als irgend einem X- oder Y-Narren, so liegt das daran, daß ich . . . . na item . . . . (er raucht) weil ich . . . . na eben: ich bin eben gewissermaßen ein Produkt seiner Narrheit.
Frau Buchner (gleichsam betäubt): Verzeihen Sie! — hier kann ich nun doch nicht mehr mit —[S. 23] So etwas wagen Sie auszusprechen!? mich überläuft es förmlich.
Frau Scholz (zu Fr. Buchner): Laß gut sein, laß gut sein! Du wirst bei uns noch Dinge erleben . . . .
Auguste: Was das nun auch wieder heißen soll, Mutter! — wir sind, wie wir sind. Andre Leute, die wer weiß wie thun, sind um nichts besser.
Robert: Es giebt in der That noch immer naive Seelen, die sich nicht wohl fühlen, wenn sie nicht an ihren Mitmenschen herumbessern und herumflicken können. Veralteter Zauber! — Zopf!
Frau Buchner (Robert bei beiden Händen fassend, herzlich): Herr Robert! ich fühle mich im Dienste einer bestimmten Sache. Das feit mich. Aus Herzensgrund: Sie haben mich nicht beleidigt.
Robert (ein wenig aus der Fassung): Sie sind eine merkwürdige Frau.
Friebe (kommt aus dem Keller. Er trägt in der linken Hand drei Flaschen Rothwein — und zwar so, daß die Finger geklemmt sind — unter der linken Achselhöhle eine Flasche Cognac. Mit der rechten Hand hält er die Kellerschlüssel. Zu Fr. Scholz tretend, geschäftig): Nun man fix die Cigarren!
Frau Scholz: Gott ja, Friebe! ich weiß ja garnicht . . . .
Robert: Im Schreibtisch, Mutter.
Frau Scholz: Ach so . . . . (sie nimmt das Schlüsselbund und sucht fahrig nach dem rechten Schlüssel).
Auguste: Du kennst doch den Schreibtischschlüssel.
[S. 24]
Robert: Mit gradem Bart.
Frau Scholz: Richtig! — wart! . . . .
Robert: Gieb mal . . . .
Frau Scholz: Wart nur, wart! — hier! ach nein doch! — ich bin ganz verwirrt. (Robert das Bund hinreichend.) Da.
Robert (den richtigen Schlüssel abziehend und Friebe hinreichend): Da — Lassen Sie Sich meines Vaters Cigarren gut schmecken.
Friebe: Na ooch noch! det krijt den ollen Zacken den janzen Tach nich aus de Kinnladen (es wird stark an der Klingel gerissen) komm schon! (Friebe ab nach oben.)
Frau Scholz: Da wird der Wein bald alle werden . . . . Großer Gott, wohin soll das führen? der viele Wein! immer die theuren, schweren Cigarren! ich sag ja, er wird sich noch zu Grunde richten.
Robert: Das muß Jedem unbenommen bleiben.
Frau Buchner: Was meinen Sie?
Robert: Sich auf seine eigne Art zu vergnügen. Ich wenigstens würde mir dieses Recht auf keine Weise verkümmern lassen. Selbst nicht durch Gesetze. Sonderbar übrigens! —
Frau Buchner: Wie? . . . .
Robert: Sonderbar! —
Frau Buchner: Weshalb betrachten Sie mich so eingehend? ist es an mir, — das Sonderbare?
Robert: Wie man’s nimmt. Sie sind mehrere Tage bei uns und denken noch immer nicht an’s Abreisen.
[S. 25]
Auguste: So’n Gerede!
Frau Scholz: Das hört nich auf! (schüttelt verzweifelt den Kopf).
Robert (mit brutaler Heftigkeit): Na Mutter, ist es etwa nicht wahr? — Hat es bei uns irgend ein Fremder je länger als einen halben Tag ausgehalten? — haben sie sich nicht alle von uns zurückgezogen, Nitzssches, Lehmann’s . . . .?
Auguste: Als ob wir auf fremde Leute angewiesen wären. — Meinswegen! wir sind uns selber genug . . . .
Robert: Ja, vollauf wirklich: (brutal im Ton) ich saaage Ihnen, Frau Buchner! in Gegenwart wildfremder Menschen kamen sie sich derart in die Haare, daß die Fetzen flogen. Die Mutter riß das Tischtuch herunter, der Vater zerkeilte die Wasserflasche. — Heiter! nicht? — heitre Scenen, heitre Kindheitseindrücke!?
Auguste: Du solltest Dich verkriechen vor Scham, gemeiner Mensch! (schnell ab.)
Frau Scholz: Siehst Du nu? daran bin ich nu seit Jahrzehnten, seit Jahrzehnten gewöhnt! (ab in Bewegung.)
Robert (unbeirrt fortfahrend): Kein Wunder allerdings. Ein Mann von vierzig heirathet ein Mädchen von sechzehn und schleppt sie in diesen weltvergessenen Winkel. Ein Mann, der als Arzt in türkischen Diensten gestanden und Japan bereist hat. Ein gebildeter, unternehmender Geist. Ein Mann, der noch eben die weittragendsten Projekte schmiedete, thut sich[S. 26] mit einer Frau zusammen, die noch vor wenigen Jahren fest überzeugt war, man könne Amerika als Stern am Himmel sehen. Ja wirklich! ich schneide nicht auf. Na und darnach ist es denn auch geworden: ein stehender, fauler, gährender Sumpf, dem wir zu entstammen das zweifelhafte Vergnügen haben. Haarsträubend! Liebe — keine Spur. Gegenseitiges Verständniß — Achtung — nicht Rühran — und dies das Beet, auf dem wir Kinder gewachsen sind.
Frau Buchner: Herr Robert! ich möchte Sie recht sehr bitten . . . .
Robert: Schön! — am Reden liegt mir garnichts. Die Geschichte ist außerdem . . . .
Frau Buchner: Nein, nein. Ich möchte Sie nur um etwas bitten; es eilt.
Robert: Bitten? — mich?
Frau Buchner: Könnten Sie’s nicht mir zu Liebe thun . . . . könnten Sie nicht . . . . Wäre es denn garnicht möglich . . . . Könnten Sie nicht für diesen Abend einmal Ihre Maske ablegen?
Robert: Sehr gut! — Maske ablegen?
Frau Buchner: Ja, denn es ist wirklich nicht Ihr wahres Gesicht, was Sie herauskehren.
Robert: Was Sie sagen!
Frau Buchner: Versprechen Sie mir, Herr Robert . . . .
Robert: Aber ich weiß ja garnicht . . . .
Frau Buchner: Wilhelm . . . . Ihr Bruder Wilhelm kann jeden Augenblick kommen und . . . .
Robert (unterbrechend): Frau Buchner! wenn —[S. 27] Sie — mir — doch — glauben wollten! Ihre Bemühungen — ich versichere Sie — sind ganz umsonst. Dies alles führt zu nichts — zu garnichts. Wir sind alle von Grund aus verpfuscht. Verpfuscht in der Anlage, vollends verpfuscht in der Erziehung. Da ist nichts mehr zu machen. Es sieht Alles recht gut aus: Weihnachtsbaum — Lichter — Geschenke — Familienfest, aber es ist doch nur obenhin; eine gequälte, plumpe Lüge — weiter nichts! — Und nun gar noch der Vater. Wenn ich nicht wüßte, wie unzugänglich er ist — auf Ehre! ich würde glauben, Sie hätten ihn hierher gebracht.
Frau Buchner: Bei Gott, nein! das gerade hat meine Hoffnung belebt. Das kann kein Zufall sein, das ist Fügung. Und deshalb aus Grund meiner Seele: seien Sie freundlich und gut zu Ihrem Bruder! Wenn Sie wüßten, wie gut er von Ihnen spricht, mit welcher Liebe und Achtung . . . .
Robert (unterbrechend): Ja, und der Zweck?
Frau Buchner: Wie.
Robert: Weshalb soll ich zu ihm freundlich und gut sein?
Frau Buchner: Das fragen Sie?!
Robert: Ja.
Frau Buchner: Nun — doch wohl zunächst, um ihm die Rückkehr in’s Elternhaus nicht von vornherein zu verleiden.
Robert: O, wir tangiren einander nicht, wie Sie zu glauben scheinen, und — übrigens, wenn Sie[S. 28] meinen, daß sich seiner beim Eintritt in diese Räume etwa eine subtile Rührung bemächtigen wird . . . .
Frau Buchner: Ihr Bruder ist ein so guter, im Grunde so edler Mensch! — Er hat einen Riesenkampf gekämpft, bevor er sich zu diesem Schritt entschloß. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, er kommt mit dem heißen Wunsche einer Aussöhnung.
Robert: Ich begreife garnicht, was das heißen soll! Aussöhnen?! mit was will er sich denn aussöhnen? Ich verstehe so was garnicht. Wir verstehen uns doch sonst untereinander so ziemlich, wir Geschwister. Das ist mir ganz neu. Ich habe ihm nichts vorzuwerfen. Andererseits sind Thatsachen nicht zu vertuschen. — Ich frage Sie: Glauben Sie, daß ich besondere Hochachtung vor meinem Vater empfinde —? Nicht wahr? nein —? Oder lieb’ ich ihn vielleicht? — Empfinde ich vielleicht kindliche Dankbarkeit? — Nun sehen Sie, zu alledem habe ich auch nicht den mindesten Grund. Wir sind uns gegenseitig zeitlebens im besten Falle Luft gewesen. — Zu Zeiten, als wir uns gegenseitig für unser Unglück verantwortlich machten, haben wir uns sogar geradezu gehaßt. — Nun, zwischen Vater und Wilhelm ist dieser selbe Haß ausgeartet. Das ist mir durchaus begreiflich. Wenn ich nicht wie Wilhelm verfahren bin, so ist das vielleicht Zufall. Also, ich habe nichts gegen ihn, — notabene, wenn ich ihn nicht sehe. Seh’ ich ihn aber, dann geht alle meine Ueberlegung zum Teufel, dann bin ich etwas . . . . etwas . . . . na, wie soll ich sagen? dann . . . .[S. 29] dann seh’ ich eben nur den Menschen, der meinem Vater — nicht seinem, sondern meinem Vater — in’s Gesicht geschlagen hat.
Frau Buchner: O du großer Gott!
Robert: Und da steh’ ich für garnichts ein, durchaus für garnichts.
Frau Buchner: O du großer Gott! das also ist es. — Geschlagen, sagten Sie? — in’s G—esicht? — seinen eignen Vater?
Robert: Na item. —
Frau Buchner (halb von Sinnen): O du großer Gott! o du großer Gott! aber — dann . . . . dann kann ich ja . . . . dann muß ich ja auf der Stelle mit Ihrem guten, alten Vater reden, dann . . . .
Robert (tief erschrocken): Mit wem?
Frau Buchner (halb weinend): Mit Ihrem guten, alten, armen, gemißhandelten Vater.
Robert (sucht sie festzuhalten): Um Himmelswillen, mit wem wollen Sie . . . .?
Frau Buchner: Lassen Sie mich! ich muß, muß. (ab durch den Treppenausgang.)
Robert (ihr nachrufend): Frau Buchner! (sich wendend) Hysterie, verdammte!
(Er zuckt mit den Achseln und durchmißt den Raum; mehrmals noch nimmt er plötzlich einen Anlauf, wie um ihr nachzueilen, ändert aber jedesmal seinen Entschluß, giebt ihn schließlich ganz auf und beruhigt sich gewaltsam bis zu einem Stadium scheinbaren Gleichmuths. In diesem Stadium beschäftigt ihn anfänglich seine Tabakspfeife: er klopft sie aus, füllt sie mit neuem Tabak, den er einem Beutel entnimmt, setzt sie in Brand und scheint mehrere Augenblicke dem Genuß des Rauchens ganz allein[S. 30] hingegeben. Sein Interesse fängt in der Folge an, sich dem Christbaum und den Geschenken auf der Tafel zuzuwenden, breitbeinig davorstehend und Alles überblickend lacht er, die Pfeife im Munde, wiederholt bitter auf. Plötzlich stutzt er dann und beugt sich, nachdem er die Pfeife in die Hand genommen, tief über die Tafel. Sich aufrichtend, scheint er jetzt erst die Entdeckung zu machen, daß er allein ist. Scheu wie ein Dieb umherblickend, beugt er sich abermals, ergreift mit Hast die gelbseidne Geldbörse, führt sie den Augen näher und mit einer jähen leidenschaftlichen Bewegung an die Lippen. Dieser Moment zeigt das Aufblitzen einer unheimlichen, krankhaften Leidenschaftlichkeit. Ein Geräusch stört ihn. Augenblicklich liegt die Börse an ihrem alten Platz. Auf den Zehen gehend, sucht Robert sich davon zu schleichen. Im Begriff durch die erste Seitenthür links zu verschwinden, bemerkt er, wie durch die Nebenthür seine Mutter, Frau Scholz, eintritt, und steht seinerseits still.)
Frau Scholz (geht schwerfällig aber eilig quer durch den Saal bis zum Treppenausgang; hier horcht sie).
Robert (sich zurückwendend): Sag’ mal, Mutter! — was will denn eigentlich diese Frau?
Frau Scholz (erschreckt): O Gottogottogott!! — Du erschrickst ein’n aber auch . . . .
Robert: Was . . . . w . . . . was beab . . . . was die Buchner hier eigentlich beabsichtigt, möchte ich gerne wissen.
Frau Scholz: Wenn ich lieber wüßte, — was der Vater . . . . Was will er denn eigentlich? ja — sag’ mir! — was — will er?
Robert: Na, die Unterkunft wirst Du ihm doch wohl nicht verweigern wollen?
Frau Scholz (halb weinerlich trotzend): Ich seh nicht ein, — so lange hat er mich nicht nöthig gehabt.[S. 31] Man war doch wenigstens sei’ eigner Herr. Nu wird’s wieder schön losgehen, das Gekujenire. Nu wird man woll uff seine alten Tage noch wie e kleenes Kind pariren müssen.
Robert: Du mußt immer übertreiben! Es geht partout nicht anders: übertrieben muß werden.
Frau Scholz: Paß Du nur uff, wenn er morgen das leere Glashaus sehen wird. Ich kann doch für den Prast nicht extra eenen Gärtner halten!? — und die Ameisenkästen sind ooch weg. Meinswegen brauchen keene Blumen wachsen, man krigt doch blos Kopfschmerzen davon! Und erscht das Ungeziefer! — ich weiß nich, was er daran blos hat. Und deshalb muß man sich runterlumpen lassen. Das Halloh blos! ich ängst’ mich schon zu Tode — — — — — — — — — — Ach ’s is nich mehr hibsch uff der Welt.
Robert (hat, während Frau Scholz noch redet, sich achselzuckend zum Gehen gewendet; nun steht er still und spricht zurück): Ist’s irgend früher mal hübscher gewesen?
Frau Scholz: Nun das — dächt ich!!!
Robert: So? na dann muß das wohl vor meiner Zeit gewesen sein. (ab durch die erste Thür links.)
Frau Scholz (schon wieder lauschend an dem Treppenausgang): Wenn ich zurückdenke . . . . oben wird ja gesprochen . . . . (sie schließt auf, sieht sich allein, horcht abermals unruhig und verschwindet schließlich — die Hand am Ohr — mit einem Gesicht voll Gram, Kummer und Neugier durch den Treppenausgang).
