*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 74678 ***


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                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1926 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht
  mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
  unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

  Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der
  folgenden Symbole gekennzeichnet:

        gesperrt: +Pluszeichen+
        Antiqua : ~Tilden~

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                       Unter Wilden am Amazonas




[Illustration: Eine schauerliche Trophäe.

Ein menschlicher Kopf aus dem oberen Amazonengebiet. Gedörrt und
eingeschrumpft mißt er nur zehn Zentimeter vom Hals bis zum Scheitel.
Die Lippen sind mit langen Baumwollfäden zugenäht.]




                      ~CHARLES W. DOMVILLE-FIFE~

                             Unter Wilden
                              am Amazonas

               Forschungen und Abenteuer bei Kopfjägern
                         und Menschenfressern

                                   *

                          Mit 36 Abbildungen
                             und 6 Karten

                            [Illustration]

                  ~LEIPZIG / F. A. BROCKHAUS / 1926~




   +Einband und Schutzumschlag nach Entwürfen von Hanns Langenberg+




Inhalt.


                                                                   Seite

  1. Die Entdeckung des Amazonenstroms                                 9

  2. Aufbruch ins Innere                                              21

  3. Von der Jaguarinsel nach dem Tapajózfluß                         32

  4. Die Mundurucusindianer des Waldplateaus                          48

  5. Im Land der Apiacásindianer                                      63

  6. Auf dem sichtbaren Äquator                                       75

  7. Auf dem großen Madeira in das Land der Caripunasindianer         85

  8. Ins Herz des tropischen Urwalds                                 107

  9. Unter den Parintintinsindianern am Gy-Paraná                    117

  10. Das erste Zusammentreffen zwischen Weißen und Wilden           136

  11. Die Entdeckung eines unbekannten Indianerstammes               147

  12. Der Fluß der Itogapukindianer                                  159

  13. Ein geheimnisvoller Felsentempel                               170

  14. Den Chimbiri-Yacu flußaufwärts                                 187

  15. Die Kopfjäger der Huambisa                                     200

  16. Unheimliche Bräuche im Land der Uitotosindianer                209

  17. Die Konibosindianer am Ucayali                                 223

  18. Unter den Vampirindianern der Pampas Sacramento                232

  19. Die Chunchosindianer der Peruanischen Montaña                  244

  20. Im verbotenen Land der Ungoninos                               254

  Register                                                           264




Abbildungen.


                                                                   Seite

  Eine schauerliche Trophäe                             Titelbild

  Eingeborenenboot auf dem unteren Amazonas                           16

  Eingeborenenhausboot                                                16

  Ein Gummisammler im Urwald des Amazonas                             17

  Halbzivilisierte Indianerweiber bei der Bereitung der „Farinha“     48

  Moiré auf dem Amazonas                                              49

  Eingeborenenboote an dem Boothdampfer bei der Abfahrt von
  Santarem                                                            64

  Caripunasindianer in einem „Einbaum“ auf dem Mutum-Paraná           65

  Krieger mit Bogen                                                   80

  Indianerhäuptling mit Bogen und Pfeilen                             81

  Caripunasindianer beim Bogenspannen                                 96

  Wilde Caripunasindianer                                             97

  Itogapukmädchen                                                    112

  Die drei Unterhäuptlinge der Itogapuks                             113

  Itogapukweib und Kind                                              128

  Die Frau des Itogapukhäuptlings                                    128

  Drei g’schamige Damen                                              129

  Ein Itogapukmädchen, zum Tanz geschmückt                           144

  Itogapukindianer vor ihrem Gemeinschaftshaus                       145

  Stärlingsnester                                                    160

  Der geheimnisvolle „Felsen der Inschriften“ am oberen Parimé       161

  Mandaño-Indianer vom obern Napo                                    176

  Ihr „Gesellschaftskleid“                                           177

  Zeichnungen am „Felsen der Inschriften“ (Textabbildung)            179

  Schmuckbemalung der Ocainasweiber                                  192

  Der Schluß des großen Tanzes                                       193

  Carijonasindianer mit schweren Ohrpflöcken                         208

  Konibosindianer im Kusma                                           208

  Landungsstelle am oberen Madeira                                   209

  Zwergindianer von Matto Grosso mit einem hellfarbigen
  Caripunasmädchen                                                   224

  Gruppe von Riesen-Kaschibos oder Vampirindianern                   225

  Häuptling der Kampasindianer                                       240

  Zwergindianer der Pampas Sacramento                                240

  Chunchosindianer am Perené                                         241

  Chunchosmädchen                                                    256

  Eingeborenenfloß auf dem oberen Amazonenstrom                      257




Karten nach Skizzen des Verfassers.


  1. Skizze des Gebiets des Tapajóz und des Madeira                  149

  2. Skizze der Steppen des Rio Branco                               171

  3. Skizze des Chimbiri-Yacu-Gebiets                                197

  4. Skizze des Gebiets des Igara-Paraná                             211

  5. Skizze der Peruanischen Montaña                                 235

  6. Übersichtskarte, etwa 1 : 6500000, am Schluß des Bandes.




1. Die Entdeckung des Amazonenstroms.


Fernab von aller Zivilisation lebt in den Urwäldern am Rio Napo
ein wilder Stamm, Yáhuas genannt. Noch heutigestags tragen sie das
Haar lang herabfallend; aus Binsen geflochtene Umhänge bedecken
ihre Schultern, ebensolche Röckchen ihre Lenden, so daß sie Weibern
gleichen. Diesem Stamm verdankt das größte Stromsystem der Welt
seinen Namen: „Amazonas“, die Amazonen. Als die kleine Schar Weißer
unter dem Befehl des Francisco de Orellana in den Jahren 1539-41 von
Ecuador aus ihre berühmte Fahrt auf dem Rio Napo in den Amazonenstrom
und auf diesem bis in den Ozean hinab unternahm, hatte sie unter den
beständigen Angriffen dieser Wilden viel zu leiden.

Die Geschichten, die dann Orellana und die andern, die nach ihm dort
waren, erzählten, gaben den Anlaß, daß Herodots altes Märchen über
ein Volk streitbarer Weiber, Amazonen genannt, auf die Bewohner des
äquatorialen Amerika und in der Folge auf das ganze Gebiet und das
Flußsystem angewandt wurde. Merkwürdigerweise war aber die Mündung des
Amazonenstroms schon 39 Jahre vorher von Vincente Yañez Pinzon und
Pedro Cabral, dem großen portugiesischen Seefahrer, entdeckt worden;
am 26. Januar des Jahres 1500 fuhren ihre Galeeren in die größte
Strommündung der Welt ein.

Diese Abenteurer benannten sie „Mar Dulce“ oder „Süßwassermeer“,
wahrscheinlich der Marajó-Bai wegen, wo das Wasser außerordentlich
rein ist. Es wird noch jetzt von den Schiffen benutzt, die die untern
Strecken dieses gewaltigen Stromsystems durchfahren.

So hatte sich also das Dunkel über dem untern Amazonenstrom zum
erstenmal aufgehellt, aber noch viele Jahre brannte das Licht der
Erkenntnis nur trübe, wenn auch in Europa Flotten ausgerüstet wurden,
das neuentdeckte Land zu erforschen, „das von einem gelbfarbigen Meer
durchschnitten“ würde. Es wurde bald zum Dorado des Jahrhunderts.
Kolumbus, der ein geheimnisvolles Land „jenseits des äthiopischen
Meeres“ suchte, entdeckte Südamerika. Andere fuhren mit ihren Galeeren
in das große Ästuar ein oder an den anstoßenden Küsten entlang. In den
Erzählungen der Zurückkehrenden war die Wahrheit stark mit Dichtung
durchsetzt. Der sandige, von gelben Fluten bespülte Strand wurde zum
goldenen Uferrand eines Silbermeers, aus den „Maloccas“ zauberkundiger
Eingeborener wurden die Paläste von Manoa, wo der Dorado, der „Goldene
Mann“, wohnte, dessen Körper mit glitzernden Zechinen bedeckt war, die
Sonne, Mond und Sterne überstrahlten.

Blühende Bilder einer erregten Phantasie waren also die Triebkraft,
die Körper und Geist der europäischen Abenteurer zu ungeahnter
Leistungsfähigkeit anspornte. Auch Gonzalo Pizarro, ein Bruder des
Eroberers von Peru, stand ganz im Bann der Mythen und Fabeln seines
Zeitalters. Im Jahr 1539 sammelte er im Hoheitsgebiet seines Bruders
eine Schar von Abenteurern um sich, machte sich von Peru landeinwärts
auf den Weg, überstieg die Anden und durchquerte Ecuador in dem
Bestreben, das „Süßwassermeer“ aufzufinden, das man damals jenseits des
Festlands vermutete. Er hatte übrigens geschworen, dem Dorado in Manoa
die Rüstung von goldenen Zechinen zu entreißen. Wie viele andere, die
während der nächsten Jahrhunderte seinen Fußtapfen folgten, scheiterte
er an den Millionen Geviertmeilen der äquatorialen Wälder, Flüsse und
Sümpfe.

Trotzdem war sein monatelanges Umherwandern in den Bergen von Ecuador
nicht ergebnislos, wenn er auch von seiner wichtigsten Entdeckung
erst erfuhr, als ein anderer den Erfolg eingeheimst hatte. Im Laufe
seiner Forschungen hatte er seine kleine Schar nahe an die Quelle des
Napo gebracht, eines mehr oder weniger schiffbaren Nebenflusses des
„Süßwassermeers“. Von den Eingeborenen hatte er eine Menge reines Gold
eingehandelt, das, zweifellos irrtümlich, auf 45 Tonnen geschätzt
wurde. Diesen Schatz vertraute er seinem Leutnant Francisco de Orellana
an, der ein rohes Boot baute, das Gold daraufbrachte, die Überreste der
abenteuerlichen Schar verließ und sich auf dem Rio Napo einschiffte,
mit der Absicht, Lebensmittel für die Mitglieder der Hauptexpedition
zu beschaffen, die dem Verhungern nahe waren. Die starke Strömung des
Flusses verhinderte ihn jedoch an der Rückkehr, um so mehr, als sich
nirgends Gelegenheit bot, Lebensmittel zu bekommen.

Ob Orellana die Möglichkeit gehabt hätte, sich gegen die Strömung
zurückzuarbeiten und wieder mit dem Rest der Expedition zu vereinigen,
ist fraglich. Prescott und andere behaupten, es sei möglich gewesen.
Dieses Urteil wurde offenbar auch von dem Gerichtshof geteilt, vor
dem sich Orellana nach seiner Rückkehr nach Spanien wegen Verrats zu
verantworten hatte. Außerdem wird diese Meinung vom Pater Carvajal
verfochten, der die Geschichte von Pizarros Unternehmung schrieb.

Die verlassenen Konquistadoren schlugen sich unter Pizarros Führung
nach Nordosten durch, gelangten auf dem Cassiquare in den Orinoko und
kehrten schließlich von der Küste Venezuelas nach Spanien zurück. War
es auch diesem Teil der Expedition nicht gelungen, den Amazonenstrom zu
entdecken, so hatte er doch, wie ein Blick auf die Karte zeigt, eine
der wundervollsten Taten in der Forschungsgeschichte vollbracht.

Über dem Oberlauf des Amazonenstroms lichtete sich nun das Dunkel.
Orellana gelang die fast unglaubliche, aber geschichtlich bezeugte
Fahrt den 2000 Kilometer langen Napo hinab und 3500 Kilometer auf dem
Amazonenstrom bis ins offene Meer! Er brachte den ihm von Pizarro
anvertrauten Schatz nach Spanien und berichtete über seine Abenteuer
auf der berühmten Reise: während der ganzen Fahrt napoabwärts sei
er ständig von kriegerischen Weibern angegriffen worden, sie hätten
eine mattbronzene Hautfarbe, lange blonde Haare und seien mit
Pfeilen, Schilden und Speeren bewaffnet. Ob er die Yáhua-Indianer des
Napogebiets mit ihrem langen Haar und ihren Schulterumhängen und kurzen
Röckchen aus Gras wirklich für ein Volk streitbarer Weiber hielt, die
die Männerherrschaft abgeschüttelt hatten, muß dahingestellt bleiben.
Sicher jedenfalls ist, daß solche und ähnliche Geschichten diesem
riesigen Strom und dem noch heute großenteils unbekannten angrenzenden
Gebiet den Namen „Amazonas“ verschafft haben. Einer dieser Berichte
betrifft einen Indianerstamm, der jetzt die Serra de Parentins, an der
Grenze der brasilianischen Staaten Pará und Amazonas, bewohnt, bei dem
früher die Weiber mit den Männern in den Kampf zogen, um verschossene
Pfeile und Speere zu sammeln.

Von Englands Küsten sind im goldenen Zeitalter der Abenteurerfahrten
-- unter der Regierung der Königin Elisabeth -- zum erstenmal Schiffe
nach Westindien abgesegelt. Auf der Suche nach dem geheimnisvollen
Dorado, dessen Schätze den abenteuerlustigen Kaufleuten Spaniens
zuflossen, fuhren einige in die Mündung des Amazonenstroms ein. Der
bedeutendste unter den Anführern jener Tage war Sir Walter Raleigh, der
Günstling der Königin. Am 5. Februar 1595 trat er die Fahrt nach der
Insel Trinidad an, und es gelang ihm, sie den Spaniern zu entreißen.
Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem Festland zu, querte den
schmalen Arm des Karibischen Meers und fuhr den Orinoko hinauf. Ehe ihn
Krankheiten und Todesfälle unter der Mannschaft zum Rückzug zwangen,
glückte es ihm, in freundschaftliche Beziehungen mit einigen der
wilden Volksstämme zu treten, die das Waldgebiet des Orinoko und des
Amazonenstroms bewohnen. Von ihnen wollte er von einer goldenen Stadt
weit im Innern gehört haben. In Raleighs Reiseberichten war Phantasie
und Wirklichkeit so verwoben, daß sich nur wenig oder nichts mit ihnen
anfangen ließ. Aber sie reizten doch die Begierde der Abenteurer, über
das spanische Gebiet hinaus in jenes Dorado einzudringen, das von
kriegerischen Weibern verteidigt wurde.

Alle die schwächlichen Versuche anzuführen, die gemacht wurden, um
den Schleier des Geheimnisses über der verwirrend ungeheuern Weite
des unbekannten Amazonengebiets etwas mehr zu lüften, wäre ein
ermüdendes, ja fast aussichtsloses Unternehmen. Nur einige Namen
berühmter Erforscher mögen genannt werden, die das ihrige beigetragen
haben zu unserer auch heute noch dürftigen Kenntnis von jenen düsteren
Dschungeln, ausgebreiteten Graswüsten, Bergketten, verschlungenen
tropischen Flüssen, von Reptilien wimmelnden Sümpfen, sonderbaren
Menschenrassen und wilden Tieren. Viele, deren Namen und Taten völlig
verschollen sind, haben zwischen den schweigenden Mauern jener
Millionen von Meilen bedeckenden Urwälder so außerordentliche Taten von
Forscherkühnheit, Ausdauer und Opfermut geleistet, daß ihre Berichte
-- lägen sie der zivilisierten Welt im Druck vor -- als Heldengedichte
des Abenteuers auch noch in einer abgestumpften und ausschließlich dem
Wirtschaftlichen zugewandten Zeit wie der unsern gefeiert würden, die
jedes Interesse am Heroismus des Forschens so gut wie verloren hat.

Von den bekannteren Erforschern jenes wilden Gebiets seien angeführt:
Orellana, der Entdecker des Oberlaufs des Amazonenstroms; der
Jesuitenmissionar Acunas, der die Niederlassungen der Eingeborenen
längs dem Hauptstrom 1698 besuchte; Fritz 1717; Bourdonnais 1733 und
der große Reisende des 18. Jahrhunderts, Humboldt, 1799. Dann Alamada
1787; Montravel 1843; Selfridge 1882; Rodrigues 1875; Shaw 1883 und
Caudeau 1892. Ferner die Vertreter bedeutender gelehrter Gesellschaften
wie Martius und von Spix 1819; der Naturforscher Wallace 1848; der
Entomologe Bates 1849; der Botaniker Spruce 1860; Agassiz, der sein
Augenmerk hauptsächlich auf die Fische richtete, 1866; Chandleß 1880
und Stradelli 1889.

Andere wurden ein Opfer des Fiebers, des Giftes, der verheerenden
Beri-Beri-Krankheit, der Malaria, des Bisses giftiger Schlangen oder
der Grausamkeit menschenfressender Stämme; so Emile Robuchon, von dem
niemals eine Spur gefunden wurde, wenn auch allgemein angenommen wird,
daß er von den Carijonas-Indianern umgebracht und aufgefressen wurde;
du Murez, der an einer durch einen vergifteten Pfeil verursachten
Wunde im Urwald des obern Madeiragebiets starb; Pinzon und Cabral, die
am Fieber zugrunde gingen; die Teilnehmer der ersten unglücklichen
amerikanischen Madeira-Mamoré-Expedition, die unter dem gemeinsamen
Ansturm des Hungers, mordlustiger Indianer und des gelben Fiebers im
Zwielicht der Urwälder ein tragisches Ende fanden; die Prospektoren von
Iquitos, die von den Huambisastämmen am Santiagofluß getötet wurden,
und Kroehle, der an den Wunden starb, die Kaschibosindianer der Pampas
Sacramento ihm geschlagen hatten.

Dann sind jene zu nennen, die den ungeheuern Wäldern lebend entrannen,
und durch die die Welt all das erfuhr, was sie jetzt über jene
geheimnisvollen Gebiete weiß: an erster Stelle Baron Sant’ Anna
Nery, der berühmte brasilianische Schriftsteller, der einen großen
Teil seines Lebens im unbekannten Amazonengebiet zubrachte; dann
Henry Savage-Landor, der 1911 mit Unterstützung der brasilianischen
Regierung eine große Strecke des 11. Breitengrades zwischen den Flüssen
Araguay und Mamoré durchquerte; J. F. Woodroffe, der zwischen 1905
und 1913, fast acht Jahre lang, die Flüsse des Amazonenstrombeckens
durchforschte; Theodore Roosevelt wegen seiner Reise zum Aripuanan
und dem „River of Doubt“; Oberst Fawcett, dessen Werk über die Grenze
rühmlich bekannt ist; der verstorbene Oberst Saurez, für den die
Gebiete von Beni und Acre in Bolivia und Brasilien ein offenes Buch
waren; Wickham, der das Tapajóz-Madeira-Plateau durchforschte und Samen
des Kautschukbaums mitbrachte, aus denen später die Gummipflanzungen
in Asien entstanden; Earle Church, der amerikanische Ingenieur und
Erbauer der Mamoré-Eisenbahn; dann für Forschungen im Gebiet des Beni
und des Madre de Dios Leutnant Maury und M. d’Orbigney, in Guyana Sir
Everard im Thurn, auf dem untern und dem obern Amazonenstrom Algot
Lange, im nordöstlichen Peru G. M. Dyott und in jüngster Zeit viele
andere, von denen der Verfasser innerhalb und außerhalb der Grenzen der
Zivilisation manche traf und deren Namen auf den folgenden Blättern
noch erscheinen werden.

Keinesfalls unerwähnt dürfen die tapferen Offiziere und Beamten des
brasilianischen Indianeramtes und des Überland-Telegraphendienstes
bleiben, wie General Rondon, Bento Lemos und andere, deren Leistungen
unter den wilden Indianerstämmen außerhalb Südamerikas viel zu wenig
bekannt sind.

Alle, die in den großen tropischen Urwäldern gelebt oder sie
durchzogen haben, dürften darin übereinstimmen, daß eine Armee von
Forschungsreisenden, zehnmal so groß als die Zahl der Männer, die
bisher das Amazonengebiet durchwandert haben, nicht ausgereicht hätte,
um alle Geheimnisse dieser düstern, barbarischen, undurchdringlichen
und unvorstellbar ausgedehnten äquatorialen Wald-, Fluß- und
Sumpfwildnis aufzuhellen. Sobald man die Wasserwege verläßt und in den
Dschungel eintritt, ganz gleich unter welchem Breiten- und Längengrad,
steht man auf der Schwelle zum Unbekannten, vor dem Fragezeichen des
„und weiter?“. Und nach monatelangem Wandern und Sichdurchhacken durch
ein jungfräuliches Pflanzengewirr, das den Gesichtskreis auf Mauern und
Decke aus Grün einschränkt, dasselbe Bild: immer liegt darüber hinaus
das Unbekannte und Unerreichbare.

Dies Wenige aus der Erforschungsgeschichte des Amazonengebiets möge
genügen, um darzutun, daß viel seltener und weniger systematisch
Anstrengungen gemacht wurden, diese ungeheure Wildnis tropischen
Urwalds zu erobern, als etwa in Ost-, West- oder Innerafrika. Auf
der Karte Asiens finden sich manche weiße Stellen, aber sie sind
verhältnismäßig nicht umfangreich. Die Pole sind erreicht, man hat fast
alle Meere aufgenommen und vermessen. Afrika ist nicht länger mehr
der dunkle Erdteil; von Kapstadt bis Kairo und vom Kap Guardafui zum
Kap Verde ist es durchforscht und unterworfen. Trotzdem ist die oft
wiederholte Behauptung, daß es nichts mehr zu erforschen gebe, gänzlich
unwahr. Im Herzen Südamerikas, vom 5. Breitengrad nördlich bis zum 25.
Breitengrad südlich vom Äquator, erstreckt sich ein unbekanntes oder
wenig bekanntes Gebiet von über fünf Millionen Geviertkilometer mit
Hunderten von unentdeckten Volksstämmen.

[Illustration: Eingeborenenboot auf dem unteren Amazonas.]

[Illustration: Eingeborenenhausboot.

In diesen Booten leben ganze Familien für Monate.]

[Illustration: Ein Gummisammler im Urwald des Amazonas.

Das Ende des Stockes, den der Sammler in der Hand hält, ist in Rohgummi
getaucht und langsam gedreht worden. Erhitzt man es dann, so wird der
Gummi fest.]

Da der Wettstreit der Nationen hier nicht mitsprach, fehlte es an
Initiative, so daß dieser gewaltige Teil der Erdoberfläche unbeachtet
und unerforscht blieb. Diese Montaña Grande beginnt an der Baumgrenze
des Ostabfalls der Anden und erstreckt sich über etwa 5000 Kilometer
des weiten nördlichen oder tropischen Teiles des verlorenen Erdteils
bis zu dem schmalen, zivilisierten Küstenstreifen Brasiliens und von
den Urwäldern Guyanas bis zum Gran Chaco, nach Norden und Süden eine
Entfernung von 3500 Kilometer. Hier und da liegt in diesem weiten,
einsamen Gebiet eine winzige Insel der Zivilisation mitten im Meer
der Barbarei; hier und da trifft man die Spur eines vereinzelten
Kulturpioniers, der fiebergeschüttelt, vom Düster des Dickichts
verwirrt, aus den Urwäldern auftaucht -- und dennoch ist es immer noch
~Terra incognita~ und die Wohnstätte unbekannter Menschenrassen.

Die Forscher, Händler und Mischlinge, die vom Labyrinth der schiffbaren
Flüsse aus als Kautschuksammler in die Urwälder eindrangen, haben
alle irgend etwas für die Welt draußen Wertvolles entdeckt: Gold,
Silber, kostbare Steine, Hölzer, neue medizinische Essenzen und Drogen,
einzigartige Sammelgegenstände, Überbleibsel ausgestorbener Rassen
und Tiere, offene „Campos“ und zur Viehzucht geeignete Grassteppen,
Kautschukarten und Harze, Inlandseen, merkwürdige Eingeborene und
einen Boden von wunderbarer Fruchtbarkeit, dessen Vegetationsüppigkeit
nicht zu überbieten ist. Es ist daher leicht zu verstehen, daß die
Länder, innerhalb deren ungefähr festgelegten Grenzen dieses ungeheure
Gebiet sich dem Namen nach befindet, von Zeit zu Zeit den Forschern
der zivilisierten Welt in weitgehendstem Maß Unterstützung versprachen
und alles mögliche taten, sie zur Erforschung und Erschließung zu
veranlassen. Von 1843 bis 1910 setzte die Regierung von Bolivia
Geldbeträge bis zur Höhe von 500000 Dollars für den aus, der als
erster auf einem Dampfboot vom Atlantischen Ozean aus Bolivia auf
gewissen unerforschten Nebenflüssen des Amazonenstroms erreichen würde.
1911 gewährte die brasilianische Regierung Henry Savage-Landor eine
beträchtliche Unterstützung, um ihm die Ausführung seiner Expedition in
das unbekannte Waldgebiet von Matto Grosso zu ermöglichen. In einer
oder der andern Form haben sich derartige Anregungen seitdem des öftern
und in weitgehendem Maße wiederholt.

Der erfolgreiche Bau der Madeira-Mamoré-Eisenbahn, der wunderbarsten
und gleichzeitig isoliertesten Urwaldbahn der Welt, hat die
Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit gelenkt, durch Kleinbahnen die
ungeheuern Entfernungen und undurchdringlichen Urwälder dieses toten
Gebiets zu überwinden. Zur selben Zeit erhob sich die Frage nach der
Schiffbarkeit gewisser unerforschter oder nur teilweise erforschter
Flüsse, damit sie unter Umständen als Verkehrswege nutzbar gemacht
werden könnten. Diese Erwägungen gebaren eine wahre Flut neuer Fragen:
nach dem Vorhandensein und der Feindseligkeit indianischer Stämme an
den verschiedenen Orten; in welchem Maß das Klima in den verschiedenen
Gebieten gesundheitsschädlich sei; nach den Wirkungen von Sümpfen
und periodischen Überschwemmungen; nach den Wachstumsbedingungen
des Urwalds, dazwischenliegenden Bergketten und Seen; nach der
Möglichkeit, Pflanzungen und Auswanderersiedlungen an den Flüssen und
Wegen anzulegen. Keine dieser lebenswichtigen Fragen konnte mit der
erforderlichen Genauigkeit befriedigend beantwortet werden, da ein
großer Teil des Gebiets niemals durchforscht worden war und seine
Eigentümlichkeiten wie auch die der dort hausenden Eingeborenen daher
unbekannt geblieben waren.

Nachdem ich lange Zeit kreuz und quer durch Süd- und Zentralamerika
gereist war, um für die unersättliche angelsächsische Presse zweier
Kontinente Lesestoff zu liefern, legte man mir nahe, einen Streifzug
in das Amazonengebiet zu unternehmen. Dies war also der Grund meiner
ersten Betätigung auf diesem Forschungsfeld. Daraus entwickelte sich
ein starkes persönliches Interesse, und während der letzten Jahre habe
ich diese noch immer wilden Gebiete, mit den verschiedensten Aufgaben
betraut, durchzogen. Darunter fällt auch journalistische Tätigkeit
für die Londoner Times, das Sammeln von Material für meine Bücher und
die Einrichtung eines Auskunfts- und Nachrichtendienstes für eine
bedeutende machtpolitische Gruppe.

Ich möchte hier darauf hinweisen, daß die ungeheuren unerforschten
Flächen von Urwald, „Campos“, Flüssen und Sümpfen, die unter dem
zusammenfassenden Namen des Amazonengebiets bekannt sind, nur
zum, allerdings größten, Teil zu Brasilien gehören; 2½ Millionen
Geviertkilometer sind kartographisch noch nicht aufgenommen und so gut
wie unbekannt. Darüber hinaus erstreckt sich das Gebiet jedoch weit
über die Grenzen Brasiliens in die Staaten Paraguay, Bolivia, Peru,
Ecuador, Columbia und Venezuela, abgesehen von den drei Guyanas, die
weitere 2½ Millionen Geviertkilometer dem Unbekannten hinzufügen; alles
zusammen ist eine Fläche so groß wie ganz Europa. So trägt das Gebiet
den Namen des „Verlorenen Erdteils“ nicht mit Unrecht.

Teile dieses Gebiets mußten aus einleuchtenden Gründen außer Betracht
bleiben, und so bestanden die Reisevorbereitungen zunächst darin,
die Aufgaben auf mögliche Ausmaße zu beschränken. Verschiedene
Einbruchslinien zur Erforschung wurden ausgearbeitet; sie werden, nebst
gewissen Abweichungen, auf den folgenden Blättern geschildert werden.
Technische, geographische und wissenschaftliche Einzelheiten dagegen
sollen, als nebensächlich für die Absichten dieses Buches, nicht zur
Sprache kommen.

Die Schwierigkeiten, diese abgelegenen Urwaldgebiete zu erreichen,
waren oft groß, und vieles von geringerem allgemeinen Interesse kann
nur angedeutet oder muß auch bei der Erzählung der Erlebnisse ganz
übergangen werden, um Raum zu gewinnen für ausführlichere Schilderungen
der wilden, in weltentlegeneren Urwäldern hausenden Stämme, worin in
erster Linie die Aufgabe meines Buches besteht.

Der Weltkrieg 1914-1918 unterbrach zeitweise meine Forschungsreisen
in das unbekannte Südamerika. Plötzlich und dramatisch, sei es unter
dem Einfluß des Gesetzes der Gegensätze oder bloß als Ergebnis eines
Kriegszufalls, verschob sich das Feld meiner Tätigkeit, und ich mußte
Jagd auf Unterseeboote in subarktischen Gewässern machen. Sehr zum
Schaden meiner Gesundheit. Über diese Phase eines ruhelosen Daseins
habe ich jedoch an anderer Stelle berichtet, und es genüge zu sagen,
daß ich 1920 wieder jene besonders einsame Strecke des tropischen
Meeres querte, die zwischen der Insel Madeira und den Felsen von St.
Paul liegt.

Man sagt im Amazonengebiet, wer vom Saft der Assaipalme mit Genuß
gekostet habe, werde unwiderstehlich zu den großen Urwäldern und
Flüssen dieses geheimnisvollen Landes zurückgezogen. Wie dem auch sein
mag -- der Zauber des Unbekannten ist jedenfalls nicht zu leugnen,
und kaum zwei Jahre waren vergangen, als 1922 mit neuen Forderungen
erschien. Nun schreibe ich diese Zeilen, die Einführung zu einem
Buch über alle meine Reisen im Amazonengebiet, auf dem Schutzverdeck
des Dampfers „Hildebrand“, eines höchst behaglichen Schiffes der
Boothlinie. Sein Ziel ist der Amazonenstrom, aber diesmal geht es nicht
zu den Sümpfen und dämmerigen Urwäldern zwischen entlegenen Flüssen,
sondern mit einer neuen und ausnehmend interessanten Aufgabe in das
„dunkelste Afrika“ unseres Jahrhunderts.




2. Aufbruch ins Innere.


Das Reisen abseits der gebahnten Pfade -- sei es nun in arktischen oder
in tropischen Gebieten -- erfordert weit mehr sorgsame Überlegung,
Erfahrung und Vorbereitung, als dem Uneingeweihten vielleicht nötig
erscheinen möchte. Keine zuverlässigen topographischen Karten sind für
wenige Mark in der nächsten geographischen Buchhandlung erhältlich; man
kann sich keinen Führer mieten, der schon früher „da war“. Besondere
und sorgfältig verpackte Nahrungsmittel müssen für die Gesamtdauer
der jenseits aller Zivilisation verlaufenden Reise mitgeführt werden,
wobei allen nicht vorauszusehenden Zufällen Rechnung zu tragen ist.
Dann kommt das, was am meisten zu fürchten ist: die Möglichkeit einer
Erkrankung. In Hinsicht darauf möchte ich ein genaues Studium der
amerikanischen Methoden homöopathischer Heilweise und unblutiger
Wundbehandlung empfehlen. Sie haben sich in Verbindung mit einigen
wenigen chemischen Präparaten und Heilmitteln in Tabloidform als das
bei weitem Praktischste und Wirksamste bewährt.

Solche Schwierigkeiten zu verschweigen und ohne weiteres mitten in die
Urwälder des Amazonas hineinzuspringen würde eine völlige Irreführung
bedeuten. Es wäre, als schilderte man den schließlichen Sieg oder
die Niederlage, ohne den voraufgegangenen Feldzug zu erwähnen.
Pionierarbeit in unerforschte oder selbst halberforschte Gegenden
stellt wirklich einen Feldzug gegen alle Mächte der Natur dar, ob
man sie allein oder als Mitglied einer größeren Expedition ausführt.
Früher oder später wird jeder Pionier, dem jenseits der Zivilisation
die Wochen und Monate in mühevoller Arbeit verstreichen, jede Kraft
und List der Natur gegen sich gerichtet sehen. Ob der Feind stark oder
schwach ist, hängt von den verschiedensten Faktoren ab, die sorgfältige
Überlegung und Entschlußfähigkeit erheischen. Die Entfernung von der
Verpflegungsbasis, Verbindungslinien, Klima, feindselige Eingeborene
und tausend andere Umstände wollen in Betracht gezogen sein.

Wer eine gewöhnliche Landkarte betrachtet und weiß, daß es nur einer
fünfzehntägigen Seereise über den südatlantischen Ozean auf einem
Schiff der Booth-Linie bedarf, um von Liverpool nach Pará zu gelangen,
der Stadt und dem Hafen an der Einfahrt in das Flußlabyrinth, das unter
dem verallgemeinernden Namen „Amazonas“ bekannt ist, möchte glauben,
daß nun er und sein Gepäck sich im Ausflugsbereich wilder tropischer
Dschungeln und kannibalischer Indianerstämme befinden. Das ist aber
keineswegs der Fall. Die eigentliche Reise gegen das Unbekannte zu
beginnt erst in Pará und mag irgendwo in 5000 Kilometer Entfernung ihr
Ende finden. Allerdings kann man den tropischen Urwald stellenweise
in wenigen Stunden von Pará aus leicht erreichen, aber als einzige
Wilde wird man wahrscheinlich nur die in dem schönen Indianermuseum
abgemalten zu Gesicht bekommen. Einige Stämme wilder Indianer hausen
jedoch in den Wäldern am obern Tocantinsfluß, wohin man in etwa sechs
Tagen von Pará aus gelangen kann.

Hier dürfte ein allgemeiner Überblick über das Land am Platze sein,
das wir nun betreten sollen. Zur Belehrung der Geographiebeflissenen.
Es gibt drei Zonen im Amazonengebiet: die bekannte, die wenig bekannte
und die unbekannte. Die erste umschließt das Gebiet -- abgesehen
von den Tropenwäldern --, das das Delta und den untern Amazonenstrom
einsäumt, mit zahlreichen Inseln und Pará als Hauptstadt; ferner die
überaus zahlreichen Pflanzungen und kleinen Niederlassungen an beiden
Ufern des Hauptstroms und an gewissen Punkten der hauptsächlichen
Nebenflüsse. Zu der wenig bekannten Zone gehören die mehr oder
weniger zugänglichen Urwälder, die von den Seringueros oder Sammlern
wildwachsenden Kautschuks aufgesucht werden. Es sind im allgemeinen
die Dschungelstreifen an den für Barkassen und Niederwasserdampfer
schiffbaren Flüssen. Um die Zone des Unerforschten zu erreichen, hat
der Reisende die ersten beiden Gürtelzonen zu durchwandern, oft in
einer Breite von vielen hundert Kilometern. Dann erst betritt er die
ungeheuern Waldflächen, die die Quellgebiete fast jedes Nebenflusses
des Amazonenstroms umgeben oder sich zwischen diesen fadenähnlichen
Flußstraßen ausdehnen.

Eine Linie zu ziehen, um die Grenzen der Vorposten der Zivilisation
zu bezeichnen, dürfte unmöglich sein. Denn nur selten geht ihr
Einfluß über einige Kilometer der unmittelbaren Nachbarschaft der
zahlreichen kleinen Niederlassungen hinaus. Das bezieht sich zwar
auf den jungfräulichen Urwald mit seinen Fiebern, Tieren, Vögeln,
Reptilien, Insekten und Sümpfen, aber nicht immer auf die Stämme
der Eingeborenen. Um richtige Wilde anzutreffen, von denen manche
noch kaum in der Steinzeit leben, hat man weit abseits in diesem
Riesenland herumzusuchen. Die Indianer, die an den Ufern der von
Barkassen befahrenen Flüsse wohnen, zeigen meist gewisse Zeichen
der Zivilisation. Vielleicht nur ein schmutziges Hemd oder einen
eingebeulten Hut. Aber nichtsdestoweniger wird schon in ihrem Äußern
sichtbar, daß die Tage uneingeschränkter Wildheit, der Kriegszüge, der
Kopfjägerei, unheimlicher Zeremonien und des Hasses gegen den weißen
Mann für sie vorüber sind. Die Bitte um Geschenke ertönt da, wo früher
das Schwirren des vergifteten Speers zu hören war.

Im entlegenen Hinterland des weiten Amazonengebiets jedoch und im
Herzen der halbdunklen Urwälder leben noch viele wilde Stämme in
gänzlicher Unkenntnis einer Welt, die sich außerhalb des anscheinend
endlosen Meers tropischer Wildnis befindet. Diese abgelegenen
Dschungeln von Zentralpunkten wie Pará am Unterlauf, Manáos am Oberlauf
des Amazonenstroms und Iquitos am Marañon (peruanischer Amazonenstrom)
zu erreichen, erfordert gewöhnlich eine Reise von 300 bis 3000
Kilometer auf Flußdampfern mit geringem Tiefgang, dann im Kanu und
schließlich zu Fuß in den dunklen Urwald hinein.

Infolge der Schwierigkeit, eingeborene Kanuleute und Träger zu
bekommen, sowie die Vorräte an Produkten der Zivilisation auf dem Wege
zu ergänzen, muß das Gepäck jeder Art viel mehr beschnitten werden, als
etwa in Innerafrika mit Sicherheit und Zweckmäßigkeit für verträglich
gehalten würde, wo eingeborene Arbeitskräfte leicht zu beschaffen
sind. Die weitere Erzählung wird dem Leser die Schwierigkeiten und
Entbehrungen deutlich machen, von den Gefahren ganz zu schweigen, die
diese unvermeidliche Verringerung des Nötigsten weit unter das für
tropische Forschungen sonst Unentbehrliche mit sich bringt. Mehr als
einmal mußte die Gesundheit drangegeben und selbst das Leben aufs Spiel
gesetzt werden.

Nach angenehmer Überfahrt von Liverpool aus erreichte ich Pará, wo ich
jede mögliche Unterstützung fand, nicht nur von seiten der englischen
Kolonie, sondern auch der Beamten des brasilianischen Staates. Sie
waren buchstäblich unermüdlich in ihrem Bestreben, mir die letzten
und zuverlässigsten Informationen zu verschaffen. Aber da diese meine
erste Reise im Amazonenland mich vom obern Tapajózflußgebiet aus in
die unbekannten Wälder von Matto Grosso führen sollte, war nur wenig
Sicheres zu erfahren. Ich möchte wissen, ob ein Reisender Forschungen
in eine übelberüchtigte Gegend jemals angetreten hat, ohne feierliche
Warnungen vor den drohenden Gefahren zu empfangen? Wann hätte er jemals
die Verantwortung für etwa eintretende Widerwärtigkeiten auf die eigene
Kappe nehmen dürfen? Jedenfalls wurde meine Stimmung nicht gerade
verbessert, wenn ich während einer Woche eines schwelgerischen, an
Unterhaltungen und neuartigen Anregungen reichen Lebens in Pará eine
feierliche Warnung zum tausendstenmal über mich ergehen lassen mußte.
In einer schwachen Stunde ließ ich mich aber dennoch überreden, die
Ausrüstung und Vorbereitungen auf der Isla des Onças oder Jaguarinsel
einer Art von Prüfung zu unterziehen. Nach diesem erfreulichen Fleck
Erde sollte ich, mein Gepäck und meine beiden Halbblut-Indianer
durch einen Freund gebracht werden, der eine der vielen kleinen
Dampfbarkassen sein eigen nannte.

Wie ich später erfuhr, war das nur ein Manöver, um mich zu veranlassen,
meine Absichten zu ändern und mich mit Dampferfahrten auf den
schiffbaren Flüssen zu begnügen. Die Jaguarinsel ist in malerischer
Hinsicht ein Paradies, aber mit Recht verrufen wegen der Größe und
Blutdürstigkeit der dort lebenden Insekten. Die beiden Mischlinge, die
ich als Führer mitgenommen hatte, willigten nur unter der Bedingung
ein, mich auf der langen Reise zu begleiten, daß sie ihrerseits
die Erlaubnis bekämen, nach neuen Gummiwäldern zu suchen, die sie
dann während der nächsten Saison auszubeuten beabsichtigten. Diese
Übereinkunft wurde später die Ursache erheblicher Unannehmlichkeiten
für mich, als wir die Zivilisation weit im Rücken hatten.

An den Kauf eines Batalõe oder Eingeborenenkanus mit einem
Palmstrohdach über dem Stern zum Schutz vor äquatorialer Sonne und
vor Regen sollte erst in Itaituba herangetreten werden, etwa 240
Kilometer den Tapajóz flußaufwärts. Die Reise von Pará bis zu diesem
Vorposten der Zivilisation am Rande des Unbekannten konnten wir auf
einem der kleinen Niederwasserdampfer des „~Amazon-Navigation-Service~“
zurücklegen.

Die Vorbereitungen waren nun vollendet, aber noch folgte eine
unvermeidliche Verzögerung von zehn Tagen, ehe der Flußdampfer nach
Itaituba abgehen sollte. Währenddem hatte ich reichlich Gelegenheit,
Pará und seine Bewohner kennenzulernen. Der dreitägige Aufenthalt
auf der Jaguarinsel ermöglichte mir, mein wasserdichtes Zelt und die
Lagerausrüstung zu erproben. Auch mit den Bewohnern des dortigen
Dschungels wurde ich noch besser bekannt -- wenigstens soweit sie den
fliegenden, summenden, krabbelnden und stechenden Klassen angehörten.

Über Pará möchte ich nur wenig sagen, da ich keinen Führer dieser
Tropenstadt des nördlichen Brasilien hier geben will. Ein sehr
weitverbreiteter Irrtum muß jedoch aufgeklärt werden. Pará liegt nicht
am eigentlichen Amazonenstrom, sondern wurde auf dem niedern, flachen
rechten Ufer des Flusses erbaut, von dem es den Namen trägt, etwa
130 Kilometer südlich des Äquator. Der Gesundheitszustand der Stadt
hat sich dank sanitärer Maßnahmen in den letzten Jahren wesentlich
gehoben, und die einst verheerenden Fieberkrankheiten sind bedeutend
zurückgegangen. Malaria ist bei längerem Aufenthalt noch immer häufig,
aber es gibt kaum eine Gegend auf der Welt, die sich eines beständigen
Sommers erfreut, wo diese Krankheit unbekannt wäre. Das früher so
gefürchtete gelbe Fieber wurde gänzlich zum Erlöschen gebracht, und
Pará ist jetzt eine recht gesunde und moderne tropische Stadt.

Es ist eine Stadt mit elektrischen Straßenbahnen, einem guten
europäischen Hotel und Morgen- und Nachmittagszeitungen. Die
Beliebtheit dieser Zeitungen ist in hohem Maße durch die beständige
Hitze bedingt, die während der Mittagsstunden am drückendsten
ist. In der Mehrzahl der hunderttausend Einwohner bringt sie einen
Zustand der Erschlaffung hervor, bis der kühle Seewind ungefähr um
4 Uhr nachmittags einsetzt. Er hält bis zum Einbruch der Nacht an
und macht die letzten Tagesstunden zur Arbeit geeignet. Sobald aber
die Dunkelheit sich völlig auf die weißen Häuser und schwankenden
Palmen herabgesenkt hat, bringt der nächtliche Landwind eine feuchte
Kühle von den großen Wäldern über die ausgedörrte Erde und das Grün
dieser prächtigen tropischen Stadt. Das Summen und Surren der Käfer
und Insekten nimmt mit dem Scheiden des Tageslichts ab. Feuerfliegen
schwirren wie winzige schwebende Sterne durch das dunkle Blätterwerk
der Praça da Republica und des schönen, etwas weiter entfernten Bosque.

Im hellen Sonnenlicht eines tropischen Morgens wirkt das alte Pará
mit seinen engen Gassen und farbigen Häusern unansehnlich und ein
wenig verwahrlost, aber die moderneren Stadtteile besitzen mehrere
schöne Straßen und Plätze mit palmenreichen Gärten und Denkmälern. An
den Ankerplätzen und Kais liegen Schiffe vieler Nationen und seltsam
aussehende Fahrzeuge. In der Nähe des Flusses befindet sich der
prächtige Frei-Caetano-Brandão-Platz mit seinen Gärten. Breite Wege
zwischen tropischen Anpflanzungen umkreisen das Denkmal des würdigen
Bischofs, nach dem der Platz benannt ist. Die Praça da Republica bildet
das Zentrum des gesellschaftlichen abendlichen Lebens der Stadt. In
ihrer Nähe liegen das besuchteste Kaffeehaus und das Theater, schöne
Steinbauten von klassischer Architektur. Das Theater ist nicht ständig
geöffnet für wechselnde Truppen wie in England oder den Vereinigten
Staaten, sondern nur dann, wenn eine reisende Konzertgesellschaft
oder eine italienische Operntruppe Pará besuchen. Schauspiele werden
nur selten gegeben. Die Brasilianer, Portugiesen, Italiener sowie
die Mischlingsbevölkerung sind Liebhaber der Musik. Das merkt man
sogar in den entlegenen Niederlassungen und Kautschukplantagen, wo
die Töne einer Violine nicht selten nach Sonnenuntergang erklingen.
Die beiden Treffplätze der englischen Kolonie sind der Klub und das
Straßenrestaurant des Grand Hotel. Während man Eisgetränke oder ein
schwelgerisches Diner zu sich nimmt, kann man alle Farbennuancen der
einheimischen Gesellschaft im Schatten der riesigen Mangobäume an sich
vorüberziehen sehen.

Viele Gebäude Parás sind im modernen Stil erbaut. Der Regierungspalast,
die Kathedrale, das Krankenhaus und die Privathäuser mit ihren
mächtigen Steinsäulen, alle fast begraben unter Schlingpflanzen
und exotischen Blumen, brauchen hier nicht besonders erwähnt zu
werden. Die hauptsächlichen Villenvorstädte sind Mosquerio, Chapeo
Virado, Nazareth und São Jeronimo. Die beiden letzteren haben
Straßenbahnverbindung mit dem Geschäftsviertel der Stadt. Da Pará vom
Handel mit Kautschuk abhängig ist, der aus den Wäldern und Pflanzungen
am untern Amazonenstrom kommt, hat es in den letzten Jahren, seit
dem starken Fallen des Weltmarktspreises für Gummi, schlechte Zeiten
durchgemacht. Aber der Anbau von Kakao und andern Rohprodukten wie
auch das Aufstapeln und Verschiffen von brasilianischen Nüssen haben
Arbeitslosigkeit und Elend wieder etwas ausgeglichen. Pará-Gummi
ist auf der ganzen Welt berühmt, obwohl kaum zu sagen ist, warum er
so genannt wird, da verhältnismäßig nur wenig im Staate Pará selbst
gesammelt wird. Die Haupterzeugungsplätze in Brasilien befinden sich
weiter oberhalb am Amazonenstrom und seinen großen Nebenflüssen, in dem
weitausgedehnten, nicht sehr entwickelten Staate Amazonas. Gewaltige
Massen bringt der Riesenstrom auch aus dem weit entfernten Bolivia und
dem nordöstlichen Peru.

Als ich kürzlich in Pará war und an dem ersten Entwurf des
vorliegenden Buches arbeitete, erneuerte ich meine Bekanntschaft mit
dem Rev. Miles Moß, dem englischen Kaplan für das Amazonengebiet.
Einer seiner Kirchensprengel befindet sich in Porto Velho, das etwa
3200 Kilometer entfernt ist! Mr. Moß ist ein leidenschaftlicher
Mottenjäger und besitzt eine wunderbare Sammlung. Oft verbringt er
die Nacht auf einer Plattform im Dschungel, die zwischen den oberen
Ästen eines Baumes errichtet ist, vierzehn Meter über dem Erdboden.
Mittels zweier starker Lichtquellen werden die Insekten angelockt. In
dunkeln, feuchten Nächten schwirren Tausende von Motten, Nachtwespen,
fliegenden Käfern, Gottesanbeterinnen und Fliegen jeder Art um die
Plattform, angezogen vom Lichtschein in den Baumkronen. Wenn der
strahlende Mondschein der Tropen die dunklen Wälder erhellt, sind die
Jagdergebnisse jedoch nicht so glänzend. Zuweilen stellen sich auch
unheimliche Besucher ein wie Affen, Baumschlangen und riesige haarige
Spinnen, oder der Jäger befindet sich plötzlich in kleinen Wolken
lästiger Schnaken. Mr. Moß hat viele Reisen den Amazonenstrom und
Madeirafluß hinauf und hinab vollführt, nicht weniger als sechsmal das
Innere Perus besucht und kürzlich drei neue Arten der Habichtsmotte
(~Isognathus~) entdeckt, eine in Pará, eine in Manáos und eine in
Pernambuco. Zum ersten Male war ich vor Jahren, in Lima, mit diesem
gelehrten und leidenschaftlichen Naturforscher zusammengetroffen.

Eine herrliche Tropennacht fand mich im Stern einer kleinen Barkasse
sitzen, die mich, die beiden Mischlinge, Fernando und Alberto,
Gepäck und Lagerausrüstung zu dem von Mangroven umsäumten Strand der
Jaguarinsel über die Bucht hinübertrug. Die breite Fläche des Flusses
glitzerte im Schein des Mondes, unser winziges Fahrzeug schnitt wie
durch silbernen Schaum, und die laue Wärme der Nacht tauchte das Bild
in ihren Zauber. Meine Gedanken wanderten. Während ich zurückgelehnt
meine Lieblingsbegleiterin, eine „Comerziale“, liebkoste und die
dunklen Wälder auf allen Seiten betrachtete, begann ich über die
Zukunft nachzugrübeln: Würde es mir gelingen, tief in jene so abweisend
aussehenden Wälder einzudringen, deren Umrisse sich hart von dem gelben
Licht abhoben? Ich dachte an die unbekannten Gefahren und Schauspiele,
die mich auf fernen Flüssen erwarteten; das Vorhandensein merkwürdiger
und vielleicht feindlicher Indianerstämme; die Möglichkeiten, fast
allein auf mich angewiesen, die noch Tausende von Meilen entfernten
Sumpf- und Urwaldregionen zu erreichen.

Obwohl ich gerade kein Neuling im Reisen abseits der gewöhnlichen
Straße war, muß ich gestehen, daß mir in jener Nacht das Herz klopfte,
als ich die Lichter der Stadt allmählich immer undeutlicher werden
sah. Stärker klopfte es als zu irgendeiner Zeit während der folgenden
Monate voll von Mühen und Gefahren. Wie eine Last senkte sich die Größe
und Verlassenheit dieser Unendlichkeit von Pflanzenwuchs und Gewässer
niederdrückend auf meine Seele. Ich wußte, daß sie sich nach beinahe
jeder Richtung mehr als 3000 Kilometer ausbreitete. Die menschlichen
Leistungen schienen sich plötzlich in ihrer ganzen Nichtigkeit zu
enthüllen, gehalten gegen die eindrucksvolle Ungeheuerlichkeit der
Natur. Die Unermeßlichkeit der Wälder und Flüsse des Amazonas erfüllte
mich mit Schrecken.

Möglich, daß ein augenblickliches Versagen der menschlichen
Fähigkeiten, hervorgerufen durch das plötzliche Bewußtwerden der
schrankenlosen Einsamkeit, manche rätselhafte Tragödien verschuldet
hat, denen Forschungsreisende und Pioniere in unbewohnten Teilen der
Erdoberfläche erlagen. Es ist bekannt, daß Leute auf den winterlichen
Schneefeldern der Wildnisse Kanadas und Alaskas wahnsinnig werden, wenn
sie zu lange von der Gesellschaft ihrer Mitmenschen getrennt sind.
Auf der großen Paciencia-Ebene und in der Wüste von Atacama in Chile
gaukelt die menschliche Phantasie Trugbilder und vermeintliche Stimmen
in nächster Nähe vor. Unglückliche, die man auffand, nachdem sie über
die unendliche trügerische Fläche dieser Saharas des Südens gewandert
waren, hatten entweder den Verstand verloren oder waren nackt und tot.

Ich kannte solche Geschichten, und sie fielen mir ein, während wir
über die Parábucht fuhren. Es handelt sich dabei nicht um Anfälle
körperlicher oder geistiger Schwäche, sondern um ein gemeinsames Erbe
der menschlichen Zivilisation, das die Menschen in den Städten sich
zusammendrängen läßt, während das offene Land der Freiheit und der
Sonne verlassen liegt und nur wenigen zur Heimat wird.

Im Schatten der Mangroven verschwand das Licht des Mondes, als die
Barkasse plötzlich in das Dunkel eines schmalen Wasserlaufs einfuhr,
der die Mitte der Insel durchzieht. Solche Wasserläufe heißen in der
Tupisprache Igarapés; Igara bedeutet Kanu, Pé Pfad. Hohe Bäume strebten
auf allen Seiten wie Mauern aus dem phantastisch verschlungenen
Pflanzengewirr empor. Die Sterne verloschen und das Licht wurde trübe.
In einem Augenblick waren wir von der Außenwelt der lebendigen Menschen
in die schweigende, dumpfe Einsamkeit des großen tropischen Waldes
versetzt worden. Ein leichter Schauder lief mir über den Rücken, und
ich lachte laut, um den Zauber zu brechen. Später, in den Tiefen der
unbekannten Dschungeln, erinnerte ich mich dieses Schauders und des
alten Aberglaubens, der mit ihm verbunden ist.




3. Von der Jaguarinsel nach dem Tapajózfluß.


Meine erste Nacht im tropischen Urwald der Jaguarinsel war qualvoll.
Sie bildete das Vorspiel zu vielen ähnlichen Erlebnissen von dem, was
man nicht unrichtig den „sichtbaren Äquator“ genannt hat. Überall
in der tropischen Zone dürfte ohne Instrumente und mathematische
Berechnungen die Bestimmung schwierig sein, wann die Nullinie
geographischer Breite überschritten wird. Die populären Vorstellungen
von Klima und Aussehen von Land und Meer längs des Äquators sind häufig
völlig falsch. Eine spiegelglatte Meeresoberfläche, ein blitzblauer
Himmel und strahlender Sonnenschein bilden keineswegs immer die
atmosphärischen Bedingungen, die auf dem Äquator herrschen.

Die Mündung des Amazonenstroms, 400 Kilometer von Inseln zwischen einer
grünlichgelben Flut, trifft auf den Südatlantischen Ozean zwischen
dem zehnten Grad südlicher und zehnten Grad nördlicher Breite. Die
anstoßenden Meeresteile unterliegen dem Einfluß der nordöstlichen
und südöstlichen Passatwinde, die oft einen grauen Himmel und kurze
Nachmittagsregen mit sich bringen. Am besten wird man die Atmosphäre
mit dumpfig und feuchtheiß bezeichnen. Man kann sich kaum einen
Meeresstreifen denken, der den allgemeinen Vorstellungen von den
Tropen mehr widerspräche. Erst dann tritt eine Veränderung ein, wenn
man sich der Mündung des Amazonenstroms oder des Paráflusses nähert.
Schon in einer Entfernung von 1600 Kilometer verliert sich allmählich
das Grau des Nordost-Passats, und das wunderbare Blau des glasigen
Stilltegürtels tritt an seine Stelle. Dann bringt der Landwind
Nachmittagsregen, und die Farbe des Meeres verwandelt sich von Blau in
ein gelbliches Grün, denn der Amazonenstrom färbt den Ozean über 160
Kilometer weit.

Eine niedrige, mit Palmen besetzte Küste steigt langsam über den
Horizont: Salinas mit seinem Leuchtturm. Die weißen Gebäude von
Pará, die grüne Insel Marajó und andere Orte ziehen wie in einem
Sommernachtstraum vorüber. Alles ist eingeschlossen von den großen
tropischen Wäldern, und dem Reisenden steigt die Ahnung auf, daß hier
die Tropen seiner Träume sich befinden, der „sichtbare Äquator“, ohne
daß er Instrumente oder geographische Kenntnisse zu Hilfe riefe.
Auf etwa 5000 Kilometer folgt der Riesenstrom der Mittellinie der
Erdoberfläche.

