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Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Dresden
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
Band XII
Inhalt: Im Zauber des Erzgebirges – Kurt Arnold Findeisen – Auf der Schwelle des Erzgebirges – Der Vielfraß in Sachsen – Der Wanderfalke in Sachsen – In der Zeit der schweren Not – Hiddensee, die Insel der Heimatsehnsucht – Unsre Elbvögel, einst und jetzt! – Der Kiebitz als Brutvogel im Moritzburger Gebiet – Die Sageneiche am Ölteiche zu Kohren – Die Grabentour – Sächsische »Schweiz«? – Bücherbesprechung
Einzelpreis dieses Heftes M. 2500.—, Bezugspreis für einen Band (aus 12 Nummern bestehend) M. 9000.—, für Behörden und Büchereien M. 5000.—. Mitglieder erhalten die Mitteilungen kostenlos, Mindestmonatsbeitrag M. 300.—, freiwillige Einschätzung erbeten
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Bankkonto: Commerz- und Privatbank, Abteilung Pirnaischer Platz, Dresden
Dresden 1923
In den letzten Tagen haben wir um Einsendung eines Notbeitrages von 1000 M. für Einzelmitglieder, 5000 M. für körperschaftliche Mitglieder gebeten, und wir haben so viel ansehnliche Beträge aus freiem Ermessen erhalten, daß wir die feste Zuversicht haben, daß, wenn alle noch ausstehenden Beiträge eingehen, wir in der Lage sein werden, den Verein und seine Werke durchzuhalten. Die vielen Einsendungen, die noch ausstehen, müssen aber unter allen Umständen eingehen, und deshalb bitten wir alle diejenigen, die unsrer Bitte noch nicht nachgekommen sind, dies umgehend zu tun und zur Einsendung die Zahlkarte zu benutzen, die unsrem Rundschreiben beilag, das wir in den letzten Tagen des Februar an alle unsre Mitglieder versandten.
Aus dem vorliegenden Heft bitten wir zu entnehmen, daß es ohne die geringste Einschränkung in der alten Ausstattung, wie unsre Hefte seit 1908 erscheinen, hergestellt worden ist. Auch daraus bitten wir unsre verehrten Mitarbeiter, Mitglieder und Freunde zu ersehen, daß unsre Hoffnungen auf das Durchhalten unsres Vereins nicht trügerisch sind, sondern daß bei uns nicht nur der feste Wille dazu besteht, sondern auch die sicheren, wohldurchdachten und berechneten Grundlagen vorhanden sind, das gesteckte Ziel zu erreichen.
Wir bitten, die beiden letzten Umschlagseiten dieses Heftes zu beachten und uns im weiteren Kampf um das Bestehen des Vereins zum Besten von Heimat und Volk nicht im Stich zu lassen. Wir danken aufrichtig und herzlich für alle Mitarbeit, für alle Hilfe; der schönste Dank ist das Durchhalten der Bewegung, des Vereins in schwerster Zeit.
Mit deutschem Gruß!
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
März 1923
[1]
Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern herausgegeben
Abgeschlossen am 1. Februar 1923
Von Hans Hänig (Wurzen)
Worin besteht eigentlich der Zauber des Erzgebirges?
Ich habe es seit länger als zwei Jahrzehnten nach allen Richtungen durchstreift, ich bin auf tausend Pfaden gegangen, an denen die große Menge achtlos vorbeigeht und habe einsame Bäche in ihrem Laufe verfolgt, die in irgendeinem Winkel des Hochwaldes ihren Ursprung nehmen. Ich habe beinahe auf allen Hochwarten gestanden, die das Gebirge aufzuweisen hat, und immer hat es mir wieder Neues und Seltsames geboten. Es muß wohl die Menschenseele sein, die hier in den Höhen und Tiefen der Landschaft ihre Geheimnisse wiederfindet.
Seitdem ich das erstemal auf einer Höhe des Gebirges stand, um die Blicke nach dem Wogen von Bergen und Tälern hinüberschweifen zu lassen, durchwanderte ich einen großen Teil von Deutschlands Gauen, und das Schicksal verschlug mich auch in andere Teile Europas – aber alles, was ich da fand, das finde ich vereint in meinem Erzgebirge wieder. Der Wald- und Moorreichtum des westlichen Gebirges versetzt mich immer wieder zu den Höhen des Böhmerwaldes, wenngleich von dessen Gipfeln die Aussicht vielleicht noch weiter und umfassender ist, aber das schwermütige Bild zu den Füßen des Beschauers ist noch dasselbe und mir ist, als müßte dem Erzgebirge noch einmal ein Dichter wie A. Stifter erstehen, der seine[2] Schönheit im Innersten zu erfassen vermag. Die Burgruinen und bewaldeten Kuppen am südlichen Steilabfall des Gebirges vermögen dem Wanderer einen Augenblick rheinische Landschaften vor das Auge zu zaubern. Das Waldgebiet um den Teufelsstein im oberen Schwarzwassertal zeigt Fichtelgebirgsstimmungen, und die langen Linien des stilleren östlichen Gebirges werden ihn an die Landschaften der Eifel und des hohen Venn erinnern, die besonders im Herbst einen so eigentümlich schwermütigen Eindruck machen. Mit dem Hochgebirge hat das Erzgebirge nur wenig Gemeinsames, und doch finden sich auch hier Berührungspunkte: der Greifenstein ist eine gute Schule für angehende Kletterer, und der Gebirgskamm am Fichtelberg und Keilberg trägt wie der alpine Steig im Schwarzwassertal bei Aue einen echt alpinen Charakter wie vielleicht wenig andere Gebirgslandschaften in Deutschland.
Ich habe diese Täler und Höhen zu jeder Zeit des Jahres beobachtet: wenn der Frühling die Gebirgsbäche schwellt oder wenn Sommertagszauber auf den Bergstädten und Halden liegt. Vielleicht ist auch hier der Herbst am schönsten, und die klare, reine Luft läßt dann Einzelheiten hervortreten, die durch die Schwüle des Sommers nur allzuoft verwischt waren. An solchen Tagen hebt sich jedes Baumblatt in klaren Umrissen vom Horizonte ab und dahinter ein Stück altersgrauer Fels, bis auch dieser wieder in das brennende Feuer der Abendröte getaucht ist. Dann wird die Freude an den tausend kleinen Entdeckungen, die der Wandrer bei seinen Fahrten macht, zur Andacht – zu der großen, stillen Andacht, die den Menschen im Innersten seine Verwandtschaft mit der Natur ahnen läßt.
Oft lag der Mittagszauber über dieser Erzgebirgsnatur, und die Linien des Gebirges lösten sich in der Schwüle auf, die über Tälern und Wäldern lag. Das Mittagsgespenst geht um und drückt Menschen und Tiere. Die Halden liegen einsam und versonnen, und in den Bergstädten schläft man ein Stück in den Nachmittag hinein. Wer in solchen Zeiten in der Natur ist und ihrem Weben nachgeht, den umfängt ein geheimnisvoller Schauer, den Schwind in seiner Mittagsfrau unnachahmbar zum Ausdruck gebracht hat. Aber mich soll sie heute nicht abhalten, immer mehr in die Fichtelgebirgsnatur hineinzuwandern, die sich hinter Mittweida auftut. Die Mühle, die hier am Eingange des oberen Mittweidaer Tales eingebettet ist in lauschiger Einsamkeit, soll mein erstes Ziel sein.
Schon vor Jahren hatte es mich öfter in diese Gegend gezogen, als ich eines Nachmittags die Crottendorfer Kirche entdeckte. Inmitten dieser Erzgebirgsnatur, umrahmt von den Vorhöhen des Fichtelberges ein Stück Kunst hinter den altersgrauen Mauern, wie es selbst der farbenfrohe Südländer sich nicht besser wünschen könnte. Ein prachtvoller alter Holzaltar, die Decke getäfelt und selbst an den Wänden und Emporen Bilderschmuck – so wird das Ganze dieses Kirchleins zu einer inneren Anregung für den Besucher, wie sie unsre protestantischen Gotteshäuser leider nur allzuoft vermissen lassen und wie sie doch gerade in unsrer hastenden Zeit so wohl tut. Ob uns wohl etwas mehr Farbenfreude in unserem arm gewordenen Deutschland schaden würde?
Hinter der Bahnstation von Mittweida beginnt das eigentliche Tal, das sich von hier bis zum Fichtelberg selbst hinzieht. Während der ersten Wegstunde immer dasselbe Bild: drunten am Bach ein paar Häuser oder eine Papier- und Sägemühle –[3] dahinter weite Waldbestände, die, je höher man hinaufkommt, desto mehr den Blick gefangennehmen und die Gedanken an nichts anderes aufkommen lassen. Hinter der Wolfner Mühle, die noch einmal an einer Talgabelung liegt, tritt der Wald so nahe heran, daß nur noch die Mittweida und eine Waldstraße durch das Tal führen. Dann hören auch die letzten Ansiedlungen auf, und die große, feierliche Stille der Natur beginnt. Die umliegenden Höhen senden ihre Blöcke und Kuppen vor, die über dem Waldreichtum Wache halten. Der Weg zieht sich immer weiter zur Höhe hinan und täuscht doch immer wieder, indem er weitere Ausblicke eröffnet – es ist, als wollte der Wald hier kein Ende nehmen und als sollte niemand wieder aus seinem Bann herauskommen, der sich einmal hinein begeben hat. Endlich, als sich schon der Fichtelberg selbst wie ein Wächter dieser Landschaft emporreckt, teilt[5] sich der Weg, indem ein Pfad gerade an dem Abhang emporführt, während ein anderer sich oberhalb der Tellerhäuser mit dem sogenannten Prinzenweg vereinigt. Die Mittweida selbst entspringt nicht weit vom Unterkunftshause, und man hat somit Gelegenheit, das Werden und Wachsen dieses kristallenen Baches bis zu seiner Mündung in das Schwarzwasser zu verfolgen.
Wer es kann, wandere diese einsame Straße, wenn im November das Abendrot hinter den Bäumen hängt und aus dem Waldbereich einsame Feuer emporsteigen. Er wird hier ein Stück Naturmystik finden wie selten im Erzgebirge, und er wird aus solchen Fahrten neue Erholung und Kraft schöpfen. Jene Kraft, die uns mit der Natur selbst verbindet und die unser armes Volk gerade in den jetzigen Tagen so nötig hat.
Nach der Mitteilung des Herrn Pfarrers Merz in Crottendorf hat wahrscheinlich schon im dreizehnten Jahrhundert an der Stelle der heutigen Kirche dieses Dorfes eine frühere gestanden, deren Größe noch heute an dem Nordgiebel des Kirchbodens zu sehen ist. Am fünften Sonntag nach Trinitatis 1539 wurde hier wahrscheinlich von dem Pfarrer Abraham Schroot (oder Adam Schrott) die erste evangelische Predigt gehalten. Die jetzige Kirche wurde 1654 geweiht. Der schöne Altar, der neben der kunstvollen Holzdecke einen Hauptschmuck der Kirche bildet, wurde von dem Freiberger Bildhauer Theodor Meyer begonnen und nach seinem Tode in Crottendorf von seinem Eidam 1698 vollendet und 1699 geweiht. Die Kanzel ist ein Werk des Annaberger Meisters Andrä Götze und ist zweimal, 1883 und 1896 erneuert worden. Neben der Kanzel steht ein alter Flügelaltar, der in gleicher Höhe rechts auf dem Bilde sichtbar ist. Ferner sind noch zwei Ölgemälde, Bildnisse der Kurfürsten Johann Georg I. und Johann Georg II., des letzteren in jugendlichem Alter, vorhanden, dazu rechts und links von den beiden Emporen Ölbilder mit Darstellungen aus dem alten und neuen Testament, die sehr alt und noch gut erhalten sind. Der Taufstein ist aus Crottendorfer Marmor hergestellt.
Von Otto Eduard Schmidt
Am nächsten 15. Oktober vollenden sich vierzig Jahre, seit Kurt Arnold Findeisen im sächsischen Zwickau geboren wurde. So liegt die Jugendzeit hinter ihm, das männliche Alter beginnt und damit ist der rechte Zeitpunkt gegeben, einen Rückblick auf das Schaffen des Dichters anzustellen und – soweit es ein Menschenauge vermag – einen Ausblick auf seine Zukunft zu wagen. Aus einer Familie stammend, die Juristen, Schulleute, Forstbeamte hervorgebracht hat, trat er als Sohn eines Kohlenschachtbuchhalters ins Leben, seine Mutter war eine ehemalige Kleinkinderlehrerin. An ihr hing der Knabe mit zärtlicher Liebe; ihr Bild taucht wie ein sorgsam gehütetes Kleinod in Findeisens Gedichten immer wieder auf. Seine Schulbildung erhielt er in Dresden, Zwickau und Schneeberg. Er wurde Lehrer in[6] Mylau, dann in Plauen im Vogtlande. Durch Teilnahme an Ferienkursen der Universität Jena erweiterte und vertiefte er sein Wissen und seine Weltauffassung. Findeisen selbst sagt, daß er erst nach seinen Bildungsjahren zu seiner eigentlichen Bestimmung erwachte. Das mag wohl sein, aber jedenfalls ist schon lange, bevor er die ersten Früchte seiner Muse pflückte, tüchtig an ihm gearbeitet worden und noch mehr wohl hat es in ihm gearbeitet. Oder wer hat wohl das sinnige Wesen, das ihm von Kind auf eigen war, die tiefgewurzelte Hinneigung zur Natur und vor allem den stärksten Antrieb seines ganzen Schaffens, die Sehnsucht, in ihn gepflanzt, wenn nicht die frühverklärte Mutter? Sehnsucht nach etwas anderem, als dem gemeinen Alltag trug er schon als Knabe im Herzen, wenn er am »roten Brückenberg« in Zwickau »im Zittergras stundenlang« träumte, mit der Sehnsucht in der Seele durchwanderte er in Plauen seine Umwelt und verliebte sich in die wenigen stillen Gründe und Gartenwinkel, die der Industrialismus dort übriggelassen hatte, die Sehnsucht begleitete ihn hinaus auf die vogtländischen Wiesen und erlenumsäumten Bachtäler, über denen noch der Nachhall der Heimatlieder Julius Mosens schwebte, die Sehnsucht führte ihn früh zu der Hinterlassenschaft seines Landsmannes Robert Schumann und zu Wilhelm Raabe, mit dem er noch eine persönliche Beziehung knüpfen durfte. Und zu der Sehnsucht kam die Parzivalstimmung »durch Mitleid wissend«, die Heimat und Welt umspannende Menschenliebe, der zweite Brennpunkt seines Wesens. Das reiche Innenleben drängte nach außen: er fand eine doppelte künstlerische Ausdrucksmöglichkeit für alles, was in ihm lebte, die dichterische und die musikalische. Die dichterische betätigte er zuerst in weichen Klängen inniger Heimatliebe, in Liedern und Balladen, die er in Zeitschriften veröffentlichte. Er selbst gab seit 1912 mit Paul Miller und Emil Rösler die Monatsschrift »Das Vogtland und seine Nachbargebiete« heraus, die von Anbeginn an durch die auf den Grundsätzen der Romantik beruhende innere Verknüpfung der Künste hoch über den meisten Unternehmungen dieser Art stand. Dann riß ihn der Weltkrieg als Krankenpfleger mitten hinein in die äußere und innere Not unseres schwer ringenden Volkes. Mitten im Brausen des Kriegssturmes entstand seine erste Gedichtsammlung »Mutterland« in den zwei Unterabteilungen »Vogtland« und »Erzgebirge«, die Findeisen später (1922) bei Oskar Laube in erweiterter Gestalt unter dem Titel »Sachsen, zwei Bücher Landschaftsgedichte und Balladen« (1. Mutterland, 2. Ahnenland) herausgab. Niemand kann Findeisen verstehen, der nicht in diesen von inniger Heimatliebe getragenen, aber zugleich auch die tiefsten und letzten Fragen des menschlichen Lebens berührenden und lösenden Dichtungen gründlich zu Hause ist. Ich gestehe, daß ich in diesen Gedichten seiner ersten Periode das Schönste finde, was Findeisen in Vers und Reim geleistet hat, und ich möchte wünschen, daß er sich nie von dieser ihm ureigenen Art zu künstlicheren, vielleicht auch einmal verkünstelten Gedichten, wie sie sich neben vielem urkräftig Schönen hie und da unter seinen späteren Gedichten finden (»Aus der Armutei«, E. Focke, Chemnitz 1919), entfernen möge. Im »Vogtlandslied« und im »Erzgebirgslied« klingen so herzbewegende Töne, wie sie seit Julius Mosen kein Obersachse mehr anzuschlagen verstand, aber weit größer und eindrucksvoller als bei dem älteren Dichter ist bei Findeisen der musikalische Wohllaut der Sprache:
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Für die Krone der älteren Dichtungen Findeisens halte ich die von ihm ganz frei aus der innerlichsten Anschauung des großen Altars der Schneeberger Wolfgangskirche und aus dem Erleben der Schneeberger Weihnachtswoche und der Christmetten ersonnene und gestaltete Ballade »Der kleine Melchior und das Weihnachtskind«. Aus der gesamten deutschen poetischen Literatur über das Weihnachtsfest weiß ich dieser geradezu klassischen Verherrlichung des Christnachtszaubers wegen der »Fülle der Gesichte« und der brunnengleich quellenden Sprache nichts Gleichwertiges an die Seite zu stellen. Der dem Dichter wesensverwandte Maler Alfred Hofmann-Stollberg, hat die Anschaulichkeit der Gedichte Findeisens durch wundersam beseelte Zeichnungen noch erhöht.
Um dieselbe Zeit erschien auch die erste Geschichtensammlung Findeisens unter dem Titel »Heimwege« (Konstanz 1918, Verlag von Reuß & Itta), vier Perlen einer schlichten, aber tief ergreifenden Erzählungskunst. Am erschütterndsten sind wohl »Der Schulmeister von Dröda«, jene »sonnenlose Geschichte«, die er dem ehemaligen Lehrer von Papstleithen, seinem Schwiegervater, künstlerisch gestaltend nacherzählte, und »Der Wunderbaum«, das in samtweicher Sprache dahintönende, schmerzensreiche »Hohelied« vom vogtländischen Heimweh, durch das er die Heimwehstimmungen seines stärksten Vorgängers auf diesem Gebiete, Julius Mosens, weit übertraf. Sie sind, um vier kleinere Erzählungen vermehrt, in einer zweiten Auflage unter dem Titel »Der Tod und das Tödlein« 1921 in Dresden erschienen.