[S. 32]
(Ida und Wilhelm durch die Glasthür. Wilhelm: mittelgroß, kräftig, wohlaussehend. Blonder kurzgeschorener Kopf, Kleidung gutsitzend, nicht geckenhaft. Paletot, Hut, Reisetasche. Seine Linke ist um die Schultern Ida’s gelegt, die ihn ihrerseits mit dem rechten Arm umfaßt hält und den leise Widerstrebenden vorwärts drängt.)
Ida: Siehst Du, nu bist Du drin! die Hauptsache ist nu schon überstanden.
Wilhelm (schwer aufseufzend): O nein, Du!
Ida: Du kannst mir glauben, Deine Mutter freut sich sehr, sehr auf Dich. Auch Gustchen (sie zieht ihm die Winterhandschuhe ab). Wo hast Du denn die her?
Wilhelm: Du kennst also nun meine — Mutter?
Ida: Alle, Schatz! — seit heute dutzen wir uns sogar.
Wilhelm: Wie bist Du mit — ihnen zufrieden?
Ida: Seelensgute Menschen, das weißt Du ja selbst.
Wilhelm (von jetzt ab befangener mit jedem Augenblick, gedehnt und wie im Selbstgespräch redend): Merk—würdig (seine Augen haften an dem Christbaum, in den Anblick desselben versinkend, ist er unwillkürlich stehen geblieben).
Ida (ihm den Paletot aufknöpfend): Aber Schatz! das ist doch nicht der erste Christbaum, den Du . . .
Wilhelm: Hier ja — und Du kannst, kannst mir nicht nachfühlen — wie sonderbar . . . .
Ida (ihm — was er mechanisch geschehen läßt — den Paletot abziehend): Bitte, bitte Willy! (den Paletot über’m Arm, Hut und Reisetasche in der Hand, vor ihm stehend). Willy! — sieh mich an . . . (anfeuernd) stark . . . .[S. 33] (einen Augenblick lang steht sie straff aufgerichtet, dann legt sie die Sachen schnell beiseite und kehrt zu Wilhelm zurück). Du — hast mir ver—sprochen . . . .
Wilhelm: Hast Du mal . . . . Ida! . . . . hast Du mal . . . . ein Gruftgewölbe mit Kränzen und . . . .
Ida (erschrocken): Aber Wilhelm! (ihn stürmisch umarmend, außer sich) das ist bös! das ist wirklich bös! das ist wirklich sehr, sehr bös.
Wilhelm (sie sanft zurückdrängend, mit unterdrückter Bewegung): Ach, dabei ist ja garnichts (kühl, abwesend). Sei gut, sei gut! . . . . . . . . . . . .
Ida: Ach, wie Du doch bist!
Wilhelm (den Baum durchmusternd): Sonst — Alles — beim Alten . . . . . . . Ida! — das mußt Du mir wirklich wirklich — anrechnen!
Ida: Mir wird auf einmal so bange, Willy. Ob es am Ende nicht besser gewesen wäre . . . . . Mutter hat ja gewiß nicht gewußt, daß es Dir so, so schwer werden würde und ich . . . ich dachte ja nur . . . weil es Mutter sagte . . . ich wollte es ja garnicht. Aber nun . . . nun bist Du einmal so weit, nun sei auch . . . . hörst Du? . . . . thu mir die Liebe! . . . . ach (sie umarmt ihn).
Wilhelm (von Idas Armen ein wenig weiter hereingezogen, mit Zeichen tiefer, innerer Erschütterung): . . Jeder Schritt vorwärts . . . . was hab ich hier nicht Alles durchlebt!
[S. 34]
Ida: Nur nicht aufwühlen! nicht das Alte aufwühlen!
Wilhelm: Sieh mal! — jetzt wird mir doch klar — Deine Mutter hätte mir das nicht rathen sollen. — Sie ist immer so zuversichtlich, so . . ., ich hab’s ja gewußt, ich sagte es ihr — aber diese naive, felsenfeste Zuversicht . . . . hätt ich mich doch nur nicht verblenden lassen!
Ida: Ach wie Du doch Alles schwer nimmst, Wilhelm! glaub mir, Du wirst morgen anders sprechen — wenn Du sie erst Alle wiedergesehen hast! . . . . Du bist dann doch wenigstens vor Dir selbst gerechtfertigt. Du hast bewiesen, daß es Dir ernstlich darum zu thun war, mit Deiner Familie in Frieden zu leben.
Wilhelm: Wenn man so Alles wiedersieht, — die alten Plätze alle — Alles tritt so heraus —, so hervor, weißt Du! — die Vergangenheit kommt einem so nah, — so aufdringlich nah; man kann sich . . . förmlich wehrlos ist man.
Ida (ihn weinend umhalsend): Wenn ich Dich so sehe, Wilhelm . . . . ach glaub nur ja nicht . . . . glaub doch nur um Himmelswillen nicht etwa, ich hätte Dich dazu gedrängt, wenn ich . . . . wenn ich auch nur geahnt hätte . . . . glaub doch das nur nicht! Du thust mir ja so furchtbar leid.
Wilhelm: Ida! — zu Dir gesagt — ich kann Dich versichern, daß ich hier fort muß. — Offenbar! — ich bin diesem Ansturm nicht gewachsen — offenbar![S. 35] — es ruinirt mich möglicherweise — auf immer. — Du bist ja ein Kind! — ein süßes, reines Kind, Ida — was weißt Du. — Gott sei ewig Dank, daß Du nicht einmal ahnen kannst, was mich . . . was der Mensch neben Dir . . . . zu Dir gesagt — Haß! Galle! — schon als ich hereintrat . . .
Ida: Wollen wir gehen? wollen wir augenblicklich von hier fortgehen?
Wilhelm: Ja, — denn — in dieser Umgebung — selbst Du! — ich unterscheide Dich kaum mehr von den Andern. — Ich verliere Dich! — es ist ein Verbrechen von mir, schon allein, daß Du hier bist.
Ida: Wenn Du doch nur deutlich sein könntest, Wilhelm! es muß doch — hier etwas Furchtbares passirt sein, was . . . .
Wilhelm: Hier? ein Verbrechen! um so furchtbarer, weil es nicht als Verbrechen gilt. Man hat mir hier mein Leben gegeben und hier hat man mir dasselbe Leben — zu Dir gesagt — fast möchte ich sagen: systematisch verdorben — bis es mich anwiderte — bis ich daran trug, schleppte, darunter keuchte wie ein Lastthier — mich damit verkroch, vergrub, versteckte, was weiß ich — aber man leidet namenlos — Haß, Wuth, Reue, Verzweiflung — kein Stillstand! — Tag und Nacht dieselben ätzenden, fressenden Schmerzen (deutet auf die Stirn) da! . . . . (deutet auf’s Herz) und — auch — da!
[S. 36]
Ida: Was soll ich nur thun, Wilhelm? ich getraue mir garnicht mehr — Dir etwas zu rathen — ich bin so . . . .
Wilhelm: Ihr hättet zufrieden sein sollen — daß ich glücklich so weit war, wie ich war. — Es war ja Alles glücklich so weit abgeblaßt — jetzt erst erkenne ich, wie weit (überwältigt von Erregung bricht er auf einen Stuhl zusammen).
Ida (mit unterdrücktem Aufschrei): Wilhelm!
Frau Buchner (in fliegender Hast durch den Treppenbogen. Auf Wilhelm zustürzend): Wilhelm, hören Sie mich, Wilhelm! — jetzt denken Sie an das, was wir gesprochen haben. Jetzt — wenn ich Ihnen so viel gelte . . . . Ich beschwöre Sie . . . . Jetzt zeigen Sie . . . . Ja ich fordre . . . . Ich verlange von Ihnen als Mutter meines Kindes . . . . . Wilhelm! . . . . Es liegt nun an Ihnen, — an Ihnen allein . . . . Wilhelm, Sie haben furchtbar gefehlt! — Sie haben eine furchtbare Schuld — Sie werden wieder froh werden. — Ich hab es gethan . . . . ich habe mit Ihrem Vater geredet, er . . . .
Wilhelm (steif in die Höhe schnellend, mit starrem Ausdruck und lallender Stimme): V—Vater? — — wie? — m… mit m…einem V…ater? (er wankt, taumelt wie ein Blödsinniger und sucht seine Sachen zu ergreifen.)
Ida (tief erschrocken): Wil… W…
Wilhelm (giebt durch Zeichen zu verstehen, man soll ihn nicht unterbrechen):
[S. 37]
Ida: Ach — Mutter — Wilhelm — . . . Du . . . . Du hättest ihm — das nicht — gleich sagen sollen.
Frau Buchner: Wilhelm! sind Sie ein Mann?! Sie können uns doch nicht belogen haben. Wenn Sie noch einen Funken Liebe für uns, — für Ida . . . Ich fordre Sie auf . . . Ich, eine Frau . . .
Ida (wirft sich Wilhelm, der schon seine Sachen ergriffen hat, entgegen und hält ihn — indem sie ihn umschlingt — fest): Du darfst nicht fort, oder ich . . . . Mutter! wenn er geht — ich gehe mit ihm!
Wilhelm: Warum — habt Ihr mir das verschwiegen?
Ida: Nichts . . . Du mußt doch nicht gar so schlecht von uns . . . . Wir haben Dir nichts verschwiegen.
Frau Buchner: Wir alle, Ihre Mutter, Ihre Schwester, wir waren alle ahnungslos, — eben so ahnungslos, wie Sie. Vor wenigen Minuten ist er angekommen — ohne sich vorher anzumelden; und, sehen Sie, da dachte ich gleich . . . .
Wilhelm: Wer — hat Ihnen das — mitgetheilt?
Frau Buchner (unter Thränen seine Hand ergreifend): Sie haben furchtbar, furchtbar gefehlt.
Wilhelm: Sie wissen also —?
Frau Buchner: Ja, jetzt . . . .
Wilhelm: Alles?
Frau Buchner: Ja Alles; — und, sehen Sie,[S. 38] daß ich Recht hatte, — daß Sie noch etwas mit sich herumschleppten? das war das Geheimniß.
Wilhelm: Sie wissen, daß ich . . . .?
Frau Buchner (nickt bejahend).
Wilhelm: Und Ida —? soll sie einem Menschen zum Opfer fallen, wie . . . wie ich bin, — des . . . weiß sie’s? . . . weißt Du’s — Ida — auch?
Ida: Nein Wilhelm — aber — ob ich das weiß oder nicht; — das ist wirklich ganz gleichgültig.
Wilhelm: Nein. — Diese Hand, die Du . . . die Dich oft . . . diese Hand hat . . . (zu Frau Buchner) Ist es das?
Frau Buchner (nickt bejahend).
Wilhelm (zu Ida): Wie schändlich hab’ ich Dich betrogen! — ich bring’s nicht über mich. — Später! . . . . . . .
Frau Buchner: Wilhelm! Ich weiß, was ich verlange, aber ich . . . Sie müssen sich vor Ihrem armen Vater erniedrigen — erst dann werden Sie sich wieder ganz frei fühlen. Rufen Sie ihn an! beten Sie ihn an! ach Wilhelm! das müssen Sie thun! Seine Kniee müssen Sie umklammern — und wenn er Sie mit dem Fuße tritt, wehren Sie sich nicht! reden Sie kein Wort! geduldig wie ein Lamm! glauben Sie mir — einer Frau, die Ihr Bestes will.
Wilhelm: Sie wissen nicht . . . Sie wissen doch nicht, was Sie von mir . . . O Sie müssen[S. 39] Gott dankbar sein, Frau Buchner, daß er Ihnen Ihre eigene Grausamkeit verborgen hat. Ruchlos mag das sein. Was ich gethan habe, mag ruchlos sein. Aber was ich durchgemacht habe, — da! — innerlich durchgekämpft, durchlitten — diese furchtbaren Peinigungen . . . . Er hat Alles auf mich geladen — und am Ende zu allem noch diese verfluchte Schuld . . . . . . . . . Aber dennoch . . . . . . . .! (nach einem langen, tiefen Blick, in Ida’s Augen, sich aufringend, bis zu einem festen Entschluß). Vielleicht — gelingt es mir — dennoch!
[S. 40]
Der Raum ist leer. Sein Licht erhält er zum Theil von einer im Treppenraum angebrachten rothen Ampel, dann aber, und zwar hauptsächlich, durch die offenen Thüren linker Hand aus dem Seitengemach. Hier sitzt man, wie das Klingen der Gläser, das Klappern und Klirren von Tellern und Bestecks verräth, bei Tafel.
(Ida, gleich darauf Wilhelm aus dem Nebengemach).
Ida: Endlich! (einschmeichelnd.) Du mußt doch nun an Vater denken, Willy! sei mir nicht böse, aber wenn Du Vater etwas — abzubitten hast, dann mußt Du doch nicht warten, bis er zu Dir herunter . . . . . . . . . .
Wilhelm: Wollte Vater zu Tisch ’runterkommen!
Ida: Versteht sich! Mama hat ihn . . . .
Wilhelm (umschlingt und preßt Ida plötzlich, mit impulsiver Leidenschaftlichkeit stürmisch an sich).
Ida: Ei . . . . . ach — Du — wenn Jemand . . . . mein Haar wird ja . . . . . .
Wilhelm (läßt die Arme schlaff an ihr heruntergleiten, faltet die Hände, senkt den Kopf und steht, jäh ernüchtert, wie ein ertappter Verbrecher vor ihr).
Ida (ihr Haar ordnend): Was für ein stürmisches Menschenkind Du doch bist.
[S. 41]
Wilhelm: Stürmisch nennst Du das. — Ich nenne es — ganz — anders . . . . . . . . .
Ida: Aber Willy! — warum denn nun auf einmal wieder so niedergeschlagen? unverbesserlich bist Du doch.
Wilhelm (ihre Hand krampfhaft fassend, den Arm um ihre Schulter legend, zieht er sie hastigen Schrittes mit sich durch den Saal): Unverbesserlich. Ja, siehst Du! das eben . . . . . ich fürchte ja nichts so sehr, als daß ich . . . . . als daß alle Deine Mühen um mich vergebens sein könnten. Ich bin so entsetzlich wandelbar! (auf die Stirn deutend) da hinter ist kein Stillstand! Schicksale in Secunden! mich selbst fürcht’ ich. Vor sich selbst auf der Flucht sein: kannst Du Dir davon einen Begriff machen? Siehst Du, und so fliehe ich — mein Leben lang.
Ida: Am Ende . . . . ach nein das paßt nicht — —
Wilhelm: Sag’ doch!
Ida: Manchmal . . . . ich hab’ mir nur schon manchmal gedacht . . . . wirklich, es ist mir manchmal so vorgekommen, als ob — sei nicht böse — als ob garnichts da wäre, wovor Du fliehen müßtest. Ich habe selbst schon . . . .
Wilhelm: O Du, das glaube nicht! hast Du Robert beobachtet, hast Du gesehen?
Ida: Nein — was?