Genug von dieser Abschweifung! Die Barkasse legte am Ufer der
Jaguarinsel an, und die funkelnden Sterne waren nur noch wie durch
einen Trichter im Ausschnitt des Baumdickichts zu sehen. Überall schloß
sich die schwarze Mauer des Urwalds um uns zusammen. Die bedrückende
Stille wurde nur durch das Summen und Schwirren zahlloser Insekten
unterbrochen. Das Aufschlagen des Lagers ist immer eine mühselige
Angelegenheit, weil es nach den Arbeiten des Tages kommt. In der
Arktis wird die Wirkung der Kälte mit dem Sinken der menschlichen
Widerstandskraft fühlbarer, und unter den Tropen scheint die Hitze
mit der Dunkelheit zuzunehmen, der Blutdurst der Insekten mit ihrer
Unsichtbarkeit zu wachsen, die dünnste Kleidung zu ersticken und
am Körper zu kleben, weil des Tages Hitze und Bürde voraufgingen.
Das erste Lager aufzuschlagen und die neue Ausrüstung in Ordnung zu
bringen, dauert natürlich länger als später, denn so sorgfältig und
systematisch das Verpacken auch vorgenommen wird, etwas Wesentliches
ist stets nicht zu finden. In diesem Fall war es der wasserdichte
Bodenbelag meines Zeltes, das ich auf Reisen außerhalb der Zivilisation
immer mit mir führe.

Schließlich war alles aus der Barkasse an Land gebracht, die unter
mühseligem Schnaufen einen Weg durch den engen Igarapé in die Parábucht
hinaus suchte und uns drei zwischen den schwarzen Mauern des Waldes
in der geheimnisvollen Stille der tropischen Nacht zurückließ.
Ein wenig ermüdet von den Anstrengungen des Lageraufschlagens und
Abendessen-Kochens in der heißen und feuchten Luft des dichten
Dschungels legte ich mich mit meiner Pfeife in die zwischen Böcken
aufgespannte Hängematte, die für die nächsten Monate meine Schlafstätte
bilden sollte. Vielleicht interessiert es den Leser zu erfahren, daß
die Südamerikaner sich quer in die Hängematte zu legen pflegen mit
einem Kissen, um den Kopf zu stützen. Es ist die einzige mir bekannte
Methode, um nicht vom Krampf gepackt zu werden, wenn man wochenlang
krummgebogen schlafen muß, mit Kopf und Füßen viel höher als der Rest
des Körpers. Die Hängematte ist einem Feldbett vorzuziehen, weil sie
dem Heer kriechender und krabbelnder Insekten weniger leicht zugänglich
ist, wie auch den Ameisen, den Herren der Wälder des Amazonas. Nötig
sind auch Moskitostiefel, die ich vorsichtigerweise anzog, nachdem
das Lager fertig war und ich meine ein wenig schwere Tourenkleidung
gewechselt hatte. Aber dadurch wurden die ersten beiden Stunden der
Nacht um nichts friedlicher. Das frische Blut des Neuangekommenen
lockte die Moskitos, meinen Nacken und meine Handgelenke in Angriff
zu nehmen. Große Motten, die vom Licht im Zelt angezogen wurden,
waren nicht minder lästig, bis Fernando den wirklich genialen Einfall
hatte, unsere kleine Petroleumlampe an einem Baum aufzuhängen, ein
paar Meter vom Lager entfernt. Fast augenblicklich verminderte sich
die Zahl und Angriffslustigkeit der verwünschten Insekten, und die
kohlpechrabenschwarze Finsternis wirkte so eintönig, daß nichts
übrigblieb als einzuschlafen.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, waren trotz eines
Patent-Moskitonetzes, das über die ganze Hängematte gezogen werden
konnte, Gesicht und Handgelenke so verschwollen und von Bissen und
Stichen entzündet, daß ich mich nicht einmal rasieren konnte. Die
Erfahrung bei ähnlichen Gelegenheiten hatte mich aber gelehrt, die
roten Stellen mit ein wenig reinem Alkohol zu behandeln, um Schmerz
und Entzündung zu mildern. Es eilte uns, mit der vorläufigen Prüfung
der Lagerausrüstung so schnell als möglich fertig zu werden. Allen
unerfahrenen Reisenden sei eine solche Prüfung aufs wärmste empfohlen,
ehe sie den Bereich der Zivilisation verlassen, wenn auch die damit
verbundene Verzögerung des eigentlichen Expeditionsbeginns noch so auf
die Nerven geht. Wir machten uns also daran, alles am vorhergehenden
Abend ans Land Gebrachte auszupacken und setzten die Arbeit eines
vollen Tages daran. Unter anderm mußten auch die Wasserflaschen gefüllt
und die Filter ausprobiert werden, die das Trinkwasser zwar klären,
aber keineswegs reinigen, so daß es nötig ist, ein oder zwei besondere
Kessel zum Abkochen mit sich zu führen.

Ein tropischer Regenguß um vier Uhr nachmittags enthüllte bald die
verwundbaren Stellen unserer Rüstung gegen Feuchtigkeit. Segeltuchsäcke
sind gänzlich nutzlos. Sie lassen Wasser durch und werden furchtbar
schwer, selbst wenn sie nur Gegenstände enthalten, die durch
abwechselndes Eingeweicht- und Von-der-Sonne-wieder-Geröstetwerden
nicht verderben. Ein Bodenbelag im Zelt aus wasserdichtem Segeltuch
ist eine Wohltat, nicht nur des Schutzes gegen Ameisen und andere
erdbewohnende Insekten wegen, sondern auch, weil er die Feuchtigkeit
beim Lagern auf sumpfigem Boden abhält. Die photographische Kamera muß
für die Arbeit im Freien aus tropensicherem Mahagoni verfertigt und
in wasserdichte Blechbehältnisse verpackt sein. Films werden am besten
zu je sechs Rollen in Blechkanistern untergebracht. Die Fugen des
Deckels verklebt man mit Heftpflaster, um das Eindringen der feuchten
Luft zu verhindern. Das Pflaster kann man abreißen, wenn man die Films
braucht, und wieder daraufpressen, nachdem man die fertigen Films in
den Kanistern verstaut hat.

Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß der Sonnenstich trotz der großen
Hitze im Amazonengebiet unbekannt ist. Ob das von der Feuchtigkeit
der Atmosphäre kommt oder durch andere Ursachen bedingt wird, ist
schwer zu entscheiden. In diesem Zusammenhang mag bemerkt werden,
daß die chemische Wirkung des Lichtes für die Tropen außergewöhnlich
gering ist, soweit das Photographieren in Betracht kommt. Eine
Augenblicksaufnahme wird nur sehr wenige Einzelheiten bringen. Bei
Aufnahmen von unbewegten Gegenständen bringt eine Belichtungsdauer von
sechs Sekunden, stark abgeblendet, bei weitem die besten Ergebnisse.
Längeres Belichten ist jedoch im dichten Dschungel nötig, auch dort, wo
das Licht verhältnismäßig gut zu sein scheint.

Die Entdeckung der geringen chemischen Lichtwirkung war für mich
eine große Überraschung und kostete mich nicht wenig verdorbene und
unterbelichtete Films. Ein Mediziner, der die Sache studierte und viele
Reisen auf dem Amazonenstrom machte, leitete aus dieser merkwürdigen
Erscheinung die Abwesenheit des Sonnenstichs ab. Einerseits erspart
dieser Umstand dem Forscher die Notwendigkeit, einen Tropenhelm, einen
Nackenschützer, grüne Schleier oder Augengläser zu tragen, macht aber
andererseits die Amateuraufnahmen vom Leben der Eingeborenen in den
Urwäldern, von beweglichen Dingen, wie Vögeln und wilden Tieren, sehr
schwierig, wenn auch durchaus nicht unmöglich, sobald man erst einige
Erfahrung gewonnen hat.

Während des zweiten Tages unseres Aufenthalts auf der Jaguarinsel
hatte ich Gelegenheit, einen Einblick zu tun in den wahren Charakter
meiner beiden Halbblut-Begleiter. Ein weiterer Aufenthalt von einem
Tag vor der Rückkehr nach Pará würde es mir ermöglicht haben, einige
Versuche in Hinsicht auf die Zweckmäßigkeit der in meine beiden Kameras
eigens eingepaßten Objektive anzustellen, was durch die Entdeckung von
der geringen photographischen Lichtwirkung nötig geworden war. Obwohl
es mir eilte, weiterzukommen, schien es doch rätlich, sich erst der
vollen Brauchbarkeit jenes Instrumentes zu versichern, das fast jeder
ernsthafte Reisende als Hauptbestandteil seiner Ausrüstung mit sich
führt. Gegen diese Verzögerung erhoben aber die beiden Mischlinge
Einspruch mit der Begründung, sie verlören dadurch zu viel kostbare
Zeit. Hätte ich mir damals klargemacht, daß gegenüber Angehörigen von
Mischrassen eine entschlossene Haltung von wesentlicher Bedeutung
ist, wenn der Erfolg einer Forschungsreise nicht in Frage gestellt
werden soll, so würden mir vielleicht nicht geringe persönliche
Widerwärtigkeiten in der Zukunft erspart worden sein. Andererseits
hätten mir aller Wahrscheinlichkeit nach einige weitere Tage auf der
kleinen Insel genügt, Einblicke nicht nur in den wahren Charakter,
sondern auch in die persönlichen Gewohnheiten meiner Begleiter zu
gewinnen. In diesem Fall würde ich sie wohl unter keinen Umständen als
Begleiter an der langen und gefährlichen Reise nach dem Tapajóz-Plateau
angenommen haben.

Es ist unnütz, den Leser mit weiteren Einzelheiten der Rückkehr
nach Pará und der letzten Vorbereitungen für die Abreise meiner
kleinen Expedition zu langweilen. Wir verließen den Kai, am Ende der
Central Avenue, in dem kleinen Flußdampfer mit seinen wenigen engen
vierschläfrigen Deckkabinen und fuhren um die zahlreichen waldigen
Inseln herum in jenen Teil des Paráflusses hinaus, der den Namen der
Bucht von Marajó trägt.

Dieser Mündungsteil des großen Amazonenstroms wurde zuerst von den
Seefahrern entdeckt und „Süßwassermeer“ getauft. Die Wasserbehälter
werden meistens hier aufgefüllt, da das Wasser frisch und, wenn
filtriert, zum Genuß geeignet ist. Einige Stunden, nachdem die Nacht
sich auf die weite, schweigende Wasserfläche und die fernen Wälder
herabgesenkt hatte, kamen wir an der Mündung des Tocantinsflusses
vorüber und fuhren in den eigentlichen Amazonenstrom ein.

Was sich während der nächsten vierzehn Stunden ereignete, ist vom
Schleier des Geheimnisses bedeckt. War es die verhältnismäßige
Behaglichkeit der kleinen Kabine, deren ich mich allein, dank der
Güte der Beamten und anderer Freunde in Pará, erfreute, oder war
es die kühle Brise vom offenen, hier sehr breiten Strom her nach
den qualvollen Nächten auf der Jaguarinsel -- das vermag ich nicht
genau festzustellen. Aber jedenfalls schlief ich so gut, daß ich das
kleine, aus Fisch und Früchten bestehende Frühstück auf dem Hinterdeck
versäumte und mich mit schwarzem Kaffee und Biskuits bis zum Lunch
begnügen mußte.

Wir befanden uns nun in den berühmten Engen des Amazonenstroms. Die
Tausende von bewaldeten Inseln legen sich so zusammen, daß der reißende
Strom häufig auf weniger als 180 Meter eingeschnürt wird -- ein
Gegensatz zu den 50 Kilometer gegenüber Pará! Die gelbe Flut schießt
zwischen den grünen Inseln in mannigfachen Richtungen dahin; ein
Schauspiel großartiger tropischer Schönheit. Die zierliche Assaipalme
mischt ihre federartigen Wedel in das Blättergrün zahlloser anderer
Baumarten, Lianen hängen in Schleifen und Girlanden von den luftigen
Ästen der Urwaldriesen, gewaltige Wurzeln ragen wie Strebepfeiler aus
dem Gewirr des Unterholzes, und auf den Lichtungen und den schmalen
Igarapés wandelt sich der strahlende Sonnenschein der Tropen zum
Dämmern grünlichen Zwielichts.

Hier und da erheben sich die mit Palmstroh bedeckten Behausungen
der Caboclos, der halbblütigen Kautschuksammler, auf dünnen Pfählen
über die überfluteten Ufer. Die primitiven Hütten stehen gleichsam
im Schatten der gewaltigen äquatorialen Urwälder. Die Armut dieser
Flußleute ist oft schrecklich. Die nackten Kinder, die in den roh
ausgehöhlten Kanus spielen, dem einzigen Verkehrsmittel, tragen alle
Zeichen der Unterernährung an sich. Sich auf dem Lande zu ergehen, ist
ihnen des dichten Dschungels wegen verwehrt. Das Hauptnahrungsmittel
besteht aus Mandiokamehl, das Magenerweiterungen und Blutarmut
verursacht. Neunzig von hundert dieser Kinder sollen an Hakenwürmern,
Malaria und Bleichsucht leiden. Flußfische und Waldfrüchte bilden die
sonstige Nahrung dieser merkwürdigen Mischrasse aus Indianern und
Portugiesen, die an den Ufern der fast überall zugänglichen Flüsse des
Amazonenbeckens wohnt. An den Uferrändern der Engen des Amazonenstroms
finden sich außerdem viele Indianer, halbzivilisierte Nachkommen
der einst mächtigen Tupination. Von den Caboclos unterscheiden
sie sich durch ihren kleinen Wuchs, die braune Hautfarbe und eine
vierschrötige, muskulöse Gestalt. Sie sprechen die „Lingoa Geral“,
die als Verständigungsmittel zwischen den Portugiesen, den Caboclos
und den Indianern dient, einen verdorbenen Tupidialekt, leben in
Familien und haben seltsam verwickelte Verwandtschaftsverhältnisse.
Geschwisterkinder sind unbekannt, und alle Enkel eines Großvaters
werden als Brüder und Schwestern betrachtet!

Die Weiber gehen bei den Caboclos und Indianern halbnackt oder
in leuchtend roten Röcken; die Männer tragen selten mehr als
schmutzige Unterhosen und einen Strohhut. Ihre mit Palmstroh
gedeckten, auf Pfählen über der gelben Flut erbauten Hütten, mit
den Kronen der Riesenbäume drüber statt des Himmels, machen einen
trübseligen Eindruck. Sie bestehen aus einem Raum, der beinahe keine
Einrichtungsgegenstände, nicht einmal Kochgerätschaften enthält. Außer
einer Schilfhängematte und einigen irdenen Töpfen ist dort nichts zu
sehen. Fast den ganzen Tag bringen sie auf der von Pfählen getragenen
Plattform zu, die das einzige Wohngemach umgibt.

Zuweilen kommen sie zu einem Tanz zusammen, der meist abends
stattfindet beim flackernden Schein eines angezündeten Holzhaufens.
Die älteren Leute singen eine langsame, traurige Melodie, mit vielen
Wiederholungen, zu der sie mit Gefäßen voll trockener Erbsen, die
geschüttelt werden, eine Art Begleitung spielen. Dazu schleifen die
jungen Caboclos mit den Füßen und verdrehen den Körper, was weder
graziös noch künstlerisch aussieht. Sieht man solche Tänze im Dickicht
der großen Wälder oder am mondbeschienenen Strand mit dem dunkeln,
schweigenden Fluß vorn und der schwarzen Wand des Dschungels als
Hintergrund, von dem sich die rote Glut des Holzfeuers abhebt, so
machen die langsamen, schattenhaften Bewegungen der Gestalten und das
rhythmische Gerassel der Erbsenbehälter einen unheimlichen und im
höchsten Grad barbarischen Eindruck.

Während der letzten Tage des Juni begehen die Caboclos alljährlich
das Fest von St. Juan (Johannes des Täufers). Dabei gibt es Tänze und
seltsame Zeremonien, die ihren Höhepunkt in einer Art von Karneval
am 24. Juni erreichen. Fast jede der nah und fern über die Ufer der
30000 Kilometer schiffbarer Flüsse verstreuten Familien zündet ein
Feuer im Freien an und nimmt um Mitternacht ein wohlriechendes Bad.
In den vielen kleinen Niederlassungen längs der verschlungenen Flüsse
kommt man maskiert zusammen. Die Leute verkleiden sich als Stiere mit
Kopfschmuck und Hörnern oder als wilde Indianer mit Tukanfedern, Bogen
und Pfeilen. Wilde Musik und Tänze füllen die Stunden aus zwischen
Sonnenuntergang und Mitternacht, dann kommt das wohlriechende Bad.

Fast vor jeder Caboclohütte stehen auf der Plattform über dem Fluß
oder Sumpf irdene Töpfe, in denen gewisse Pflanzen wachsen. Sie dienen
dazu, um das Bad an jenem großen Festtag der Mischlingsbevölkerung zu
parfümieren, die das dünne Band einer Halbzivilisation an den Ufern der
vielen schiffbaren und befahrenen Flüsse des Amazonengebiets bildet.
Es sind harmlose und freundliche Leute, wenn sich auch das impulsive
Temperament der Indianer zuweilen in einer Messerstecherei Luft macht.

Obwohl die Hütten dieses Flußvolks, des Steigens der Flüsse wegen,
fast stets auf Pfählen errichtet sind, kommt es nicht selten vor, daß
die Leute bei außergewöhnlichem Hochwasser ganze Tage auf den Dächern
zubringen müssen. Die an den Stromengen Hausenden sind hauptsächlich
Cearaetze oder Eingeborene aus dem Staat Ceara, die zwangsweise aus
diesem wüstenartigen Gebiet während einer Trockenperiode deportiert
und in den feuchten äquatorialen Wäldern des untern Amazonenstroms
angesiedelt wurden. Ihre Haut- und Haarfarbe ist verhältnismäßig
hell, während die, die am Oberlauf des Amazonenstroms und an den
entlegeneren Flüssen hausen, dunkler sind und mehr den zivilisierten
Indianern gleichen. Aber es ist unmöglich, allgemein zutreffende
Angaben zu machen, weil auch Neger, d. h. freigelassene Sklaven, und
ihre Abkömmlinge sehr zahlreich sind und die Mischung der verschiedenen
Rassen allerlei Merkwürdigkeiten in Farbe und Typus hervorgebracht hat.

Nachdem die 200 Kilometer langen Stromengen durchfahren sind, gewahrt
man auf den mit dichten Wäldern bestandenen Uferbänken nur wenig
Zeichen des Lebens. Im Düster der Riesenbäume wird trockenes Land nur
selten sichtbar, und das erklärt bis zu einem gewissen Grad das Fehlen
der Fauna. Zuweilen wird die Stille der tropischen Nacht von dem fernen
Geheul eines Jaguars unterbrochen oder dem Lärmen einer aus dem Schlaf
geschreckten, schreienden Affenkolonie. Ehe in den frühen Morgenstunden
der dünne, weiße Nebel von Fluß und Dschungel verschwunden ist, kann
man häufig von der Mitte des Flusses aus das Kreischen der Papageien
und das Geschnatter der Affen hören.

Dicht am Ufer sieht man oft Papageien, Araras, weiße Reiher, Kormorane
und Enten zwischen ihren Nahrungs- und Brutplätzen hin- und herfliegen.
Zuweilen scheucht das Geräusch des Dampfers einen Königsfischer oder
Reiher auf oder man bekommt einige Schopfhühner zu Gesicht, lebende
Verbindungsglieder zwischen Pterodaktilus und Vogel. Riesenfische, mit
den Kinnladen einer Bulldogge und vorstehenden Augen, tauchen aus der
Tiefe der gelben Flut, um den Abfall der Schiffsküche aufzuschnappen,
und hoch über den gewaltigen Wäldern ziehen in schwerfälligem Flug die
schwarzen, geierartigen Urubú (Rabengeier) dahin oder kreist langsam
der amazonische Adler. Flußdelphine erscheinen gelegentlich an der
Oberfläche des Flusses, und zur Zeit des Niederwassers sind in der
Mittagshitze sich sonnende Alligatoren kein seltener Anblick.

In den Quellgebieten der abgelegenen Amazonenflüsse sind die
Alligatoren so zahlreich, daß sie eine beständige Gefahr bilden. Dort
kommt auch der Piranha genannte Kannibalenfisch vor, von dem ich später
noch mehr berichten werde.

Auf der Fahrt nach dem Tapajóz-Plateau war ich noch nicht lange genug
im Amazonengebiet, um die bittere Wahrheit der Behauptung zu verstehen:
„Hinter jedem Blatt ein Insekt und in jeder Blume wenigstens eine
Ameise.“ Zwar hatte ich den fast ununterbrochenen Lockruf der Käfer
vernommen, das Zirpen einer Art Grille, das unaufhörliche Summen und
Surren der zahllosen Insekten, aber noch keine Wespennester so groß
wie Kokosnüsse gesehen, Armeen von Sauba-Ameisen, Büsche bedeckt mit
„Micuims“, lästigen Zecken, die sich zu Hunderten unter die Haut
eingraben, wenn man durch das Dickicht des Urwalds wandert. Auch war
ich noch wenig vertraut mit der nächtlichen Tätigkeit der Sandflöhe,
Sandfliegen und der ungeheuern Spinnen, von denen manche ein rotes
Kreuz als Zeichen der Gefährlichkeit auf ihrem widerlichen Rücken
tragen. Einige wenige Schlangen hatte ich in verschiedenen Gegenden
Südamerikas zu Gesicht bekommen, aber die waren nichts im Vergleich
zu den Stücken, die ich später in den Sümpfen des Madeiragebiets
antraf. Als daher der kleine Flußdampfer sich entschloß, einige Stunden
in Santarem anzuhalten, der hübschen, kleinen Niederlassung an der
Mündung des Tapajózflusses, machte ich mich auf, die Stadt und die sie
umgebenden Dschungeln zu besuchen, um meine vernachlässigte Erziehung
zu vervollständigen.

Die Vereinigung des dunkelgrünen Tapajózflusses mit der gelben Flut des
Amazonenstroms, gegenüber Santarem, bietet einen merkwürdigen Anblick.
Die Gewässer vermischen sich nicht, sondern bilden Farbenflecken und
Miniaturwirbel weithin über die ungeheure Fläche des wie gescheckten
Stromes. Das Land an beiden Mündungsufern des mächtigen Nebenflusses
besteht aus imponierenden waldbedeckten Klippen und Hügeln. Zwischen
dem Vegetationsgeflecht wird stellenweise der rote Sandstein sichtbar.
In den tiefer gelegenen Dschungeln gibt es Palmen der verschiedensten
Art, weiter oben aber, auf dem trockenen Grund, erheben sich die Riesen
des Urwalds, und das Unterholz nimmt ab.

Hätte ich sonst keine Erfahrungen auf meiner Wanderung um Santarem
herum gemacht, so würden mir mehrere qualvolle Stunden erspart
geblieben sein. Wenn man aber einmal von den „Micuims“ gebissen wurde,
ist das beste Heilmittel „Cacash“, ein billiger, einheimischer, starker
Sprit, in dem man sich glücklicherweise auch ein Bad leisten könnte.
Er lindert die Stiche der Moskitos und die durch Hunderte von kleinen
Parasitenarten verursachten Entzündungen. Neulinge im Reisen in den
Wäldern des Amazonas pflegen über die Quälgeister noch kräftiger zu
fluchen, als über alle sonstigen Beschwerlichkeiten. Zum Glück ist der
kühle Fluß frei davon.

Als die Sonne wie gewöhnlich in einem Strahlenglanz von gelben, roten
und purpurfarbenen Wolken unterging und den stillen Strom, die Palmen,
Klippen und weißen Landhäuser in ein Meer von Gold und Karmesin
tauchte, nahm das Violett des Tapajózflusses die Farbe rötlichen
Schaumes an. Aber während die erste Asche der eben angezündeten Zigarre
zu Boden fiel, war das Feuer im Westen schon erloschen, und die
Lichter Santarems wurden von den dunklen Mauern des tropischen Waldes
aufgeschluckt.

Hinter Santarem bildet der Tapajóz eine etwa 15 Kilometer breite,
trichterförmige Bucht, die nach Süden, in das Herz des Kontinents,
hineinführt. Während der nächsten 80 Kilometer verengert er sich aber
wieder allmählich bis auf weniger als drei Kilometer bei der kleinen
Niederlassung Aveiros. Bald nach Sonnenaufgang hielt der Dampfer an
einer „Barraca“ oder einem Magazin, etwa 100 Kilometer stromauf, um
seine Vorräte an Heizmaterial zu ergänzen. Die kleinen Holzklötze
waren auf einer wackeligen Plattform aufgeschichtet, die sich dicht am
Ufer über das dunkelgrüne Wasser erhob. Abgesehen von den Kanus wird
die ganze Flußschiffahrt im Amazonengebiet mit Holzfeuerung aus den
umliegenden Wäldern betrieben. Die Bäume werden von den Caboclos, den
Sammlern von Kautschuk und brasilianischen Nüssen, gefällt, zerkleinert
und den Dampfern an den Barracas verkauft. Auch die zur Ausfuhr
bestimmten Produkte des Waldes werden hier aufgestapelt. Diese niedern
Schuppen auf ihren Holzpfählen bilden ein charakteristisches Bild an
allen stark befahrenen Flüssen des Amazonengebiets. Sie scheiden die
bekannten Routen von den unbekannten. Wo es keine Barracas gibt, können
nur Kanus zu Erforschungszwecken mit Erfolg benutzt werden.

Vor wenigen Jahren erschienen einige unerfahrene Reisende an der
Schwelle eines entlegenen Gebiets des brasilianischen Guyana in einer
sorgfältig ausgerüsteten Motorbarkasse, die sie auf dem Deck eines
Frachtdampfers mitgeschleppt hatten. Unnötig zu sagen, daß sie über
dreihundert Kilometer von der Basis ihrer Benzinversorgung nicht
hinausgelangten, und das in einem Gebiet, wo eine Kanureise von 1500
Kilometer für nichts Besonderes gehalten wird!

Vom Verdeck des Dampfers aus scheint das Wasser des Tapajózflusses von
flaschengrüner Farbe, aber während Brennholz an der Barraca eingenommen
wurde, benützte ich die Gelegenheit, dieses merkwürdige Flußwasser
in einem Glas und unter dem Mikroskop zu untersuchen. Es sah nun
kristallklar aus mit nur wenigen pflanzlichen Bestandteilen an der
Oberfläche; ganz im Gegensatz zu dem schlammartigen, gelbbraunen Wasser
des Amazonenstroms. In seinem Unterlauf zieht der Tapajóz breit und
stattlich dahin zwischen Uferbänken, die bis zu beträchtlicher Höhe
ansteigen und rote Felsen zwischen den Riesen des Urwalds hervortreten
lassen. Die Schiffahrt geht aber doch nur von der Mündung bei Santarem
ungefähr 240 Kilometer weit bis zu einem Häuflein aus Luftziegeln
errichteter Hütten, das sich stolz Itaituba nennt. Über diesen Punkt
hinaus ist das Flußbett von einer Reihe gefährlicher Stromschnellen
unterbrochen, und das angrenzende Gelände ist nur halb erforscht,
obwohl Franco, Wickham und Rondon zu verschiedenen Zeiten des letzten
Jahrhunderts viele hundert Kilometer weiter vorgestoßen sind.

Das Fehlen jeglichen andern Beförderungsmittels nötigte mich in
Itaituba zum Ankauf eines geräumigen Kanus oder Batalõe. Als der
kleine Dampfer im „Hafen“ angelegt hatte, beeilte ich mich, die
bräunlichen Beamten aufzusuchen, an die ich Empfehlungsbriefe in Pará
erhalten hatte. Eine nähere Bekanntschaft mit den paar verfallenen
Vorratshäusern und Ziegelhütten des Ortes verstärkte noch meinen
Entschluß, ein Nachtquartier dort wenn möglich zu vermeiden.

Aber wehe den Plänen der Menschen in dieser geheimnisvollen Region der
Urwälder und Gewitter! Kaum hatte sich die Sonne hinter die Baumwipfel
gesenkt, als der ganze Himmel im Feuer zu stehen schien. Drei Stunden
lang hielt das Gewitter an, ohne daß das leiseste Geräusch des Donners
oder vom Aufklatschen von Regentropfen zu hören gewesen wäre. Es
blitzte nur unaufhörlich, daß die Augen fast geblendet wurden. Lautlose
Flächen- und Zackenblitze -- auch Fluß und Wald schienen den Atem
anzuhalten.

Glücklicherweise hatten wir Vorräte und Ausrüstung noch nicht
ausgeladen und brachten die Nacht an Bord des Dampfers zu. Itaituba
hat dem in privaten oder Amtsgeschäften Hierherkommenden keine
Bequemlichkeit zu bieten, die über ein Dach und eine Hängematte
hinausginge. Seine Einwohnerzahl beträgt etwa 500 Köpfe, und
bemerkenswert ist es nur als Aufenthalt von Mr. Wickham, der hier die
Samen sammelte, aus denen später die malaiischen Gummipflanzungen
hervorgingen. Gegen Mitternacht hörte das Blitzen auf, und der Regen
setzte ein. Eine zischende und tobende Sintflut drang durch die
überhitzten und gesprungenen Deckplanken, weckte während der zwanzig
Minuten ihrer Dauer uns alle an Bord und ersäufte zwei Hühner, die an
einem Stützbalken der Schiffstreppe angebunden waren.

Der nächste Morgen war von strahlender Schönheit, aber drückend heiß.
Ganz gegen meine Erwartung gelang es mir, sofort ein Batalõe für die
nicht übertriebene Summe von 15 Pfund zu erwerben. Der bisherige
Besitzer dieses sonderbaren, unangestrichenen Fahrzeugs erzählte mir,
daß Regengüsse wie der der gestrigen Nacht in dieser Jahreszeit selten
wären, außer zwischen 3 und 4 Uhr jeden Nachmittag! Im Gebiete des
untern Amazonenstroms verabredet man sich je „vor“ oder „nach“ dem
täglichen Guß. An manchen Plätzen setzt er um Mittag, an andern etwa
eine Stunde später ein. Selten hält er länger als einige Minuten an,
außer während der stärksten Regenzeit im Januar, Februar und März.

Monate später erfuhr ich am eigenen Leib, was Reisen auf unbekannten
Flüssen und durch sumpfige Urwälder während der Regenzeit in
Wirklichkeit heißt. Ich hoffe keine Wiederholung zu erleben. Für mein
erstes längeres Eindringen in die Wildnis des Amazonas hätte ich mir
aber keine günstigere Zeit wünschen können. Es war die zweite Maiwoche
und Trockenzeit, mit dem wesentlichen Unterschied, daß es zwar fast
jeden Tag, aber doch nicht den ganzen Tag hindurch regnete.




4. Die Mundurucusindianer des Waldplateaus.


Von Itaituba flußaufwärts ist der Tapajóz fast unerforscht. Die
Dampfschiffahrt findet hier ihr Ende, und die kartographisch nicht
aufgenommenen Gewässer bereiten nun ernstlich auf das weite, unbekannte
Innere vor. Nachdem wir unser Gepäck, die Lebensmittelvorräte und
die Lagerausrüstung vom Flußdampfer in das Batalõe umgeladen hatten,
verließen wir am 14. Mai die kleine, aber saubere Niederlassung, die
von der Mündung des Tapajóz 240 Kilometer flußaufwärts abliegt. Noch
kamen wir an einem Ort namens Itapeu vorüber, dann hatten wir, wenige
Stunden nach der Abfahrt von Itaituba, alle Anzeichen der Zivilisation
hinter uns gelassen.

An beiden Ufern zogen sich stellenweise dichte Wälder aus mächtigen
Bäumen hin, im Hintergrund aber, besonders gegen Südwest zu, erhoben
sich steile Felsen aus rotem Sandstein und dschungelbewachsene Hügel.
Sie bildeten den Abfall des wenig erforschten Tapajózplateaus, das
sich über eine weite Fläche hin ausdehnt: westlich bis zum Tal des
Madeiraflusses, während es gegen Süden in das Plateau von Grosso
übergeht, im Innern des Kontinents. Es wird niemals überschwemmt.
Spätere Forschungen zeigten, daß das niedere Plateau, dessen
Durchschnittserhebung über den Meeresspiegel etwa 250 Meter beträgt,
aus einem unermeßlichen Wald riesenhafter Bäume besteht, überall
durchflochten von der Cipó oder Mordrebe. Das Unterholz steht aber
gegen alle Erwartung viel weniger dicht als in den niedern Flußtälern.

[Illustration: Halbzivilisierte Indianerweiber bei der Bereitung der
„Farinha“.]

[Illustration: Moiré auf dem Amazonas.

An manchen Stellen sehen die Wasser dieses geheimnisvollen Flusses wie
gelbes Moiréband aus.]

Kilometer nach Kilometer glitt das Kanu friedlich auf dem stillen,
breiten Fluß dahin oder wurde durch Stromschnellen gezogen und mit
Stangen fortgestoßen. Solche Stromschnellen befinden sich in der
Nähe von Bella Vista und São Luis, von wo an eine Dampferverbindung
vollkommen unmöglich wäre, da unmittelbar hinter dieser kleinen,
unbedeutenden Niederlassung der Fluß durch Felsen und Stromschnellen
gänzlich gesperrt ist. Das stundenlange Herumsitzen in verkrampfter
Stellung, wie sie in einem schwerbeladenen Kanu allein möglich ist,
wäre unerträglich geworden, hätten nicht zuweilen zackige Felsen, die
schroff aus dem Wasser aufstiegen, Abwechslung in die eintönige Fahrt
gebracht. Um die Felsen herum bildeten sich Wirbel von beträchtlicher
Stärke. Für etwas aber war ich von ganzem Herzen dankbar, nämlich
die Abwesenheit der Insektenschwärme, die auf manchen Flüssen des
Amazonengebiets die Tage zu einer einzigen Qual und die Nächte kaum
weniger peinigend machen. Dieser Vorteil wurde freilich durch die
unbeschreiblich ekelhaften Gewohnheiten meiner beiden Begleiter
aufgewogen. Es war zum erstenmal, daß ich allein durch die Wildnis mit
Angehörigen einer Mischrasse reiste, deren Vokabular, abgesehen von
einem halb brasilianischen, halb indianischen Lokalpatois, aus nicht
mehr als 50 wunderlichen englischen Worten bestand, die sie im Dienst
der Dampfschiffahrtsgesellschaft auf dem Amazonenstrom aufgeschnappt
hatten.

Wir umgingen die Apuéfälle, die eigentlich aus einer Reihe von
Stromschnellen bestehen, wo der Fluß sich durch Felsenengen in einer
anscheinend wilden und verlassenen Gegend hindurchzwängen muß. Sieben
Tage später, am 23. Mai, bekamen wir einige Indianer auf einer kleinen
sandigen Strandstelle des Westufers zu Gesicht. Da wir gern einen
Führer angeworben hätten, der die Eigentümlichkeiten und Gefahren der
folgenden Flußstrecke kannte, wandten wir den Bug des Kanus gegen das
Ufer. Fast augenblicklich verschwanden die bronzefarbigen Gestalten
im Buschdickicht und erschienen auch nicht wieder, obwohl wir einen
glänzenden Fußring und einige Perlenschnüre als Geschenke auf den
Strand legten und das Kanu in den Fluß zurückstießen. Zwei Stunden
warteten wir, dann legten wir von neuem an, da es uns unklug schien,
die Geschenke bei unserm beschränkten Vorrat zu opfern, ohne dafür
einen Führer zu bekommen. Kaum hatten wir sie wieder im Kanu geborgen,
als ein Pfeil über unsere Köpfe schwirrte, worauf wir keine Zeit
verloren, in die Mitte des Flusses zurückzurudern.

Ungefährer Berechnung nach hatten wir nun etwa 220 Kilometer von den
ersten Stromschnellen an zurückgelegt, die die Dampfschiffahrt auf
dem Oberlauf dieses prächtigen Flusses wirklich unmöglich machen. Der
durchschnittliche Fortschritt betrug also stündlich nur ungefähr 3
Kilometer. Die Gründe für die Langsamkeit unseres Weiterkommens lagen
einmal darin, daß wir viel Zeit hatten damit zubringen müssen, das
schwer beladene Kanu durch die schäumende Flut zu ziehen, oft bis zur
Brust im Wasser stehend, oder es um Hindernisse herum über Land zu
tragen; zum zweiten in den voraufgegangenen Regengüssen flußaufwärts,
so daß wir eine ungewöhnlich starke Strömung beständig gegen uns hatten.

Die Uferbänke waren an mehreren Stellen unterwaschen. Während der
Hochwasserzeit, gegen Ende Juni, entstehen hier Überschwemmungsseen von
50 Kilometer Länge und 10 Kilometer Breite, weil das Hochwasser des
Amazonenstroms die Gewässer der Nebenflüsse zurückstaut. Bei unserm
spätern Rückzug den Tapajóz hinab war die Fahrt auf diesen Riesenseen
wegen der herumschwimmenden Baumstämme und anderer Hindernisse weder
sicher noch leicht.

Der übliche Regenguß, der seit Antritt der Fahrt uns alltäglich
heimgesucht hatte, blieb am 25. Mai aus. Gegen 3 Uhr nachmittags
erschien weit oben auf der breiten schimmernden Wasserfläche ein
winziger schwarzer Punkt. Zuerst dachten wir, es wäre ein ungewöhnlich
großer Baumstamm, bald aber konnten wir Ruder in der Sonne glänzen
sehen, und unsere Spannung wurde immer stärker. Schnell kam das Batalõe
auf der reißenden Strömung näher, und in weniger als fünfzehn Minuten
war es bei uns. Nachdem wir die Boote in die Mitte des Flusses gelenkt
hatten, legten wir uns Bord an Bord. Man kann sich meine Überraschung
vorstellen, als ich mich einem andern weißen Reisenden in dieser
weltentlegenen Gegend gegenübersah.

~Dr.~ Cabral, ein eifriger Sammler und Forscher im Amazonengebiet,
hatte einige Wochen auf dem Oberlauf des Tapajóz zugebracht und einen
Punkt etwa 250 Kilometer weiter flußaufwärts erreicht, jenseits der
großen Stromschnellen, die den Fluß in zwei Abschnitte teilen. Sein
Kanu war schwer beladen mit dem, was er in dieser wundervollen Gegend
gesammelt hatte. Nun kehrte er mit den Früchten seines Fleißes zur
Zivilisation zurück. Dieser unerschrockene Reisende, der damals schon
länger als 10 Jahre im Amazonengebiet zugebracht hatte, starb, wie ich
erst kürzlich erfuhr, am Fieber in einer winzigen Niederlassung an der
Grenze von Peru. Teile seiner Sammlungen befinden sich in Pará, Rio und
São Paulo. Ich verdanke ihm nicht wenig Auskünfte über die Sitten der
Mundurucusindianer.

Es war mein erstes Zusammentreffen mit diesem außerordentlichen Mann.
Später hatte ich das Glück, in Manáos mehrere Tage in seiner fesselnden
Gesellschaft während eines unfreiwilligen Ruheaufenthalts zu verleben.
Ausgestattet mit einer wunderbar widerstandsfähigen Konstitution in
einem hageren aber zähen Körper und mit weit über das Wissen eines
gewöhnlichen Arztes hinausreichenden wissenschaftlichen Kenntnissen
hatte er, entweder allein oder mit Eingeborenen, Tausende von Meilen
der ungeheuren Wildnis auf Dschungelpfaden längs der schweigenden
Flüsse durchwandert, stets gänzlich seiner Aufgabe hingegeben, neue
Stücke der Fauna und Flora des Amazonengebiets seiner Riesensammlung
einzuverleiben. Da er als Arzt die Schmerzen und Leiden der Indianer
lindern konnte, stand er in freundschaftlichen Beziehungen mit vielen
wilden Stämmen der entlegenen Fluß- und Waldgebiete; trotzdem wäre
auch er beinahe öfter das Opfer ihres angeborenen Mißtrauens gegen den
Weißen geworden. Einmal wurde er von einem Stamm von Konibosindianern
an den Ufern des Ucayaliflusses vergiftet, ein anderes Mal in den
Maloccas eines Nambiquarastammes am Juruenafluß gefangengehalten und
mit martervollem Tod bedroht, wenn der Häuptling nicht genesen würde,
den er heilen sollte.

~Dr.~ Cabral ließ sich nicht überreden, die Nacht über auf dem
Ufer zu lagern, in dessen Nähe wir zusammengetroffen waren. Wäre
es später am Tag gewesen, nach vollbrachter Arbeit, so würde ich
vielleicht mehr Erfolg gehabt haben. Er gab mir gewisse Auskünfte über
das Quellgebiet des Tapajóz, die ich in der beigedruckten Kartenskizze
verwendet habe. Unsre eigenen Reiseabsichten gingen lange nicht so
weit. Nachdem wir die beiden Kanus ans Ufer gebracht und an einem
überhängenden Baum angebunden hatten, unterhielten wir uns eine Stunde
in gebrochenem Englisch und schlechtem Portugiesisch. Dann sahen wir
das Batalõe des großen Reisenden wieder im Dunst des Tropenflusses
verschwinden. Monate später traf ich einen Angehörigen des berühmten
Indianeramts von Brasilien unter sehr ähnlichen Umständen gerade zur
rechten Zeit -- aber das ist eine andere Geschichte.

Ein Reisetag nach dem andern verstrich auf dem Tapajóz, ohne daß
unsre Mühen durch entsprechende Fortschritte belohnt worden wären.
Meine Befürchtungen wuchsen, da unsere Vorräte an „zivilisierten“
Nahrungsmitteln beständig abnahmen, die auf den Flüssen des
Amazonengebiets nur schwer zu ergänzen sind. Ich wußte, daß meine
Begleiter sich oft wochenlang von Früchten und Reptilien zu nähren
pflegten. In ihrem Plane lag es, weiterzufahren und nebst neuen
Kautschukwäldern eine Durchfahrt durch den kleinen Martinhofluß in den
Madeira aufzufinden, ohne Rücksicht auf die Ernährungsweise und eine
mögliche Erkrankung an der Geißel dieser Gebiete, der Beri-Beri-Seuche,
die durch Unterernährung entsteht. Mir, als Neuling in diesen Gebieten,
widerstand nichts so sehr als die Vorstellung, mich von Reptilien
nähren zu müssen. Bisher hatte ich niemals Schildkröten, Affen,
Eidechsen und Käfer gegessen. Einige Monate später hatte ich von all
diesen widerwärtigen Speisen, Käfer ausgenommen, gekostet, aber nie
gelang es mir, mehr als ein paar Bissen hinunterzuwürgen. Ausgenommen
hiervon ist Schildkrötenfleisch, das im Amazonengebiet als Leckerbissen
gilt.

Etwa 300 Kilometer von den Apuéfällen gelangten wir am 28. Mai zu einem
Indianerdorf an einer Biegung eines Igarapé. Durch Verteilung von
Geschenken gelang es uns, das Mißtrauen zu beschwichtigen, das, wie es
scheint, allen Reisenden von den Amazonenindianern entgegengebracht
wird. Diese Flußbewohner erwiesen sich als zum Stamm der Mundurucus
gehörig. Sie waren bis auf eine kleine Schürze gänzlich unbekleidet und
hatten die Farbe dunkler Bronze. Ihre Maloccas bestanden aus Blättern
und Zweigen und sahen wie riesige Bienenkörbe aus. Alle Arbeit scheint
von den Weibern verrichtet zu werden, während die Männer entweder
auf die Jagd gehen oder, Speer, Bogen und Pfeile schnitzelnd, faul
herumliegen. Aus großen Schalen pflegen sie eine sonderbare Mischung
zu trinken, die hauptsächlich aus Mandioka bereitet wird. Im übrigen
ist mit ihnen ganz gut auszukommen.

Wer einer kunstreichen Tatauierung ermangelt, scheint nicht heiraten zu
dürfen. Erreichen die Knaben ein gewisses Alter, das ich auf vierzehn
Jahre schätze, so wird diese Verschönerung zwangsweise an ihnen
vorgenommen. Während unserer dritten Nacht unter den Eingeborenen, als
der Mond geisterhaft über den schwarzen Baumwänden stand und auf dem
breiten Fluß wie Silber schimmerte, ertönte plötzlich der Lärm einer
Art von Tamtam. Später fand ich, daß er durch Stockschläge auf den
hohlen Stamm eines Baumes hervorgebracht wird, der Manguaré heißt.
Ich sprang aus dem kleinen Zelt, das auf der Uferbank errichtet war.
Auf dem Boden kauerte eine Gruppe von Indianern, während zwei von
ihnen einen entsetzt aussehenden Jungen in ihrer Mitte festhielten.
Der Medizinmann, der auch das Amt des Oberpriesters zu versehen
schien, murmelte mit monotoner Stimme Worte vor sich hin und rührte
gleichzeitig mit beiden Händen in einem irdenen Krug herum. Dazu
schlugen die Weiber die Hände zusammen, stampften mit den Füßen und
sangen. Der nackte Junge wurde auf den Boden gelegt, der Medizinmann
näherte sich ihm und begann, seinen Körper mit einem leuchtenden Rot zu
tatauieren. Die Farbe wird aus den Samen des Achiote (~Bixa Orellana~)
gewonnen. In den Strahlen des Mondes sah sie wie Blut aus.

Obwohl die Körperverdrehungen des Jungen verrieten, daß er Qualen
ausstand, gab er doch keinen Laut von sich, wenn der Büschel aus
Palmnadeln, mit dem die Operation ausgeführt wurde, in sein Fleisch
eindrang. Länger als eine Stunde ging das so fort, dann verkündete ein
lautes Geschrei der Weiber, daß dieser Teil der Zeremonie zu Ende war.
Der Junge stand auf und erhielt einen Bogen, Pfeile und einen Speer.
Hierauf wurde ein junges Mädchen in den Kreis gebracht, das sich heftig
sträuben mußte, was von seiten des neugebackenen Kriegers mit grotesken
Kraftäußerungen erwidert wurde. Neben mehreren Strichen und Klecksen
trug er nun einen kleinen blutroten Alligator auf seiner Brust. Er
ergriff das Mädchen bei den Haaren und zog sie gegen eine neuerrichtete
Hütte. In der Nähe des niedern Eingangs ließ er sie los, fing sie aber
sogleich wieder, als sie davonrannte. Diesmal führte er sie in den
Kreis der kauernden Wilden, nachdem ihr Widerstand offenbar gebrochen
und Untertänigkeit erzwungen war.

Wie lange diese Feierlichkeit noch gedauert haben würde, ist schwer
zu sagen, weil in diesem Augenblick schwere, schwarze Wolken über den
Mond zogen und Wald und Fluß in Finsternis hüllten. Fast gleichzeitig
ertönte das Klatschen der Regentropfen auf den Blättern. Ich eilte
auf mein Zelt zu, das ich nur undeutlich unterscheiden konnte, obwohl
es keine sieben Meter entfernt war. Das Prasseln des Regens wurde
bald zu einem lauten Toben. Blendende Blitze erhellten das dunkle
Dschungeldickicht, und der Donner rollte über die Wasserfläche. In
einer halben Stunde war das Gewitter vorüber, und ein weißer, wallender
Nebel stieg aus der üppigen Vegetation auf. Bei solchen Gelegenheiten
bedarf der reisende Weiße in den Urwäldern des Amazonas einer starken
Dosis Chinin und eines wasserdichten Schlafsacks.

Die Mundurucus bilden einen der volksreichsten und ausgebreitetsten
Indianerstämme im Gebiet des Amazonenstroms. Im Jahre 1788 vernichteten
sie ihre Erbfeinde, die Muras, in einer großen Schlacht in den
Wäldern des Tapajóz-Madeira-Plateaus. Einige Stämme leben seit
über hundert Jahren im Frieden mit den Weißen, andere, die in den
Urwäldern hausen, sind heute noch unbekannt. Erkrankt einer von den
Indianern hoffnungslos, so wird er von weiteren Leiden durch seine
Verwandten erlöst. Auch Eltern werden von ihren Kindern oft auf diese
wirksame Weise ins Jenseits befördert, wenn sie, infolge von Alter und
Kränklichkeit, an den Freuden dieses Lebens nicht mehr teilzunehmen
vermögen. Viele der Stämme sind noch recht kriegerisch. Sie bilden
Unterfamilien und haben eigene Namen, wie z. B. die Guaribos oder
Affenindianer. Ihre Sprache ist der Tupidialekt, und ihre Methoden der
Jugenderziehung haben ihnen den Namen der Spartaner des Amazonenstroms
eingebracht. Von anderen Stämmen in der Nähe werden sie Paiguize,
Kopfjäger, genannt. Das bezieht sich aber heutzutage nur noch auf die
Abteilungen, die in den weitentlegenen, unerforschten Wäldern hausen.

Am folgenden Morgen setzten wir unsere Reise nach den Fällen des oberen
Tapajóz fort. Ehe ich das Indianerdorf verließ, gelang es mir, einen
Alligatoren zu schießen, der sofort von den Mundurucus abgezogen und
zerteilt wurde. Sie verwenden das Fleisch zu verschiedenen Zwecken. Ein
Teil wird als Leckerbissen verzehrt; das Fett dient als Massagemittel
gegen alle möglichen Krankheiten, und die Zähne werden von den Weibern
aufgereiht und als Halsketten getragen.

Die Mauern des Waldes schlossen sich um den Fluß zusammen, und mehrere
Tage lang war uns kaum ein Blick auf die Gegend darüber hinaus
vergönnt. Eines Nachts lagerten wir auf dem Ostufer an einem Punkt,
wo der Hauptfluß sich verengt und ein kleines Flüßchen sich mit ihm
vereinigt. Ich hätte gerne unsere genaue Lage in dieser weiten und
anscheinend verlassenen Gegend festgestellt und suchte unter meinen
Notizen nach irgendeiner Erwähnung dieses Punktes durch andere
Reisende. Aber ich fand nichts, so weit meine Aufzeichnungen reichten,
weder bei Wickham oder Herbert Smith, der 1878 den Tapajózfluß
hinaufgefahren war, noch auf den englischen Landkarten. Es handelt
sich also wohl um einen der vielen unbenannten kleinen Flüsse dieses
wilden Landes.

Dies mag einen Begriff von den Schwierigkeiten geben, einen Fluß in
dem Labyrinth der Wasserwege des Amazonas ohne ein charakteristisches
Kennzeichen auf dem Land festzustellen. Ebenso schwer ist es, eine auch
nur einigermaßen zuverlässige Routenkarte anzulegen, die den Reisenden
aus den Arbeiten ihrer Vorgänger Vorteil zu ziehen gestatten würde.
Darin liegt vielleicht die größte Schwierigkeit bei Forschungsreisen im
entlegenen Amazonengebiet. Eigentlich ist so gut wie nichts vorhanden,
was auf systematischen Aufnahmen beruhte, weil es denen, die in diese
Gebiete vordrangen, an den nötigen wissenschaftlichen Instrumenten
fehlte, die sie auch gar nicht hätten mitführen können, selbst wenn
sie sie besessen hätten. Der Mangel an eingeborenen Trägern und die
daraus sich ergebende Notwendigkeit, das Gepäck auf ein Mindestmaß zu
beschränken, macht vieles, was geleistet worden ist, für geographische
Zwecke nutzlos. Was im Amazonengebiet ausgerichtet wurde, ist fast
völlig das Ergebnis individueller und meistens vereinzelter Leistungen,
unter Bedingungen, gegen die die Forschung in Afrika nur ein
Kinderspiel war.

Um ähnliche Erwägungen handelt es sich beim Wiedererkennen der
verschiedenen Indianerstämme. Wahrscheinlich wohnen an 400
Eingeborenenstämme auf den zweieinhalb Millionen Geviertkilometer
unbekannten Landes, das die Quellgebiete der Flüsse des Amazonas
umgibt. Alle diese Stämme leben in kleinen Familiengruppen, die
bei den nichtigsten Meinungsverschiedenheiten sich trennen, die
sich durch Heiraten vermischen, durch die schlechte Behandlung der
Kautschuksammler, besonders jenseits der Grenzen Brasiliens, versprengt
und durch mörderische Kriege gegeneinander dezimiert werden. Viele sind
Nomaden, und die geringe Bevölkerungsdichte des Gebiets ermöglicht
es diesen Familiengruppen, nach Belieben umherzuziehen und zu jagen,
ohne durch benachbarte Stämme darin beschränkt zu werden. Dazu kommt
noch die Verwirrung durch die Masse der Stamm- und Nebenstammnamen,
der portugiesischen, phonetischen und Geschlechtsbezeichnungen, so daß
jeder Versuch einer Klassifikation völlig hoffnungslos ist. Alles, was
getan werden kann, beschränkt sich auf gewissenhafte und folgerichtige
Beobachtung durch die Forscher, die in einen oder mehrere Teile dieses
unvorstellbar ausgedehnten Gebiets eindringen, in dieses Land der
dichten, düstern Wälder, verschlungenen Flüsse und Stromschnellen
und der weiten, offenen „Campos“, der Heimat geheimnisvoller
Indianerstämme, von denen viele das Vorhandensein von Weißen nicht
einmal ahnen. Davon wird später noch die Rede sein. Im vorliegenden
Werke erhalten die einzelnen Stämme die Namen, unter denen sie in ihren
jeweiligen Wohngebieten bekannt sind.

Als wir endlich am Abend des 28. Mai die Gewässer des Tapajóz
verließen, um unter 8° 6′ südlicher Breite in den kleinen Martinhofluß
einzubiegen, kamen wir schneller vorwärts, da hier die Strömung
schwächer ist. Aber nun erhob sich eine neue Schwierigkeit. Alle paar
Kilometer war das enge und seichte Flußbett von den Stämmen und Ästen
umgefallener Bäume gesperrt. Eines dieser Hindernisse kostete uns 6
Stunden harte Arbeit, um den Weg für das Kanu freizumachen. Entladen
und über Land tragen konnten wir es nicht, da die Ufer sumpfig und mit
dichtem Unterholz bestanden waren. Nach zwei Tagen war es uns klar,
daß eine Durchfahrt in die Hauptverkehrsstraße des Madeiraflusses, 500
Kilometer nach Westsüdwest, unmöglich zu bewerkstelligen war, nicht nur
im Hinblick auf die bedenklich rasch abnehmenden Lebensmittelvorräte,
trotzdem wir sie täglich aus Fluß und Wald ergänzten, sondern auch
wegen einer niedern Hügelkette, die offensichtlich dem Weiterlauf
des Flusses vorgelagert war. Die Strömung nahm wieder zu, und der
Fluß wurde so schmal, daß die Baumkronen an manchen Stellen ihn
überwölbten. Das Fortstoßen mit Stangen bot die einzige Möglichkeit, um
weiterzukommen.

Am 31. Mai hatten wir unser Lager auf einer kleinen Lichtung
aufgeschlagen, die den Sonnenstrahlen kaum Zugang gewährte. An diesem
Tag entschlossen wir uns zur Umkehr, wenn auch sehr widerwillig, da
wir ein Vordringen in den Madeira für ausgeschlossen hielten. Der
Martinho kommt offenbar aus jenen niedern Hügeln, die seinen Lauf in
einer Entfernung von etwa 30 Kilometer schneiden und sich durch das
Fernrohr als eine unregelmäßige Kette von ungefähr 300 Meter Höhe
darstellen. Wir hatten gehofft, daß er in den Gy-Paraná (oder Machado),
einen Nebenfluß des Madeira, führen würde, der in diesen Fluß bei der
Niederlassung von Humaitá mündet. Die Entdeckung, daß dem nicht so war,
erfüllte uns mit großer Sorge. Denn die Lebensmittel gingen auf die
Neige, und noch hatten wir 500 Kilometer zurückzulegen, in einem wilden
Land, den Tapajóz hinab, bis Itaituba.

Unsere Lage besserte sich jedoch auf unvorhergesehene Weise. Die harte
Arbeit beim Fortstoßen des Kanus sowie das Wegräumen von Baumstämmen
und anderen Hindernissen hatte uns alle drei erschöpft. Da es von
wesentlicher Bedeutung war, die Rückfahrt, glücklicherweise mit der
Strömung, so bald als möglich anzutreten, war eine ausreichende
Nachtruhe äußerst wünschenswert. Aber während der Dunkelheit mußte
trotzdem beim Kanu und Lager Wache gehalten werden, und da meine
mittelmäßigen Fähigkeiten in der Behandlung des Fahrzeugs bei der
Talfahrt doch von wenig Nutzen waren, erbot ich mich, die Wache zu
übernehmen. Ich konnte ja dann am nächsten Tag im Kanu während der
Fahrt ausruhen.

An diesem Abend ging die Sonne in einem besonders prächtigen
Strahlenglanz unter, dessen Farbenspiel jedoch nur im Widerschein der
Flußmitte sichtbar wurde. Eine halbe Stunde später war es finster,
und über den Urwald in unserm Rücken legte sich eine lastende Stille.
Während der Tagesstunden ist die Natur der Wildnis weniger fühlbar. Das
Schnattern der Affen, das Kreischen der kleinen Papageien, das Pfeifen
der sehr häufigen Abart eines kleinen roten Vogels, das Heulen des
Jaguars, die mörderischen Schwanzschläge eines gereizten Alligators und
das Summen der Insekten bilden ebenso viele Ablenkungen. Selbst ein
Schimmer des gestirnten Himmels oder ein Strahl des Mondes dient dazu,
das nächtliche Düster des tropischen Waldes zu mildern. In den früheren
Lagern am Tapajóz war uns denn auch immer, dank der Breite des Flusses,
die eine oder andere dieser freundlichen Erscheinungen beschieden
gewesen.