Unterdessen hatte der Dichter, seit 1913 mit Wanda Hildegard Gebauer verheiratet und Vater eines 1915 geborenen Sohnes, Plauen, die rührige Hauptstadt des Vogtlandes, mit der sächsischen Landeshauptstadt Dresden vertauscht. Hier spricht die Kunst im weitesten Sinne des Wortes und eine lange, spuren- und werkreiche Geschichte des geistigen und künstlerischen Lebens der Obersachsen noch weit eindringlicher zu seiner empfänglichen Seele, hier hat er unter dem Einflusse der unabsehbaren Folgen des Weltkrieges und der Staatsumwälzung neue Gärungen durchgemacht, die seine Wesensbildung rasch steigerten und hoffentlich ohne Schädigung seiner natürlichen Eigenart vollenden werden. Die wichtigste Frucht dieser inneren Kämpfe und Wandlungen ist die immer stärkere Hinneigung zu der Dichtungsart, durch die gegenwärtig die kräftigste Einwirkung auf die Stimmung und Gesinnung des Volkes erzielt wird: zum Roman. Sehr bezeichnend für Findeisen ist die Wahl der Stoffe. Für ihn gab es kein Schweifen in die Ferne, sondern, wie er mit allen Fasern seines Wesens in Volk und Heimat verankert ist, packten ihn mit zwingender Notwendigkeit fast gleichzeitig zwei obersächsische Stoffe von sehr verschiedener Art und noch verschiedenerem Ausmaß: Robert Schumann und – Karl Stülpner. Dem[8] Schumann-Roman gingen zwei Bücher voraus, die die besondere Befähigung des Verfassers für die Auslegung musikalischer Werte und musikgeschichtlicher Verhältnisse an den Tag legten: die bei Dürr in Leipzig verlegten »Klaviergeschichten, Einführungen in ein volkstümliches Verständnis der Musik« und die schon in zweiter Auflage gedruckten »Robert Schumanns Kinderszenen auf heimatlichen Grund gelegt«. Von dem Schumann-Roman, der den Titel trägt »Der Davidsbündler« ist Weihnachten 1921 der erste Teil »Herzen und Masken« erschienen, der die Entwicklung Robert Schumanns in Leipzig, das Leipziger Musikleben jener Zeit und Schumanns dornenvolles Liebeswerben um Klara Wieck bis zur endlichen Vereinigung mit der Geliebten schildert. Vieles ist in dem Roman aus den Kompositionen und dem Briefwechsel der beteiligten Personen und aus dem eindringendsten Studium der Orts- und Zeitverhältnisse mit feinem Nachempfinden und sicherem Sicheinfühlen gestaltet, anderes, was der Dichter zur Ergänzung der trümmerhaften Überlieferung brauchte, ist mit genialem Seherblick und kraftvoller Phantasie frei erfunden. Man wird aber mit einem Urteil über das Ganze billigerweise zurückhalten müssen, bis der Dichter auch den zweiten Teil »Den Weg in den Aschermittwoch«, den Niedergang und das Erlöschen des leuchtenden Gestirns, das ihm Robert Schumann bedeutet, dargestellt haben wird. Der Stülpner-Roman erschien zuerst in einzelnen Stücken in der »Sächsischen Heimat«, der von Findeisen herausgegebenen »Zeitschrift für volkstümliche Kunst und Wissenschaft in den obersächsischen Landen«, dann aber, durch einige wichtige Kapitel abgerundet, in Buchform bei Grethlein & Co., Leipzig und Zürich, zu Weihnachten 1922 unter dem Titel »Der Sohn der Wälder«. Die Geschichte vom Raubschützen Karl Stülpner, dessen Bild noch heute in mancher Holzhütte des oberen Gebirges hängt, von dem ein selten gewordenes Buch mit bunten Kupfern erzählt, das ich in meiner Knabenzeit voll Begeisterung las, der noch immer als das beste Kassenstück des sächsischen Puppentheaters gilt, ist der kräftigste und ergiebigste Stoff, den die erzgebirgische Vergangenheit für den kommenden Dichter aufbewahrt hat, und Findeisen, in dem die erzgebirgische Heimat lebt und atmet, der am liebsten selbst in den Tiefen des Waldes die Schwere und die Unrast der Zeit vergessen möchte, war der rechte Mann, diesen köstlichen Schatz zu heben und künstlerisch zu verklären. In Findeisens Stülpnerbuch waltet ein dem Geist der Romantiker verwandter mystischer Naturalismus, wie wenn Goethe in der Szene »Wald und Höhle« den Faust zum Erdgeist sagen läßt:
Sein Stülpner lebt mit Wald und Fels, mit Tier und Blume in innigster Gemeinschaft, er erscheint selbst als eine Art Erzeugnis der Waldesnatur und sinkt zuletzt in geheimnisvoller Weise in das Reich zurück, aus dem er gekommen ist. Man genießt diesen Roman im ersten Lesesturm wie einen erfrischenden Hauch aus der Zeit unseres Gebirges, in der es noch in unverfälschter Ursprünglichkeit zum Menschen redete. Erst beim zweiten und dritten Durchlesen wird man sich der feinen Kunst bewußt, mit der der Dichter diese Wirkung erzielt. Wie der Tau eines Frühlingsmorgens liegt Reinheit und Keuschheit über dem Ganzen. Die[9] Frauenliebe tritt gegen die Mutterliebe zurück, und wo sie einmal im Vordergrund steht, da spart der Dichter die sinnlichen Ausmalungen. Dagegen ist der gebirgischen Derbheit reichlich Raum gegeben, namentlich in der wohlgelungenen Zeichnung des Amtsfrons Wohllebe und der Genossen Stülpners, der Wildschützen Dotzinger und Hertzog. Ich stehe nicht an, Findeisens Stülpner-Roman als die echteste und volkstümlichste Schöpfung zu bezeichnen, die die Dichtung des Erzgebirges bis jetzt hervorgebracht hat. Damit ist nun auch der Platz besetzt, den wir mit Bedauern so lange leer gesehen haben. Findeisen hat, wie schon früher in seiner Lyrik und seiner Ballade, so nunmehr auch im Roman die Bedeutung erlangt, daß wir in ihm einen der führenden Dichter des obersächsischen Stammes erkennen dürfen. Möge es dem Dichter, dessen wir uns als eines teuern Kleinods erfreuen wollen, vergönnt sein, von Stufe zu Stufe in seiner naturgemäßen Entwicklung fortzuschreiten und das Ehrenkränzlein obersächsischer Dichtung mit neuen, immer schöneren Blüten zu schmücken.
Von Dr. Kurt Schumann
Mit Bildern nach Aufnahmen von J. Ostermaier, Dresden-Blasewitz
So oft ich, gequält durch den Lärm von fünf äußerst betriebsreichen Straßenbahnlinien und das melodische Gewimmer eines Luftschaukelleierkastens, gegen das ich seit Jahren einen ebenso zähen wie erfolglosen Kampf führe, mich mit dem Gedanken trage, meinen Striesener Wigwam zu verlassen und mich auf die mit meiner Arbeitsstätte durch die billige Reichsbahn verbundene Lausitzer Hochfläche zurückzuziehen, brauche ich nur einen Blick zum Fenster hinauszutun, um mich in meinem Entschluß wieder wankend werden zu lassen. Denn bis zu den Gipfeln des östlichen Erzgebirges, zum Geising und Sattelberg, wandert der Blick selbst vom Schreibtisch aus, und auch bei neunzehnhundertzweiundzwanziger Wetter sind wenigstens seine Vorhöhen gut zu überschauen. Und dieser Blick wiegt schon eine ordentliche Portion Straßen- und Karussellärm auf. Die letzten Cunnersdorfer Schächte begrenzen den Horizont im Westen; dann folgt die Goldene Höhe, und zwischen ihr und dem Plateau der Babisnauer Pappel guckt der Walfischrücken der Quohrener Kipse durch, was besonders schön in die Erscheinung tritt, wenn der hintere Höhenzug im Schimmer frischgefallenen Schnees glänzt, während den vorderen niederen schon der grüne Schein lenzesfroher Saaten schmückt. Beherrscht aber wird das ganze Bild von dem einzigen wirklichen Gipfel dieser Höhenzüge, dem nahezu fünfhundert Meter hohen Wilisch. Im Osten schließt die flache Kuppe des Finkenfangs das besonders im Morgen- und Abendlicht ganz wundersame Bild ab. Da sich außerdem mit dem überblickten Gebiet Erinnerungen an meine ersten Wandertaten verknüpfen, ist es kein Wunder, daß ich mit ihm noch vertrauter bin als mit manchem anderen Dresdner Ausflugsgebiet, und mir die redlichste Mühe gebe, ihm immer neue Verehrer zu gewinnen. »Warum sucht ich den Weg so sehnsuchtsvoll, wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll?«
Wie notwendig solche Führungen sind, konnte ich wieder einmal erkennen, als ich mit einer sonst wirklich nicht auf den Kopf gefallenen Jugendgruppe die[10] letzte diesjährige Volkshochschulwanderung unternahm. War doch z. B. keiner von den etwa dreißig Teilnehmern bisher mit der Windbergbahn gefahren, obgleich eine Fahrt auf dieser Strecke unzweifelhaft zu den schönsten und billigsten Genüssen gehört, die sich der Dresdner leisten kann. – Am Bahnhof Plauen blickt man zunächst einmal der Gegend in die Eingeweide. Über dem Syenit des Ratssteinbruchs lagern, schräg nach dem Elbtal zu einfallend, Plänerschichten, Erinnerungen an die Zeit, da über diesem Gebiet die Fluten des Kreidemeers wogten. Bei dem mächtigen Getreidesilo am Fuße der Heideschanze verläßt der Zug die Enge des Plauenschen Grundes und tritt in das weite Döhlener Becken ein, das die Weißeritz durch Abtransport der diese ganze Gegend bedeckenden Geröllmassen, die im Zeitalter des Rotliegenden hier abgelagert worden waren, geschaffen hat. Der das Becken beherrschende Windberg zeigt an, bis zu welcher Höhe diese Konglomerate einst lagen. An den weichen Lehnen klettert unser Zug empor, wobei sich die herrlichsten Blicke über das Freitaler Industriegebiet, das Elbtal und die Lößnitzhänge eröffnen. Auf der Höhe angelangt, können wir die Blicke weit nach Norden und Osten schweifen lassen. Wir wissen nicht, welcher von den drei überschauten Landschaften wir den Preis der Schönheit zuerkennen sollen, den sanftgewellten Höhen des Lausitzer Berglandes, der weiten von Siedlungen erfüllten Elbaue mit den Loschwitzer Hängen und dem Eckpfeiler des Borsbergs im Hintergrund oder der zierlichen Tafelberggesellschaft des Elbsandsteins, die fremd und eigenartig im Süden auftaucht. Die Nähe aber ist nicht minder interessant. Mächtige Wälder von Baumfarnen und anderen tropischen Gewächsen, deren Schönheit uns heutzutage nur noch die Gewächshäuser (Pillnitz) offenbaren, wurden von den Schottermassen der Rotliegendzeit einst zugedeckt. Im Laufe verschiedener Jahrmillionen wurden die Baumleichen in Kohle verwandelt, die der Niederhäslicher und Burgker Bergmann nun unter schwerer Mühe und Lebensgefahr, von der auch das Denkmal auf dem Segen-Gottes-Schacht erzählt, ans Licht bringt. Denjenigen, die sich für unsern heimischen Bergbau näher interessieren, kann ich gar nicht warm genug die Ausstellung im Heimatkundlichen Schulmuseum des Dresdner Lehrervereins auf der Sedanstraße empfehlen, wo sich nicht nur Zeichnungen und Modelle von Bergwerken, die Werkzeuge des Bergmanns, geologische Karten und Profile und geschichtliche Erinnerungsblätter finden, sondern man auch in bequemer und übersichtlicher Weise einen Einblick in die Bedeutung, Verbreitung und Arbeitsweise der verschiedenen auf dem Kohlenreichtum des Gebiets sich aufbauenden Industriezweige erhält. Eine treffliche Ergänzung dazu bildet die Schilderung, die H. Beier im ersten Band des Dresdner Wanderbuchs vom »Industriegebiet des Döhlener Beckens« gibt. Unser Züglein führt uns in der Nähe verschiedener Schächte und ganz dicht am Marienschacht vorüber, so daß wir bei der beängstigenden Geschwindigkeit unseres Vehikels genügend Gelegenheit haben, neiderfüllte Blicke nach den mit den schönsten Steinkohlen beladenen Hunden und Eisenbahnwagen zu werfen.
Am Bahnhof Bannewitz wendet sich die Bahn südwärts, und wir gewinnen einen prächtigen Blick auf das nach dem Döhlener Becken hinabziehende Poisental, das den in den unfruchtbaren Sandsteinen des Rotliegenden wurzelnden Poisenwald[11] umschlingt. Auch dieser den Dresdnern noch verhältnismäßig wenig bekannte Wald hat seine besonderen Reize. Wenn im Frühjahr und Herbst die Birkenreihen wie Fackelzüge durch den dunklen Kiefern- und Fichtenwald sich durchschlängeln, kann er wohl mit seinen bevorzugten Brüdern in Wettbewerb treten. Nachdem uns die Halde neben der Haltestelle Goldene Höhe daran erinnert hat, daß sich früher der Bergbau bis nach Rippien hinüberzog, fahren wir an der schönen Pappelallee nach Possendorf hinab. Tief unter uns liegt[12] Wilmsdorf im oberen Poisental. Nur wenigen dürfte bekannt sein, daß dort der Freiheitskämpfer Schill 1776 geboren wurde.
Uns verheißt die goldne Herbstsonne, die uns beim Aussteigen in Possendorf begrüßt, ein schöneres Los als ihm, und so wandern wir wohlgemut durch das behäbige Dorf, das als Mittelpunkt der ganzen Pflege einen sehr stattlichen Gasthof, eine ebensolche Kirche und ein mit schönen Renaissancegiebeln versehenes Rittergut besitzt. Einen halben Kilometer jenseits des Dorfes, wo die prächtige Kastanienallee in einem schön geschwungenen Bogen die Wendischkarsdorfer Höhe nimmt, geht ein schmaler Fußsteig rechts feldein. Wir folgen ihm und beobachten dabei, daß die Felder eine auffällig rote Farbe tragen. Wir befinden uns also immer noch im Gebiet des Rotliegenden. Einige aufgelesene Steine belehren uns, daß wir es mit einer Ansammlung erzgebirgischer Gneise zu tun haben. Wenn nun diese Gneise schon in ihrem Ursprungsgebiet einen leidlichen Ackerboden abgeben, so ist dies naturgemäß hier, wo sie im bereits zerschlagenen Zustande der Verwitterung viel leichter anheimfallen, noch mehr der Fall. Deshalb macht auch das Quellreihendorf Börnchen, das nach fünf Minuten vor uns in der Tiefe auftaucht, einen ziemlich wohlgenährten Eindruck. Den Bewohnern der Umgegend ist es unter den Namen Käsebörnchen bekannt, weil die Börnchener sich nicht nur des Ackerbaues sondern auch der Käserei befleißigen. Noch heute kaufen wirtschaftsgeographisch geschulte Dresdner Hausfrauen ihren Käsebedarf unmittelbar von den Börnchner Käsewagen und -weibern in der Ausspannung in der Wilsdruffer Vorstadt. Sobald man die Quellmulde, in der Börnchen liegt, verlassen hat, liegt ein[13] Turmgasthaus vor uns, das den »Gipfel« des Lerchenbergs krönt. Mit seinen vierhundertfünfundzwanzig Metern ist der Lerchenberg noch achtzig Meter höher als die wegen ihrer Aussicht berühmte Goldene Höhe; kein Wunder, daß seine Aussicht mindestens vom geographischen Standpunkt als die vielseitigste der näheren Dresdner Umgebung bezeichnet werden muß. Das vulkanische böhmische Mittelgebirge ist mit seinen schönsten Repräsentanten ebenso vertreten wie die Sächsische Schweiz mit ihren sämtlichen »Steinen«, die Lausitz mit ihren Granitkuppen (Keulenberg, Butterberg, Valtenberg, Triebenberg) und das Erzgebirge mit den der einförmigen Rumpffläche aufgesetzten Basaltbergen (Sattelberg, Geising, Luchberg, Wilisch) und den wegen ihrer Härte herauspräparierten Porphyrhöhen (Kahleberg, Tellkoppe, Frauenstein). Das uns umgebende Rotliegendengebiet zeichnet sich durch seine sanftgewölbten Formen aus (gutes Skigelände!), mit denen nur die Basaltspitze des Wilisch und die Sandsteintafel an der Babisnauer Pappel kontrastiert. Ein anderes Sandsteingebiet liegt südlich von unserm Standpunkt. Es tritt deutlich aus der Landschaft hervor, weil es statt der Felder, die sich auf Gneis und Rotliegendem ausbreiten, große Waldflächen trägt. Daß sich der Sandstein dort gehalten hat, beruht auf ähnlichen Ursachen wie die Existenz der Sandsteinscholle, aus der die Sächsische Schweiz herausmodelliert wurde. Auch hier ist der Sandstein durch eine sogenannte Verwerfung in ein tieferes Niveau gebracht und dadurch vor der Abtragung bewahrt worden. Diesem Sandsteingebiet streben wir nunmehr zu. Groß-Ölsa, das wir zunächst berühren, ist heute ein Hauptsitz der Möbelindustrie, die überhaupt zu den charakteristischen Erwerbszweigen des östlichen Erzgebirges gehört. Nur die Strohindustrie, die sich vom Kamm bis nach Dresden hineinzieht, kann sich mit ihr messen. Auch bei diesen beiden Erwerbszweigen können wir dieselbe Entwicklung verfolgen wie bei den meisten andern Industrien, sowohl im Erzgebirge als auch in andern deutschen Mittelgebirgen. Ursprünglich bauten sie sich auf den Rohstoffen auf, die das Gebirge lieferte (Holz, Erz, Stroh) und siedelten sich da an, wo das Wasser eine billige Betriebskraft lieferte. Jetzt reichen weder die heimischen Rohstoffe noch die Kraft der heimischen Gewässer zum Betrieb der Unternehmungen. Trotzdem bleiben sie mit Rücksicht auf die dadurch entstandene Bevölkerungsverteilung an den Ursprungsorten, und so kommt es, daß wir heute an Orten Industrie finden, wo Rohstoffe und Betriebsmittel von auswärts bezogen werden müssen. Die Entstehung der Überlandzentralen hat diese Entwicklung noch begünstigt. Im Interesse der Volksgesundheit ist dies nur zu begrüßen; denn der Arbeiter, der von seiner Werkbank ins Freie blickt auf grüne Wiesen, wogende Felder und freundliche Gehöfte, und nach beendeter Arbeit sich in einem Heim findet, das von lauter Natur umgeben ist, möchte wahrscheinlich nicht mit seinem Kollegen in der Oppellvorstadt tauschen, der seinen Augen und Lungen während der Woche nichts Besseres vorsetzen kann als finstre, dunstige Höfe und sterbenslangweilige luft- und liebeleere Straßen. Selbstverständlich tragen diese Fabrikbauten auf den Dörfern nicht gerade zur Verschönerung der Landschaft bei; aber auch auf diesem Gebiet sind wir über das Gröbste hinweg. Wie die Schulen auf dem Lande nicht mehr im Kasernengewande in die Landschaft hineinragen, sondern sich dem dörflichen Bilde einpassen, so gehören auch[14] die mit knallroter Schauseite jedes Dorfidyll erschlagenden Fabriken, von denen man besonders in den Lausitzer Weberdörfern wahre Prachtexemplare findet, hoffentlich der Vergangenheit an.