Wilhelm: Hast Du bemerkt, wie er mich begrüßte? Der, siehst Du, der weiß, daß ich vor mir fliehen muß, der kennt mich. Frage den nur, der[S. 42] wird Dich aufklären! Damit droht er mir nämlich. Du, Du, das weiß ich besser. Gieb nur Acht, wie er mich immer anblickt! Ich soll Angst kriegen, ich soll mich fürchten. Ha ha ha, — nein, lieber Bruder, so erbärmlich sind wir denn doch nicht. Und nun siehst Du wohl ein, Ida, daß ich das nicht zulassen darf, — ich meine, Du darfst Dir keine Illusionen machen über mich. Es giebt nur eine Möglichkeit: ich muß offen sein gegen Dich. Ich muß es soweit bringen . . ., Ich ringe darnach. Wenn Du mich ganz kennst, dann . . . . Ich meine wenn Du mich dann noch erträgst . . . . oder wenn Du — mich noch lieben kannst . . . . dann . . . . das wäre ein Zustand . . . . dann würde etwas in mich kommen . . . . was Muthiges, Stolzes sag’ ich Dir . . . . dann lebte doch Einer, und wenn sie mich Alle verachteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Ida, voller Hingebung, schmiegt sich an ihn.)
Wilhelm: Und jetzt . . . . jetzt werde ich Dir auch . . . . bevor ich zu Vater hinaufgehe . . . . Du weißt was ich meine?!
Ida (nickt).
Wilhelm: Jetzt sollst Du . . . . Ich muß es über mich gewinnen Dir zu sagen, was mich — mit meinem — Vater . . . . Ja, Ida, — ich will’s thun . . . . . . . . . . . . . . . . . (Arm in Arm schreitend) Stelle Dir vor! ich war hier zu Besuch . . . . nein — so kann ich nicht anfangen. — Ich muß weiter zurückgehen. — Du weißt ja,[S. 43] als ich mich damals schon eine lange Zeit selbst durchgeschlagen . . . . . . . . das hab’ ich Dir wohl noch garnicht erzählt?
Ida: Nein, . . . . aber ruhig . . . . nur ja nicht unnöthig . . . . rege Dich nur nicht auf, Willy!
Wilhelm: Siehst Du das ist wieder so ein Fall: ich bin feig! ich habe es bis jetzt nicht gewagt, Dir von meiner Vergangenheit zu erzählen . . . . auf jedenfall ist es auch ein Wagniß. — Man wagt etwas, — auch vor sich selbst . . . . einerlei! wenn ich das nicht mal über mich brächte, wie sollt’ ich’s dann fertig bringen — zu Vater hinaufzugehen?!
Ida: Ach, Du! quäle Dich nicht! — jetzt stürmt so vielerlei auf Dich ein.
Wilhelm: Du hast wohl Furcht? — wie? Du fürchtest wohl Dinge zu hören . . . .?
Ida: Pfui, pfui, so mußt Du nicht sprechen!
Wilhelm: Nun also — dann stelle Dir vor: hier oben wohnte Vater. Bis er Mutter nahm hatte er einsam gelebt, und so wurde es bald wieder; er führte sein einsames Sonderlingsleben weiter . . . . . . . . Mit einem Mal verfiel er dann auf uns — Robert und mich, um Auguste hat er sich garnicht gekümmert. — Volle zehn Stunden täglich hockten wir über Büchern . . . . Wenn ich das Kerkerloch sehe — heutigen Tags noch . . . . . . es stieß an sein Arbeitszimmer. Du hast’s ja gesehen!
Ida: Der große Saal oben —?
Wilhelm: Ja, der — Wenn wir in diesen Raum eintraten, da mochte die Sonne noch so hell[S. 44] zum Fenster ’reinscheinen, — für uns war es dann Nacht . . . . Na siehst Du — da . . . . da liefen wir eben zur Mutter . . . . Wir liefen ihm einfach fort — und da spielten sich Scenen ab —: Mutter zog mich am linken, Vater am anderen Arm . . . . Es kam soweit: Friebe mußte uns hinauftragen. Wir wehrten uns, wir bissen ihm in die Hände; natürlich half das nichts, unser Dasein wurde nur unerträglicher . . . . . . . . . . . . . Aber widerspenstig blieben wir, und nun weiß ich, fing Vater an uns zu hassen. Wir trieben es so lange, bis er uns eines Tages die Treppe hinunterjagte. Er konnte uns nicht mehr ertragen — unser Anblick war ihm ekelhaft.
Ida: Aber Dein Vater — das giebst Du doch zu? — eine gute Absicht hat er doch gehabt mit Euch. Ihr solltet eben viel lernen, wie . . . .
Wilhelm: Bis zu einem gewissen Grade mag er ja auch damals eine gute Absicht — vielleicht gehabt haben. Aber wir waren ja zu der Zeit erst Jungens von neun oder zehn Jahren und von da ab, hört die gute Absicht auf. — Im Gegentheil: damals hat er die Absicht gehabt, uns total verkommen zu lassen. — Ja, ja! Mutter zum Possen . . . . Fünf Jahre lang waren wir im verwegensten Sinne uns selbst überlassen . . . . Banditen und Tagediebe waren wir . . . . . . . . . . Ich hatte noch etwas, ich verfiel auf die Musik. Robert hatte nichts — Aber wir verfielen auch noch[S. 45] auf ganz andre Dinge — deren Folgen wir wohl kaum jemals verwinden werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schließlich schlug Vater wohl das Gewissen. Es gab fürchterliche Scenen mit Mutter. Am Ende wurden wir doch aufgepackt und in einer Anstalt untergebracht. Und als ich mich an das Sklavenleben dort nicht mehr gewöhnen konnte und davonlief, ließ er mich einfangen und nach Hamburg schaffen; Der Taugenichts sollte nach Amerika . . . Der Taugenichts lief natürlich wieder davon. Ich ließ Eltern Eltern sein und hungerte und darbte mich auf meine eigene Faust durch die Welt. Robert hat ungefähr die gleiche Carrière hinter sich.
Aber Taugenichtse sind wir deshalb in Vaters Augen doch geblieben . . . . — später war ich einmal so naiv eine Unterstützung von ihm zu fordern — nicht zu bitten! Ich wollte das Conservatorium besuchen. Da schrieb er mir auf einer offenen Postkarte zurück: Werde Schuster. — Auf diese Weise, Ida! sind wir so eine Art self made man — aber wir sind nicht besonders stolz darauf.
Ida: — Wahrhaftig Willy . . . . ich kann wahrhaftig nicht anders . . . . ich fühle Dir wirklich Alles nach; aber — ich kann augenblicklich nicht ernst . . . . Sieh mich nicht so fremd an, bitte, bitte!
Wilhelm: O Du, — das ist bitter — und nicht zum Lachen.
Ida (ausbrechend): ’S ein Jubelgefühl, Wilhelm![S. 46] ich muß Dir sagen . . . . es mag selbstsüchtig sein, — aber ich freue mich so furchtbar — daß Du, das so brauchen kannst . . . . Ich will Dich ja so lieb haben, Wilhelm! . . . . Ich sehe so mit einem Mal Zweck und Ziel. Ach, ich bin ganz confus! Ich bedaure Dich ja so sehr. Aber je mehr ich Dich bedaure, je mehr freue ich mich. Verstehst Du, was ich meine? Ich meine . . . . . . ich bilde mir ein, — ich könnte Dir vielleicht Alles, was Du entbehrt hast . . . . alle Liebe, die Du entbehrt hast, mein ich, könnte ich Dir vielleicht reichlich . . . .
Wilhelm: Wenn ich’s nur — verdiene, — Du! — denn nun kommt — etwas, — was mich allein — betrifft . . . . . . . . . . . . Vor Jahren . . . . nein — es ist . . . . Ich kam nämlich später hie und da besuchsweise zur Mutter. — Mach’ Dir’ mal klar, Ida! — wenn ich so das ganze Elend wiedersah . . . . mach Dir ’mal klar wie mir da — zu Muthe werden mußte.
Ida: Deine Mutter — litt wohl — sehr?
Wilhelm: In manchen Dingen, denk’ ich ja heut’ anders über Mutter. Immerhin, die Hauptschuld trägt Vater doch. Damals kam mir’s vor, als ob er Mutter widerrechtlich hier gefangen hielte. Ich wollte gerade, sie sollte sich von ihm trennen.
Ida: Aber — das konnte Deine Mutter — garnicht, das, —
Wilhelm: Sie folgte mir ja auch nicht. Sie hatte nicht den Muth. — Nun — mit welchen[S. 47] Augen ich Vater ansah . . . . nun, das kannst Du Dir vielleicht denken.
Ida: Sieh’ mal Wilhelm! — Du warst vielleicht doch nicht ganz gerecht gegen Deinen Vater . . . . Ein Mann . . . .
Wilhelm (ohne Ida’s Einwurf zu beachten): Einmal — beging ich — die Thorheit — einen Freund von mir . . . . Unsinn Freund . . . . flüchtiger Bekannter, — ein Musiker . . . . Ich brachte ihn also mit hierher. Das war eine Auffrischung für Mutter. Sie spielte nämlich — eine Woche lang —, täglich mit ihm vierhändig . . . . . . . . Da also . . . . haarsträubend . . . . so wahr wie ich vor Dir stehe —; kein Schatten einer Möglichkeit! — und am Ende der Woche — schrieen es ihr — Dienstboten — in’s Gesicht.
Ida: Verzeih’! . . . . Ich . . . . Um was —?
Wilhelm: Mutter! . . . . Mutter sollte . . . . Meine Mutter sollte . . . . Sie sollte — denke Dir! sie wagten es ihr offen vorzuwerfen, daß sie — ein schlechtes — Verhältniß — mit . . . . das heißt! ich stellte die Person zur Rede . . . . frech . . . . der Kutscher hätte es ihr gesagt . . . . ich zum Kutscher und der . . . . der . . . . der will es . . . . der sagt mir geradezu, ich habe es vom Herrn . . . . vom Herrn selber — . . . . Natürlich . . . . wo werde ich ihm denn so was glauben?! — oder — wenigstens — sträubte ich mich — bis — ich — ein Gespräch — belauschte, — was Vater — im Stall . . . . im Pferdestall mit dem Burschen — hatte, —[S. 48] und — Du kannst mir — glauben: — die Hände — starben — mir — ab, — wie ich — ihn da — über meine — Mutter — reden hörte.
Ida: Sei doch nur . . . . Laß Dich doch nur . . . . reg’ Dich doch blos nicht so furchtbar auf. Du bist ja ganz . . . .
Wilhelm: Ich weiß nicht mehr . . . . Ich weiß nur . . . . Es steckt etwas in uns Menschen . . . . der Wille ist ein Strohhalm . . . . man muß so etwas durchmachen . . . . Es war wie ein Einsturz . . . Ein Zustand wie . . . . und in diesem Zustand befand ich mich plötzlich in Vaters Zimmer. — Ich sah ihn. — Er hatte irgend etwas vor — ich kann mich nicht mehr besinnen was. — Und da — hab’ ich ihn — buchstäblich — mit — diesen — bei — den Händen — ab—ge—straft. (Er hat Mühe sich aufrecht zu erhalten).
Ida (Ihre Augen stehen voll Thränen, die sie trocknet. Bleich und erschüttert starrt sie einige Augenblicke auf Wilhelm hin, dann küßt sie still weinend seine Stirn).
Wilhelm: Du — Barmherzige.
(Man hört die Stimme des Doktors von der Treppe her.)
Wilhelm: Und nun, — wenn je! (Er rafft sich auf, Ida küßt ihn nochmals. Er hat krampfhaft ihre Hand gefaßt. Wie die Stimme des Doktors schweigt, hört man fröhliches Gelächter aus dem Nebenzimmer.)
Wilhelm (mit Bezug auf das Lachen, wie auch auf das Kommen des Doktors, den man die Treppe herunter steigen hört.): Ihr habt eine wunderbare Macht! (Ein Händedruck beiderseitiger Ermuthigung, dann trennt sich Ida von Wilhelm. Bevor sie abgeht, kehrt sie noch mal um, faßt Wilhelms Hand und sagt:) Sei tapfer! (ab.)
[S. 49]
Dr. Scholz: (noch auf der Treppe.) Ä! großer Unsinn! . . . . rechts Friebe! — ä! Ellbogen . . . . nicht halten, nicht halten! Donnerwetter!!!
Wilhelm (je weiter der Doktor herunterkommt, um so aufgeregter erscheint Wilhelm. Seine Farbe wechselt oft, er fährt sich durch die Haare, athmet tief, macht die Bewegungen des Klavierspielens mit der Rechten etc. Hierauf ist deutlich wahrzunehmen, wie Strömungen für und wieder in ihm kämpfen, — wie er in seinem Entschluß wankend wird. Er scheint fliehen zu wollen, da bannt ihn das Hervortreten des Doktors. Er hat eine Stuhllehne gefaßt, um sich zu stützen und steht zitternd und bleich da. Der Doctor ist ebenfalls, zu seiner vollen imponirenden Größe aufgerichtet stehen geblieben und mißt seinen Sohn mit einem Blick, der nacheinander Schreck, Haß und Verachtung ausdrückt. Es herrscht Stille; Friebe, der den Doctor stützend und ihm vorleuchtend ebenfalls eingetreten in, benützt dieselbe, um sich davonzuschleichen, ab in die Küche. Wilhelm scheint einen Seelenkampf physisch durchzuringen. Er will reden, die Kehle scheint ihm zu versagen, es kommt nur zu lautlosen Bewegungen der Lippen. Er nimmt die Hand von der Stuhllehne und schreitet auf den Alten zu. Er geht unsicher, er taumelt, er kommt in’s Wanken, steht, will auf’s Neue reden, vermag es aber nicht, schleppt sich weiter und bricht die Hände gefaltet, zu des Alten Füßen nieder. In des Doctors Gesicht hat der Ausdruck gewechselt: Haß, Staunen, erwachendes Mitgefühl, Bestürzung.)
Dr. Scholz: Junge . . . . mein lieber Junge! mein . . . . (er sucht ihn bei den Händen zu erheben.) Steh, doch nur — auf! . . . . (er faßt Wilhelm’s Kopf, der schlaff hängt, zwischen beide Hände und kehrt ihn sich zu.) Sieh’ mich . . . . Junge . . . . sieh’ mich doch ’mal — an. Ach, was ist denn — mit . . . .?
Wilhelm (bewegt die Lippen).
[S. 50]
Dr. Scholz (mit bebender Stimme): Was . . . was . . . sagst Du zu mir? ich . . .
Wilhelm: V . . . Vater — ich . . . .
Dr. Scholz: Wie — meinst Du —?
Wilhelm: Ich — habe Dich . . habe Dich . . . . h . . . h . . .
Dr. Scholz: Unsinn, Unsinn! jetzt nicht von solchen . . . . .
Wilhelm: Ich bin — an Dir — zum Verbrecher . . . .
Dr. Scholz: Unsinn, Unsinn! ich weiß garnicht, was Du willst? alte Sachen sind alte Sachen. Thu mir die einzige Liebe, Junge! . . .
Wilhelm: Nun — nimm’s von mir! nimm — die Last von mir!
Dr. Scholz: Vergeben und vergessen, Junge! vergeben und vergessen . . . . .
Wilhelm: Dank . . . . (er athmet tief auf, das Bewußtsein verläßt ihn.)
Dr. Scholz: Junge! was machst Du mir denn für Sachen! was . . . . .
(Er hebt und schleppt den Ohnmächtigen allein bis in einen in der Nähe stehenden Lehnstuhl. Bevor er ihn niedergesetzt hat, kommen Ida, Robert, Auguste, Frau Scholz und Frau Buchner hastig aus dem Nebengemach, Friebe aus der Küche.)