Hier stiegen die Stämme der Bäume wie mächtige Säulen empor bis
zu einer Höhe von 20 Meter. Gegen den Boden zu, wo sie in grotesk
gebildete Strebepfeiler auswuchteten, mochten sie wohl einen
Durchmesser von über drei Meter haben. Unter einer riesenhaften
Itauba (~Acrodiclidium itauba~) hatten wir das Lager aufgeschlagen.
Sie besitzt ein sehr hartes, schwer faulendes Holz, das den Tausenden
von Insekten Widerstand leistet, die sonst einen schlecht gewählten
Lagerplatz zu überfallen pflegen. Von dem dämmrigen Gewölbe senkten
sich die Wedel der Miritypalmen herab. Lianen schlangen sich wie
Drahtseile um die Stämme und hingen in Schleifen und Knoten von den
Ästen, unter ihnen die Cipórebe oder Mordliane, die die Bäume in
ihre erstickende Umklammerung zieht. Jenseits der winzigen Lichtung
lag ein grauer, vermoderter, von Ameisen ausgehöhlter Baumstamm, ein
Zeuge ihrer zerstörenden Kräfte, über dem zersplitterten Unterholz.
Die Luft war schwül und drückend, von einer feuchten Kühle nach der
großen Hitze des Tages. Als das Düster zunahm, glich die Umgebung dem
nächtlichen Kirchenschiff einer Kathedrale, mit zahllosen Pfeilern,
die aus der dunklen Tiefe emporwuchsen und sich oben in der Dunkelheit
verloren.

Die völlige Finsternis wurde nur durch einen schmalen Strich des
Mondlichts in der Mitte des schnell strömenden Flusses unterbrochen.
Nur einmal während der langen Nacht drang ein Laut durch die unirdische
Stille dieser tropischen Waldwildnis. Sein Klang war so unheimlich, daß
mich ein Schauder erfaßte. Ein scharfer und durchdringender Schrei, wie
von einem Menschen, kam von einer Lichtung in der Nähe. Untersuchen war
unmöglich. Auch nur einige Schritte in den verfilzten Urwald hinein
zu machen, hätte sichern Tod bedeutet. So blieb die Herkunft des
Schreis ein Geheimnis. Wahrscheinlich war ein Bewohner des Dschungels
in die Umschlingung einer Anakonda oder zwischen die Kinnladen eines
aufgestörten Alligators geraten.

Es mag seltsam erscheinen, daß ich keinen Versuch machte, das Rätsel
des Schreis aus den Tiefen des Waldes zu lösen. Aber es war unmöglich,
während der Nacht im dichten Dschungeldickicht auf die Suche zu gehen,
und außerdem wußte ich auch, daß verschiedene Affenarten, besonders
die ~Simia mycetes~ oder Brüllaffen, unheimliche, fast menschliche,
auf weite Entfernungen vernehmliche Laute hervorbringen. Auf späteren
Reisen gewöhnte ich mich mehr oder weniger an plötzliche und unirdische
Laute während der nächtlichen Stille, da auch eine gewisse Vogelart ein
halbmenschliches Geschrei ausstößt.

Als sich die ersten helleren Streifen des neuen Tages zeigten, machten
wir uns an ein dürftiges Mahl und trafen eiligst unsere Vorbereitungen
zur Abfahrt. Während wir noch damit beschäftigt waren, ließ sich von
flußaufwärts der rhythmische Schlag von Rudern hören, begleitet von
gutturalen Rufen. Meine Flinte war in einer leeren Biskuitbüchse
verstaut, um sie bei etwaigem Kentern des Boots mitten im Wasser zu
sichern. Ehe es mir noch gelungen war, sie herauszunehmen, schoß ein
Kanu, voll von nackten Wilden, um die nächste Flußbiegung.




5. Im Land der Apiacásindianer.


Die Überraschung der Indianer war offenbar noch weit größer als unsere,
und ihr roh ausgehöhlter Baumstamm, der keinerlei Ansprüche an Form
oder Stabilität stellte, kenterte beinahe. Da sie nicht imstande
waren, in der schnellen Strömung das Fahrzeug anzuhalten, trieb es
flußabwärts und würde an unserm Lagerplatz vorbeigefahren sein, wäre
es nicht durch die Hindernisse aufgehalten worden, die unsere Reise
am vorhergehenden Tag zu einem Ende gebracht hatten. Die krampfhaften
Anstrengungen der Indianer, einem Zusammenstoß und gleichzeitig einer
Landung mitten unter uns zu entgehen, entbehrten nicht der Komik, wenn
uns auch zunächst die Alligatoren Sorge machten. Wie es kommen mußte,
kam es. Das unhandliche Fahrzeug legte sich mit der Seite gegen das
Flußhindernis und erst, nachdem wir zum Zeichen der Freundschaft unsere
Waffen ostentativ weggeworfen hatten, landete der Indianer mit seinen
drei Weibern und seinen Kindern auf dem einzigen trockenen Platz in der
ganzen Gegend.

Neugierde auf Seite der Weiber überwand bald die natürliche Scheu der
Wilden. In einer halben Stunde hatten sie alles im Lager untersucht und
wandten nun unglücklicherweise ihre Aufmerksamkeit mir zu. Es begann,
als ich meine Hemdärmel umstülpte. Zuerst blickten sie zweifelnd
auf mein Gesicht und deuteten mir durch Zeichen an, es im Fluß zu
waschen; dann kniffen sie mich in die Arme und würden, ganz gegen
meine Absicht, ihre unheilige Neugier nach der Beschaffenheit meines
ganzen Körpers auf verschiedene Weise noch weitergetrieben haben, hätte
ich nicht versucht, ihre Aufmerksamkeit durch Geschenke abzulenken.
Dadurch versetzte ich sie in einen wahren Freudentaumel. Der Vater der
Familie hatte bisher abseits gestanden. Wahrscheinlich hatte er schon
öfters Weiße gesehen und nur sein Weibervolk in der Abgeschiedenheit
der Urwälder gehalten. Jetzt grinste er begierig. Sie sprangen ohne
Rücksicht auf etwa vorhandene Alligatoren in den schmutzigen Fluß,
lachten, schrien und rollten sich im Schlamm. Dann begannen sie, ohne
sich zu reinigen, ein Lager aufzuschlagen, während wir ihren Herrn und
Gebieter über den Stand unserer Speisekammer unterrichteten.

Diese Apiacásweiber hatten bald aus Palmwedeln und mit Schlamm
bedeckten Zweigen einen rohen Unterschlupf fertig. Küchengerätschaften
schienen sie nicht zu besitzen, außer einem irdenen Tiegel. Nachdem
der Indianer, der allein bekleidet war, versprochen hatte, durch eine
Jagdbeute an Wild und Fischen unsern Vorräten aufzuhelfen, entschlossen
wir uns, noch mehrere Tage im Lager zu bleiben, ehe wir uns den Tapajóz
hinab auf die Fahrt nach Itaituba und was sonst am Amazonenstrom an
Zivilisation zu finden ist, machten.

[Illustration: Eingeborenenboote

an dem Boothdampfer bei der Abfahrt von Santarem.]

[Illustration: Caripunasindianer in einem „Einbaum“ auf dem
Mutum-Paraná.

Das Fahrzeug besteht lediglich aus einem ausgehöhlten Baumstamm. Die
Enden sind offen.]

Es zeigte sich, daß die Weiber nur selten Weiße gesehen hatten, obwohl
sie offenbar schon mit Kautschuksammlern zusammengetroffen waren, die
aber weder schwarz noch weiß sind, sondern sowohl im Gesicht wie am
Körper von einem matten Gelbbraun. Sie versuchten, durch Zeichen zu
erfahren, zu welchem Zweck wir in diese abgelegene Gegend gekommen
wären, indem sie an die riesigen Kautschukbäume klopften, wie sie
in diesen Wäldern in Massen vorkommen. Als ich den Kopf schüttelte,
schienen sie beunruhigt. Natürlich war ich nicht imstande, sie durch
Zeichen über meine Reiseabsichten aufzuklären und hatte auch nicht
den Wunsch, dies in Hinsicht auf meine Begleiter zu tun. So begnügte
ich mich mit einigen beruhigenden Gebärden. Wenigstens waren sie
so gemeint. Ich wußte, daß die Ängstlichkeit aller Waldbewohner im
Amazonengebiet, wo immer Kautschukbäume wachsen, von der barbarischen
Behandlung herrührt, die sie früher von gewissenlosen Kautschuksammlern
erfahren haben. Man zwang sie nicht nur, bei Strafe der Auspeitschung,
den kostbaren Saft zu sammeln, sondern auch unsagbare Schändlichkeiten
wurden an ihren Weibern verübt.

Nachdem die Freundschaft hergestellt war, folgte das Austauschen
vertraulicher Mitteilungen. Die Indianer gehörten zu einem Dorf, das
einige Kilometer vom Flußufer entfernt und noch nie von Sklavenzügen
der Kautschukpflanzer berührt worden war. Ehe die brasilianische
Regierung das Indianer-Schutzamt einsetzte, von dem noch zu sprechen
sein wird, waren solche Raubzüge an der Tagesordnung.

Die Apiacás bewohnen ein Waldgebiet von etwa 350 Geviertkilometer
an beiden Ufern des Tapajóz und auch am Unterlauf des Rio Manoel.
Sie sprechen die Tupisprache und haben viel Gemeinsames mit Stämmen,
die ich später in den Tälern des Madeira und Aripuanan antraf. Ihr
Charakter ist nicht ganz zuverlässig, und sie setzen allen Eingriffen
der Weißen Widerstand entgegen, haben aber der Regierung lange nicht so
viel Verlegenheiten bereitet wie die Parintintinsindianer am Gy-Paraná
und Maicy. Keiner dieser Indianer trägt Lippenschmuck, in die Lippen
eingesetzte Verzierungen aus Muschelschalen oder Bein. Die Weiber
waren bis auf einen dünnen Grasschurz völlig unbekleidet. Sie trugen
Fußringe, vermutlich als Zeichen, daß sie entweder verheiratet oder
heiratsfähig waren. Eine Witwe, die zu alt ist, um noch einen Mann zu
bekommen, schneidet beide Fußringe ab, um anzudeuten, daß sie sich mit
ihrem Los abgefunden hat. Legt sie nur einen Fußring ab, so heißt das,
daß sie bereit ist, wieder zu heiraten. Trägt aber eine verheiratete
Frau gar keinen Fußring, so bedeutet es Untreue oder daß sie gegen die
Wünsche ihres Stammes geheiratet hat. Ich glaube wenigstens, das so
verstanden zu haben, soweit eben Zeichen, Zeichnungen und nachahmende
Gebärden eine vollständige Verständigungsmöglichkeit ersetzen können.

Die Apiacás tragen ihr glänzend schwarzes Haar vorn auf der Stirn in
Fransen geschnitten und über den Rücken lang herabhängend, wie viele
andere Stämme des Amazonengebiets. Männer, Weiber und Kinder haben
die gleiche Haartracht. Die Amulette, die beide Arme zieren, sind aus
Bein oder Fasern und dienen als Schutzmittel gegen die Gefahren der
Wildnis. Die Kinder gingen völlig nackt und sahen recht gesund und
handfest aus. Der Junge, den ich auf ungefähr zwölf Jahre schätzte,
trug den dünnen Körperriemen und die Fasernhose, die beim Schlüpfen
durch das Dschungeldickicht Verletzungen verhüten sollen. Der Vater
dieser Bronzefamilie war mit Rock und Hosen aus grobem, einheimischen
Stoff bekleidet und mit einer alten Schrotflinte bewaffnet, die er aber
nicht zur Jagd gebrauchte. Er zog einen schöngeschnitzten Speer vor,
der schließlich im Tausch gegen ein gutes schwedisches Taschenmesser in
meine Sammlung überging. Weiße hatte er bereits auf den Ufern gesehen
und schien ihnen viel mehr zu mißtrauen als seine Weiber, die in ihrer
Unwissenheit glücklich waren.

Erst am zweiten Tag ihres Aufenthalts im Lager bemerkte ich, wie eins
der Weiber ein Trinkgefäß aus dem Kanu holte, um es mit Wasser aus dem
Fluß zu füllen. Nach einigen Minuten gelang es mir, das Gefäß genauer
zu betrachten, und ich muß gestehen, daß mich ein leiser Schauder des
Ekels beschlich. Es war ein menschlicher Schädel, dessen Augen-, Nasen-
und Ohröffnungen mit schmutzigem roten Lehm verstopft waren.

Die Unterhaltung ging nicht sehr rasch vonstatten, da sie durch Zeichen
geführt werden mußte. Als ich versuchte, etwas über die Herkunft dieser
greulichen Reliquie herauszubekommen, war das Ergebnis ein wenig
überraschend. Augenscheinlich handelte es sich um eine hochgehaltene
Kriegstrophäe, deren Besitz eine Quelle des Stolzes bildete. Auf
meine Fragen begann das Weib, mir mimisch einen Kampf vorzuführen.
Schließlich ergriff sie ein nacktes Kind, das uns zusah, und tat,
als ob sie seinen Kopf mit einem scharfen Messer aus Fischknochen
abschnitte. Das Geschrei des Kindes brachte den Vater herbei. Er
erschien mit einem mörderlich aussehenden Speer, der mit Büscheln aus
Vogelfedern verziert war. Aber offenbar sind die Apiacás nicht ohne
Sinn für Humor, denn er grinste, als ihm die Ursache des Geschreis
klargemacht wurde.

Nachts sollte auf einer Reihe von Sandbänken flußaufwärts auf die
Schildkrötenjagd gegangen werden. Es war eine merkwürdige Unternehmung,
an der auch die Weiber teilnahmen. Fackeln aus harzreichem Holz wurden
angezündet und die Kanus an die seichten Schlammstellen hingebracht.
Die Flammen warfen ein düsteres Licht auf die Mauern des Waldes und
die schweigende, rasch dahinströmende, schwarze Flut. Es war nicht
die Zeit des Eierlegens, daher befanden sich die Schildkröten an den
Untiefen der Sandbänke, wo sie vor den gefräßigen Alligatoren und den
beutegierigen Jaguaren in Sicherheit waren. So geschickt handhabte
der Indianer seinen langen, dünnen Speer, daß er in weniger als
einer halben Stunde drei Stück der kleineren Art aufgespießt hatte,
die Tracajaas genannt wird. Später sah ich in andern Gewässern des
Amazonas, wie man diese Geschöpfe harpunierte, mit dem Lasso oder in
Fallen fing und ihrer Eier beraubte.

In dieser Nacht schien der Urwald nicht so verlassen wie sonst. Ich
saß neben dem Feuer, obwohl die Nacht warm war, und versuchte von
einem sehr schläfrigen Apiacásindianer Auskünfte zu erhalten über die
Sitten und den Glauben dieses „wilden“ Stammes. Alles, was ich erfuhr,
war, daß die Köpfe der im Kampf getöteten Feinde als Kriegstrophäen
abgeschnitten würden. Doch war dieser Brauch kürzlich vom Administrator
in Bocca S. Manoel verboten worden. Die Apiacás glauben, daß die
Seelen der Abgeschiedenen in Vögeln oder Tieren wiedergeboren werden,
und zwar in jenen Arten, die sie selbst während ihres Lebens am
charakteristischsten zur Darstellung bringen. Den Mond halten sie für
einen bösen Geist, dessen Diener in den dunklen Gewässern der Flüsse
hausen. Sie ziehen den waghalsigen Indianer in die Tiefe, der allein
in seinem kalten, weißen Licht badet. Merkwürdigerweise spielen die
Alligatoren keine Rolle in dieser überirdischen Tragödie. Daß Baden
in Gesellschaft sicherer ist, erklärt sich durch das Herumplätschern
im Wasser. Ich versuchte das dem Indianer auseinanderzusetzen, aber
seine Antwort war verblüffend. Diese niedrigstehenden Menschenwesen
glauben, daß der Alligator den Mond ebenso fürchtet und vorzieht,
seine Mahlzeiten bei Tageslicht zu verzehren! Die Apiacás sind nicht
tatauiert, ungleich den Mundurucus, und scheinen nur sehr wenig
seltsame Zeremonien zu haben. Darin unterscheiden sie sich von den
Uaupés des brasilianischen Guyana, die den blutigen Juriparidienst
ausüben.

Es machte mir viel Verdruß, daß ich das Dorf der Apiacás im dichten
Wald nicht besuchen konnte, aber der Mangel an Lebensmitteln ließ
die Rückkehr zur Zivilisation gebieterisch erscheinen. In diesem
Zusammenhang dürfte die Erfahrung interessieren, daß der Weiße
nicht sehr lange von den Naturprodukten des Waldes zu leben vermag,
ohne der Beri-Beri-Krankheit zu verfallen. Sogar die Eingeborenen
leiden schrecklich unter dieser und andern verheerenden Seuchen. Die
Schwindsucht fordert alljährlich zahlreiche Opfer. Die an diesem und
andern Leiden Erkrankten werden bei den Halbzivilisierten in eigenen
Dörfern untergebracht, wo sie eine Zeitlang von alten Weibern gepflegt
werden. Die Unheilbaren begräbt man auf ihren eigenen Wunsch lebendig.

Ich fertigte eine rohe Kartenskizze des Flußlaufs an und erfuhr,
daß zwischen dem kleinen Martinho und den Zuflüssen des großen
Madeiraflusses keine Verbindung besteht. Nach den Angaben des Indianers
dehnten sich die niedrigen Hügel vor uns „drei Sonnen“, drei Tagereisen
weit aus. In den Wäldern jenseits der Hügel sollte ein Stamm sehr
kleiner Menschen von blasser Farbe leben. Eine Angehörige dieses
Stammes traf ich später an einem Nebenflusse des Aripuanan. Es war ein
Mädchen andern Stammes, das offenbar in Gefangenschaft geraten war. Sie
war ganz wild und maß nur vier Fuß. Dem Anschein nach gehörte sie zu
einem Nebenzweig der großen Nambiquarasfamilie von Matto Grosso, obwohl
ich mir darüber nicht sicher bin. In einem spätern Kapitel werde ich
darauf noch zurückkommen.

Am nächsten Tag beluden wir das Kanu mit Fisch, Schildkrötenfleisch,
Früchten, einer Art wilder Pfeilwurz und unsern sehr spärlichen Resten
an „zivilisierten“ Nahrungsmitteln. Dann rüsteten wir uns zur Abfahrt.
Ich tauschte einige Handelswaren gegen ein paar rohe Sammelgegenstände,
und nachdem wir noch einige Geschenke verteilt hatten, paddelten wir
den Fluß hinab und entgingen knapp einem ernstlichen Unfall beim
Wegräumen des Hindernisses, das den Einbaum des Indianers zum Anhalten
gezwungen hatte.

Auf der Rückfahrt legten wir an einem Regierungsposten nahe Bocca S.
Manoel an. In Pará war mir von dem Vorhandensein dieser Station nichts
gesagt worden. Auch meine beiden Caboclos wußten nichts von ihr, noch
war sie auf irgendeiner meiner Karten eingezeichnet. Der Administrator
befand sich irgendwo flußabwärts, aber sein Assistent hatte die Güte,
uns nicht nur mit einem kleinen, für ein bis zwei Tage ausreichenden
Vorrat an Nahrungsmitteln zu versehen, sondern mir auch den ersten
Einblick in die Aufgaben des Indianeramtes der Vereinigten Staaten von
Brasilien zu verschaffen.

Ein großer Teil der Arbeit an den Zuflüssen des Amazonenstroms wird
von den Beamten des Indianeramtes bei Nacht an den weiten Grenzen
des Unbekannten ausgeführt. Die ungeheure Fläche der kartographisch
nicht aufgenommenen Waldgebiete ist in rohe Abschnitte geteilt, und
jedem wird ein Offizier zugewiesen, mehrere bewaffnete Wächter und ein
oder zwei Dolmetscher. Während des Tages ist der tropische Dschungel
erfüllt von den Lauten des wimmelnden Tier- und Insektenlebens.
Nachts aber, wenn nichts zu hören ist, als zuweilen das Gebrüll eines
Jaguars, nehmen diese Leute ihren Posten ein auf einer hoch oben in
den Baumwipfeln erbauten Plattform. Dann senden sie mittels eines
Lautsprechers Botschaften von Freundschaft und Frieden weit über die
dunkeln, schweigenden Wälder.

Die Eingeborenen in ihren Maloccas werden durch die seltsamen Töne
geweckt und lauschen zitternd den Erzählungen von der Ankunft ihrer
blaßgesichtigen Brüder, die allen Geschenke bringen werden. Das
Merkwürdigste ist für sie, daß die Stimme aus den Wipfeln der Bäume
kommt und in ihrer eigenen Sprache redet.

Auf andern Außenstationen im Innern Brasiliens, unter den wilden
Javahés, die geschickt mit dem Blasrohr und vergifteten Pfeilen
umzugehen wissen, wurde Musik mit Erfolg zum Zweck einer „friedlichen
Durchdringung“ angewendet. Wenn das tausendfältige Lärmen der Affen,
Papageien, Jaguare, Pumas und Insekten verklungen ist und der tropische
Riesenmond seine Strahlen über den düstern Urwald sendet, schwimmen
die Töne einer Violine durch den Säulenwald. Die Wilden in ihren
versteckten Dörfern in den Tiefen der dunkeln Wälder werden von dem
Gesang eines neuen, wundervollen Vogels geweckt. Ihre Neugier erwacht,
und sie folgen den Klängen. Ohne Scheu umstehen sie im hellen Mondlicht
den Baum, der den Spieler verbirgt. Dann schweigt der Gesang und an
seine Stelle tritt eine Stimme, die in ihrer Sprache zu ihnen redet und
von all den schönen Dingen erzählt, die Abgesandte der Weißen ihnen
bringen werden. Die erschrockenen Wilden gleiten wie Schlangen in
den Schutz des dunkeln Waldes zurück, aber die Friedensbotschaft ist
ergangen und gehört worden.

Ein anderer Kunstgriff, „Anlockungsposten“ genannt, dient dazu, das
Werk der Versöhnung zu vollenden. Gassen werden durch das Dickicht
geschlagen, die von dem Lager in den Urwald hinausführen. Alle
Kilometer etwa entlang diesen bezeichneten Pfaden werden Geschenke
an die Bäume gehängt zusammen mit kurzen Botschaften in indianischen
Schriftzeichen, die die friedliche Gesinnung der Weißen klarmachen
und von noch begehrenswerteren Geschenken näher dem Lager erzählen.
Oft vergehen Monate, ehe einer der furchtsamen, aber sehr wilden
Eingeborenen im Bereich der Station erscheint. In den Stunden der
Finsternis werden die Geschenke so und so oft von den Bäumen genommen,
aber nichts geschieht dagegen. Nur wird in den Botschaften, die jedem
neuen Geschenk beigelegt sind, betont, daß Heimlichkeit bei der
Annäherung an die Bäume und das Lager unnötig ist und daß die Weißen
die Gegend verlassen werden, wenn die Indianer nicht kommen, um ihnen
für die bereits empfangenen Gaben zu danken.

Der Erfolg derartiger Methoden war beträchtlich. Schließlich nähern
sich die Indianer der Station, und dann ist fast stets Freundschaft das
Ergebnis. Doch wurden auch in mehr als einem Fall Versuche gemacht,
die Lager des Indianeramtes zu überfallen, und tapfere Offiziere mit
ihren Wächtern und Dolmetschern haben dabei ihr Leben eingebüßt. Wenn
erst ein gewisser Grad freundschaftlichen Verkehrs erreicht ist,
werden die Indianer entweder umsonst mit Gerätschaften für die Bebauung
der kleinen Flecken Erde versehen, die zur Urbarmachung innerhalb der
Wälder geeignet sind, oder gegen eine jährliche Entschädigung bei
irgendeiner leichten Regierungsarbeit beschäftigt. So wurden z. B. die
Paressís, eine höchst kriegerische Nation im Innern Brasiliens, dazu
verwandt, die Überland-Telegraphenlinie zu bewachen, die den Staat
von Matto Grosso mit dem Madeirafluß verbindet. Ehe mit ihnen durch
jene Mittel Frieden geschlossen worden war, hätte die Telegraphenlinie
unmöglich erbaut und über Hunderte von Kilometern dichten tropischen
Urwalds hin unterhalten werden können. Sie wäre ebenso schnell als
errichtet wieder zerstört worden, und selbst die Einrichtung einer
Kette militärischer Posten in diesen Fiebergegenden hätte nicht
vermocht, sie zu retten.

Wenn das Gebiet eines bestimmten Stammes der Zivilisation zugänglich
gemacht worden ist, verlegt man die Posten weiter hinaus in das
Riesenmeer der Wälder, das fast das ganze tropische Südamerika an
seiner breitesten Stelle auf 5000 Kilometer hin bedeckt. Aus den auf
solche Weise friedlich eroberten Gebieten werden große Flächen als
„Indianer-Reservationen“ abgeteilt, und es wird Sorge getragen, daß die
auf ihnen lebenden befreundeten Stämme von gewissenlosen Händlern nicht
ausgebeutet werden.

Die Leistungen der tapferen Schar mußten hier ausführlich erwähnt
werden, weil mehrere meiner Reisen in unerforschte Teile des Gebiets
und viel von dem, was ich zu erzählen habe, ohne ihre Hilfe und ihren
Beistand nicht zustande gekommen wären.

Gegen den 16. Juni begannen die verhältnismäßig kleinen Rationen
ihre Wirkung auf mich ausüben. Dazu kamen noch der harte Kampf
mit Stromschnellen, Wasserwirbeln und schwimmenden Hindernissen
und die Strahlen der glühenden tropischen Sonne. Das getrocknete
Schildkrötenfleisch war aufgezehrt, und von „zivilisierten“
Nahrungsmitteln, die wir in Bocca S. Manoel erhalten hatten, waren
uns nichts als einige Biskuits und etwas französische Schokolade
verblieben. Merkwürdigerweise stieß gerade an diesem Tag dem Kanu ein
anscheinend ernstlicher Unfall zu, während wir noch über 80 Kilometer
von dem ersten Vorposten der Zivilisation entfernt waren. Als wir uns
bemühten, einem daherschwimmenden Baum auszuweichen, wurde der Bug von
irgendeinem versunkenen Gegenstand eingedrückt, und das Kanu begann
sich so schnell mit Wasser zu füllen, daß wir nur durch kräftiges
Paddeln vor dem Untersinken noch eine sandige Landzunge zu erreichen
vermochten.

Der tatsächliche Schaden war nicht groß und bald wieder mit Rinde aus
dem Wald behoben, aber alles, der Rest der Biskuits und der Schokolade
mit eingeschlossen, war tropfnaß und äußerst unschmackhaft geworden.
Zu diesen kleinen Unannehmlichkeiten kam die weit schwerer wiegende
Verzögerung. Als wir wieder weiterfahren konnten, waren zwei Nächte und
ein Tag ungenützt verflossen.

Wenn man sich lange Zeit hindurch gut genährt hat, bedeutet das
zeitweise Fehlen ausreichender Nahrung nur eine Unannehmlichkeit. Aber
nach sechs Wochen eines verhältnismäßig kärglichen Speisezettels und
harter körperlicher Arbeit in tropischer Hitze folgt ein schneller
Kräfteverfall dem Mangel an Nahrung. Die Qualen des Hungers, so arg
sie auch sind, gehen bald vorüber. Was bleibt, ist das krankhafte
Gefühl einer dauernden Abspannung. Glücklicherweise waren meine beiden
Begleiter in ihren Nahrungsansprüchen nicht sehr heikel. Nach einem
höchst widerlich aussehenden braungrünen Fisch verzehrten sie noch eine
große Eidechse in halbrohem Zustand.

Kanureisen auf Flüssen des Amazonas sind so monoton, daß es zuzeiten
schwer ist, einen Tag vom andern zu unterscheiden. Die Rückfahrt
den Tapajóz hinab glich aufs Haar vielen ähnlichen Fahrten während
der folgenden Monate. Die vorbeiziehende Landschaft ist immer wild
und prägt dem Reisenden ein, daß noch mehrere Jahrhunderte vergehen
müssen, ehe auch nur ein dünner Hauch der Zivilisation die Tausende
Geviertkilometer dieser Wildnis durchdringen wird.




6. Auf dem sichtbaren Äquator.


Der Rückzug den Tapajóz hinab brachte unsere kleine Expedition an den
Rand des Untergangs. Mangel an richtiger Nahrung in der Dampfhitze
begann ernstlich fühlbar zu werden, noch ehe die letzten 130 Kilometer
zurückgelegt waren. Manche Stunden wurden mit dem Versuch verloren,
Eingeborenenmehl in mehreren Palmstrohhütten an verschiedenen Stellen
des breiten Flusses zu bekommen, denn später stellte sich heraus, daß
sie alle verlassen waren. Meine beiden Caboclos wurden allmählich
widerspenstig. Jeder versuchte, sich vom Paddeln zu drücken und
verwünschte die Eltern des andern. Mich selbst machte eine Darmstörung,
wie sie unter Weißen auf den Kautschukflüssen gewöhnlich ist, weit
weniger widerstandsfähig als sonst gegen die Wirkungen der Hitze, der
Anstrengungen und der Unterernährung.

Für einen weißen Forscher ist es abseits der Hauptrouten im
Amazonengebiet fast unmöglich, sich aus dem Fluß, den Wäldern oder von
den Eingeborenen eine richtige Nahrung zu verschaffen, außer vielleicht
gelegentlich einen schlechten Fisch und Früchten, die aber auch nicht
ohne Zeitverlust und Anstrengung zu erlangen sind und damit den Vorteil
wieder wettmachen. Unvorhergesehene Verzögerungen bei der Abreise oder
beim Rückzug führen mit Sicherheit zum Untergang, wenn nicht schon von
vornherein für ausreichende Vorräte Vorsorge getroffen ist. Auf solche
Art sind in diesem geheimnisvollen Land von unvorstellbarer Ausdehnung
schon mehr Leute zugrunde gegangen als durch die Feindseligkeit und
Hinterlist der Eingeborenen.

Glücklicherweise trat ein Umstand ein, der schon vielen Reisenden
auf diesen Flüssen das Leben gerettet hat und auch meiner kleinen
Expedition ermöglichte, Itaituba vor dem Eintritt völliger Erschöpfung
zu erreichen. Wir fuhren mit der Strömung, die auf allen Flüssen
des Amazonengebiets gegen den Hauptstrom zu gerichtet ist. Ihre
Schnelligkeit hängt gänzlich ab von der relativen Wasserhöhe des
Amazonenstroms im Verhältnis zu der des betreffenden Nebenflusses. Wenn
der große Strom selbst Hochwasser führt, staut er seine Zuflüsse so
lange zurück, bis es wieder fällt.

Zu solchen Zeiten werden Tausende von Geviertkilometer Wald
überschwemmt, und die tiefliegenden Flächen in den Flußtälern bilden
noch wochenlang ungeheure und unzugängliche Sümpfe, nachdem die
eigentliche Überflutung sich wieder verlaufen hat. Es gehört eine
beträchtliche Erfahrung dazu, alle hydrographischen, topographischen
und klimatischen Umstände in Rechnung zu ziehen, um Fehlschläge zu
vermeiden. In unserm Fall ersparte uns eine falsche Berechnung der
Strömung mehrere Hungertage. Später einmal aber schwang das Pendel
nach der andern Richtung, und ich und zwei Begleiter wurden von der
Außenwelt durch mehr als 300 Kilometer Sumpf abgeschnitten, den die
sich verlaufende Flut zurückließ.

In Santarem, wo mehrere Europäer sich aufhalten, genügte eine
Ruhewoche und ein reichhaltigerer Speisezettel, um mich und die beiden
Caboclos wieder so weit herzustellen, daß wir ohne Tränenvergießen
voneinander Abschied zu nehmen vermochten. Meine Begleiter auf der
Tapajóz-Expedition, die mir eine gewaltige Enttäuschung bereitet
hatten, kehrten in ihre Heimstätten bei Pará zurück, und ich selbst
bestieg einen wirklich prächtigen, nach Manáos bestimmten Dampfer,
der kleinen isolierten und typisch amazonischen Stadt, 1675 Kilometer
flußaufwärts am Amazonenstrom.

Die Reise den breiten, sonnenhellen Strom hinauf bis zu seiner
Vereinigung mit dem Rio Negro, unterhalb jener kleinen, wundervollen
Stadt, ist voll Reiz und Interesse. Prächtige Schmetterlinge flattern
über das Deck und farbig gefiederte Vögel fliegen, aufgeschreckt
von der Bewegung und dem Geräusch des Schiffes, über den Fluß oder
die waldbedeckten Ufer entlang. Aus dem Dunkel tauchen ungeheure,
schöngefärbte Motten, angezogen von den Lichtern auf Deck. Schwimmende,
glänzend grüne Inseln und entwurzelte Bäume bieten den geierartigen
Urubú und andern seltsamen Vögeln bequeme Ruheplätze.

Hoch über den Mauern des schweigenden, grünen Waldes zieht der Adler
des Amazonas langsam seine Kreise im tiefen Blau des Himmels. Manchmal
wird die glänzende Fläche des größten aller Ströme durch das Spiel
eines Delphins unterbrochen. Riesige Fische steigen aus der Tiefe
empor, um nach den über Bord geworfenen Überresten zu schnappen,
und weit in der Ferne fällt hin und wieder der Blick auf unbekannte
flachgipfelige Ketten, ungeheure Flächen der wie Rauch erscheinenden
tropischen Wälder und offenen Campos. Es ist die Schwelle zum
Unbekannten, die auf der Landkarte eingezeichnete Straße durch ein
kartographisch nicht aufgenommenes Gebiet so groß wie ganz Europa.
Hinter jeder Windung des Stromes, jedem Igarapé, jeder entfernten
Waldfläche liegt das Geheimnisvolle. Nur die Ufer sind erforscht, und
auch sie nicht eigentlich. Rohe Palmhütten mit halbnackten Bewohnern,
die meilenweit voneinander getrennt hausen, sind die einzigen Zeichen
der Zivilisation längs dieser Tropenstraße in dem großen toten Herz des
Kontinents.

Nachts steigt das Geheimnis aus dem unermeßlichen Schweigen, den
Blitzen, die keinen Donner hervorbringen, dem eigentümlichen Gezirp der
Insekten, den Flammen riesiger Waldbrände, denen in unserer Phantasie
Jaguare, Tapire, Hirsche, Affen, Vögel, Schlangen und Hunderte anderer
Bestien in toller Flucht zu entrinnen suchen. Das Geheimnis lauert in
dem unheimlichen Schrei der Brüllaffen, dem Geheul des Jaguars, die
weithin durch die Stile der tropischen Nacht vernehmlich sind. Ist
die Natur friedlicher gestimmt, so wandelt der große, weiße tropische
Mond den dunklen Strom in einen Pfad goldenen Lichts, von dem sich
die schlanken Palmen wie Geister abheben. Hier sind die Tropen unsrer
Vorstellungen: der sternenerhellte Fluß, der wie aus Silbersand
bestehende Strand, die übers Wasser gleitenden ausgehöhlten Kanus und
der leise warme Wind, beladen mit allen Wohlgerüchen der großen Wälder
ringsumher.

In neuester Zeit ist der Amazonenstrom auch den Touristen zugänglich
geworden. Die größte amazonische Organisation hat ihn dem Weltverkehr
erschlossen und ihre Dampfer der Führung der erfahrensten Piloten
anvertraut. Seine Geheimnisse und seine Pracht liegen offen vor jenen,
die abseits der gewöhnlichen Routen im Luxus zu reisen wünschen. Da
mein Buch den Berichten über Forschungsreisen zu den entlegenen Stämmen
der Wilden gewidmet ist, bleibt mir nur wenig Raum für allgemeinere
Schilderungen von Landschaften und Erlebnissen, so ungewöhnlich oder
interessant sie auch sonst sein mögen. Die Flußstraßen, die an dem
großen Unbekannten vorüberziehen, müssen im allgemeinen außer Betracht
bleiben. Sollte sich aber einer meiner Leser entschließen, diese
einzig dastehende Reise auszuführen, die jetzt in aller Sicherheit und
Bequemlichkeit auf einem Kursdampfer von Liverpool bis Manáos, 1600
Kilometer weit stromaufwärts, unternommen werden kann, so wird er die
Erfahrung machen, daß man einen Schuß vom Deck an fast jedem Punkt der
Fahrt abfeuern und sicher sein kann, daß selbst auf dem Hauptstrom der
Schall in einer Wildnis verhallt, die noch nie vom Fuß eines Weißen
betreten wurde.

Die kleine Niederlassung Obidos, an einem Hügel des Nordufers gelegen,
ist nur deshalb erwähnenswert, weil der Strom hier verhältnismäßig
eng wird und beide Ufer ohne dazwischenliegende Inseln sichtbar sind.
Dann verbreitert er sich von neuem und strömt zwischen den wirklich
wundervollen Wänden des großen amazonischen Urwalds dahin, der an Höhe
und Dichte des Unterholzes die Wälder am Kongo oder andern tropischen
Flüssen weit übertrifft.

Am Südufer des Amazonenstroms, zwischen Obidos und Itacoatiara, liegt
die kleine Siedlung Parintins, in der Nähe der großen Flußinsel
Tupinambaranas, auf der sich eine verlassene Stadt befinden soll.
Von der kleinen, typisch amazonischen Niederlassung zieht ein Fluß
ins Land, namens Camuma. Eine zehntägige Fahrt flußaufwärts bringt
den Reisenden zur Eingeborenenniederlassung Maues, der Heimat jenes
merkwürdigen Arzneitranks, der weit und breit im Amazonengebiet unter
dem Namen „Guaraná“ bekannt ist.

Er wird von den Mauesindianern aus einer kleinen Kletterpflanze
bereitet, die zur Familie der ~Sapindaceae~ (~Paullinia sorbilis~)
gehört und nicht nur wild in den Wäldern wächst, sondern auch angebaut
wird. Die Samen werden im November gesammelt, in der Sonne getrocknet,
leicht geröstet, zu Pulver zermahlen und unter Zusatz von Wasser zu
einer Paste verrührt. Manchmal wird diese in eine wurstähnliche Form
gebracht und so, über dem Feuer erhärtet, in Matto Grosso, Bolivia
und an den Flüssen des Amazonengebiets verkauft. Die Indianer und
Caboclos bereiten daraus ein Getränk, indem sie die harten Würste auf
der getrockneten, feilenartigen Zunge des Pirarucúfisches zerreiben
und dann dem Pulver Wasser zusetzen. Auch zu merkwürdigen Zierstücken
verarbeitet man die Paste in der Form von Alligatoren, Jaguaren, Vögeln
und Schlangen, die als Sammelgegenstände in Pará und Manáos verkauft
werden.

Guaraná ist eines der verhältnismäßig wenigen amazonischen
Arzneimittel, das in der britischen Pharmakopöe aufgeführt wird. Es
gibt nicht nur ein sehr anregendes Getränk, sondern ist auch von
anerkannter Wirkung in Fällen von Dysenterie. Im Amazonengebiet
bereitet man daraus durch Zusatz von Kohlensäure ein recht
wohlschmeckendes „Mineral“-Wasser, das an Beliebtheit mit dem
althergebrachten „Assai“ wetteifert. In Maues, wo der Extrakt von
halbzivilisierten Indianern hergestellt wird, befindet sich eine
Pflanzung von Guaranábüschen, die einem Italiener gehört. Kleinere
Mengen wurden bereits in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgeführt.

In dieser kleinen Niederlassung befindet sich auch eine Station des
Indianeramtes der Vereinigten Staaten von Brasilien. Jetzt ist sie der
Mittelpunkt der Zivilisierung der früher wilden Mauesindianer.

Kehren wir zum Amazonenstrom zurück. Tage vergehen, dann erscheinen
auf einer kleinen Lichtung des Nordufers die wenigen rosa und weiß
gestrichenen Barracas und Landhäuser von Itacoatiara oder Serpa. Dies
ist der Stapelplatz für den großen Madeirafluß, der von seiner Mündung
sich nach Süden wendet, einige 130 Kilometer oberhalb Itacoatiara. Auf
seinem über 1600 Kilometer langen Lauf aus den unerforschten Wäldern
von Matto Grosso nimmt er zahlreiche Nebenflüsse auf.

[Illustration: Krieger mit Bogen.]

[Illustration: Indianerhäuptling mit Bogen und Pfeilen.]

Wir verlassen nun den Amazonenstrom, um etwa 15 Kilometer vor Manáos
in den Rio Negro einzufahren. Das Zusammenfließen der beiden Gewässer
bietet ein eigenartiges Schauspiel. Der Rio Negro führt schwarzes
Wasser, wie sein Name besagt, das sich mitten in der gelben Flut des
Amazonenstroms in großen schwarzen Flecken und kleinen Wirbeln hält.
So deutlich scheiden sich die Wasser ab, daß der Bug des Dampfers ins
dunkle Wasser taucht, während der Stern noch vom gelben umspült wird.
Hier befinden sich auch zwei nicht mehr benützte Leuchttürme, die von
den Eingeborenen die „Steine des Poraqué“ genannt werden.

„Poraqué“ heißt der elektrische Aal, den die Eingeborenen aller
amazonischen Flüsse außerordentlich fürchten wegen der schrecklichen,
zuweilen tödlichen Schläge, die er dem nackten Körper versetzt. Auf
irgendeine Weise wurde das geheimnisvolle Licht, das früher die beiden
einsamen Türme verbreiteten, mit der Wirkung jener gefürchteten
Flußbewohner in Verbindung gebracht.

Von den im Sonnenschein strahlenden, meergleichen Fluten des Rio Negro
aus gewährt Manáos einen hübschen Anblick. Weißschimmernde Häuser,
Türme und Dächer aus mattroten kanellierten Ziegeln erscheinen im
smaragdgrünen Rahmen des tropischen Dschungels, der stellenweise
durch rotbraune Erdklippen oder das blauschwarze Wasser der kleinen
Wasserläufe oder Igarapés unterbrochen wird. Beim ersten Blick wird man
an ähnliche Bilder im Osten, in Afrika, oder selbst an den Küsten des
blauen Mittelländischen Meeres erinnert. Kaum sind wir aber gelandet,
so verschwinden diese plötzlich aufgetretenen Eindrücke wieder und wir
merken, daß diese einzige amazonische Stadt, die über 1600 Kilometer
in jeder Richtung von der Zivilisation abliegt, ihre völlig eigene
Atmosphäre besitzt.

Am auffallendsten ist die moderne Aufmachung in ihrer Abgeschiedenheit.
Im Hafen erheben sich Elevatoren und Drahtseilbahnanlagen auf
ungeheueren, längs der Uferbank schwimmenden Kais, um die Unterschiede
in der Wasserhöhe -- fast 20 Meter! -- zu überwinden. Eine schöne
Straßenbahn dient nicht nur dem Verkehr in der Stadt, sondern
läuft durch den Dschungel bis zu einem Restaurant in Flores. Ein
Kraftwerk für elektrisches Licht liefert auch Strom zum Betrieb
der Ventilationsapparate und zum Kochen. Manáos besitzt eine
Trinkwasserversorgung, verschiedene Zeitungen, die das Neueste aus der
ganzen Welt bringen, ein schönes Theater mit hauptsächlich lokalen
Talenten und die fünftgrößte Münzensammlung des Erdballs, aber keine
Eisenbahnverbindung. Von jedem Punkt der Stadt aus kann man den
wilden Dschungel in zwanzig Minuten Gehzeit erreichen, und auf dem
gegenüberliegenden Ufer sind die Alligatoren fast die einzigen Bewohner
der Igarapés. Eine Eingeborene, die am Strand des S. Raymundo benannten
Stadtteils wusch, sah ihr badendes Kind plötzlich zwischen den
Kinnladen eines mächtigen Alligators. Sie sprang ins Wasser und drückte
ihre Finger in die Augen der Bestie, die darauf den kleinen braunen
Körper wieder losließ. Gleich hinter Flores wurden einsame Fußgänger
auf der einzigen Landstraße in weitem Umkreis von Jaguaren angegriffen,
in Schußweite von der Straßenbahnlinie. Vom Turm der Kathedrale sieht
man weit über dem großen Fluß die wilden, unerforschten, schwarzgrünen
Wälder, deren ungebrochene Linien sich im violetten Dunst des Horizonts
verlieren.

Die gastfreundliche englische Kolonie besitzt ihren Klub, dessen
Beschränkungen mehr in natürlichen Umständen liegen, als einer Absicht
entsprechen. Unter diesen Verhältnissen und bei dem schlechten
Zustand meiner Gesundheit war es nur natürlich, daß der beabsichtigte
Aufenthalt von ein oder zwei Tagen auf die doppelte Zeit ausgedehnt
wurde. Bei meinen drei Besuchen von Manáos bestand die größte
Schwierigkeit immer darin, wegzukommen, ohne meine vielen Freunde dort
zu verletzen. Aber das ist kein Grund, den Leser mit Schilderungen des
gesellschaftlichen Lebens in diesem kleinen Vorposten der Zivilisation
zu langweilen.

Eine seltsame Naturerscheinung zeigt sich in dieser und andern
Gegenden des Amazonengebiets alljährlich um den 24. Juni, der
merkwürdigerweise mit dem Festtag Johannes’ des Täufers zusammenfällt.
Die Wassertemperatur oberhalb der Stadt fällt plötzlich, und das in
solchem Grad, daß kleine Fische oftmals zugrunde gehen. Die Wirkung ist
auch in der Luft längs der Ufer fühlbar, besonders am Amazonenstrom
selber. Die Ansiedler an so weit auseinanderliegenden Plätzen
wie Iquitos, Manáos und Obidos beklagen sich über die plötzliche
Kälte. Während dieser wenigen Tage kann man am Äquator beinahe eine
europäische Kleidung vertragen. Die Ursache der kalten Luft- und
Wasserströmung liegt auf dem Pazifischen Ozean. Der verhältnismäßig
warme „Chinook“-Wind streicht über die höchsten Anden, schmilzt den
Schnee und pfeift durch die rauhen Pässe. Dort verliert er seine Wärme
und zieht mit dem Schneewasser durch die tropischen Wälder und über die
Steppen des Amazonengebiets.

Einige Zeit brachte ich damit zu, mir dürftige Auskünfte über den
Aufenthalt wilder Indianerstämme in den weitentlegenen Wäldern zu
verschaffen und daneben prosaische Geschäfte zu erledigen. Eines Tages
hörte ich von einem Offizier des Indianeramtes, daß einige neue Stämme
um den achten südlichen Breitengrad vorhanden sein sollten, in den
dichten Wäldern und ungesunden Sümpfen zwischen den Flüssen Madeira und
Aripuanan.

Etwa acht Monate vorher hatte ein unbekannter Stamm, wie man erzählte,
einige halbblütige Kautschuksammler angegriffen und umgebracht, die in
jene entfernten Gegenden eingedrungen waren, ungefähr 1500 Kilometer
südlich von Manáos, an der Grenze von Matto Grosso. Einem überlebenden
Caboclo war es schließlich gelungen, sich durchzuschlagen und den
Behörden in Porto Velho am Madeirafluß Kunde zu bringen.

Der Offizier, dem ich diese Auskünfte verdankte, gehörte dem tapferen
Korps an, das als Indianerschutzamt von General Rondon im Jahre
1910 eingerichtet wurde. Artikel 219 seiner Vorschrift lautet
folgendermaßen: „Keine Mühe, keine Gefahr und kein Opfer ist zu
scheuen, wenn es sich bei der Pazifikation der wilden Indianerstämme
darum handelt, ihnen zu helfen und sie vor Ausbeutung und Unterdrückung
zu schützen.“ Ich sah den tapfern Offizier nicht wieder, hörte aber,
daß er später an der Grenze Venezuelas umgebracht worden war. Kürzlich
hatte ich noch das Vergnügen, mit ~Dr.~ Bento Martins Pereira de Lemos
zusammenzutreffen, dem alten Chef des Indianeramtes im Amazonengebiet
und mit seinem Assistenten J. Gondim. Beide waren mir in weitgehendem
Maße behilflich, endgültig einige der Stämme zu identifizieren, die
ich zu verschiedenen Zeiten auf meinen Reisen in entlegenen Gebieten
angetroffen hatte. Zuletzt sah ich ~Dr.~ Lemos zwischen einem kleinen
indianischen Knaben und einem Mädchen. Noch ein Jahr früher waren beide
Angehörige eines wilden Kannibalenstammes gewesen, dem ich in den
düstern Wäldern am Aripuananflusse begegnet war. Doch davon werde ich
in einem der nächsten Kapitel erzählen.




7. Auf dem großen Madeira in das Land der Caripunasindianer.


Nach der Abfahrt von Manáos ging es flußabwärts bis zur kleinen
Niederlassung von Itacoatiara. Dort bestieg ich den Flußdampfer
„Francisco Salles“, der den Oberlauf des Madeira befährt. Ich hoffte,
in einer der kleinen Ansiedlungen auf dem Weg oder in Porto Velho, dem
Ausgangspunkt der Madeira-Mamoré-Eisenbahn, Genaueres über den Ort zu
erfahren, wo die unbekannten Indianerstämme hausen sollten. Denn man
wird sich erinnern, daß ich über ihre Jagdgründe nicht viel mehr wußte,
als daß sie in den wilden, unerforschten, 500 Kilometer langen und 300
Kilometer breiten Wald- und Sumpfgebieten liegen sollten, die sich
zwischen den Flüssen Madeira und Aripuanan um den achten Grad südlicher
Breite als Mittellinie erstrecken.

Auch die Hilfsquellen und Forschungsmöglichkeiten in dieser Gegend
waren so unbekannt wie ihre Bewohner, und die Wahrscheinlichkeit
wichtiger Entdeckungen brachte daher alle Besorgnis vor Fehlschlägen
zum Schweigen. Der Dampferverkehr endigt an der abgelegensten Eisenbahn
der Welt, der Madeira-Mamoré-Bahn, die 400 Kilometer schäumender
Katarakte auf dem Landweg umgeht. So dachte ich, daß eine auf
Augenschein beruhende Schilderung dieser Unternehmung, die nach einem
amerikanischen Ausspruch von „~Dr.~ Lovelace und Chinin“ ausgeführt
worden war, die Zeitungsleser in Europa und den Vereinigten Staaten
wohl interessieren müßte.

Ich hatte also einen zweifachen Zweck im Auge, während ich statt der
dschungelbedeckten Ufer des Amazonenstroms nun die noch dunkleren und
dichteren Wälder des großen Madeiraflusses an mir vorbeiziehen ließ.
Kaum waren wir an der großen Insel nächst der Flußmündung vorüber, als
sich der erste Unfall ereignete. Der Dampfer saß auf einer überfluteten
Sandbank fest, die sich erst kürzlich gebildet hatte, gerade gegenüber
den riesigen Imbaubabäumen von Fazendinha. Nach einer Stunde war das
kleine Fahrzeug wieder flott und konnte seinen Weg gegen die starke
Strömung fortsetzen. Meilenlang strömte nun der Fluß zwischen dichten
Uferwäldern dahin. Nur eine Reihe von Inseln unterbrach seinen Lauf,
wie Urucurituba, Ypringa und viele andere. An mehreren kleinen, mit
Palmstroh gedeckten Hütten ging es vorüber, dann gab es wieder einen,
diesmal freiwilligen, Halt, um 120 Kilometer von der Mündung, an einem
Lager, Perseverança genannt, Holz einzunehmen. Hier standen zahlreiche
wilde Kautschukbäume und Kokasträucher. Wirklich, es gehört eine
besondere Art von Beharrlichkeit dazu, daß Menschen die Kraft finden,
sich in diesen feuchtheißen Wäldern abzuplacken, um einen kleinen
Dampfer mit Feuerung zu versorgen!

Bald nach der Weiterfahrt trafen wir auf eine weite Fläche
überschwemmten Waldes und auf offenes Wasser, obwohl die Ufer bisher
ziemlich hoch gewesen waren. Wir befanden uns in der Nähe des Furo
das Guaribas (Affenloch) am Prepriocassee, der seine niedern Ufer
überflutet und sich mit dem Madeira vereinigt hatte. Dann schlossen
sich wieder die dichten Wälder um uns zusammen und begleiteten uns
bis zur kleinen Ansiedlung von Borba, die wir am Morgen des dritten
Tages erreichten. Ihre wenigen verfallenen Lehmhäuser, Barracas und
Strohhütten stehen auf einer steilen erdigen Bank, vom dichten, dunkeln
Urwald eingefaßt. In der Mitte des Dorfplatzes erhebt sich gegen den
Fluß zu eine winzige Kirche. Die Schule war geschlossen, weil kein
Lehrer hatte bleiben wollen, und die Blicke der paar halbnackten
armseligen Caboclofamilien sprachen von hilfloser Verlassenheit,
Beri-Beri und Malaria.

Hinter Borba erschienen einige merkwürdige Felsriffe, die auf dem
Ostufer sich auf etwa 300 Meter landeinwärts erstreckten. Die Höhe der
Bäume nahm zu, und die Schatten unter ihren Kronen wurden schwärzer.
Hier und da leuchteten aus der düstern grünen Wand die gelben Blüten
des Pao d’arco, des berühmten amazonischen Baumes. Die Ufer waren
niedrig und sumpfig. Dann ging es plötzlich um eine Flußbiegung, und
bald darauf wurde die Mauer des Waldes von der Mündung des Autazflusses
unterbrochen. Gegenüber kamen wir an einer Barraca vorüber, und an
Stelle des Waldes trat niederer, verfilzter Dschungel. Wir mußten nun
durch die gefährliche Marapity-Enge, die wir kaum hinter uns hatten,
als sich schon die unter dem Namen „Pedras dos Ganchos“ bekannten
Felsen vor uns aus dem Fluß erhoben, dessen Oberfläche in eine Reihe
von Strudeln und Wirbeln aufgelöst schien. Rundumher nichts als
Igarapés, Seen und wilder Wald.

Bald nachdem wir die Alligatorinsel umfahren hatten, an der vor
vielen Jahren die Greavesexpedition gescheitert war, erreichten wir
Vista Alegre mit seinen Wäldern brasilianischer Nußbäume, seinen
zweistöckigen Häusern und einer kleinen Missionsstation. Die Ufer
liegen hier höher und sind stärker bevölkert. Die Murasindianer, die
einstigen Bewohner dieser Gegend, wurden von kriegerischen Stämmen im
Süden beinahe ausgerottet, und vom Fluß aus bekam man ihre Maloccas
nicht zu Gesicht. Die Strömung ist hier sehr stark und bildet
zahlreiche Strudel. Die Vegetation macht den Eindruck noch größerer
Üppigkeit als an den Ufern des Amazonenstroms.

Einige Meilen weiter, hinter der unbedeutenden Niederlassung von
Taboçal, kamen wir an einem kleinen Friedhof vorüber. Zahlreiche
Holzkreuze bezeichnen die letzten Ruhestätten der Opfer dieser
ungesunden Flußgegend. Auch der Forscher Alvez hat hier sein Grab
gefunden. Dann tauchten die Aripuananinseln auf an der Vereinigung des
gleichnamigen Flusses mit dem Madeira.

Zwischen diesen beiden sich gabelnden Flüssen liegt das große, fast
unerforschte Gebiet, in dessen halbdunkeln Wäldern sich irgendwo die
Maloccas und Jagdgründe der von mir gesuchten Indianerstämme befanden.
Ich glaubte sie jedoch nicht näher als etwa 300 Kilometer südlich der
Mündung vermuten zu sollen, und die Frage erhob sich, welcher der
beiden Flüsse als zweckmäßigste Zufahrtslinie in Betracht käme. Bis
jetzt war es mir nicht möglich gewesen, außer vagen Behauptungen über
das Vorhandensein wilder Stämme verläßliche Auskünfte zu erhalten.
Da ein Eindringen in die Wälder und das kaum bekannte Flußbecken mit
großen Gefahren verknüpft war, schien es nicht geraten, den Dampfer
zu verlassen und Vorbereitungen für eine Fahrt den Aripuanan hinauf
zu treffen. Ein Schiffsverkehr besteht auf ihm nicht, und so hätte es
eine Kanureise von 1200 Kilometer ins Unbekannte hinein bedeutet, um
mit Erfolg durchzuführen, was nur einer wohlausgerüsteten Expedition
gelingen mochte. Tatsächlich hat eine solche später den Aripuanan von
seiner Quelle bis zu seiner Vereinigung mit dem Madeira befahren.