Unter solchen erbaulichen Sonntagsmorgenbetrachtungen sind wir in die Seifersdorfer Straße eingebogen. Auf dem ersten links abgehenden Feldwege verlassen wir sie wieder und gelangen bald in den Wald, die Dippoldiswalder Heide. Sie zeigt hier noch wenig ihren wahren Charakter, denn überall sinkt der Fuß in moorigen Boden ein, aus dem hier und da sogar bescheidene Bächlein entspringen. Die Sandsteindecke ist hier noch sehr dünn, so daß sich das durchsickernde Wasser auf der Gneisunterlage sammelt und abläuft. Nach wenigen Minuten sehen wir links vom Wege die Ruinen der Barbarakapelle. O. E. Schmidt bringt sie mit dem Bergbau in Beziehung (die heilige Barbara ist die Schutzheilige[15] der Bergleute), während Schiffner in seinem ausführlichen Handbuch des Königreichs Sachsen von 1840 den Namen Barbarakapelle überhaupt nicht kennt. Er schreibt über die Ruine: »Südlich von Ölsa, tausend Schritt entfernt, steht im Walde die Claus- oder Clausenkirche, d. h. die Ruine der Nicolaikapelle, welche dem Kloster Zella gehörte, und deren Altar man noch in Seifersdorf sieht; dicht dabei quillt eine überaus starke Quelle (sie wird heute für die Wasserversorgung von Rabenau ausgenützt, wie der Steinborn bei Obermalter der Stadt Dippoldiswalde täglich bis über zweihundert Kubikmeter zu liefern vermag), und das Ganze war wohl eine Station für die nach Zella Wallfahrenden.« Schäfer fügt in seinem Führer durch Dresdens Umgebung noch hinzu, daß sie von Johann VIII. von Maltitz, dem dreiundvierzigsten Bischof von Meißen, gestorben 1649, zerstört wurde, weil ihr Geistlicher reformatorisch aufgetreten war. Irgendwelche künstlerische Bedeutung hat die Ruine nicht und jede Anwandlung feierlicher Stimmung, die sich in solchen Waldruinen bei empfindsamen Seelen einzustellen pflegt, wird jäh vernichtet durch die trotz der freundlichen Warnungen des Gebirgsvereins hier angesammelten Papierhaufen, die von der Beliebtheit dieses Platzes beim naturliebenden Publikum zeugen. Ich bin nur gespannt, bis zu welchen phantastischen Preisen das Papier noch steigen muß, ehe diesem Unfug ein Ende gemacht wird. Ein wunderschöner trockner Frühstücksplatz zwischen Heidekraut und Birken entschädigt uns für die an der Barbarakapelle nicht zustande gekommene Gefühlswallung. So landen wir wohl oder übel wieder im seichten Materialismus und lassen uns den Inhalt unserer Rucksäcke so gut schmecken, als es der üppige Belag zuläßt.
Zu den bemerkenswerten Sehenswürdigkeiten der Dippoldiswalder Heide gehören die Wolfssäule und der Einsiedlerstein. Darum mußten auch wir ihnen unbedingt einen Besuch abstatten. Beide liegen an der schönen Straße, die Malter mit Wendischkarsdorf verbindet. Die Wolfssäule erinnert an eine Jagd im Jahre 1802, bei der »ein Wolf, der seit fünf Jahren aus- und eingetrabt ist und hundertunddrei Pfund wog, geschossen« wurde. Der glückliche Schütze war der kurpfalz-baiersche Gesandte und Minister Herr von Lerchenfeld. Bei dieser Gelegenheit sei mit hingewiesen auf den außerordentlichen Wildreichtum, der sich noch vor dreihundert Jahren in unsern Wäldern fand. Johann Georg I. (1611–1656) schoß während seiner Regierung fünfzehntausendzweihundertachtundzwanzig Hirsche, neunundzwanzigtausendeinhundertsechsundzwanzig Wildschweine, zweihundertvier Bären, eintausendfünfhundertdreiundvierzig Wölfe, zweihundert Luchse, elftausendachthundertelf Hasen, achtzehntausendneunhundertsiebenundfünfzig Füchse und dreitausendfünfhundertvierundzwanzig Wildkatzen. Wenn man auch versteht, daß mit der stärkeren Besiedlung und Kultivierung des Landes diese Fülle schwinden mußte, so kann doch der Naturfreund nur aufs tiefste die Verarmung beklagen, die unsrer heimischen Tierwelt dadurch widerfahren ist.
Auf der vorhin genannten Waldstraße, die infolge des durchlässigen Sandsteinuntergrundes auch nach den stärksten Regengüssen trocken ist, und deshalb den Stöckelschuh-Schleierstrumpftouristen aufs wärmste empfohlen werden kann, gelangen wir zum Einsiedlerstein. Es ist tatsächlich ein kleines Stück Sächsische Schweiz, das sich hier vor uns aufbaut. Alle die typischen Erscheinungen der Sandsteinklüftung,[16] Verwitterung und Pflanzenwelt sind hier zu beobachten. Nur die jedem Teilnehmer an wissenschaftlichen Sächsische Schweiz-Exkursionen bekannte Hauptattraktion fehlt: wenigstens haben wir alle Wände vergebens abgeleckt und kein Alaun gefunden.
Auf dem Weiterwege können wir feststellen, was für ein herrlicher Baum die sonst ihren benadelten Schwestern nachstehende Kiefer werden kann, wenn sie auf günstigem Boden steht. Die wundervollen Exemplare links von unserm Wege künden die Behausung des Pflegers dieses Waldgebiets, die Oberförsterei Wendischkarsdorf an. Sie liegt im flachen Wiesental des Ölsenbachs und hat als Nachbarin die schöne Wendischkarsdorfer Heidemühle, die sich in wundervoller Weise der Landschaft einpaßt. Seit die allgemein mit Freude begrüßte Badeepidemie unser[17] Volk ergriffen hat, ist es in dieser Gegend etwas lebendiger geworden; denn zehn Minuten oberhalb der Heidemühle liegt ein schöner Teich. Der Oktoberfrost hat der Sommerlust ein Ende gemacht, und abgesehen von den Verbotstafeln, erinnert nichts mehr daran, daß sonst die Fülle des Volks die Ufer säumte. Um so ungestörter können wir das stimmungsvolle Herbstbild genießen. Dann verfolgen wir ein Bächlein, das sich in den Teich ergießt, von der Mündung, vor der ein großer Schuttkegel liegt, bis zur Quelle, die sich wieder da findet, wo Sandstein und Gneis aneinanderstoßen. Nun schlagen wir uns durch nach der verlängerten »Prager Straße«, haben das seltene Glück, von keinem Automobil gerädert zu werden und gewinnen durch das Zscheckwitzer Holz den Zugang zur Quohrener Kipse. Wir begnügen uns heute mit einem Besuch der in ihren Südhang eingelassenen Grube, die uns ausgezeichnet erkennen läßt, woraus sich dieser markante Höhenzug zusammensetzt. Es ist »Gneisgeröll« aus dem unmittelbar anstoßenden Erzgebirge. Viele dieser Ablagerungen zeigen eine feine Fältelung und andere Stauchungserscheinungen, wie sie bei den Gneisen des Weißeritztales gewöhnlich sind, ein Beweis dafür, daß schon zur Zeit des Rotliegenden bedeutende Faltungen im Erzgebirge vollzogen waren und die Gneise schon denselben petrographischen Charakter besaßen wie heute[1]. Die Straße nach dem Wilisch führt immer an der Grenze von Gneis und Rotliegendem hin. Deshalb haben wir hier wieder einen Quellhorizont, wie die zahlreichen Brunnen bei Hermsdorf beweisen. Name und[18] Form des Dorfes zeigen uns, daß wir es hier mit einer deutschen Siedlung zu tun haben, und wir auch in dieser Beziehung an der Schwelle des Erzgebirges, das in wundervoller Klarheit immer vor uns liegt, stehen. Alle Dörfer nördlich der Hermsdorfer Höhen und auch das an der Paßstraße liegende Wendischkarsdorf haben zum mindesten einen slawischen Kern.
Die schmucke Wilischbaude verführt uns, trotz des herrlichen Nachmittags unsre Mittag-Vesperpause im Innern dieses gemütlichen Berggasthauses zu verbringen. Selbst die sonst prinzipienfeste Jugend, der ich ein paar herrliche Lagerplätze[19] in der Nähe des Hauses wärmstens empfohlen hatte, beging einen Sündenfall und frönte dem Kaffeegenuß und anderen Lastern (Ansichtskarten!). Nachdem zum Nachtisch noch die unvermeidlichen Volkstänze im Steinbruch getanzt worden waren, konnten wir den wissenschaftlichen Problemen des Berges zu Leibe rücken. Der Wilisch besteht wie so viele andere bemerkenswerte Gipfel der weiteren Dresdner Umgebung (Winterberg, Stolpener Schloßberg, Landberg, Ascherhübel, Luchberg, Geising, Sattelberg) aus Basalt. Dieses Eruptivgestein ist in der Braunkohlenzeit durch die Ablagerungen des Rotliegenden und der Kreide durchgebrochen. Wie man aus der Richtung der Säulen feststellen kann, befinden wir uns auf dem Wilisch im Schlot des einstigen Vulkans. Die Grenzfläche zwischen Basalt und den Gneiskonglomeraten des Rotliegenden ist am Eingang zum Steinbruch ausgezeichnet zu sehen. Die Aussicht vom Gipfel, den seit vorigem Jahr statt der alten Landesvermessungssäule ein Kriegsgedenkstein krönt, wird durch den Baumbestand etwas beeinträchtigt. Ich bitte, die schönen Buchen aber trotzdem stehenzulassen, zumal der Charakter des Berges schon durch Kahlschläge in unmittelbarer Nähe des Gipfels aufs empfindlichste geschädigt worden ist. Ich habe damals, als ich mit wachsendem Grimm von meinem Fenster aus die Verschandelung des geliebten Berges bemerkte, sofort den Heimatschutz alarmiert, aber er konnte leider auch nichts mehr ausrichten.
In reichlich zwei Stunden gelangt man vom Wilisch über Kreischa, Kautzsch, Bärenklause, Gaustritz, Goppeln nach Dresden. Wenn man die Babisnauer Pappel (Gewissensfrage: Wieviele Dresdner sind noch nicht dort gewesen?), vor der ein neues Aussichtsgerüst steht, noch mitnimmt und über Golberode mit seinen schönen Gütern nach Goppeln wandert, dauerts eine halbe Stunde länger. Jedenfalls liegt dieses herrliche Wandergebiet so nahe vor den Toren der Stadt, daß jeder, der noch nicht von der Schwelle des Erzgebirges ins weite Land geschaut hat, es recht bald einmal tun sollte. Und wenn uns der Winter wieder eine Schneedecke beschert, wie wir sie letztes Jahr hatten, dann säume keiner, dem vor den letzten Markstürzen ein freundliches Geschick noch ein paar Brettel bescherte, statt der nur mit Lebensgefahr (Umsteigen in Hainsberg!) zu erreichenden Kipsdorfer und Geisinger Gefilde die Höhen zwischen Malter und Wilisch, Kipse und Schmiedeberg aufzusuchen. Wie oft ist nicht der Blick ins gelobte Land schöner als das gelobte Land selbst!
[1] Beck, Geol. Führer: Elbtallandschaft.
[20]
Von Rudolf Zimmermann
Es dürfte meines Erachtens nicht zu empfehlen sein, als Beweis für den früher vorhandenen Wildreichtum des Erzgebirges – vergleiche Klengel, Jagdschloß Rehefeld, Mitteilungen Sächsischer Heimatschutz, Band XI, 1922, Seite 254 bis 257 – die Erlegung auch des Vielfraßes bei Frauenstein anzuführen. Denn hierbei handelt es sich lediglich nur um die einmalige Erbeutung eines versprengten, in Deutschland gar nicht heimischen und in historischer Zeit auch nicht heimisch gewesenen Tieres. Bereits Blasius, der noch ein zweites deutsches Vorkommen anführt und nur diese beiden Vorkommen kennt, betont dies in seinen »Säugetieren Deutschlands« (Braunschweig 1857, Seite 211). »Einige Male hat man ihn (den Vielfraß) in Deutschland angetroffen: bei Frauenstein in Sachsen nach Bechstein und bei Helmstedt im Braunschweigischen nach Zimmermann. Das Skelett dieses letzteren, am weitesten nach Westen vorgedrungenen Tieres, habe ich noch im Museum in Braunschweig gesehen. Dieses vereinzelte Vorkommen ist sicher als das versprengter Flüchtlinge anzusehen. Es ist kein Grund vorhanden, daß der Vielfraß bis so weit nach Deutschland hinein je einheimisch gewesen wäre.«
Über die Erbeutung unsres sächsischen Tieres berichtet zunächst Bahn in seinem »Amt, Schloß und Städtgen Frauenstein« (Friedrichstadt bei Dresden, 1748, Seite 10) das folgende: »Den 2. April [1715] erschoß der Förster zu Hennersdorff, Herr Kanngießer, auf dem Töpffer-Wald, bei dem Königs-Brunnen, ein unbekanntes Raub-Thier. Als es nach Hofe geschicket wurde, so wurde es erkannt, daß es ein Vielfraß wäre, dergleichen in Moscau und Persien anzutreffen sind.« Über die Einlieferung in Dresden findet sich bereits vordem in den »Dresdnischen Merkwürdigkeiten« (1750, Seite 60) eine kurze Notiz: »Den 4ten hujus [April] ward ein Vielfraß, so von einem Jäger bey Frauenstein geschossen worden, eingebracht, und auf die Kunstkammer geliefert«. Das Tier wird dann wieder in Hasches »Umständlicher Beschreibung Dresdens« (Dresden 1781/83) als im Kurfürstlichen Naturalien-Cabinett stehend erwähnt: »Zwey Vielfraße, einer weißrötlich, bey Frauenstein gefangen, der andre schwarzbräunlich aus Sibirien.« Robert Berge, der dann später das Vorkommen erwähnt – Wissenschaftliche Beilage Leipziger Zeitung 1899, Nr. 61, Seite 241 bis 244 und Zoologischer Garten, Band 41, 1900, Seite 129 bis 135 – und sich dabei auf die Bahnsche Angabe stützt, in der der Erlegung des Tieres zweimal (Seite 10 und 149) gedacht und das eine Mal dabei seine Erbeutung infolge eines offenbaren Druckfehlers auf das Jahr 1718 verlegt worden ist (»und sonderlich 1718 ein ungewöhnliches Raub-Thier, ein Vielfraß gefangen und eingeliefert worden«), spricht dementsprechend, aber natürlich irrtümlicherweise, von einem zweimaligen Vorkommen des Tieres.
Ich hielt diese kurzen Darstellungen für notwendig, um zu vermeiden, daß aus der Klengelschen Notiz etwaige falsche Schlüsse auf den früheren Tierbestand Sachsens gezogen werden könnten. Einmal eingebürgerte unrichtige Vorstellungen aber sind ja dann auch immer schwer wieder zu beseitigen. Wie spuken zum Beispiel heute nicht die auf keinerlei sichere Unterlagen sich stützende Angaben von[21] Heinrich Meschwitz in seiner sonst so schönen »Geschichte der Dresdner Heide« umher, der diese in der Vergangenheit unter anderen von Biber, Storch, Reiher, Kranich, Trappen usw. bevölkert gewesen sein läßt, also von Tieren, von denen zum mindesten für einen Teil das Vorkommen in der Heide völlig ausgeschlossen ist (Biber, Trappe! usw.).
Von Rud. Zimmermann
Mit Abbildungen nach Aufnahmen des Verfassers
Sachsens stattlichster Nachtraubvogel, der königliche Uhu, wie Altmeister Naumann ihn nennt, gehört unserm Vaterlande seit nunmehr fast fünfzehn Jahren als Brutvogel nicht mehr an, – er ist ein Opfer der erlittenen scharfen Nachstellungen und blindester Jagdleidenschaft geworden; der letzte in der Sächsischen Schweiz auf Postelwitzer Revier horstende Vogel unsrer Art wurde, wie Richard Heyder in seiner »Ornis Saxonica« mitteilt, 1910 von einem Bergsteiger mit dem Revolver totgeknallt!! Die Sächsische Schweiz und das Zittauer Gebirge gewährten dem Vogel die letzten Wohn- und Horstplätze im Sachsenlande; im Zittauer Gebirge war er nachweisbarer Brutvogel etwa bis um das Jahr 1906 und in der Sächsischen Schweiz nur ereilte ihn, wie wir schon gehört haben, das Schicksal etwas später. Sein Verschwinden ging, nachdem er einmal spärlich geworden war, allerdings ziemlich rasch vor sich; um 1892 etwa horstete er auf Rosenthaler Revier linksseitig der Elbe das letzte Mal, um 1904 verschwand er rechtsseitig auf Mittelndorfer und 1906 auf Hohnsteiner Revier, bis dann wenige Jahre später der letzte brütende Uhu in der obengeschilderten Weise auf Postelwitzer Revier endete.