Dr. Scholz: Wein! schnell etwas Wein!
Ida (geht und ist sogleich mit Wein zurück).
Frau Scholz: O Gottogottogott! Wasser! . . gleich mit Wasser besprengen!
Dr. Scholz (flößt ihm Wein ein).
[S. 51]
Auguste: Was war denn?
Ida (bleich und in Thränen, legt ihre Wange an die Wilhelms): Wie eiskalt er sich anfühlt.
Frau Scholz: Ueber was hat sich denn der Junge blos so aufgeregt, das möcht’ ich blos wissen: . . . das ist mir doch rein . . . .
Robert (ihre Hand fassend und zugleich ihre Rede abschneidend, verweisend): Mutter!!!
Frau Buchner: Besprengen, besprengen, Herr Doctor!
Dr. Scholz: Pst, pssst, habt Ihr . . haben Sie vielleicht eau de Cologne?
Frau Buchner: Ja (sie giebt ihm ein Flacon), bitte.
Dr. Scholz: Danke (er bestreicht dem Ohnmächtigen die Stirn).
Ida (zum Doctor): Es ist — doch hoffentlich . . . nicht wahr? nur . . . (sie bricht in Schluchzen aus) ach er sieht so schrecklich rührend aus, wie . . . . . wirklich wie — todt sieht er aus.
Robert (tröstet Ida).
Frau Scholz: Wie der Junge blos schwitzt! (sie wischt ihm die Stirn.)
Wilhelm (gähnt).
Dr. Scholz: Pst. (er und Alle blicken mit Spannung auf Wilhelm.)
Wilhelm (räuspert sich, dehnt sich, öffnet und schließt die Augen, wie ein Schlaftrunkener, legt den Kopf wie zum Schlaf zurück.)
Dr. Scholz (hörbar): Gott sei dank!
[S. 52]
(Er richtet sich auf, wischt sich die Stirn mit dem Taschentuch und mustert gerührt und halb verlegen seine Umgebung. Ida ist ihrer Mutter unter Lachen und Weinen um den Hals gefallen. Robert steht kaum Herr seiner Bewegung mit gefalteten Händen da und läßt seine Blicke abwechselnd über alle Anwesenden hingleiten. Auguste geht, das Taschentuch zusammengeballt vor dem Munde, hastig auf und ab, und hält jedes Mal im Vorübergehen einen Augenblick vor Wilhelm inne, um ihn forschend zu betrachten. Friebe geht auf den Zehenspitzen ab. Des Doctors Blick trifft den seiner Frau. Schüchtern und gerührt wagt sie sich näher, faßt leise seine Hand und klopft ihn auf den Rücken.)
Frau Scholz: Alterchen —!
Auguste (ahmt die Mutter nach, umarmt und küßt dann den Vater, was dieser geschehen läßt, ohne seine Hand aus der seiner Frau zu nehmen.)
Auguste (an seinem Halse): Mein Herzensväterchen!
Robert (plötzlich entschlossen tritt er auf seinen Vater zu und schüttelt ihm die Hand).
Frau Scholz (giebt des Doctors Hand frei und führt ihm Ida zu).
Dr. Scholz (blickt erst Ida dann Wilhelm an und richtet einen fragenden Blick auf Frau Buchner).
Frau Buchner (nickt bejahend).
Dr. Scholz (macht eine Gebärde, die etwa ausdrückt: ich will nichts verreden, ich kann mich vielleicht täuschen. Hierauf streckt er dem Mädchen seine Hand entgegen).
Ida (kommt, nimmt seine Hand, beugt sich darauf nieder und küßt sie).
Dr. Scholz (zieht seine Hand gleichsam erschreckt zurück).
Wilhelm (seufzt tief auf. Alle erschrecken).
Auguste (in der Thür zum Nebengemach winkt Frau Scholz, dann ab).
[S. 53]
Frau Scholz (macht dem Doctor Zeichen, die besagen: man solle sich in’s Nebengemach begeben, des Patienten wegen).
Dr. Scholz (nickt bestätigend und entfernt sich Hand in Hand mit Frau Scholz behutsam).
Frau Buchner (der Ida bedeutet hat, sie wolle bei Wilhelm bleiben, ebenfalls ab in’s Nebenzimmer).
Robert (leise): Fräulein Ida, würden Sie . . . möchten Sie mir wohl die Wache diesmal überlassen?
Ida (freudig überrascht): Herzlich gern! (Händedruck ab in’s Nebengemach.)
Robert (rückt einen Stuhl neben den Wilhelm’s und läßt sich, den Schlafenden beobachtend, darauf nieder. Nach einem Weilchen zieht er seine Tabakspfeife aus der Tasche, um sie in Brand zu setzen, erinnert sich aber zur rechten Zeit der Gegenwart des Patienten und steckt sie sogleich wieder ein).
Wilhelm (seufzt, streckt die Glieder).
Robert (leise und behutsam): Wilhelm.
Wilhelm (räuspert sich, schlägt die Augen fremd und verwundert auf und sagt nach einer Weile — als hätte ihn die Anrede Roberts erst jetzt getroffen): — Ja!
Robert: Wie ist Dir denn jetzt?
Wilhelm (nachdem er Robert eine Weile nachdenklich angeblickt hat, mit schwacher Stimme): Robert? — nicht?
Robert: Ja — ich bin’s . . . Robert . . wie geht’s Dir denn?
Wilhelm: Gut (räuspert sich) ganz gut — jetzt. (er lächelt gezwungen, macht einen schwachen Versuch, sich zu erheben, der fehl schlägt.)
Robert: O, Du! das ist doch wohl noch ein Bischen gar zu zeitig, nicht?
Wilhelm (nickt bejahend, seufzt, schließt erschöpft die Augen) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[S. 54]
Wilhelm (schlägt die Augen groß und ruhig auf und spricht leise aber klar): Was ist denn eigentlich passirt? — hier? —
Robert: Ich glaube, Wilhelm! es wird das Beste sein, wir lassen das vorläufig auf sich beruhen . . . . . Die Versicherung geb’ ich Dir: etwas . . . ich jedenfalls hätte es niemals für möglich gehalten.
Wilhelm (vergeistigt): — Ich — auch nicht.
Robert: — Wie soll man denn auch . . . ä! Kohl! das war ja auch absolut nicht vorauszusehen! — aber es ist eben doch vorgefallen.
Wilhelm: Ja — nun fällt mir — nach und nach . . . es — war — lieblich! (seine Augen füllen sich mit Thränen.)
Robert (mit leisem Beben in der Stimme): Ein sentimentales Weibsbild ist man doch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . So viel steht wieder ’mal bombenfest: man hat wieder ’mal so in’s Blaue ’nein verdammt. Gekannt haben wir den Alten doch nicht, — das können wir doch wohl nich’ gerade behaupten.
Wilhelm: Vater? — nein! wir sind ja Alle — so blind, so blind!
Robert: Das — weiß Gott! — sind wir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wilhelm: Wie mir das vorkommt! — wunderfremd. Er liebt uns ja! der alte Mann ist ja so himmlisch gut!
Robert: Das kann er sein, und das wußte ich bis jetzt nicht.
[S. 55]
Wilhelm: Mir dämmert manches! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Robert: Mit dem Verstande — und so — sieh ’mal — hat ich das ja längst erfaßt. — Alles ist geworden. Verantwortlich hab’ ich Vater nicht gemacht. — Heißt das, schon seit Jahren nicht mehr. — Nicht für mich, überhaupt für Keinen von uns. Aber heut hab’ ich’s gefühlt; und das ist, kannst Du glauben, noch ganz was andres . . . . . . . . . . . . . . . . Ehrlich, mich hat’s geradezu aus dem Gleichgewicht gebracht. — Als ich ihn so sah — so um Dich bemüht . . . förmlich, wie ein Schlag war mir da! — und nun muß ich mir immer sagen: — warum ist denn das nun nicht . . . . . na warum denn nicht? es ist doch jetzt in uns lebendig geworden, es war doch also in uns — warum ist es nicht schon früher hervorgebrochen? In Vater, in Dir — und in mir wahrhaftigen Gott auch? es war doch in uns! Und nun hat er das so in sich hinein gewürgt — Vater mein ich — na und wir ja auch — so viele Jahre lang . . . . .
Wilhelm: Das ist mir nun aufgegangen: ein Mensch kehrt nicht nur jedem seiner Mitmenschen eine andere Seite zu, sondern er ist thatsächlich jedem gegenüber von Grund aus anders . . . . . . . .
Robert: Warum muß denn das so sein zwischen uns! warum müssen denn wir uns nur immer und ewig abstoßen?
Wilhelm: Das will ich Dir sagen: Herzensgüte fehlt uns! nimm z. B. Ida! Was Du Dir erklügelt[S. 56] hast, das lebt in ihr. Sie sitzt nie zu Gericht, Alles greift sie so weich, so mitleidig an — die zartesten Dinge — das schont so, verstehst Du! das . . . und das glaub’ ich ist es . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Robert (manlig werdend, sich erhebend): Wie ist Dir jetzt so? —
Wilhelm: Recht frei ist mir doch jetzt . . . .
Robert: Ä — was nutzt das Alles! . . . . Ja — was ich wollte — sagen? vielleicht wird’s doch gut mit Euch!
Wilhelm: Was denn?
Robert: Na, wie denn? Du und . . . na, und Ida natürlich.
Wilhelm: Vielleicht! . . . Die Beiden haben eine Macht — auch Frau Buchner — aber doch Ida hauptsächlich. Ich habe gedacht, das könnte mich retten . . . . . . . . . . Zuerst wehrte ich mich ja . . . . . . . . . . . . . . .
Robert (gedankenvoll): Das haben sie! — sie haben eine Macht und deshalb . . . . . anfänglich — offen gesagt, hab’ ich’s Dir verübelt.
Wilhelm: Das fühlte ich wohl.
Robert: Na, nimm ’mal an: ich hörte von einer Verlobung, und nun sah ich Ida; treppauf, treppab sang sie und so fröhlich — ohne eine Idee von . . . .
Wilhelm (erhebt sich): Ich verstand Dich ja auch, ich gab Dir ja sogar recht, was willst Du!
Robert: Nu ja doch! — ich bin ja auch . . .[S. 57] es ist ja auf diese Weise ganz was anders. — Ich muß ja zugeben . . . wie gesagt . . . überhaupt . . ganz frisch schon?
Wilhelm: Vollkommen.
Robert: Dann kommst Du wohl also bald?
Wilhelm: Ich will nur noch . . . . geh doch einstweilen Du!
Robert: Schön! (geht, kommt zurück) hör ’mal Du! ich kann nicht anders, ich muß Dir sagen, Deine ganze Handlungsweise — Vater gegenüber — und auch — überhaupt, ist hochachtenswerth. Ich hab’ Dich auch so — überfallen förmlich — mit meiner verfluchten Bornirtheit. Man . . . . hol’s der Teufel! Ich habe seit langer Zeit wieder zum ersten Male so ’ne Art unabweisbares Bedürfniß, verstehst Du! mich selbst anzuspucken. Das genügt Dir doch, wie? — na, Du wirst mir doch nun auch die Liebe thun und — wenn ich Dich . . . . ja wohl, gekränkt habe ich Dich ununterbrochen, seit Du hier bist. Also — es thut mir leid! hörst Du!
Wilhelm: Bruder! (sie schütteln sich mit Rührung die Hände.)
Robert (zieht ruhig die Hand aus der Wilhelms, bringt seine Tabackspfeife hervor, entzündet sie, pafft, und sagt dabei vor sich hin): Acrobaten — seele! — pf! pf! na item. (Hierauf wendet er sich zum Gehen. Bevor er die Thüre des Seitengemaches ausklinkt, spricht er über die Schultern zu Wilhelm:) Ich — will sie Dir herausschicken!
[S. 58]
Wilhelm: Ach — Du laß doch! . . . . na — wenn Du . . . .
Robert (nickt bejahend, verschwindet in der Thür. Ab.)
Wilhelm (athmet befreit auf. Volle Freude über das Geschehene bemächtigt sich seiner.)
Ida (kommt aus dem Nebenzimmer, fliegt in seine Arme): Willy!!!
Wilhelm: — Jetzt — jetzt . . . . Du . . . . Ihr . . . . Ihr beiden goldnen Seelen habt mich losgekämpft. Jetzt — ein ganz neues Leben! . . . . Du glaubst nicht, wie mich das hebt! ordentlich groß stehe ich vor mir da! — O Du! das merke ich jetzt erst — das hat doch furchtbar auf mir gelastet . . . . Und nun fühl’ ich auch Kraft! Kraft fühle ich, Du! — verlaß Dich d’rauf, ich erreiche es nun doch noch! ich werd’s ihm zeigen, was der Taugenichts kann! ich werde Vater den Beweis liefern. Ich werde ihm beweisen, daß etwas in mir lebt: eine Kraft, eine Kunst, vor der sie sich beugen sollen . . . . die starrsten Köpfe werden sich beugen, ich fühl’s! — das hat mich nur niedergeknebelt, glaubst Du! es kribbelt mir in den Fingerspitzen, glaubst Du! . . . . Ich möchte schaffen, schaffen! . . . .
Ida: Siehst Du, so ist’s recht! nun endlich hast Du Dich wiedergefunden. — Liebster, ich möchte jauchzen. — Jauchzen möcht ich. — jubeln . . . . Siehst Du, wie ich recht hatte; nichts ist erstorben in Dir! es schlief nur! Es wacht Alles wieder auf, sagt’ ich Dir immer. Es ist aufgewacht, siehst Du nun! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[S. 59]
(Sie umarmen, küssen sich und schreiten dann in einander verschlungen in stummer Glückseligkeit durch den Saal.)
Wilhelm (bleibt stehn, schaut mit glücklichem Staunen in die Augen seiner Braut, dann läßt er den Blick weiter schweifen, rings herum durch den Raum und sagt): In diesen eiskalten Mauern . . . . wie Frühlingszauber ist das!
(Einige Küsse; eng verschlungen stumm im Glück schreiten sie weiter.)
Ida (singt piano mit schelmischer Beziehung auf etwas in der Vergangenheit; etwas, wie: nun, siehst Du wie recht ich hatte.)
Frau Scholz (tritt ein, gewahrt die Beiden, will sich schnell wieder entfernen).
Ida (hat es bemerkt, bricht ihr Lied ab, fliegt auf Frau Scholz zu). Nicht fortlaufen, Schwiegermuttelchen!
Frau Scholz: I warum nich’ gar! Ihr könnt mich ja garnicht brauchen.
Wilhelm: (umarmt und küßt seine Mutter und hilft sie mit hereinziehen).
Frau Scholz (launig): Du bist wohl nich’ recht gescheidt. Ihr seid wohl . . . Ihr reißt mir ja . . .
Wilhelm: Ach was, Mutter! das ist ja jetzt Alles einerlei — Mutter! Du siehst einen anderen Menschen vor Dir (zwischen Mutter und Braut, beider Hände haltend.) Komm, altes Mamachen; — seht Euch in die Augen! — so — gebt Euch die Hände!
Frau Scholz: Närr’scher Kerl!
Wilhelm: Küßt Euch!
[S. 60]
Frau Scholz (nachdem sie sich mit der Schürze über den Mund gefahren): Na, dummer Kerl! — das . . . . da ist doch weiter nichts dabei . . . . da brauchst Du uns doch nicht . . . . gelt Ida! (sie küssen sich lachend).