Was mir vorschwebte war, einen bessern Annäherungspunkt zu den
unerforschten Wäldern zwischen den beiden Flüssen aufzufinden, und
nach mehreren Versuchen hatte ich damit auch Glück. Ich entschloß mich
nämlich, den Madeira noch weiter hinaufzufahren und einige seiner
kleinen östlichen Nebenflüsse zu untersuchen.

Während der nächsten 120 Kilometer bot die Landschaft nichts
Besonderes. Dann ging es zwischen Felsen und unbedeutenden
Stromschnellen durch die gefährliche Flußkrümmung bei der Urua-Insel.
Wieder schloß sich der Urwald um uns zusammen, und auf weite Strecken
war nichts sichtbar als der Saum des niedern Dschungels, hin und
wieder eine Strohhütte, eine Barraca oder das einsame Heim einer
Caboclofamilie. In dieser trübseligen Gegend erlebte ich den schönsten
Sonnenuntergang, der mir bisher beschieden gewesen war. Der ganze
Himmel stand in Flammen von Gold und Rot zwischen einem Gewoge von
Wolken. Gerade hindurch schnitt das dunkle Band der olivengrünen
Wälder, und im Widerschein des Wassers spiegelte sich die feurige Glut
des Himmels. Ein wundervolles Schauspiel, das mir mehr Eindruck machte
als die Mitternachtssonne des Nordkaps oder die Nordlichter Alaskas.
Die folgende Nacht jedoch war finster und stürmisch.

Die hübsche kleine Ansiedlung Manicoré liegt auf einer steilen Uferbank
über dem Hochwasserstand des schlammigen Flusses. Langsam geht sie der
Zerstörung entgegen, da die Ufer unaufhaltsam von der starken Strömung
unterwaschen werden. Obwohl es in Manicoré keine eigentlichen Straßen
gibt und die wenigen Häuser und Schuppen auf der bloßen und oft recht
schmutzigen Erde stehen, wirkt es doch lange nicht so verwahrlost und
trübselig wie Borba. Andererseits bietet es allerdings auch nicht das
mindeste an Interesse. Denn rings ist es vom Dschungel umschlossen, und
die Bevölkerung setzt sich zumeist aus Caboclos zusammen. Die kleine
Kirche ist das einzige Gebäude, das nicht in Trümmer fällt.

Bei der Jaguarinsel macht der Fluß zahlreiche Windungen. Man soll
den Knall eines Schusses hören können, der 30 Kilometer weiter
flußaufwärts abgefeuert wird, weil die beiden Punkte in der Luftlinie
nur 3 Kilometer voneinander entfernt sind. Hier liegt die Mündung des
ungesunden Marmellosflusses. Sein Quellgebiet soll bis an den Tapajóz
reichen, und das dazwischenliegende Gebiet befindet sich zum größten
Teil in den Händen wilder Indianerstämme. An diesem Fluß haben sich
nicht wenig Tragödien abgespielt. Auf einer Kautschukpflanzung, nur
einige Kilometer von der Mündung, starben in einem einzigen Jahr über
100 Leute am Fieber.

Auf der Jaguarinsel steht ein kleiner Seringal (Faktorei), bei dem wir
anhielten, um einige Vorräte zu laden. Man zeigte mir einen ungeheuern
Baum, der eine große Menge eines milchartigen Saftes absondert, wenn
man ihn mit dem Buschmesser anschneidet. Die Waldindianer trinken den
Saft an Stelle von Kuhmilch, und die halbzivilisierten Anwohner der
Flüsse gießen ihn in ihren Kaffee. Bei den Eingeborenen heißt der Baum
„Solu“; sein wissenschaftlicher Name ist mir nicht bekannt. Diese
Pflanzenmilch ist recht wohlschmeckend und anscheinend bekömmlich,
wenn auch, soviel ich weiß, eine chemische Analyse von ihr noch nicht
gemacht wurde. Es gibt hier buchstäblich Tausende von Heilkräutern, von
denen die Zivilisation keinerlei Kenntnis besitzt. Von den Eingeborenen
werden sie bei leichteren Erkrankungen mit wunderbarem Erfolg
angewandt, und sicher würde auf diesem Feld der Forschung eine reiche
Ernte das Studium lohnen.

Noch immer fuhren wir zwischen den Mauern der Wälder dahin. In
Jumas-Quadras, einer großen Station auf dem Westufer, gab es kurzen
Aufenthalt. Dann ließen wir die alte São-Pedro-Missionsstation hinter
uns, die verlassen und vom Dschungel überwachsen im Wald liegt, und
bekamen einige Stunden später die kleine Stadt Humaitá zu Gesicht. Sie
liegt auf einer hohen Uferbank, von der Steintreppen zum Hoch- und
Niederwassermal herabführen. Die kleine Niederlassung besitzt einige
Ziegelhäuser neben den üblichen Lehm- und Strohhütten und erfreut
sich sowohl einer Licht- wie Trinkwasserversorgung. Erbaut wurde sie
auf dem Gebiet des Oberst Monteiro, der das urbar gemachte Land, das
Stadtgebiet und die städtischen Bauten der brasilianischen Regierung
1890 schenkte. Die Bevölkerung beläuft sich jetzt auf über tausend
Köpfe.

Längs der Ufer des Madeiraflusses vollzog sich die erste Entwicklung
der Kautschukindustrie im Amazonengebiet. Da der Madeira die
Hauptverkehrsstraße nach dem nordöstlichen Bolivia bildet, bietet
sich hier die beste Gelegenheit, die Bedingungen der wenigen und sehr
dünnen Fäden einer Halbzivilisation zu studieren, die einige Teile
des toten Herzens Südamerikas durchziehen. Eine Meile vom Flußufer
entfernt stehen wir mitten im jungfräulichen Urwald, auf allen Seiten
von Barbarei umgeben. Die Dampfschiffahrt endigt in Porto Velho, von
wo die wunderbarste und gleichzeitig abgelegenste Eisenbahn der Welt,
die Madeira-Mamoré-Bahn, den Reisenden und seine Waren an 400 Kilometer
Stromschnellen vorüberträgt, um ihn an den schiffbaren Flüssen des
wilden Benigebiets in Bolivia wieder abzusetzen.

Es ist unnötig, hier die letzten 80 Kilometer auf dem Madeira, zwischen
Humaitá und Porto Velho, wie auch die Eisenbahn zu schildern, die hier
beginnt, sich am Fluß entlang zieht und in Guajara-Merim in Bolivia
ihr Ende erreicht. Porto Velho ist eine saubere, schön angelegte, mit
Beleuchtung versehene europäische Niederlassung. Hier befindet sich die
Eisenbahnverwaltung, deren Gebäude zum größten Teil durch Drahtgaze
gegen die Moskitos geschützt sind. Die Linie wurde von Brasilien
gebaut und 1913 vollendet, nachdem es durch den Vertrag von Petropolis
einige Landkonzessionen als Entschädigung von Bolivia erhalten hatte.
Ehe die Bahn bestand, mußten alle vom Atlantischen Ozean nach Bolivia
bestimmten Waren den Amazonenstrom und den Madeira hinauf befördert,
in São Antonio umgeladen und zusammen mit den Kanus über Land getragen
werden, eine Strecke von 400 Kilometer an neunzehn Katarakten
vorbei. Will man sich die Aufgabe in ihrer ganzen Riesenhaftigkeit
klarmachen, europäische Waren in das nordöstliche Bolivia auf diesem
Weg zu schaffen, der auch kaum schlechter ist als ein anderer, so
muß man sich vorstellen, daß sie erst über den Atlantischen Ozean
nach Pará verschifft werden mußten, dann etwa 1500 Kilometer auf dem
Amazonenstrom, hierauf ungefähr 1000 Kilometer auf der schiffbaren
Flußstrecke des Madeira nach São Antonio. Dort wurden sie in flache
Kanus umgeladen, die bis zur ersten Stromschnelle hinaufzufahren
vermochten. Von hier konnten die Waren auf wochenlangem Marsch nur
noch auf dem Rücken von Eingeborenen befördert werden, und dann kam
erst eine neue Flußfahrt über viele Hunderte von Kilometer durch halb
erforschte Gegenden, wo das Fieber wütete und wilde Indianerstämme
in den umliegenden Urwäldern hausten. Alles in allem eine gewagte
Unternehmung in tropischer Hitze und Witterung, die etwa sechs Monate
in Anspruch nahm!

Der Bau der Madeira-Mamoré-Eisenbahn wurde schon 1874 begonnen, aber
mehrere Expeditionen mußten, durch Fieber, Sümpfe und feindliche
Indianerstämme gezwungen, den Plan wieder aufgeben. Schließlich
wurde er doch ausgeführt, ebenso wie der Panamakanal mit Hilfe der
ärztlichen so gut als der technischen Wissenschaft. Die Amerikaner
nennen sie mit vollem Recht die wunderbarste Urwaldbahn der Welt. Es
ist aber Tatsache, daß fast jede Schwelle dieser 367 Kilometer langen
Bahnstrecke zum Grabstein eines Menschenlebens geworden ist.

Eine romantische Persönlichkeit war es jedoch, ehe auf solche Weise
die Fälle des obern Madeira umgangen wurden, und ist es in gewissem
Sinne noch heute, die den Handel und alles sonst in diesem wilden
Gebiet beherrschte. Ihr Name ist Nicolas Saurez. Würde die Geschichte
dieses Mannes jemals geschrieben, sie gäbe eine aufregende Erzählung
des Lebens in den großen Wäldern und an den Kautschukflüssen des
Amazonengebiets. Nicolas Saurez fing als Händler an und trat in
Beziehungen zu den wilden Stämmen an den Flüssen Beni, Mamoré und
Madre de Dios, denen sich zu nähern bis dahin noch kein Weißer gewagt
hatte. Bald erlangten er und seine Brüder Konzessionen, die sich von
landesherrlichen Befugnissen kaum unterschieden. Er herrschte mit
fester Hand über die wilden Indianer. Das kleinste Vergehen oder das
mindeste Zeichen von Verräterei fand eine schreckliche Sühne. Ein
Angehöriger von Saurez’ Familie wurde von den Indianern ermordet, und
schauerliche Geschichten von der Bestrafung ganzer Stämme sind in
Umlauf.

In dem Acre-Krieg bildeten Saurez’ Irreguläre eine entscheidende
Macht. Später vernichtete er die Räuberbanden von Mischlingen, die
plötzlich die Kautschukpflanzungen raubend und mordend zu überfallen
pflegten, um sich dann über die Grenze in verhältnismäßige Sicherheit
zurückzuziehen. Ein von Saurez ausgestellter Passierschein bedeutete
für Reisende und Forscher im Benigebiet weit mehr als der Paß einer
Regierung. Bei verschiedenen Gelegenheiten hatte ich das Vergnügen,
mit einem Neffen dieses „Herrschers der Beni“ zusammenzutreffen, der
in Europa erzogen worden war. Unmöglich, einen liebenswürdigeren und
kenntnisreicheren Bolivianer zu finden! Aber Unglück und Tod setzten
schließlich seinen weitreichenden Plänen für die Entwicklung seiner
Heimat ein vorzeitiges Ziel.

In Porto Velho hörte ich von einem Stamm der Caripuna-Indianer, deren
Dorf einige Meilen flußaufwärts an dem kleinen Mutum-Paranáfluß
liegen sollte. Obwohl Wilde im vollsten Sinn des Wortes, waren diese
eigenartigen Eingeborenen doch mehr oder weniger den Eisenbahnpionieren
dieser Gegend vertraut und konnten daher nicht zu den wilden und
unbekannten Stämmen gehören, deren Spuren ich nachforschte. Trotzdem
schien mir der Besuch ihres Dorfes eine Reise von etwa 200 Kilometer
wert, da ich dort genauere Auskünfte über unzugänglichere Stämme zu
erhalten hoffen durfte. Ich brachte also meinen ganzen Kram und die
Vorräte vom „Francisco Salles“ an Land und bestieg die Mamorébahn, die
mich an der Mündung des schlammigen Flusses Mutum-Paraná absetzte.

Dank der Hilfsbereitschaft der Eisenbahnbeamten dieser Wunderlinie, die
über 3000 Kilometer von jeder Zivilisation beginnt und endigt, war ich
bald im Besitz eines Kanus und zweier „gezähmter“ Caripunasindianer,
die mich von der kleinen Niederlassung in der Nähe der Mündung am
stromschnellenreichen obern Madeira flußaufwärts bringen sollten.
Nachdem wir São Antonio passiert hatten, etwa 11 Kilometer von unserm
Ausgangspunkt Porto Velho, lichtete sich der Wald, und die Farbe
des Bodens wandelte sich von einem satten Rotbraun in ein helles,
sandfarbiges Gelb. Auf dem Weiterweg verlor sich der Dschungel in
Buschwerk, und die Fahrt ging viele Meilen lang durch Sümpfe.

Der Mutum-Paraná ist ein schmaler und seichter Fluß. Hohe, dunkle
Bäume säumen seine Ufer, das Unterholz steht aber nicht so dicht
wie wohl sonst im Amazonengebiet. Stellenweise verbirgt die Wölbung
der Baumkronen völlig den Anblick des Himmels. Alles Wachstum der
Blätter und Zweige drängt sich wipfelwärts zum Licht, so daß die
Bäume den Eindruck riesenhafter Schirme machen. Es ist eine ungesunde
Gegend, und meine zwei Kanuleute, die sich der Namen „Washington“
und „Cochrane“ erfreuten, litten beide an den Anfangsstadien der
Beri-Beri-Krankheit. Sie wurden sonst von der Verwaltung beschäftigt,
die Eisenbahnangestellten mit Fischen zu versorgen und waren ganz
freundlich und umgänglich. Gekleidet waren sie in eine Art von losen
Hemden und Hosen.

Viel Interessantes war auf diesem schlammigen und halbdunkeln Fluß
nicht zu sehen, vermutlich, weil die Mauer des Matto Grosso oder
Walddickichts jeden weitern Ausblick unmöglich machte. Was über die
unmittelbaren Uferbänke hinauslag, konnte man nur beiläufig aus der
Abwesenheit von Hügelland erschließen. Die Hitze war arg, und der
Blutdurst der Moskitos und „Piums“ noch ärger als gewöhnlich. Dazu kam
noch, daß das schwere ausgehöhlte Kanu nur ein langsames Weiterkommen
gestattete. Glücklicherweise lag das Indianerdorf näher der Mündung zu,
als wir erwartet hatten, und gerade vor Sonnenuntergang bekamen wir die
mit Palmstroh gedeckten Maloccas durch den Saum des Urwalds hindurch zu
Gesicht.

Als das Kanu am Ufer anlegte, vermochte ich eben noch wild aussehende
Gestalten zu unterscheiden, die unter den Bäumen etwa 80 Meter entfernt
im Halbkreis umherstanden. Ich griff nach dem Segeltuchsack, der die
Geschenke enthielt, und sprang an Land. Obwohl der Stamm als den
Weißen nicht offen feindlich gesinnt galt, schien es mir ratsam, die
Friedfertigkeit meiner Absichten zu betonen. Daher ließ ich alle Waffen
zurück bis auf einen Revolver in der Tasche. Als ich auf die Indianer
zukam, wichen sie weder zurück, noch näherten sie sich; sie blieben
einfach still stehen und starrten mich unruhig an. Möglich, daß ihnen
einige der Eisenbahnbeamten bekannt waren und daß sie mich für einen
von ihnen hielten. Vielleicht schien ihnen auch in meiner Begleitung
durch zwei Stammesgenossen eine Bürgschaft für meine Harmlosigkeit zu
liegen. Wie dem auch sein mag, jedenfalls kamen sie allmählich zögernd
näher, als ich nun aus dem Sack Ketten von billigen Perlen hervorzog,
Taschenmesser, kleine Spiegel und andere Geschenke. Ich unterschied
jetzt Männer, Weiber und Kinder, die alle völlig nackt waren. Man hatte
mir in Porto Velho erzählt, daß die Caripunasindianer viel unter der
Gewissenlosigkeit der Kautschuksammler zu leiden gehabt hatten, die
ihre jungen Mädchen in den Wald verschleppten, um sie nach ein oder
zwei Tagen, meilenweit vom Dorf, irgendwo zurückzulassen. Behandelte
man sie aber als Menschen, so waren sie, wie es hieß, ein vergnügtes,
fügsames, wenn auch aussterbendes Völkchen.

Dem Aussehen nach gehören die Caripunasindianer entschieden zum
mongolischen Typus. Ihre Hautfarbe ist bronzen, das Haar glänzend
schwarz. Sie tragen es vorn in Fransen geschnitten und lang über den
Rücken herabhängend. Ihr Wuchs ist klein, und sie gehen gänzlich
nackt bis auf einen dünnen Faserstrick, den die Männer um die Lenden
schlingen. Die Weiber tragen an dessen Stelle einen verzierten Gürtel.
Aber beides dient dazu, den Eindruck ihrer Nacktheit eher zu erhöhen
als abzuschwächen. Säuglinge werden von der Mutter in einer Binde um
den Nacken getragen. Kochgerätschaften scheinen sie nicht zu besitzen
außer einigen rohen, irdenen Tiegeln.

Haben die Caripunas gerade keine andere Nahrung, so füllen sie
sich den Magen, indem sie Erde essen. Man kann die Wirkung dieses
Nahrungsmittels und des „Farinha“ genannten Mandiokamehls auf den
Bildern beobachten. Es wird aus den giftigen Wurzelknollen des
Kassavestrauchs gewonnen und bildet für alle halbzivilisierten
und wilden Indianer das Hauptnahrungsmittel. In dem kleinen
Eingeborenendorf am Mutum-Paraná sah ich zum erstenmal seine
Zubereitung. Kurz nach Tagesanbruch begaben sich die Weiber des Stammes
zu den „Farinha“-Öfen aus getrocknetem Lehm, unter denen fast beständig
ein Feuer unterhalten wird. Zum Schutz gegen die tropischen Regengüsse
tragen die Ofen ein niederes Dach aus Palmstroh. Die Kassavewurzeln
werden in eine Art halbkreisförmigen Trogs gelegt, der aus dem
gespaltenen Stamm einer Miritypalme ausgehöhlt ist, und dann zu Brei
zerquetscht. Das nur roh durchgeknetete Mehl wird durch ein Fasersieb
getrieben, zu einem feinen Teig verrührt und in Kuchen geformt, die man
zuweilen einige Stunden lang gären läßt.

[Illustration: Caripunasindianer beim Bogenspannen.

Man beachte die Lendenschnur und die Grasbänder an Armen und Beinen.
Die Länge des Bogens beträgt über 2 Meter.]

[Illustration: Wilde Caripunasindianer.]

In diesem Stadium der Zubereitung der Eingeborenenfarinha enthalten
die Kuchen etwas Blausäure und sind folglich giftig. Man entfernt das
Gift, indem man den Teig unter Zusatz von Wasser in einen eigenartigen
Faserbeutel einfüllt, der beim Ziehen an beiden Enden wie eine Presse
wirkt und so Wasser und Gift ausscheidet. Dies wird mehrere Male
wiederholt, ehe man das halbgetrocknete, gelblich weiße Mehl in einen
Tiegel oder offenen irdenen Topf schüttet. Dann wird der Inhalt mit
einem Stock über dem Feuer umgerührt, bis er eine gelbbraune Farbe
annimmt und nun zur Nahrung tauglich ist. Fast alle Indianer führen
diese „Farinha“, in Blätter eingewickelt, auf Jagd- oder Kriegszügen
bei sich. Ihr Nahrungswert ist jedoch sehr gering, sie treibt den Magen
auf und macht für Bleichsucht und die Beri-Beri-Krankheit empfänglich.

Mein Boy „Washington“ wußte einige englische Worte, und mit seiner
Hilfe versuchte ich, nachdem die Geschenke verteilt waren, ein
einsilbiges Gespräch zu führen, um herauszubringen, ob noch andere
Indianerstämme in dem umliegenden Gebiet hausten. Fürs erste
erfuhr ich nur, daß die Wälder fast unbewohnt waren bis auf einige
Caripunasfamilien, die über das weite Gebiet verstreut weiter südlich
lebten. Dann kam mir der Gedanke, eine rohe Landkarte auf dem Lehmboden
der Lichtung zu skizzieren, aber die Indianer zeigten nur mehrere Male
auf eine Stelle, wo etwa Porto Velho liegen konnte, weil sie offenbar
der Meinung waren, daß ich dahin reisen wollte. So schien auch dieses
Mittel zu versagen. Die Schwierigkeit lag darin, daß ich Auskunft über
die Wohnsitze von Stämmen wünschte, die nicht zur Caripunasfamilie
gehörten.

Schon wollte ich meine Bemühungen verzweifelt einstellen, als eine
vom Mutum-Paraná nach Nordosten gezogene Linie plötzlich lebhafte
Zeichen der Verneinung hervorrief. Indem ich diese Spur aufgriff,
erfuhr ich schließlich, daß viele „Sonnen“ weit weg in jener Richtung
mächtige Krieger lebten, die den Weißen ebenso haßten wie die
Caripunasindianer. Dadurch wurde die Ansicht erfahrener Forscher
in Velho bestätigt, daß die vom Madeira weit abliegenden Wälder
gegen Nordosten zu von den Parintintins bewohnt würden. In der
Nähe von Ansiedlungen waren sie nie zu sehen, galten aber für den
wildesten Stamm in dem großen amazonischen Waldgebiet. Ich sprach
den Namen „Parintintin“ aus, begegnete jedoch nur Blicken völliger
Verständnislosigkeit. Entweder war meine Aussprache des Wortes
unrichtig oder der Stamm trug bei den Indianern einen andern Namen. Auf
spätern Reisen erklärte sich die anscheinende Verständnislosigkeit,
da die einheimische Bezeichnung für die wilden Parintintins gänzlich
verschieden klingt.

Das Indianerdorf am Mutum-Paraná bestand aus sechs
Gemeinschafts-Maloccas. In jedem befanden sich die Herdfeuer dreier
Familien, die in verhältnismäßiger Eintracht, aber ohne die leiseste
Spur einer Absonderung zu leben scheinen. Das halbdunkle Innere war
voll Rauch von den Holzfeuern, die auf dem Lehmboden verglommen. Auf
der Lichtung war ein wenig Kassave angebaut.

Die Caripunas sind recht geschickte Fischer. Die Jagd auf Großwild, wie
Jaguare, Tapire oder Hirsche ist ihnen zu anstrengend, und sie ziehen
vor, Affen zu erlegen und zu verspeisen. Viele der Eingeborenen fallen
alljährlich den Bissen der zahlreichen Giftschlangen in den Wäldern des
obern Madeira zum Opfer oder lassen in den erdrückenden Umschlingungen
der Riesenschlangen ihr Leben. Die Kinder sehen für Indianer manchmal
ganz gut aus, altern aber sehr schnell. Das übliche Heiratsalter ist
zwölf oder dreizehn Jahre.

Tatauieren oder Bemalen des Körpers ist bei den Caripunas nicht
gebräuchlich. Dagegen umwinden sie Waden- und Armmuskeln mit schmalen
Faserriemen. Ob sie das in dem Glauben tun, dadurch ihre Kraft zu
erhöhen, weiß man nicht genau. Doch scheint es unwahrscheinlich,
weil der Brauch unter Männern durchaus nicht allgemein ist und auch
bei Weibern und jungen Mädchen auftritt. Die Kanus der Caripunas sind
ganz roh. Ein Baumstamm wird ausgehöhlt und zusammengebogen, so daß
die offenen Enden weit über dem Wasser liegen. Es muß nicht wenig
gefährlich sein, in diesen unhandlichen Booten die seichten, von
Alligatoren wimmelnden Flüsse und Igarapés zu befahren. Die Bewaffnung
der Männer besteht aus vergifteten Speeren und Pfeilen. Die Kriegsbogen
sind weit über zwei Meter lang, und auf nahe Entfernung treffen sie
damit recht sicher. Blasrohre, Keulen, Tanzstöcke, Macanas (eine Art
Holzschwerter) und andere Waffen oder Zeremonialgerätschaften bekam
ich bei den Caripunas nicht zu Gesicht, wie ich sie später bei wilden
Stämmen fand, die mit den Weißen noch nicht in Berührung gekommen
waren. Einer der Indianer war im Candelaria-Krankenhaus bei Porto Velho
operiert worden. Er humpelte auf einem Bein umher, ist aber seitdem
gestorben. Die Tuberkulose ist von den Weißen eingeschleppt worden, und
fast der ganze Stamm hat darunter zu leiden.

Eine der Dorfmerkwürdigkeiten war ein gefleckter Indianer von einem
Stamm, der sich in den Wäldern zwischen dem Westufer des Madeira und
dem Purúsflusse aufzuhalten pflegt. Sein ganzer Körper war mit weißen
und braunen Flecken bedeckt. Sie sind die Folgen einer seltsamen
Krankheit, die früher am Rio dos Purús, dem „Flusse der Gefleckten“,
weitverbreitet war. Man behauptet, daß diese geheimnisvolle, aber nicht
tödliche Krankheit entsteht, wenn man ohne Kleidung auf den Uferbänken
schläft. Der einzig bekannte Stamm, der jetzt noch an ihr leidet,
ist der der Pammarys oder Purús. Ein Sachverständiger in Porto Velho
meinte, daß sie vom Trinken eines Safts gewisser giftiger Kräuter käme.

Zwei Nächte lagerte ich am Ufer in der Nähe des Caripunas-Dorfes. In
der letzten brach einer jener heftigen Gewitterstürme aus, wie sie im
Amazonengebiet häufig sind. Bald nach Sonnenuntergang setzte er mit
Regenschauern und fast unaufhörlichen Blitzen ein, deren Licht die
dunkelsten Winkel des Urwalds erhellte. Das Segeltuch meines kleinen
Zeltes beulte sich nach innen unter der tropischen Sintflut. Kaum hatte
sich der Sturm erhoben, als die Klappe des Zelts zurückgeschlagen
wurde und ein kleines menschliches Wesen ohne weitere Förmlichkeiten
hereinkam. Ich wollte gerade die Lampe anzünden, aber der Luftzug von
der Zeltöffnung löschte das Streichholz aus. Einen Augenblick wußte
ich nicht, ob ich ein neues anzünden und mich dadurch einem etwa
beabsichtigten Angriff gegenüber hilflos machen sollte, oder ob es
geratener wäre, vorsichtig nach der Flinte zu greifen, die irgendwo
unter den bei Beginn des Gewitters hastig geborgenen Sachen lag. Dann
fiel mir ein, daß der Eindringling wahrscheinlich einer meiner eigenen
Boys wäre. Ich suchte einigermaßen Deckung, indem ich mich hinter den
Gepäckhaufen kniete, strich ein Zündholz an -- und brach in ein lautes
Gelächter aus!

Der Eindringling entpuppte sich als ein kleines, etwa elfjähriges
Mädchen, dessen Haare und Körper von Wasser trieften. Sie sah furchtbar
erschrocken aus, entweder durch die Blitze oder weil sie sich in
einer Falle fand, da die Zeltklappe hinter ihr wieder zugefallen war.
So beeilte ich mich, die kleine Sturmlampe anzuzünden. Gelähmt vor
Furcht, war das Kind außerstande zu sprechen oder sich zu bewegen und
zuckte zurück, als ich es zu beruhigen versuchte. Die Lage war nicht
gerade gemütlich. Die Kleine konnte jeden Augenblick ihre Sprache
wiederfinden, und ihr Geschrei mochte ernste Folgen nach sich ziehen.
Denn galten auch die Caripunas für umgänglich, so waren sie doch Wilde
und daher dem Impuls des Augenblicks ohne Überlegung hingegeben. Dazu
kam noch, daß sie von gewissenlosen Caboclos manche Unbill erlitten
hatten.

Trotzdem es gewiß kein Vergnügen war, schlüpfte ich also aus dem Zelt
in die Sintflut hinaus, um sofort der Länge nach in den Schmutz über
einige Kisten zu fallen, die in der Eile draußen vergessen worden
waren. Das Leuchten der Blitze zeigte mir den Weg zu der unbenutzten
Malocca, die man meinen beiden Caripunasboys angewiesen hatte. Zufällig
waren sie aus einem andern Dorf und nicht wenig erschrocken, als ich
plötzlich im Düster des Innern neben ihrer Feuerstelle auftauchte. Ich
packte Washington am Arm und zog ihn in den Sturm hinaus und ins Zelt
zurück. Man kann sich meine Überraschung vorstellen, als ich das Kind,
die Ursache alles Schreckens, auf meinem Bett sitzend entdeckte, wie es
in aller Ruhe Biskuits aus einer Blechdose knapperte!

Ich gab Washington die nötigen Erklärungen, der grinste und mit der
Kleinen redete. Wie es schien, war sie von der Neugier verführt worden,
durch einen Schlitz in der Klappe hereinzugucken, als der Sturm sie
packte. Nicht mein unerwarteter Anblick war es gewesen, der sie
erschreckt hatte, sondern das brennende Zündholz, das ich in der Hand
hielt! Unnötig zu sagen, daß die keineswegs scheue junge Dame ohne
weiteres durch Washington an den Busen ihrer Familie zurückbefördert
wurde, nachdem ich ihr Mund und Hände noch mit Keks vollgestopft hatte.
Dieser Vorfall bewies mir, daß die Caripunas ihre Kinder im allgemeinen
gut behandeln, sonst würde die Kleine Zeichen von Furcht verraten
haben, als ich sie beim Verzehren meiner Biskuits überraschte. Am
nächsten Morgen erfuhr ich auf meine Fragen, daß das Mädchen „Teite“
hieß, konnte aber nicht herausbekommen, was der Name bedeutete. Das
brennende Streichholz hatte sie von meiner Fähigkeit überzeugt, Licht
von den Blitzen mit der Hand einzufangen!

Da es unmöglich war, sich nach Nordosten durch die Wälder
durchzuschlagen ohne die Begleitung zahlreicher mit Buschmessern
versehener Leute und ohne Vorräte für einige Monate, entschied ich
mich dafür, sofort nach Porto Velho zurückzukehren und von dort
verschiedene Flüsse zu untersuchen, die der Madeira unterhalb seiner
neunzehn Katarakte nach Nordosten entsendet. Die Oberläufe mehrerer
dieser Flüsse waren noch unerforscht, und ich beschloß einen Vorstoß in
die Wälder des Quellgebiets des Gy-Paraná zu versuchen. In Porto Velho
hielt man das für äußerst gefährlich, da die Indianerstämme in jener
Gegend feindlich gesinnt sein sollten. Aber in den großen tropischen
Wäldern des Amazonengebiets ist nur für +den+ Forscher ein Erfolg zu
holen, der frisch und unbedenklich dem Unbekannten gegenübertritt.
+Einer+ Gefahr allerdings beabsichtigte ich mich nicht auszusetzen, der
des langsamen Verhungerns in den düstern Wäldern, ein Schicksal, das
dem unerfahrenen Reisenden im Amazonengebiet nur zu leicht beschieden
sein mag.

Als meine Absichten und Ziele in Porto Velho bekannt wurden, bekam
ich keine Kanuleute, da zwei Deutsche vor wenigen Monaten im Gebiet
des Gy-Paraná von unbekannten Indianern ermordet worden waren.
Einige Caboclos hatten nur ihre Gebeine aufgefunden. Dadurch aber
wollte ich mir meine Pläne nicht vereiteln lassen. Ich bestieg den
„Francisco Salles“, der den Madeira hinabfuhr, und verließ ihn wieder
bei der kleinen Ansiedlung von Humaitá, wo es mir bald gelang, zwei
halbzivilisierte Torasindianer von dem Faktoreibesitzer zu bekommen.
Ich „kaufte“ sie mit der Vereinbarung, daß sie auf meinen Wunsch hin
als Kundschafter in den Wäldern am Gy-Paraná Dienste leisten sollten.

In den Gebieten, wo Kautschuk- oder Nußbaumwälder vorhanden sind,
wird sich der Reisende an den Endpunkten des Dampferverkehrs ohne
besondere Empfehlungen der Schwierigkeit gegenübersehen, eingeborene
Kanuleute und vor allem Träger zu bekommen. Der Grund liegt darin,
daß fast alle halbzivilisierten Indianer ihren Herren, den Seringals
oder Faktoreibesitzern, verschuldet sind. Sie dürfen nur dann einen
andern Dienst annehmen, wenn der neue Herr ihre Schulden bezahlt.
Verläßt ein verschuldeter Indianer seinen Dienst, so wird er
zwangsweise zurückgeschafft, und wird er losgekauft, so steht er für
die betreffende Summe in der Schuld seines neuen Herrn. In Brasilien
wird diese Einrichtung viel gerechter gehandhabt als in Peru, weil sich
die Tätigkeit der Beamten des Indianeramtes auch auf die Waldgebiete
erstreckt. Aber der europäische Reisende wird über die Höhe jener
„Schulden“ doch recht erstaunt sein, wenn er sie nicht wieder auf einen
Nachfolger abwälzen kann, den ihm Freunde oder Beamte des Indianeramtes
verschaffen.

Zwei Tage mußte ich in dem Moskitonest Humaitá aushalten und mich
mit gerissenen Mischlingen herumschlagen, um verschiedene Vorräte
recht zweifelhafter Güte einzuhandeln. Dann endlich schafften meine
beiden Indianer das Gepäck das steile Ufer hinab ins Kanu, und fort
ging es auf dem dunkeln, schnell dahinströmenden Flusse. Es war ein
kochend heißer Tag, und die Oberfläche des Wassers strahlte wie
geschmolzenes Gold. Auf meinem kleinen Taschenthermometer las ich
37° Celsius im Schatten ab. Ehe die Nacht einbrach, hatten wir das
Häuflein Palmhütten von Boa Esperança passiert und die schwierige
Durchfahrt zwischen den „Pedras das Gaivotas“ (Möwenfelsen) hinter
uns. Dann aber waren wir am Ende unserer Kräfte und schlugen das Lager
auf einer kleinen Graslichtung in der Nähe der Mirary-Faktorei auf. Es
war eine wundervolle tropische Nacht. Auf dem Fluß lag der Silberglanz
des Mondes, von dem sich die schwarzen Umrisse der hochgewachsenen,
schirmartigen Bäume des großen Urwalds abhoben.

Während ich auf der schmalen Lichtung auf und ab ging, um die Glieder
nach dem stundenlangen Im-Kanu-Sitzen wieder geschmeidig zu machen,
fühlte ich feine Spinnenfäden sich um mein Gesicht und meine Hände
schlingen. Auf verhältnismäßig trockenen Plätzen im Dickicht kommt das
durchaus nicht selten vor, und ich würde es wohl kaum bemerkt haben.
Aber in meinem Zelt brannte die Lampe, die ich zum Lesen und Schreiben
immer mit mir führe, und auf der erleuchteten Zeltwand erschien ein
dunkler Fleck, der meinen Blick auf sich zog. Bei genauerem Zusehen
erkannte ich eine mächtige, haarige Spinne, anscheinend von der
Vogelspinnenart, und mit Hilfe meiner elektrischen Taschenlampe
verfolgte ich das Netz, das sich im Dreieck zwischen zwei etwa sieben
Meter voneinander entfernten Bäumen und dem Zelt ausspannte!

Wenn etwas mir einen Schauder einjagt, so sind es Spinnen. Der Anblick
dieses Untiers, dessen Scheußlichkeiten auf dem Seidenzeug des Zelts
durch das Licht der Lampe in jeder widerlichen Einzelheit sichtbar
wurden, jagte mir trotz der erstickenden Schwüle der tropischen Nacht
ein Frösteln über den Rücken. Wie sollte ich den Eindringling wieder
loswerden? Schlug ich nach der Spinne mit dem Flintenkolben, so gab’s
ein Loch oder das Zelt wurde überhaupt niedergerissen und meine
unersetzliche Lampe ging in Trümmer. Ein Schuß wäre ebenso unheilvoll
gewesen, aber trotzdem konnte ich mich nicht überwinden, im Zelt zu
schlafen, solange das Untier sich nur einen oder zwei Fuß von meinem
Gesicht befand -- wenn auch an der Außenseite des Zeltes.

Zehn Minuten später hatte sich noch nichts an dieser Lage geändert.
Hätte ich einen Eimer voll Wasser über die Bestie geschüttet, so
wäre sie freilich fortgekrochen, aber vielleicht in das Zelt hinein!
Schließlich weckte ich in meiner Verzweiflung einen der im Kanu
schlafenden Indianer. Die Spinne wurde in einem Reserve-Moskitonetz
gefangen und wanderte in meine Sammlung. Dann endlich konnte ich
mich zurückziehen mit einem Gefühl der Erlösung, aber auch der
äußersten Unzufriedenheit mit mir selber. Während der folgenden
schlaflosen Nacht hatte ich dann genug Zeit, über die Albernheit von
„Idiosynkrasien“ im Licht der modernen Psychologie nachzudenken.

Es ist wirklich unnötig, bei einer Schilderung der Schönheit des
nächsten Morgens zu verweilen. Denn auf diesen ungesunden tropischen
Flüssen des entlegenen Amazonengebiets sind die Morgen beständig
frisch, klar und sonnig, außer vielleicht während der dicksten
Regenzeit. Kaum hatten wir begonnen, flußaufwärts zu rudern, als auf
dem Ostufer sehr hohe, rote Klippen erschienen, die die Eintönigkeit
des Waldes unterbrachen. Hinter der grünen Palmeninsel von Pasto Grande
wurde das Kanu plötzlich in einen Strudel gezogen, der sich um einen
sehr gefährlichen Felsen unter Wasser gebildet hatte. Es drehte sich um
sich selbst, und wir mußten all unsere Ruderkünste anwenden, um nicht
zu kentern, bis wir wieder in ruhiges Wasser gelangten.

Bald nach Mittag trafen wir auf die Mündung des unerforschten
Maicyflusses, der sich später als der beste Weg ins Herz des Landes
der Parintintins erwies. In der Nähe der Mündung standen einige
ziegelbedeckte Häuser, eine Barraca und eine Windmühle. Sie bildeten,
wie ich leider erst später erfuhr, eine Station des Indianeramts. Hätte
ich hier angehalten, statt den Gy-Paraná hinaufzufahren, würde ich mir
viel Zeit, Mühe und auch manche Gefahr erspart haben. Für den Reisenden
liegt die größte Schwierigkeit im Amazonengebiet in seiner Unkenntnis
dessen, was schon vorher von andern geleistet worden ist, in dem
Fehlen zuverlässiger Karten und einer Stelle, die wirklich Auskünfte
zu geben in der Lage ist. Andererseits wären mehrere damals unbekannte
Indianerstämme unentdeckt geblieben, wenn wir uns nicht den ungesunden
Gy-Paraná hinaufgearbeitet hätten.

Bald hinter der Calamarinsel und den vier Häusern, die den stolzen
Namen „Calamar“ tragen, fuhren wir in die von Inseln versperrte
Mündung des Gy-Paraná ein. Künftigen Reisenden diene zur Auskunft, daß
sich die Einfahrt auf der linken Seite befindet; rechts gelangt man
in einen kleinen Fluß, der die Lokalbezeichnung Rio Preto führt. Hat
man einmal den breiten Madeira hinter sich gelassen, so scheint der
letzte Zusammenhang mit der Zivilisation plötzlich abzureißen. Was auf
der weiten Wasserfläche für Gesicht und Gehör unbemerkt blieb, drängt
sich nun der Aufmerksamkeit auf, besonders während der eigentümlichen
Stille der äquatorialen Abenddämmerung. Fast sofort schlossen sich die
Mauern der dunklen Bäume um den still strömenden Fluß zusammen, und
die Luft wurde schwer vom schwülen Geruch des tropischen Waldes. Unter
einer riesigen Induba schlugen wir unser Lager auf, gerade als das
letzte Gold des Himmels die lichteren, aber schweigenden Hallen der
unerforschten Wälder um uns durchzitterte.




8. Ins Herz des tropischen Urwalds.


Als wir früh am folgenden Morgen dicht am Ufer dahinfuhren, kam aus
dem Gebüsch ein knurrender Laut und man hörte Zweige brechen. Im
nächsten Augenblick bekam ich zum erstenmal den amazonischen Tiger,
den Jaguar, zu Gesicht. Das Gebüsch und das hohe Schilfgras teilten
sich gegenüber dem Kanu, und der König des südamerikanischen Großwilds
erschien für einige Sekunden, offenbar geblendet vom Licht. Keine 10
Meter von uns entfernt stand er da. Vom Hellgelb des Fells hoben sich
die pechschwarzen Streifen und Flecken prächtig ab. Es war unmöglich,
die volle Größe des Tieres zu schätzen, da nur Kopf, Brust und
Vorderpranken in dem hohen Gras und verfilzten Ufergebüsch sichtbar
wurden. Der Jaguar knurrte und verschwand sofort wieder, als er uns
mit erhobenem Kopf gewittert hatte. Meine beiden Indianer hätten ihn
gern verfolgt, aber die begrenzte Zeit und unsere beschränkten Vorräte
verboten es. Auf späteren Reisen jedoch glückte es mir, eine solche
Jagd mitzumachen. Die Turasindianer fangen den Jaguar in einer aus Gras
geflochtenen Schlinge, die auf dem Wechsel verborgen wird, den die
Tiere betreten, wenn sie, meist bei Sonnenuntergang, sich an den Fluß
oder ein Wasserloch zur Tränke begeben. Das Ende des Grasseils, das in
die Schlinge ausläuft, ist so an einem heruntergezogenen Ast befestigt,
daß das gefangene Tier buchstäblich gehängt wird. Das Fell wird nicht
zu Kleidern verwendet, sondern dient als Decke in den Hütten oder als
Schutz gegen die tropischen Regengüsse. Gegen Speere auf der Jagd sind
die Indianer eingenommen, weil durch die zahlreichen Stiche das Fell
beschädigt wird.

Es gibt wohl kaum einen schöneren Anblick als den des amazonischen
Waldes aus der Nähe besehen. Von den breiten Flüssen aus, dem
Amazonenstrom selbst, dem Tapajóz, Madeira oder Ucayali macht er
den Eindruck einer fast ungebrochenen und sehr eintönigen Mauer
aus verschwommenem Grün -- eines Vegetationschaos. Bei näherer
Bekanntschaft jedoch entfaltet er den ganzen Zauber seiner
Schönheit. Über den Fluß breiten sich in tausendfältigem Widerspiel
der Wasserfläche zahllose Palmenarten: die bis zu 15 Meter hohe
Miritypalme mit ihren großen fächerähnlichen Wedeln und rotleuchtenden
Fruchtbüscheln; die graziöse Caranápalme mit ihren Dornen am Stamm und
an den Blättern; die Jupatipalme mit ihren federartigen Blütenmassen,
die über die lichtern Stellen des Flusses ihre Schatten werfen; die
Bandpalme Jacitará (~Desmoncus~), die flechtenartig an den Stamm
fast jedes der Baumriesen sich anklammert. Mächtige, silberweiße Stämme
heben sich von der dunkeln Blätterwand ab und breiten, wie riesenhafte
grüne und rote Schirme, ihre Kronen hoch über das unendliche
grüne Meer. Neben der Assaipalme, die wie ein Rohr vom leisesten
Luftzug bewegt wird, erhebt sich stark und bejahrt die Tucumápalme.
Grüngefaserte Seile hängen in Schlingen von den höchsten Ästen, und
Orchideen, Cattleyen und andere Arten heben ihre Blüten aus feuchten
und üppigen Höhlungen. Sinkt dann die Sonne im Westen, so wandelt sich
das Grün der Wälder in Gold, Rot, Dunkelbraun und Violett, bis es
endlich in geisterhafter Schwärze erstirbt.

Träge flossen die Tage in dem leichten Rindenkanu unter dem
Palmstrohschutzdach dahin, denn es war die Zeit des Hochwassers und
gab keine Strömung. Der mächtige Amazonenstrom, dessen Gewässer selbst
den Atlantischen Ozean über 300 Kilometer weit von seiner Mündung
färben, zwingt allen Nebenflüssen seinen Willen auf, sogar solchen
wie dem Gy-Paraná, der fast 1600 Kilometer vom Hauptstrom abliegt
und fast 3000 Kilometer vom Gestade des Meeres! Er zwingt sie, ihre
Gewässer zurückzuhalten, bis er selber weit genug gefallen ist, um sie
aufnehmen zu können. Dadurch werden unermeßliche Flächen überflutet.
Fast zwei Tage lang fuhren wir über ruhige Seen und durch überschwemmte
Urwälder. Die eigenartige Stille dieses weiten überschwemmten
Dschungelgebiets ist höchst eindrucksvoll. Jedes Anzeichen von
Leben scheint sich aus Land und Bäumen zurückgezogen zu haben. Die
schnatternden Affen, die lärmenden Papageien und Araras, die Spieß- und
Pampashirsche, die sonst durch das brechende Unterholz streifen, der
sein Weibchen lockende Tapir, das im Schmutz wühlende Wildschwein, der
herumscharrende Ameisenfresser, die in Höhlen wohnenden Gürteltiere
-- sie alle flüchten vor den steigenden Fluten, und selbst die Vögel
streifen über das dunkelgrüne Blätterdach ohne Schrei und Gesang. Nur
die sumpfliebenden Schlangen, die Fischottern und Alligatoren, die
gefürchteten elektrischen Aale und die Wolken von Insekten scheinen
sich im Dunst der Gewässer und des Moders wohlzufühlen.

So schlich Stunde um Stunde dahin in Sonnenhitze und Schweigen. Überall
um uns der Wald, aus der Grenzenlosigkeit des stagnierenden Wassers
emporsteigend. Dann wieder lange Nächte im Kanu in verkrampfter
Haltung, während der gelbe tropische Mond hinter den hohen Bäumen stand
und sonderbare Schatten auf das Brackwasser warf. So niedergedrückt
fühlte ich mich, daß ich mehr als einmal, in Augenblicken der Schwäche,
laut redete, um den Eindruck der schauerlichen Verlassenheit zu
vertreiben. Diese überschwemmten Flächen, die zuweilen 50 bis zu 250
Geviertkilometer bedecken, sind so häufig in den niedern Flußtälern,
daß die beiden Turas, schweigend und unbewegt wie nordamerikanische
Indianer, weiterpaddelten, ihre kärgliche Nahrung zu sich nahmen,
schliefen, und gleichmütig nach dem tiefen Wasser Ausschau hielten, das
das Bett des Flusses anzeigt.

Gegen Mittag des zweiten Tages in diesem Riesensumpf ereignete sich
ein Zwischenfall, der unsere kleine Expedition beinahe zum Scheitern
gebracht hätte. Von einem überhängenden Ast fiel eine Schlange ins
Boot, während die Ruderer in der Mittagshitze ausruhten. Tod durch
Schlangenbiß ist so häufig unter den nackten und daher ungeschützten
Eingeborenen, daß meine beiden Indianer in ihrer Hast, von dem sich
krampfhaft ringelnden grünen Ding wegzukommen, beinahe das Kanu zum
Kentern brachten. Sie zogen die Gefahren vor, die unsichtbar unter dem
brüheartigen Wasser lauerten und sprangen über Bord.

So einfach war es nicht, den gefährlichen Eindringling unschädlich zu
machen. Es war eine Louro Machaco oder Papageienschlange, so genannt
wegen ihrer wunderschönen grünen Farbe. Ich quetschte sie mit einer
schweren Kiste gegen die Bordwand und beförderte sie dann durch
einige Schläge mit dem Paddel ins Jenseits. Die Haut wurde ihr als
Siegestrophäe abgezogen.

Nach einer solchen Aufregung wird die erschlaffende Hitze des
amazonischen Waldes erst recht fühlbar. Meine dünne Kleidung war vom
Schweiß buchstäblich wie aus dem Wasser gezogen. Zu der körperlichen
Unbehaglichkeit kam noch der seelische Schock bei dem Gedanken, wie
nahe wir daran gewesen waren, durch das Kentern des Kanus Ausrüstung
und Vorräte einzubüßen. Die verhältnismäßig unbedeutende Anstrengung
rief eine krankhafte Abgespanntheit hervor, die einige Stunden
anhielt und mich zur Einnahme einer Extradosis Chinin veranlaßte, was
zuzeiten im entlegenen Amazonengebiet für Leben und Tod entscheidend
ist. Wir befanden uns nun mitten im Sumpf- und Flußgebiet des oberen
Madeiratals, dem Lieblingsaufenthalt des Alligators und der Anakonda.
Exemplare dieser Riesenschlange von zwölf Meter Länge waren in den dem
Madeira benachbarten Seen und Sümpfen oberhalb Porto Velho gefangen
worden. Die Eingeborenen behaupten, daß einige dieser überfluteten
Dschungelstrecken im Kanu nur unter Todesgefahr zu befahren sind,
die von diesen riesigen Reptilien droht. Die Haut der Anakonda ist
gewöhnlich bräunlich oder schwarz und gelb gestreift. Sie erdrückt
ihre Beute, indem sie sie in ihren Umschlingungen zusammenpreßt, bis
die Knochen gebrochen sind. Dann soll sie Affen, Jaguare, Tapire und
Ameisenfresser fast im ganzen verschlingen können. Ein Mensch, den
sie einmal in solcher Umschlingung gefangen hat, hat kaum noch eine
Hoffnung auf Rettung.

Der Vorfall mit der Schlange ist an sich durchaus nichts Ungewöhnliches
auf Reisen im Amazonengebiet. Aber den beiden Turas brachte er die
Eingeborenensagen von der „Mae de Agua“, der „Mutter des Wassers“,
wieder in Erinnerung, die sich zweifellos auf Anakondas oder ähnliche
Ungeheuer beziehen. Eine Zeitlang ängstigten sie sich vor allem, was
nur einigermaßen diesem Schrecken der Sümpfe glich, ob das Licht des
Tages, Dämmerung oder Mondschein herrschte. Was mich selber betrifft,
so war ich zu sehr damit beschäftigt, mich gegen die Insektenpest zu
verteidigen, als daß ich mich ähnlichen Gedanken hätte hingeben können.
Sie machte jede Stunde des Tags und der Nacht zu einer endlosen Qual,
aber wenigstens wurde ich dadurch davon abgehalten, an weit größere
jedoch weniger unangenehme Bestien zu denken.

Am vierten Tag erschienen höhergelegene Stellen, und wir landeten, um
dort ein Lager an einer Stelle aufzuschlagen, die eine riesige Insel
zu sein schien. Um mich von der langen Kanufahrt ein wenig zu erholen,
machte ich mich auf die Beine, nahm die Winchesterbüchse aus ihrem
behelfsmäßigen, wasserdichten Gehäuse und wanderte gegen die lichteren
Stellen des Waldes zu, wobei ich nicht verfehlte, etwa alle hundert
Meter ein Stück Rinde als Merkzeichen von den Bäumen abzuhauen. Es
ist merkwürdig, wie leicht man sich im tropischen Dschungel verirrt.
Noch kürzlich verlor eine Gesellschaft englischer Reisenden den
bekannten Dschungelpfad zu den Tarumáfällen am Rio Negro, obwohl sie
von Caboclo-Führern begleitet war. Sie feuerten Flintenschüsse ab, um
mit einer vorangegangenen Gesellschaft in Verbindung zu kommen, aber
trotzdem glückte es nicht, den Weg wieder aufzufinden, und die ganze
Gesellschaft mußte nach zweistündigem vergeblichen Umhersuchen zu ihren
Barkassen zurückkehren, ohne die Fälle erreicht zu haben.

Ich sah nichts, was wert gewesen wäre, eine wertvolle Patrone zu
verschwenden. Munition ist selbst in den Niederlassungen äußerst schwer
zu beschaffen, und es ist fast unmöglich, eine ausreichende Menge
mitzuführen, da es so schwer ist, Kanuleute und Träger zu mieten. So
kehrte ich wieder zum Lager zurück, gerade als die letzten blutroten
Strahlen der Sonne hinter den überschwemmten Wäldern erloschen,
durch die wir gekommen waren. Die unbeschreibliche Stille, die der
kurzen Dämmerung voraufgeht und allen Reisenden in tropischen Wäldern
bekannt ist, breitete sich über die Erde. In diese Lautlosigkeit
hinein klang das gewisse Geräusch, das entsteht, wenn eine Bogensehne
zurückschnellt. Darauf folgte ein seltsam erstickter Schrei und
plötzlich schnatterten ganze Kolonien von Affen, die bisher geschlafen
hatten.

[Illustration: Itogapukmädchen.

Man beachte die merkwürdigen Bänder um Leib und Arme, die ins Fleisch
einschneiden. Wie sehr dies der Fall ist, ist oberhalb des Handgelenks
auf dem linken Bild deutlich sichtbar.]

[Illustration: Die drei Unterhäuptlinge der Itogapuks.

Im Hintergrund eine der merkwürdigen Gemeinschaftsmaloccas dieses
neuentdeckten Stammes.]

Als ich das Lager erreichte, das nur wenig Schritte entfernt war,
deutete einer der Boys auf eine Stelle unter einem Baum, und im
Zwielicht konnte ich gerade noch den zusammengezogenen, vom Pfeil
durchbohrten Körper eines haarigen Guaribas oder Brüllaffen (Simia
mycetes) erkennen. Sie heißen so, weil sie mit ihrem zu einer
knöchernen Schallblase erweiterten Zungenbeinkörper ein unheimlich
durchdringendes Geschrei auszustoßen vermögen. Er war reichlich ein
halbes Meter lang, hatte einen großen Kopf, fünf Finger an jeder Hand
und einen buschigen Greifschwanz. Die Farbe des Fells war rötlichbraun.
Ich ärgerte mich über die unnütze Grausamkeit, bedachte dann aber
wieder, daß unsere jagdlichen Gesichtspunkte doch wohl verschieden
waren. Währenddem erzählte der Schütze stolz und eifrig, wie schwierig
diese Affen ihrer Schlauheit wegen mit Pfeil und Bogen zu erlegen wären
und daß sie geröstet oder als Ragout bei seinem Stamm als Leckerbissen
betrachtet würden.

Nun wurde ein großes Feuer angezündet und einer der Kochtöpfe
herangeschafft. In dieser Nacht kostete ich zum ersten- und letztenmal
Affenfleisch. Sein Geschmack ist keineswegs unangenehm, aber irgendwie
widerstand mir die Mahlzeit, und dann war ich im tiefsten froh darüber,
als einer der Indianer die Hand des Affen aus dem Kochtopf fischte.
Sie sah nun nicht mehr braun aus, sondern blaßrosa und glich der Hand
eines Kindes. Dieser Anblick und die Gier, mit der der Indianer sich
ans Verzehren machte, verursachte mir ein solches Gefühl von Übelkeit,
daß ich ein großes Glas Whisky aus der kostbaren Flasche zu mir nehmen
mußte. Hätte ich damals geahnt, was mich bei andern Stämmen noch
erwartete, wäre es klüger gewesen, mich gleich gegen den würgenden
Ekel zu stählen, den ich schon beim Zusehen einer Affenmahlzeit
empfand, wie sie bei allen Eingeborenen des Amazonengebiets häufig
genug ist. Der Festschmaus zog sich durch die ganze Nacht hin, so daß
schlafen unmöglich war. Ich war daher froh, als wir endlich im hellen
Sonnenschein des tropischen Morgens das Lager abbrachen.

Um Mittag kamen wir an einem schmalen Fluß vorüber, der von Südwesten
her in den Gy-Paraná mündet. Da ich bis heute auf keiner Karte seinen
Namen finden konnte, habe ich ihn auf der Kartenskizze (S. 149)
als „Monkey River“ (Affenfluß) eingetragen, weil ein ganzer Trupp
Spinnenaffen auf den niedern Ästen der nächsten Bäume umherturnte.
Einige Kilometer weiter flußaufwärts wurde das Wasser so seicht, daß
die beiden Indianer über Bord springen mußten, um das Batalõe über eine
Reihe neugebildeter Schlammbänke zu ziehen. Ermüdet von dieser Arbeit
schlugen wir das Lager schon vor Sonnenuntergang auf. Meine Absicht
war, am nächsten Tag die Umgebung des Flußufers nach Indianerpfaden
oder irgendwelchen Spuren abzusuchen, die etwa das Vorhandensein von
Stämmen in der Nähe verraten könnten. Trotzdem ich selbst und einer
der Boys abwechselnd aufmerksam Wache hielten, wurden uns während der
Nacht aus dem Kanu einige Lebensmittel und ein Jagdmesser gestohlen.
Dies, obwohl bisher irgendeine Spur freundlich oder feindlich gesinnter
Indianer nicht zu entdecken gewesen war.

Dieses Lager gelangte zu ungewöhnlicher Wichtigkeit und verdient
deshalb eine genauere Beschreibung. Während der letzten Kilometer
hatten die Baumkronen das schmale Bett des Flusses beinahe überwölbt,
auf der von uns gewählten Lagerstelle aber wich das hohe Schilfgras
und das Buschdickicht ein wenig zurück und ließ einen rotbraunen Platz
frei, den der anscheinend undurchdringliche dunkel drohende Dschungel
umstand. Hier konnte das Licht der Sonne eindringen, ungehemmt vom
üppigen Vegetationswachstum, und kaum hatte ich einen Blick darauf
geworfen, war ich entschlossen, nicht daran vorüberzufahren.