Das Schicksal, das den Uhu betroffen hat, wirft in gefahrdrohender Weise seine Schatten auch auf den letzten kleinen Restbestand unsres schönsten und kühnsten Tagraubvogels, des Wanderfalken. Einst – ganz ähnlich wie auch der Uhu – viel weiter im Lande verbreitet und auch in den nordsächsischen Tieflandsgebieten daheim, dessen ausgedehnte Waldungen ihm günstige Horstgelegenheiten boten, umfaßt sein Brutbestand heute nur einige wenige Paare, von denen das eine (das einzige Ostsachsens überhaupt) im Zittauer Gebirge am Oybin horstet und erfreulicherweise von der Stadt Zittau, auf deren Gebiet sich der Horstplatz befindet, unter Schutz gestellt worden ist, während die übrigen dem Lande noch angehörenden Brutpaare in der Felsenwildnis der Sächsischen Schweiz ihre Jagdgründe und Brutplätze besitzen. Nach Heyder horsteten bei Abschluß seiner im Jahre 1916 erschienenen »Ornis Saxonica« nach den Auskünften der dabei in Frage kommenden Staatsforstrevierverwaltungen auf Postelwitzer Revier fünf, auf Mittelndorfer, Ottendorfer und Hohnsteiner Revier rechtsseitig der Elbe sowie auf Rosenthaler Revier linksseitig derselben je ein Paar Wanderfalken. Diese Zahlen, die wohl schon damals nur noch einen Abglanz von dem Einst boten – von Üchtritz beispielsweise bezeichnet 1821 den Wanderfalken als »gemein« für unser Gebiet – dürften heute nicht ganz mehr stimmen und sich in den letzten Jahren weiter zuungunsten des Vogels verschoben[22] haben; der eine oder andere der damals noch vorhandenen Horstplätze mag jetzt verwaist und seine Bewohner aus dem Gebiete verschwunden sein. Von den genannten Revierverwaltungen meldeten mir für das letzte Jahr Rosenthal ein, Ottendorf ein bis zwei und Postelwitz zwei bis drei Paare, während Hohnstein den Wanderfalken als Brutvogel nicht mehr kennt und von Mittelndorf trotz aller Bemühungen leider keine Auskunft zu erlangen war. Zu diesen gemeldeten Horstpaaren kommen noch zwei weitere, von denen das eine Heyder unbekannt geblieben war, so daß wir – die mir von den Revierverwaltungen gemeldeten Zahlen dürften sich auf Grund eigener Nachforschungen an Ort und Stelle noch um etwas verschieben – für die Gegenwart wahrscheinlich mit einem Bestand von sicher sechs, wahrscheinlich aber sieben oder acht Brutpaaren rechnen dürfen, gegenüber einem solchen von etwa zehn bei Abschluß der Heyderschen »Ornis Saxonica.«
Die größte Gefahr für unsern Vogel in der Sächsischen Schweiz besteht – auch die Mitteilungen der befragten Revierverwaltungen deuten dies an – im Klettersport; die Bergsteiger ersteigen im Frühjahr die Horstplätze der »Geier«, wie sie mir gegenüber den Wanderfalken wiederholt bezeichneten, und nehmen die Horste aus. Ich weiß von einem solchen, an dem dies in den Jahren vor und[23] während des Krieges regelmäßig geschah (die »kühnen Geierjäger« haben sich dabei – selbstverständlich! – auch immer noch photographieren lassen) und ebenso ist mir von andern Horsten berichtet worden, die noch nach dem Krieg ausgeräubert worden sind. Es mögen nun freilich in der Mehrzahl dieser Fälle keine bewußt schlechten Absichten sein, die diese Horstplünderer leiten, sondern nur die Unkenntnis der Verhältnisse sie zu ihrem Tun veranlassen; sie kennen den hohen ästhetischen Wert des Vogels nicht und wissen nicht, daß sie uns durch ihre Handlungen eines unsrer schönsten Naturdenkmäler berauben, sondern sind vielmehr noch überzeugt, ein gutes, des »Schadens« des Vogels wegen zu billigendes Werk geleistet zu haben (um so mehr, als in einem der älteren mir gemeldeten Fälle der Horst mit ausdrücklicher Billigung der Revierverwaltung ausgenommen wurde).
Nur, wer den Wanderfalken kennt, wer ihn schon draußen in seinem Reiche hat beobachten dürfen, wird ermessen können, welches hervorragende Naturdenkmal wir in ihm besitzen. Unvergessen z. B. steht mir eine Begegnung mit dem Vogel an einem Spätherbsttage jenes trüben Jahres in der Erinnerung, in dem die deutsche Ehre dahinsank und wir unsers Reiches Größe begraben mußten. Ich war an den Frohburg-Eschefelder Teichen gewesen und wanderte dem waldgelegenen, stillen[24] Vaterhause zu. Aufgeblockt auf einer einsam im weiten, freien Felde stehenden Kiefer, die als schwarze Silhouette vor einem trübroten Herbsthimmel mit sturmgejagten, regendunklen Wolken stand, saß einer unsrer wundervollen, kühnen Räuber der Lüfte – ein Bild, so schön und die Sinne gefangennehmend, daß hinter ihm, für kurze Zeit wenigstens, das ganze Elend einer toll gewordenen Zeit verschwand. Und unverwischbar in der Erinnerung haben sich dann auch wieder Beobachtungen des Wanderfalken eingegraben, die ich im Frühjahr 1921 auf dem Pfaffenstein, einem seiner Horstplätze in der Sächsischen Schweiz, machen konnte. Mit einem warmherzigen, naturfrohen lieben Freund aus Sachsens unruhevollster Fabrikstadt hatte ich mich dort getroffen, und fast drei Tage lang konnten wir uns dann an dem fesselnden Leben und Treiben der eben flügge gewordenen jungen Wanderfalken[25] erfreuen. Auf den Felskegeln und Felsleisten des Steines hockten sie, rufend und von Zeit zu Zeit die Schwingen in kurzen, aber wunderbaren Flugübungen und Flugschwenkungen erprobend. Tauchte dann in der Ferne beutebeladen einer der Alten auf, so stürmten die Jungen ihm entgegen, bettelnd und dann im Flug die von dem Elternvogel fallengelassene Beute erhaschend. Einmal sah ich dabei ein Bild, wie es sonst wohl nur wenige zu sehen bekommen. Der alte Vogel hatte die Beute fallengelassen, der an seiner Seite fliegende junge sie aber nicht aufgefangen. Senkrecht sich fallenlassend, stürzte ihr da der alte Vogel nach, und, sich überschlagend, daß er dabei auf dem Rücken zu liegen kam, fing er sie auf, ließ sie – in normale Fluglage zurückgekehrt – von neuem fallen, folgte ihr wiederum im Sturzfluge, um sie wie in der eben geschilderten Weise auf dem Rücken liegend wieder zu erhaschen, und wiederholte dieses, wie eine direkte Schauleistung wirkende flugkünstlerische Spiel fünf- oder sechsmal, so daß der Vogel geradezu wie ein in der Luft rasend umherwirbelndes Rad anmutete.
Sollen wir nun tatenlos zusehen, wie dieser schöne Vogel, dem wir unter den sächsischen Raubvögeln keinen zweiten an die Seite stellen können, rettungslos seinem Untergang zueilt, auf das wir in wenigen Jahren vielleicht schon auf ihn das »Es war einmal« des Märchens anwenden können? Nein! Der Schreiber dieses nimmt gegenwärtig im Auftrage des Vereins sächsischer Ornithologen und mit Unterstützung des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz eine Bestandsaufnahme des Wanderfalken in der Sächsischen Schweiz vor, die dann die Unterlagen für den bereits eingeleiteten, umfassenden und hoffentlich von einem dauernden Erfolg begleiteten Schutz unsres »Falco peregrinus« bilden sollen.
Von Gerhard Platz, Weißer Hirsch
»Anna Elisabeth hieß sie, nicht Rosina Rebekka. Mensch, wann wirst du unsre Familiengeschichte endlich mal beherrschen lernen! Die Großmutter von der Urgroßmutter, die bei euch überm Kanapee hängt. Das ist doch so einfach! – – Wie’s eigentlich sich zugetragen hat? Nu, dabei war ich nicht, denn man schrieb das Jahr 1720. Ein Sonntag war’s, kurz vor Silvester unter der Predigt. Da waren dazumal nicht zu viel Leut’ auf der Gasse, denn Kirchgang war Pflicht eines rechten Christenmenschen und der Herr Oberpfarrer von Schellenberg merkte sich’s, wenn einer gar zu selten erschien. Draußen auf den Gassen standen die Röhrbrunnen dick im eisigen Strohpanzer und die Sperlinge saßen dickaufgeplustert in dem bißchen Morgensonnenschein – eine Bärenkälte war’s wieder einmal im Lande. Das mochte auch der Meister Petz im Schloßzwinger fühlen und er beschloß, sich mal ein wenig Bewegung zu machen, wo noch dazu heute das Gatter offen stand. Eins – zwei – drei – hopla, da war er oben, schüttelte sich den Pelz sauber zurecht und trollte die Schloßgasse hinunter ins Städtel. Kein Mensch ist ihm begegnet, nur die lahme Großmutter vom Meister Lohgerber, die ganz allein zuhause war und im Lehnstuhl am Fenster über ihrem Dresdner Gesangbuch saß,[26] sah auf einmal eine dickvermummte Gestalt vor dem Nachbarhaus sitzen und immer nach dem grünen Wirtshauskranz schlagen, der dorten heraushing. Aber wer der dicke Kerl eigentlich war, bekam die Alte doch nicht heraus, dieweilen ihr Augenlicht ja schon gar schwach war. Petz aber trabte weiter und in der nächsten Gasse verschwand er im Hausflur. Finster war’s hier, und er brummelte ein bißchen unwillig über die mangelnde Flur- und Treppenbeleuchtung, dann aber gab eine Türe vor seiner stoßenden Nase nach, und er war in der Wohnstube der Bürgersleute. Menschenleer auch hier alles, aber im Winkel dort stand ein hölzernes Ding auf breiten Kufen. Das fing lustig an zu schwanken, wie der Bär mit der Tatze danach langte und alsbald erscholl aus dem Innern des Kastens ein schwaches Geschrei; der kleine Kerl in der Wiege war munter geworden. Zuerst wunderte sich der Braune ein wenig, dann aber macht’ ihm die Sache Vergnügen und er fing immer kräftiger an, die Wiege zu treten. Da gab’s denn nun wohl bald ein lautres Geschrei bei dem Insassen, also, daß sich auf einmal die Tür auftat und Anna Elisabeth Hungerin auf der Schwelle stand – deine Ahne, Mensch! Die war heute nicht in der Kirche gewesen; hatte vielmehr ein kräftig Wochensüpplein zu der Frau Schulmeisterin getragen. Auf dem Heimweg dann hatte sie das Kindergezeter gehört und war in die Stube getreten. Muß ein tapferes Weiblein gewesen sein, die Urahne, denn alsbald ist sie mit ihrem Stecken auf den Braunen losgegangen und hat ihm das Fell zu gerben begonnen. Vielleicht war’s mehr das Geschrei als die Schläge – aber jedenfalls ward der Ausreißer zornig, ging vorne hoch und dann sauste seine Pranke auf das Haupt der Angreiferin nieder. Dann hat er sie in Stücke gerissen und sich auch nicht durch die heimkehrenden Kirchengänger stören lassen, bis ein Musketenlauf zum Fenster hereinklirrte und die Kugel ihm das Lebenslicht ausblies. Seinen Schädel kannst du jetzt noch am Augustusburger Schloßtor dir ansehn. Na, weißt du nu, wie’s zugegangen?«
Krach, saust es auf einmal zwischen uns zwei müde Jägersleute hernieder, die wir eben von weiter Morgenbirsch heimkehren und uns den Weg durch alte Geschichten kürzen. Ein vertrockneter Astzacken aus den hohen Kiefernwipfeln über uns!
»Ha, ha,« lacht der Vetter, »mein märkischer Wald mag es nicht leiden, daß ich so viel hier von Kursachsen spreche. Glaub’s wohl, der Zipfel hier, so nah’ an der kursächsischen Grenze, ist den preußischen Königen gerad’ zur Zeit unsres Familienabenteuers oft ein Dorn im Auge gewesen. Die langen Kerle aus Potsdam rissen nur gar zu gern hier herüber aus in die sächsischen Dörfer. Und der sächsische Kurfürst wieder mußte sich ärgern über die vermaledeiten Werber, die gerade auch von hier aus bei ihm einfielen und Jagd machten auf seine Landeskinder. ›Totschlagen die Kerle, wo sie erwischt werden‹, war die Parole auf kursächsischer Seite, da alle diplomatischen Vorstellungen in Berlin nichts fruchteten. Aber na, da ist ja das Forsthaus – wünsche wohl zu ruhen, liebwerter Herr Vetter.«
Es will gar nicht recht klappen dies Jahr mit der Birsch auf den Keiler, und an manchem Abend sitzt der Vetter, der mich liebend gern zu Schuß bringen möchte, auf dem ehrwürdigen Kanapee, pafft wie ein Vulkan und nimmt nicht[27] die geringste Notiz von Waldine und Hexe, den beiden Dackeln, die rechts und links von ihm Schönmännchen machen. Da hilft dann gewöhnlich nur ein Mittel, ihn aufzuheitern: ein Abstecher in das Gebiet der Familiengeschichte. Es ist beinahe rührend, diesen so weit von der Heimat verschlagenen Menschen zu beobachten, wie er auflebt, kann er sich ein wenig in die Vergangenheit seiner und meiner Familie versenken und einmal nach Herzenslust plaudern von unsern Ahnen, den alten Freiberger Glockengießern Hilliger zumal, auf die er besonders stolz ist. Da ziehen sie vorüber im Tabaksnebel des märkischen Forsthauses, die stolzen, alten Patrizier aus der hochberühmten Silberstadt, die Trainer, die Theler, die Monhaupt, die Schönlebe, und der Vetter klirrt förmlich durch die Stube, wenn er von Wenzel von Allnpeck erzählt, der 1396 vor Nikopolis gegen den Türken fiel.
Der Vetter hat übrigens unrecht, wenn er gestern gar so sehr auf sein Revier schimpfte, das mir kein Weidmannsheil bringen will. Ich fühl’ mich gar wohl hier auch ohne Bruch am Hut, und er, nun er liebt seinen Wald hier in der dürren Zauche mit aller Kraft seines treuen Herzens. Unvergeßlich wird mir die Überraschung bleiben, die ich am zweiten Abend hier erleben durfte, als mich der Vetter durch die rotbestrahlten Altkiefern hinunterführte und ich dann auf einmal am Ufer eines gewaltigen Sees stand, am Schwielow, dem Sohne der Havel, dessen Geburtsstunde in stürmischer Springflutnacht uns der kurmärkische Wandersmann Theodor Fontane so eindrucksvoll schildert in seinem Buch »Havelland«. Ruhevoll gleiten ein paar Segel auf der Höhe dahin, aber auf dem modrigen Grunde liegen, so erzählt es der Vetter, die Trümmer manch eines Lastkahnes, und kalt rieselt es mir über den Rücken, denke ich an das Abenteuer, das ein Bekannter in der Heimat in seinen Jugendjahren hier auf dem Schwielow erlebt hat.
Von Potsdam aus waren die zwei jungen Leute in der Mondnacht die Havel hinabgefahren im leichten Ruderboot. Auf dem Schwielow dann hatten sie Lust bekommen, ein Bad zu nehmen im sommerwarmen Gewässer. Gedacht, getan! Bald schwammen sie lustig im See herum, über den der Vollmond seinen goldnen Steg baute. Nach einem Viertelstündchen rüstigen Schwimmens beschloß man, zum Boot zurückzukehren. Man machte Kehrt und schwamm auf die Stelle zu, da man ins Wasser gesprungen. Hell war die Luft und leuchtend hüpften die Wogen – aber das Boot, das Boot war weg. Herr des Himmels, wo war der Kahn hin? So hoch sich die Schwimmer aus dem Wasser hoben, überall rundum nur glitzernde Hügel, dahinter schwarzes unübersehbares Wasser. Guter Rat war teuer. Man wußte nicht einmal mehr, wo man sich befand; was Nord war oder Süd. Schwamm man jetzt quer zu dem See, so war’s eine Stunde noch nach Baumgartenbrück; teilte man die Wogen in der Längsrichtung, so waren es zwei Stunden bis hinunter nach Ferch. Und die Kräfte nahmen schon jetzt merklich ab! Mein Bekannter schlug vor, zunächst einmal immer im Kreise zu schwimmen, das Boot konnte ja nicht weit abgetrieben sein. Ach, gering war die Hoffnung, immer mehr kostbare Kraft ging verloren. Da auf einmal hemmt ein dröhnender Stoß an den Kopf den müdewerdenden Schwimmer – das Boot ist es, das Boot – unsehbar treibt das dunkle Gefährt zwischen den glitzernden Springwogen. – – –
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Eine Reise tut man ja wohl, um zu erkennen, daß es in der lieben Heimat am allerbesten ist. So bin ich denn auch von Herzen froh, wie ich bei Großenhain wieder auf sächsischen Schienen dahinrolle. Aber ach, was hat sich während der stillen Urlaubswochen alles ereignet. Die fremden Völker sind eingefallen im lieben Dresden, jetzt, da die Reichsmark so tief gesunken und das Leben in Deutschland so angenehm geworden ist für einen, der »Valuta« besitzt. – Gottlob, alles können sie uns doch nicht wegtragen! Wir haben noch Werte im Lande, nach denen keiner der Fremden greifen mag, weil sie seiner Seele eben nichts bieten. Uns aber gelten sie hoch und teuer, höher als alles kostbare Pelzwerk, höher als alle Perlenschnüre und Diamantringe. Unsre Heimatflur ist es, unsre stillen Dörfer und kleinen Städte draußen zwischen Heide, Wasser und Bergland. Dorthin kommen sie nicht, die Hochvalutarier, und gerade daran kann ein Herz sich stärken und genesen, das fast zerbrechen will manchmal in dem Jammer der Zeit und in dem Drang einer verzweiflungsvollen, hoffnungslosen Arbeitslast. Sieh’, so ein Abend auf der Kuppe eines grünumbuschten Heimatberges etwa, mit dem Blick hinaus auf den unendlichen Frieden der stillen Flur, er ist dir doch hier und da einmal beschieden, und wenn du es früher nicht so gewußt hast in den »guten« Jahren, da du verreisen konntest nach Nord und Süd, so weit du nur wolltest, jetzt fühlst du es mit einem Glücksgefühl ohne Gleichen: deine Heimat ist dir geblieben und sie tröstet dich heut, wie einen seine Mutter tröstet. Du erhebst dich voll Dank gegen Gott, aber du möchtest auch selbst etwas tun, um dich der gebliebenen Gabe wert zu zeigen, du sinnst vielleicht, wie du es anfangen sollst. Da kommt dir ein guter Geist zu Hilfe und flüstert ein Wort in dein Ohr, das klingt so traulich und hold wie ein Kinderliedchen zur Weihnacht und wie ein Abendlied in blühender Laube – »Heimatschutz« heißt es, das Wort! In die Stadt kehrst du heim; in eine Altdresdner Gasse lenkst du den Schritt, vor ein Haus mit hallendem Flur und dunkelnden Stiegen. Du klopfst an der Tür, man tut dir auf und auf einmal ist dir’s so wohl, so heimlich unter den Menschen, die da in später Stunde noch schaffen. Im Heimatschutz bist du hier, Freund, beim Treuhänder all der ungeheuren Goldschätze, die du auf deiner Streife soeben erst geahnt hast. Unverdrossen arbeiten sie hier, die Werkleute, mit Liebe zu ihrer Sache im Herzen, und immer einmal huscht dann und wann nach getanem eignen Tagewerk noch einer der Mitkämpfer über die Schwelle, einer aus den Ausschüssen, aus dem Gesamtvorstand. »Unser aller Leben ist reicher geworden, meine Freunde, seit wir dem Heimatschutz dienen,« so sprach einer der unsern, ein Junggebliebner im schneeweißen Bart, erst vor ein paar Monaten es aus. Damals saß er auch noch unter uns, Freude im Blick und heitre Rede auf den Lippen, unser Führer, den wir im Spätjahr auf immer verloren, aber dessen Geist weiter unter uns wirkt und wirbt, und dessen Andenken in Segen bleiben wird unter uns – Karl Schmidt, der getreue Eckart der Heimat. Schöner als aus Menschenmund tönt ihm sein Lob im Rauschen der alten Bäume draußen im Land, die er vor der Axt bewahrt hat und im Sprudeln des Baches, den er vor Schändung durch giftige Abwässer behütet. Er ruhe in Frieden – sein Werk ist sein schönstes und bleibendstes Mal!