Wilhelm: Und nun Friede!
Frau Scholz: Nich berufen, Junge!
Friebe: (eine dampfende Punschterine tragend, aus der Küche in das Nebengemach).
Wilhelm: Oho!!! — na dann also . . . Friebe! ist er gut?
Friebe (im Vorübergehen): I, von det Zeich kenn’n Se mer dreiste wat vorsetzen, da bring ick ooch noch keen’n Schluck nich ieber de Lippen.
Wilhelm: Nich’ möglich, Friebe!
Friebe: Friher, ja — jetzt, bin ick — längst abjeschmissen. Jetz’ trink ick — nur — mehrschtentheels — b. — bitt’ren Schnaps (ab).
Ida (hat Wilhelm die Cravatte in Ordnung gebracht und den Rock zurecht gerückt): So nu . . . .
Wilhelm: Schon gut, Du! — ist Vater heiter?
Frau Scholz: Er erzählt so. — Manchmal versteht man’s garnicht.
Wilhelm: Das Herz pocht mir doch wieder!
Frau Scholz: Wenn nur Robert nich’ so viel tränke.
Wilhelm: Ach Mutter heut . . . . heut ist das ja Alles einerlei! heut . . . .
Ida: Nun komm schnell, eh Dir erst wieder . . .
Wilhelm (zu Frau Scholz): Gehst Du mit?
[S. 61]
Frau Scholz: Geht nur, geht!
(Ida und Wilhelm ab in’s Nebenzimmer.)
Frau Scholz (. . . steht, sinnt nach, streicht sich mit der Hand die Stirne und begiebt sich zu Folge eines plötzlichen Einfalls an die Thür des Nebengemachs, wo sie lauscht.)
Friebe (tritt durch eben dieselbe Thür ein. Man merkt nun deutlich: er ist angeheitert): Frau Doktor!
Frau Scholz: Was wollen Sie?
Friebe (pfiffig geheimnißvoll): Ma hat sei Wunder, Frau Sch—olzen.
Frau Scholz (zurückschreckend): Sie haben — zu viel getrunken! Sie . . .
Friebe: Ick — lauer’ schon — uf alle Arten, det ick . . . . det ick und ick wollte Sie wat mittheilen.
Frau Scholz: Na ja, ja, ja! sagen Sie nur schnell, was Sie zu sagen haben.
Friebe: Na, ick meen man blos . . . .
Frau Scholz: So reden Sie doch nur, Friebe!
Friebe: Ick meen man blos! — det is doch nich taktmäßig. In diese F . . . . . Funktion — da sind ooch all noch ville Sachen — wo ick ooch verschweigen muß . . . . ick meen man blos — Ihr Mann — der kann’t unmeejlich mehr lange machen . . . .
Frau Scholz: O Jesis, Jesis, Friebe! hat er denn . . . . o Jesis! hat er denn geklagt? is’ er denn krank?
Friebe: Na, uff so wat — versteh ick mir doch?!
Frau Scholz: Ueber was klagt er denn?
[S. 62]
Friebe: Ick sollt’ ja — aber — nich’ — sagen.
Frau Scholz: Is’ es denn ernst? (Friebe nickt bestätigend.) Er kann doch aber nich’ vom Tode gesprochen haben?
Friebe: Er hat sich — sogar — noch mehr — sone Sachen bedient, aber . . .
Frau Scholz: Na nu drücken Sie sich doch endlich deutlich aus. Trinkt der Mensch . . . .!
Friebe (aufgebracht): Ja ick . . . . na Järtner — un’ Schuhwichser . . . . un’ was da allens vorfallen duht . . . . nee! — ick brauch mir det nich’ . . . . in jede Funktion . . . . das . . . . in diese Funktion kommt — allens vor — aber nee! . . . . da haben se — det Janze . . . . . . . . klar . . . . punkt! . . . . (er macht kehrt, ab in die Küche).
Frau Scholz: Der Mensch ist verrückt geworden.
Ida (im Hin durch die Thüre des Nebenzimmers, diese hinter sich zudrückend. Sie ein klein wenig wieder öffnend, ruft sie ins Gemach zurück): Warten, Herrschaften! ruhig und folgsam warten!
Wilhelm (sich hineindrängend): Ich will Dir ja nur helfen.
Ida: Aber sonst Niemand!
(Ida und Wilhelm entzünden die Christbaumlichte.)
Frau Scholz: Du! — hör ’mal! — Wilhelm!
Wilhelm (beschäftigt): Gleich, Mutterchen! — wir sind gleich fertig.
(Der Christbaum, die Girandolen und der Kronleuchter stehen im Licht. Ida nimmt eine große Decke, welche über die Geschenke auf der Tafel gebreitet war, von diesen herunter.)
[S. 63]
Wilhelm (tritt zur Mutter).
Ida (ruft durch die Thüre des Seitengemachs): Jetzt.
Frau Scholz (ist im Begriff Wilhelm etwas mitzutheilen, als sie durch den Eintritt des Dr. Scholz gestört wird. Es folgen nun: Auguste, Robert und Frau Buchner.)
Dr. Scholz (vom Trinken geröthetes Gesicht. Mit affektirtem Staunen.) Ah! ah!
Frau Buchner: Feenhaft!
Auguste (befangen lächelnd.)
Robert (umgeht, die Pfeife im Munde, erst befangen, dann mehr und mehr ironisch lächelnd, den Raum).
Ida (hat Wilhelm, der darob äußerst betreten ist, zu dem Platze geführt, wo seine Geschenke liegen): Lach’ mich nicht aus, Willy! (sie hält ihm die Börse hin.)
Wilhelm: Nein aber, Ida! — ich hab’ Dich doch gebeten . . . .
Ida: Ich hatte sie ’mal für Vater gehäkelt. Das letzte Jahr vor seinem Tode hat er sie viel getragen. Da dacht’ ich . . . .
Wilhelm (unter den Blicken der Beobachter mit steigender Verlegenheit): Ja wohl . . . so so . . . vielen Dank, Ida!
Robert: Die Dinger müßten nur praktischer sein.
Frau Scholz (durch Frau Buchner ebenfalls an den Tisch geführt): Aber was machst Du denn nur für Geschichten? ich kann Euch ja garnichts . . . . ich hab’ ja garnichts für Euch (vor einem gehäkelten Tuche) nein . . . nein . . . ne Du — thu mer die Liebe! das hast Du für mich gehäkelt? ne sag’ mer nur —[S. 64] fer mich alte Frau? na da dank’ ich Dir auch vielmals schön (sie küssen sich.)
Frau Buchner: Ach ich — freu’ mich nur, wenn Dir’s gefällt.
Frau Scholz: Prachtvoll! — wundervoll — wunderschön! wie viele Zeit und Mühe! ne! . . . .
Ida: Auch für Sie hätt’ ich was Herr Robert! Sie dürfen mich aber nicht auslachen!
Robert (über und über roth werdend): Ä — zu was denn!
Ida: Ich hab mir’ gedacht — Ihre Tabakspfeife — die wird Ihnen nächstens die Nasenspitze verbrennen — und da hab ich mich Ihrer erbarmt und noch gestern schnell . . . . (sie zieht eine neue Tabakspfeife, die sie auf dem Rücken gehalten, hervor und überreicht sie ihm) da ist das Prachtstück!
(Allgemeine Heiterkeit.)
Robert (ohne ihr die Pfeife abzunehmen): Sie scherzen, Fräulein!
Ida: Na ja! aber mit dem Schenken ist’s mir bitter Ernst.
Robert: Ach nein doch, nein doch, das glaub’ ich nicht!
Frau Scholz (entrüstet leise zu Wilhelm): Robert ist unausstehlich!
Ida: Aber nein, wirklich!
Robert: Sehen Sie — dies Ding da . . . . ich habe mich so d’ran gewöhnt . . . . i, und Sie scherzen ja auch wirklich nur!
[S. 65]
Ida (die Augen voll Thränen. Ihren Schmerz bemeisternd und mit zitternder Stimme): Nun — ja — wenn Sie — meinen (sie legt das Geschenk auf den Tisch zurück).
Frau Buchner (hat während des letzten Gesprächs mehreremals leise Ida gerufen: nun eilt sie auf sie zu): Idchen — hast Du denn vergessen?
Ida: Was denn Mama?
Frau Buchner: Du weißt doch! (Zu den Uebrigen) nun sollen sie noch etwas zu hören bekommen.
(Ida, froh auf diese Weise ihre Bewegung verbergen zu können, folgt ihrer Mutter, die sie an der Hand gefaßt hat, in’s Nebenzimmer.)
Frau Scholz (zu Robert): Warum hast Du ihr die Freude verdorben?
Wilhelm (geht, die Enden seines Schnurrbartes nervös kauend, unruhig umher und wirft ab und zu drohende Blicke auf Robert.)
Robert: Was denn? wie denn? ich weiß garnicht, was Du willst?
Auguste: Na, freundlich war das allerdings nicht gerade.
Robert: Laßt mich doch zufrieden! und überhaupt: was soll ich denn damit.
(Gesang und Klavierspiel, aus dem Nebenzimmer dringend, unterbricht die Sprechenden. Alle blicken einander erschrocken an.)
Idas Stimme:
[S. 66]
Dr. Scholz (ist über das Verhalten Roberts immer finsterer geworden. Bei Beginn des Gesanges blickt er scheu — wie Jemand, der einen Angriff fürchtet — umher und sucht einen gewissen Abstand zwischen sich und jedem der Anwesenden möglichst unauffällig festzuhalten).
Frau Scholz (bei Beginn des Gesanges): Ach wie schön! (einen Augenblick lauscht sie hingegeben, dann bricht sie in Schluchzen aus.)
Robert (bewegt sich langsam, macht wie der Gesang anhebt ein Gesicht, wie: na nu hört’s auf, schreitet weiter, lächelt ironisch und schüttelt mehrmals den Kopf. Im Vorübergehen sagt er halblaut etwas zu Auguste).
Auguste (halb und halb gerührt, platzt nun heraus).
Wilhelm (hat bisher, ein Spiel widersprechender Empfindungen, an die Tafel gelehnt — auf der Platte nervös Clavier spielend — gestanden; nun steigt ihm die Röthe der Entrüstung in’s Gesicht.)
Robert (scheint gegen Ende des Gesanges unter den Tönen physisch zu leiden. Die Unmöglichkeit, sich den Eindruck derselben zu entziehen, scheint ihn zu foltern und mehr und mehr zu erbittern. Unmittelbar nach Schluß des Verses entfährt ihm — gleichsam als Trümmerstück eines inneren Monologes — unwillkürlich das Wort): Kinderkomödie, (in einem beißenden und wegwerfenden Tone).
(Alle, auch der Doktor, haben das Wort gehört und starren Robert entsetzt an.)
Frau Scholz:
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Robert!!!
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Auguste:
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Dr. Scholz (unterdrückt eine Aufwallung von Jähzorn).
Wilhelm (macht in bleicher Wuth einige Schritte auf Robert zu.)
Frau Scholz (stürzt sich ihm entgegen, umarmt ihn): Wilhelm! — thu mir die einzige Liebe!
[S. 67]
Wilhelm: Gut —! Mutter!
(Er geht, sich überwindend, erregt umher. In diesem Augenblick hebt der zweite Vers an. Kaum berühren die ersten Töne sein Ohr, so erzeugt sich in ihm ein Entschluß, in Folge dessen er auf die Thür des Seitengemaches zuschreitet.)
Frau Scholz (stellt sich ihm in den Weg): Wilhelm! — was machst Du denn!
Wilhelm (ausbrechend): Sie sollen aufhören zu singen.
Auguste: Du bist wohl nicht bei Trost.
Wilhelm: Laßt mich zufrieden! ich sage sie sollen aufhören.
Frau Scholz: Aber sei doch . . . . Du bist ja wirklich . . . . na gutt, dann siehst Du mich diesen Abend nicht mehr.
Robert: Bleib doch Mutter! laß ihn doch machen! es ist ja seine Privatsache!
Wilhelm: Robert! treib’s nicht zu weit! nimm meinen Rath an! Du hast mir vorhin eine Rührscene vorgemacht, das macht Dich nur noch wiederwärtiger.
[S. 68]
Robert: Sehr richtig: — Rührscene. — Bin selbst der Meinung . . . . .
Wilhelm (geht abermals auf das Seitengemach zu.)
Frau Scholz (ihn abermals aufhaltend.) O, Gottogottogott Junge, warum willst Du sie denn? . . . . (der zweite Vers ist beendet).
Wilhelm: Weil Ihr es Alle miteinander nicht werth seit.
Robert (dicht an Wilhelm herantretend, mit einem frechen, vielsagenden Blick in seine Augen): Du, vielleicht?
Frau Scholz: O, Jesis ne, Ihr treibt’s doch wieder so weit (der dritte Vers hebt an).
Wilhelm: Sie sollen aufhören!
Frau Scholz (ihn wiederum festhaltend): Junge!!!
Wilhelm: Einfach — unter aller Würde. Es ist Blasphemie! es ist ein Verbrechen an diesen Menschen, wenn wir sie . . . . . . ich . . . . ja auf Ehre ich werde schamroth für Euch alle!
Auguste (pikirt): Na — so ganz besonders schlecht[S. 69] und verächtlich sind wir am Ende doch wohl auch nicht.
Wilhelm: Auguste — mich ekelt’s!
Auguste: Mag’s doch! — ja, ja; nu’ auf einmal ist man hinten runtergerutscht. Nu’ giebt’s auszusetzen an der Schwester an allen Ecken und Enden. Da is’ das nich’ recht, da is’ jen’s nich’ recht. Aber das Fräulein Ida . . . . .
Wilhelm (außer sich, sie unterbrechend): Sprich nicht den Namen aus!!!
Auguste: Na, so ’was! ich werd’ wohl von Ida . . . .
Wilhelm: Laß den Namen aus dem Spiel, sag’ ich Dir.
Auguste: Du bist wohl verrückt geworden, ich werd’ doch . . . . . die is’ doch wahrhaftig auch kein Engel vom Himmel.
Wilhelm (schreiend): Schweig’ still, sag’ ich!
Auguste (wendet ihm den Rücken): Ach, was denn, Du bist einfach verliebt.
Wilhelm (Auguste unsanft an der Schulter packend): Frauenzimmer, ich! . . . . .
Robert (packt Wilhelms Arm, spricht kalt und jedes Wort betonend): Wilhelm! — hast — Du — etwa — wieder Absichten? . . . . . . . . . . .
Wilhelm: Teufel!
Auguste: Das sagst Du? — pfui, Du!? der die Hand gegen seinen eignen Vater erhoben hat.
[S. 70]
Dr. Scholz (mit zornbebender Stimme in absolut befehlendem Tone): Auguste! — Du wirst Dich entfernen! — augenblicklich!!
Auguste: Na — ich möchte wissen . . . .
Dr. Scholz: Du wirst Dich augenblicklich entfernen!
Frau Scholz: O Du lieber Gott, warum nimmst Du mich denn nicht zu Dir! (weinerlich) Auguste! Du hörst! — folge dem Vater!
Robert: I, — Mutter! das würd’ ich ihr denn doch sehr verdenken. Sie ist doch kein kleines Kind mehr. Die Zeiten haben sich doch wahrhaft’gen Gott sehr verändert.