Bald war das kleine wasserdichte Zelt aufgeschlagen, ein Feuer
von den trockenen Kernspänen umgefallener Bäume angezündet und
das schwelgerische Mahl bereitet, bestehend aus gesalzenem
Konservenfleisch, Früchten, Biskuits und schwarzem Kaffee. Nachdem ich
ihm alle Ehre angetan hatte, legte ich mich auf die wasserdichte Decke,
um zu rauchen, auszuruhen und nachzudenken, ehe ich die üblichen
Eintragungen über das am letzten Tag Geleistete in mein Notizbuch
machte. Die Sonne strahlte in tiefem Rot und Gelb und verlieh der
Landschaft etwas vom Geist des tropischen Waldes. Als ich noch ein
Knabe war, hatte ich einmal in einem Wanderpanorama ein treues Bild
vom ersten Lager Sir H. M. Stanleys am Ufer der innerafrikanischen
Seen (mit allerlei Gepäck) gesehen, und das stieg nun ungerufen aus
den Tiefen des aufgespeicherten Unterbewußten vor meinem Geist empor.
Sah man vom See ab, so fand sich hier in der amazonischen Wildnis
eine merkwürdige Ähnlichkeit mit den Vorstellungen des Künstlers von
Innerafrika.

In diesem Lager war es, wo meine Pläne einen völligen Schiffbruch
erlitten. Als ich die Schulden der beiden Turas zahlte und sie damit
in meinen Dienst nahm, hatten sie sich bereit erklärt, in den Wäldern
umherzukundschaften, um mit den in der Umgebung lebenden oder jagenden
Wilden in Verbindung zu kommen. Nun weigerten sie sich glatt, diesen
Teil des Programms auszuführen, indem sie erklärten, sie würden dabei
umgebracht und aufgefressen, da die betreffenden Stämme ihrem eigenen
Stamm ebenso wie allen Weißen feindlich gesinnt wären. Dies zusammen
mit dem Verlust von Lebensmitteln schien die Expedition zu einem
plötzlichen und unheilvollen Abschluß zu bringen. Die beiden durch
Drohungen oder mit Gewalt in die Wälder zu treiben, wäre natürlich
schlimmer als nutzlos gewesen, und das Versprechen einer Belohnung
hatte nur Mißtrauen und Widerspenstigkeit zur Folge.

Unter solchen Verhältnissen schien es unangebracht, noch weiter
flußaufwärts zu fahren. Das Lager zu verlassen und mich selbst in
dem umliegenden Wald auf die Suche zu machen, hätte bedeutet, das
Unheil geradezu herauszufordern. Ließ ich die beiden Indianer allein,
so mochten sie Verrat planen oder sich, was weit wahrscheinlicher
war, in ihrer Furcht flußabwärts davonmachen. Dann hätte ich mich
allein, vielleicht ohne Lebensmittel, einer Reise von 250 Kilometer
einen schwierig zu befahrenden Fluß hinab gegenübergesehen, mit weit
überschwemmten Flächen oder Seen und feindlichen Indianern in den
Wäldern auf der ganzen Rückzugslinie. Später stellte sich heraus, daß
meine Boys alte Kriegspfade anderer Stämme wiedererkannt hatten.

Es liegt viel Wahrheit in dem Spruch, daß Notwendigkeit die Mutter
der Erfindung ist. Während ich auf dem Rand des Kanus saß, um mich zu
einem würdelosen Rückzug zu entschließen, kam mir ein Einfall, der
das Problem schließlich löste. Ich bewaffnete mich mit der Flinte und
der elektrischen Taschenlampe, legte einige Kleinigkeiten, darunter
mein letztes Taschenmesser, in das Kanu und wartete die Nacht hindurch
auf die Rückkehr der Indianerdiebe. Mehrere Male kamen Geräusche aus
dem dichten Busch, der das Lager umgab, und die Versuchung war groß,
die Taschenlampe anzuknipsen. Wer einmal eine Nacht unter ähnlichen
Umständen durchwacht hat, weiß, wie lang die Stunden scheinen und wie
unerträglich die Spannung allmählich wird.

Als der Mond aufstieg und sein Licht über die Landschaft warf,
schien die Gelegenheit vorüber, aber ich setzte doch die Wache fort,
wenn ich auch Augen und Gehör nicht mehr so anzustrengen brauchte.
Stunde um Stunde verrann langsam, und im feuchten Dunst überfiel
mich ein unangenehmes und Unheil kündendes Frösteln. Dann zeigten
sich die ersten helleren Streifen der Dämmerung; der ungesunde Nebel
verschwand von den Uferbänken, hielt sich aber noch in den üppigen
Buschdickichten. Der Wald erwachte zum Leben. Durch und durch entmutigt
und erschöpft kroch ich auf die wasserdichte Decke und vergaß bald die
Suche nach neuen Menschenrassen.




9. Unter den Parintintinsindianern am Gy-Paraná.


Etwa zwei Stunden später erwachte ich durch ein Zerren an der Decke
zu vollem Bewußtsein. Der Indianer, der seiner dünnen Glieder
wegen „Moskito“ hieß, plapperte und deutete aufgeregt nach der
Zeltöffnung. Ich sprang schnell auf die Füße und schüttelte ein
Gefühl ab, das dem glich, wenn man es verschlafen hat. Groß war meine
Überraschung, als ich den andern Boy „Unani Assu“ (großer Mann)
sich hinter einem Baumstumpf verbergen sah. Meine Augen suchten die
Ursache und entdeckten sie in weniger als 25 Meter Entfernung. Auf
der gegenüberliegenden Uferbank stand ein kleiner, untersetzter,
bronzefarbiger und gänzlich nackter Wilder, den Bogen in der Hand. Ich
ergriff meinen Rasierspiegel als Friedensgabe, verließ das Zelt, rief
laut und hielt die Hände hoch als Zeichen, daß ich unbewaffnet war.

Fast im gleichen Augenblick zischte ein Pfeil von irgendwoher aus dem
Dickicht des Ufers gegenüber, war jedoch zu kurz gezielt und fiel
vor dem Lager in den Fluß. Da ich die Gefahr unserer Lage erkannte,
falls ein Angriff von mehreren Seiten aus erfolgte, beschloß ich, alle
Feindseligkeiten zu vermeiden. Ich ging vielmehr ins Zelt zurück,
raffte hastig zusammen, was den Indianern begehrenswert erscheinen
mochte, und hielt es in die Höhe, damit sie es sehen konnten. Diesmal
antwortete kein Pfeil. So legte ich die Sachen an den Rand des Ufers
und zog mich auf das höher gelegene Lager zurück.

Lange Zeit machten die Indianer keinen Versuch, sich in den Besitz
der Geschenke zu setzen. Ich benützte die Zwischenzeit, um Flinte
und Revolver zu laden und das Gepäck am Ufer des kleinen Igarapés
aufzustapeln. Dann erschien plötzlich der gleiche Wilde, den ich auf
dem Ufer gegenüber gesehen hatte, auf der Lagerlichtung. Es war ein
spannender Augenblick. Irgendwie war ich mir bewußt, daß aus dem
dunkeln Dickicht des Waldes unsichtbare Augen jede meiner Bewegungen
überwachten. Wieder winkte ich mit erhobener Hand und deutete auf die
Geschenke am Uferrand, etwa 12 Meter entfernt.

Offenbar hatte der Indianer den Fluß durchschwommen oder durchwatet,
denn sein Haar war naß. Meine beiden Boys hatten sich in ihrem
Entsetzen versteckt, und ich selbst sprach unglücklicherweise kein Wort
Guarani, das von den Stämmen in diesen Wäldern gewöhnlich verstanden
wird. Der Indianer näherte sich vorsichtig den Geschenken, riß sie,
in Reichweite angekommen, an sich und zog sich wieder an den Saum des
Dschungels zurück. Inzwischen hatte ich „Moskito“ hinter einem Baum
in der Nähe entdeckt und zog ihn auf die Lichtung heraus. Ich setzte
ihm auseinander, daß wir alle zweifellos umgebracht würden, wenn er
nicht versuchte, sich mit dem Indianer freundschaftlich zu stellen,
und befahl ihm, auf Guarani zu rufen, daß wir Freunde seien und
Lebensmittel brauchten.

Der Indianer hielt plötzlich im Schatten der Bäume still, und mein Herz
begann unruhig zu schlagen. Dann versuchte ich, durch Zeichen eine
Unterhaltung anzubahnen und brachte den Wilden allmählich näher, indem
ich ihm ein Stück wohlriechender Seife anbot. Offenbar plagte ihn die
Neugierde mächtig, aber die Vorsicht verbot ihm, die Seife aus meiner
Hand zu nehmen, und ich mußte sie erst auf den Boden legen. Nachdem so
eine Art Freundschaft hergestellt war, bedurfte es nur kurzer Zeit, um
ihn aufzuklären, daß er uns mit Lebensmitteln versorgen solle, was
am leichtesten auszudrücken und zu verstehen war. Der Indianer schien
einzuwilligen und verschwand wieder im Dickicht.

Einige Sekunden darauf trafen drei Pfeile mit bemerkenswerter
Genauigkeit den Boden ein wenig links vom Zelt. Sie waren
augenscheinlich in hohem Bogen abgeschossen worden, entweder wegen der
Entfernung oder damit sie senkrecht in der Erde steckenblieben. Später
brachte ich diese Trophäen in Sicherheit; sie waren schön geschnitzt
und mit Federn verziert. Was zuerst wie Feindseligkeit, niedrige
Undankbarkeit und Verräterei ausgesehen hatte, gewann plötzlich
eine andere Bedeutung. Die Pfeile waren nacheinander abgeschossen
worden, und jeder steckte links vom Zelt ein Meter vom nächsten im
Boden. Hätten die Indianer mörderische Absichten gehabt, so würden
sie entweder auf mich selbst gezielt oder ihre Geschosse über das
ganze kleine Lager verteilt haben. Offenbar waren die Pfeile als
Gegengeschenke gedacht, und ich fühlte mich nun wesentlich behaglicher
als während der letzten halben Stunde.

Etwas später erschien der untersetzte Indianer wieder, nachdem er
mehrere Male etwas gerufen hatte, was wie „Aemu“ klang. Als Antwort
schrien wir zurück. Er brachte einen toten Spinnenaffen, von dessen
Körper jedes Haar abgesengt war. In achtungsvoller Entfernung folgten
ihm zwei andere Stammesangehörige. Einer von ihnen war mit einem
Blasrohr bewaffnet.

Ich bedeutete ihnen, die Waffen abzulegen, was sie auch, bis auf den
Mann mit dem Blasrohr, merkwürdigerweise ohne Zögern taten. Dann
erhielten sie weitere Geschenke, die mich der letzten Gabel und des
letzten Löffels beraubten. Das Vertrauen nahm allmählich zu, und nach
kaum einer halben Stunde waren die drei wild blickenden Gestalten
dabei, alles im Lager zu untersuchen.

Aus unserer beschränkten Unterhaltung, die meinerseits nur durch
Zeichen geführt werden konnte, wozu „Moskito“ noch einige Worte in
Guarani beisteuerte, schien hervorzugehen, daß sie zu einem Stamm
namens „Taipehe“ gehörten und von einem „Tapiry“, d. h. einer Jagd-
oder Fischerhütte, kamen, die etwas abseits ihres Dorfs lag. Später
erfuhr ich, daß „Taipehe“ der einheimische Name der Parintintins ist.
Um ihr Vergnügen beim Empfang auch der kleinsten Gabe auszudrücken,
schlugen sie sich auf die Brust, stampften mit den Füßen und
wiederholten das Wort „Aemu“, das, soweit ich ausmachen konnte,
„Kamerad“ bedeutet. Ob sie schon früher Weiße gesehen hatten, schien
mir zweifelhaft, jedenfalls noch nie in der Nähe. Am merkwürdigsten
berührte mich, daß sie sich beharrlich weigerten, irgend etwas
unmittelbar aus meiner Hand anzunehmen und sich beständig drei Meter
von mir entfernt hielten.

Mein Wunsch, das Blasrohr zu untersuchen, das ein junger, höchstens
15 Jahre alter Krieger trug, begegnete keinem Widerstand. Es war
aus dem Stamm einer Palme verfertigt und etwa drei Meter lang. Das
Kernholz war entfernt und das innere Bohrloch gleichmäßig geglättet.
Etwaige Krümmungen hatte man durch ein kleines Palmstämmchen im Innern
ausgeglichen, das in das größere Rohr eingeschoben war. Die vergifteten
Pfeile steckten in einer Art Köcher, der mit Verzierungen versehen war
und an einer Schnur am Blasrohr hing.

Da ich gern gesehen hätte, wie weit die Freundschaft der Wilden ging,
nahm ich einen der Pfeile heraus, dessen feine, fast nadelscharfe
Spitze, wie ich wohl wußte, in Gift getaucht war, und machte, als ob
ich seine Schärfe auf meinem Daumen prüfen wollte. Der junge Krieger
verzog zunächst keine Miene, aber der alte Mann gestikulierte, worauf
der Junge mir durch Zeichen andeutete, das Blasrohr und die Pfeile auf
den Boden zu legen, damit er sie aufheben könne. Dies tat ich denn
auch, und nach wiederholten „Ye Aemu“-Rufen, die nach meiner Meinung
sagen sollten: „Wir sind Kameraden“, verschwanden sie im Wald.

In der Nacht ließen wir das Zelt stehen, legten uns aber zum Schlafen
ins Kanu. Ich schlief die ganze Nacht nicht und hielt Wache. Am
nächsten Morgen schlummerte ich dann ein paar Stunden und machte meine
Eintragungen. Am folgenden Tag erschienen die Indianer wieder und
verlangten weitere Geschenke. Da ich den eigens dafür mitgebrachten
Vorrat bereits beinahe erschöpft hatte, gab ich jedem ein schmutziges
Hemd, worüber sie sich außerordentlich zu freuen schienen, obwohl sie
die Hemden nicht anzogen.

Obschon man diese Indianer nicht für Zwerge halten konnte, gehörten
sie sicherlich zu einem wenig bekannten Stamm oder Unterstamm von
außergewöhnlich kleinem Wuchs. Jeder Versuch, sie zu messen, schlug
fehl, aber dem Augenmaß nach betrug ihre Länge 1,35 bis 1,40 Meter.
Dabei waren sie außerordentlich stark und hatten ungewöhnlich breite
Brustkasten. Die Gesichter hatten keinen platten oder mongolischen
Typus, auch war die Augenstellung nicht schief wie bei den Asiaten.

Außer einem Strick um die Lenden und einer zylinderförmigen Röhre aus
Palmblättern gingen sie völlig nackt. Nur Arme und Beine waren mit
Strohbändern oder „Embira“ umwunden. Die Farbe ihrer Haut war eine
matte Bronze, im Ton viel heller als die der Mundurucus am Tapajóz.
Wahrscheinlich war die verhältnismäßig hellere Farbe und die Kleinheit
des Körperbaus das Ergebnis des Aufenthalts im Düster der Wälder seit
ungezählten Jahrhunderten, abgeschlossen vom Licht der Sonne. Nicht
nur, daß sie die Augen in schrecklichster Weise verzerrten, so oft
sie auf den Glanz des Flusses trafen, sondern sie kehrten den Rücken
auch beharrlich den Stellen zu, wo die Sonne durch das Blättergewölbe
schien.

Daß sie zu den wilden Parintintins gehörten, unterliegt nicht dem
leisesten Zweifel, obwohl diese Indianerstämme nur dem Namen nach
bekannt waren, als ich mit ihnen in den Dschungeln am Gy-Paraná
zusammentraf, so daß ich keine Möglichkeit hatte, sie endgültig zu
identifizieren. Hätte ich damals schon gewußt, was ich erst viel später
erfuhr, so wären diese verräterischen und kriegerischen Indianer in
ihren entlegenen Wäldern sicher von mir unbehelligt geblieben. Wie es
aber nun einmal war, gab ich ihnen in mühseliger Zeichensprache meinen
Wunsch zu erkennen, ihr Dorf aufzusuchen.

Auf meinen Vorschlag hin begannen sie lange miteinander zu reden,
konnten sich aber offenbar nicht entscheiden. Das Gespräch wurde in
merkwürdig hoher Tonlage geführt, aber fast ohne jede Klangfärbung.
Ich sah wohl, daß die Unternehmung tatsächlich nicht ohne Gefahr sein
würde. Denn in viel weniger entlegenen Waldgebieten waren Caboclos
und Sammler von brasilianischen Nüssen häufig von den wilden Stämmen
ermordet worden, die in ihren waldverborgenen Schlupfwinkeln hausen und
zum Teil noch niemals von weißen Menschen gehört haben. Ein derartiger
Fall hatte sich während meines Aufenthalts in Manáos ereignet. Am Ufer
des Cauraflusses war von einem Seringuero eine halbverweste Leiche, der
der Kopf und das rechte Bein fehlten, aufgefunden worden. Doch muß ich
gestehen, daß mir damals die ganze Größe der Gefahr unbekannt war, was
allerdings auf meine beiden moskitoähnlichen Boys keineswegs zutraf.
Sie brachten die alten Gründe vor, um mich zurückzuhalten: zuerst,
daß die Maloccas der Indianer viele „Sonnen“ entfernt wären, und als
sie sahen, daß mich das nicht rührte, erklärten sie, wir würden alle
aufgefressen werden wegen „der Stärke in uns“. Diese Behauptung suchten
sie anschaulich zu machen, indem sie in ihre eigenen Arme hineinbissen.

Meine besondere Sorge war, alles zu vermeiden, was nach Zwang
aussah. Denn ich wußte, daß wir im Dickicht der Wälder gänzlich von
der Gnade der Wilden abhängig sein würden, die, wie alle Stämme im
Amazonengebiet, zweifellos von verräterischem Charakter waren. Uns
offen umzubringen mochte bei der Unterlegenheit ihrer Waffen seine
Schwierigkeit haben, wenn sie auch für den Dschungelkrieg sehr gut
geeignet waren. Aber nichts wäre ihnen leichter gewesen, als uns ins
Herz der großen, düstern Wälder und zugleich in einen Hinterhalt zu
führen. Die vorherrschenden Angriffsmethoden im Amazonengebiet sind
jenen ähnlich, die früher bei den Aschantis und Eingeborenen am Kongo
im Schwang waren. Gassen werden durch das Dickicht längs den Flüssen
und natürlichen Dschungelpfaden geschlagen, und die vorrückende
Expeditionskolonne wird plötzlich so lange mit einem Hagel vergifteter
Pfeile überschüttet, bis ein wirksames Gewehrfeuer die Eingeborenen in
den Schutz ihrer fast undurchdringlichen Wälder zurückgetrieben hat.

Später hörte ich jedoch, daß eine der Lieblingsmethoden dieses Stammes,
sich seiner Feinde zu entledigen, darin besteht, zahllose Palmdornen
in starkes Gift zu tauchen und mit den Spitzen nach oben auf den Boden
der Dschungelpfade zu streuen, die ihre bloßfüßigen Opfer zu betreten
pflegen. Sogar die halbblütigen Kautschuksammler wandern beständig mit
nackten Füßen durch die Wälder, da sie sich durch jede Fußbekleidung
behindert fühlen. Auch tritt auf Leder über Nacht Schimmelbildung auf,
und die Termiten zerstören in wenigen Stunden ein Paar Reitstiefel,
wenn Unvorsichtigkeit oder Sorglosigkeit ihnen dazu Gelegenheit gibt.

Schließlich entschied sich die Frage meines Dorfbesuchs nach einer
aufregenden halben Stunde. Der Älteste von den drei, der auch der bei
weitem am wildesten Aussehende und Häßlichste war, zeigte auf das Kanu
und deutete zugleich an, daß sie uns begleiten würden. Wir paddelten
den schmalen und von Hindernissen versperrten Fluß fast zwei Stunden
lang hinauf, und ich begann mich zu fragen, ob das nicht nur eine List
wäre, uns in die Irre zu führen, bis sie Gelegenheit fänden, während
der nahenden Nacht zu entkommen. Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang
zeigte der ältere Mann, dessen Haar in Fransen auf die Stirn hing, auf
das Ufer, und nachdem wir das Kanu durch das scharfblättrige Sumpfgras
hindurchgestoßen hatten, landeten wir an einer besonders dunkeln Stelle
des Waldes.

Zwei Stunden etwa lagen noch vor uns, ehe die Sonne hinter den
endlosen Wäldern untergehen und die kurze tropische Dämmerung völliger
Finsternis weichen würde. Unter diesen Umständen hatte ich keine Lust,
an diesem Tag noch weiterzumarschieren und versuchte, das zu erklären.
Aber die Verständigungsmöglichkeit durch Zeichen und Gebärden ist
weit beschränkter, als jemand glauben mag, der noch nie einen ganzen
Tag darauf angewiesen war, darin seine Meinungen klarzumachen. Jeder
Reisende und Forscher sollte wirklich seiner Lehrzeit einen Kursus
in einer Taubstummenschule anfügen, falls er beabsichtigt, abseits
gelegene Gebiete aufzusuchen, wo Führer und Wörterbücher mit den
„gebräuchlichsten Redensarten“ nicht die leiseste Hilfe bieten.

Wir zogen das Kanu aufs Ufer und bedeckten es mit Zweigen. Dann nahmen
wir das Gepäck auf die Schultern, ganz gegen die Wünsche der beiden
Boys, und tauchten in das Dunkel des ein wenig unheimlichen Urwalds.
Zuerst bemühte ich mich, gewisse auffallende Bäume im Gedächtnis zu
behalten, umgefallene und von den Ameisen zerfressene Stämme und
Einsenkungen im überwachsenen und unsichtbaren Boden, für den Fall,
daß wir genötigt wären, einen eiligen Rückzug zum Fluß anzutreten.
Aber bald sah ich die Unmöglichkeit eines solchen Verfahrens ein.
Hatte ich meinem Gedächtnis eben eine bestimmte Palme eingeprägt,
so zeigte sich sicher im grünen Zwielicht ein paar hundert Meter
weiter die gleiche Palme in fast genau derselben Umgebung. Plötzlich
erinnerte ich mich an meinen Taschenkompaß, und von da an merkte ich
mir jeden Richtungswechsel vom Fluß aus und fühlte mich nun ein wenig
unabhängiger von jenem unbekannten X -- dem Wohlwollen eines wilden
Stammes irgendwo in den Wäldern vor uns.

Als das Dämmerlicht immer mehr abnahm, schloß ich hinter unsern drei
Führern auf, teils, um irgendwelche verräterische Handlung verhindern
zu können, dann auch, um mich vor schlimmen Fällen über umgefallene
Baumstämme zu bewahren und den Ranken der Schlingpflanzen auszuweichen,
in denen sich Füße, Kleider und Kopfbedeckung verfingen. Gerade ehe es
völlig dunkel und jedes Weiterkommen im Wald unmöglich wurde, gelangten
wir auf einen kleinen freien Platz. Hier standen die Bäume weiter
auseinander, und das Unterholz wurde lichter. Offenbar bildete der
Dschungelpfad, den wir gekommen waren, den gewöhnlichen Weg zwischen
dem Fluß und dem Eingeborenendorf. Aber er war so schmal und gewunden,
daß nur ein mit allen Geheimnissen des Waldes vertrauter Indianer
seinen Anfang am Fluß zu bemerken imstande war oder ihm durch den fast
undurchdringlichen Busch auf allen Seiten folgen konnte.

Auf der Lichtung angelangt, fanden wir uns fast augenblicklich inmitten
einer Menge dunkler Gestalten. Bei der Finsternis war es unmöglich,
Farbe oder Geschlecht zu unterscheiden. Der älteste unserer Führer
deutete auf eine niedere Öffnung in einer der bienenkorbähnlichen
Palmhütten, deren Umrisse gerade noch sichtbar waren. Da ich kein
Mißtrauen zu zeigen wünschte, bückte ich mich und trat ein, nachdem
ich noch die Boys beauftragt hatte, das kleine, wasserdichte Zelt
aufzuschlagen. Im Innern der Malocca, wie diese Eingeborenenhütten
heißen, herrschte kohlenpechrabenschwarze Finsternis, aus der nur die
düstere Glut einiger kleinen Feuerstellen in verschiedenen Winkeln
hervorleuchtete. Als sich meine Augen allmählich an die rauchige Luft
und das flackernde Licht der Holzfeuer gewöhnt hatten, erkannte ich
Gruppen umherhuschender Gestalten und vermochte die Größe der Hütte
zu schätzen, die etwa 10 Meter lang, 5 Meter breit und 3½ Meter hoch
sein mochte. Augenscheinlich lebten mehrere Familien in dieser einen
Hütte. Jeder war eine bestimmte Fläche des Lehmbodens und eine eigene
Feuerstelle zugewiesen. Trotz der erstickenden Hitze und schlechten
Lüftung wird das Feuer beständig in Brand gehalten. Auf der einen Seite
erhob sich eine große Plattform aus Zweigen, die mit getrocknetem Gras
zusammengebunden waren. Zum Hinaufsteigen diente ein der Länge nach
geteilter Palmstamm, in den Löcher eingeschnitten waren. So bildete
er eine Art Leiter, deren Gebrauch allerdings nur für nackte Füße
berechnet war. Dieser erhöhte Platz war dem Häuptling vorbehalten, der
Raum darunter seiner Familie. Noch in wenigstens einer der fünf übrigen
Gemeinschaftshütten des Dorfes war eine derartige Plattform vorhanden.
Dies schien darauf hinzudeuten, daß in dem Dorf zwei Familien mit je
einem Oberhaupt lebten oder daß der Medizinmann dasselbe Vorrecht
wie das Familienoberhaupt oder der Häuptling des Stammes genoß, denn
bestimmte und homogene Eingeborenenrassen gibt es im Amazonengebiet
nicht.

In der Nähe der Plattform fand sich ein „Manguaré“, eine Vorrichtung,
die als Telegraph und zugleich als Musikinstrument dient. Sie bestand
aus zwei Stücken eines ausgehöhlten Baumstamms, das eine länger als das
andere, die verschiedene Töne hervorbringen, wenn darauf geschlagen
wird. Dazu bedient man sich einer kurzen Keule, wie beim Gong, deren
eines Ende augenscheinlich in den Milchsaft des Kautschukbaumes
getaucht und dann mit Palmfasern umwunden wird. Die beiden Teile
hingen an Riemen von einem Querbalken herab, der die Hauptstütze des
Daches bildete. Auf diesen „Manguarés“ schlägt man den Takt bei den
Tänzen. Sie geben einen durchdringenden, sonoren Klang von sich. Ein
ähnliches, aber etwas größeres Instrument hing von einem Baum vor der
Hütte und diente als Sturmglocke oder Alarmsignal. Man kann damit über
eine Waldstrecke von 20 bis 25 Kilometer Signale geben, die allerdings
so weit nur in der Stille der Nacht vernehmlich sind. Hört man in der
Nähe zu, so bringt jeder Schlag einen eigenen, bestimmten Ton hervor.
In der Hütte waren an den Enden der hohlen Röhren Menschenschädel
als Verzierungen angebracht, denen man alle Zähne ausgerissen hatte,
um sie für Halsketten zu verwenden. Die Schädel stammten von den bei
Stammesfehden getöteten Feinden. Solche Kriege zwischen den Stämmen
scheinen überall in den entlegenen Wäldern fast ununterbrochen
zu herrschen und über Jahrhunderte hinweg fortgeführt zu werden.
Wahrscheinlich hing damit auch der Widerwille meiner beiden Boys
zusammen, unbekannte Waldgebiete zu erkunden, wo Wilde hausen mochten,
die ihrem Stamm feindlich gesinnt waren.

Einige Minuten hielt ich’s in der widerwärtigen Hüttenatmosphäre
aus. Der Rauch der Holzfeuer war zum Ersticken. Nachdem ich durch
die niedere Öffnung hinausgekrochen war, atmete ich mit Entzücken
die feuchte und schwüle Nachtluft des Waldes wieder ein. Vor Jahren
hatte mich einmal ein plötzlicher Sturm gezwungen, wie sie auf
dem „Dach“ der neuen Welt häufig sind, eine volle Nacht in einer
Lehmhütte der Aymara-Indianer des bolivianischen Hochlands zu
verbringen. Da ich nicht wußte, ob die Maloccas der Parintintins ebenso
ungezieferverseucht sein mochten, hielt ich es für geraten, mein ganzes
Unterzeug zu wechseln.

Die Frage, die sich nun erhob, war: Schlafen oder Nichtschlafen.
Natürlich wäre es einfach gewesen, die Nachtwache unter uns drei zu
teilen, aber schwieriger war es schon, sich einem friedlichen Schlummer
hinzugeben und der Wachsamkeit und Ehrlichkeit eines Eingeborenen
anzuvertrauen. Waren meine beiden Boys auch halbzivilisiert und
von anderm Stamm, so schien es doch ein Wagnis, ihnen den Schutz
der zum Leben nötigen Vorräte vor den Räubereien anderer gänzlich
unzivilisierter Eingeborenen zu überlassen. Das Ergebnis aller
Überlegungen war eine schlaflose Nacht, die durch Moskitoschwärme um
nichts erfreulicher gemacht wurde. Auch andere Quälgeister stellten
sich ein, die Sandflöhe, die sich unter die Haut eingraben, eine
chronische Entzündung hervorrufen und, wenn medizinische Hilfsmittel
fehlen, mit einer sterilisierten Nadelspitze entfernt werden müssen.

Als endlich das Licht des Tages durch die Lücken in der Baumwand
strömte, war es mir völlig klargeworden, daß Nächte im amazonischen
Urwald mehr an Dante als an die 1001 Nächte der arabischen Märchen
erinnern. Aber nicht lange darauf kam die Belohnung. Fast schon vor
Sonnenaufgang hatte der älteste unserer drei Führer vom letzten Tag
uns Speise ins Zelt geschickt. Es war ein unappetitliches Gemengsel
aus einer Art Pfeilwurz bereitet, in dem als ~pièce de résistance~
Teile eines großen Frosches zu erkennen waren, der bei vielen der
amazonischen Indianer als Leckerbissen gilt. Außerdem aber gab es
einen Haufen von „Maracajas“, der köstlichen Frucht der Passionsblume.
Da ich keinen Argwohn zeigen wollte, vergrub ich heimlich das
Pfeilwurzgericht. Heimlich, weil die Kinder durch die Zeltöffnung und
unter das Segeltuch hereinguckten. Dann machte ich mich mit übertrieben
zur Schau gestelltem Appetit an die Früchte. Aber sie bekamen mir
schlecht, und ich mußte später meine Zuflucht zu Chlorodyne nehmen.

[Illustration: Itogapukweib und Kind.]

[Illustration: Die Frau des Itogapukhäuptlings.]

[Illustration: Drei g’schamige Damen.

(Itogapuks.)]

Die Angehörigen des Stammes waren alle mittelgroß oder auch unter
Mittelgröße, hatten aber stark entwickelte Muskeln. Sie scheinen sich
fast ausschließlich von Wild, Fischen, Nüssen, Wurzeln und Früchten
zu nähren. Nicht weit von den Maloccas waren mit unendlicher Mühe
kleine Lichtungen ausgerodet, auf denen sie Bananen, Baumwolle,
Yukka, Yamswurzeln und Kassave anbauten. Tag und Nacht lebten sie im
Zustand völliger Nacktheit, nur die Frauen trugen eine sehr kleine
„Tanga“ (Schürze) aus gewebter Baumwolle oder andern Fasern, die mit
dem Saft des Orleanstrauchs (~Bixa Orellana~) rot gefärbt werden.
Sie verfertigen auch Körbe und andere Gegenstände aus Stroh und
Weidenzweigen, Hängematten und rohe, irdene Töpfe. Die Haare entfernen
sie vom Gesicht und Körper mit zangenähnlichen Muscheln, die man im
Schlamm der Igarapés und Waldseen findet.

Die Fischerboote und Kriegskanus werden aus leichten, ausgehöhlten
Bäumen oder aus Rinde gemacht und durch die Hitze des Feuers in Form
gebracht. Anscheinend besitzen die Parintintins ein natürliches
Zeichentalent. Sie verzieren selbst ihre „Taquaras“ oder Pfeile mit
Bildern von Vögeln, Reptilien und wilden Tieren. Mit dieser Waffe
erlegen sie Großwild so gut wie Fische und Vögel. Ihre schweren
Kriegsspeere und Bogen, wie auch sich selber bei ihren barbarischen
Orgien, schmücken sie mit Vogelfedern. Alle Krieger tragen dann Kronen
und Gürtel aus glänzenden Federn. Einige lassen die Schwänze von Araras
über den Rücken herabhängen, andere, auch Weiber zuweilen, haben
Bilder dieser Vögel auf Gesicht und Körper eintatauiert. Bei solchen
schauerlichen Festlichkeiten tragen die Weiber breite, lebhaft gefärbte
Strohtangas, die von den Ellenbogen bis zu den Lenden reichen.

Die Parintintins verbringen oft Tage fern von ihren Maloccas auf
dem Kriegspfad und auf Jagd- und Fischzügen. Zum Fischen bauen sie
sogenannte Tapirys an den Ufern der Seen und Igarapés. Sie bestehen
aus einer Plattform, die auf Pfählen über dem Wasser errichtet und vor
den tropischen Regengüssen durch ein Palmstrohdach geschützt wird. Rund
um die Maloccas finden sich an den Bäumen merkwürdige eingeschnitzte
Darstellungen von Menschen und Tieren. Sie dienen nicht nur zur
Belustigung der zahllosen nackten kleinen Kinder, sondern werden auch
als Zielscheiben benützt beim Unterricht im Schießen mit Bogen und
Blasrohr, wobei die Krümmung der Bäume das Treffen nicht unerheblich
erschwert.

Seltsam und auffallend ist das völlige Fehlen von Bärten und
Schnurrbärten bei den alten Männern. Offenbar werden alle Haare gleich
entfernt, wenn sie sich auf den Gesichtern der Männer oder dem Körper
der Weiber zu zeigen beginnen. Die Sprache der Parintintins scheint
zur Sprache des „Tupi“ zu gehören. Sie ist gänzlich verschieden von
der Lingoa Geral der alten halbzivilisierten Anwohner am Madeira, ein
weiterer Beweis, daß sie weder mit den Weißen noch der Halbzivilisation
längs der Hauptflüsse in nähere Berührung gekommen sind. Mit der
Guaranisprache hat das Tupi viel Gemeinsames.

Die Pfeilspitzen bestehen aus gehärtetem Holz, das in Gift getaucht
wird, oder aus den scharfen Zähnen des Waschbären. Frauen und Kinder
tragen Halsketten aus den Zähnen dieses Tiers, des Jaguars und
Alligators oder aus Menschenzähnen, die aus den Schädeln im Kampf
getöteter Feinde herausgerissen wurden.

Die Parintintins sind sehr abergläubisch wie auch andere amazonische
Stämme, sie glauben an gute und böse Licht- und Nachtgeister und können
als Mondanbeter bezeichnet werden. Nachts legen sie Früchte und Fleisch
auf die Bäume zur Speise für die bösen Geister, damit sie nicht in die
Maloccas kommen. Kein Mann darf sich ein Weib nehmen, ehe er nicht ein
wildes Tier erlegt hat, dessen Namen er nun sein Leben lang trägt. In
der dritten Nacht meines Aufenthalts unter den Parintintins war ich
so glücklich, einer ihrer schauerlichen Festlichkeiten beiwohnen zu
dürfen, die anscheinend mit ihrer Mondverehrung zusammenhing.

Sie begann mit dem wiederholten Kriegsgeschrei „Ya Taipehe!“, was,
wie ich später erfuhr, bedeutet: „Wir sind die Parintintins!“ Auf das
unheimliche Geschrei in der Stille der Wälder folgte ein nachahmendes
Wehklagen von seiten der Weiber im Schatten der Bäume. Dann begannen
die mit Federn prachtvoll geschmückten Tänzer mit ihren langen, mit
Büscheln versehenen Speeren in grotesker Weise in die schwarzen
Schattenflecke der Bäume oder vor dem Mond vorbeiziehenden Wolken
hineinzustechen. Plötzlich aber steckten sie die Speere mit der Spitze
nach oben in den Boden der Lichtung, und die ganze wirre Masse der
nackten Wilden formierte sich zu einer Linie von Bogenschützen, die nun
vorging, zurückwich, einen Kreis bildete und sich in Paare auflöste,
während sie unaufhörlich die Gebärden des Schießens machten, schrien
und mit den Füßen stampften.

Es war ein barbarisches Schauspiel, das sich auf der kleinen Lichtung
vor dem schwarzen Hintergrund des Waldes abspielte. Ebenso plötzlich
ging das kriegerische Bild in eins des Friedens über. Gegen das
Mondlicht zu stand nicht mehr eine Linie dunkler Gestalten mit Speeren
oder Bogen, sondern eine Reihe von Paaren, die auf Bambusflöten eine
seltsame Musik hervorbrachten und den Takt dazu mit den Füßen stampften.

Dann folgte ein Mahl von Affenfleisch, Eidechsen, Farinha und
einem seltsam bittern und höchst berauschenden Getränk, das „Embo“
genannt wird. Aus dem denkwürdigen Tanz entwickelte sich eine ebenso
unvergeßliche Orgie, an der die Männer, Weiber und selbst die
Kinder teilnahmen. Was danach kam, entzieht sich der Beschreibung.
Glücklicherweise stand der Mond niedrig über dem Wald, und die
Lichtung lag im Schatten. Streit erhob sich, und das Gesicht des
einen Beteiligten wurde durch den Schlag eines Steinbeils fast
entzweigerissen.

Da ich sah, daß die Sache jeden Augenblick eine schlimme Wendung nehmen
konnte, machte ich mir den Schatten der Bäume zunutze, rief meine
beiden Boys zu mir und zog mich mit ihnen in eine Bananenpflanzung
zurück, von wo wir das Zelt zu übersehen vermochten. Mitternacht war
schon vorüber, aber ich wagte weder einzuschlafen, wo ich lag, noch
nach dem erleuchteten Zelt zurückzukehren. Vier Stunden lang ging das
Schreien, Brüllen und Singen so weiter. Als aber die ersten gelben
Streifen am blaßgrünen Himmel erschienen, verstummte jeder Laut,
und vom Fieber geschüttelt, begab ich mich ins Zelt und zu meinem
Chininvorrat zurück.

Am nächsten Tag war der ganze Stamm mürrisch, verdrießlich und
schlechter Laune. Einer oder der andere der jungen Krieger erschien
im Zelt und verlangte Geschenke. Dann ließen sie ihre Bogen schwirren
und taten so, als zielten sie auf unser Lager. Meine beiden
Kanuboys fürchteten sich so, daß sie nicht dazu zu bringen waren,
die Nähe des Zelts zu verlassen. An diesem Tag war ich Zeuge einer
Begräbniszeremonie. Ob das Opfer bei einem Streit in der verflossenen
Nacht getötet worden war, kann ich nicht sagen. Die Leiche wurde aus
der Malocca herausgetragen und der Kopf vom Rumpf getrennt. Den Kopf
brachte man in die Hütte zurück, der Rumpf aber wurde in den Wald
geworfen, um dort von den wilden Tieren oder den geierartigen Urubú
abgenagt zu werden.

Früh am Nachmittag des fünften Tages gab es eine Überraschung. Ein
Indianermädchen trat aus einer der Hütten und ging über die Lichtung
in die Baumwollpflanzung auf der gegenüberliegenden Seite. Im Licht
der Sonne erschien ihre Hautfarbe fast weiß. Bei näherer Untersuchung
erwies sie sich jedoch als ein stumpfes Gelb, viel heller als die
Farbe aller andern Stammesmitglieder, soweit wir sie bisher zu
Gesicht bekommen hatten. Auch sie trug kein anderes Kleidungsstück
als die kleine Tanga. Aus einer Reihe von Fragen ging hervor, daß die
Parintintins sich Sklaven und Frauen auf ihren Raubzügen verschaffen
und daß das Mädchen zu einem andern Stamm gehörte, der weit im Süden
seinen Wohnsitz hat. Genauere Auskünfte, als daß sie aus dem Süden
stamme, konnte ich nicht erlangen.

Eine ähnliche Entdeckung wurde erst kürzlich von einem Beamten des
Indianeramts, namens Curt gemacht, der gegenwärtig mit dem Versuch
betraut ist, diesen wilden Stamm der Zivilisation näherzubringen.

Da ich einen allzu großen Beitrag zum Festmahl der letzten Nacht
gestiftet hatte, erhob sich von neuem die Frage der Ernährung, die
an Wichtigkeit nur von der eines sichern Rückzugs aus dem Dorf der
Parintintins übertroffen wurde. Ich erkannte ganz klar, daß unser
Leben von der täglichen Verteilung von Geschenken abhing. Viele
von ihnen wären ja für die Indianer ganz nutzlos gewesen ohne die
Anwesenheit jemands, der ihnen den Gebrauch erklärte. Eines Tages
weigerte ich mich, weitere Geschenke zu machen, hauptsächlich deshalb,
weil wir selber nur noch wenig hatten, selbst von den ursprünglichen
Vorräten an Lebensmitteln und Kleidern. Von diesem Augenblick an
schlug die Stimmung um, und in ehrlicher Bestürzung gelobte ich eine
große Verteilung, falls sie das Zelt und das schwere Gepäck zum Kanu
zurückschaffen würden. Vorerst waren sie damit nicht einverstanden.
Sie sagten, ich solle bei ihnen bleiben und ihnen im Kampf mit meiner
Flinte beistehen.

Das gab eine erwünschte Gelegenheit. In einer Reisetasche war noch
eine 5,6 Millimeter kalibrige Sportflinte mit abnehmbarem Kolben
verpackt. Als ich ihnen sagte, daß ich ihnen für die Rückbeförderung
zum Kanu einen „sprechenden Stock“ geben würde, wurde die Begierde des
Häuptlings schließlich so heftig, daß sie einwilligten. Ich fühlte mich
nun wesentlich erleichtert. In der Nacht noch suchte ich das wenige
Wichtige unter meinen Sachen heraus und packte es zusammen mit einigen
Lebensmitteln und Arzneien in meinen Rucksack.

Die Parintintins hielten Wort. Am folgenden Morgen begleitete uns fast
der halbe Stamm auf dem Rückweg zum Fluß. Ich bemerkte aber, daß meine
beiden Kanuboys außer einem kleinen Pack Lebensmittel nichts trugen.
Von diesem Augenblick an wußte ich, daß nur eine Politik der starken
Hand uns lebend bis zum Fluß brächte. Der Häuptling, ein verrunzelter
alter Krieger mit den dünnen, knochigen Beinen des Beri-Beri-Kranken,
verlangte ungefähr halbwegs, ich solle ihm den „sprechenden Stock“
zeigen. Das schlug ich glatt ab und antwortete, daß in meiner Hand
alle Stöcke sprächen. Höhnisch nahm er einen dürren Ast auf und
überreichte ihn mir. Ich fühlte nach meinem Revolver und feuerte durch
meine Rocktasche, während ich den Ast in der andern Hand hielt. Diese
einfache List machte Eindruck auf die Parintintins. Und obwohl noch
einige saure Gesichter machten und mit ihren Bogen klapperten, geschah
nichts weiter, bis wir den Fluß und das Kanu erreichten.

Nachdem wir die Zweige, mit denen das Kanu bedeckt war, entfernt
hatten und alles zur Abfahrt fertig war, nahm ich die Vogelflinte
aus der Reisetasche und händigte sie dem Häuptling ein. Sogar jetzt,
nachdem wir sechs Tage zusammengewesen waren, wollte der mißtrauische
alte Indianer sie nicht aus meiner Hand nehmen, sondern bedeutete
mir, ihm den Gebrauch zu zeigen. Das tat ich denn auch vor all
diesen halbdrohenden Wilden, aber ich trug Sorge, nur Platzpatronen
dazulassen, aus denen ich während der letzten Nacht Kugeln und Pulver
entfernt hatte. Ins Kanu springend machte ich den Revolver schußbereit.
Und es war gut, daß ich das tat, denn kaum tauchten die Ruder in den
Fluß, als ein Schauer vergifteter Pfeile überall um uns das Wasser
traf. Einer blieb zitternd im Holz des Kanus stecken.

Es war ein kitzliger Augenblick. Moskito verlor den Kopf und paddelte
aus aller Kraft, während der andere Boy vor Furcht wie gelähmt schien.
Dadurch fuhr das Kanu schief in den Fluß hinaus, statt sich von den
Indianern zu entfernen, die längs dem verwachsenen Ufer nicht folgen
konnten. Ich feuerte drei Schüsse gegen das Dickicht ab, hinter dem die
verräterischen Indianer Deckung gesucht hatten. Ob es nun der Knall
war, der den Zauber brach oder ein wohlgezielter Fußtritt -- jedenfalls
glitt das Kanu im nächsten Augenblick den Fluß hinab, getrieben von
zwei gänzlich verängstigten Boys. Fast zwei Stunden lang paddelten sie
so stark sie nur konnten, daß das kleine Fahrzeug über die dunkle,
ruhige Wasserfläche hinschoß, in der sich millionenfach die Blätter des
Urwalds spiegelten.

Von den ermüdenden Tagen der Rückfahrt in der Dampfbadatmosphäre
dieser zentralen Waldregion brauche ich nichts zu erzählen, außer daß
wir weder einen Indianer noch eine Malocca zu Gesicht bekamen. Die
Parintintins, die das ganze Gebiet zwischen den Flüssen Marmellos und
Gy-Paraná bewohnen, ziehen die entlegenen Wälder, Seen und Igarapés
vor. Auch heute sind sie zum größten Teile noch nicht unterworfen,
wie aus dem folgenden lebensvollen Bericht hervorgeht, den ich der
persönlichen Güte des Señhor J. Gondim vom Indianeramt verdanke. Ich
machte seine Bekanntschaft auf späteren Reisen im Amazonengebiet.
In diesem Bericht schildert er in allen Einzelheiten die letzten
Unternehmungen, die gemacht wurden, mit diesem wilden Stamm der großen
Wälder in freundschaftliche Beziehungen zu kommen.




10. Das erste Zusammentreffen zwischen Weißen und Wilden.


„Die Parintintins, die die entlegeneren Wälder des Madeiratals
bewohnen, zwischen den Flüssen Marmellos, Maicy und Gy-Paraná, sind
erst in allerletzter Zeit in Berührung mit der Zivilisation gekommen.
Wie man jetzt weiß, verlegen diese schlauen und äußerst wilden Stämme
ihre Maloccas häufig in dem unermeßlichen Gebiet von unbekannten
Wäldern, Flüssen und Sümpfen dieses großen Binnenlandes des ewigen
Dämmerlichts. Ein- oder zweimal waren zufällig vereinzelte Forscher
oder Kautschuksammler auf sie gestoßen, von denen manche angegriffen
und ermordet worden waren. Selbst die genaue Lage der Wohnsitze dieser
Wilden war ein Geheimnis, und die Grenzen der Zivilisation hatte
nur spärliche Kunde von den wenigen Weißen erreicht, die in diese
entfernten Gebiete eingedrungen und lebend wieder herausgelangt waren.

Daher mußten erst vorbereitende Forschungen von den Offizieren des
Indianeramts ausgeführt werden über weite Gebiete hin, um Beweise für
das Dasein der Parintintins in der Form von Kriegspfaden, verlassenen
Maloccas und frischen Lagerplätzen zu entdecken, ehe die schwierige
und gefährliche Arbeit wirklich in Angriff genommen werden konnte, mit
diesen Stämmen in unmittelbare Berührung zu treten.

Der erste Posten des Indianeramts in diesem Gebiet wurde am 24. März
1921 in der Schleife einer großen Flußkrümmung am mittleren Maicy,
einem Nebenfluß des Madeira, errichtet. In den umliegenden Wäldern
hauste ein starker Stamm von Pirahanindianern (Turas), die seit
Jahrhunderten in beständigen Fehden mit ihren nomadischen Nachbarn,
den Parintintins, leben. Die Kämpfe zwischen diesen beiden Stämmen
finden oft auf dem offenen Fluß statt, wo sie in ihren rohen Kanus aus
ausgehöhlten Baumstämmen heftige Angriffe aufeinander machen und sich
aus nächster Nähe mit vergifteten Pfeilen überschütten. Jeder Kriegszug
von der einen Seite hat einen Rachezug von der andern zur Folge, und so
geht der Krieg ewig weiter.

Mit der Gründung der Station am mittleren Maicy schränkten die
Pirahans ihre blutigen Kriegszüge gegen die benachbarten Stämme
allmählich ein und betreiben nun Jagd und Feldbau mit den Geräten und
Werkzeugen, die ihnen von der Station geliefert wurden. Nachdem diese
Vorbereitungsarbeit vollführt war, wurde ein neuer Hilfsposten an
einem Nebenfluß des Maicy errichtet, dem Maicy-Mirimé. Das kleine Fort
mit seiner Palisadenumwallung steht auf einer hohen Uferbank an der
Vereinigung des Flusses mit einem Igarapé, namens Novo de Janeiro, etwa
neun Tagereisen von der Station am mittleren Maicy. Nach Ankunft der
kleinen Garnison richtete der Kommandant sogenannte „Anlockungsposten“
an den Ufern der Igarapés Macacos (Affen) und Traheras und auch längs
der Kriegspfade ein, die von den Indianern in der Nachbarschaft
begangen zu werden pflegten.

Solche „Anlockungsposten“ bestehen lediglich aus kleinen mit
Zinkblech gedeckten Lehmhütten, in die hinein geflochtene Graskörbe,
farbenprächtige Kleider, Kessel, Teller, Löffel und andere nützliche
Gegenstände gelegt werden. Außerhalb der Hütten befinden sich
Wegzeichen, um den Pfad anzuzeigen, der zur Station führt. Auf solche
Weise werden die Wilden durch die Geschenke angelockt und allmählich
dahin gebracht, sich vor den Palisaden zu Unterhandlungen einzufinden.

Einige Tage nach der Einrichtung dieser „Anlockungsposten“ in den
Wäldern fand sich, daß alle dort niedergelegten Geschenke fortgenommen
worden waren. Als Gegengeschenke steckten verzierte Pfeile im Boden.
Doch hatten die Indianer sich große Mühe gegeben, alle Spuren der Wege
zu verwischen, auf denen sie gekommen waren, um zu verhindern, daß man
ihnen zu ihren Maloccas folge.

Als wieder neue Geschenke in die Hütten gelegt wurden, ohne daß man den
Versuch machte, die Indianer in ihren Dörfern aufzuspüren, faßten die
Parintintins allmählich Zutrauen zu der freundschaftlichen Gesinnung
der Garnison. Nach wenigen Wochen versuchten sie nicht mehr, die
Pfade zu verbergen, auf denen sie kamen und gingen. Als Zeichen der
Freundschaft ließen sie in den Lehmhütten Pfeile zurück, geschmückt
mit den prächtigen Federn des Schapú (~Cassicus cristatus~), Arara
und Mutum, oder auch verschiedene kleine Gegenstände, die sie aus den
Zähnen des Waschbären und Jaguars verfertigt hatten.

Die erste wirkliche Begegnung zwischen der Garnison der Station und
den Parintintins fand am 24. März 1922 statt. Ein Assistent, Raymundo
Baptista, ging in den Wald, um einen der kleinen „Anlockungsposten“
nachzusehen und traf überraschend auf eine Gruppe Indianer, die sich
gerade dort befanden. Da er die Unmöglichkeit erkannte, sich im Fall
eines Angriffs zu verteidigen, begann er in der Richtung der Station
davonzulaufen. Er mußte fast durch den Trupp der Indianer hindurch,
die zuerst auch von der Überraschung gelähmt schienen. Aber dies ging
schnell vorüber. Sie griffen nach ihren Bogen und sandten mehrere
Pfeile dem Flüchtling nach, der jedoch unverletzt die Palisaden
erreichte.

Nach diesem Zwischenfall verschwanden die Indianer vollständig für
mehrere Wochen. Sie verbargen sich in den fast undurchdringlichen
Wäldern, die auf Hunderte von Kilometer die Station umgeben. Zuweilen
ließen sich die Töne einer heiligen Bambusflöte hören, auf der sie
Vogelrufe nachahmen. Dann erschienen sie plötzlich auf dem andern Ufer
des Igarapé, schrien „Pum! Pum! Pum!“ und schossen ganze Schauer von
vergifteten Pfeilen auf die Palisaden. Darauf verschwanden sie von
neuem für einige Zeit und machten dann einen entschlossenen Angriff
auf die Station von einem kleinen Stück Land aus, das weniger als 70
Meter von dem Stacheldrahtverhau der Palisaden entfernt war. Ganze
Pfeilsalven flogen herüber, und so oft sich einer von der Garnison
sehen ließ, brachen die Indianer in ihr übliches Schlachtgeschrei aus.
Einige sprangen ins Wasser des Igarapés mit der offenbaren Absicht, zur
Station herüberzuschwimmen, andere verbargen sich zwischen den Zweigen
eines großen Baumes, von wo sie das Fort neugierig beobachteten.

Das ging so beinahe ununterbrochen weiter bis zum 8. Mai. Am Morgen
dieses Tages hörte Señhor Curt, der Kommandant des Forts, zu seiner
Überraschung ein wirres Geschrei von dem Igarapé her. Die Parintintins
rückten zum erstenmal gegen die Palisaden vor. Von den starken
Holzwänden des Forts geschützt, sah die Besatzung, wie die Wilden
den Eingang der Palisadenumwallung erzwangen und vorsichtig mit
schußbereitem Bogen in den Hof eindrangen.

Es war ein bedenklicher Augenblick. Auf die Indianer zu schießen, hätte
ein Zunichtemachen alles dessen bedeutet, was in den letzten Wochen
erreicht worden war. So begnügte sich die Besatzung damit, die Flinten
zu zeigen, worauf sich die Indianer wieder aus der Einfriedigung
zurückzogen, aber in der Nähe stehenblieben. Der Kommandant trat nun in
den Hof hinaus mit mehreren Geschenken in der Hand und rief die Wilden
freundlich an. Als er keine Antwort erhielt, ging er ans offene Tor und
stellte einen Korb mit Messern, Beilen und einem Bund dicker Schnüre
hin, worauf er sich sofort wieder in das Fort zurückbegab.

Die Indianer näherten sich nun dem Tor und setzten sich in Besitz des
Korbes samt Inhalt. Sie schleppten ihn an den Igarapé, wo sie sich
ihrer Gewohnheit nach in dem üblichen Kriegsgeschrei Luft machten.
Dann kletterten sie in die Bäume hinauf und schossen Pfeile ab, die
aber vor dem Fort niederfielen. Nach mehreren Minuten ängstlicher
Erwartung kehrten drei der Parintintins zurück, hielten sich aber in
einer gewissen Entfernung. Sie riefen die Besatzung an und gaben durch
Zeichen zu erkennen, daß sie weitere Geschenke wollten, wobei sie das
Wort „Akanitara“ (Kopfschmuck) wiederholten.

Einer der drei, ein hellfarbiger Junge von etwa fünfzehn Jahren, zeigte
aufs leidenschaftlichste, daß er die versöhnliche Haltung seiner
Begleiter mißbilligte. Sein Gesicht bot ein Bild barbarischer Wut. Als
er sah, daß einer der Indianer den Federschmuck vom Kopf nahm, um ihn
der Besatzung anzubieten, machte er alle Bewegungen des Schießens,
obwohl er keine Pfeile bei sich hatte, stampfte mit den Füßen und stieß
herausfordernde Rufe aus.

Da die beiden andern Geschenke als Gegengabe für den Kopfschmuck
verlangten, trat der Kommandant Curt ans Flußufer, warf einen Korb
mit Buschmessern ins Wasser und rief den Indianern zu, ihn zu holen.
Einige Minuten standen sie still und zögerten. Dann sprang einer ins
seichte Wasser, fischte den Korb heraus und verteilte den Inhalt. Als
Gegengeschenk legten sie einen Kopfschmuck aus Federn außerhalb der
Palisadenumzäunung auf den Boden und bedeuteten der Besatzung, sie
sollte ihn holen. Der Kommandant Curt entgegnete aber, daß er das
nicht tun würde, weil noch vor wenigen Minuten Pfeile auf das Fort
abgeschossen worden waren.

Die Parintintins gebrauchten nun eine schlaue List, um ihn in
Sicherheit zu wiegen. Sie deuteten ihm an, noch mehr Geschenke zu
bringen und fingen inzwischen an zu tanzen und zu singen, während sie
ihre Bogen in die Höhe hoben. Einer hatte den Kopfschmuck an seinen
langen Bogen gebunden. Zwei andere zu beiden Seiten von ihm stießen
ihren Kriegsruf aus, und während alle vier so tanzten mit dem Rücken
gegen das Fort, überwachte ein unbewaffneter Fünfter die Bewegungen der
Besatzung.