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Ja, nicht undankbar wollen wir sein. Manch stille gute Stunde hat uns Heimatfreunden das Jahr 1922 doch auch noch gebracht. Wie denke ich da heute so gern an den Tag in der Adventszeit, da ich den Markt zu Stolpen hinanklettern sah nach der Burg mit seinen rührenden Häuschen, auf denen der rote Morgensonnenschein lag, und an dem ich durch die stillen Gassen schritt, bis hin zum grünüberwucherten Tor. Hier war es auch, wo ich eine nicht unbedeutende Neuerwerbung machte, die für den Heimatfahrer beinahe so wichtig ist, wie ein Gaul für den Reiter – einen neuen Wanderstab! Seit vorigem Spätjahr fehlte mir einer – gar zu rasch war die Flucht aus dem Jagdwagen vor sich gegangen, drüben im Meißner Tiefland, als uns auf der offnen Bahnstrecke vor der großen Kurve auf einmal die glühenden Augen des Dresdner Zuges entgegensprühten, und als dann in übelangebrachter Pflichtnachholung der Blockwärter die Schranke gerade herunterließ, als wir im Galopp über die Schienen jagen wollten. Gott Lob konnten wir das Pferd noch aufs Nebengleis herumwerfen und das brave Rößlein hielt auch ruhig den vorbeischmetternden Zug aus – aber mein alter Hakenstock war bei der Geschichte verlorengegangen! Schwächlich nur war der Ersatz gewesen aus fremdem Rebenholz; einen richtigen Eichenstock mit Buckeln, Krümmung und Knoten kriegt man, glaub ich, in der Großstadt gar nicht. Hier nun in Stolpen fand ich ihn, fest und stark, wie für Geschlechter berechnet in seiner tiefdunklen Edelfärbung. Und ich hoffe allen Ernstes, er soll sich in meinem bescheidnen bürgerlichen Familienkreis vererben, wie die hirschlederne Reithose des ritterlichen Dichtersmannes aus dem Stamm der Münchhausen. Wenigstens einer meiner Nachfahren wird doch mal ein Jäger sein und ein Wandrer, wie sein Ahn, und dann werden sie sich auch erzählen von der Zeit der schweren Not, da dieser Stecken erworben ward für vierhundertundfünfzig Reichsmark, eine Summe, um die sie dann hoffentlich wieder im deutschen Land eine Kuh kaufen können mit Kalb, denn Bauer soll doch auch wieder mal einer werden von ihnen!
Mit dem Stock in der Hand hoff’ ich aber vorher noch selbst manche Straße zu ziehen im lieben Heimatland, noch manch stillen Birschgang zu machen im Heimatwald, dessen grüne Hallen sich erst kürzlich mir wieder geöffnet haben in einem neuen, schönen Revier voll reicher heimatgeschichtlicher Erinnerung – – – ich glaube wahrhaftig, ich bin doch noch recht reich, selbst in der Zeit der schweren Not!
Von A. Klengel
Mit Aufnahmen des Bundes für Vogelschutz, Stuttgart
Draußen in der Ostsee, der Insel Rügen westlich vorgelagert, liegt das siebzehn Kilometer lange und sehr schmale Eiland Hiddensee, erst seit wenigen Jahren ein Reiseziel erholungsbedürftiger Naturfreunde.
Wer hat wohl früher von diesem weltfernen Ländchen etwas gehört, das sich in seiner insularen Abgeschiedenheit nicht nur die erhabene ernste Einsamkeit unberührter Natur, sondern auch das ursprüngliche Volkstum trefflich bewahrt hat! Hin und wieder las man wohl, daß die dort geborenen Schiffer, die in die Fremde[30] verschlagen wurden, all ihr Leben lang mit unwiderstehlicher Sehnsucht an »dat söte Länneken« denken und nichts sehnlicher wünschen, als dorthin zurückzukehren, um ihren Lebensabend, wenn auch noch so bescheiden, in der teuren Heimat zu beschließen. So gilt Hiddensee immer als ein Wahrzeichen der Heimatsehnsucht und hoher hehrer Heimatliebe. Und wer Goethe gründlicher liest, der findet in den »Maximen und Reflexionen« den Satz: »Liebes gewaschenes Seelchen ist der verliebteste Ausdruck auf Hiddensee«. Wenn auch hier eine sehr freie Übersetzung des plattdeutschen Satzes »min lewet wittet Seelken« vorliegt – man wird das Wort »wittet« besser in »weißes oder unschuldiges« übertragen – so spiegelt sich doch in dem Ausdruck ein sittenstrenges und edles Volk wieder.
Verschiedene Wege führen nach Hiddensee! Von Stralsund aus stellt der Dampfer »Caprivi« die Verbindung her; ein anderer Weg zu Schiff führt von dem, durch das sächsische Kinderheim bekannten Rügendörfchen Wieck dorthin. Der rüstige Fußgänger wandert wohl auch von der rügenschen Kleinbahnstation Trent aus durch ährenschweres Land und an mit Storchnestern gezierten uralten Bauerhöfen vorüber nach dem Seehof und läßt sich von dort aus zwischen Vitter und Schaproder Bodden über den »Trog« durch die Fährleute der kleinen, zu Hiddensee gehörenden Fährinsel in das Märchenland hineinsegeln.
Die Natur der nur etwa sechzehn Quadratkilometer großen Insel ist außerordentlich abwechslungsreich; man findet hier in kleinerem Kreise alle die Schönheiten und Eigenheiten wieder, welche der Ostseeküste ihren Reiz und ihren Zauber verleihen. Im Norden erhebt sich das bis zweiundsiebzig Meter aufsteigende und weithin vom Meer und von den rügenschen Bergen aus sichtbare, von einem Leuchtturme gekrönte Dornbuschhochland, eine aus Mergel, Ton und Geschiebesteinen aufgebaute Höhengruppe, die nach der Küste zu steil abfällt. Stattlicher Kiefernhochwald, mit dünner Grasnarbe bedeckte und von Ginsterbüschen umrahmte Weidetriften, sanfte Täler und vom ewigen Wind umbrauste kahle Höhen wechseln ab mit steil zum Meer abfallenden, von Sanddorn umwucherten Schluchten, hohen nackten Uferabstürzen und ewig bewegten Dünenbildungen. Und wo immer der Blick hinausschweift in die Weite, dehnt sich das endlose gewaltige Meer aus; an der Westküste im ewig gleichen Spiel seiner Wellen den Steinstrand umschmeichelnd und am Lande nagend, an der Ostseite, im Schutze des Hochlandes und der Insel Rügen, still und blank in der Sonne glitzernd. Wo findet man wohl sonst auf gleich engem Raume so vielen bunten Wechsel in der Landschaft, wo wandelt sich die Natur so auf Schritt und Tritt und bietet Bilder, die von sanfter Anmut aufsteigen bis zur gewaltigen heroischen Wucht, vor der uns die Kleinheit unsres Menschendaseins so recht bewußt wird! Und welch’ abwechslungsreiche Bilder bietet das Land im Wandel des Jahres! Bald liegt glühender Sonnenglast auf den Bergen, der uns im Schatten der Kiefern vergessen läßt, daß wir auf einem kleinen Eiland stehen. Zur Herbst- und Frühlingszeit toben die gewaltigen Äquinoktialstürme über die Insel, Naturgebilde und Menschenwerk auf ihre Festigkeit erprobend. Und wenn der klare Sommertag zur Rüste geht, bietet sich dem entzückten Auge vom Dornbusch aus ein Sonnenuntergang von überwältigender und unvergeßlicher Schönheit.
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Wahrlich, schon der Dornbusch allein ist ein Stück Erde nach dem man Sehnsucht, nach dem man Heimweh haben kann und der fühlende Mensch verspürt einen Hauch von der Heimatliebe der Hiddenseer Einwohner, er lernt das Wort begreifen, das einst der rügensche Dichter Lappe in seiner »Agnete« dem zurückkehrenden Insulaner in den Mund legte:
Zu Füßen des Dornbuschhochlandes liegen das Fischerdörfchen Grieben und die älteste Siedlung der Insel, Kloster mit seinem schlichten turmlosen Kirchlein, einem großen, dem Provisoriat des Klosters zum Heiligen Geist in Stralsund gehörigen Rittergute, zahlreichen neuen, schmucken Landhäusern und einigen neuzeitlichen Gasthöfen. Dem Dörfchen Kloster und dem weiter südlich gelegenen, aus verstreuten Häusern bestehenden Ort Vitte hat der beginnende Fremdenverkehr bereits seinen Stempel aufgedrückt, noch findet man aber hier wie in Grieben und in dem noch südlicher gelegenen Dörfchen Plogshagen zahlreiche alte niedrige, schilfgedeckte und dornenumhegte Fischerhütten von malerischer Schönheit. Von dem für Rügen und Hiddensee charakteristischen uralten schornsteinlosen Rauchhaus ist freilich im vorigen Jahre der letzte Vertreter verschwunden. Auch die alte Vitter Windmühle steht still und hat ihre Flügel verloren, obwohl es dem Müller auf dieser »Insel im Winde« wahrscheinlich selten einmal an Betriebskraft gefehlt hat.
Ein neues Bild entrollt sich vor unsern Augen! Südwärts von Vitte dehnt sich eine weite Heidelandschaft aus. Die violette Heide wechselt mit der rosaroten Glockenheide, mit Wacholder, Birken und der für Hiddensee eigentümlichen niedrigen apfelroten Heckenrose. Um einen kleinen Süßwassersee inmitten der Heide wuchert der Porst, die duftige Totenmyrte, und der zarte Sonnentau. Die Einsamkeit der Heidelandschaft schlägt den Besucher in ihren Bann! Inmitten dieses wundersamen Landstrichs steht das Gasthaus zur Heiderose, der Sitz einer kleinen Künstlerkolonie, des Hiddenseer Künstlerinnenbundes, dem der Kunstfreund schon viel Schönes aus der Natur und dem Volkstum Hiddensees verdankt.
Südlich der anschließenden Dörfer Plogshagen und Neuendorf verschmälert sich das Land; dort liegt der etwa sieben Kilometer lange Gellen, eine unbewohnte, mit Gras bewachsene Halbinsel. Ein langer Steindamm schützt den mit der schönen Stranddistel reich bewachsenen Weststrand vor der Wucht der Wellen und eine schmale Kiefernpflanzung hält die zerstörenden Stürme ab.
Diese Schutzmaßnahme war zur Erhaltung der Insel dringend erforderlich, wurde doch im Jahre 1878 die Insel südlich von Neuendorf beim sogenannten »Schwarzen Peter« von einer Sturmflut durchbrochen. Das Meer bezahlt seine Zerstörungsarbeit mit reichen Geschenken, anderwärts wirft es Bernstein an den Strand, in Hiddensee schenkte es im Jahre 1872 eine goldene Kette, die bei einer Sturmflut zutage kam und heute eine Hauptsehenswürdigkeit des Provinzialmuseums zu Stralsund bildet. Ihr Alter ist mit Sicherheit nicht zu ermitteln; man nimmt jedoch an, daß sie schon aus dem zehnten Jahrhundert stammen kann.
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Der Hiddenseer Goldschmuck gibt Anlaß, einen kurzen Blick in die reiche Geschichte der Insel zu werfen, die wohl schon seit den Tagen der Urzeit immer mit der Rügens verbunden war. Funde von Steinwerkzeugen und Tonscherben deuten darauf hin, daß Hiddensee schon in der Urzeit besiedelt war, doch ist nicht erwiesen, ob germanische oder keltische Stämme das Eiland Heimat nannten. Mit der Völkerwanderung faßten die slawischen Wenden auf Hiddensee und Rügen festen Fuß bis nach der Eroberung der nahen Tempelburg Arkona und der Zerstörung[36] des Nationalheiligtums des Gottes Swantewit durch den Bischof Absalon von Roeskilde am 14. Juni 1168 Rügen und damit Hiddensee unter dänische Herrschaft kam. Im Jahre 1296 schenkte der Rügensche Fürst Wizlaw die Insel Hiddensee dem Zisterzienserorden zur Anlegung der Abtei Kloster auf Hiddensee. Nur wenige Überreste des einst mächtigen und reichbegüterten Klosters, dem die päpstliche goldene Rose zuteil wurde und dessen Abt den Bischofsstab führte, sind auf unsre Tage gekommen, ein alter verwitterter Torbogen und der Grabstein des letzten Abtes. Das Kloster unterstand ursprünglich dem Bischof von Roeskilde und kam später unter das Bistum Kammin. Nach Aufhebung des Klosters im Jahre 1536 kam Hiddensee an die pommerschen Herzöge, geriet 1648 unter schwedische Herrschaft, worunter es bis 1815 verblieb. In den nordischen Kriegen errichteten die Schweden auf der Fährinsel und gegenüber am Seehof auf Rügen zum Schutze der Durchfahrt große Schanzen, die heute noch erhalten sind. Also auch von kriegerischen Drangsalen ist Hiddensee nicht verschont geblieben. Noch am 17. August 1870 kam es in seiner Nähe zu einem kleinen Seegefecht zwischen französischen Kriegsschiffen einerseits und dem deutschen Aviso »Grille« und Strandbatterien anderseits.
Die Sage berichtet, daß die unermeßlichen Schätze des Klosters bei seiner Aufhebung auf der Insel vergraben wurden; der Aschkoben, ein Hügel am Dornbusch soll sie beherbergen und die aufgefundene Kette soll ein Teil davon sein. Fast der[37] ganze Landbesitz von Hiddensee gehört heute dem Provisoriat des Klosters zum Heiligen Geist und damit zum Besitze der Stadt Stralsund.
Wer die echte und ursprüngliche Bevölkerung Hiddensees in ihrer Natürlichkeit und Biederkeit kennen gelernt hat, muß sie liebgewinnen, die sturmerprobten, wetterzerzausten Fischergestalten und die blonden stattlichen Frauen. An der häufigen Wiederkehr derselben Familiennamen – fast unzählige Male kommt der Name Gau und Schluck vor – merkt man, daß eine Vermischung mit fremden Elementen zu den Seltenheiten gehört. In ihren Fischer- und Schiffsgenossenschaften liegt[38] noch ein Stück alten Patriarchentums, ein goldenes Stück großen Familiensinns. Möge es immer so bleiben, mag auch die neue Zeit, unter der Hiddensee als Badeinsel Mode geworden ist, nichts daran ändern.
Eine Idylle für sich bildet die Fährinsel bei Hiddensee, und ein Stück unverfälschten Inselvolkstums ist verkörpert in dem alten Fährmanne »John Jau« (Johann Gau), der dort in seiner wohnlicher gestalteten Rauchkate haust und in der übrigen, kaum ein halbes Dutzend Köpfe zählenden Fährinselbevölkerung.
Daß bei der insularen Abgeschlossenheit Hiddensees auch die Gemütswerte der Bevölkerung unverfälscht erhalten geblieben sind, ist wohl selbstverständlich. Wie auf den vom Verkehr abgelegenen Teilen Rügens, so hat auch hier die Sage noch eine treffliche Heimstatt. Schier unerschöpflich ist der Born, aus dem die Sagen von der Riesin Hitthim, von Spukgestalten und andern weltentrückten Geistern der Vorzeit sprudeln. Wundern wird dies den tiefer schürfenden Beobachter nicht, ist doch Hiddensee mit den alten Kulturen eng verbunden. Nicht allzu weit auf Arkona liegen die Trümmer der schon hochentwickelten wendischen Kultur und drüben von Rügen, von Hiddensee aus sichtbar, grüßen die Hünengräber, Zeugen eines noch viel älteren germanischen Daseins herüber. »Altgermanische Vorfahren haben die Hünensteine zusammengewälzt, sei es als Gedächtnismale gefallener Helden, sei es als Altäre der bildlosen großen Gottheit, die sie im dumpfen Ahnen besser und klarer erkannten, als römische und hellenische Weisheit in all ihrer Pracht und Herrlichkeit sie faßten.« Darf es uns wundernehmen, daß Reste dieser Kulturen[39] ihren Niederschlag fanden im seelischen Leben und im Gemütsempfinden der unberührten einsamen Inselbevölkerung!
Hiddensee hat in der Literatur schon mehrfach eine Rolle gespielt, von den rügenschen Dichtern Kosegarten und Lappe an, die noch im achtzehnten Jahrhundert lebten, bis in unsre Tage. Am meisten bekannt geworden ist es jedoch durch Gerhart Hauptmanns Drama »Gabriel Schillings Flucht«, das auf Hiddensee spielt. Der zu den ständigen Besuchern Hiddensees zählende Dichter hat mehrere seiner Werke hier vollendet und den Namen seines »Schluck und Jau« der Inselbevölkerung entlehnt.
In der weiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Hiddensee aber durch die Bestrebungen zum Schutze der Seevogelwelt, welche seit 1911 von den deutschen Vogelschutzverbänden, wie dem Bund für Vogelschutz, dem Naturschutzbund Hiddensee, dem Ornithologischen Verein Stralsund usw. auf Hiddenseer Boden unternommen werden. In Frage kommen dafür in der Hauptsache die Fährinsel, die Südspitze der Halbinsel Gellen mit dem Gänsewerder und die Halbinsel Altbessin. Der einst dort vorhandene gewaltige Reichtum an brütenden Seevögeln, namentlich an Sturm- und Lachmöwen, Seeschwalben, Strandläufern, Austernfischern, Rotschenkeln, Regenpfeifern, Enten, Sägern usw. war durch Eierraub und verbotswidrigen Abschuß soweit zurückgegangen, daß dringende Hilfe not tat, wenn man dem völligen Untergange der die Gestade der Insel und das Meer selbst in wundervoller Weise belebenden Vogelwelt nicht tatenlos zusehen wollte. Unter Aufwendung erheblicher Kosten wurden Ländereien gepachtet und vom Jagdrecht ausgeschieden, Drahtzäune angelegt, Wärter und Aufsichtsbeamte angestellt usw. Diesen Bemühungen ist es zu danken, daß der Bestand an Brutvögeln wieder erfreulich gestiegen ist. Die Erfolge könnten noch größer sein, wenn die nötigen Geldmittel vorhanden wären, die es ermöglichten, den durch die heute zu beobachtende Verwilderung der Rechtsbegriffe und Sitten entstandenen Mißhelligkeiten einen wirksamen Damm entgegenzusetzen. Hoffentlich[40] kommen auch hier einst bessere Zeiten zum Segen unsrer schwer bedrängten Seevogelwelt, zum Besten des deutschen Naturschutzes!