Dr. Scholz: Aber, ich habe mich nicht verändert. Ich bin der Herr im Hause. Ich werde Euch das beweisen.
Robert: . . . . lachhaft!
Dr. Scholz (schreiend): Räu — ber — und — Mör — der —!!! — — — ich — — — — — enterbe Euch!!! ich werfe Euch auf die Straße!
Robert: Das ist ja direkt komisch.
Dr. Scholz: (bemeistert einen furchtbaren Zornausbruch und spricht mit unheimlicher Ruhe und Festigkeit): Du, oder ich, einer von uns verläßt das Haus — augenblicklich.
Robert: Ich natürlich — mit Herzensfreude.
Frau Scholz (halb befehlend, halb bittend): Robert, Du bleibst!
Dr. Scholz: Er geht.
[S. 71]
Frau Scholz: Fritz! hör’ mir zu! er ist der einzige . . . . . in den langen, einsamen Jahren hat er uns nicht vergessen, er . . . . .
Dr. Scholz: Er, oder ich —!
Frau Scholz: Gieb nach, Fritz, thu’ mir die Liebe!
Dr. Scholz: Laß mich zufrieden! er, oder ich!
Frau Scholz: Ach, — Ihr braucht ja meinswegen einander nicht begegnen, es geht ja ganz gut einzurichten . . . aber . . .
Dr. Scholz: Gut, ich weiche. — Dir und Deiner Meute weiche ich! — Du und Deine Meute, Ihr habt von jeher den Sieg behalten!
Wilhelm: Bleib’, Vaterchen! oder wenn Du gehst, laß mich diesmal mit Dir gehen.
Dr. Scholz (unwillkürlich zurückfahrend, zwischen Zorn und Entsetzen): Laß mich zufrieden, — Taugenichts! (gedankenlos nach seinen Sachen suchend): Banditen und Tagediebe! — Taugenichtse!
Wilhelm (aufwallend): Vater! — so nennst Du uns . . . und bist es doch gewesen, der uns . . . . Ach Väterchen nein, nein, das will ich ja garnicht sagen! laß mich mit Dir gehn, ich will bei Dir bleiben, laß mich Alles wieder gut machen, was ich (er hat seine Hand auf des Vaters Arm gelegt.)
Dr. Scholz (vor Schreck und Entsetzen wie gelähmt, retiriert): Laß los! ich sage Dir — die Ränke der Verfolger werden zufällig . . . . . werden zuverlässig — zu Schanden werden. Sind das diese Leute, —[S. 72] diese Mächtigen, — und diese mächtigen Menschen sind das Männer? einen Mann der, wie ich, einige Schuld hat, aber im Uebrigen dennoch ganz und gar — und — durch und durch — und kurz und gut.
Wilhelm: Vater! Vater! Väterchen! komm zu Dir, komm doch zu Dir!
Dr. Scholz (sich im Rythmus der Worte bewegend, halblaut): Und kurz und gut und . . . ganz und gar . . . .
Wilhelm: (ihn umarmend, mit der instinctiven Absicht, seinen Actionsdrang zu hemmen): Faß Dich! nimm Dich zusammen!
Dr. Scholz (sich wehrend, wie ein kleines Kind flehend): Ach, schlag mich nicht! ach straf mich nicht!
Wilhelm: Aber um Gottes Himmels . . . . .
Dr. Scholz: Nicht schlagen! nicht — wieder — schlagen! (er macht krampfhafte Anstrengungen sich aus Wilhelms Umarmung zu befreien).
Wilhelm: Abfaulen soll mir die Hand — Väterchen glaub doch nicht, . . . . Väterchen denk doch nicht . . . . . .!
Dr. Scholz (hat sich befreit, flieht hülferufend von Wilhelm gefolgt).
Wilhelm: Schlag mich Du! schlag Du mich!
Dr. Scholz: Bitte, bitte, bitte, — . . . . Hülfe.
Ida (aus der Thür des Seitengemaches, todtenbleich).
Wilhelm (ereilt den Vater, umarmt ihn auf’s neue):. Schlag Du mich . . . .
Dr. Scholz (unter Wilhelms Umarmung auf einen[S. 73] Stuhl zusammenbrechend): Ich . . . a . . . ah! a — ah! . . . ich — glaube — es — geht — zu Ende — mit — mir.
Wilhelm: Vater!!!
(Frau Scholz und Auguste sind einander entsetzt in die Arme gesunken. Robert todtenbleich, hat sich nicht von der Stelle bewegt; sein Gesicht hat den Ausdruck unerschütterlicher Festigkeit.)
[S. 74]
Im Saale herrscht Halbdunkel. Die Lichter sind verlöscht bis auf einige auf dem Kronleuchter und ein einziges auf dem Christbaum. Vorn in der Nähe des Ofens am Tisch, den Rücken dem Nebenzimmer zugewendet, sitzt Wilhelm, die Ellbogen aufgestützt, sichtlich versunken in dumpfe, trostlose Grübelei. Robert und Frau Scholz betreten gleichzeitig die Halle, aus dem Nebenzimmer kommend.
Frau Scholz (Mit Zeichen der Erschöpfung, in gedämpftem Tone redend): Ne, Junge! — mach ok nich Geschichten! Jetzt — ma weeß nich hin, nich her. — Wenn’s nu was Schweres is, was d’nn dann?
Robert: Du bist ja doch nicht allein, Mutter!
Frau Scholz: Aber sag mer nur! das kann doch nich Dein richt’ger Ernst sein! Das ist ja überspannt! Wo willst Du denn jetzt mitten in der Nacht blos hin?
Robert: Wenn’s weiter nichts is! alle Augenblicke gehen Züge — und fort muß ich! — Diesmal kann ich’s wirklich nicht mehr aushalten — überhaupt — ’s ist für uns Alle das Beste!
Frau Scholz (weinerlich): ’S war immer so hibsch in den letzten Jahren. Ich sag schon — nu missen die wieder kommen! Seit die Buchners hier sind, is’s wieder mal reen verdreht, Alles.
Robert: Sei froh, daß Du die hast, Mutter!
[S. 75]
Frau Scholz: I, daß hätt’ ich ganz gutt selber machen können.
Robert: Ich denke, er leidet niemand von uns um sich —; Vater —?!
Frau Scholz (weinend): Accurat, als wenn ich ihm was Böses gethan hätte — und dabei bin — ich — doch gewiß — immer — diejenige gewesen . . . . ich hab gewiß immer mei’ Bestes gethan — sei mal gerecht, Robert! — Ich hab ihm sein schönes Essen gekocht — er hat seine warmen Strümpfe gehabt . . . .
Robert: Ach laß doch das, Mutter! — was hilft das end—lose Lamentiren?!
Frau Scholz: Ja, das sagst Du! — Du hast gut reden! — aber wenn man sich abgerackert hat sei’ Leben lang — man hat sich e’ Kopf zerbrochen, wie man’s und wie man’s blos recht macht — und nu’ kommen fremde Menschen, und die werden vorgezogen!
Robert: Ida ist immer noch bei ihm?
Frau Scholz: Eine wildfremde Person — ach ich möchte schon lieber garnicht mehr leben — und dieser Lump! — dieser Friebe! — dieser Lump! — wie der sich blos aufspielt! — Gustel hat’s ihm aber gesteckt! — Auguste hat ihm die Wahrheit aber ordentlich gesagt! — Dieser Kerl erdreistet sich — er hat sie geradezu aus dem Zimmer hinausgedrängelt. Das Mädel war außer sich. — Und das is nu seine Tochter . . . . ne . . . wißt er Kinder: was ich in meinen Leben[S. 76] schon ausgestanden habe! — ich mecht’s Keenem wünschen.
Robert (unwillkürlich, mit einem kleinen Seufzer): Vater auch!
Frau Scholz: Was —?
Robert: Nichts. — Vater auch sagte ich nur.
Frau Scholz: Wie denn?
Robert: Na — Vater hat doch auch manches ausgestanden.
Frau Scholz: Na meinswegen gewiß nich. Mich hat er nich sehr gemerkt. Ich bin gewiß anspruchslos.
Robert (skeptisch): — ’tja! — ’tja! — ’tja!
Frau Scholz: Wart’ nur, wenn ich wer’ im Grabe liegen — da werdt’er dann schon einsehen . .
Robert: Ach, Mutter, laß doch nur; — das hab ich ja schon hundertmal gehört.
Frau Scholz: Mag’s doch! Ihr werd’t’s schon noch emal einsehen — und paß uff — in gar nich langer Zeit.
Robert: Ach Mutter, ich bestreite ja doch garnicht, daß Du mancherlei gelitten hast — unter Vater — Ihr habt eben Beide gelitten. Ich begreife garnicht, weshalb Du mir das . . . .
Frau Scholz: Dummes Gerede! — was hat ihm denn gefehlt, möcht ich wissen?
Robert (unüberlegt): Wenn Du’s durchaus wissen willst: Verständniß!
Frau Scholz: Ich kann mich nicht klüger machen, wie ich bin.
[S. 77]
Robert: Das hat ja auch kein Mensch verlangt. — Ueberhaupt . . . . es ist ja überhaupt Unsinn noch viel davon zu reden.
Frau Scholz: Na nu hört’s ganz uff — (weinend) nu bin ich am Ende noch gar Schuld, daß er krank darnieder liegt, nu . . . .
Robert: Das sag ich ja gar nicht.
Frau Scholz: Das hast Du wohl gesagt.
Robert: Ach Mutter . . . .! Ich gehe lieber — ich . . . . Mutter, ich kann wirklich nicht mehr.
Frau Scholz: Nein! — ich möchte wissen — was ich mir vorzuwerfen hätte — ich habe ein gutes Gewissen.
Robert: Das magst Du behalten das magst Du auch meinethalben in Gottes Namen behalten! — (abwehrend) bitte — nicht mehr!
Frau Scholz: Die Geschichte mit dem Gelde meinst Du wohl?
Robert: Ich meine gar keine Geschichte.
Frau Scholz: Meine Eltern haben’s sauer verdient — welche Frau wird sich das gefallen lassen? — Dein Vater schmiß es geradezu zum Fenster naus.
Robert: Aber Dein Onkel betrog Dich drum.
Frau Scholz: Das konnte man nich wissen.
Robert: Und Vater war gut zum Wiederverdienen?!
Frau Scholz: Er hätte sich eben so gut verspeculiren können.
Robert: (lacht bitter.)
Frau Scholz: Ich bin eben ’ne einfache Seele[S. 78] — der Vater war eben zu vornehm für mich. — Seine Mutter hatte och so was Vornehmes. Aber mei’ Vater war früher bluttarm — in mir steckt eben das Armuthsblutt! Ich kann mich nich anders machen. Na meinswejen — die paar Jahre wird’s wohl noch gehen. Der liebe Gott wird mich schon bei Zeiten erlösen.
Robert: Von Gott erlöst sein möchte man lieber!
Frau Scholz: Pfui! das is e’ Hallunke, der das sagt. Ach —: von Gott erlöst sein — da nähm’ ich mir ne Nadel und stäch mer se — hier — in’s Herze — in die Rippen. Wie scheußlich is das: von Gott erlöst sein! Wo wäre ich blos geblieben, wenn ich meinen Gott nich gehabt hätte. — Willst Du d’nn wirklich fortgehn, Robert?
Robert (schon auf der Treppe): Ach schweig schon, Mutter! Ruhe brauch ich — Ruhe. (ab)
Frau Scholz: Je ja! — je ja, — Ihr macht ein’n’s Leben nicht leicht! (zu Wilhelm, der wie am Anfang noch immer antheillos am Tische brütet.) Nu denk’ Dir blos an —: Robert will fort!
Wilhelm: Meinethalben!
Frau Scholz: Sag mer nur —: wast sitzt Du denn immer so? das nutzt ja nischt, Du! — sei doch nur vernünftig!
Wilhelm (seufzt tief auf): Ach, ja!
Frau Scholz: Das Seufzen nutzt gar nichts! sieh mich an! — ich bin alt — wenn ich mich hinsetzen wollte, wie Du . . . . Was geschehn ist, ist[S. 79] geschehn. — Das ist nu mal nicht zu ändern. Hörst Du! lies was! — steh auf, nimm Dir ’n Buch und zerstreu Dich!
Wilhelm (seufzt): Ach, Mutter! — laß mich doch nur machen! — ich störe ja doch Niemand! . . . . Ist Friebe vom Arzt zurück?
Frau Scholz: Nein, eben nicht. Ich sag ja schon, wenn man mal ’n Arzt nöthig hat, da is gewiß keiner zu finden.
Wilhelm: Es ist bedenklich, nicht? — Ob es überhaupt noch mal werden wird?
Frau Scholz: Gott, ja! wer kann das wissen!
Wilhelm (starrt seine Mutter an, läßt plötzlich wild aufschluchzend die Stirn auf die Hände sinken).
Frau Scholz: Ja, ja, mein Junge —: wer hätte das gedacht?! ich will ja nicht sagen . . . . ich will ja Niemand die Schuld zuschieben — aber zanken hättet Ihr Euch doch heute nich grade wieder brauchen — na — ma muß eben’s Beste hoffen. — Er phantasirt ja nu wenigstens nich mehr. — Wenn Ida doch nur ja nichts versähe! — unser eins hat doch hundertmal mehr Erfahrung. — Warum kann er denn zu Ida freundlich sein!? — Ich beiße doch och nich! . . . . Ida is ja sonst ’n sehr ’n liebes Mädel is sie ja wirklich. — Und Du nu erst! (ihm auf dem Scheitel klopfend) Du kannst den lieben Gott schon danken — da kannst Du lange warten, bis Du wieder eine, wie Ida, findst! . . . . . . . (vorsichtig, vertraulich) . . . . Sag’ doch mal — sind die Buchners — gut situirt?
[S. 80]
Wilhelm (aufbrausend): Ach, laß mich zufrieden! — wie soll ich das wissen! — was geht das mich an!
Frau Scholz: Was is denn da weiter?! — ma’ wird doch ’mal fragen können — Brummbär Du!
Wilhelm: Ach, Mutter — verschon’ mich! — wenn Du eine Spur von Mitleid mit mir hast —: verschon’ mich! . . . . bekümmere Dich nicht um mich — verschon’ mich!
Frau Scholz: Na ja doch, ja! — ich bin Euch eben überall im Wege. — So ’ne alte Frau, die is höchstens noch gutt zum anranzen.
(Auguste und Frau Buchner hastig aus dem Nebenzimmer.)
Auguste: Mutter!
Frau Scholz: O Gott! was denn?
Auguste: Friebe ist eben gekommen.
Frau Buchner: Friebe hat keinen Arzt mitgebracht.
Auguste: Der Vater hat ihn gefragt, und da hat er gesagt . . . .
Frau Buchner: Er will keinen Arzt!!
Auguste: Er schimpft so furchtbar — er will ihn zur Thüre nauswerfen.
Frau Buchner: Friebe will nicht noch ’mal gehen.
Auguste: Sprich Du doch nur noch ’mal mit Friebe!
Frau Buchner: Ja, sprich Du mit ihm! es ist doch dringend nöthig, daß . . . . . . . .
[S. 81]
Auguste: Ein Arzt muß kommen — sonst lauf’ ich selbst, ich fürchte mich nicht, und wenn ich bis Friedrichshagen laufen muß.