Der Kommandant verließ das Fort und legte die Geschenke auf dem
angegebenen Platz nieder. Die Indianer hörten zu tanzen auf und einer
von ihnen überschritt den Fluß, um den Korb mit den Geschenken zu
holen. Mittlerweile stürzten jedoch andere Indianer, die sich jenseits
des Flusses verborgen gehalten hatten, an den Uferrand und schossen
zwei Pfeile ab, die glücklicherweise zu kurz gingen. Curt gab jetzt den
Indianern zu verstehen, daß er keine Geschenke mehr austeilen würde,
aber der Wilde, der den Fluß überschritten hatte, kam nun näher und
erklärte durch Zeichen, daß nicht er die Pfeile abgeschossen hätte.

Vier weitere Indianer hatten inzwischen Mut gefaßt, kamen über den Fluß
und traten zu ihrem Kameraden im Tor der Station. Der älteste von ihnen
nahm die Federkrone vom Kopf und warf sie dem Offizier zu, der sie
auffing und als Gegengabe den Indianern zwei Perlenhalsbänder hinhielt.
Sie zogen sich aber, „Embombo!“ rufend, zurück, ein Ausdruck, der
offenbar von dem Tupiwort abgeleitet ist, das „Spiel“ bedeutet.

Einer der Indianer erkundigte sich, ob die Weißen den „Caiary“
(Madeira) herauf- oder herabgekommen seien und wie der Name ihrer
Heimat wäre. Man antwortete ihm, daß die Besatzung den Fluß
heraufgekommen wäre und daß ihre Heimat weit entfernt gegen den Aufgang
der Sonne zu läge. Ein anderer fragte, ob einer der jungen Männer der
Besatzung der Sohn des Kommandanten wäre! Als das verneint und ihm
erklärt wurde, daß die Frauen und Kinder in der Ferne zurückgelassen
worden seien, schien er überrascht.

Ein paar Tage später kehrten die Parintintins zurück. Diesmal wurden
keine Pfeile abgeschossen. Sie kündigten ihre Ankunft mit Geschrei aus
dem Wald an und kamen bis dicht an die Palisaden heran. Auf die Frage,
ob sie Hunger hätten, machte einer eine komische Gebärde, indem er die
Hand in grotesker Weise auf den leeren Magen legte. So wurden also
Speisen herbeigeschafft, und Curt kostete von jedem Gericht ein wenig,
damit die Indianer sich überzeugten, daß es nicht vergiftet wäre.
Einige Minuten lang wollte keiner näher kommen, trotz ihres Hungers.
Dann trat ein junger Wilder in vollem Vertrauen heran, und erhielt
persönlich die ersehnte Speise.

Curt versuchte, mit ihm unmittelbar ein Gespräch anzuknüpfen, aber der
Indianer kehrte mit den Speisen zu den andern zurück, die außerhalb der
Palisaden auf ihn warteten. Nachdem sie gegessen, gesungen und getanzt
hatten, verschwanden sie wieder im Walde.

Soweit bekannt ist, war dies das erstemal, daß ein Parintintinindianer
irgend etwas friedlich und unmittelbar aus der Hand eines Weißen
entgegengenommen hatte. Hiernach kamen sie öfters auf die Station, und
während die einen geduldig darauf warteten, in den Hof eingelassen zu
werden, versuchten andere mit schweren Holzkeulen die Palisaden zu
zerstören. Bei solchen Gelegenheiten wurden die mehr kriegerischen
Indianer von der Besatzung verwarnt und nur jenen der Eintritt in die
Umfriedigung gestattet, die ihre Waffen draußen gelassen hatten.

Von da an streiften die Parintintins um die Station herum, erhielten
Geschenke und schenkten dagegen von ihren eigenen Schmuckstücken. Im
Anfang waren sie noch scheu, nach ein paar Wochen aber faßten sie
Zutrauen und ließen sich mit Hilfe von Zeichen und Zeichnungen in lange
Gespräche mit der Besatzung ein. Es war interessant, welche Mühe sie
sich gaben, sich durch Zeichen und Tupiwörter verständlich zu machen.
Sahen sie, daß jemand sie nicht verstand, so wiederholten sie die Worte
und wußten sich pantomimisch recht geschickt auszudrücken.

Einmal erschienen sie in Begleitung ihrer Weiber und führten ihre
Stammestänze vor. Sie begannen paarweise, tanzten vor und zurück und
stampften mit den Füßen zur Musik von Bambusflöten. Dann wurden die
Musikinstrumente beiseitegelegt, und aus dem Tanz entwickelte sich
eine Darstellung des Kampfes. Jede Partei ging in einer Linie vor,
dann knieten sie sich plötzlich nieder oder warfen sich der Länge
nach auf den Boden und vollführten die Bewegungen des Bogen- oder
Blasrohrschießens.

Kamen sie zur Station, so war es üblich, die Waffen am Flußufer
abzulegen und sich mit hoch über dem Kopf erhobenen Händen zu nähern,
ehe ihnen das Tor der Einfriedigung geöffnet wurde. Häufig geschah es
jedoch, daß sich unter den Besuchern ein oder zwei wildere Gesellen
befanden, die oft Leute der Besatzung bedrohten. Aber diese verstand
es vorzüglich, die Gefahr abzuwenden und die schlimmsten Instinkte der
Wilden zu besänftigen. Unter den bisherigen Besuchern befindet sich
auch ein Junge von etwa 15 oder 16 Jahren, dessen Hautfarbe viel heller
ist als die der übrigen und der auch gänzlich andere Gesichtszüge hat.“

Der vorstehende Bericht über die Leistungen des Indianeramts in
diesen entlegenen Wäldern enthält alles Wesentliche, was mir der
genannte Beamte am Rio Negro im Dezember 1922 erzählte. Man darf nicht
vergessen, daß alle die Vorbereitungen und daran sich anschließenden
gefahrvollen Unternehmungen lediglich dazu dienten, mit einem einzigen
Stamm der Wilden am Maicy-Mirimé in Berührung zu kommen, einem
Fluß, der auf keiner gewöhnlichen Landkarte zu finden ist. Wenn man
bedenkt, daß es noch heute ein unbekanntes Gebiet von fast zweieinhalb
Millionen Geviertkilometer im Amazonenbecken gibt, so wird man die oft
wiederholte Behauptung, es wäre auf der Welt nichts mehr zu erforschen,
mit einigen Fragezeichen versehen.

Jener fast weiße Parintintinjunge entspricht mehreren gleichartigen
Fällen bei verschiedenen Stämmen, die ich selber auf meinen
monatelangen Wanderungen durch die amazonischen Wälder gesehen habe.
Ob solche merkwürdige Farbe- und Rasseeigentümlichkeiten tatsächlich
mit Raub und Gewalttat an den weißen Frauen irgendeiner entlegenen
Ansiedlung zusammenhängen, ist unmöglich zu sagen. Bekannt ist jedoch,
daß vor mehreren Jahrhunderten ein paar Tausend Spanierinnen von den
Huambisa-Indianern des nordöstlichen Peru geraubt wurden. Allerdings
würde die seit damals verflossene Zeit den Einfluß des weißen Blutes
wieder aufgehoben haben, und auch spätere Räubereien hätten wohl nur
eine Caboclomischung im rein indianischen Blut hervorgebracht.

So auffallend ist der Anblick einer fast weißen Haut unter einer Schar
nackter Bronzegestalten, daß von einer, etwa nur ein wenig helleren
Färbung nicht die Rede sein kann. Auch die Gesichtszüge scheinen
Abweichungen aufzuweisen, und zwar nicht nur nach meiner eigenen
Beobachtung, sondern auch der anderer. Noch komplizierter wird die
Sache dadurch, daß solche weiße Indianer auch nicht die leiseste
Erinnerung an stammesfremde Verwandte haben. Befragt man sie selbst,
so räumen sie wohl ein, daß sie hellfarbiger sind, ohne daß sie aber
imstande wären, einen Grund dafür anzugeben. Die Theorie, daß der
Genuß von Salz bei Europäern eine hellere Haut- und Haarfarbe
hervorbringt, kann unmöglich auf diese Einzelindividuen unter den
bronzefarbenen Stämmen des Amazonengebiets angewendet werden.

[Illustration: Ein Itogapukmädchen, zum Tanz geschmückt.

Die durchbohrte Oberlippe und die merkwürdigen Rohrbänder sind deutlich
zu sehen.]

[Illustration: Itogapukindianer vor ihrem Gemeinschaftshaus.]

In diesem Zusammenhang mag es von Interesse sein, wenn ich mit einigem
Vorbehalt den Bericht Sir Clements Markhams über einen im nordöstlichen
Peru vermuteten weißen Indianerstamm anführe. Der Verfasser bringt ihn
in seinem Werk „~List of Tribes of the Amazon Valley~“, das aus vielen
Quellen schöpft und 1910 vom „~Royal Anthropological Institute of Great
Britain and Ireland~“ herausgegeben wurde.

Dort heißt es, daß die Mayorunasstämme des Ucayali-Yavari-Gebiets
„eine weiße Hautfarbe haben und mehr Engländern als selbst Spaniern
gleichen. Sie ziehen jagend durch die Wälder und halten sich nicht viel
an die Flüsse. Es wird angenommen, daß sie von spanischen Soldaten
der Ursula-Expedition abstammen, doch ist dies unwahrscheinlich. Als
der Inka Pachacuti die Chancas unterwarf, floh ein Teil dieses Volkes
nach Muyumbamba, und dessen Einwohner flohen vor den Eindringlingen
und ließen sich am Ucayali und Yavari nieder. Wahrscheinlich ist dies
der Ursprung der Mayorunas oder Mururunas (= Männer von Muya). Sie
haben eine seltsame und schmerzhafte Art, die Barthaare zu beseitigen.
Sie nehmen zwei Muscheln, die als Haarzängchen dienen, und reißen ein
Haar nach dem andern aus, wobei sie solche Gesichter schneiden, daß
man beim Zusehen lachen und gleichzeitig Mitleid mit ihnen haben muß.
Zuweilen werden sie Barbudos genannt. Sie sind sehr zahlreich, von
höherm Wuchs als die meisten andern Stämme und gehen beständig nackt.
Sie sind kriegerischen Charakters und stehen mit keinem andern Stamm
in einem Freundschaftsverhältnis. Pfeile und Bogen sind bei ihnen
nicht in Gebrauch, sondern nur Speere, Lanzen, Keulen und Cerbatanas
oder Blasrohre, und das Gift, das sie zubereiten, gilt als das
allerwirksamste. Sie sind wohlgebildet, besonders was die Hände und
Füße der Weiber betrifft, haben gerade Nasen und kleine Lippen. Das
Haar schneiden sie quer über die Stirne ab und lassen es über den
Rücken herabhängen. Bemerkenswert ist ihre Reinlichkeit. Tatsächlich
ist sehr wenig über sie bekannt. Sie greifen jeden an, der in ihr
Gebiet eindringt, und die Bootführer nehmen sich in acht, auf ihrem
Ufer des Ucayali zu landen. Castelnau führt zwölf Mayorunawörter an und
Bates gibt die interessante Schilderung eines Mayorunamädchens, das am
Yavari gefangen wurde.“

Seit Jahrhunderten laufen solche Geschichten von weißen Indianern um
unter Forschern und Reisenden vieler Nationalitäten. Nun sind sie von
Offizieren des Indianeramts bestätigt worden, die ihr Leben in den
düstern Wäldern verbringen. Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den
sich bekämpfenden Theorien. Jene Indianer sind nicht rein weiß, sondern
haben nur eine sehr helle Hautfarbe, die im schärfsten Gegensatz zu
ihrer Umwelt steht und daher stärker zur Geltung kommt. Ein einziger
weißer Stamm, der sich irgendwo im „großen Unbekannten“ verbirgt,
würde die vielen Einzelfälle nicht erklären, die von mehreren,
Tausende von Meilen von einander entfernten Stämmen berichtet werden.
Die wahrscheinlichste Erklärung liegt in weißen Ahnen, mögen sie nun
Gefangene oder Überläufer gewesen sein, und in einem plötzlichen
Rückschlag nach vielleicht zwei oder mehr Generationen.




11. Die Entdeckung eines unbekannten Indianerstammes.


Wen sein Beruf in die dämmerigen Wälder führt, zu den verseuchten
Sümpfen oder an die entlegenen kochheißen Flüsse dieses geheimnisvollen
Landes der Einsamkeit und unvorstellbaren Ausdehnung, der betrachtet
den großen Amazonenstrom selbst etwa geradeso, wie die Neuyorker oder
Londoner während einer Hitzwelle den Hudson oder die Themse ansehen.
Es gibt dort, sowohl in Pará als in Manáos, winzige Strandplätze mit
Badegelegenheiten, Landhäusern und Dampferausflügen. Zuweilen kann es
geschehen, daß ein Jaguar das Picknick stört, ein Alligator neben der
Barkasse auftaucht oder ein elektrischer Aal das Bad unterbricht. Aber
die Kühle des großen Stromes und ein frisches Lüftchen machen sich
überall geltend, und außerdem gibt es Eisgetränke, richtige Speisen,
ein Dach, ein Bett und menschliche Gesellschaft.

In solcher Weise stand Manáos einladend vor meinem Geist, die kleine
Dschungelstadt am äußersten Rand der Zivilisation, als ich aus den
Gebieten der Flüsse Mutum und Gy-Paraná zurückkehrte. Irgendwie sehnte
ich mich nach einer guten Mahlzeit, einem Bad und der Möglichkeit,
ein wenig zu plaudern. Schon die Vorstellung eines geeisten Getränks
machte mich schwindlig, und so hielt ich mich nur so lange in Humaitá
auf, um es gründlich satt zu bekommen, weil erst nach viereinhalb
Tagen der nächste Dampfer flußabwärts abfahren sollte. Als ich endlich
das weißgetünchte Zimmer mit seinen Ameisen und Spinnen verließ
und an Bord ging, faulenzte ich, las, badete, aß und nahm alle die
Eisgetränke zu mir, nach denen ich mich so sehr gesehnt hatte. Mein
Wunsch, mich in Manáos auszuruhen, verblaßte schnell, und als ich in
Manicoré erfuhr, daß ein höchst angesehener Amazonese eine Expedition
den Aripuananfluß hinaufschickte, verschwand er ebenso eilig aus meiner
Seele wie mein kaum noch respektables Gepäck vom Dampfboot. Zwei Tage
später saß ich mit drei Begleitern in einem großen Batalõe und fuhr um
die Aripuananinsel herum in die verborgene Mündung dieses wundervollen
Flusses gleichen Namens ein. Die Roosevelt-Rondon-Expedition hatte
ihn 1913 in seiner ganzen Länge befahren, unser Ziel aber waren die
noch immer unerforschten Urwälder seitlich des Hauptflusses unter 8°
17′ südlicher Breite. Beamte des Indianeramts befanden sich damals
auf der Suche nach wilden Stämmen, die an den Ufern eines kleinen
Flusses, namens Madeirinha, wohnen sollten, und das Batalõe mit seiner
Caboclo-Bemannung brachte ihnen und einer abgelegenen Pflanzung die
notwendigen Vorräte.

Unwiderstehlich zog es mich dahin, weil ich auf all meinen Karten
und unter meinen Notizen nichts über diesen Fluß finden konnte, noch
irgendeine Andeutung, daß schon europäische Reisende jene „leere“
Gegend erforscht hätten. Theodore Roosevelt und General Rondon vom
brasilianischen Überland-Telegraphen-Dienst, die beiden prächtigen
Pioniere der Wildnis, deren Leistungen viel zu wenig bekannt sind,
waren 1913 den Fluß hinaufgefahren und offenbar auch an der Mündung
des Madeirinha vorübergekommen, aber genauere Nachforschungen schienen
sie in diesem Gebiet nicht gemacht zu haben. Also bot sich jetzt eine
Gelegenheit, die ohne lebenslängliche Reue nicht vernachlässigt werden
durfte.

[Illustration: Skizze des Gebiets des Tapajóz und des Madeira.]

Über die mühselige Reise von 360 Kilometer den Aripuanan flußaufwärts
werde ich nicht viel berichten. Wer sich für seine niemals auch
nur vom leisesten Lüftchen bewegte Wasserfläche interessiert, die
ununterbrochenen Ufermauern tropischer Wälder, seine Stromschnellen,
die stellenweise Lücken in das Blättermeer reißen, seine beständig in
der dampfheißen, stagnierenden Luft umherschwirrenden Moskitos und die
beinahe nicht vorhandene Uferbevölkerung, wird glänzende Schilderungen
davon an andern Orten finden. Was ich selber hinzufügen könnte, wären
nur Beschwerden über persönliches Unbehagen und Erzählungen von
schwierigen Überlandumgehungen einiger Stromschnellen und von fast
unaufhörlicher Arbeit beim Rudern und Stechen gegen die Strömung. Die
Aufgabe des vorliegenden Buches besteht in der Schilderung wilder
Indianerstämme im entlegenen Amazonengebiet. Berichte über die
Schwierigkeiten des Ortswechsels von einer Zone zur andern mit allem
Drum und Dran dürfen den Charakter des Buches nicht in den einer
langweiligen und ereignislosen Reisebeschreibung verwandeln. Der Raum
gestattet nur kurze Erwähnungen des Kommens und Gehens, gerade so viel
als nötig ist, den Zusammenhang der Ereignisse zu wahren.

Am 30. Juli verließen wir die Aripuananinsel auf 5° 22′ südlicher
Breite und bewältigten die 360 Kilometer in achtzehn Tagen. Bald nach
der Vereinigung mit einem großen Fluß, auf 7° 32′ südlicher Breite, kam
eine Reihe gefährlicher Stromschnellen, die öfter als einmal schwere
Arbeit bei der Entladung des Kanus erforderten. Wenige Kilometer
weiter zeigte sich eine anscheinend verlassene Barraca. Dann folgten
noch weitere Stromschnellen, und endlich war die Mündung des kleinen
Madeirinha in den Hauptfluß erreicht, auf 8° 17′ südlicher Breite.

Der kleine Fluß hatte eine flaschengrüne Farbe und wand sich durch den
dichten, düstern Urwald. Stellenweise hingen die mächtigen Äste wie
Schirme über unsern Köpfen, und das Kanu glitt wie auf einem Spiegel
im grünlichen Halbdunkel dahin. Stundenlang hielten wir Ausschau nach
dem Lager des Offiziers des Indianeramts mit seinen Leuten, und endlich
entdeckten wir es auf einer kleinen Lichtung halbverborgen hinter
dem Walddickicht. Der unerschrockene Beamte nahm mich liebenswürdig
auf und erklärte mir, wie er es machte, um mit den Wilden des Landes
in freundschaftliche Berührung zu kommen. Er hatte bereits ihre
Kriegspfade einige Kilometer weit in die hier besonders dichten
Wälder hinein begangen. Auf einen seiner Cabocloleute war mit Pfeilen
geschossen worden, aber bis jetzt hatte man noch keinen Indianer zu
Gesicht bekommen.

Wir schlugen neben der kleinen, nur vorläufigen Station unser Lager
auf, und zum erstenmal seit der Abfahrt aus Manicoré erfreute ich mich
einer wirklichen Nachtruhe, da ich keine Wache zu halten brauchte.
Während der nächsten beiden Tage ereignete sich nichts Besonderes,
doch stiegen meine Hoffnungen, weil der Offizier die Überzeugung
aussprach, daß sich ein gänzlich unbekannter Stamm in den umgebenden
Wäldern aufhalte. Dies bewahrheitete sich schneller, als wir erwartet
hatten. Am dritten Tag näherten sich zwei Wilde den Geschenken, die
verführerisch an den Bäumen hingen. Sie wurden von einem der Leute der
Station überrascht, der sich jedoch in Sicherheit zu bringen vermochte.
Er kam ins Lager und erzählte von Indianern mit Federkronen auf den
Köpfen, riesigen Speeren und aus Holz verfertigten Bändern über beiden
Schultern.

Diese Nachricht verursachte ziemliche Aufregung. Denn aus der
Beschreibung des Mannes schien mit Sicherheit hervorzugehen, daß wir
auf der Schwelle zu einer Entdeckung waren. Diese Art Jagd auf Indianer
oder, besser gesagt, Anlockung erfordert nicht nur gute Nerven, sondern
auch Geduld. Ein Versuch, gleich auf die erste Begegnung hin die
Maloccos der Indianer aufzufinden, hätte den ganzen Erfolg in Frage
gestellt und wäre vielleicht für uns alle verhängnisvoll geworden. In
den Tiefen der Wälder hätten zwei Weiße mit einigen unzuverlässigen
Caboclos gegen einen wilden Indianerstamm nur wenig ausrichten können,
der zudem im Dschungelkrieg geschickt und erfahren war.

Während der nächsten acht Tage war von den Indianern nichts zu sehen
noch zu hören, und das Warten ging uns gehörig auf die Nerven, da wir
nicht wußten, ob sie nicht einen überraschenden Angriff planten. Am
Morgen des neunten Tages brachten wiederholte wilde Schreie aus dem
halbdunkeln Dickicht das ganze Lager in Bewegung. Wir hielten sie für
Freundschaftsrufe und beantworteten sie demgemäß. Denn die meisten
amazonischen Indianer pflegen sich nur dem Feind schweigend zu nähern.
Aber nichts ereignete sich in der nächsten halben Stunde, obwohl das
Geschrei alle paar Minuten von beiden Seiten seinen Fortgang nahm.

Endlich teilten sich die Blätterwände an verschiedenen Stellen zugleich
und sechs bronzefarbene Gestalten, mit langen Lanzen bewaffnet,
erschienen im Halbkreis auf der winzigen Lichtung. Sofort ward es
augenscheinlich, daß sie zu einem neuen Stamm oder einer Unterfamilie
gehörten. Keiner der sechs hatte die schiefe Augenstellung oder die
mongolischen Gesichtszüge, die sonst bei den amazonischen Wilden
auffallen. Ihr Haar war rings um den Kopf in dicke Fransen geschnitten
und mit kleinen Rohrsplittern verziert. Um die Lenden, Fuß- und
Handgelenke, Arme und Schultern trugen sie Rohr- oder Schilfbänder,
von denen am Oberarm Federn wie Epauletten abstanden. Abgesehen von
diesem seltsamen Schmuck, Halsketten aus Samenkörnern und einer Unzahl
schwarzer, gemalter Ringe um die Beine waren sie völlig nackt.

Der Offizier bedeutete ihnen in der Tupisprache, ihre Lanzen, Bogen
und Pfeile abzulegen. Da sie das nicht zu verstehen schienen, legte
er ruhig seine Flinte auf den Boden. Nach einigen Minuten des Zauderns
folgten sie seinem Beispiel und erhielten darauf zahlreiche Geschenke,
die ihre ein wenig grausamen Augen buchstäblich zum Glitzern brachten.
Aber Tanzen, Schreien oder andere Freudenbezeigungen unterließen sie,
wie ich sie bei den Parintintins beobachtet hatte.

Das Charakteristischste an diesen Indianern waren ihre
blutunterlaufenen Augen und durchbohrten Oberlippen, was beides, wie
ich später erfuhr, mit kannibalischen Gebräuchen zusammenhängt. Ihre
Pfeile waren mit Vogelfedern verziert und hatten breite Holzspitzen,
die nicht in Gift getaucht worden waren. Von andern eigenartigen
Schmuckgegenständen trugen sie Rohrringe am zweiten Finger und
Schlingen aus dünnen Schnüren um Nacken und Lenden, die sich über
der Brust kreuzten. Ungleich allen sonstigen Stämmen, die ich bisher
gesehen hatte, schlugen sie sich nicht wie Affen auf die Brust, um ihr
Vergnügen zum Ausdruck zu bringen, sondern zeigten eine unbefangene und
würdige Haltung.

Nach einer langen pantomimisch geführten Unterhaltung, in die wir
einige Tupiworte mischten, die sie zu verstehen schienen, zogen sie mit
Geschenken beladen wieder ab. Ich dachte bei mir, daß die Hälfte dieser
Geschenke für sie völlig nutzlos war, da sie Dinge wie Löffel und
Gabeln aus Aluminium doch nicht zu gebrauchen wußten. Wahrscheinlich
würden sie mit Steinen zu Speerspitzen verarbeitet werden. Aber
schließlich war nun doch ein Anfang gemacht, was keineswegs so einfach
ist, als es sich hier gedruckt ausnimmt.

Mehrere Tage verstrichen, ohne daß die Indianer wieder erschienen. Dann
drang von neuem Geschrei aus der Tiefe des schweigenden Waldes, aber
diesmal in größerer Stärke. Daraus ging hervor, daß freundschaftliche
Beziehungen hergestellt und daß weitere Indianer gekommen waren, um
Geschenke zu empfangen. Aber auch so mußte sorgsam alles vermieden
werden, was sie hätte beleidigen oder erschrecken können. Niemand
ist empfindlicher als der Wilde, wenn er zum erstenmal mit Weißen
zusammentrifft. Mißtrauen und Argwohn sind in jedem Blick, jeder
Gebärde erkennbar. Für den Augenblick mag Staunen oder Furcht an ihre
Stelle treten, aber vorherrschend sind jene beiden Gefühle, und was
alles an Vorsicht angewendet werden muß, um plötzliche Ausbrüche der
Leidenschaft zu verhindern, ist nicht allein drollig, sondern kann nur
von einem Psychologen gewürdigt werden.

Kaum waren die Indianer aus dem dunkeln Wald hervorgekommen und fast
geheimnisvoll auf der Lichtung erschienen, als auch schon deutlich
wurde, daß ihr Besuch diesmal einen feierlicheren Charakter trug.
Sie standen in einer Gruppe um drei aus ihrer Mitte, die durch
zahlreichere Perlen, Federn und Bänder ausgezeichnet waren. Wie ich
später erfuhr, bildeten sie das Häuptlingstriumvirat des Stammes. Neben
dem eigentlichen Häuptling scheint ein Medizinmann und ein Jäger im
gleichen Rang zu stehen. Sie haben die erste Auswahl unter den Weibern
und entscheiden über Krieg und Frieden. Nachdem wir uns durch Zeichen,
Zeichnungen auf einem Stück reingefegten harten Erdbodens und einige
Tupiworte mühselig genug zu verständigen versucht hatten, stellte sich
heraus, daß ihr Stammesname „Itogapuk“ lautete. Damals wußten wir mit
diesem Wort durchaus nichts anzufangen, aber später erfuhren wir, daß
wir hier einen neuen Stamm oder eine neue Familie der menschlichen
Rasse in diesen großen und geheimnisvollen Wäldern entdeckt hatten.

Die Maloccas der Itogapuks befanden sich weniger als eine „Sonne“
weiter flußaufwärts am kleinen, seichten Madeirinha. Roosevelt zufolge
wurde er zufällig von einem indianischen Seringuero entdeckt, der im
Dienst des Senhor Caripé stand, des Kautschukkönigs am Aripuanan.
Der Mann verirrte sich in den Wäldern am Gy-Paraná, und entdeckte
den Madeirinha, nachdem er achtundzwanzig Tage im dichten Dschungel
umhergeirrt war und von Früchten, Palmschößlingen und Nüssen gelebt
hatte.

Als die Unterhaltung unter Aufwand von viel Geduld und Scharfsinn so
weit gediehen war, hielten wir es für richtig, Geschenke auszuteilen.
Es war bemerkenswert, mit welcher Gier sich sogar die jungen Leute
dieses unbekannten Stammes auf die kleinsten Metallgegenstände
stürzten. Als Gegengaben erhielten wir bereitwillig von den Indianern
Kronen aus Ararafedern, Halsketten aus Samenkörnern und verzierte
Jagdspeere.

Während dieser Austausch von Geschenken und Freundschaftsbezeigungen
langsam vor sich ging, gelang es mir, von einem jungen Krieger,
der nicht älter als 15 Jahre sein konnte, die Einwilligung dazu zu
bekommen, seinen Schmuck genau besichtigen zu dürfen. Außer der
Oberlippe war seine Nasenscheidewand durchbohrt; durch das Loch hatte
er ein kurzes Stück Stroh gesteckt. Der Lendengürtel bestand aus einer
Art Baumrinde und verbarg eine dünne Schnur, die zum Schutz eines
gewissen Körperteils diente. Die Fußringe aus Bambus klapperten nur
beim Tanzen, und dann wurden die Bänder um den Arm herabgeschoben,
um zusammen mit den Gelenkbändern ein Geräusch hervorzubringen. Am
merkwürdigsten war ein Holzring am Mittelfinger, der offenbar als
Amulett gegen böse Einflüsse getragen wird. Später ist mir eingefallen,
daß die hölzernen Beinringe auch dazu dienen könnten, die untern Teile
der Beine vor den Bissen und Stichen größerer Insekten und Reptilien
zu schützen. Denn man darf nicht vergessen, daß der Mangel an Großwild
im Vergleich mit Afrika durch die Verschiedenheit und den Blutdurst
kleinerer Tiere, Insekten und Reptilien wieder ausgeglichen wird. Es
ist für den Weißen gleichwie für den Eingeborenen unmöglich, einige
Kilometer in den Wäldern umherzuwandern, ohne an mehreren Stellen
zerbissen und zerstochen zu werden von Ameisen, Piums, Sandflöhen,
Moskitos, Sandfliegen, Spinnen oder andern Insekten oder Reptilien.
Der junge Itogapuk hatte an den Oberschenkeln und am Rücken Geschwüre,
verursacht von der widerwärtigen Bernefliege, die ihre Eier in die
Stichwunden absetzt.

Gegen Sonnenuntergang zogen die Indianer wieder ab, ohne die genaue
Lage ihres Dorfes anzugeben. Das bedeutete für mich eine große
Enttäuschung, da ich dadurch vor der Entscheidung stand, entweder
nach sechs Tagen mit dem Batalõe den Aripuanan hinab zurückzufahren
oder in dieser abgelegenen Gegend für unbestimmte Zeit zu bleiben,
bis ein neues Vorratsboot die 360 Kilometer des gefährlichen Flusses
heraufkommen würde. Das konnte Monate dauern, und die Umstände
erlaubten mir keine so lange Abwesenheit, wenn ich noch weitere Reisen
in diesem wunderreichen, aber ungeheuer ausgedehnten Gebieten vor der
Rückkehr nach Europa unternehmen wollte.

Ich sollte jedoch nicht lange enttäuscht bleiben, denn zwei Tage darauf
erschienen sechs Indianer und zwei kleine Jungen im Lager, nachdem
sie sich mit den üblichen Rufen angekündigt und ihre Waffen am Rand
der Lichtung niedergelegt hatten. Bisher hatten sie ihre Weiber im
Hintergrund gehalten, aber jetzt merkten wir bald, daß irgendwo im Wald
ganz in der Nähe die Weiber auf ein Zeichen ihrer Herrn warteten, ob
sie ohne Gefahr ins Lager der Weißen kommen könnten. Augenscheinlich
konnten die Itogapuks ebensowenig wie die Parintintins verstehen, warum
wir unsere Weiber und Töchter nicht in den Wald mitgenommen hatten.
Nach einer befriedigenden Erklärung unsererseits verschwanden die
Wilden für eine halbe Stunde. Dann wiederholte sich der Austausch von
Ankündigungs- und Willkommrufen, und etwa ein Dutzend Gestalten zog auf
die Lichtung. Endlich hatten sie ihr Weibervolk mitgebracht, womit sie
anzeigten, daß nun ein Zustand des Vertrauens herrschte, und daß wir
bald die Maloccas dieses bisher gänzlich unbekannten Stammes zu Gesicht
bekommen sollten.

Die Itogapukmädchen sehen entschieden besser aus als die Männer.
Mehrere hatten eine ein wenig hellere Hautfarbe. Sie waren völlig
nackt bis auf einen Rindengürtel und ähnliche Verzierungen, wie sie
die Männer trugen. Wie es scheint, wird bei den Weibern dieses Stammes
nur die Oberlippe durchbohrt, aber nicht die Nasenscheidewand. Sie
entfernen, ungleich den Männern, alle Haare vom ganzen Körper, was bei
den Weibern aller amazonischen Stämme allgemein üblich zu sein scheint.
Zuerst hielten sie sich hinter ihren Männern und Vätern und zeigten
sich sehr scheu. Aber Geschenke nahmen sie bereitwillig aus den Händen
der Weißen entgegen, was die Parintintins nie getan hatten.

Nachdem sie uns eine Zeitlang neugierig beschaut und untereinander
Meinungen ausgetauscht hatten, fragten sie, warum unsere Haut weiß wäre
und ob wir Kleider trügen, weil es in unserer Heimat heißer sei als in
„Emelene“? Wir vermuteten, daß dies die Eingeborenenbezeichnung für
den Madeirinha oder kleinen Madeira sei, aber was der Name bedeutete,
konnten wir nicht herausbringen. Etwa eine halbe Stunde hielten sie
sich im Lager auf und waren schon im Begriff, mit ihren Geschenken
wieder abzuziehen, als wir ihnen begreiflich machten, daß wir nun auch
ihre Maloccas sehen wollten, nachdem sie unsere besucht hatten. Ihnen
diesen Wunsch auseinanderzusetzen, bedurfte trotz seiner Einfachheit
geraumer Zeit und verursachte viel Hin- und Herreden unter ihnen, als
sie ihn endlich verstanden hatten. Doch schließlich willigten sie ein,
am nächsten Tag zurückzukehren und uns zu ihren Maloccas zu führen.

Nachdem wir nun den Stammesnamen der Wilden kannten, saßen wir noch
lange in der Nacht um das Lagerfeuer, das zur Beleuchtung und zum
Kochen diente, und besprachen, ob die Itogapuks ein eigenes Volk
bildeten oder eine Unterfamilie einer der großen ursprünglichen Gruppen
wären. Obwohl eine Entscheidung bei dem Fehlen endgültiger Beweismittel
nicht getroffen werden konnte, schien doch die Wahrscheinlichkeit
dafür zu sprechen, daß dieser merkwürdige Stamm in Wirklichkeit die
Unterabteilung einer oder der andern der beiden großen amazonischen
Rassen bildet: der kriegerischen Parintintins und der ebenso wilden
Nambiquaras, zwischen deren Wohngebieten die Itogapuks in düstern
Urwäldern hausen. Ihre Sprache war uns damals noch fremd, obwohl
gewisse Worte in Tupi, das dem Guarani ähnlich ist, verstanden worden
zu sein schienen. Nach Gestalt, Farbe und Haar ähnelten die Itogapuks
den Parintintins, aber ihr Körperschmuck glich weit mehr dem der
Nambiquaras. Spätere Untersuchungen verstärkten die Annahme zugunsten
der Nambiquaras, aber nebenher gibt es auch schwerwiegende Gründe für
die Annahme, daß sie einen Zweig des wilden Nomadenstammes der Arara
bilden. Das Indianeramt in Manáos führt sie gleichwohl amtlich als
besonderen Stamm unter dem Namen der Itogapuks.




12. Der Fluß der Itogapukindianer.


Spät am Nachmittag des folgenden Tags erschienen die Indianer wieder
auf der Lichtung. Der Stationskommandant, der den verräterischen
Charakter aller Wilden kannte, hielt es für unklug, noch am gleichen
Tag nach den Maloccas aufzubrechen. Den drei Führern wurde Unterkunft
im Lager angeboten, aber schließlich machten sie ein Feuer auf der
Lichtung und legten sich auf den Boden, mit den Füßen gegen die Glut.
Am nächsten Morgen zogen wir los, noch ehe der dichte Wald von den
Fiebernebeln frei war, so daß mich nur eine starke Dosis Chinin vor
einem Anfall der Malaria rettete, die im Juni und Juli in diesen
Waldgebieten besonders heftig auftritt.

Ich möchte hier erwähnen, daß alte Reisende im Amazonengebiet nicht
für den fortgesetzten Gebrauch von Chinin sind. Nach ihrer Behauptung
begünstigt es eine Erkrankung am gefürchteten Schwarzwasserfieber.
Ich selbst habe Wochen auf dem Amazonenstrom und seinen Nebenflüssen
zugebracht, ohne eine einzige Dosis zu nehmen, obwohl ich im Fall
starker Erschöpfung oder Durchnässung bei Regenwetter unweigerlich
Chinin in genügender Menge schlucke, um die Folgen solch gefährlicher
Zustände abzuwehren. Augenscheinlich ist es kein Vorbeugungsmittel
gegen Malaria, aber das bequemste und wirksamste Mittel, die Symptome
zu unterdrücken.

Wir paddelten etwa zwei Stunden im Batalõe flußaufwärts. Auf dem
Igarapé, in den wir dann einbogen, sah ich ganze Felder der
riesigen, unter dem Namen Victoria regia bekannten Wasserrosen. Ihre
schalenförmigen, weißlich grünen Blätter auf dem schwarzen Wasser
boten einen wundervollen Anblick gegen den Hintergrund der Assaipalmen
und des dicht verwachsenen Waldes. Bei der Weiterfahrt trafen wir auf
zahlreiche Alligatoren, die geschäftig ihrer Frühstücksjagd nachgingen.
Es war kaum acht Uhr und die Sonne hatte noch nicht genügend Kraft
gewonnen, um das Leben in den Wäldern auszulöschen. Alles war feucht
und von einem frischen, üppigen Grün. Das von den Alligatoren
aufgewühlte Wasser glänzte wie Gold, wenn sie mit schwerfälligen
Bewegungen dem Batalõe auswichen. In den Bäumen schnatterten Araras und
Affen.

Trotz dieser Morgenfrische hatte man das Gefühl des Ungesunden. Ob es
an dem faden Geruch der faulenden Vegetation lag, an dem Düster des
Blättergewölbes, dem Fehlen auch des leisesten Lüftchens oder daran,
daß man die Einsamkeit, die Ferne und eine Unermeßlichkeit, in der der
Mensch für nichts zählt, empfand, kann ich nicht sagen. Dieser Igarapé
der Itogapuks machte jedenfalls auf mich den Eindruck eines tropischen
Paradieses mit der Atmosphäre eines Grabes.

Eine viertelstündige Wanderung auf einem Dschungelpfad brachte uns
endlich wieder auf eine Lichtung, die der Sonne Zugang verstattete.
Sie war ziemlich groß, und auf der einen Seite befanden sich
zehn merkwürdiger aussehende Maloccas, als ich sie bisher in den
Riesenwäldern dieses geheimnisvollen Landes gefunden hatte. Sie waren
aus teilweise geflochtenem Stroh gebaut und ähnelten Bienenkörben
mit spitzigen Dächern. Hielt man ihre Größe mit der Anzahl der
herumstehenden nackten Gestalten zusammen, so wurde es augenscheinlich,
daß jede Hütte für mehrere Familien berechnet war und daß sich das
häusliche Leben der Itogapuks mehr oder minder in Gemeinschaft
abspielte.

[Illustration: Stärlingsnester.]

[Illustration: Der geheimnisvolle „Felsen der Inschriften“ am oberen
Parimé.

Die Inschriften sollen aus dem siebenten vorchristlichen Jahrhundert
stammen. Die Höhle rechts gewährt fünfzig Reitern Unterkunft.]

Feindselige Absichten wurden nicht offenbar, obwohl eine Mischung von
Scheu und Mißtrauen wohl zu unterscheiden war. Zuerst näherten sich
nur die alten Weiber und Kinder. Als wir aber begannen, Geschenke
auszuteilen, nahm das Gedränge um die Häuptlinge herum allmählich zu.
Die Neugierde der Wilden war stärker als ihre natürliche Furchtsamkeit
und ihr Argwohn, aber ein unrichtiges Benehmen hätte bei der elektrisch
geladenen Atmosphäre der ersten Stunden recht gefährlich werden können.
Nach einem Mahl, das wir von der Station mitgebracht hatten und an dem
der ganze Stamm von fast hundert Leuten teilnahm, ließ die Spannung
langsam nach. Später vertilgten die Itogapuks noch große Mengen von
Affenfleisch und eines berauschenden Getränks.

Zwei junge Itogapukmädchen von etwa 14 Jahren trieben sich neugierig in
meiner Nähe umher und faßten endlich Mut, mich genau in Augenschein zu
nehmen. Zuerst betrachteten sie verwundert meine Kleider, hierauf meine
Hände unter völligem Stillschweigen. Dadurch nicht befriedigt, rollten
sie meine Ärmel auf, spuckten auf meine Arme und rieben sie dann aus
aller Kraft mit den Händen! Offenbar erwarteten sie, daß das Weiß
abgehen und ich in meiner wahren Farbe dastehen würde. Als aber nichts
von dem geschah, dehnten sie ihre Nachforschungen auf meinen Hals
unter dem offenen Hemd aus. Doch da ich von dem einmaligen Anspucken
mehr als befriedigt war, lehnte ich höflich aber bestimmt weitere
wissenschaftliche Untersuchungen ab und suchte ihre Aufmerksamkeit in
andere Bahnen zu lenken, indem ich sie dem Ticken meiner Taschenuhr
lauschen ließ.

Es ist wohl nicht angängig, die jungen Itogapukmädchen hübsch zu nennen
im europäischen Sinn des Wortes, aber für Wilde waren sie keineswegs
häßlich. Die blutunterlaufenen Augen verdarben etwas den Eindruck, und
ihre Nacktheit machte sich infolge der Gewohnheit, alle überflüssigen
Haare vom Körper zu entfernen, noch stärker fühlbar. Mehrere kamen den
sagenhaften weißen Indianern näher, als ich es bisher gesehen hatte.
Später aber traf ich auf zwei Wilde, ein Kind bei den Ocainas und ein
Mädchen eines unbekannten Stammes an der Grenze Ecuadors, deren Haut
so weiß war, daß man sie aus der Entfernung von Europäern nicht hätte
unterscheiden können. Selbst in der Nähe sahen sie nicht dunkler aus
als etwa Italiener.

Die Itogapukweiber haben das Haar kurz geschnitten und mit einem
Strohband eingebunden. Um den Hals tragen sie Halsketten aus braunen
und weißen Samenkörnern, oft in mehreren Reihen. Einige hatten sich
Bänder aus gefärbtem Stroh um jede Schulter gewunden und auch um die
Lenden, Arme, Hand- und Fußgelenke. Säuglinge wurden auf dem Hüftbein
der Mutter umhergetragen. Die Kinder hatten Lieblingsaffen, die auf
ihren Händen oder Schultern saßen. Eines der Weiber trug schwere
Ohrringe aus schwarzem Stein, aber der Gebrauch, das Ohrläppchen zu
verlängern, scheint bei ihnen nicht zu bestehen.

Mehrere Weiber hatten durchbohrte Oberlippen, so daß an einen
allgemeinen Brauch ohne Rücksicht auf das Geschlecht gedacht werden
müßte. Da aber weder Kinder noch junge Leute in solcher Weise entstellt
waren, mag es sich um Heirats-, Alters- oder Standesabzeichen handeln.
Obwohl Männer und Weiber Tag und Nacht nackt unter einem gemeinsamen
Dach leben, war nichts Unschickliches zu bemerken, auch nichts von
jenen schrecklichen Krankheiten, die in den Ansiedlungen nur zu
sichtbar hervortreten.

Die Kriegsbogen waren aus dunkelm, mahagonifarbigem Holz verfertigt
und über zwei Meter hoch. Solch einen Bogen ganz zu spannen erforderte
beträchtliche Kraft. Dazu gab es drei verschiedene Pfeilarten: die
einen mit abgestumpfter Spitze für die Vogeljagd; die zweiten mit
breiten, scharfen Holzschneiden für die Jagd auf den Tapir, den
Jaguar und Wildschweine; ferner Kriegspfeile mit häßlich vergifteten
Widerhaken, die von einer Scheide geschützt waren. Als Speer wurde
nur eine lange Lanze gebraucht mit Vogelfederverzierungen am Griff.
Sie dient hauptsächlich zum Anspießen bei der Jagd auf Schildkröten,
Fische, Alligatoren, Schlangen und Leguane (Eidechsen).

Die Itogapuks glauben an gute und böse Geister, unter denen sie
gleichsam die belohnenden und rächenden Engel eines höchsten und
unsichtbaren Gottes zu verstehen scheinen, den man sich auf der Sonne
oder auf dem Mond wohnend vorstellt. Sie müssen durch Festmähler und
die Martern junger Mädchen versöhnt werden, aus denen man dadurch das
Böse austreibt und die man damit gehorsam und fügsam macht. Kinder
scheinen nicht viel zu gelten, obgleich sie anscheinend gut behandelt
werden. Im Alter von zehn Jahren werden die Mädchen dem Mann verlobt,
der am meisten für sie zahlt. Von da an leben sie am Gemeinschaftsfeuer
ihres Herrn und Gebieters. Waisenkinder werden weggegeben, und auf
diese Weise gelangten ein kleines Mädchen und ein Junge des Stammes zur
Erziehung nach Manáos.

Die Kinder sind ein vergnügtes, lachendes Völkchen. Den ganzen Tag
treiben sie sich mit ihren zahmen Affen spielend umher. Eins oder
zwei trugen Halsketten und Amulette aus dem geglätteten Holz der
Tucunapalme oder Schnüre von braunen und weißen Samenkörnern. Ein etwa
zwölfjähriger Junge war unendlich stolz auf seinen Kopfschmuck aus dem
Fell eines schwarzen Jaguars, der in dieser Gegend sehr selten vorkommt.

Unser Nachtlager wurde am Rand des Igarapés aufgeschlagen, an der
Seite des Indianerdorfes. Die Frösche vollführten ein schreckliches
Gequake die ganze Nacht hindurch, die durch Schwärme von Insekten aller
Gattungen noch unerquicklicher gemacht wurde. Merkwürdigerweise geschah
es in der ersten Nacht, die ich bei diesen Wilden zubrachte, daß ich
Bekanntschaft mit dem Vampir machte. Die Luft war ganz still und
furchtbar heiß. Unter dem Moskitonetz konnte ich kaum atmen, und schon
nach ein paar Minuten war ich im Schweiß wie gebadet. Stundenlang lag
ich so wach und hörte dem Froschkonzert im nahen Sumpf und dem Gesumm
der zahllosen Insekten zu.

Dann war ich doch wohl ein wenig eingenickt und mußte das Moskitonetz
während meines unruhigen Schlafes von den Füßen weggeschoben haben.
Als ich gerade vor Tagesanbruch erwachte, hatte ich ein seltsam
kühles, kitzelndes Gefühl in den Füßen. Ich knipste die kleine
elektrische Taschenlampe an, die ich für Notfälle immer bei mir trage,
und erblickte in ihren Lichtstrahlen einen großen Vampir, der seine
häutigen Flügel auf- und zuklappte, während er das Blut aus einer Wunde
in meinem linken Fuß sog. Durch das Licht geblendet, flog das ekelhafte
Geschöpf in das Moskitonetz und flatterte dann davon in die noch
sternenhelle Dämmerung.

Ich brachte das Netz wieder in Ordnung und untersuchte den Fuß, an
dessem Rist ein kleiner tiefer Einschnitt zu sehen war, aus dem Blut
träufelte. Am nächsten Morgen fühlte ich mich recht schwach, ob
durch den Blutverlust oder den Mangel an Schlaf, vermag ich nicht
zu bestimmen. Meine Fußgelenke waren von den Bissen der Moskitos so
verschwollen, daß ich in die Tourenstiefel nicht hineinkam und mich mit
den weichen Moskitoschuhen behelfen mußte, die ich bisher nur am Abend
im Lager oder im Kanu der Bequemlichkeit wegen getragen hatte.

Am selben Tag gelang es mir, eine der seltsamen Maloccas zu betreten.
Die Itogapuks haben an ihren Strohhütten zwei sehr niedrige
Eingangsöffnungen, so daß ich fast auf allen vieren kriechen mußte, um
hineinzukommen. Im Innern war es fast finster bis auf das trübe Licht,
das von den Eingängen herkam. Von schwelenden Feuerstellen war nichts
zu sehen wie in den Maloccas der Indianer am Tapajóz und Gy-Paraná.
Außer einem Weidenkorb mit Früchten, mehreren Flaschenkürbissen und
einer hölzernen Schüssel zum Ausquetschen der Mandioka gab es keinerlei
Hausgerät. Mehrere Bogen lehnten an der Strohwand, und eine Anzahl von
Pfeilen steckte in der Erde in eigens dafür gemachten Löchern. Auf
dem Boden lagen ein oder zwei Felle, die den Raum für jede Familie
abgrenzen. Denn die Malocca war recht groß und mochte etwa 10 Meter
im Durchmesser halten und 4½ Meter hoch sein. Durch die beiden
Öffnungen läßt sich im Fall eines Angriffs schnell das Freie gewinnen.
Die eine ging auf den Igarapé hinaus, die andere auf die Lichtung.

Unter dem Ufergebüsch lagen die Kanus verborgen, leichte, aber sehr
starkgebaute Fahrzeuge aus Rinde, die durch Spreizen offen gehalten
wird. Den ausgehöhlten Stämmen der Caripunas waren sie weit überlegen
und glichen mehr den Kanus der Parintintins. In jedem Kanu befand sich
ein wasserdichter Flaschenkürbis, der innen an dem gekrümmten Holzstück
befestigt war, das als Bug- und Sternpfosten dient. Aus dieser starken
Versteifung der Boote ging hervor, daß die Itogapuks geschickte
Kanuleute sind, die auch Fahrten über die Stromschnellen nicht
scheuen. Doch scheint es sehr unwahrscheinlich, daß sie den Aripuanan
befahren, der den Kautschuksammlern mehr oder weniger bekannt ist und
von ihnen besucht wird. Die Wilden hassen diese Leute, denn sie haben
zu viel unter ihren stets schußbereiten Winchesterbüchsen gelitten.
Die Quelle und die Zuflüsse des kleinen Madeira sind noch immer
unbekannt, und vielleicht entdeckt man eines Tages, daß er in einen
größeren Fluß führt oder einen der Nebenflüsse des Madeira, wodurch
eine Kreisverbindung mit dem Aripuanan hergestellt wäre. Wie dem auch
sein mag -- die Itogapuks sprachen von dem „großen weißen Wasser“
und dem „See der Piranha“. Dieser Fisch, der auch Menschen angreift,
kommt in vielen amazonischen Flüssen vor. Er ist mehr gefürchtet als
der „Jacaré“ oder Alligator, den man sehen kann, während die Piranha
plötzlich aus der Tiefe auftaucht und über Wasser zuschnappend mit
ihren messerscharfen Zähnen einen Finger, eine Hand oder die Zehen
abbeißt.

Es wäre irreführend zu behaupten, daß dieser Stamm von Wilden zum
Kannibalismus neigt. Solange endgültige Beweise fehlen, sollte das
Gegenteil angenommen werden. Denn Kannibalismus im vollsten Sinn des
Wortes kann bis jetzt keinem einzigen Stamm der großen amazonischen
Waldgebiete zur Last gelegt werden. Allerdings besteht nur wenig
Zweifel, daß sie kannibalische Gebräuche ausüben. So pflegen sie eine
Schale Blut von gewissen erlegten Tieren zu trinken, im Glauben,
dadurch der Stärke, Schlauheit oder Klugheit ihrer Opfer teilhaftig
zu werden. In dieser Hinsicht gleichen sie den Kaschibosindianern am
Ucayali und den Uaupés am gleichnamigen Fluß, die die Knochen der
im Kampf erschlagenen Feinde zerstoßen, das Pulver mit gegorenem
Fruchtsaft mischen und es dann trinken, um sich der Stärke oder
Klugheit des toten aber bewunderten Gegners zu versichern. War der
Überwundene schwach, feig oder leicht zu besiegen, so wird der Kopf
als Trophäe abgeschnitten und der Rumpf in den Wald geworfen oder als
Lockspeise für Raubtiere verwandt. Anscheinend nehmen die Weiber an
derartigen Gebräuchen nicht teil, doch bin ich dessen nicht sicher.
Jedenfalls habe ich keinen Beweis, daß Kannibalismus unter jenen
Stämmen herrscht, und glaube, daß es sich dabei um eine irrtümliche
Anschauungsweise handelt.

Am Abend des zweiten Tages führten uns die Itogapuks einen Kriegstanz
vor. In ihrem Schmuck von Vogelfedern und Fußringen boten sie einen
barbarischen Anblick auf dem charakteristisch tropischen Hintergrund
von Palmwedeln und breiten Paicovablättern. Aus der Darstellung eines
Angriffs scheint hervorzugehen, daß die 2 Meter langen Kriegsbogen erst
über den Kopf gehalten werden, während die Sehne bis zur Schußlage
gespannt wird. Dann senkt sich der Bogen mit dem langen gefiederten,
mit vergifteten Widerhaken versehenen Pfeil bis zur Augenhöhe, ehe der
Pfeil abfliegt. Nach den Leistungen dieses Indianerstamms zu urteilen,
ist die Treffsicherheit weit übertrieben worden. Auf ganz kurze
Entfernung vermag der Schuß tödlich zu wirken, muß aber die Flugbahn
in Betracht gezogen werden, so ist die Treffsicherheit sehr gering.
Der Tanz besteht aus einem langsamen Hin- und Herschieben der Füße,
Schwenken der nackten Körper, Vorgehen und Zurückweichen unter wildem
Geschrei und noch wilderer Musik von Flöten und hohlen Kalabassen.
Nur am Schluß unterschied er sich von ähnlichen vorher und nachher
beobachteten Tänzen, als die Gefangennahme der Weiber und Mädchen durch
die Sieger dargestellt wurde. Jeder der Leute suchte sich ein Mädchen
aus, warf sie in die Luft und rannte mit der kreischenden Beute in
seine Malocca zurück.

Am nächsten Morgen verließen wir das Dorf der Itogapuks und fuhren den
kleinen Igarapé hinab zu unserm Lager am Aripuanan. Auf seinem Oberlauf
wird er von den wenigen Caboclos „Castanho“ genannt, die in diese
entlegenen Gegenden kommen, um Kautschuk zu sammeln.

Zwanzig Tage später erfreute ich mich einer guten europäischen Mahlzeit
in dem wohlbekannten Café der „Avenida“ in Manáos.

Auf dieser Reise, in Manicoré, hörte ich zum erstenmal von Major
Tito Neves, der damals einen Besitz am Marmellosfluß hatte, dem
ungesundesten unter allen Nebenflüssen des großen Madeira. Als ich auf
einem Vergnügungsausflug viele Monate später nach Manáos kam, war die
Geschichte der Taten dieses Mannes in den Tiefen der Wälder im Druck
erschienen und verbreitet worden. Für die Wahrheit der Darstellung kann
ich persönlich nicht stehen, aber meine Quellen scheinen zuverlässig
zu sein, und außerdem liegen die Berichte auf Portugiesisch im Druck
vor. Ich will hier nur einen kurzen Abriß geben als Illustration
der Behandlung der Indianer seitens gewissenloser Leute und des
merkwürdigen Abenteurerlebens im Amazonengebiet.

Der Maicyfluß teilt sich in zwei Abschnitte. Am Unterlauf, nahe
seiner Mündung, sitzen die Pirahanindianer, während der Oberlauf
und die Gebiete um den Maicy-Mirimé und Gy-Paraná die Domäne der
kriegerischen Parintintins bilden, von denen in früheren Kapiteln die
Rede war. Zwischen diesen zwei Stämmen herrschte eine Blutfehde bis zum
Erscheinen der Offiziere des Indianeramts in den allerletzten Jahren.
Der Maicyfluß war der Schauplatz beständiger Stammeskriege, und um
Frieden zu stiften wurden Stationen des Indianeramts an der Mündung
und zwischen den düstern, von den Pirahans und Parintintins bewohnten
Waldgebieten errichtet. Später kam noch die schon erwähnte Station
am Maicy-Mirimé dazu, die die Aufgabe hatte, mit den Parintintins
in freundschaftliche Beziehungen zu treten. Diese drei Stationen
verwandeln allmählich den Fluß aus einem Schauplatz blutiger Kämpfe in
eine Gegend des Friedens.

Gegenüber der Station am mittleren Maicy befinden sich die Dörfer der
Pirahans. Hier spielte sich das Folgende ab. Wie man erzählt, überfiel
Major Tito Neves die Dörfer mit bewaffneter Macht, vertrieb die
Indianer aus ihren Maloccas und Tapirys, nahm ihre kleinen Pflanzungen
in Besitz und machte viele von ihnen zu Sklaven, um die umliegenden
Wälder von brasilianischen Nußbäumen auszubeuten.

Nach der Ernte verbrannte Neves die Dörfer mit der Absicht, die
Indianer an der Rückkehr zu hindern und zog sich selbst mit dem
Gewinn nach Manicoré zurück. Später baute er eine Barraca nächst
dem zerstörten Dorf, aber ein ungeheurer Baum fiel auf das Gebäude
und zertrümmerte es. Und so abergläubisch sind die Caboclos oder
Mischlinge, daß ihn fast alle seine Arbeiter verließen, weil sie den
Unfall für eine Schickung der Vorsehung hielten.