Jeder Naturfreund, jeder für landschaftliche Schönheiten und Eigenarten empfängliche Mensch, der Hiddensee kennen gelernt, muß die kleine Insel lieben. Die Hiddenseer Tage werden ihm unvergeßlich bleiben und auch in ihm wird nachklingen, was Siegfried Mauermann in seinem tiefempfundenen Gedichte von Hiddensee sagt:
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Von Prof. Dr. Bernhard Hoffmann
Unter dem »einst« ist nicht etwa der Beginn unsrer Zeitrechnung, sondern die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts zu verstehen, zu welcher Zeit der ehemalige Rektor der Meißner Fürstenschule, namens Fabricius, Annalen der Stadt Meißen verfaßte, worin auch die damals an und auf der Elbe bei Meißen vorkommenden Vögel aufgeführt werden. Die Schrift ist lateinisch geschrieben. Nachstehend gebe ich eine kleine Probe des wohl ältesten Verzeichnisses sächsischer Vögel, das alphabetisch geordnet ist:
Nach dieser Probe sind die von Fabricius genannten Arten nicht schwer zu erkennen, wennschon z. B. unter »Brandgense« nicht unsre heutigen »Brandgänse«, sondern Ringelgänse zu verstehen sind. Daneben aber führt Fabricius noch manche Namen an, deren Deutung sehr große Schwierigkeiten bereitet; es seien z. B. erwähnt: Facke, Münchle, Pilwenckgen, Racke, die verschiedenen Arten der »Reiger«, Schnetz, Tittiluen usw. In einigen Fällen dürften Schreib- oder Druckfehler vorliegen; es muß beispielsweise wahrscheinlich heißen: Focke, Schnertz, Tittilgen usw. Doch soll auf all die Schwierigkeiten der Übersetzung und Deutung hier nicht eingegangen werden[2]. Dagegen dürfte das Endergebnis der Untersuchung auch weitere Kreise fesseln. Die seinerzeit an und auf der Elbe bei Meißen beobachteten Vögel sind die nachstehend verzeichneten:
Fast könnte diese stattliche Liste den Neid der Gegenwart erwecken! Nicht weniger als über fünfzig verschiedene Vogelarten haben im sechzehnten Jahrhundert die Elbe und ihre Ufer belebt, darunter recht ansehnliche Vögel, wie z. B. die verschiedenen Gänsearten, Reiher, Störche, Schwäne usw.! Damals freilich war der Elbstrom und seine Ufer noch in dem Zustand, wie ihn Mutter Natur geschaffen hatte. Sie boten Nahrung, Unterschlupf, Verstecke und Nistgelegenheiten in Hülle und Fülle. Aber die Zeit, die uns die gemauerten Steindämme der Flüsse, das Ausfüllen von Teichen und stillstehenden Gewässern mit Schutt usw. bzw. ihre Urbarmachung, ferner die Zunahme der Besiedelung und damit der Anwohner am Strom entlang, das Beseitigen der Heger und Kiesbänke im Strombett und noch manche andre hier in Betracht kommende Änderung gebracht hat – sie hat auch im Vogelbestande Wandel geschaffen, leider in einer sehr betrüblichen Weise! Sieht man von ganz vereinzelt auftretenden Stücken ab, so ist der weitaus größte Teil der oben genannten Arten von der mittleren Elbe gänzlich verschwunden, wie z. B. die Kraniche, Löffler, Nacht- und Purpurreiher, die Schwäne, Gänse, Flußscharben und vor allem auch die Seeschwalben. Andre sind auf der Elbe in der Hauptsache nur Wintergäste, wie z. B. die Säger, Bläßhühner, Zwergtaucher und die Scharen von Stockenten. Nur ganz wenige Arten trifft man noch jetzt in geringerer oder größerer Zahl während des Sommers an der Elbe an; ich nenne u. a. die Schwalben, Bachstelzen, Krähen, Flußregenpfeifer und Lachmöwen. Einen Teil der andern von Fabricius aufgeführten Arten finden wir glücklicherweise noch heute in und an den Teichen und Seen, insbesondre der Lausitz, von Moritzburg bis hinter nach Königswartha, Baselitz usw., darunter vor allem die verschiedenen Entenarten, die Taucher, die Bekassine, die Rohrdommel, den Rotschenkel, den Kiebitz, das Bläßhuhn usw. Möchten ihnen wenigstens diese Wohn- bzw. Zufluchtsstätten für alle Zeit erhalten bleiben und sie selbst sich eines dauernden Schutzes erfreuen, damit unser Sachsenland an diesem Teile der Vogelwelt nicht auch noch vollständig verarmt!
[2] Man vergleiche hierüber den im Journal für Ornith. 1923, S. 1–10 veröffentlichten Auszug aus meiner umfangreichen Arbeit »Das älteste sächsische Verzeichnis von Vögeln, die ums Jahr 1564 auf und an der Elbe bei Meißen vorgekommen sind«.
Von Paul Bernhardt
Mit Aufnahmen des Verfassers
Der Monat Februar geht zu Ende. Ein sonniger Tag lockt mich hinaus ins Beobachtungsgebiet. Gefiederte Freunde, die Kiebitze, sind nach den Aufzeichnungen meines ornithologischen Tagebuches heute zu erwarten. Vor mir liegt der Großteich[43] im Sonnenschein, befreit von der starren Eisdecke, die monatelang jegliches Leben bannte. Doch so ohne Kampf räumt der Winter das Feld nicht. Weiße Flecken in der Landschaft zeigen seine Spuren.
Ein nordischer Wintergast, der Zwergsäger, ist immer noch zwischen den Schellenten auf der Wasserfläche zu beobachten. Die dürren Rohrstengel bewegt ein eisiger Wind hin und her; er verdeckt die wärmende Sonne mit dunklen Wolken und treibt leichte Schneeschauer übers Land. Schon zweifle ich an der Ankunft des Kiebitzes, da entdecke ich ihn durchs Glas am jenseitigen Ufer. Dort steht der prächtige Vogel mit seiner schönen Schwarzweißfärbung, der stahlblauen Oberseite und dem zierlichen Federschopfe – der Harlekin unter den Vögeln. Er hat Wort gehalten. Wenn es das Wetter nur einigermaßen gestattet, kehrt er jedes Jahr am 28. Februar zurück. Den Körper fast wagrecht auf den Ständern, die Brust etwas nach vorn gebeugt, steht er mit eingezogenem Kopfe ruhig im dürren Riedgrase. Heute spürt er keine Lust zum gaukelnden Fluge; die lange Reise und das unfreundliche Wetter sitzen ihm noch in den Gliedern. Nur um den Hunger zu stillen, trippelt er nach dem Teichrand und sucht im angeschwemmten Geäste nach Nahrung. Bald nimmt er wieder die Ruhestellung ein. In den nächsten Tagen sind auffällig viel Kiebitze im Gebiet; es sind meistens Durchzügler. Die heimischen Brutpaare kehren zuerst zurück.
Nach drei Wochen ist unser Kiebitz kaum wiederzuerkennen. Der Frühling hat es ihm angetan. Die Sonne scheint wärmer, und an der Tiergartenmauer blühen schon die ersten Veilchen. Der Kiebitz hat eine Gefährtin gefunden und behauptet als Platzhahn sein Gebiet gegen jeden Eindringling. Die Nordostecke am Großteich, von wo er alles überblicken kann, hat er sich ausgewählt. Für ihn ist jetzt Wonnemonat; sein Gefieder steht in voller Pracht und liebestrunken verlebt er die kommenden Tage. In ganz eigenartiger Weise wirbt er um die Gunst seiner Gefährtin. Die Liebe nimmt ihn völlig gefangen und treibt ihn zu den tollsten Liebesspielen. Eine närrische Balz beobachtete ich am 25. März 1921: Auf der noch grauen, sumpfigen Wiese steht ruhig das kleinere, weniger lebhaft gefärbte Weibchen, nicht weit davon das Männchen im Prachtkleide. Mit vorgebeugter Brust erhebt es sich, fliegt wuchtelnd kurz über dem Boden hin; plötzlich geht es mit schneidendem »knū’it« im 45°-Winkel in die Höhe, und nun folgt ein Gaukeln und Stürzen in der Luft, so daß der Beobachter verwundert den Kopf schüttelt. Im tollen Übermut ruft der Kiebitz seinen Balzruf: knū’it, knū’it in den sonnigen Frühlingstag, vollführt den schönsten Sturzflug und steht plötzlich wieder neben dem Weibchen, um hier sein närrisches Liebesspiel fortzusetzen. Mit gesenkter Brust, das frische Weiß der Schenkel zeigend, führt er einige kippende Verbeugungen vor seiner Schönen aus, stößt mehrmals mit dem Schnabel nach unten und macht eine Bewegung, als würfe er dürre Grashalme hinter sich. Plötzlich drückt er den ganzen Körper tief an den Boden, so daß der Kopf die Erde berührt, schlägt die Flügel nach oben und führt mit diesen und dem rostrot gefärbten Schwanze zuckende Bewegungen aus, als wolle er seine Liebesglut der kühlen Erde anvertrauen. Wozu dieses närrische Spiel? Will er das Weibchen ermuntern, indem er durch diese Bewegungen auf den Nestbau hinweist? Noch mehrmals kann ich diesem[44] eigenartigen Treiben zuschauen und über die Allgewalt der Liebe staunen. Das Weibchen zeigt sich sehr spröde, es hat scheinbar nicht viel übrig für den Liebhaber.
Erst wenn die vier kreiselförmigen, olivengrünen Eier im unscheinbaren Neste liegen, geht die schöne Liebeszeit zu Ende, und sorgenvolle Tage kommen. Jetzt gilt es, durch allerlei Manöver sich nähernde Menschen, Hunde und sonstige Nestplünderer irrezuführen und vom Neste fernzuhalten. Doch kenne ich diese Schliche zu genau; bald habe ich durchs Glas schon von der Straße aus das Weibchen entdeckt, wie es dem stillen Brutgeschäft nachgeht. Dort im Seggengrase, kaum dreißig Meter vom Ufer entfernt, sitzt es und beobachtet mit dem großen Auge das Gelände. Es hat mich erblickt. Trotzdem ich noch weit vom Neste entfernt bin, verläßt es die Eier, läuft geduckt in entgegengesetzter Richtung am Boden hin, erhebt sich erst weit vom Neste und fliegt wehklagend auf mich zu. Ich lasse mich nicht irreführen; und doch macht es mir Mühe, das Gelege zu finden. Schön in Kreuzform angeordnet, die Spitzen nach innen, liegen vier dunkelgefärbte Eier unmittelbar vor meinen Füßen in einer kleinen Vertiefung. Wie oft wird dieses Familienglück von roher Hand zerstört, um Schlemmern in der nahen Großstadt den entarteten Gaumen zu kitzeln auf Kosten unsrer schon so hart bedrängten Natur! Helle Entrüstung stieg aber in mir auf, als ich eines Tages ein kleines Schlageisen im Neste fand. Ein »Auch-Naturfreund« wollte auf diese Weise einen Kiebitz zum Ausstopfen erlangen. Glücklicherweise hatte er nicht mit der Klugheit des Vogels gerechnet. Doch weg mit diesen Gedanken! Heute bin ich mit der Kamera im Rucksack ausgezogen, um im Bilde zeigen zu können, welche Schönheiten[45] unsre Heimat aufweist. Von all den Mühen dieser Kamerajagd zu erzählen, wäre verlockend, würde aber zu weit führen. Erst im dritten Jahre gelang es mir nach vielen Enttäuschungen und Mißerfolgen unter Anwendung größter List und Geduld, das brütende Weibchen auf die Platte zu bannen. Auch ich hatte nicht mit der Klugheit des Kiebitzes gerechnet! Gemeinsam suchten das Männchen und Weibchen meinen Plan zu vereiteln, und noch klingt mir der schreckliche Warnruf des Kiebitzhahnes in den Ohren, der mir bestimmt sagte, daß er mich erspäht habe und das Jagen deshalb heute erfolglos sei. Dem großen Kiebitzauge (Bild 2) entgeht nichts! Im Jahre 1921 fand ich allein am wenig gefüllten Großteich acht Kiebitzgelege. Im ganzen Gebiete brüteten in diesem Jahre ungefähr fünfundzwanzig Paare. H. Mayhoff nimmt für 1915/16 nur fünfzehn Brutpaare an. Demnach wäre eine erfreuliche Zunahme festzustellen.
Große Aufregung und Sorge bringt dem Kiebitzpaare der Tag, an dem die Kleinen der Eischale entschlüpfen. Die Jungen verlassen sofort das Nest, nachdem sie trocken sind, und folgen der besorgten Mutter, die sie nach Art einer Glucke führt. Wie oft habe ich dieses schöne Familienbild aus dem Versteck belauscht! Die kleinen Wollklümpchen huschen flink durch das Seggengras und finden bald selbständig den Wurm und die Schnecke. Geradezu rührend ist die große elterliche Sorge. Bei der geringsten Gefahr erheben die Alten ein Klagegeschrei und versuchen den Feind zu vertreiben. Der harmlose Spaziergänger staunt nicht schlecht, wenn sich ihm ein schwarzweißer Vogel mit jammernden »kuit« fast um die Ohren schlägt. Er verspürt ganz deutlich den Luftzug und vernimmt ein dumpfes »wupp, wupp,[46] wupp«. Auch der Köter des auf der Landstraße fahrenden Fleischers, der sich eine »Extratour« ins Gelände erlaubt, verläßt schnell den Brutplatz. Ihm ist die Zudringlichkeit des Vogels zuwider. Selbst Reinecke Fuchs, der in der Dämmerung durch die Riedgräser des Georgenteiches schnürt, wird mit lautem Geschrei und fortwährendem Anfliegen vom dortigen Brutpaare empfangen. Ihm liegt an dieser Aufmerksamkeit rein gar nichts, er schnürt eilig weiter und beantwortet die gröbsten Angriffe mit erfolglosem In-die-Luft-schnappen. Die Dunenjungen verstehen den Warnruf der Mutter: »kiebit« (d. h. drückt euch!) sehr gut und drücken sich fest an den Boden, daß sie fast den menschlichen Blicken entzogen sind. Selbst dem Kenner bereitet es Mühe, diese unscheinbaren Wollklümpchen aufzufinden (siehe Bild 3). Erst wenn sich der kleine Kerl erhebt, macht er sich durch seine weiße Halsfärbung gut sichtbar (Bild 4). Noch eine Überraschung! Als ich eines Tages guten Freunden vierzehn Tage alte Dunenjunge zeigen wollte, die ich schon öfter in der Hand gehabt hatte, vertrauten diese sich plötzlich dem Wasser an und schwammen zu unserm größten Erstaunen gewandt wie junge Enten nach dem zweihundert Meter entfernten jenseitigen Ufer, wo sie die besorgte Mutter empfing. Hier gingen sie sofort der Nahrungssuche nach, als wäre nichts geschehen.
Im Monat August verlassen die Brutpaare mit den flüggen Jungvögeln das Moritzburger Gebiet, das um diese Zeit fast kiebitzleer ist. Wenige Beobachtungen aus den Augusttagen liegen vor mir. Erst im September stellen sich große Schwärme ein. Es sind Durchzügler aus Skandinavien und den baltischen Ländern. Ein besonderer Genuß ist es, dem eigenartigen Flug eines solchen Kiebitzschwarmes, der oft bis zweihundert Vögel zählt, in der Herbstsonne zuzusehen (Bild 5). Bei[48] eintretender Kälte machen sich auch diese Gäste auf nach dem südlichen Europa. Als spätesten Abzugstag notierte ich den 10. November.
Jeder Naturfreund würde es mit mir tief beklagen, wenn sich der Kiebitzbestand im Moritzburger Gebiet durch menschliche Eingriffe verminderte, und wenn wir uns nicht mehr an dem Treiben des prächtigen Vogels so nahe an den Toren der Großstadt erfreuen könnten. Deshalb sorge ein jeder, dem seine Heimat lieb und wert ist, durch Aufklärung und Vorbild dafür, daß Eierraub und sinnlose Schießerei im Gebiet aufhört. Vom Landesverein wird zum Schutz unsrer bedrängten heimischen Vogelwelt alles getan. Dafür ist ihm der Dank aller Naturfreunde sicher.
Wenn sich, wie im vorliegenden Falle, der Herr Förster so imposant als Oberbaumhauer im Bilde verewigen läßt, so liegt die Frage nahe, wie der Mann wohl zu solch »idealer« Auffassung seines Berufes gekommen sein möchte. Wahrscheinlich wird ihn selbst dabei die Hauptschuld nicht treffen. Möge das Bild recht ausgiebig als abschreckendes Beispiel wirken.
T.
[49]
Von A. Klengel
Mit Aufnahmen von Alfred Hermann Nitsche, Dresden und Karl Reymann, Freiberg
»Wir machen die Grabentour!« oder »Wir wandern die Grabentour entlang!« – Das sind in wanderfrohen Kreisen Mittelsachsens oft gehörte Worte. Man wählt dies Reiseziel zur Pfingstzeit, wenn Birke und Buche mit erstem frischen Grün sich schmücken, oder im Herbst, wenn verschwenderische Farbenpracht über die Wälder ausgegossen ist und die Kastanienbäume stolze goldene Kronen tragen; wohl auch im Winter, wenn weicher Schnee auf dem Walde lastet und jede Fichte in einen glitzernden Weihnachtsbaum verzaubert, wenn die Wasser unter dem Eispanzer murmeln und die Meisen leise klingelnd den Wald durchstreifen.
Die Worte des Reiseplanes lassen erkennen, daß man unter der Grabentour sowohl die eigentliche Wanderung, als auch das Stück Heimatland selbst versteht, das es dabei zu durchwandern gilt. Die Landkarten verzeichnen als »Grabentour« nur den Oberreinsberg mit Krummenhennersdorf verbindenden Weg, der den Graben entlang am Hange des Bobritzschtales hinführt. Der wanderfrohe Naturfreund hat den Begriff im Laufe der Jahrzehnte erweitert, ohne ihn jedoch in eine feste Grenze zu zwängen. Im Norden rechnet man wohl das ganze Bobritzschtal bis zur Mündung des Flusses in die Mulde beim Zollhaus Bieberstein dazu und im Süden das Gebiet bis in den Bereich der Halsbrücker Esse. Und in der Tat! Eine schönere Einleitung zur eigentlichen Grabentour läßt sich kaum denken als die Wanderung durch das landschaftlich bevorzugte untere Bobritzschtal und einen würdigen Ausklang findet die Fahrt in dem reiche geschichtliche Erinnerungen bergenden Landstrich, dem der Silberbergbau das Gepräge verleiht, von dessen Höhen unser Blick hinüberschweift zu den Türmen des silberschweren Freiberg. Verdankt doch auch der Graben dem Freiberger Bergbau sein Dasein.