Frau Scholz: I warum nich gar! — jetzt mitten in der Nacht — wart’ nur, wart’ — laß mich nur machen! (Frau Scholz, Frau Buchner und Auguste hastig zurück ins Nebenzimmer.)
Frau Buchner (kaum verschwunden, erscheint wieder. Schon bevor sie abging, hat sie ihren Blick verstohlen und kummervoll mehrmals auf Wilhelm gerichtet, der immer noch stumm und düster auf seinem Platze verharrt. Ein Blick überzeugt Frau Buchner, daß, außer Wilhelm und ihr selbst, Niemand zugegen ist. Hastig zuerst, dann mehr zögernd, nähert sie sich Wilhelm.)
Wilhelm (hat ihre Annäherung bemerkt, hebt den Kopf): Was w… wollen Sie? ich — habe Ihnen — ja doch — Alles vorher gesagt.
Frau Buchner: Aber ich wollte es Ihnen nicht glauben. — Ich konnte mir das nicht vorstellen.
Wilhelm: Und jetzt glauben — Sie es?!
Frau Buchner: Ich — weiß — nicht . . . .
Wilhelm: Weshalb belügen Sie mich? — sagen Sie doch — getrost, — ja. — Daß es so kommen mußte, war ja . . . . es war ja so lächerlich selbstverständlich. — Wie habe ich mich nur so können verblenden lassen!
Frau Buchner (mit Fiebereifer): Wilhelm! ich halte Sie heute, wie damals, für einen guten und edlen Menschen. Ich versichere Sie: nicht einen Augenblick lang habe ich an Ihnen gezweifelt. Auch[S. 82] jetzt, wo mir auf einmal so angst und bange wird . . . .
Wilhelm (erhebt sich, holt tief Luft ein, wie Jemand der Beklemmungen fühlt): Es ist mir nur . . . . ich wußte es ja längst und doch . . . . . .
Frau Buchner: Ich komme zu Ihnen, Wilhelm! — ich sage Ihnen offen . . . . es ist auf einmal so über mich gekommen. — Ich sorge mich auf einmal so entsetzlich um Ida.
Wilhelm: Ich muß gestehen . . . . . . nur gerade jetzt — —
Frau Buchner: Ich weiß ja, Sie lieben das Kind. Es kann sie ja auch Niemand inniger lieben! — Ich weiß, Sie werden mit allen Kräften streben, meine Tochter glücklich zu machen. An Ihrem Willen wird es nicht fehlen, aber nun . . . . nun habe ich so mancherlei . . . . nun habe ich so viel gesehen hier und — erfahren. Da ist mir vieles . . . . . vieles von dem, was Sie mir früher gesagt haben, erst verständlich geworden. Ich verstand Sie nicht. Ich hielt Sie für einen Schwarzseher. Ich nahm Vieles gar nicht einmal Ernst. Mit einem festen, frohen Glauben kam ich hierher. Ich schäme mich förmlich. Was habe ich mir zugetraut! Solche Naturen wollte ich lenken, ich schwache, einfältige Person! — Nun wankt Alles. Ich fühle auf einmal meine furchtbare Verantwortung: für mein Kind, für meine Ida bin ich doch verantwortlich. Jede Mutter ist doch verantwortlich für ihr Kind. Reden[S. 83] Sie mir zu, Wilhelm! sagen Sie mir, daß Alles noch gut werden wird! Sagen Sie mir: wir werden glücklich! —: Sie und Ida. Beweisen Sie mir, daß ich unnütz Furcht und Sorge habe, Wilhelm! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wilhelm: Warum — haben Sie’s — soweit — kommen lassen? — Ich habe Sie gewarnt — und gewarnt. Was habe ich Ihnen gesagt? ich habe gesagt: wir Alle . . . . wir Geschwister . . . . daß wir unheilbar kranken . . . . . vor allem ich . . . . daß wir an uns schleppen. — Binden Sie Ihre Tochter nicht an einen Krüppel, — habe ich Ihnen gesagt. — Warum haben Sie mir nicht glauben wollen?
Frau Buchner: Ich weiß nicht. Ich weiß das selbst nicht.
Wilhelm: Nun haben Sie mich eingeschläfert, mein Gewissen beschwichtigt, — und jetzt — halb toll bin ich geworden vor Glück. — Ich habe Augenblicke durchlebt — durchkostet —! und auch andere wieder . . . . . . Die furchtbarsten Kämpfe meines Lebens — und nun — verlangen Sie . . . . nun man muß zusehen, — vielleicht, ja vielleicht . . . .
Frau Buchner: Wilhelm! ich verehre Sie! — ich weiß, daß Sie am Ende doch jedes Opfer bringen. Aber Ida . . . . wenn es für sie zu spät ist . . . . wenn sie daran zu Grunde geht!
Wilhelm: Warum haben Sie mir denn nicht glauben wollen? — Sie wissen nicht — was mich[S. 84] das jetzt kostet. Stufe um Stufe mühsam gebaut habe ich mir — ach, so mühsam! so mühsam! . . . Dies Haus hier lag hinter mir. — Gerettet war ich fast. — Nun hat es mich wieder hereingerissen . . . Warum mußten Sie es nur so weit kommen lassen? warum . . . . . .
Frau Buchner (unter Thränen): Ich weiß nicht! ich weiß das selbst nicht! ich habe das Kind erzogen. Es ist mir Alles in Allem gewesen; an seinem Glück zu arbeiten ist auf der Welt mein’ einziger Beruf gewesen. — Nun kamen — Sie in unser Haus. — Ich gewann Sie lieb. — Ich dachte auch an Ihr Glück, ich . . . . . Das hätte ich vielleicht nicht thun sollen . . . . Ich dachte vielleicht eben so sehr an Ihr Glück — und — wer weiß? — am Ende — zu — allermeist — an — Ihr Glück (einen Augenblick lang starren Beide einander bestürzt in die Augen).
Wilhelm: Frau Buchner!!!
Frau Buchner (das Gesicht mit den Händen bedeckend, wie Jemand, der sich schämt, weinend ab durch den Treppenausgang).
Wilhelm (thut mechanisch ein paar Schritte hinter ihr drein, steht still, sucht seiner inneren Bewegung Herr zu werden, muß sich aber plötzlich, von Weinen geschüttelt, an der Wand stützen.)
Ida (ihr Gesicht ist bleich, ihre Mienen drücken Ernst und Besorgniß aus. Sie tritt leisen Schrittes zu Wilhelm, umfaßt ihn und drückt ihre Wange an die seine): Ach, Willy! sieh’ ’mal: es kommen trübe und — es kommen — nicht, Willy? — es kommen auch wieder helle Tage. Wer[S. 85] wird sich gleich so . . . . . so ganz und gar muthlos machen lassen.
Wilhelm (leidenschaftlich stammelnd): Ida! — Einzige!! — Liebste!! — Süße — wie soll ich denn nur . . . . . wie sollt ich denn nur jetzt leben ohne Dich? — Deine Stimme, Deine Worte, Dein ganzes süßes, wunderbares Wesen, Deine Hände . . . . . . Deine milden, treuen Hände.
Ida: Denkst Du ich? — Denkst Du ich möchte leben, ohne Dich? — Nein Du! — wir wollen uns umschlingen und nicht los lassen — fest — fest — und so lange es so ist . . . . . .
Wilhelm: Ja, ja! — aber — wenn’s nun ’mal anders würde?
Ida: Ach, sprich nicht so!
Wilhelm: Ich meine ja nur . . . . man kann doch nie wissen . . . Eins kann sterben . . . .
Ida: Ach, wir sind jung.
Wilhelm: Wenn auch. — Einmal kommt’s doch auch — alt werd’ ich so wie so nicht.
Ida (heiß): Dann umarm’ ich Dich — dann drück’ ich mich an Dich — dann geh’ — ich — mit Dir.
Wilhelm: Ida! — das sagt man so. — Das thust Du doch nicht.
Ida: Das thue ich!
[S. 86]
Wilhelm: Du denkst Dir das jetzt so — Du weißt nicht wie schnell man vergißt.
Ida: Ich könnte nicht athmen ohne Dich!
Wilhelm: Das bildet man sich ein . . . .
Ida: Nein, nein, nein, Wilhelm! . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wilhelm: So zu lieben — wäre aber — sogar eine Thorheit. Man wird doch nicht alles auf eine Karte setzen.
Ida: Ich — versteh’ Dich — nicht ganz.
Wilhelm: Nur so . . . . ich . . . . sieh’ ’mal (in ärgerlichem Tone). Ach, Du! — das Thema ist unerquicklich! . . . . . . wie geht es Vater?
Ida: Er schläft jetzt — aber was hast Du denn nur?
Wilhelm (umhergehend): Das kommt so — man weiß nicht wie. (Plötzlich knirschend) — Es giebt Momente, sag’ ich Dir . . . .! wenn einen die Wuth der Verzweiflung übermannt . . . . . in solchen Augenblicken kann ich mir denken . . . . in solchen Augenblicken kommt’s dazu, daß Menschen sich fünf Stock hoch — den Kopf zuerst — auf das Pflaster stürzen; — förmlich wollüstig wird einem diese Vorstellung.
Ida: Gott behüte! — Solchen Vorstellungen mußt Du nicht nachhängen, Willy!
Wilhelm: Warum denn nicht, möchte ich wissen? warum sollen Kerls, wie ich, zwischen Himmel und Erde herumschmarotzen? —: Nichtsnutzige Geschöpfe! — Sich selbst ausmerzen — das[S. 87] wäre doch noch was, — dann hätte man doch einmal etwas Nützliches gethan.
Ida: Es ist ja im Grunde nicht zu verwundern: — Du bist überreizt und abgespannt . . .
Wilhelm (in schroffen abweisenden Tone): Laß mich zufrieden Du, das verstehst Du nicht! (über sich selbst erschrocken, verändert.) Ach, Du! — Du mußt mir’s nicht übel nehmen. — Geh’ doch lieber jetzt! Ich möchte Dich nicht verletzen. Und wie mir nun ’mal zu Muthe ist — kann ich nicht — einstehen für mich.
Ida (küßt Wilhelm stumm auf den Mund, dann ab in das Seitengemach).
Wilhelm: (blickt ihr nach, geht, steht still, zeigt ein Gesicht voll Schrecken und Staunen und faßt sich an die Stirn, wie Jemand, der sich auf bösem Wege ertappt hat. Während dies geschieht, ist Robert durch den Treppenbogen eingetreten).
Robert (den Hut in der rechten Hand, über’m Arm den Ueberzieher und eine Reisedecke, in der Linken einen Plaidriemen, begiebt sich bis an den Tisch, wo er die Sachen ablegt).
Wilhelm (bemerkt ihn und sagt, nachdem er ihn eine Weile beobachtet): Wohin — willst Du?
Robert: Fort.
Wilhelm: Jetzt?
Robert: Warum nicht? — (den Plaidriemen ausbreitend). Ich habe genug — über und über sogar! — Mutter wird künftig . . . . . wird künftig die Weihnachtstage — ohne mich auskommen müssen — (nach dem Ofen umblickend). Es ist kalt hier.
Wilhelm: Draußen friert’s.
Robert (die Reisedecke rollend): So! — um zehn thaute es doch.
[S. 88]
Wilhelm: Es ist umgeschlagen.
Robert: Wie wird man nur den Berg ’runter kommen bei der Glätte?
Wilhelm: Der Mond scheint ja!
Robert: Wenn auch.
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wilhelm: Er phantasirt nicht mehr.
Robert: So, so!
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wilhelm: Er will keinen Arzt.
Robert: So, so!
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wilhelm: Es ist so plötzlich gekommen, man —
Robert: Hm — ja, ja!
Wilhelm: Es muß doch in ihm gesteckt haben.
Robert: Natürlich — sonst wäre er doch wohl nicht nach Hause gekommen . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wilhelm: Mir graut — was daraus werden soll?!
Robert: Was soll man machen?!
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wilhelm: Meiner Seele — ich weiß nicht, was ich anfange, — wenn er einmal stirbt . . . . . Mit meinem Bewußtsein! mit dem, was ich jetzt erkannt habe! . . . . . ich wüßte wirklich nicht . . . . . und nun noch die Reue, die Gewissensbisse . . . . . ä! — was da! — was liegt schließlich daran?!
Robert: I, Du! — da hätte man viel zu thun . . . . . der Alte ist ein Bischen anders — na ja[S. 89] — unsere Vorstellung stimmte nicht ganz. Gott, ja! aber das ändert doch nichts an der Sache.
Wilhelm: Ich sage Dir — es ist mir heiliger Ernst — mit Wollust würde ich heut verzichten, auf das ganze elende Bischen Leben, wenn es ihm zu Gute käme.
Robert (den Ueberrock anziehend): Das hat wenig Sinn Du — meiner Ansicht nach — Sieh mal, ich gehe jetzt in ein kleines, geheiztes Comptoirchen, setze mich mit dem Rücken an den Ofen — kreuze die Beine unter dem Tisch — zünde mir diese . . . . . selbe Pfeife hier an und schreibe — in aller Gemüthsruhe hoffentlich, solche . . . . . na, Du weißt schon solche Scherze, . . . . . solche Reclamescherze: Afrikareisender . . . . . nahe am Verschmachten, na . . . . . und da laß ich denn gewöhnlich eine Caravane kommen, die unsern Artikel führt. — Mein Chef ist sehr zufrieden — es geht durch den Inseratentheil aller möglichen Zeitungen; und was die Hauptsache ist —: Wenn ich da so sitze, siehst Du, und die Gasflamme den ganzen Tag so über mir fauchen höre — von Zeit zu Zeit so’n Blick in den Hof — so’n Fabrikhof ist nämlich was Wunderbares! — was Romantisches, sag ich Dir! . . . . . mit einem Wort, da summt mich keine Hummel an.
Wilhelm: Dann lieber gleich todt sein.
Robert: Geschmacksache! — Für mich ist es ein idealer Winkel geradezu; — soll man sich denn immerfort aus dem Gleichgewicht bringen lassen, soll man sich denn kopfverwirrt machen lassen, — ich[S. 90] werde so wie so zwei bis drei Tage gebrauchen um mich — auf mein Bischen Lebensweisheit zu besinnen.
Wilhelm: Sag was Du willst: das nenn ich feig.
Robert: Na item, nenn es so. Früher oder später kommst Du doch auf meinen Standpunkt. Vater ist auch zuletzt auf diesen Standpunkt gekommen. Vater und Du, Ihr ähnelt einander zum verwechseln. Ihr seid dieselben Idealisten. Anno 48 hat Vater auf den Barrikaden angefangen, und als einsamer Hypochonder macht er den Schluß. — Man muß sich an die Welt und an sich selbst bei Zeiten gewöhnen, Du! — eh man sich die Hörner abgelaufen hat.
Wilhelm: Oder aber an sich arbeiten, um anders zu werden.
Robert: Das sollte mir einfallen, ich bin, wie ich bin. Ich habe ein Recht so zu sein, wie ich bin.
Wilhelm: Dann fordere Dein Recht auch offen!
Robert: Ich werde mich hüten, denn ich will zu meinem Rechte kommen. Die Moralphilister sind nun mal in der Mehrheit. — Uebrigens ich muß nun doch gehen — also . . . . und wenn ich Dir rathen soll, Du: nimm Dich vor den sogenannten guten Vorsätzen in Acht!
Wilhelm (kalt): Wie meinst Du denn das?