Diese kleine Geschichte, die „Neves’ Schatten“ heißt, bietet an sich
nichts Besonderes. Doch braucht man nur ein wenig Einbildungskraft,
um sie mit schauerlichen Einzelheiten auszufüllen. Aber freilich hat
alles zwei Seiten, und neben dieser Geschichte erzählt man eine andere
in Porto Velho von dem Überfall einer Plantage durch die Indianer
mit Mord, Brandstiftung und Zerstörung, ohne daß die Regierung den
betreffenden Stamm zur Rechenschaft zog. Die beiden Geschichten
sollen nur als Illustration dienen für Typen und Zustände in den
verschlungenen Wäldern und ungesunden Flußgebieten dieser Grenzen
zwischen Zivilisation und Barbarei.




13. Ein geheimnisvoller Felsentempel.


Im mittleren Amazonengebiet ist Manáos der gegebene Knotenpunkt
des Stromsystems, ebenso wie Pará für den Unterlauf der Flüsse.
Erst jenseits der Grenze Perus verlegt er sich von Manáos nach
Iquitos, und da hat auch der Amazonenstrom einen andern Namen
angenommen. Zuerst heißt er Solimões und dann, nach Überschreiten der
brasilianisch-peruanischen Grenze, Marañon. Iquitos liegt jedoch über
1600 Kilometer von Manáos entfernt, und von ihm ist vorläufig noch
nicht die Rede. Wir befinden uns im Land der Riesenentfernungen, wo
jeder Ortswechsel nur mit Hilfe der Karte anschaulich gemacht werden
kann.

Nach wenigen Rasttagen in Manáos entschloß ich mich, einen weitern
Vorstoß in das Herz der brasilianischen Wildnis zu unternehmen, und
zwar diesmal nach Norden in das wenig bekannte Gebiet an der Grenze
Venezuelas, ehe ich zu längerer Ruhe nach Europa zurückkehrte.
Mein Entschluß, den Rio Negro und Rio Branco hinaufzufahren,
entsprang verschiedenen verführerischen Aussichten. Zuerst einmal
war mir Förderung meiner Absichten versprochen worden, wenn ich zur
Staatsdomäne von S. Marcos am wenig bekannten Rio Uraricoera gelangen
würde; zweitens hatte ich genug von den düsteren Wäldern und sehnte
mich nach den ungeheuern, unbekannten Flächen, die nördlich des dritten
Breitengrades vorhanden sein sollten. Dort gab es Indianer eines
völlig von jenem der dichten Dschungeln verschiedenen Typs, den
kürzlich entdeckten „Felsen der Inschriften“, die Kristallberge und die
unerforschten Steppen des Amazonenstroms.

[Illustration: Skizze der Steppen des Rio Branco.]

Der Flußdampfer, auf dem ich mich am 12. September einschiffte,
war sehr klein und hatte nur wenig Tiefgang. So langsam war seine
Fahrt gegen die Strömung, daß Stunden auf dem offenen, sonnenhellen,
blauschwarzen Rio Negro verflossen, ohne daß unser Fortschritt recht
bemerkbar wurde. Die weißen Häuser und Türme von Manáos, die ihm einen
östlichen Anstrich verleihen, schimmerten im Licht der sinkenden
Sonne, überragt von der grüngoldenen Kuppel des nutzlosen Theaters
und eingefaßt von der frischen tropischen Vegetation und den Klippen
aus rotem Sandstein. Dahinter wogte es wie Feuer um den untergehenden
Sonnenball über den unbekannten Wäldern des brasilianischen Guayana.
Träge kämpften wir uns gegen die schnelle Strömung an S. Raymundo
vorüber, der hübschen, kleinen und durch seine Wäscherinnen berühmten
Vorstadt von Manáos, an der drahtlosen Station und endlich an dem
Igarapé vorbei, der durch überschwemmte Wälder zu den Fällen von Tarumá
führt. Und dann ging’s hinaus in die nachtverhüllte Wildnis auf dem
sternenhellen Fluß.

Nirgends im Amazonengebiet spiegeln sich die zahllosen Lichtpunkte
des indigoblauen Himmelsgewölbes in gleicher Pracht auf der ruhigen
Oberfläche der Flüsse wie auf den schwarzen Wassern des Rio Negro.
Zuzeiten ist die Wirkung geradezu zauberhaft. In stillen, mondlosen
Nächten ist man von Sternen wie umgeben. Solange noch der Widerschein
der Schiffslichter auf dem Wasser liegt, ist der Eindruck schwächer; zu
später Stunde aber, wenn sie abgeblendet sind, ist’s, als schwebte man
langsam durch einen sternenerfüllten Raum.

Auf diesen Flußdampfern speist man unter einem Schutzdach auf dem
Hinterdeck, und wäre die Verpflegung nur einigermaßen gut, so könnten
solche Reisen auf den stärker befahrenen amazonischen Flüssen
von und bis zu der Endstation ganz gemütlich und außerordentlich
unterhaltend sein. Die Speisekarte besteht mit wenigen Unterschieden
aus in Baumwollsamenöl gebratenen Eiern, schwarzem Kaffee und Farinha,
einem wie Sägemehl schmeckenden, aus Mandioka bereiteten Brei,
Konservenfleisch, Goyabagelee und getrockneten Süßwasserfischen. So
geht es, je nachdem, tage- oder wochenlang fort in der beständigen
Hitze der Wälder und Flüsse und nimmt der sonst landschaftlich
wundervollen Fahrt jeden Reiz. Die Reise wird so zu einer Frage der
Ausdauer, einer Vorprüfung für die unendlich größern Entbehrungen, wenn
das „Mutum-Mutum“, wie die halbzivilisierten Indianer das Dampfboot
nennen, erst Hunderte von Meilen hinter uns liegt und die Wildnis
uns aufgenommen hat mit ihren Ansprüchen an Kraft, Zähigkeit und
Unverdrossenheit, mag auch alles noch so sorgfältig vorbereitet und
organisiert worden sein.

Die Landschaft am Rio Negro ist gänzlich verschieden von der an
den meisten amazonischen Flüssen. Im Osten begleiten seinen Lauf
Hügelketten, im Westen viele überschwemmte Wälder. Die Hügel erheben
sich über die in den breiten Fluß vorspringenden Sandsteinklippen und
kleiden sich in das Grün der tropischen Vegetation, das beständig
andere Töne annimmt. Nach Süden und Westen schaut man meilenweit
über den wilden, unerforschten Dschungel, die Heimat unbekannter
Stämme, deren Jagdgründe und Maloccas sich meistens in weiter Ferne
in den düstern Wäldern befinden, die wie dunkle Wellen den dunstigen,
blaugrauen Horizont umsäumen. In diese Richtung erstrecken sich
viele lange Igarapés, und weit draußen trifft das Auge auf glänzende
Flecken, die verraten, daß sich dort namenlose Waldseen befinden.
Erklimmt man einen der Hügel, so fliegt der Blick über unendliche
Strecken tropischer Wälder, was in diesem unermeßlichen Gebiet von fünf
Millionen Geviertkilometer sonst nur selten in Flußnähe der Fall ist.

Vorübergehend halten wir an einigen Caboclohütten und Lehmziegelhäusern
namens Tauapersassu und Ayrao und endlich an dem trübseligen und
verwahrlosten Städtchen Moura, 274 Kilometer von Manáos. Fast gerade
gegenüber der verfallenen Niederlassung mischen die Gewässer des Rio
Branco ihre weißen Streifen und Flecken in die schwarze Flut des Rio
Negro. Er ist noch weitere 400 Kilometer bis Santa Isabel schiffbar,
aber während der Niederwasserzeit von Dezember bis März nur für
Dampfboote mit sehr kleinem Tiefgang. Jenseits Santa Isabel beginnen
dann zahlreiche Stromschnellen und gefährliche Felsriffe.

In Moura heißt es entweder den Dampfer mit der staatlichen Barkasse
„Amazonia“ vertauschen oder sich ein Batalõe verschaffen für die
lange Fahrt den Rio Branco flußaufwärts, dessen starke Strömung der
Schiffahrt erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Nur langsam geht es
vorwärts. Im Unterlauf des Flusses gibt es allerlei Hindernisse wie
bewaldete Inseln, gewundene „Furos“ (Flußarme) und Brackwasserseen.
Zu beiden Seiten hat man den tropischen Wald, dessen Bäume ihre
mächtigen Äste über den Fluß breiten. Selbst mit Hilfe der Karte und
des Kompasses ist es nicht leicht, sich im richtigen Fahrwasser zu
halten. Oft gehen Stunden verloren, wenn man einen der verschlungenen
Wasserwege verfolgt, der schließlich nur wenige Kilometer oberhalb
wieder in den Hauptfluß einmündet.

Das Ästuar, einige Kilometer oberhalb Moura, bildet eine prächtige, mit
bewaldeten Inseln bedeckte Wasserfläche. Jenseits begleiten den Fluß
350 Kilometer lang die Mauern der immergrünen Wälder, die nur einmal am
rechten Ufer, 250 Kilometer von Moura, einen Ausblick auf die Serras
do Barauana gewähren. Bis oben hinauf dicht bewachsen unterbrechen sie
die Eintönigkeit der Landschaft. Dann kommt die kleine Niederlassung
von Vista Alegre, wo die von Manáos durch die Wälder geplante Straße
einmal ihr Ende am Rio Branco finden soll. Der Bau geht jedoch nur
langsam vorwärts und ist, obwohl er vor vielen Jahren begonnen wurde,
erst bis Campos Salles gediehen, einige dreißig Kilometer über Manáos
hinaus.

Am Nordufer beugten sich hier zwei große Bäume über den Fluß, die über
und über mit den merkwürdigen Nestern von Stärlingen besetzt waren.
Fast von jedem Zweig hingen sie herab. Der Eingang zu den Nestern
dieser eigenartigen Tiere befindet sich am Boden, von wo ein Gang
nach oben zu dem Brutplatz des Weibchens führt. Diese Stärlinge sind
fröhliche kleine Geschöpfe, die den ganzen Tag singen und zwitschern.
In der Nähe war ein Baum, von dem nicht weniger als drei große,
bienenkorbähnliche Wespennester herabhingen.

Etwa 30 Kilometer über Vista Alegre hinaus ist das Fahrwasser durch die
gefährliche Cachoeira (Stromschnelle) Bemqueror unterbrochen, doch kann
man sie sowohl durch den Furo do Cuyubim umfahren als auf dem Landweg
über die Serra Caracarahy umgehen. Hat man erst diesen schwierigen
Abschnitt hinter sich, so liegt der Weg frei bis Boa Vista, ungefähr
100 Kilometer jenseits der Stromschnellen. Der Wald wird nun lichter,
bis endlich in weiter Ferne unendliche Ebenen wie ein wogendes Meer
erscheinen. Kommt man aus dem feuchten Zwielicht der tropischen Wälder
und hat nun vom hohen Ufer aus plötzlich die durch kleine Palmeninseln
durchbrochenen Flächen bis zum Horizont vor sich, so ist’s, als träte
man aus dem Düster eines Treibhauses auf ein frischgrünes Feld hinaus.

Mit Wonne atmete ich die Luft der amazonischen Steppen ein, die wie
eine Seebrise nach einem Londoner Nebel auf mich wirkte. Obwohl Gruppen
von Bäumen und selbst kleine Dschungelstreifen erst verschwanden,
als die Ultima Thule des Amazonengebiets erreicht war, weit oben an
den Flüssen Parimé und Surumú, hatte ich doch endlich die dunstigen
Wälder, ungesunden Flüsse und moskitoverseuchten Sümpfe hinter mir, und
ungehemmt von den grünen Gefängnismauern durfte der Blick in die Weite
schweifen.

Die kleine Niederlassung Boa Vista, etwa 700 Kilometer von Manáos
entfernt, besteht aus vielleicht 130 Gebäuden, die eine ungepflasterte
und unbeleuchtete Straße bilden. Es ist eine hinterwäldlerische
Ansiedlung. Die meisten Häuser sind aus Luftziegeln und „Taipa“ gebaut
und haben Zink- oder Strohdächer. Ich hielt mich hier nur so lange auf,
als erforderlich war, mein Gepäck in die Barkasse umzuladen, die schon
wartete und mich nach S. Marcos und den Uraricoera flußaufwärts bringen
sollte bis zu seiner Vereinigung mit dem Parimé auf 3° 20′ nördlicher
Breite.

Auf der Staatsdomäne von S. Marcos, die vom Indianeramt verwaltet wird,
traf ich mehrere Offiziere. Nach Ergänzung der Vorräte fuhren wir
westwärts in den Uraricoera ein. Den Ufern des schmalen Flusses entlang
befinden sich zahlreiche Farmen, auf denen hauptsächlich Viehzucht
auf den Steppen ringsum getrieben wird. Außer den ausgedehnten
Staatsdomänen, wo man Macuxyindianer als Viehhirten beschäftigt,
wären hier zu nennen die Facendas des Oberst Bento Brazil und des
Commendadore Araujo am Pariméfluß. Dorthin ging meine Reise, um den
geheimnisvollen Felsen der Inschriften zu untersuchen. Dann wollte ich
über die offenen „Campos“ den obern Surumú erreichen.

Über die Reise den Uraricoera und Parimé flußaufwärts brauche ich
nur wenig zu sagen, um zu schildern, wie ich die Tage hinbrachte.
Der Uraricoera ist auf beiden Ufern umsäumt von kleinen Gruppen
von Palmen und andern Bäumen, zwischen denen sich weite Ausblicke
auf die wellenförmige Steppe und auf namenlose Serras bieten. Der
Parimé ist ein schnell dahinströmender kleiner Fluß, dessen Quelle
in einer Kette hoher unerforschter Berge fern am Horizont liegt.
Da er damals mit Barkassen nicht befahren werden konnte, mußte
dieses Beförderungsmittel gegen Pferde vertauscht werden. Beamte
der benachbarten Fazenda stellten sie mir liebenswürdigerweise zur
Verfügung zusammen mit einigen wenig anmutig aussehenden indianischen
Vaqueros, die zugleich als Führer dienen sollten.

[Illustration: Mandaño-Indianer vom obern Napo.

Diese Indianer sind Kopfjäger. Die scheckige Bemalung mit
Pflanzenfarben macht sie im Dickicht schwer erkennbar.]

[Illustration: Ihr „Gesellschaftskleid“.

Bemalung eines Ocainamädchens.]

Der wenig bekannte Felsblock, den zu sehen ich so weit gereist war,
befindet sich in einiger Entfernung vom Alto Parimé und steigt wie ein
gigantischer Ballon aus der ebenen Steppe. Er ist so abgelegen, daß die
Annahme wohl richtig ist, daß er der heilige Felsentempel der großen
Indianerstämme war, deren Jagdgründe sich hier vor 600 Jahren ringsum
ausbreiteten.

Es ist kaum möglich, ein Gefühl scheuer Ehrfurcht zu unterdrücken,
wenn man von der Steppe her in den Schatten dieses ungeheuren Blocks
reitet. In mancher Hinsicht ähnelt er den merkwürdigen Matoppos in
Rhodesia, nur ist er viel größer. In seiner Riesenhaftigkeit gibt er
das überwältigende Gefühl einer Allmacht, die allein fähig war, diesen
kolossalen abgerundeten Felsbrocken hierher auf eine sich nach jeder
Richtung auf Meilen und Meilen eben ausdehnende Fläche zu versetzen.

Ein schmales Felsband führt spiralenförmig um die Basis der
überhängenden Masse. Auf einer Seite befindet sich eine Höhle, die
einer Kavallerieschwadron Unterkunft bieten würde. Offenbar war hier
der Tempel der alten indianischen Götter, und auf dem Steinaltar sind
zweifellos viele blutige Opfer dargebracht worden. Hoch oben an der
Außenwand ist eine augenscheinlich künstliche, schmale, merkwürdige
Plattform, von der ein Abstieg jetzt jedoch nicht mehr durchführbar
zu sein scheint. Über dreißig Meter unter ihr erhebt sich eine
natürliche ebene Steinterrasse. Unwahrscheinlich ist es nicht, daß
von dem luftigen Altar auf unbekannte Weise die Menschenopfer auf
die Steinterrasse im Angesicht der unten versammelten Indianerstämme
herabgestürzt wurden.

Die Seiten dieses sicherlich größten Felsblocks der Erde sind
ausgewittert und verfärbt von der tropischen Sonne und den Regenfluten
der Jahrhunderte. Aber außer den tief in den Felsen eingegrabenen
Inschriften, von denen ich auf Seite 179 einige wiedergebe, weiß man
wenig Sicheres über seine Geschichte und seinen Zweck. Daß er einst ein
großer Tempel war, ist zweifellos und wird von den Macuxy-, Uapirkanas-
und Jarikunasindianern bestätigt, den mächtigsten Stämmen, die jetzt
die Umgebung bewohnen.

Diese Nacht lagerte ich im Schatten des großen Felsentempels. Alle
Stunden der Finsternis waren erhellt von den lautlosen tropischen
Blitzen. Zuweilen war das Stampfen der Hufe flüchtender Rinderherden
weit draußen in der Steppe zu hören, sonst nicht einmal das leise
Flüstern des Windes im Grase. Eine Stille wie nicht von dieser Welt.
Im Zucken der blauen Blitze am unerforschten Horizont enthüllte sich
jedesmal die ungeheure schwarze Felsmasse. Nur schwer ließ sich die
Phantasie zügeln, die nachtverhüllten Flächen ringsum mit nackten
Gestalten in geisterhaften Zeremonien zu bevölkern. Der Schlaf floh
mich, trotzdem der mühselige Ritt in der großen Hitze des Tags mich
erschöpft hatte. Als die ersten roten Streifen der Dämmerung über die
gebrochenen Linien der Steppe hinzitterten, war ich froh zu essen,
aufzupacken und von dem unheimlichen Felsblock wegzukommen, dessen
eigentümlich farbgesprenkelten Flächen im rosigen Licht des Morgens wie
von Blut trieften.

[Illustration: Zeichnungen am „Felsen der Inschriften“.]

Der Überdruß an allem, was sich „amazonisch“ nannte, hatte mich fest
in seinem Griff. Jede Bewegung schien eine Anstrengung, die den
letzten Nerv meiner Willenskraft in Anspruch nahm. Während ich vor
mich hindöste, war es, als ob der Boden unter den Hufen meines Pferdes
verschwände, bis ich wieder mit einem quälenden Ruck zu mir selber
kam. Gehirn und Muskeln waren wie gelähmt, aber einen wirklichen
Schmerz fühlte ich nicht. Dieser äußerste Lebensüberdruß brachte nur
eine Empfindung des Ekels hervor und leichtes Kopfweh. Wer aus den
tropischen Wäldern kommt und deren erschlaffende Luft unter beständigem
Schweißverlust monatelang eingeatmet hat, muß auf diese merkwürdige
Reaktion gefaßt sein. Ob man sie über Fluß und Meer verläßt, über die
luftigen Pässe der Anden oder die offenen Steppen am Rio Branco, hat
wenig zu bedeuten. Das Ergebnis ist fast stets das gleiche: mehrere
Tage einer unwiderstehlichen Schwere und eines Überdrusses, die nicht
viel ausmachen, wenn man auf einem Deckstuhl herumfaulenzen kann,
aber während der glühenden Mittagsstunden im Sattel inmitten der
ozeangleichen Weiten der steinigen, wellenartigen Steppe zu einer
wirklichen Qual werden.

Als die Sonne in düsterer Glut hinter den dürren Hügeln unterging,
beschleunigte ich den Marsch meiner kleinen Kavalkade. Sie bestand
aus drei Leuten und fünf Pferden, von denen zwei nur als Packpferde
zum Tragen der Zeltausrüstung mitgeführt wurden. Obwohl unser Ziel am
Surumú weniger als 100 Kilometer entfernt war, wurde es uns doch bald
klar, daß wir es nicht vor Einbruch der Nacht erreichen würden, da
wir einen kleinen, aber schwierig zu überschreitenden Fluß zu queren
hatten. So schlugen wir wieder das Lager auf den offenen Campos auf,
während es die ganze Nacht durch blitzte. Am nächsten Tag gelangten wir
zu dem Posten des Indianeramts an den Flüssen Surumú und Cotinga.

Die kleine weitentlegene Station dient zur Zivilisierung der Macuxy-,
Jarikunas- und Uapirkanasindianer. Sie sind eine uninteressante,
aber recht umgängliche Gesellschaft. Da sie vorzügliche Reiter
sind, verwendet die Regierung sie als Viehhirten, um die Herden
auf den offenen Flächen dieses großen, einsamen Landes zu hüten.
Eine Schule für die Indianerkinder ist der Station angegliedert,
und die wunderlichen kleinen Geschöpfe sehen sich zum erstenmal in
der Geschichte ihrer Rasse den Einschränkungen von Kleidern und
Schulstunden unterworfen.

Jenseits dieses letzten Vorpostens einer Halbzivilisation liegen die
unbekannten Ketten der Serra Pacaraima an der Grenze Venezuelas. Die
niedrige Kette der wellenförmigen Hügel, die nur selten die Höhe von
500 Meter überschreiten, ist mit Gebüsch bedeckt, aber sonst breitet
sich nach allen Richtungen über Tausende von Geviertkilometer die
Steppe aus. Es ist ein ungeheures, unbevölkertes Land unermeßlicher
Möglichkeiten. Von den wenigen dort wohnenden Indianern sieht man nicht
viel, ehe man die Hügelkette überstiegen und die Wälder auf der Seite
Venezuelas betreten hat. Dort bewachen noch heute die Punabi- und
Brüllaffenindianer die Annäherungslinien an die unerforschte Quelle
des großen Orinoko, und noch weiter nördlich hausen andere ebenso
kriegerische Stämme um den heiligen Berg „Sipapo“.

Unter den Grenzern und Schmugglern hört man viel von Gold, Diamanten
und kostbaren Steinen, die am Surumú, Cotinga, Majery und andern
Flüssen des wilden Landes gefunden werden. Auf 4° 15′ nördlicher Breite
erhebt sich am Cotinga eine kleine Bergkette, die die Lokalbezeichnung
„Serra das Crystaes“ (Kristallberge) trägt. Sie wurden mir geschildert
als „ein Fundort von weißen, blauen und roten Kristallen“. Diamanten
hat man an den Ufern des Cauamé gefunden, aber dieser und viele andere
Flüsse sind gänzlich unerforscht und scheinen für wissenschaftliche
Untersuchungen ein glänzendes Feld zu bieten, und zwar mit weit weniger
Gefahr für Leben und Gesundheit, als mit der Erforschung der großen
Wälder im Süden unvermeidlich verbunden ist.

Als ich auf meiner Rückkehr zum Rio Branco an der Mündung des
Uraricoera vorüberkam, verbrachte ich eine Nacht im Lager Raoul
Rabeques, des berühmten „R. R.“ der französischen Forschung. Er hatte
seine Untersuchungen am Uaupésfluß beendigt und war an den Rio Branco
heraufgekommen, ehe er in die Berge seines geliebten Jura zurückging.
450 Kilometer jenseits des letzten Vorpostens der Zivilisation hatte
er am Oberlauf des geheimnisvollen und wenig bekannten Uaupés eine
schwere Malaria überstanden. Der Amazonenstrom selbst ist ganz gesund,
und in Städten wie Pará und Manáos hat man von Malaria nichts zu
fürchten, aber die entlegenen Flüsse und Sümpfe sind außerordentlich
malariagefährlich, besonders, wenn die Gewässer aus den überschwemmten
Wäldern wieder ablaufen. Dieser verhältnismäßig junge Forscher
hatte sich zu lange in den Fiebergegenden aufgehalten und trug die
unverkennbaren Zeichen an sich, daß er nur noch eine große Reise ins
Unbekannte vor sich habe, obwohl er einen lebhaften und vergnügten
Eindruck machte. Er starb etwa sechs Monate später auf See nach einem
Besuch in Rio de Janeiro.

Von Rabeque erfuhr ich interessante Einzelheiten über die
Uaupésindianer, mit denen er während seines acht Monate währenden
Aufenthalts in den Wäldern in nahe Berührung gekommen war. Die Wilden
an diesem entlegenen und von Stromschnellen unterbrochenen Fluß,
einem Nebenfluß des oberen Rio Negro, sind zuweilen großgewachsen,
haben die Hautfarbe hellen Kupfers und schwarzes Haar, das sie
vorn kurzgeschnitten und über den Rücken herabhängend in einen
langen Schwanz geflochten tragen. Ihre Hütten sind die größten
Gemeinschaftshäuser der Welt. Einige sind über 50 Meter lang, 25
Meter breit und 12 Meter hoch. Die Dachstützen bestehen aus glatten,
runden Baumstämmen. In einer dieser Riesenmaloccas spielen sich die
seltsamen Zeremonien ihrer Juripariverehrung ab. Bis zu 40 Familien
leben in einer Hütte. Jede besitzt ihre Feuerstelle und ihre eigenen
Gerätschaften, untersteht aber den Befehlen eines Unterhäuptlings.
Sie schlafen in Netz- und Federhängematten und bearbeiten kleine
Anpflanzungen von Kassave, Yams und Tabak. Ihre Kanus bestehen aus
einem einfach ausgehöhlten Baumstamm, sind bis zu 10 Meter lang, aber
im schnellfließenden Wasser kaum zu brauchen.

Die Männer haben zuweilen eine Art Schürze, die Weiber aber, die
keineswegs häßlich sind, gehen vollständig nackt. Alle Krieger tragen
um den Hals an einer Kette von schwarzen Perlen einen zylinderförmigen
weißen Stein, dessen Größe je nach dem örtlichen Rang des Trägers
verschieden ist. Das Oberhaupt des Hauses heißt „Tischana“. Sein Amt
ist erblich, solange seine Söhne es den besten Jägern des Stammes
gleichzutun vermögen.

Das Uaupé- oder Uaupécarevolk, wie es auch heißt, teilt sich in 21
Unterstämme, die 15 verschiedene Dialekte sprechen. Jeder Stamm
hat einen Namen, der zu seinen hauptsächlichsten Gewohnheiten oder
Gebräuchen in Beziehung steht. So gibt es Tapuras (Tapirs), Tucunderas
(Ameisen), Banhunas und Cubeus (Menschenfresser), Tucanos (Tukans),
Piriacurus (Fische), Pesas (Netze) und noch andere, die alle das
malariaverseuchte, gewundene Flußtal bewohnen.

Die Sitte verbietet Zwischenheiraten unter ihnen. Kann ein Mädchen
nicht im Kampf mit einem benachbarten Stamm erbeutet werden, so muß
der Heiratslustige sie aus gewissen Stämmen des Uaupévolks nehmen, in
die hineinzuheiraten gestattet ist. Diese sind friedliche Ackerbauer,
während die kriegerischen Stämme von gegenseitigen Raubzügen oder der
Brandschatzung benachbarter Indianerstämme leben.

Der Fluß und die Indianer tragen offenbar ihren Namen von einem kleinen
Vogel „Uaupé“ oder „Glanzkopf“, der seines schöngefärbten Köpfchens
wegen so heißt. Stirbt ein Uaupé, so wird der Leichnam den Raubvögeln
überlassen, bis sie ihn zum Skelett abgenagt haben. Die Knochen werden
dann zu Pulver zerrieben, mit einem berauschenden Getränk vermischt
und von allen Verwandten getrunken. Diesem widerlichen Brauch liegt die
Vorstellung zugrunde, daß „es besser ist, sich im Innern eines Freundes
als eines Insekts oder Reptils zu befinden“.

Die Waffen der Uaupés bestehen aus Lanzen, Blasrohren, Bogen,
vergifteten Wurfspießen, Wurfpfeilen, Pfeilen und Keulen. In mancher
Hinsicht scheinen sie den Ocainas zu ähneln, die ich später am Putumayo
traf, da sie, nach Rabeque, sich auch am ganzen Körper zwei- oder
dreimal des Tags mit gewissen Blättern abreiben.

Das Interessanteste an den Uaupés, weil einzig dastehend, ist
vielleicht ihre Verehrung des Juripari, die in den wenigen Religionen
und Mythologien anderer amazonischer Stämme kein Gegenstück hat. Es
gibt bei ihnen Zauberdoktoren oder „Payés“, aber sie glauben weder an
einen Gott noch an einen unsichtbaren Schöpfer. Alle sind diesen Payés
untertan, und sogar die Kinder werden streng überwacht und müssen eine
Art Katechismus lernen, der nichts enthält als eine Aufzählung ihrer
Naturbeobachtungen.

Der Mittelpunkt ihrer rohen Kultur ist eine Art Teufelsgottheit, namens
Juripari, und die ganze Religion ist auf einen Geheimdienst gegründet.
Ungefähr sechsmal im Jahr wird in einer der Riesenmaloccas das Fest
des Juripari begangen. Aus verschiedenen gegorenen Früchten bereitet
man ein berauschendes Getränk in ungeheuren Mengen und vermischt es
mit zu Pulver gestoßenen menschlichen Gebeinen. Die Payés legen ihre
grotesk bemalten Masken an und führen unter dem Klang von Bambusflöten,
unheimlichem Geschrei und allerhand Körperverdrehungen eine Art
Prozession durch den Wald. Vernehmen die unverheirateten Weiber des
Stammes die „Juriparimusik“, so fliehen sie in die Wälder und warten
auf ein Zeichen, das sie herbeiruft. Inzwischen versammeln sich die
jungen Männer, um sich einer gewissen Operation zu unterziehen, bei
der kein junges Mädchen zusehen darf.

Wenn das vorbei ist, ziehen die älteren Männer und Weiber in den Wald
und holen die unverheirateten Mädchen, die auf sie gewartet haben.
Oft sind sie Gefangene von andern Stämmen. Sie werden in die Malocca
geleitet und nach einer Untersuchung durch die Payés ihren betreffenden
Gatten nach irgendwelchen geheimnisvollen Regeln übergeben. Der
Bräutigam beschreibt genau den Mädchentyp, den er zu heiraten wünscht,
mit allen körperlichen Vorzügen, auf die er Wert legt, ehe er noch
die Gefangenen gesehen hat. Etwa ebenso, wie auch die Europäer ihrer
Vorliebe für große, kleine, blonde oder brünette Frauen Ausdruck
geben. Der Unterschied ist nur, daß die Payés bis ins kleinste gehende
Einzelheiten verlangen, ehe sie zur Verteilung schreiten. Ist kein
Mädchen vorhanden, das den Forderungen des Heiratslustigen in jeder
Hinsicht entspricht, so muß er bis zum nächsten Fest warten oder
bei den Stämmen, in die einzuheiraten ihm gestattet ist, selbst auf
die Suche gehen und die Gefangene dann zu einer neuen Feierlichkeit
mitbringen. Geburten verlaufen fast schmerzlos und ohne Beschwerden
für die Mutter, weil an den Mädchen schon von früher Kindheit an
gewisse Operationen vollzogen werden. Erblickt ein Mädchen die heiligen
Zeremonien des Juripari, die vor den Masken der Teufelsgottheit am
Beginn des Festes stattfinden, so muß sie einen grausamen Tod durch
Gift erleiden.

In der Londoner Times war vor einigen Jahren zu lesen, daß zwei
Missionare die unsagbaren Greuel des Juriparidienstes abzuschwächen
hofften, indem sie die heiligen Kultsymbole und Messer dem versammelten
Stamm zu Gesicht brächten. Es gelang ihnen auch durch eine List,
die Gegenstände der Stammesverehrung dem allgemeinen Anblick
darzubieten. Die Weiber flohen entsetzt, und in einer Beratung der
Payés ward entschieden, daß zur Besänftigung der erzürnten Götter
von den Mädchen, die die heiligen Symbole erblickt hatten, jedes
zehnte durch Gift sterben müsse. Der schauerliche Beschluß gelangte
sofort zur Ausführung. Die Leichen wurden in riesigen irdenen Urnen
verschlossen und unter der Maske des Juripari begraben. Natürlich gibt
es verschiedene Symbole dieses seltsamen Kults, aber bisher haben so
selten Weiße auch nur einem Teil der Zeremonien beigewohnt, daß sehr
wenig darüber bekannt ist. Der Juriparidienst bildet noch heute zum
größten Teil eins der unenthüllten Geheimnisse der großen Wälder.




14. Den Chimbiri-Yacu flußaufwärts.


Am Unterlauf des Rio Branco ist das Klima sehr feucht und ungesund.
Als ich auf der Rückkehr nach Manáos aus der weiten, offenen Steppe
an der Grenze durch den dichten Waldgürtel kam, hatte ich abwechselnd
Schweißausbrüche, Fieberanfälle und Schüttelfröste zu überstehen.
Aber der starke Malariaanfall verging, noch ehe ich Manáos erreichte.
Der Anblick eines schönen Boothdampfers am Quai, 1600 Kilometer fern
von der Zivilisation, tat das übrige, und so kehrte ich im schönsten
Wohlleben nach England zurück.

Zwölf Monate später war ich wieder im Amazonengebiet. Diesmal berührte
ich die freundliche, kleine Dschungelstadt Manáos nur auf der Fahrt
den meeresgleichen Strom weitere 1600 Kilometer hinauf nach Iquitos im
nordöstlichen Peru. Über den Solimões, wie der Amazonenstrom zwischen
der Mündung des Rio Negro und der Grenze Perus genannt wird, ist nicht
viel zu sagen, außer daß die Ufer nicht mehr so tief sind und bei
Hochwasser oft halb überschwemmt werden. Die rote Erde blickt zuweilen
durch das lastende Dickicht der prächtigen tropischen Vegetation, und
Riesenflöße aus amazonischen Hölzern mit winzigen Palmstrohhütten
darauf werden von der Strömung flußabwärts getragen. Dann wieder
gleiten vom Grund gelöste Palmeninseln majestätisch vorüber, deren
grüne Wipfel wie Segel in der Sonne schimmern. Und immer noch begleiten
die Mauern der großen tropischen Wälder den Reisenden auf seiner
5000-Kilometer-Fahrt durch den Kontinent. So heftig wütet unter dem
dunkeln Blättergewölbe der Kampf ums Dasein, daß nur die Bäume, die
sich zum Licht durchringen, auf dauerndes Leben hoffen dürfen. Die
andern sterben dahin und fallen den gefräßigen Ameisen zum Opfer. Viele
ersticken auch in der verhängnisvollen Umarmung der Lianen. Nachdem sie
ihnen Menschenalter hindurch als Stützpunkte gedient haben, fallen sie
endlich unter ihrer würgenden Umklammerung.

Einige, wie die Assaipalmen mit ihren schönen, federgleichen Wedeln,
streben empor, bleiben aber schwach aus Mangel an Licht und Luft. Im
Zwielicht welken sie, ehe sie das düstere grüne Dach durchbrochen
haben. Viele Parasitenpflanzen, wie die Orchideen, nehmen die
Gastfreundschaft der lebenskräftigeren Waldgewächse in Anspruch. Den
Reisenden überschleicht der Wunsch, all diese schwelgerische Schönheit
möchte der Welt auf der Leinwand dargeboten werden. Aber ein Bates oder
ein Wallace mit ihren Kenntnissen von tausend Arten müßten zugleich
die Kunst eines Landseer oder Salvator Rosa beherrschen, um das uralte
amazonische Pflanzenschlachtfeld im Bild wiederzugeben.

Bei den wilden Tieren, den Vögeln, Reptilien und Insekten ist es nicht
viel anders. Die wenigen Großen leben von den zahllosen Kleinen.
Nur die Insekten sind durch die Jahrhunderte hindurch an Anzahl
gleichgeblieben. Die Raubtiere, wie der Jaguar und der Alligator,
ziehen sich vor dem Dampfschiff und dem sich allmählich ausbreitenden
Verkehr in die Seitenflüsse zurück. Und die schwächeren und weniger
behenden Tiere, wie die Seekuh und die Schildkröte, fallen dem
Nahrungsbedürfnis der vorrückenden Menschenarmee zum Opfer, die ihre
geliebte Wildnis zerstören würde, wenn das die Üppigkeit der Natur
zuließe.

Wer philosophisch über solche Fragen nachdenkt, während die
Tage auf dem breiten Solimões vorüberziehen, kann sicher sein,
sich dadurch den wundervollen Eindruck des Flusses, Urwalds und
schimmernden Himmels zu verderben. Hitze, Stille und das Gefühl der
Abgeschiedenheit von der menschlichen Gesellschaft sind ebenso viele
Feinde vernünftigen Nachdenkens. Wie die sandbedeckten Wüsten und
arktischen Schneefelder sind die großen tropischen Wälder die Stätten
des Schweigens, wo der Mensch sich seiner Bedeutungslosigkeit und
seiner Anmaßung bewußt wird. Am besten ist es hier, nicht unter die
Oberfläche zu sehen; die Tiefe führt zum Wahnsinn. Nicht wenige brave
Männer sind so zugrunde gegangen auf ihren Wanderungen durch die
dämmrigen Hallen der Wälder, bis zur Brust im schlammigen Untergrund
der Tausende von Kilometer langen Uferstrecken versinkend; oder
sie wurden, laut vor sich hinredend, am Verhungern oder gestörten
Geistes aufgefunden. Die Roosevelt-Rondon-Expedition traf solch einen
Verirrten Hunderte von Meilen fern jeder Zivilisation; ein anderer
starb im Candelaria-Krankenhaus; ein dritter ließ eine letzte,
unzusammenhängende Botschaft an einem Baum am Rio Branco zurück; und
das sind nur ein paar, wie sie mir gerade einfallen. Ein Grauen geht
aus von den schlangenverseuchten Sümpfen, den ekelhaften Insekten,
scheußlichen Krankheiten und Todesarten, den unverständlichen Kulten,
sonderbaren atmosphärischen Stürmen, dem unheimlichen Zwielicht, der
drückenden Hitze und Lautlosigkeit, den giftliebenden Eingeborenen
und den erstickenden Düften der Verwesung ringsum. Und doch ringt
sich überall das Leben durch. Da sind wir in Coary, einer kleinen,
von Petroleum erleuchteten Caboclostadt. Dann folgt Tabatinga,
der Grenzposten mit seiner dunkelfarbigen Garnison, am breiten,
sonnenhellen Fluß inmitten einer frischgrünen Vegetation. Also warum
nachgrübeln über die unsichtbaren Tiefen einer noch immer vom Schleier
des tiefsten Geheimnisses verhüllten Gegend der Erde?

In der Nachbarschaft von Tabatinga, an der Grenze Brasiliens
und Perus, leben die Überbleibsel der einst mächtigen
Tacuná-Indianerstämme. Nur einige Meilen von der Niederlassung entfernt
treiben sie sich noch in den Wäldern umher, nackt und um den Mund herum
tatauiert, so daß sie wie Affen aussehen. Auch die Weiber und selbst
die älteren Kinder haben die Gesichter mit Linien von den Mundwinkeln
bis zu den Ohren bemalt. Ohne diese scheußliche Kriegsbemalung würden
die Tacunás zu den bestaussehenden und bestgeformten Indianern im
Amazonengebiet gehören. So wie sie aber sind ist ihre Erscheinung im
höchsten Maß grotesk. Sie glauben an einen guten Geist „Nanuloa“ und
einen bösen Geist, den sie „Locazy“ nennen. Nach dem Tod geht die Seele
in das Heim des guten Geistes. Der Leichnam wird zusammengebogen, bis
die Hände und Füße sich berühren, dann in einer riesigen irdenen Urne
verschlossen und begraben. Man kann solche wiederausgegrabene Urnen mit
dem Skelett drin in einigen der kleinen Uferniederlassungen käuflich
erwerben. Die Tacunás tragen Halsketten aus den Zähnen von Affen
und Jaguaren, schmücken Kopf und Arme mit Federn und verstehen das
wirksamste Gift im ganzen Amazonengebiet zu bereiten.

Bei Pebas fährt der kleine Flußdampfer in eine Bucht am Nordufer ein
und legt dort vor einem buntscheckigen Haufen von Lehm- und Strohhütten
und ein paar verputzten Barracas an. Ein kleiner Fluß läuft von hier
landeinwärts gegen den Putumayo. An seiner inselreichen Mündung waren
wir einige Meilen vorher vorübergekommen, während sanfter Mondschein
auf diesem Gewässer einstiger Greuel schimmerte. Die Yáhuasindianer
kommen den Fluß herab, um ihre eigenartigen Erzeugnisse an einen
Kaufmann in Pebas zu verhandeln.

Diese Indianer sind noch wild, aber verhältnismäßig harmlos. Sie
kleiden sich in Umhänge und Röckchen aus Gras und sind die Nachkommen
jener Wilden, die vor Jahrhunderten auf Orellana einen so starken
Eindruck machten, als er seine berühmte Entdeckungsreise den Rio
Napo herab vollführte. Er glaubte damals, von einem wilden Stamm
kriegerischer Weiber angegriffen zu werden, den Amazonen. Auf in Pebas
aufgenommenen Photographien einiger Yáhuasmänner tritt ihre Ähnlichkeit
mit Frauen auffallend hervor.

Die Yáhuas, die auch unter mehreren Namen bekannt sind, gehören zu
einem Unterstamm der Orejonesindianer. Sie bemalen ihren Körper mit
dem roten Saft des „Achiote“ und wohnen am Yáhuafluß, einem kleinen
Nebenfluß des Putumayo, von dem der Stamm seinen Lokalnamen erhielt. In
der Nähe von Pebas befindet sich eine Missionsstation, die unter diesem
und den benachbarten halbwilden Stämmen eine segensreiche Tätigkeit
ausübt. Der Rest dieses Indianervolks wohnt an den Ufern des obern
Putumayo und des Napo.

Die letzten 160 Kilometer Flußfahrt vor der Ankunft in Iquitos sind von
Inseln und dem Ästuar des Napo unterbrochen, den Orellana herabkam,
als er 1539 den Amazonenstrom entdeckte. Auf beiden Seiten dieses
Abschnitts des Hauptstroms gelangt man schon sehr bald auf einem oder
dem andern der Nebenflüsse oder Igarapés in das Gebiet halbwilder
Stämme.

Die kleine Niederlassung von Iquitos, etwa 3500 Kilometer vom
Atlantischen Ozean entfernt, macht gegenwärtig einen armseligen
Eindruck, wobei die Schuld mehr an der Untätigkeit der Regierung
als an der seiner Einwohner liegt. Sie steht auf einer Uferbank
des Marañon, die von der Strömung beständig unterwaschen wird. Aus
verschiedenen Anzeichen ist zu schließen, daß der Amazonenstrom in weit
zurückliegender Zeit den Teil eines Binnenmeeres bildete. In einer
Schicht werden Muscheln gefunden, die man allgemein für solche von
Meerfischen hält.

Die Straßen von Iquitos sind nicht ohne Reiz. Niedrige einstöckige
Häuser, deren vorspringende Dächer Schutz gegen die Glut der Sonne
gewähren, wechseln mit Ziegelbauten und verputzten Gebäuden einer
mehr modernen Architektur. Sehr schlecht ist die Kanalisation der
Stadt. Offene Abzugskanäle durchziehen die Straßen, die während der
Regenzeit infolge von Schmutz und stagnierenden Wassertümpeln kaum
passierbar sind. Trotz dieser beklagenswerten hygienischen Verhältnisse
erfreut sich das kleine Städtchen einer elektrischen Beleuchtung! Da
dem Verkehr mit der Zivilisation, etwa 2000 Kilometer entfernt an der
Küste des Pazifischen Ozeans, fast unüberwindliche Schwierigkeiten
entgegenstehen, haben die energischen Einwohner, die erst kürzlich
nach einer monatelangen Revolution wieder beruhigt werden konnten, mit
Begeisterung die Idee einer Luftverbindung über die Anden aufgegriffen.

Nach einem Aufenthalt von sieben Tagen in Iquitos entdeckte ich eine
Barkasse, die dem Señor Ramon gehörte und nach einer Grenzstation
fahren sollte, 24 Kilometer den Chimbiri-Yacu flußaufwärts, in die
Nähe der winzigen Eingeborenenniederlassung von Vaca Marina. Señor
Ramon versprach mir, mich ins Schlepptau zu nehmen, ohne mit echt
peruanischer Höflichkeit das geringste dafür annehmen zu wollen. So
erwarb ich ein recht hübsches Kanu für eine ebenfalls recht hübsche
Summe, kaufte Vorräte, die selbst zu Teuerungspreisen nur schwer zu
erhalten waren, und mietete zwei junge und ganz umgänglich aussehende
Cocama-Indianer.

Der langsame Kampf gegen die Strömung wäre schrecklich eintönig
gewesen, hätte ich nicht von Señor Ramon interessante Auskünfte über
die wilden Indianerstämme der Gegend erhalten. Vor mehreren Jahren
hatte er am untern Pastazafluß sich um Kautschukkonzessionen umgetan
und erzählte mir nun, daß alle die Stämme zwischen dem Westufer des
Tigré und dem Ostufer des oberen Santiago zur kannibalischen
Huambisanation gehörten, obwohl sie in den wenigen Fällen wirklicher
Untersuchungen unter verschiedenen Namen von Unterfamilien
bekanntgeworden waren. Die Stämme in den dichten, von den Ufern
entfernten Wäldern galten als sehr wild und verräterisch.

[Illustration: Schmuckbemalung der Ocainasweiber.

Die Bemalung wird in Rot, Blau und Schwarz mit weißen Umrissen auf dem
matten Bronzegrund der Haut ausgeführt. Die Mieder aus geflochtenem
Stroh bedeuten zwar eine Auszeichnung, werden aber hauptsächlich von
„Anfängerinnen“ getragen. Die „Wadenstutzen“ bestehen aus klebrigem
Kautschuk, Federn, Erde oder Affenhaut.]

[Illustration: Der Schluß des großen Tanzes.

Erst wenn der Tanz vorbei ist, mischen sich die Männer unter die jungen
Mädchen.]

Meine Absicht war, vom Endziel der Barkasse aus mit dem Kanu so weit
als möglich flußaufwärts vorzustoßen, bis ich mit den Eingeborenen
dieser Gegend in Berührung käme. Sie waren als Kopfjäger bekannt und
gleichzeitig als Besitzer des Geheimnisses, menschliche Köpfe bis zur
Größe einer Orange zu verkleinern, ohne die Gesichtszüge zu zerstören.
Ich war mir der großen Schwierigkeiten meines Vorhabens bewußt und
zweifelte vom Anfang an an einem glücklichen Gelingen. Aber nichts ist
ohne Anstrengung zu erlangen, und die Stämme des Huambisavolkes sind
so wenig bekannt, daß selbst ein halber Erfolg schon Erkenntnisse von
wissenschaftlichem Wert eintragen mochte. Während ich so überlegte,
wußte ich jedoch noch nichts von der bösartigen Natur der betreffenden
Stämme noch von der Lage ihrer Dörfer.

Señor Ramon besaß eine Alligatorfarm am Unterlauf des Chimbiri-Yacu,
die vollständig von einem Mischling und einigen halbzivilisierten
Cocamas betrieben wurde. Bei Hochwasser während der Regenzeit pflegen
die riesigen Reptilien flußaufwärts zu ziehen. Kommen sie dann wieder
herab, wenn die Gewässer sich von neuem gegen den breiten Marañon zu
verlaufen, so werden sie gefangen. Man kann sich kaum vorstellen, wie
aufregend der Fang wilder Alligatoren ist. Viele Monate lang braucht
man gar nichts zu tun. Wenn dann die Gewässer zu fallen beginnen,
werden aus gigantischen Baumstämmen mit Seilen und Flaschenzügen
riesige Fallen quer über den Fluß errichtet.

Die Tiere müssen sich daher in einem kleinen, am Ufer ausgehobenen
Teich sammeln. Sind sie einmal darin, so gibt’s kein Entkommen
mehr. Die ausgewachsenen, vielleicht ein bis zwei Jahrhunderte alten
Saurier werden ihrer Häute wegen getötet. Da man sie nicht recht zu
gerben versteht, bleiben sie etwas steif und vermögen mit den Häuten
der Alligatorfarmen an den Küsten des Karibischen Meeres nicht in
Wettbewerb zu treten. Señor Ramon erklärte sich bereit, mir jährlich
5000 Häute zu 25 Schilling das Stück zu verkaufen. Würde man sie
durch besseres Gerben weich und geschmeidig machen, so wäre eine
Alligatorfarm am entlegenen Amazonenstrom eine äußerst gewinnbringende
Unternehmung, solange die Mode für Damenschuhe, Handtaschen und andere
Gegenstände aus Krokodilleder Bedarf hat.

Nach dem Abschied von Señor Ramon und der Alligatorfarm überstürzten
sich die Schwierigkeiten geradezu. Der Chimbiri-Yacu sieht freundlich
und ungefährlich aus, hat aber eine starke Strömung und ist sehr
seicht und voll Hindernissen, so daß die Arbeit, sich flußaufwärts zu
staken, nicht nur äußerst anstrengend, sondern auch von so geringen
Fortschritten begleitet war, daß wir in drei Tagen nur 35 Kilometer
von dem Punkt aus zurücklegten, wo wir die Barkasse verlassen hatten.
Der Wald war sehr dicht; rechts von uns erschienen verschwommene blaue
Hügel.

Am Abend entdeckten wir, daß wir nahe der Mündung eines kleinen Flusses
einen falschen Weg eingeschlagen hatten, der auf der Karte Perus den
Namen „Urama“ trägt. Es war der letzte Fluß oder Ort mit einem Namen;
jenseits liegt ~Terra incognita~. Zuerst bemerkte ich diesen wichtigen
Umstand am Nachlassen der Hauptströmung. Dadurch wurde es klar, daß wir
nicht nur unsern Fluß verlassen hatten, sondern überhaupt jeden Fluß,
der aus höher gelegenem Gelände herkam.

Mit einem Male verbreiterte sich der Fluß und wir sahen, daß wir
in einen großen, aber sehr seichten See eingefahren waren. Da wir
ihn auf keiner vorhandenen Karte finden konnten, benannte ich
diese weite Wasserfläche, die wenigstens 24 Kilometer lang und 8
Kilometer breit war, auf der beigegebenen Karte „See der Seekühe“.
Hier erblickte ich zum erstenmal diese unter dem Namen „Manati“ oder
Seekuh bekannten seltsamen Süßwasser-Säuger. Sie kommen in vielen
amazonischen Stauwasserbecken vor, werden aber von Reisenden, die
ihre Lieblingsschlupfwinkel nicht kennen, nur selten gesehen. Die
Brasilianer nennen die Seekuh auf portugiesisch „Peixe boi“, die
Peruaner auf spanisch „Vaca Marina“. Fast jeder Indianerstamm hat einen
eigenen Namen für diesen nützlichen Fisch, der sie mit Öl versorgt.

Der bläulichgraue, glatte Rücken der Seekuh ist oft äußerst schwer
von stagnierendem Wasser oder einem schwimmenden Baumstamm zu
unterscheiden. Kommt aber der Bauch nach oben, so entdeckt man das
Tier leicht an rosa Zeichnungen, die ihm das Aussehen eines Gummiballs
verleihen. Die gewöhnliche Länge eines ausgewachsenen Tieres beträgt
etwa zwei Meter; sein Maul, von dem es seinen „Familiennamen“ hat,
gleicht dem einer Kuh.

Sein Gesichts-, Geruchs- und Gehörsinn ist so fein entwickelt, daß die
Eingeborenen behaupten, zur Jagd keines Tieres bedürfe man größerer
Geschicklichkeit. Man fängt die Seekuh entweder mit der Harpune
oder in starken Netzen, die vor dem Eingang zu ihren Futterplätzen
aufgespannt werden. Das Fleisch gilt für recht gut und soll ähnlich
wie Schweinefleisch schmecken. Mir selbst jedoch war der Geschmack
zuwider. Das merkwürdige Tier hat Flossen, unter der Haut eine dicke
Speckschicht und liefert mehrere Gallonen (zu 4½ Liter) Öl, das die
Indianer zum Massieren bei verschiedenen krankhaften Schwächezuständen
mit anscheinend wunderbarem Erfolg verwenden.

Nachdem wir für die Untersuchung dieses großen Waldsees einen Tag
und eine Nacht geopfert hatten, suchten wir wieder den Hauptarm des
Chimbiri-Yacu auf und arbeiteten uns zwei Tage gegen die Strömung
flußaufwärts. Außer einer verlassenen Strohhütte bekamen wir nur
den Dschungel und in weiter Entfernung einige Hügel zu Gesicht. Da
wir die Unmöglichkeit einsahen, bei unserm langsamen Vorwärtskommen
das Quellgebiet des immer seichter werdenden Flusses in einer
vernünftigen Zeit zu erreichen, entschloß ich mich, in einen nicht so
schnell dahinströmenden Fluß einzufahren, der auf 4° 10′ südlicher
Breite vom Chimbiri-Yacu westlich abzweigt, denn wir waren von den
zehntägigen Anstrengungen in der Dampfbadatmosphäre und dem häufigen
Eingeweichtwerden von tropischen Regengüssen völlig erschöpft. Dieser
Nebenfluß war so seicht, daß das leichte Kanu öfter festsaß als auf dem
Wasser schwamm.

Am Morgen des zweiten Tages auf diesem namenlosen Fluß, den ich zu
Orientierungszwecken „Indianerflüßchen“ getauft habe, trafen wir auf
drei große Gemeinschaftshütten. Sie waren aus Chontapalmholz gebaut und
standen am Rande einer Lichtung in geringer Entfernung vom Ufer. Auf
dem Fluß lagen zwei Flöße oder Balsas, auf denen sechs Eingeborene mit
furchterweckend aussehenden Bogen und Pfeilen standen.

Nachdem wir unsere freundschaftliche Gesinnung durch Zeichen kundgetan
hatten, landeten wir bei der kleinen Lichtung. Sofort umgaben uns
zwanzig oder dreißig Wilde, die das Eindringen eines Weißen nicht übel
aufzunehmen schienen. Mehrere Freunde in Iquitos hatten mich aber vor
dem verräterischen Charakter der Indianer dieser Gegend gewarnt und
erzählt, wie einsame Prospektoren auf der Suche nach den sagenhaften
Schätzen des Amazonenlandes von ihnen behandelt worden waren. Daher
beschloß ich vorsichtig zu sein und das Lager unmittelbar am Ufer
aufzuschlagen statt in der Nähe der Hütten auf der Lichtung.

[Illustration: Skizze des Chimbiri-Yacu-Gebiets.]

Durch Zeichen gab ich zu verstehen, daß wir nur für die eine Nacht hier
lagern würden, verteilte einige Geschenke und tat so, als ob ich
mich nicht weiter um die Indianer kümmerte, die herumstanden und uns
beobachteten. Obwohl ich sehnlichst wünschte, mit ihnen ins Gespräch
zu kommen und ihr Dorf in Augenschein zu nehmen, hielt ich das doch
für gefährlich, ohne ihre Absichten erst erkundet zu haben. Wenn man
nur zwei halbzivilisierte Eingeborenenboys zu seiner Verteidigung
hat, trägt man kein Verlangen, sich in mehr Gefahren zu begeben als
unvermeidlich an sich mit jeder Forschungsarbeit verbunden sind.

Während des ganzen Tags zügelte ich meine Ungeduld und beschränkte
mich auf gelegentliche pantomimische Bemühungen, den Namen des Stammes
herauszubringen. So entdeckte ich, daß er eine Unterabteilung des
großen Huambisavolks war und „Anchuales“ hieß. Natürlich verschärfte
sich nun mein Wunsch, ihr Leben und ihre Sitten zu untersuchen. Als
die Nacht anbrach, saß ich vor meinem Zelt mit dem Rücken gegen den
Fluß und den kurzen Winchesterkarabiner geladen und schußbereit in
Reichweite. Dann stieg der Mond auf und überflutete die Lichtung mit
seinen geheimnisvollen Strahlen. Ostentativ stand ich auf, warf die
erst halbgerauchte Zigarre weg und verschwand im Zelt. Einer der Boys
hielt draußen Wache.

Auf der Rückseite des Zeltes hatten wir die Leinwand absichtlich nicht
befestigt. Ich konnte daher hier unter die Leinwand kriechen und
wartete, bis eine Wolke den Mond verdeckte. Als endlich das Ufer für
einen Augenblick im dunkeln Schatten lag, glitt ich den steilen Abhang
hinab und verbarg mich unter dem Schutzdach im Stern des Kanus. Hier
wachte und schlummerte ich abwechselnd, bis es anfing zu dämmern. Als
alles ruhig blieb, badete ich und bereitete mich auf den kommenden Tag
vor.