Warum ich die Grabentour im Norden, also geographisch betrachtet, an ihrem Ende beginnen will? – Einmal, weil ich sie stets in dieser Weise unternahm, so oft mich auch der Weg seit über zwei Jahrzehnten dorthin führte und Tausende es in gleicher Weise tun. Zum andern, weil ich meinen Wanderungen stets einen Besuch der Ruinen des Klosters Altenzella vorausgehen ließ. An dieser denkwürdigen Kulturstätte mit ihrer fast tausendjährigen Geschichte habe ich mich immer mit der rechten Stimmung zur Wanderfahrt ausgerüstet. Das Land, das es zu durchwandern gilt, ist entweder uralter ehemaliger Klosterbesitz oder trägt doch wenigstens reiche Erinnerungen an die Zeit, da das mächtige Kloster Altenzella noch in Blüte stand. Und wer sich weiter hinein vertieft in die ältere Geschichte des zu durchwandernden Gebiets – nur flüchtige Andeutungen können hier gemacht werden – wird immer wieder auf den Namen Altenzella stoßen.
Beim Zollhaus Bieberstein an der Bobritzschmündung soll die Wanderung beginnen! Kulturgeschichtlich denkwürdiger Boden ist es, den wir betreten. Die alte Heerstraße Freiberg–Meißen führt vorüber und die Herrschaft des Rittergutes Bieberstein erhob einst hier einen Brückenzoll. Reger Fuhrverkehr bevölkerte in alten Tagen die wichtige Straße und aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges[50] wird von wilden Kriegsvölkern berichtet, die hier vorüberzogen. Es ist anders geworden im Lande, längst hat die Eisenbahn den Verkehr an sich gezogen, die Straße, die über die Alt-Väterbrücke bei Freiberg führt, ist vereinsamt, unbekannt geworden und zum Teil verfallen. Hochauf steigt die Landzunge, die Mulde und Bobritzsch umschließen. Von bewaldeter Höhe herab grüßt das Schloß Bieberstein, ein wuchtiger Bau mit hohem Ziegeldach, arm an baukünstlerischem Schmuck. Um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts ist das Schloß entstanden auf und[51] neben der in den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges unwohnlich gewordenen alten Doppelburg Bieberstein. Die schwere Not der Zeit, die damals auf dem Lande lastete, mag auf schlichte, ja nüchterne Bauweise gedrungen haben. Unbewußt erfüllte der alte Baumeister dadurch eine Forderung des Heimatschutzes: Hier wo die schlichten Naturschönheiten eines anmutigen, stillen Tales sprechen, ist kein Raum für einen Prunkbau, für ein Bauwerk, dessen wechselnde Linien ein schönes Heimatbild zerstören, Naturschönheiten erdrücken würden. So ist jeder Mißklang ferngeblieben und mit Wohlgefallen ruht das Auge des Heimatfreundes auf dem Schloß Bieberstein, das verwachsen scheint mit den ehrwürdigen Baumriesen des Schloßparks, der Berghöhe und Talhang in seinen grünen Mantel hüllt.
Fast so alt wie die Geschichte des Landes ist die Geschichte der alten Burg Bieberstein, von der freilich nur Reste der Feinde Wut und dem Zahn der Zeit standgehalten haben. Von Moos und Efeu umgrünte Turmgebäude mit tiefen, gewölbten, schaurigen Gängen, durch die die Sage raunt, erzählen von dem mächtigen Geschlecht der Herren von biuverstein, dem die Burg im zwölften Jahrhundert den Namen gab. Sie berichten auch von späteren Besitzern, den fehdelustigen Herren von Marschalk, die ihren Geschlechtsnamen nach der Burg in Marschall von Bieberstein ergänzten und mit dem Kloster Altenzella blutige Fehden um die Gerichtsbarkeit führten. Nach Teilung der Herrschaft und mehrfachem Besitzwechsel kam Bieberstein im Jahre 1630 an die Herren von Schönberg auf Reinsberg und bildete nunmehr einen Teil des sogenannten Schönberger Ländchens. Gotthelf Friedrich von Schönberg erbaute das jetzige Schloß an die Stelle der alten oberen Burg. Im Jahre 1807[52] ging der Besitz durch Heirat an die Familie von Schröter über. Das Schloß birgt reiche Kunstschätze und mannigfache Erinnerungen aus alter Zeit. Als wertvollste Kleinodien erscheinen mir jedoch die herrlichen Ausblicke vom Altan und aus den Schloßgemächern hinab ins Bobritzschtal und hinaus in die Gefilde der Heimat.
Eine prächtige Lindenallee führt vom Schloß Bieberstein hinab ins Tal der Bobritzsch. Gleichen Ursprung haben die Namen Bieberstein und Bobritzsch; sie erinnern an den Biber, den heute leider fast ausgestorbenen Nager, der einst am Flusse seine Burgen baute. In großer Zahl mag er hier vorgekommen sein, man würde sonst kaum den Fluß und die Burg nach ihm benannt haben. Spärlich nur fließen freilich die Quellen, die von seinem Dasein in alter Zeit berichten, wahrscheinlich hatte starke Nachstellung ihn schon frühzeitig zu einem seltenen Naturdenkmal gemacht.
Nur eine kurze Strecke, an der Mühle mit dem Schönbergschen Wappen vorüber, führt der Weg talaufwärts und schon lädt eine Allee aus Linden und Ahorn zum Besuch des Schlosses und des einstigen »Städtleins« Reinsberg ein. Trotzig schaut das teilweise in den Felsen gesprengte alte Schloß, dessen Burgcharakter trefflich gewahrt ist, hinaus in das Land. Im Dunkel des Mittelalters liegt seine Gründungszeit, werden doch schon im Jahre 1197 Herren von Reyensberg in[53] Altenzellaer Urkunden als Schiedsrichter und in andern hochangesehenen Ämtern genannt. Im Jahre 1377 ging der Besitz an die Herren von Schönberg über, die ihn heute noch ihr eigen nennen. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts erfolgte eine Teilung der Herrschaft innerhalb der Familie in Ober- und Niederreinsberg. Die beiden Besitzer bewohnten bis 1816 die Burg gemeinsam, doch räumlich getrennt und durch besondere Brücken über den Burggraben mit der Außenwelt verbunden.
Reinsberg hat eine reiche Geschichte. Im Jahre 1632 wurde die Burg von den Österreichern mit stürmender Hand genommen, wobei fünf Söhne des Besitzers den Heldentod fanden und der Besitzer, Lorenz von Schönberg, selbst in der Nähe der Bobritzsch, wie heute noch ein Denkstein kündet, einer feindlichen Kugel zum Opfer fiel. Den bunten Wechsel der Zeiten trotzten die bis fünf Stock hohen Gebäude, die altertümlichen Türme und Erker, der Rittersaal mit der Ahnengalerie. Trefflich erhalten sind auch das efeuumsponnene, wappengeschmückte Burgtor und der tiefe Burggraben. Nesselgestrüpp und bunte Blumen bedecken heute den Grabengrund; Bienengesumme klingt herauf. Nur der Kuckucksruf aus dem nahen Wald[54] unterbricht das große ernste Schweigen, das über dem wohlerhaltenen Zeugen einer andern Zeit ausgebreitet ist; Reinsbergs Bedeutung liegt Jahrhunderte zurück im Schoße der Vergangenheit.
Der Vergessenheit gehört auch die einstige Bedeutung der Reinsberger Kirche als Wallfahrtsziel an. Die Kalandbrüderschaft unterhielt hier in alter Zeit einen Altar als Gnadenort, an dem frommen Wallfahrern reicher Ablaß gewährt wurde. Gewaltig war der Zuzug, bis die Reformation mit den Wallfahrten aufräumte. Unbewußt hält jedoch die Volksseele noch heute an der alten Wallfahrtsfeier fest; das weitbekannte und stets stark besuchte »Reinsberger Vogelschießen« ist daraus entstanden.
Der Reinsberger Friedhof mit der Gruft der Herren von Schönberg, mit zahlreichen wohlerhaltenen, in vergangene Jahrhunderte zurückreichenden Grabmälern und Eisenkreuzen bietet reiche Anregung zu sinnigen Betrachtungen und ernster Forscherarbeit.
In der Mitte des Dorfes, dicht am Bahnhofe, steht ein Schachtgebäude! Des Haldenglöckleins heller Klang schallt vom Türmchen. Ein Stollen läßt Wasser auf ein Radwerk fließen. Wir stehen am vierten Lichtloche des Rothschönberger Stollens und zugleich am Ausflusse, also am Ende des Grabens, der der Grabentour den Namen gab. Wie ich aus Erfahrung weiß, kennen die meisten Grabentourwanderer den Zusammenhang zwischen Rothschönberger Stollen und Graben nicht, meist wird beides miteinander verwechselt. Auch Wanderbücher und Reisebeschreibungen lassen uns meist im Unklaren, obwohl die Erbauung des Stollens und die Anlegung des Grabens erst vor wenigen Jahrzehnten erfolgten. Der Heimatfreund wird es deshalb gewiß begrüßen, wenn er an dieser Stelle Ausführlicheres darüber erfährt.
Mit dem in den Jahren 1844 bis 1877 erbauten Rothschönberger Erbstollen wurde ein gewaltiges Kulturwerk geschaffen, dessen Nutzen freilich hinter den Erwartungen zurückblieb, die man beim Baubeginn gehabt hatte. Obwohl mit der Einstellung des Freiberger Bergwerks der Stollen so gut wie bedeutungslos geworden ist, bleibt er doch für alle Zeiten ein gewaltiges Kulturdenkmal, dem so leicht nichts Ähnliches zur Seite gestellt werden kann. Daß sich die Anlage des Stollens nicht lohnte, ist ja auch durchaus nicht die Folge falscher Berechnung oder eines andern technischen Fehlers; lediglich die unter dem Drucke damaliger Edelmetallentwertung notwendig gewordene Einstellung des Freiberger Silberbergbaues nahm dem Rothschönberger Stollen seine Bedeutung, ehe sie recht zur Geltung gekommen war. Als man ans Werk ging, stand das Wertverhältnis von Gold zu Silber wie 1 : 15. Schon vor der Vollendung begann unter dem Einflusse der gewaltigen Silbergewinnung Nordamerikas der Preissturz des Silbers, der das Wertverhältnis um die Wende des Jahrhunderts auf 1 : 40 herabdrückte. Unter so veränderten Umständen vermochte auch die kunstvollste Technik und die umsichtigste Sparsamkeit aller Bergbau- und Verhüttungsverfahren die Freiberger Silbergewinnung nicht mehr lohnend zu gestalten. Sie starb dahin. Die unterirdische Leitung der durch den Stollen bemeisterten Gruben- und Aufschlagwässer ist eins der Denkmäler, das den Freiberger Bergbau überlebt.
[55]
Was führte nun zur Anlegung des Rothschönberger Stollens? – Nach jahrhundertelanger Ausbeute der Freiberger Silbergruben war das erzhaltige Gebirge in seinen oberen Schichten in der Hauptsache abgebaut; es galt tiefer zu gehen. Diesem Vorhaben bereitete aber das Grundwasser, der Hauptfeind des Bergbaues, immer größere Hindernisse, je weiter man in das Berginnere eindrang. Die Bewältigung der Grubengewässer war in der Hauptsache auf von Wasserkräften betriebene maschinelle Anlagen angewiesen, die aber zur Wasserhebung aus immer bedeutender werdenden Tiefen nicht mehr ausreichten. Die Anwendung der Dampfkraft erschien zu kostspielig. Infolge dieser Hindernisse waren bereits verschiedene wichtige Grubenbetriebe zum Erliegen gekommen und anderen drohte ein langsames Dahinsiechen.
Den einzigen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten sah man in der Anlegung eines tiefen Revierstollens, durch den das Wasser ohne Hebung aus den tiefsten Stellen des Bergreviers nach einem Fluß in der Umgebung abgeführt werden konnte. Durch eine solche Anlage konnte zugleich das Aufschlagwasser für die in[56] tieferen Stellen der Gruben erbauten Kraftanlagen mit beseitigt werden. Die Erbauung derartiger Wasserabführungsstollen war nicht neu. Wie andre Grubenreviere, so besaß auch Freiberg bereits eine größere Anzahl, doch reichten sie wegen ihrer geringen Tiefe zur Wasserbewältigung nicht aus.
Im Jahre 1838 trat nun Oberberghauptmann von Herder mit einem ebenso gewaltigen wie genialen Plan an die Öffentlichkeit. Er schlug den sogenannten »Meißner Stollen« vor, der das Wasser durch einen dreiundzwanzig Kilometer langen und ungefähr hundertdreiundachtzig Meter unter dem tiefsten Freiberger Bergwerk zu liegen kommenden Abfluß nach der Elbe bei Meißen leiten sollte. Der Plan ist zwar unausgeführt geblieben, doch fußte auf ihm das Projekt des später vom Bergmeister von Weißenbach entworfenen Rothschönberger Stollens, der 1844 begonnen und 1877 vollendet wurde. Der Hauptstollen mündet bei Rothschönberg in das Triebischtal und wurde in dreizehntausendneunhundert Meter Länge bis an den Halsbrücker Spatgang, vierundneunzig Meter unter den tiefsten dortigen Stollen, den Anna-Stollen, geführt. Nach Anschluß aller Flügelstollen erhielt das gewaltige unterirdische Wasserwerk später eine Gesamtlänge von einundachtzigtausend Metern. Der Hauptstollen wurde von acht Lichtlöchern aus erbaut, die je nach der Höhenlage des durchbrochenen Gebirges eine Tiefe von dreiundfünfzig bis hundertfünfundfünfzig Metern besitzen. Zwischen dem Mundloch bei Rothschönberg und dem siebenten Lichtloch bei Halsbrücke hat der Stollen bei drei Meter Höhe eine Breite von zwei Meter fünfzig Zentimeter und weiter aufwärts bei gleicher Höhe eine Breite von einem Meter fünfzig Zentimeter. Letzteres Maß haben auch die Stollenhauptflügel im Innern des Freiberger Reviers. Der gewaltige Stollen kann demnach bequem mit einem Kahne durchfahren werden. Wir stehen hier in Reinsberg am vierten Lichtloch, unter dem in vierundachtzig Meter Tiefe der Rothschönberger Stollen die Freiberger Grubenwässer zur Triebisch führt, die sie wieder bei Meißen in die Elbe leitet.
Die Kosten des Stollens in Höhe von siebenmillionenhundertsechsundachtzigtausendsechshundertsiebenundneunzig Mark dreiundvierzig Pfennige überschritten den Anschlag um neunundsiebzig Prozent, was bei der Länge der Bauzeit und bei den mannigfachen und großen Schwierigkeiten, die sich der Vollendung entgegenstellten, durchaus nicht verwunderlich ist. Die Geschichte des Stollenbaues bietet ein Bild deutscher Gründlichkeit, zähester Ausdauer und hoher technischer Leistungsfähigkeit. Wer je an Deutschlands Schaffenskraft zweifeln wollte, dem sei ein Studium der Baugeschichte des Rothschönberger Stollens empfohlen; er wird sicher eines besseren belehrt werden.
Aus der Bauzeit des Rothschönberger Stollens stammt auch der Graben, die Wasserkunst, welche der Grabentour den Namen gegeben hat. An den einzelnen Lichtlöchern wurden die Förderarbeiten durch Dampfkunstgezeuge und Dampfgöpel ausgeführt. Nur am vierten Lichtloch in Reinsberg nahm man ein Radkunstgezeug und einen Kehrradgöpel und am fünften Lichtloch im Bobritzschtale zwei vertikale (Schwamkrug’sche) Turbinen zum Betriebe der Wasserhebungs-, Wetter- und Fördermaschinen zu Hilfe. Das nötige Aufschlagwasser wurde unterhalb Krummenhennersdorf aus der Bobritzsch entnommen und den Betriebsstellen durch[57] eine dreitausendfünfhundertsiebenundfünfzig Meter lange Leitung, den Graben an der Grabentour, zugeführt. Die Wasserführung ist auf eintausendsechshundertzweiundfünfzig Meter als offener Graben und auf eintausendneunhundertundfünf Meter als unterirdische Rösche angelegt. Mit dem eigentlichen Rothschönberger Stollen hat also der Graben heute nichts mehr zu tun, wiewohl dies vielfach angenommen wird. Er war lediglich ein Hilfsmittel bei seiner Erbauung und ist heute ein Denkmal großzügigen Bergbauunternehmens.
Das Dorf Reinsberg verlassend, führt uns der Weg an der alten kursächsischen Postmeilensäule vorüber dem Walde und der Grabentour im engeren Sinne zu. Aus Inschriften ist zu ersehen, daß wir uns auf Oberreinsberger Forstrevier befinden und daß der Graben der Betriebsdirektion der staatlichen Grube Himmelfahrt zu Freiberg untersteht.
Wir kennen mancherlei ausgedehnte Wasserkunstanlagen, Floßgräben usw. im lieben Sachsenlande. Jede Anlage hat ihre Eigentümlichkeiten, ihre besonderen Reize für den Wandrer, der an ihrem Ufer streift. Unser Graben ist dadurch[58] merkwürdig und besonders anziehend, daß er nur zum Teil im offenen Bett dahinfließt. Fünfmal wird das Wasser vom Felsen verschlungen und durch Tunnel geleitet. Dazu kommt seine herrliche Waldumgebung und die malerische Lage hoch am Hange des Bobritzschtals. Der Weg am Graben hin bietet dem Wandrer Bilder einzigartiger Naturschönheit; anmutige friedliche Waldblicke wechseln ab mit Bildern voll wildromantischer Wucht. Unberührte Natur und Menschenwerk einen sich harmonisch.
Bald nach dem Eintritt in den Wald kommen wir an die erste offene Grabenstelle. Etwa dreihundert Meter weit plätschert das klare Wasser, um im ersten Tunnel zu verschwinden und durch den Berg dem Reinsberger Lichtloch zuzufließen. Ein schroffer Felsvorsprung schiebt sich nun ins Tal, vom zweiten Grabentunnel durchzogen. Wohl dreißig Meter tief im Grunde braust die Bobritzsch hin, von gewaltigen Fichten beschattet. Ein neues schöneres Bild tut sich hinter dem Felsen auf; wir kommen wieder an den offenen Graben. Ein Felsriegel ist durchschnitten für das Grabenbett. So geht es weiter im bunten Wechsel. Über eine alte Berghalde führt der Weg, Sedum begrünt den Schutt und im Schatten von Linden und Eschen laden Bänke zu kurzer Rast ein. Auch hier ein herrlicher Blick hinab ins Bobritzschtal, hinüber in den schönen Wald. Die Halde und ein Wehr am Graben erinnern an den Bau des fünften Lichtloches des Rothschönberger Stollens, das einst hier in die Tiefe führte. Es ist heute zugewölbt und verschüttet. Der Fußweg senkt sich hinab zur Bobritzsch, auf schmalem Pfade geht die Wanderung weiter, oben am Berge fließt der Graben. Dort, wo er zum viertenmal in den Felsen verschwindet, ist sein Geburtszeugnis eingemeißelt:
Ausgeführt 18 L 44/C 46
durch
Ob. Ef. E. v. W.