Robert: Ganz einfach: man muß nicht Dinge leisten wollen, die man seiner ganzen Naturanlage nach nun mal nicht leisten kann.
Wilhelm: Zum Beispiel?
[S. 91]
Robert: I! — zu mir kommen zum Beispiel manchmal solche Kerls, die mir den Kopf wer weiß wie heiß machen, von Idealen schwatzen. Man müsse für die menschheitlichen Ideale kämpfen, was weiß ich! — ich und für Andere kämpfen! fabelhafte Zumuthung! — und für was und zu was denn? — Na aber wie ich Dich kenne, Dich beunruhigt so was, Du würdest herumlaufen, wie einer der gestohlen hat: was bin ich für ein Jammerkerl! würdest Du Dir in einem fort sagen. Hab ich nicht Recht? na und dann käme schließlich der gute Vorsatz, und der drückt einen dann, das kenne ich. Ich bin auch früher mit hunderterlei solcher Vorsätze herumgelaufen. — Jahrelang — und das ist kein Vergnügen sag ich Dir!
Wilhelm: Ich weiß nicht recht, auf was Du hinaus willst?
Robert: Etwas Bestimmtes habe ich auch durchaus nicht im Auge: — die Unruhe — an der Du jetzt laborirst — hat ja auch noch andre Ursachen . . . . . . Ich jedenfalls . . . . . wenn ich früher merkte . . . . in früheren Zeiten habe ich ja auch ähnliches durchgemacht — aber sobald ich merkte, daß die Geschichte über meine Kräfte ging, habe ich ihr gewöhnlich kurz entschlossen den Rücken gewandt.
Wilhelm: Soll das ein Wink sein?
Robert: Wink? — ich wüßte nicht . . . . . also nochmals — laß Dir’s gut gehen und . . . . .
Wilhelm: Sag mir doch mal Du — rein objektiv — es hat ein gewisses Interesse für mich . . . . es ist nur weil . . . .
[S. 92]
Robert: Bitte, — was wünschest Du zu hören?
Wilhelm: Du hast selbst vorhin etwas gesagt.
Robert: Wann, vorhin?
Wilhelm: Als wir über Vater sprachen.
Robert: Ach richtig, ja — was soll ich denn da gesagt haben?
Wilhelm: Du sagtest, es würde vielleicht doch gut werden mit Ida und mir.
Robert: Ja so, — Euer Verhältniß, — das hätte ich gesagt. —?
Wilhelm: Das hast Du gesagt.
Robert: Nu ja, ich habe da manches gesagt.
Wilhelm: Das heißt so viel, als — Du bist von manchem, was Du da gesagt hast, zurückgekommen.
Robert: Ganz recht, das bin ich.
Wilhelm: Auch was die . . . . diese selbe Sache anbelangt . . . .?
Robert: Euer Verhältniß?
Wilhelm: Ja.
Robert: Ist Dir das denn wichtig?
Wilhelm: Ja, vielleicht.
Robert: Ja.
Wilhelm: Du bist also nicht mehr der Ansicht — daß wir . . . . .
Robert: Nein.
Wilhelm: Schön — ich danke Dir — Du bist offen — ich danke Dir. — Aber nehmen wir mal an — setzen wir den Fall, ich kehre der ganzen Sache den Rücken — sehen wir zunächst mal ganz davon ab, was das für mich bedeuten würde angenommen[S. 93] — also, ich ginge auf der Stelle mit Dir — was sollte dann — aus Ida — werden?
Robert: Hm — Ida? — Ida? (zuckt die Achseln) hm ja, ja — das läßt sich nicht so schnell . . . . das heißt — besorgen würde mich das wirklich nicht so sehr.
Wilhelm: Du!!! das ist Deine alte Perfidie! das kenne ich.
Robert: Perfid? wieso denn? nein da täuschest Du Dich! um perfid zu sein ist mein Interesse doch nicht ausreichend — mein Interesse an der Sache mein ich. Ich glaube wirklich nicht . . . . .
Wilhelm: Das weiß ich besser, Du. Du wirst mich doch nicht dieses Mädchen kennen lehren wollen?! es ist nun mal so — verlaß Dich darauf! sie hat nun mal ein Gefühl für mich, ich kann’s nicht ändern — ich bilde mir nichts ein darauf. — Was wird also aus ihr werden, wenn ich davon laufe?
Robert: Hm — machst Du Dir also wirklich ernstlich darüber Gedanken?
Wilhelm: Allerdings — ja — allerdings.
Robert: Antworte mir doch gefälligst erst mal darauf: wenn Ihr Euch heirathet, was wird dann aus Ida?
Wilhelm: Das kann kein Mensch wissen.
Robert: O doch, Du! das weiß man —: Mutter.
Wilhelm: Als ob Ida mit Mutter zu vergleichen wäre.
[S. 94]
Robert: Aber Du mit Vater.
Wilhelm: Jeder Mensch ist ein neuer Mensch.
Robert: Das möchtest Du gern glauben. Laß gut sein! da verlangst Du zu viel von Dir. Die fleischgewordene Widerlegung bist Du ja doch selbst.
Wilhelm: Das möchte ich wissen.
Robert: I, das weißt Du sehr genau.
Wilhelm: Schließlich kann man sich darüber hinaus entwickeln.
Robert: Wenn man danach erzogen ist nämlich.
Wilhelm: Ach, es hat keinen Sinn weiter zureden.
Robert: Durchaus meine Ansicht.
Wilhelm: Das kann ja doch zu nichts führen (ausbrechend, außer sich.) Ihr wollt mich zu Grunde richten! — Ich bin das Opfer eines Complots! — Ihr habt Euch gegen mich verschworen, Ihr wollt mich abthun! — Ihr wollt mich endgültig abthun!
Robert: Das war Vaters zweites Wort.
Wilhelm: Das ist lächerlich, — Deine Bemerkungen sind einfach lächerlich! — Habe ich etwa nicht Grund, das zu sagen — wollt Ihr mich etwa nicht von Ida trennen? Es ist . . . . . aufrichtig gesagt — mir fehlen die Worte . . . . . Es liegt eine so fabelhafte Anmaßung . . . . eine Brutalität liegt darin — über alle Begriffe geradezu! Mit Ida soll ich Mitleid haben! — wer hat denn mit mir Mitleid, sag mal? nenn mir einen Menschen! — wer denn?
[S. 95]
Robert: Selbstverständlich! — wenn Du so sprichst, selbstverständlich!
Wilhelm: Man verlangt Opfer von mir. — Auf einmal soll ich die unsinnigsten Opfer bringen! Ich soll . . . .
Robert: Du kannst Dir jedes Wort getrost sparen. — Unter solchen Verhältnissen selbstverständlich. — Es ist Dein gutes Recht, das Mädchen fest zu halten.
Wilhelm: Unter solchen Verhältnissen? — unter was für Verhältnisse? sag mir doch bitte!
Robert: Du sprachst von Ida — vorhin — meines Wissens . . .
Wilhelm: Nun ja — also was —?
Robert: Jetzt sprichst Du von Dir — es kam so heraus — na — mit einem Wort, wenn es Dir gleichgültig ist, was aus dem Mädchen wird — wenn Du die nöthige Dosis . . . . nun sagen wir meinetwegen Rücksichtslosigkeit auf Lager hast . . . . wenn Du sie so nimmst . . . . so wie einen neuen Rock oder Hut oder so was . . . . . .
Wilhelm: Robert! — so durch und durch herzlos, wie Du bist, — Du hast doch diesmal Recht — ich gehe mit Dir . . . . hier aus dem Hause — heißt das — gehe ich mit Dir . . . . ein Stück — nicht weit — und nun . . . . nun . . . . bin ich fertig — mit Euch Allen. — Ja, ja, jetzt bin ich — rede nicht erst! — jetzt bin ich wirklich fertig — ganz und gar . . . . . . .
Robert (sieht ihn erstaunt an und zuckt dann mit den Achseln.)
[S. 96]
Wilhelm (mit steigender Heftigkeit): Du, Du! — gieb Dir keine Mühe — es gelingt Dir nicht — mich kannst Du nicht täuschen mit Deiner harmlosen Ruhe. — Recht hast Du allerdings, aber was Dich auf den rechten Gedanken gebracht hat, das sag ich Dir in’s Gesicht, das ist jämmerlicher Neid . . . . . das ist einfach tief klägliche Mißgunst! — Du weißt sehr gut, daß ich ehrlich kämpfen würde, doch ihrer schließlich einigermaßen würdig zu werden. — Du weißt sehr gut, wie dieses Mädchen mit ihrer Reinheit mich reinigt. Aber Du willst es nicht! Du willst mich nicht gereinigt wissen. — Warum willst Du es nicht? — nun weil . . . . weil Du selbst so bleiben mußt, wie Du bist . . . . . . weil sie mich liebt und nicht Dich! — Und deshalb hast Du mir diesen ganzen Abend mit Deinem Polizeiblick aufgelauert . . . . . hast mir immer und immer wieder zu erkennen gegeben, daß Du etwas von mir weißt — ja wohl! Du hast ganz Recht! ich bin ein durch und durch lasterhafter Mensch. Nichts ist mehr rein an mir. Besudelt, wie ich bin gehöre ich nicht neben diese Unschuld, und ich bin auch entschlossen, kein Verbrechen zu begehen. Aber Du Robert! Du wirst dadurch nicht reiner; ein Glück für Dich, daß Du Dich nicht mehr schämen kannst!
Robert (hat während des letzten Drittels von Wilhelms Rede seine Sachen genommen und ist dem Ausgang zugeschritten. Die Klinke in der Hand bleibt er stehen, als ob er reden wollte, besinnt sich eines anderen, zuckt resignirt mit den Achseln und entfernt sich sehr ruhig. Ab.)
[S. 97]
Wilhelm (dem Davongegangenen nachrufend): Robert! — Robert! —
Ida (aus dem Nebenzimmer eintretend): Wen rufst Du denn?
Wilhelm: Ach — Du bist hier.
Ida: Der Arzt ist drin, Wilhelm — er sagt — es sei doch ernst, es . . . .
Stimme der Frau Scholz (jammernd): Mein lieber guter Mann, ach! . . . . ach, mein lieber, guter Mann!
Wilhelm: Was habe ich gethan! was habe ich nun wieder gethan!
Ida: Es drückt mir das Herz ab. — Ich möchte Dich gern — nicht fragen, ich . . . . aber es muß etwas . . . . Du hast etwas Willy!
Wilhelm: Gar Nichts habe ich — in die Einsamkeit möchte ich wieder — dort ist unser Platz, Ida.
Ida: Weshalb —? ich verstehe garnicht.
Wilhelm (barsch und heftig): Ja, ja, ja! das ist ja die alte Leier —: ich versteh Dich nicht, ich versteh Dich nicht! — Mutter und Vater haben auch ihr Leben lang verschiedene Sprachen gesprochen; Du verstehst mich nicht! Du kennst mich nicht! — Du hast platte Backfischillusionen, und da habe ich nichts weiter zu thun, als mich zu verstecken vor Dir und zu verstecken — bis ich ganz und gar zum elendesten Betrüger und Schurken werde.
Ida (hat Wilhelm bestürzt angeblickt, nun weint sie).
[S. 98]
Wilhelm: Da siehst Du nun: dies ist mein wahres Gesicht. Und ich brauche nur einen Augenblick lang zu vergessen, was ich Dir gegenüber für eine Rolle spiele, da kommt es auch schon hervor. Du kannst mein wahres Gesicht nicht ertragen. Du weinst und Du würdest Jahre hindurch weinen, wenn ich nicht Mitleid mit Dir hätte. — Nein, Ida, es darf zwischen uns nichts werden . . . . . ich bin zu dem festen Entschluß gekommen.
Ida (An seinen Hals fliegend): Das ist nicht wahr! — das ist nun und nimmermehr wahr!
Wilhelm: Denk’ an das, was Du hier gesehen hast! sollen wir es von neuem gründen? — sollen wir dieses selbe Haus von neuem gründen?
Ida: Es wird anders werden! es wird besser werden, Wilhelm.
Wilhelm: Wie kannst Du das sagen?
Ida: Das fühle ich.
Wilhelm: Aber Du stürzst Dich blindlings in’s Verderben, Ida! ich reiße Dich in’s Verderben!
Ida: Ich habe keine Furcht, — davor habe ich keine Furcht, Wilhelm! hab’ nur wieder Vertrauen! gieb’ mir nur wieder Deine Hand! Dann werd’ ich Dir etwas sein können — stoß mich nur nicht von Dir . . . . . . . .
Wilhelm: Gieb’ mich frei! — zum ersten Mal liebst Du! — Du liebst eine Illusion. Ich habe mich weggeworfen, wieder und wieder. Ich habe Dein Geschlecht in Andern geschändet. — Ich bin ein Verworfener. —
[S. 99]
Ida (jauchzend und weinend ihn umhalsend): Du bist mein! Du bist mein!
Wilhelm: Ich bin Deiner nicht werth!
Ida: O sage das nicht! vor Dir bin ich klein, ach, wie klein! wie eine kleine, kleine Motte bin ich nur. Wilhelm, ich bin nichts ohne Dich! ich bin Alles durch Dich — zieh’ Deine Hand — nicht — von mir — armseligen — Geschöpfe!
Wilhelm: Ida!!! — ich Dir? Ida ich? . . . (umarmen und küssen sich unter Lachen und Weinen.) Ich soll meine Hand nicht von Dir ziehen? — Ja — was — sagst Du denn da — was sagst Du — denn nur — da — Du — böse . . . . .
Ida: Nun — versprichst Du — mir — nun . . .
Wilhelm: Ich schwöre Dir — jetzt . . . . (ein markdurchdringender Aufschrei aus dem Nebenzimmer schneidet die Rede ab. Betroffen und entsetzt starren Ida und Wilhelm einander in die Augen).
Stimme der Frau Scholz: Mein Mann — stirbt ja! — mein — guter, lieber Mann — stirbt ja doch — mein Mann . . . . (lautes Weinen).
Wilhelm: Gott! — mein Gott — was? — Vater!!! Vater!!! (will sich in’s Nebenzimmer stürzen; halbwegs kommt Ida ihm zuvor.)
Ida: Wilhelm! — komm’ zu Dir selbst! — und — geh’ nicht — ohne mich!
(Friebe kommt von Schluchzen geschüttelt aus dem Nebenzimmer und verschwindet in der Küche.)
Auguste (folgt Friebe auf dem Fuße. Vor Wilhelm stehen bleibend, stößt sie mühsam hervor): Wer — trägt nun — die Schuld? — wer? wer —? — (Sie bricht am Tisch[S. 100] zusammen, ein dumpfes und hohles Stöhnen entringt sich ihrer Brust. Das laute Weinen der Frau Scholz ist noch immer hörbar.)
Wilhelm (will ausbrechen): Auguste!
Ida (an Wilhelm’s Brust beschwichtigend, mit bebenden Lauten): Wilhelm, — ich glaube — Dein Vater — ist nicht mehr.
(Wilhelm will auf’s Neue ausbrechen, wird abermals durch Ida beschwichtigt, kämpft seinen Schmerz nieder, sucht und findet Ida’s Hand, die er krampfhaft in seiner drückt, und geht Hand in Hand mit dem Mädchen aufrecht und gefaßt auf das Nebengemach zu.)
Druck von A. Klarbaum, Berlin S.O.
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