Ostg. A. J.
Mstg. G. B.
Die Namen des Bauleiters Oberbergrat von Warnsdorff, des Obersteigers Jobst und des Maschinensteigers sind hier verewigt. In nur drei Jahre fällt also die Bauzeit des Grabens; wahrlich eine beachtliche Leistung!
Noch manches herrliche Bild landschaftlicher Schönheit zieht vor unserm Auge vorüber. Dort gähnt eine dunkle Felshöhle, hier liegt am Ufer der Bobritzsch eine kleine blumenübersäte Wiese, umrahmt von hohen Fichten. Jungwald zieht sich zum Gipfel des Berghanges empor und dort, wo die Sonne ungehindert durch Bäume in den Graben scheint, spielen Scharen kleiner Fische im blanken Wasser.
Viel zu früh für den wanderfrohen Heimatfreund tritt der Wald zurück und bald tauchen die ersten Häuser von Krummenhennersdorf auf. Wir sind am Ende der Grabenwanderung angelangt! Oberhalb des »Gasthauses zur Grabentour« liegt das Wehr, welches das Bobritzschwasser in den Graben leitet. Wir verlassen die Bobritzsch auf hoher Brücke und biegen in das Seitental ein, in dem der eigentliche alte Ort Krummenhennersdorf liegt.
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Krummenhennersdorf – heute kaum genannt, oder höchstens bekannt als Ausgangs- oder Endpunkt der Grabentour, und doch hat Klio den Namen mehrfach eingezeichnet in die Annalen der sächsischen Geschichte. Zu der Zeit, als man Freiberg erbaute, mag auch Krummenhennersdorf mit andern Bergbaudörfern der Umgebung entstanden sein. Ursprünglich nach seinem Gründer Hinrichsdorf, also Heinrichsdorf genannt, erhielt der Ort später wegen seiner Lage am gebogenen, krummen Laufe des ihn durchfließenden Baches und zum Unterschiede vom nahen Langhennersdorf seinen heutigen, etwas merkwürdig anmutenden Namen. Vor über siebenhundert Jahren wird Krummenhennersdorf erstmals in der sächsischen Landesgeschichte erwähnt, in den Tagen, da deutsche Fürsten harte Fehden unter einander und gegen den Kaiser ausfochten. Im Juni 1195 endete hier das kampfesfrohe Leben des ritterlichen Meißner Markgrafen Albrecht des Stolzen. Er wurde, wie wenige Tage später auch seine Gemahlin, die schöne Sophie von Böhmen, nach der Inschrift in der Grufthalle zu Altenzella »veneno sublati«, durch Gift hinweggenommen. Völlig geklärt ist das trübe Geschehnis nicht; die Chronisten berichten, Kaiser Heinrich VI. sei der Anstifter zu diesem Morde gewesen, da ihm daran gelegen war, den kampfeslustigen und ihn selbst wiederholt befehdenden Fürsten zu beseitigen. Vielleicht fand der Kaiser willige Helfer in Altenzella, lud doch Markgraf Albrecht den Haß des Klosters auf sich, als er einen Teil der Schätze einzog, mit denen sein Vater Otto der Reiche das junge, von ihm begründete Kloster in verschwenderischer Weise ausgestattet hatte. Es wird überliefert, eine gedungene Kreatur des Kaisers habe dem Fürsten in Freiberg den Todestrunk gereicht; auf der Reise nach Meißen erkrankte Albrecht und in der Mühle zu Krummenhennersdorf hauchte er sein Leben aus. Irgendwelche sichtbare Zeichen, die das Gedächtnis an dieses Drama in der Mark Meißen alten Tagen wachhalten, sind nicht zu finden und wohl auch kaum vorhanden gewesen. Im Jahre 1910 ist die wahrscheinlich im Laufe der Jahrhunderte schon mehrmals erneuerte Mühle niedergebrannt; ein stattlicher Neubau in schmucker heimatlicher Bauweise ist dafür erstanden. Der eben aus der Bobritzsch abgeleitete Graben liefert der Mühle die Wasserkraft.
Noch eine andre geschichtliche Erinnerung birgt Krummenhennersdorf. In der Ortsmitte, hoch auf dem Berge liegt neben der neuen Kirche das uralte Rittergut, einst ein Besitztum Altenzellas. Hierher übersiedelte im Jahre 1545 der letzte, der einundvierzigste Abt des Klosters, Andreas Schmiedewalt, als die Macht des reichen und in seinem Besitz einem kleinen Fürstentum gleichenden Klosters Altenzella in den Stürmen der Reformation zusammenbrach. Aus dem Klostergewaltigen war ein schlichter Pächter geworden, der mit seinem Schicksal ausgesöhnt hier hochbetagt im Jahre 1586 starb. Er war friedliebend und glich nicht im entferntesten seinem Vorgänger, dem kampfeslustigen und wortgewandten Abte Martin, der unter dem Schutze des Landesherrn Georg des Bärtigen den Siegeslauf der Lehre Luthers aufzuhalten suchte. Manch kräftig Wörtlein wurde gewechselt von hüben und drüben. Am bekanntesten geworden ist davon wohl des Abtes Flugschrift aus dem stillen Altenzella: »Wider das wildgeyfernde Eberschwein, Marten Luthern, so mit seinem Riesel umzustossen sucht die Canonisation S. Bennonis, Bischofs zu Meißen.«
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Das Andenken an Andreas wurde etwas getrübt, als sich später herausstellte, daß er einen Teil der Klosterschätze und goldenen Kleinodien beiseite geschafft und der Sequestierung entzogen hatte. Freilich ist nie aufgeklärt worden, ob der sonst so gewissenhafte Abt sich damit einen Notpfennig für sein Alter sichern wollte, oder ob er in der Hoffnung lebte, das Land werde wieder katholisch werden und sein Kloster in neuem Glanze erstehen. Sagen von vergrabenen Schätzen, die sich gern um verfallenes Klostergemäuer ranken, wurde damit auf recht realistische Weise der Nährboden geraubt.
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Frühlingssonnenglanz lag auf der Landschaft, als ich die Höhe erstiegen hatte, und nun, an blühenden Kastanien vorüber, durch die gewölbte Toreinfahrt eintrat in den weiten, von Linden beschatteten Hof des alten Klosterguts Krummenhennersdorf. Ein Bild des Friedens bot sich meinem Auge, Schwalben umzwitscherten die von wildem Wein umrankten Gebäude, die von Efeu dicht übersponnenen altersgrauen Mauern und aus dem malerischen Taubenhaus in der Mitte des Hofes klang vielstimmiges Gurren. Kein andrer Laut störte die klösterliche Stille. So[62] mag’s auch einst gewesen sein, als Abt Andreas hier seine Tage verlebte. An den Gutshof grenzt der sehr große und heute noch wohlgepflegte Park. Eine hohe Mauer umgibt ihn, ein Anklang an die gewaltige Mauer, welche das Kloster Altenzella von der Außenwelt abschloß.
Nach kurzer Wanderung erreichen wir die hohe Esse und blicken hinab auf die rußgeschwärzte Halsbrücker Hütte. Noch einmal taucht die Erinnerung auf an den Rothschönberger Stollen; dicht bei der Esse steht ein kleines Schachtgebäude, unter dem das siebente Lichtloch hundertdreiundzwanzig Meter tief auf die Stollensohle führt. Und nun geht unsre Fahrt weiter auf Freiberg zu; wir schlagen den Fußweg über »Herders Ruhe« ein und besuchen die denkwürdige Stätte, wo unter einer Berghalde »der Knappen treuester Freund«, der Oberberghauptmann von Herder seine letzte Schicht verfährt. Auch uns war er heute ein Freund und eine herrliche Wanderfahrt hat er uns beschieden. Herders genialer Geist hat den Plan zu der gewaltigen Grubenwasserabführung erdacht, aus dem der Rothschönberger Stollen und der Graben an der Grabentour hervorgegangen sind.
Von Dr. Kurt Schumann
Gelegentlich der Ausstellung der Gilde vom Berge: Das sächsische Felsengebirge in Literatur, Bild und Kartographie im Japanischen Palais in Dresden ist wieder einmal der Streit um den Namen des bekanntesten sächsischen Gebirges entbrannt. Dr. Kuhfahl, der bekannte Bergsteiger, Photograph und Steinkreuzforscher schreibt im Dresdner Anzeiger im Anschluß an eine Besprechung der genannten Ausstellung: »Mit der richtigen Würdigung dieses Gebirgscharakters taucht aber in denkenden Köpfen gleichzeitig eine Art Beschämung darüber auf, daß der Name für diese heimatliche Felsenwildnis in denkbar läppischster Weise aus hochalpinen Verhältnissen herbeigezogen worden ist, mit denen er auch nicht die allergeringsten Vergleichspunkte besitzt. Das Wort »Sächsische Schweiz«, das jedem Alpenkenner als eine Herabwürdigung der Heimat erscheinen muß, hat sich seit 1780 gedankenlos fortgepflanzt und selbst in wissenschaftlichen Werken hier und da Eingang gefunden. Der Ausdruck Elbsandsteingebirge besitzt keine Volkstümlichkeit, und wenn die Gilde vom Berge heute ihre Ausstellung Sächsisches Felsengebirge betitelt, so ist sie sich gleichfalls bewußt, daß dies noch nicht die erwünschte Lösung der Namenfrage bedeutet.« Deshalb regt Dr. Kuhfahl an, man möge sich, wie schon vor Jahren gelegentlich eines von einer Zeitschrift ausgeschriebenen Wettbewerbs, mit dieser Frage befassen und nach einem treffenden, knappen und klangvollen Namen suchen.
Zunächst eine kleine Richtigstellung, die für unsre weiteren Darlegungen nicht ohne Bedeutung ist: Der Name »Sächsische Schweiz« hat nicht selbst in wissenschaftlichen Werken hier und da Eingang gefunden, sondern wird seit Jahrzehnten beinahe ausnahmslos von allen Wissenschaftlern und vor allem von den Geographen gebraucht. Als Beleg nur die Verfassernamen der mir gerade zugänglichen Werke,[63] in denen er an hervorragender Stelle gebraucht wird: Beck, Freiberg; Beyer, Dresden; Hettner, Heidelberg; Ruge, Dresden; Stübler, Bautzen; Berg, Göttingen; Machatschek, Prag; Weicker, Dresden; Meiche, Dresden; Schmaler, Dresden; Philippson, Bonn; Partsch, Leipzig; Koßmat, Leipzig; Pietzsch, Leipzig usw. Besonders stutzig muß uns die Tatsache machen, daß es ein geborener Dresdner, der jetzige Ordinarius für Geographie in Heidelberg, A. Hettner, war, der mit seinem klassischen Werk über den Gebirgsbau und die Oberflächengestaltung der Sächsischen Schweiz das Wort in die wissenschaftliche Literatur einführte. Man kann wohl kaum annehmen, daß bei ihm wie bei all den genannten Geographen, Geologen, Historikern und Heimatforschern, denen man das Attribut denkende Köpfe kaum verweigern dürfte, reine Gedankenlosigkeit die Ursache zu diesem Brauche war. Schmaler schreibt in seiner trefflichen Landeskunde von Sachsen: »Der Geologe wird die Bezeichnung Elbsandsteingebirge lieber anwenden als den Begriff Sächsische Schweiz. Jedoch hat sich dieser so allgemein eingebürgert, daß ihn heute auch die wissenschaftliche Geographie braucht. Es ist darum zwecklos, über seine Berechtigung zu streiten. Interessant ist es, daß er in der Zeit der Aufschließung des Gebirges für den Reiseverkehr auch von den bekannten Schweizer Malern Adrian Zingg und Anton Graff angewendet worden ist.«
Ich glaube, wir kommen nicht um die Notwendigkeit herum, dem was Schmaler sagt, zuzustimmen. Es ist auch bei den Verfechtern dieses Namens kein Zweifel darüber, daß es wenige Gebirge gibt, die in Gesteinsaufbau und Oberflächenform weniger Ähnlichkeit mit den Schweizer Alpen haben, als die Sächsische Schweiz. Die Kardinalfrage bei der ganzen Erörterung ist deshalb: Wollten diejenigen, die zuerst diesen Namen brauchten, und wollen alle die, die ihn heute in Schrift und Wort anwenden, überhaupt einen Vergleich zwischen den Alpen und unserm »Salongebirge«, wie es Ruge scherzhaft, wenn auch nicht für alle Teile zutreffend genannt hat, ziehen? Diese Frage aber muß unbedingt verneint werden. Wer heute Sonntags »in die Schweiz fährt«, um zu wandern oder zu klettern, um zu botanisieren oder Leitfossilien zu sammeln, um die Spuren alter Raubnester zu suchen oder sich im Schatten der Kiefern im Angesicht einer erhabenen Landschaft philosophischen Spekulationen oder dichterischen Träumen hinzugeben, denkt nicht im entferntesten an das für die meisten nicht erst seit dem Kriege unerreichbare Gebiet der Berner oder Walliser Alpen, und wäre er gleich am Vorabend erst im Tell oder einer Filmvorführung gewesen, die ihm die ganze Herrlichkeit dieser Landschaften vor Auge und Seele stellte. Ebensowenig wie sich der Schüler, der morgens ins Gymnasium geht, des Gegensatzes bewußt ist, der zwischen der Anstalt, die also bezeichnet wird und ihrem Vorbild besteht, denkt der Schweizfahrer an das Land, das – man ist versucht zu sagen »zufällig« – denselben Namen trägt wie sein geliebtes Felsengebirge. Es verbinden sich einfach mit dem Wortklang nicht nur für den Dresdner, sondern für jeden, der die besondere Schönheit dieses Gebirges genossen hat, so starke Gefühlswerte, daß er den Namen ebensowenig missen möchte, wie den der Frauenkirche, des Zwingers oder der im Volksmund auch in der Zeit des albernsten Byzantinismus nie ausgestorbenen Augustusbrücke. Als mir neulich eine Kollegin erzählte, sie sei am Sonntag im Elbsandsteingebirge gewesen, lief mir[64] ein kalter Schauer den Rücken hinunter, und mit dem Sächsischen Felsengebirge geht es mir nicht viel besser. Am wärmsten klingt noch Meißner Hochland, aber auch nur dem, der unter der Schwelle des Bewußtseins die ganze sächsische Geschichte liegen hat. Die weiteren Folgen einer Namensänderung will ich hier nicht ausmalen. Nur die bescheidene Frage: Wem wäre es nicht komisch zu Mute, wenn er von Ostern ab statt mit dem Schweizzuge mit dem Felsengebirgs- oder Elbgebirgszuge nach Schöna fahren und anschließend eine Meißner Hochlandstour unternehmen sollte?
Und wer doch beim Klange des Wortes Schweiz es nicht lassen kann, nach den Gletschern des Engadin und den Firnspitzen von Zermatt einen ängstlichen Blick zu werfen, den werden vielleicht die folgenden Worte beruhigen, die ich in einem Wegweiser durch die Gegend um Dresden im Jahre 1804, als man sich auch schon einmal nach neuen Namen den Kopf zerbrach, fand, und mit denen ich meine Verteidigung der »Sächsischen Schweiz«, deren ragende Steine schon mein Söhnlein vom Landgraben aus mit dem Jubelruf grüßt: »Water, die Weiz! die Weiz!!«, schließen: »Doch das Gebirge heiße, wie es wolle, es ist unendlich malerisch. Alle Kontraste des Großen und Gefälligen, des Wunderbaren und Schönen, des Kühnen und Leichten, des Grausenden und Sanften sind mit romantischer Mannigfaltigkeit an den triumphierenden Lauf des Elbstroms gefesselt, und Schweizer, die hier weder ein Haslital noch die Spitzen der Jungfrau und des Finsteraarhorns fanden, die hier keinen Kuhreigen hörten und keinem Gemsenjäger begegneten, wurden dem allen ungeachtet von dem wunderbaren Charakter der Landschaft ergriffen und mit magischer Gewalt in die ferne Welt ihrer geliebten Heimat versetzt.«
»Das Deutsche Haus« von Paul Ehmig, 3. Band – 5. und 6. Buch – ist soeben bei Ernst Wasmuth, Berlin, erschienen. Somit ist in glücklichster Weise dieses großzügig angelegte Werk zum Abschluß gebracht worden. Die künstlerischen Bedingungen des deutschen Hauses, Anlage, Aufbau, Hauskörper, Innenraum und Garten werden in tiefgründiger Weise vom Standpunkte des schaffenden Künstlers behandelt. Der dritte Band ist ebenso wie seine Vorgänger hervorragend ausgestattet und mit 131 wertvollen Abbildungen illustriert. Wir empfehlen allen Baulustigen wie Freunden der nationalen künstlerischen Kultur das Buch aufs wärmste, aber auch den Jüngern der Baukunst. Ist es doch frei von der in technischen Gebieten allzu üblichen schematischen Behandlung der Aufgaben, betont es doch immer wieder die Notwendigkeit, die Erfahrungen der Alten zu benützen und die Bedürfnisse aus ihnen zu entwickeln. Alles in allem eine bedeutsame Weiterentwicklung der in den letzten Jahren erschienenen Veröffentlichungen ähnlichen Charakters –, auf die vom Deutschen Bund Heimatschutz herausgegebenen Grundlagen für das Bauen in Stadt und Land von Steinmetz, Berlin, und die sechs Bücher vom Bauen Ostendorfs sei hierbei hingewiesen. –
Daß dem Siedelungsproblem, Reihenhaus und Bebauungsplan umfangreiche Teile des Buches gewidmet sind, mag hervorgehoben werden, aber auch, daß die künstlerische Gestaltung des Hausinneren in Verbindung mit den Gartenräumen unter Beibringung schönen Abbildungsmaterials mit besonderer Liebe behandelt ist.
Paul Goldhardt
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt – Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
Klischees von Römmler & Jonas, sämtlich in Dresden
Die immer weitere Zunahme unsrer Mitglieder, der Aufschwung unsrer Bewegung macht eine vollständige Umorganisation unsrer Mitglieder-Kartothek notwendig. Dabei werden nach Möglichkeit alle die Wünsche berücksichtigt, die uns seitens unsrer Mitglieder zur Geschäftsvereinfachung und zur Erzielung von Ersparnissen mitgeteilt wurden.
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Landesverein Sächsischer Heimatschutz
März 1923
Einbanddecken in Leinen
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Doppelbände | M. 3500.— |
Heimatbücherei des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz
Band I (2. Auflage): Gerhard Platz »Vom Wandern und Weilen im Heimatland«
M. 7500.—
Band II. Max Zeibig »Bunte Gassen, helle Straßen«
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