Von +einem+ Umstand hatte ich mich durch diese Maßregeln überzeugt: daß
kein unmittelbarer Angriff geplant war. Hätten die Indianer vorgehabt,
mich zu ermorden oder auszuplündern, so würden sie mich sicher
angegriffen haben, kurz nachdem ich mich ins Zelt zurückgezogen hatte,
da sie glaubten, ich wolle nur eine Nacht hierbleiben. Dann wäre,
abgesehen von den beiden Cocamaboys, der Weg frei gewesen, das kleine
Lager zu überfallen.

Durch diese Erwägungen ermutigt, erklärte ich meine Absicht, den
Aufenthalt um einen oder zwei Tage zu verlängern, angeblich, um
den Kanuboys Gelegenheit zum Ausruhen zu geben, die übrigens diese
Nachricht nichts weniger als freudig aufnahmen. Sogleich begann ich nun
mit meinen Nachforschungen und nahm mir vor, sofort abzufahren, sobald
ich sie zu einem Abschluß gebracht hätte.




15. Die Kopfjäger der Huambisa.


Dieser Huambisastamm hat ein mongolisches Aussehen und scheint weder
körperlich noch seiner ganzen sonstigen Beschaffenheit nach kräftig
zu sein. Die Durchschnittshöhe der Leute beträgt etwa 1,60 Meter. Sie
haben ungewöhnlich lange und dünne Arme und sind nicht völlig nackt
wie die Wilden am Tapajóz, Madeira, Aripuanan und andern Flüssen des
brasilianischen Amazonengebiets, sondern haben um die Lenden eine Art
Leibbinde geschlungen, deren unterer Saum in glänzende Federn ausläuft.
Die Weiber tragen von der rechten Schulter herabhängend ein Gewand
aus einem Stück. Mit Käferflügeln verzierter Ohrschmuck aus Rohr ist
beiden Geschlechtern gemeinsam. Die Männer tragen noch Armringe aus
Eidechsenhaut, während sich die Weiber mit Halsketten aus gefärbten
Samenkörnern schmücken.

Zur Bemalung des Gesichts, der Arme und des Körpers wird der rote
Farbstoff des „Achiote“ oder der blaue einer andern Pflanze benützt,
die, wie ich glaube, „Piau“ genannt wird. Einige unverheiratete
Mädchen trugen Fußringe aus Rohr. Die auf das Gesicht gemalten Zeichen
scheinen die Stammeszugehörigkeit anzuzeigen und ersetzen gewissermaßen
den Paß des Weißen, während die Körperbemalungen die Stelle der
Tapferkeitsmedaillen auf der Brust des Soldaten oder Seemanns vertreten
und somit verraten, daß der Träger sich im Kampf ausgezeichnet hat.

Die Weiber sehen weit besser aus als die Männer. Ihr rabenschwarzes
Haar ist vorn kurz geschnitten und hängt frei über den Rücken herab
oder wird in Zöpfchen geflochten und um den Kopf gelegt. Einige jüngere
Mädchen tragen an der Seite des Kopfes Haarzöpfchen, die unter dem Kinn
zusammengeflochten werden, ein häßlicher Brauch, der übrigens bei den
Mädchen nicht sehr beliebt zu sein scheint.

Dem Anschein nach ist dieser Stamm sehr sauber. Nachdem man mit
Kanupaddeln auf die Oberfläche des Flusses geschlagen hatte, stiegen
etwa dreißig Männer, Weiber und Kinder ins Wasser und plätscherten
dort lärmend fast eine Stunde lang herum. Der Spektakel hat zweifellos
nebenbei auch den Zweck, hungrige Alligatoren in achtungsvoller
Entfernung zu halten. Mehrere Indianer hatten eine hellere Hautfarbe,
als ich zuerst angenommen hatte. Damals war mir der Grund unbekannt,
aber später erfuhr ich, daß sie 1849 einige größere Ansiedlungen
überfallen, die Männer ermordet und eine beträchtliche Menge spanischer
Mädchen geraubt hatten, von denen man nie wieder etwas hörte. Die
wenigen weißen Indianer unter den andern kupferfarbenen sind sicher die
Abkömmlinge der unglücklichen Gefangenen.

Die Huambisa jagen und fischen mit Hilfe von Gift. Sie zerstoßen eine
gewisse Wurzel, füllen das Mehl in einen Sack und hängen ihn an einer
Schnur in den Fluß. Fische, die in die Nähe kommen, werden betäubt
und steigen an die Oberfläche, wo sie leicht gespießt werden können.
Der Genuß des Fleisches wird durch dieses merkwürdige Narkotikum in
keiner Weise beeinträchtigt. Auf ähnliche Art werden Affen, Tapire und
Wildschweine mit vergifteten Pfeilen erlegt. Die gebräuchlichen Waffen
sind lange, dünne Speere aus Ponaholz, Bogen, Blasrohre und vergiftete
Pfeile.

Die Blasrohre der Huambisa sind gewöhnlich etwa 2½ Meter lang. Sie
werden aus zwei Hälften verfertigt, die zusammengefügt werden, nachdem
man sie sorgfältig ausgehöhlt hat, damit der Pfeil glatt durchfliegt.
Am einen Ende befindet sich ein Mundstück. Die beiden Hälften werden
mit Gras zusammengebunden, und dann wird das Ganze mit einer Art
Gummi überstrichen. Die Blasrohrpfeile sind sehr dünn, scharf und
vergiftet. Ein Führungsring am einen Ende wirkt abschließend wie ein
Pumpenkolben. Sie werden in einem Köcher getragen, in dem Affenzähne
dergestalt angebracht sind, daß die vergifteten Pfeilspitzen sich beim
Herausziehen zur Hälfte abspalten. Dies geschieht, damit die Spitze
beim Eindringen in die Beute kurz abbricht und nicht infolge des
Pfeilgewichts aus der Wunde wieder herausfällt. Der Köcher besteht aus
einem Rohrstück, an dem der Behälter mit dem Gift hängt, und wird über
der Schulter getragen.

Außer dem Fischen mit Gift erlegen die Huambisa die größeren
Flußbewohner einschließlich der Vaca Marina und der Schildkröten durch
Pfeile, die sie von ihren über zwei Meter langen Bogen abschießen,
welche aus einem harten, braunen, ungeglätteten mahagoniähnlichen Holz
verfertigt sind. Die Jagdpfeile haben Spitzen aus Tierzähnen und sind
unten mit Federn versehen, damit sie genauer fliegen. Bei der Jagd
auf gewisse Fische und auf Schildkröten schießen die Huambisa mit
wunderbarer Geschicklichkeit indirekt, so daß der Pfeil senkrecht auf
den Fisch oder die Schale der Schildkröte trifft, von der er sonst
zurückprallen würde.

Die Hütten dieses Stammes sind aus dem Holz der Chontapalme gebaut
und beherbergen etwa zehn Familien. Selten sind sie weniger als etwa
20 Meter lang, bei einer Breite von 12 und einer Höhe von 6 Meter. Im
Innern sind Rohrplattformen zum Schlafen längs der Wände angebracht,
während sich in der Mitte ein Ring von Feuerstellen, die irdenen Töpfe
und Krüge befinden. Da Vielweiberei allgemein üblich ist, für die
zweite oder dritte Ehefrau aber keinerlei Schlafgelegenheit vorhanden
zu sein scheint, müssen diese unglücklichen Geschöpfe wohl auf der
Erde zu Seiten des Ruhebetts ihres Herrn und Gebieters liegen. Ein
solches Ruhebett ist eine merkwürdige Einrichtung. Das Rohrgestell
reicht nur bis zu den Knien, dann kommt ein leerer Raum, eine Fußstütze
und das Feuer. Beim Schlafen liegt der Körper bis zu den Knien auf
dem dünnen, elastischen Rohr, und die Füße hängen nicht über, sondern
ruhen auf einer besonderen Stütze, an deren Ende unmittelbar das Feuer
brennt, um die Sohlen zu wärmen.

Vor einer der Dorfhütten war, etwa 5½ Meter über dem Boden, eine Art
Wehrgang aus hohen Palmstämmen errichtet, zu dem ein eingekerbter
Baumstamm als Leiter hinaufführte. Wie ein Turm überragte er den
Hütteneingang. Sein Zweck ist zweifellos der, das Gemeinschaftshaus
gegen einen Überfall benachbarter Stämme zu schützen. Wie ein richtiger
Wehrgang war er verschalt, gedeckt und mit Schießscharten für die
Pfeile versehen. Von da aus kann man die an dem Zweig eines Baumes
aufgehängte „Tunduy“ (in Brasilien Manguaré) erreichen, ein Instrument,
das der Sturmglocke entspricht. Es wird mit einer kleinen Keule
geschlagen, und sein Klang ist meilenweit in den umliegenden Wäldern
zu vernehmen. Unter dem Vorbau, den der Wehrgang bildet, schien der
Versammlungsplatz aller Haushühner, Schweine und Hunde zu sein.

Obgleich mehrere Kanus aus ausgehöhlten Baumstämmen vorhanden waren,
wird doch als beliebtestes Beförderungsmittel auf dem Fluß das Floß
oder die Balsa benutzt. Es ist geradezu wunderbar, welche Reisen auf
diesem primitiven Fahrzeug ausgeführt werden. Ganze Familien fahren
damit wochenlang auf entfernten und unbekannten Flüssen und Seen umher
und nehmen dabei ihre ganze, allerdings nicht große Habe mit.

Feuer machen die Huambisa, indem sie zwei Stöcke aneinanderreiben,
wie es bei den Wilden auf der ganzen Welt üblich ist, oder indem sie
Steine aufeinanderschlagen und die Funken auf ein kleines Häuflein
Holzmehl sprühen lassen, das sie aus dem Kernholz einer an der
glühenden Sonne ausgedörrten Palme gewinnen. Während meines Aufenthalts
bei dem Stamm sah ich nur einmal, wie man auf die zuletzt genannte
Art Feuer zu machen versuchte. Wenn das Feuer einmal im Innern der
Hütte brennt, wird es von den Weibern unterhalten, die es nur selten
erlöschen lassen.

Männer und Weiber nehmen große Mengen eines höchst berauschenden
Getränks zu sich, „Masata“ genannt, das aus der Yukka in einer
Weise bereitet wird, die eine kleine Vorstellung von der Gemütsart
der Huambisa gibt. Die Yukka wird geschält, dann etwa zehn Minuten
lang von den Weibern zerkaut und in einen großen Topf gespien.
Unter Zusatz von Wasser läßt man darauf die trübe Masse gären. Nach
einiger Zeit wird sie durch ein dickes, handgewebtes Tuch geseit und
in beträchtlichen Mengen getrunken. Bei einer Gelegenheit sah ich,
wie drei junge Huambisamädchen von dem schmutzigen Gebräu tranken,
während sie Yukka kauten, und dann alles zusammen in den zu neuer
Mischung bereitstehenden Topf wieder von sich gaben! Ich konnte mir
nicht helfen, die ekelhaften Sitten und Gebräuche dieses Stammes mit
den reinlicheren Gewohnheiten und Gepflogenheiten anderer Stämme zu
vergleichen, mit denen ich zusammengetroffen war. Die bei den Huambisa
anscheinend vorherrschenden Krankheiten sind Tuberkulose, Aussatz,
Syphilis und Malaria.

Die Mädchen werden im Alter von etwa sechs Jahren verlobt oder
eigentlich als Sklavinnen verkauft, wenn sich ihre körperlichen Vorzüge
schon mehr oder weniger zeigen. Aber erst mit zwölf oder dreizehn
Jahren beginnt das gemeinschaftliche Leben mit ihrem Gatten. Dann sind
sie natürlich bereits weiterentwickelt als eine Europäerin von 16 oder
17 Jahren.

Als ich eine kleinere Hütte bemerkte, die etwa dreißig Meter von den
großen Gemeinschaftshäusern ablag, erkundigte ich mich nach ihrem
Zweck, konnte aber die in Zeichensprache erteilte Auskunft nicht
verstehen. Der Häuptling, der einen Helm aus Affenhaut trug, führte
mich darauf über die Lichtung zu dem verdeckten Eingang. Das Innere
war halbdunkel und von einem beißenden Rauch erfüllt. Ein leises
Ächzen drang aus einem Winkel neben dem schwelenden Feuer, und einen
Augenblick glaubte ich wirklich, durch meine Wißbegierde in ein
Seuchenhaus hineingeraten zu sein.

Bei dem trüben Licht des Feuers konnte ich zwei verschrumpfte, nackte
Gestalten erkennen, die auf einer niedern Plattform ausgestreckt
lagen. Ihre Gesichtszüge waren aber in der rauchigen Atmosphäre nicht
zu unterscheiden. Dann zuckte ich zusammen, denn ich sah, daß ich
Leichen vor mir hatte, und daß das Ächzen von den Verwandten ausging,
die auf dem Boden kauerten. Die Leichen werden hierhergebracht und
auf die Plattform gelegt. Dann ziehen die Zauberdoktoren das Blut aus
dem Körper in einer Art und Weise, die hier nicht geschildert werden
kann. Das Feuer aus einer chemische Dämpfe entwickelnden Holzart wird
angezündet und muß so lange brennen, bis die eingeschrumpften Leichen
zu Mumien geworden sind. Dann werden sie mit Rinden bedeckt und unter
dem Boden ihrer einstigen Wohnhütten begraben.

Hier war also endlich die geheimnisvolle Totenkammer der Huambisa.
Der Boden war hart von geronnenem Blut, das durch ungezählte Jahre
aus menschlichen Leibern gezogen worden war. Häufig überfällt dieser
wilde Stamm benachbarte Dörfer, raubt Weiber und Mädchen und tötet die
Männer. Die Erschlagenen werden enthauptet und die Köpfe im Triumph
zurückgeschleppt. Bei der Ankunft im Dorf steckt man sie auf Lanzen,
und um sie herum versammelt der Stamm sich zu einer wilden nächtlichen
Orgie. Trinken, Schmausen und unsagbare Ausschweifungen währen bis zur
Morgendämmerung; dann bringen die Zauberdoktoren die Köpfe in die
Totenkammer, und hier vollzieht sich der geheimnisvolle Prozeß ihrer
Verkleinerung.

Fast jedes Buch über Reisen und Forschungen im Amazonengebiet enthält
eine Schilderung dieses Verfahrens, durch das Menschenköpfe bis auf
den Umfang einer kleinen Orange verkleinert werden, ohne daß die
Gesichtszüge eine Veränderung erleiden. Fast alle diese Schilderungen
weichen in wesentlichen Einzelheiten voneinander ab oder sind für
wissenschaftliche Zwecke zu unbestimmt. Es ist sehr zweifelhaft, ob
das wirkliche Verfahren jemals von einem Weißen in den letzten Jahren
beobachtet worden ist. Man kennt Fälle, daß die +verkleinerten Köpfe
von Europäern+ den Weg zu Sammlern gefunden haben, Jahre, nachdem die
Tat begangen worden war. Nach meiner eigenen Kenntnis der amazonischen
Wilden neige ich zu dem Glauben, daß solcherart das Schicksal jedes
Weißen sein würde, der das Verfahren gegen die Wünsche des Stammes
ausspäht und dabei ertappt wird. Es mag aber von Interesse sein,
wenn ich hier die Art erzähle, die man allgemein für richtig hält.
Man läßt die Köpfe mehrere Tage in der Totenkammer, bis sie genügend
ausgetrocknet sind, dann werden die Knochen durch das Hinterhaupt und
die Schädelöffnung entfernt. Um die Haut zu lösen, werden hierauf heiße
Steine eingeführt. Die Lippen formt man über einem Holzstück oder näht
sie mit Baumwollfaden zu, worauf die Haut langsam einschrumpft und
ausdörrt. Dann wird sie durch die gleiche Räucherung mumifiziert, wie
die Leichen der Verstorbenen.

Wie dem nun auch sein mag, ich selbst jedenfalls beanspruche keine
ausschließlichen Kenntnisse, weil keiner der Stämme, mit denen ich in
Berührung kam, dazu bewogen werden konnte, das Verfahren zu verraten.

Die Indianer, die wissen, daß die Behörden Perus an jedem, der im
Besitz eines „gedörrten“ Kopfes getroffen wird, die Todesstrafe
vollziehen, scheuen sich natürlich, irgend etwas zuzugeben, und die
richtigen Wilden, die in keiner Beziehung zu den Regierungsbeamten
und Händlern stehen, betrachten diese schauerlichen Trophäen als ihr
wertvollstes Eigentum. Doch erfuhr ich immerhin von diesem Stamm,
welche Gefühle den Besitzer eines eingeschrumpften Kopfes beseelen. Es
scheint, daß derartige Trophäen entweder an der Hüfte oder rückwärts
am Nacken hängend getragen werden, wenn der Krieger in den Kampf
zieht, als Warnung des Gegners vor gleichem Schicksal. Im Frieden aber
quillt aus dem Bewußtsein, das Haupt des Überwundenen an den Lippen am
Gürtel oder Halsband aufgehängt zu haben, ein beständiges Gefühl der
Genugtuung, wie nur unbeherrschte Wildheit und der rücksichtsloseste
Haß es zu empfinden fähig sind. Man muß dabei bedenken, daß Blutrachen
die Hauptursachen der unaufhörlichen Kriege zwischen fast allen wilden
Stämmen des entlegenen Innern bilden.

Unter andern grausamen Gebräuchen pflegt dieser Stamm seine Knaben zu
peitschen lediglich, um ihre Fähigkeiten in Ausdauer zu prüfen und
zu verstärken. Aus demselben Grund werden auch junge Mädchen über
einem qualmenden Feuer in einer Hängematte aufgehängt, um die bösen
Geister aus ihnen auszutreiben und ihre Kraft beim Aushalten von Qualen
zu steigern, ehe sie im Haushalt des Gatten ihren Platz einnehmen.
Vor jedem Festmahl nehmen alle Stammesmitglieder starke Brechmittel
zu sich, damit sie sich der bevorstehenden Orgie mit größerer
Ungebundenheit hingeben können. Die Weiber entfernen alle überflüssigen
Haare, indem sie sie um einen kleinen Rohrsplitter winden. Die Geburt
machen sie durch schon den Kindern auferlegte Übungen schmerz- und
gefahrlos. Sehr dünnes und zerbrechliches Töpferzeug wird von den
Weibern in großer Zahl verfertigt ohne andere Hilfsmittel als ein wie
eine Mörserkeule geformtes Stück Holz.

Nachdem ich einige Zeit bei den Huambisa zugebracht hatte, hielt ich
es für ratsam, wieder nach Iquitos zurückzukehren. Ein Weißer wird
mit verhältnismäßiger Sicherheit in freundschaftliche Berührung mit
fast jedem wilden Indianerstamm kommen und sich einige Tage bei ihm
aufhalten können, vorausgesetzt, daß er über Takt und Unerschrockenheit
verfügt. Aber traut er der gastfreundlichen Stimmung und dem Eindruck
des Neuen, den sein Erscheinen mit sich gebracht hat, zu lange, so
bedeutet das beinahe sicher seinen Tod durch Pfeil, Speer oder Gift.
Während der ersten paar Tage bei einem wirklich wilden Stamm bieten
die natürliche Neugierde des amazonischen Indianers und sein Argwohn
vor jedem menschlichen Wesen einen ziemlich sichern Schutz. Indem er
aus seinem eigenen beschränkten Dasein gewissermaßen Schlüsse zieht,
äußert er vor allem den Wunsch nach Geschenken und Kenntnissen, die
ihm Macht über den eigenen Stamm oder seine Feinde verschaffen. Dann
schließt er weiter, daß kein Mensch, der nicht seiner körperlichen
Überlegenheit oder magischer Kräfte sicher wäre, sich allein unter
einen unbekannten Stamm wagen würde. So ermöglichen diese beiden
Hauptcharaktereigenschaften des wirklichen Wilden dem Forscher und
Wissenschaftler Untersuchungen anzustellen, die sonst undurchführbar
sein würden. Das ist die wahre psychologische Erklärung mancher
berühmten von weißen Reisenden vollführten Heldentaten unter den wilden
Rassen der Menschheit.

Über die Rückreise nach Iquitos brauche ich nur zu sagen, daß ich
sehr früh, noch vor Tag, vom Huambisadorf abfuhr und genug Geschenke
zurückließ, um einen verräterischen Versuch zu verhindern, meiner
kleinen Expedition flußabwärts zu folgen.

[Illustration: Carijonasindianer mit schweren Ohrpflöckchen.]

[Illustration: Konibosindianer im Kusma.]

[Illustration: Landungsstelle am oberen Madeira.

Die Ballen sind Rohgummi.]




16. Unheimliche Bräuche im Land der Uitotosindianer.


Man stelle sich einen Fluß vor, dessen Wasser wie flüssiges Erz
aussehen, mit glatter, öliger Oberfläche, der schweigend und
erbarmungslos zwischen den beiden Wänden eines üppigen, faulenden
Waldes dahingleitet in der schläfrigen Dampfatmosphäre des tropischen
Tags, und man hat den Beginn meiner sechsten langen amazonischen Reise
von Iquitos flußaufwärts gegen den Oberlauf des Putumayo.

Solange jede Palmstrohhütte, jedes sonnenflimmernde Herumplätschern
eines spielenden Delphins, jede schnatternde Affenkolonie, jeder
baumstammähnliche Alligator, das wachsende Dröhnen der Regengüsse, das
Rollen des Donners und Zucken der Blitze am dunkelvioletten Himmel noch
etwas Neues, Seltsames und Aufregendes bedeuten und die Eintönigkeit
der Landschaft sich noch nicht unauslöschlich dem Gedächtnis eingeprägt
hat, mag die Schweißschicht, in die man Tag und Nacht gebadet ist,
zeitweise vergessen werden. Bald aber beginnen die Hitze und Stille des
Mittags auf die ermüdeten Sinne zu drücken. Das blendende Sonnenlicht
legt sich schmerzend auf Augen und Gehirn. Dann kommt die Zeit, da die
Seele des Reisenden erschlafft und da er sich nach der belebenden Luft
der offenen Flächen sehnt.

In solch einem unerfreulichen Zustand befand ich mich, nachdem ich
mich 48 Stunden lang mit Wolken von Stechmücken auf dem Unterlauf des
Putumayo herumgeschlagen hatte. So schrecklich ist diese geflügelte
Seuche, daß die kleinen Grenzgarnisonen in Tarapaca, Tacna und Cotuhé
fast beständig mit Kopfnetzen und Stulphandschuhen zu leben genötigt
sind. Das Wasser dieses schönen Flusses ist klar und weiß, die Strömung
beträgt fünf Kilometer, und die Schiffahrt findet verhältnismäßig
wenig Schwierigkeiten. Der Putumayo hat eine Länge von etwa 1600
Kilometer, aber sein Oberlauf ist von einigen Wasserfällen und
Stromschnellen gesperrt. Durch den Rio Yaguas gelangt man nach der
kleinen Niederlassung von Pebas am Amazonenstrom. Jenseits der Mündung
des Yaguas wird die Fahrt auf dem Putumayo durch viele kleine Inseln
erschwert, und dann kommt die Mündung des wenig bekannten Pupuna, eines
kohlschwarzen Flusses, der zwischen Mauern dunkler, abschreckender
Wälder dahinströmt.

Der Putumayo vereinigt sich etwa 650 Kilometer oberhalb seiner
Mündung in den Amazonenstrom, auf 1° 4′ südlicher Breite und 71° 53′
westlicher Länge, mit einem Nebenfluß namens Igara-Paraná. Er spielt
in den Berichten der Kommission eine große Rolle, die die in der
Kautschukregion begangenen Greueltaten zu untersuchen hatte. Diesem
weltentlegenen Fluß in den Tiefen der Urwälder Guayanas steuerte ich
langsam und mühselig entgegen mit der Absicht, etwas von den Uitotos-
und Ocainasindianern zu sehen, die dieses Gebiet bewohnen.

An der Mündung der beiden Flüsse vertauschte ich das
Iquitos-Putumayo-Boot mit einer Privatbarkasse, die zu den
Gummipflanzungen weiter flußaufwärts gehörte. Man steigt bei der
kleinen Niederlassung Retiro um, wo der Fluß eine breite Fläche bildet.
Einige Kilometer weiter, hinter der kleinen Station Arica, wird der
Hauptfluß verlassen, und die Barkasse nimmt nun ernstlich die Fahrt den
von dunkeln Wäldern umsäumten Igara-Paraná, 350 Kilometer hinauf, in
Angriff.

[Illustration: Skizze des Gebiets des Igara Paraná.]

Im Bericht der Kommission heißt es, daß dieses Gebiet etwa 25000
Geviertkilometer groß ist und sich zwischen dem 72. und 74. Längengrad
und dem Äquator und dem 2. südlichen Breitengrad erstreckt. Vor den
Greueln wurde die Bevölkerung von den peruanischen Behörden auf
40-50000 Köpfe geschätzt. Die Mehrzahl dieses primitiven Volkes wohnte
längs des Igara-Paraná. Der Fluß hat eine Länge von mehr als 600
Kilometer und ist für Fahrzeuge von 100 Tonnen und darüber von seiner
Vereinigung mit dem Putumayo bis zur Station La Chorrera schiffbar,
etwa 350 Kilometer von der Mündung.

Den Fluß entlang liegen zahlreiche kleine Ansiedlungen und Barracas,
die zur Hauptkautschukstation in La Chorrera gehören. Sowohl die
wilden als die halbzivilisierten Stämme, die in dieser ausgedehnten
Waldenklave wohnen, sind zum größten Teil mit dem Einsammeln des
kostbaren Saftes beschäftigt, den sie für Handelswaren an einer oder
der andern der vorgeschobenen Niederlassungen verkaufen. Über die
furchtbaren Greuel, die vor Jahren von gewissenlosen Halbblutagenten
der großen Konzessionen begangen wurden, ist seinerzeit so viel
geschrieben worden, daß es unnötig scheint, hier Geschichten zu
wiederholen, die der ganzen zivilisierten Welt bekannt sind.
Die öffentliche Aufmerksamkeit war für kurze Zeit auf diesen
verhältnismäßig kleinen Fleck Erde in den großen Wäldern des Putumayo
gerichtet mit dem Ergebnis, daß schnell Abhilfe geschaffen wurde. Für
alle, die diese fernen, düstern und geheimnisvollen Gegenden kennen,
lag das Erstaunliche der Sache nur darin, daß sich die Aufmerksamkeit
lediglich auf dies eine Gebiet erstreckte, da es doch zahllose andere
gab, wo die Verhältnisse bekanntlich ebenso schlimm, wenn nicht
schlimmer lagen.

Die noch überlebenden wilden Stämme werden jetzt verhältnismäßig
gut behandelt, obwohl die Moralverhältnisse hier wie anderswo im
Amazonengebiet noch immer sehr viel zu wünschen übriglassen, sollen
nicht die Eingeborenen in eine Mischlingsrasse verwandelt werden, die
die Laster des niedrigstehenden Weißen und des verderbten Indianers
ohne irgendeinen ihrer Vorzüge besitzt. Die Indianer hier haben die
schauerliche Vergangenheit weder vergessen noch vergeben und betrachten
jeden Weißen als Feind, der zu fürchten ist. Die Furcht allein
verhindert an vielen Plätzen ein Blutbad.

La Chorrera ist eine kleine Ansiedlung von Palmholzhäusern und
Strohhütten und liegt an einer wunderschönen Bucht des Flusses.
In Mitte der Lichtung erheben sich die Verwaltungsgebäude der
Kautschukgesellschaft, deren Konzessionen viele Tausende von
Geviertmeilen umfassen. Hier hört die eigentliche Schiffahrt mit
Barkassen auf; jenseits folgen die Stromschnellen von Chorrera. Von
der kleinen Handelsniederlassung aus führen durch den Wald geschlagene
Pfade zu Außenstationen, und noch weiter in den Wäldern zurück
liegen die Dörfer des Uitotovolkes. Das Wort Uitoto bedeutet in der
Eingeborenensprache Moskito. Man nennt diesen großen Indianerstamm
so der dünnen, mißgebildeten Glieder und seltsam fetten Leiber
seiner Angehörigen wegen. Doch ist diese Regel nicht ohne Ausnahmen.
Die Ocainasindianer, die die Wälder längs des Igara-Paraná, etwa
80 Kilometer unterhalb La Chorrera, bewohnen, gehören zu den
wohlgebildetsten und hellfarbigsten Rassen des Amazonengebiets.
Allerdings ist es höchst zweifelhaft, ob dieser Stamm zu der
Uitoto-Gruppe zu rechnen ist. Die Indianerrassen sind so vermischt,
daß es unmöglich sein dürfte, in diesem und vielen ähnlichen Fällen zu
einer sicheren Entscheidung zu kommen.

Bald nach meiner Ankunft in La Chorrera erfuhr ich, daß in einem der
Ocainas-Walddörfer eine große Stammes-Tanzfestlichkeit stattfinden
sollte. Eine Barkasse brachte mich flußabwärts zu der kleinen, gegen
Angriffe wohlgeschützten Handelsfaktorei und dann eine kurze Wanderung
durch den Wald zu den riesigen Strohhütten des merkwürdigen Stammes.

Die Vorbereitungen zu dem großen Tanz, der am nächsten Tag abgehalten
werden sollte, waren schon in vollem Gang. Völlig nackte Mädchen
und Kinder wurden eben mit aus Pflanzen gewonnenen, lebhaften
Farben sorgfältig bemalt, und einige schienen über das vorzeitige
Erscheinen eines Weißen nichts weniger als entzückt. So wandte ich
denn meine Aufmerksamkeit den riesigen, glänzend ausgeführten Hütten
dieses Stammes zu. Doch konnte ich nicht umhin, mich von der schönen
Körperbildung der Ocainas im Vergleich mit der anderer Stämme des
Waldes zu überzeugen.

Die Gemeinschaftshäuser der Ocainas sind sehr große, mit Palmstroh
gedeckte, zeltförmige Hütten, deren Bau außerordentliche Mühe gemacht
haben muß. Ihre Höhe beträgt wenigstens 7½ Meter, bei 10 Meter Breite
und über 30 Meter Länge; der Eingang ist fast 2 Meter hoch und
anderthalb Meter breit. Die Dachsparren dieser Familienwohnstätten
reichen bis auf den Boden. Im Innern herrscht überall Halbdunkel, nur
erhellt von der düstern Glut schwelender Feuerstellen; und bis sich
die Augen daran gewöhnt haben, setzt es einige Beulen und Stürze ab.
Nackte Gestalten huschen gleichgültig vorüber. Auf dem harten Lehmboden
stehen irdene Töpfe und Tiegel umher, die, wie ich bemerkte, mit
Henkeln versehen und mit eigenartigen Zeichnungen geschmückt sind.
Außerdem sieht man Weidenkörbe voll von Früchten, Mörser, um Farinha
zu zerstoßen, und kleine Fächer aus Palmblättern. Von Betten aber war
außer einigen Haufen trockener Blätter, auf denen Kinder schliefen,
nichts zu merken.

Am folgenden Morgen verließ ich schon früh das Lager und begab mich
auf den kleinen Platz vor den Hütten, um die letzten Vorbereitungen
nicht zu versäumen. Einige Männer trugen Jacken und Hosen, andere
schienen eine kleine Schürze in jeder Hinsicht für ausreichend zu
halten. Die älteren Weiber waren in ein loses, weißes Gewand gekleidet,
aber die jüngeren Mädchen erschienen vollständig nackt, während die
Alten noch die letzte Hand an ihre kunstvollen Körperbemalungen
legten. Die meisten waren verhältnismäßig wohlgebildet und hatten
jedes überflüssige Haar von ihrem Körper entfernt. In der Hautfarbe
waren alle Töne von dunkler Bronze zu fast reinem Weiß zu finden.
Ein Kind, das als einzige Bekleidung eine merkwürdige Halskette aus
weißen Steinscheiben trug, war heller als alle Indianer, die ich auf
meinen bisherigen Reisen im Amazonengebiet angetroffen hatte. Die
Ocainasweiber tragen das Haar entweder kurz geschnitten oder lang über
die Schultern herabhängend. Bei allen Männern und Kindern ist es kurz
geschnitten.

Die phantastischen Bemalungen, hauptsächlich auf Leib und Beinen,
müssen stundenlange Arbeit erfordert haben und ließen sich wohl nicht
so leicht wieder entfernen. Mehrere ältere Mädchen trugen merkwürdige
Beinbekleidungen mit Quasten, andere wieder Fußringe und einige wenige
breite Gürtel aus gefärbtem Stroh in der Art von losen Miedern.
Augenscheinlich waren die Beine einiger Mädchen mit dem klebrigen Saft
des Kautschukbaumes bestrichen und dann in den Blütenstaub einer Palme
getaucht worden. Die Männer hielten in jeder Hand einen Tanzstock. Das
ganze Schauspiel machte den Eindruck eines Bacchanals.

Der Tanz fing an mit einer schwingenden Linie farbenfreudig bemalter,
aber sonst ungeschmückter Mädchen, die auf der kleinen palmenumsäumten
Lichtung langsam vor- und zurückgingen. Die Männer verschränkten die
Arme und rückten so unter wildem Geschrei auf die Lichtung vor. Die
Paare faßten sich nun bei den Händen und begannen auf ungeschlachte
Weise seltsam gleichförmige Körperverdrehungen auszuführen. Jene, die
Tanzstöcke hatten, stampften mit den Füßen wie auch mit ihren langen
Stangen auf den Boden, und alle sangen und schrien, während die älteren
Weiber auf der Erde sitzend eine Art von Tamtam dazu schlugen. Als
alles zu Ende war, bewegten sich die Mädchen in ihrem Staat umher ohne
die geringste Verlegenheit, aber von irgendwelcher Unschicklichkeit
oder Roheit war nicht das mindeste zu bemerken. In letzter Zeit ist
dieser Tanz von dem brasilianischen Forscher und Filmoperateur Silverio
Santos photographisch aufgenommen worden. Seiner Liebenswürdigkeit
verdanke ich die Bilder neben Seite 192/193.

Dieser Ocainatanz machte einen mehr bacchanalischen als barbarischen
Eindruck und glich nicht im geringsten den unheimlichen Bräuchen, deren
Zeuge ich 1600 Kilometer weiter südlich in den monderhellten Wäldern
gewesen war. Der Stamm ist jetzt verhältnismäßig friedlich, wenn
auch gänzlich unzivilisiert. Die meisten seiner Angehörigen sind als
Kautschuksammler in den wilden Wäldern dieses Riesengebiets angestellt.

Die Ocainas glauben an einen guten Geist „Usinamwe“ und einen bösen
Geist „Taipenu“ und verehren außerdem „Itoma“, die Sonne, und „Fuey“,
den Mond. Stirbt ein Häuptling, so wird er unter dem Boden seiner
Hütte begraben; andere werden mit all ihrer irdischen Habe in einiger
Entfernung vom Dorf beigesetzt. Die Macanas oder Holzschwerter,
Blasrohre und Tanzstöcke gelten als Symbole der Herrschaft und werden
daher nicht mit dem jeweiligen Inhaber begraben, sondern vererben
sich von Generation zu Generation. Das Hauptnahrungsmittel ist eine
Art Kuchen, der aus der zerstoßenen Wurzel des Kassave bereitet wird.
Nachdem das Gift abgeschieden wurde, macht man daraus einen Teig und
bäckt ihn auf flachen, irdenen Platten. Der Geschmack ist bitter und
teigig.

Vielleicht der interessanteste Brauch bei diesem Stamm besteht darin,
die Körper nach reichlichem Schwitzen mit gewissen Blättern abzureiben,
um alle Hautunreinigkeiten zu entfernen. Ob darin der Grund für ihre
helle Hautfarbe liegt, ist schwer zu sagen. Von allen amazonischen
Stämmen, mit denen ich in Berührung kam, haben die Ocainas bei
weitem die schönste Gestalt und reinste Haut. Sie badeten täglich im
Fluß, und da sie keine alten und gewöhnlich muffigen Kleider tragen,
hatten sie nicht den ekelhaften Geruch an sich, der so häufig den
halbzivilisierten Indianer kennzeichnet.

Vom Dorf der Ocainas aus begab ich mich nach Norden durch die Wälder
und im Kanu auf dem Igara-Paraná jenseits der Stromschnellen in das
Gebiet der Nonuyas, eines Zweiges der Andokesindianer. Sie sind
Kannibalen und ihre Hütten liegen im Herzen des Dschungels, etwa 50
Kilometer vom Fluß und einem Punkt namens Ultimo Retiro entfernt.
Obwohl der Stamm den Weißen nicht mehr offen feindlich entgegentritt,
haben sich doch einige kannibalische Gebräuche erhalten. Werden bei
den fast beständigen mörderischen Kriegen Gefangene von benachbarten
Stämmen eingebracht, so mästet man sie sorgfältig, gibt ihnen Weiber
und schlachtet sie dann bei großen Festlichkeiten. Verzehrt werden
nur gewisse Körperteile, so das Gehirn, um Weisheit und Schlauheit zu
erlangen, das Herz zur Übertragung von Mut und der rechte Arm, um der
Stärke teilhaftig zu werden. Derartige Orgien finden nur nachts in den
Tiefen der Wälder statt, nachdem das Zeichen zur Versammlung der Stämme
durch die „Manguaré“ gegeben wurde.

In ihrer äußern Erscheinung sind die Nonuyas abschreckend häßlich. Ihre
Hautfarbe ist ein oft merkwürdig fleckiges und scheckiges Gelbbraun.
Die Männer tragen das übliche Lendentuch, aber die Weiber gehen völlig
nackt. Als Schmuck tragen sie Halsketten aus Menschenzähnen und
Vogelfedern, die sie ins Haar stecken. Ihre Bewaffnung besteht aus
einer Art Holzschwertern, Blasrohren und Lanzen. Der Dialekt dieser
Stämme scheint allen Anforderungen an eine richtige Sprache zu genügen
und klingt keineswegs rauh oder guttural. Sie verehren Sonne und Mond.

Mehrere Stämme dieses Gebiets, einschließlich der Nonuyas, kauen
Kokapflanzen und Tabak. Aus den Blättern der Koka gewinnen sie Kokain,
das sie befähigt, Ermüdung, Schmerz und Hunger in bemerkenswertem Grad
auszuhalten; aber sie altern dabei sehr rasch. Sie ähneln in dieser
Hinsicht den Aymara-Indianer der bolivianischen Hochebenen, nur ist
die Art und Weise des Kokakauens bei ihnen verschieden. Die Bergstämme
kauen das frische Blatt zusammen mit ein wenig gewöhnlichem Kalk oder
Pottasche, während die Waldstämme das Blatt der Kokapflanze rösten,
es mit Holzasche zusammen zu Pulver reiben und dann erst das Gemisch
kauen. Der Speichel löst dann das Kokain. Sowohl die Nonuyas wie
andere Stämme am obern Igara-Paraná durchbohren die Nasenscheidewand
und setzen ein Stück Rohr ein. Die Weiber entfernen alle überflüssigen
Haare vom Körper, aber ihre Glieder sind so mißgestaltet und
verkrüppelt, daß ihr Anblick nichts weniger als erfreulich wirkt.

Bei den wenig bekannten Carijonasindianern des Caquetágebiets von
Kolumbien, das an das Putumayogebiet angrenzt, wird ein merkwürdiges
Getränk aus einer Pflanze namens Yagé bereitet, die wild in großen
Massen in den dichten und ungesunden Wäldern vorkommt. Yagépräparate
haben sich in Fällen von Beri-Beri als heilkräftig erwiesen, eine
Krankheit, die, wie man jetzt weiß, durch einen hohen Grad von
Blutarmut verursacht wird. Außerdem aber haben sie auch die seltsame
Wirkung auf den Einnehmenden, ihn in einen Zustand zu versetzen, in dem
das volle Bewußtsein schwindet und das Unterbewußtsein somit frei wird,
telepathische Mitteilungen entgegenzunehmen!

Das mag unglaublich klingen, aber für die Wahrheit liegt beträchtliches
Beweismaterial vor. Die erste Entdeckung wurde 1912 durch ~Dr.~ R. Z.
Bayon gemacht, der in dieses schwierige Gebiet eindrang und tatsächlich
die Yagémixtur bereitete, wie sie bei den wilden Carijonasindianern und
ihren Medizinmännern in Gebrauch ist. Er machte damit Versuche an sich
selbst und an Eingeborenen, die an der Beri-Beri-Krankheit litten und
die er alle heilte. Um die telepathischen Wirkungen auszuprobieren,
erklärte sich Oberst C. Morales, der Kommandant einer Militärabteilung
in der Nähe, zu einem Versuch bereit. ~Dr.~ Bayon hat öffentlich
berichtet, daß der Patient sofort sich des Todes seines Vaters und
der Krankheit seiner Schwester bewußt wurde, die in einem andern
Teil Kolumbiens lebten, durch Hunderte von Meilen undurchdringlicher
Wälder getrennt. Der Arzt fügt hinzu, daß Oberst Morales damals
infolge Mangels an richtiger Nahrung sehr schwach, daß er aber sonst
ein nerviger und intelligenter Mann war. Einen Monat später traf ein
Kurier in der Außenstation ein, wo der Versuch stattgefunden hatte,
mit Briefen, die die Nachricht vom Tod und der Krankheit enthielten,
wie sie Oberst Morales gleichzeitig in seinem unterbewußten Zustand
geschildert hatte. ~Dr.~ Bayon nennt das rohe Präparat, das damals
angewandt wurde, „Telepatina“ und empfiehlt die geheimnisvolle Pflanze
der Aufmerksamkeit der Forscher und Wissenschaftler in diesem Gebiet.

Einige der Carijonasindianer, deren ungefähre Anzahl auf 50000
angegeben wird, überschreiten den Caquetá zum Trans-Putumayo und
geben zu, daß sie eine Art Getränk mit bläulicher Färbung aus einer
Kletterpflanze herstellen, die sie als Yagé bezeichnen. Es scheint
von ihr vier Arten zu geben, die alle ähnliche Wirkungen haben. Durch
Verdunstung gewinnen die Medizinmänner stark konzentrierte Lösungen.
Obwohl man diese Indianer mit dem Gattungsnamen „Carijonas“ bezeichnet,
gehören sie doch zu vielen verschiedenen Stämmen, die alle eigene
Dialekte sprechen. Aber mehrere, die man befragte, stimmten in ihren
Aussagen über Gebrauch und mentale Wirkungen des geheimnisvollen
Trankes überein.

Zuerst trübt sich das Seh- und Empfindungsvermögen. Darauf scheint
Wahnsinn einzutreten, aber ob schon nach der ersten Dosis oder erst
nach fortgesetztem Gebrauch, konnte noch nicht festgestellt werden. In
diesem Geisteszustand bilden sich die Leute ein, wilde Tiere zu sein,
ziehen sich oft tagelang ins dickste Dickicht zurück und zerreißen
jeden, der sich ihnen nähert. Solche Wirkungen auf das Gehirn eines
Wilden scheinen ganz gut vorstellbar. In späteren Stadien wird der
Patient halb kataleptisch, ist aber fähig, Vorgänge zu schildern, von
denen er bei vollem Bewußtsein weder etwas gesehen noch gehört haben
kann. Europäische Städte, Musik und gleichzeitige Ereignisse sind so in
allen Einzelheiten beschrieben worden, für die der spärliche Wortschatz
der Eingeborenensprache nicht ausreichte, so daß rohe Zeichnungen als
einzig mögliches Verständigungsmittel zu Hilfe genommen werden mußten.
Unter den halbblütigen Kautschuksammlern, die in diesen entlegenen
Gebieten leben, sind mehrere dem Gebrauch des merkwürdigen Mittels
ergeben. Einesteils, weil es ihre Empfindlichkeit gegen Schmerz, Hunger
und Ermüdung abstumpft und die Beri-Beri-Krankheit heilt, aber auch
wegen seiner seltsamen Wirkungen, die es ihnen nach ihrer Aussage
ermöglichen, „weit weg von den düstern und ungesunden Wäldern zu leben“.

In einem kleinen Eingeborenendorf am obern Caquetá führt ein Weißer
das Leben eines Wilden. Er ist zum Sklaven dieser geheimnisvollen
Eingeborenentränke geworden und jetzt Cacique oder Häuptling einer
Unterfamilie der Andokes. In Europa erzogen, kam er vor 25 Jahren in
diese Gegend und nimmt heute teil an den schauerlichen Orgien der
Wilden. So unglaublich diese Geschichte von dem geheimnisvollen
„Yagé“ auch jenen klingen mag, die mit den seltsamen Giften der großen
Wälder des Amazonengebiets nicht vertraut sind, sollte man doch nicht
vergessen, daß die Kokapflanze, deren Gebrauch bei den Aymara-Indianern
seit ungezählten Jahrhunderten bekannt ist, erst jetzt der Wissenschaft
und dem zivilisierten Laster den „weißen Schnee“ liefert, und daß
die Zauberdoktoren und Cabocloheiler jener Wälder bei zahlreichen
gewöhnlichen Leiden mit weit stärkeren Medizinen operieren, als der
wissenschaftlichen Welt bekannt sind oder von ihr angewendet werden.

Die Carijonas tragen einen Pflock im Ohrläppchen. Von diesem Gebrauch
erhielten sie ihren Namen (Großohren). Sie haben die Farbe heller
Bronze, sehr flache Gesichter, zurückgehende Stirnen, dicke Lippen,
grobes schwarzes Haar, das über den Rücken herabhängt, und tragen
keinerlei Bekleidung. Die jungen Mädchen und Kinder sehen lange
nicht so häßlich, ungesund und abschreckend aus wie die Männer
und alten Weiber. Wahrscheinlich kommt das von den Wirkungen des
beständigen Genusses von Koka, Yagé und Tabaksaft. Für ihre Pfeile
gebrauchen sie verschiedene Gifte, hauptsächlich Kurare, außer beim
Fischen und der Jagd auf kleine Eidechsen und Frösche, die sie
in unglaublichen Mengen verzehren. Ihre Hütten sind die üblichen
Gemeinschaftswohnungen aus Chontaholz und Palmstroh, haben aber keine
Eingänge. Um hinein- oder herauszukommen, heben sie einen beweglichen
Teil des Daches ab. Gelegentlich trifft man einen Carijona, dessen
Ohren durch Ringe mit daranhängenden schweren Gewichten fast bis zu
den Schultern herabgezerrt werden. So entstellte Leute sind fast
immer Stammesunterhäuptlinge oder Zauberdoktoren. Sie verstehen es,
prächtige Hängematten aus Fasern und Federn zu verfertigen, die sie
entweder durch andere, friedfertigere Indianerstämme gegen Lebensmittel
verhandeln lassen oder selbst an wandernde Caboclohändler am Oberlauf
des Caquetáflusses verkaufen. Ihre Sprache ist rauh und guttural und
scheint sich auf wenige, ähnlich klingende Wörter zu beschränken. Hört
man allerdings einen Eingeborenendialekt zum erstenmal, so hat man fast
stets diesen Eindruck, so daß wohl erst genauere Untersuchungen zu
einem endgültigen Ergebnis führen dürften.

Obwohl es im Caquetá-Putumayo-Napo-Gebiet mehrere Hunderte von
kleinen Unterstämmen mit verschiedenen Namen gibt, die aus wenigen
Familien bestehen, stammen sie doch alle von sechs großen Stämmen ab.
Diese sind: die Uitotos am Igara-Paraná und Putumayo; die Ocainas
am Igara-Paraná, die bei weitem intelligentesten unter ihnen; die
menschenfressenden Carijonas am Caquetá; die Andokes des obern
Igara-Paraná und die Boras am untern Caquetá. 1903 führten die
wilden Andokes, von denen die Nonuyas ein Zweig sind, einen derart
mörderischen Krieg gegen die wenigen kolumbianischen Kautschuksammler,
daß diese sich um Hilfe nach Iquitos wenden mußten.

In diesem Gebiet fand der französische Forscher Emile Robuchon den
Tod unter Umständen, die niemals aufgeklärt wurden. Er war von
der Regierung beauftragt worden, die allgemeinen Verhältnisse am
Putumayo zu untersuchen und hatte sich längere Zeit am Igara-Paraná
aufgehalten. Er hatte ein Uitotomädchen geheiratet und schien nach
hinterlassenen Photographien mit einer Anzahl von Stämmen auf bestem
Fuß zu stehen. Das Buch, an dem er schrieb, wurde nie beendigt und
später von einem peruanischen Konsul in Manáos herausgegeben. Er soll
von menschenfressenden Indianern ermordet worden sein. Wie dem auch
sein mag, jedenfalls erzählt man sich abenteuerliche Geschichten an
den Lagerfeuern dieses Grenzgebiets. Alles, was von Robuchon in der
Putumayoregion zurückblieb, ist eine Hunderasse, die seiner eigenen
treuen dänischen Dogge gleicht.




17. Die Konibosindianer am Ucayali.


Man soll die menschenfressenden Indianer in den Wäldern des obern
Amazonenstroms nicht schlechthin als Kannibalen bezeichnen können, da
ihre Mahlzeiten von Menschenfleisch dem Wunsch zuzuschreiben sind, der
Vorzüge ihrer Opfer teilhaftig zu werden, indem sie sie verzehren, und
nicht einer besonderen Vorliebe für diese Art der Nahrung. Die Frage
wird aber verwickelt, wenn etwa ein menschenfressender Südseeinsulaner
seine Leidenschaft für Menschenfleisch nicht viel anders erklärt als
ein Bewohner von Clapham oder Hoboken seine Leidenschaft für Roastbeef,
nämlich damit, daß es ihm Kraft verleiht. Und dazu kommt nun noch ein
Kaschibo-Indianer mit der Behauptung, wenn er einen Feind verzehre,
gehe die Körperkraft des Toten in ihn über.

Ich bin mir wohlbewußt, daß da noch andere Unterschiede vorliegen,
aber sie sind so geringfügig, daß man besser daran täte, für
alle praktischen Zwecke jeden als Kannibalen zu bezeichnen, der
Menschenfleisch ißt, ohne die Beweggründe zu beachten, die ihn
leiten. Der Grund einer Verworfenheit und deren Grad sollten für
eine allgemeine Klassifikation nicht ausschlaggebend sein, da sonst
vieles, was über das Fehlen des Kannibalismus im Amazonengebiet
geschrieben wurde, gänzlich irreführend sein würde. Viele Tausende von
Geviertmeilen der Wälder sind noch von Indianern bewohnt, die zu diesem
Hang neigen, und an erster Stelle unter ihnen stehen die Kaschibos- und
Nonuyasstämme.

Nach einem längeren Aufenthalt in Iquitos bot sich endlich eine
Gelegenheit, in das Gebiet dieser Wilden vorzudringen, das westlich
von den Flußläufen des Ucayali und Pachitea mitten in den Dschungeln
liegt. Um diese Flüsse zu erreichen, bedarf es einer Reise von einigen
Tagen in der Barkasse von Iquitos aus, da sie die Wasserstraßen
zwischen dem Amazonenstrom, den Anden und dem Pazifischen Ozean bilden.
Die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen erst bei der Einfahrt in
die beiden Flüsse, wo sich die schweigenden, verfilzten Urwälder
über Hunderte von Meilen nach jeder Richtung bis zum unerforschten,
nebelerfüllten Horizont hin ausbreiten.

So undurchdringlich sind die Wälder, daß ein Vorstoß von beispielsweise
300 Kilometer jede Zeit bis zu einem Jahr beanspruchen mag, wobei eine
Anzahl Weghauer und Träger Voraussetzung sind. Der Ruf der Stämme, die
diese Gebiete bewohnen, ist so schlimm, daß es schwierig, wo nicht
unmöglich wäre, in den halbzivilisierten Indianerniederlassungen längs
der Ufer der Hauptflüsse irgendeine Hilfeleistung zu erlangen. Die
dichten Urwälder allein zu betreten, würde sichern Tod bedeuten. Ein
deutscher Naturforscher, der es versuchte, ist niemals zurückgekehrt.
Die Gebeine eines Kautschuksammlers von Mashishea wurden erst kürzlich
neben einer Feuerstelle in den Waldebenen von Sacramento gefunden.
Mr. Whaley aus San Juan wurde von den Indianern ermordet, weil er
trotz wiederholter Warnungen in ihr Gebiet eindrang, und der Deutsche
Kroehle, der unter den Kaschibos lebte und sie photographierte, starb
schließlich an den Wunden, die er durch ihre Pfeile erhalten hatte. Die
Geschichte der Versuche, dieses Gebiet zu erschließen, berichtet noch
viele ähnliche Tragödien. Weiter im Süden, wo die Flüsse Perené und Ené
sich zum Tambo vereinigen, widersetzen sich die Ungoninos, ein Zweig
des großen Kampasvolkes, dem Durchqueren ihres Gebietes durch Weiße.
Obwohl sie keine Menschenfresser sind, müssen doch die Maultierzüge
und Kanus, die auf dem Weg von den Anden nach Iquitos die Wälder
berühren, um ihr Gebiet einen Umweg machen. Jeder Versuch, es zu
durchqueren, würde unweigerlich ins Verderben führen. Diese kurzen
Angaben mögen die Schwierigkeiten veranschaulichen, einen Weg in die
abgelegeneren Wälder abseits von den Hauptflüssen zu finden.

[Illustration: Zwergindianer von Matto Grosso mit einem hellfarbigen
Caripunasmädchen.]

[Illustration: Gruppe von Riesen-Kaschibos oder Vampirindianern.

Der Häuptling trägt einen Kopfschmuck, ist der größte Mann des Stammes
und mißt fast 2½ Meter. Die Speere haben eine Länge von über 3 Meter.]

Der Ucayali ist ein breiter Fluß mit glasigem, grünlichgrauem Wasser,
einer schnellen Strömung und vielen gefährlichen Strudeln zwischen weit
auseinanderliegenden, nebelverhüllten, mit niedrigem Gestrüpp bedeckten
Ufern. So stark ist die Strömung, daß Barkassen und andere Fahrzeuge
bei der Bergfahrt sich stets nach Möglichkeit am dschungelbedeckten
Ufer herumdrücken. Hin und wieder trifft man auf Stellen mit
frischgrünem Sumpfgras, aus dem weißgefiederte Reiher und rot und
schwarze „Soldados“ in Scharen aufsteigen.

Die Sonnenuntergänge auf diesem breiten Fluß können an Großartigkeit
nur mit denen auf dem Madeira verglichen werden. Rote und violette
Wolkenballen, aus denen feurige Strahlen himmelwärts emporschießen,
spiegeln sich in jeder Einzelheit auf der glasigen Oberfläche des
Flusses. So lebhaft sind solche Lichteindrücke, daß der Wald sich
dagegen in braune und schwarze Töne verwandelt.

Von Zeit zu Zeit fährt man an einem kleinen Kanu vorüber, in
dem ein Cocama-Indianer mit erhobener Lanze steht, bereit, den
Pirarucúfisch aufzuspießen, wie er in Peru genannt wird. Er ist der
größte Süßwasserfisch der Welt und erreicht oft ein Gewicht von über
100 Kilogramm und eine Länge von fast 2 Meter. Das Fleisch wird
auf ähnliche Weise gepökelt und eingesalzen wie das des Kabeljaus
und bildet für alle Flußanwohner ein wichtiges Nahrungsmittel. Die
getrocknete Zunge gleicht einer Feile und wird von den Eingeborenen
des Amazonengebiets zum Feilen benutzt. Unter andern Fischen, die von
den Indianern gefangen werden, ist der Tucanaré und die Piranha oder
Flußhai. Auf einigen der Sandbänke weiter flußabwärts findet sich die
amazonische Schildkröte (~Podocnemis expansa~), eine Abart, die aber
meistens von der gewöhnlichen Schildkröte nicht unterschieden wird.
Die Indianer verfolgen sie erbarmungslos, nicht nur ihres Fleisches,
sondern auch der Eier wegen. Sie ist eins der größten Geschöpfe ihrer
Art auf der Welt und bildet für alle Flußanwohner, Europäer wie
Eingeborene, ein marktgängiges Nahrungsmittel. In gewissen Flüssen
kommt sie noch zu Tausenden vor und liefert neben der Nahrung ihre
Schale, die als Gefäß für den Hausgebrauch dient. Die Schildkröten
legen ihre Eier in den weichen, heißen Sandbänken ab, sobald sie
nach den großen jährlichen Überschwemmungen wieder aus dem Wasser
auftauchen. Da die Eingeborenen das genau wissen, liegen sie beständig
auf Wache, und kaum ist das Legegeschäft beendigt, reißen sie die Eier
aus den Löchern, die von der Schildkröte als Nest gemacht werden. Im
Ucayali kommt aber der Flußdelphin häufiger vor als die Schildkröte.
Auch Alligatoren gibt es in Menge. Sie werden ihres Fettes wegen
getötet, das zu einer merkwürdigen Art Massage bei vielen Leiden,
besonders Rheumatismus, gebraucht wird.

In der Umgegend der kleinen Niederlassung von Sarayacu, am Westufer
des Ucayali, liegen mehrere Konibosdörfer. Eines von ihnen, am Ufer,
ist von halbzivilisierten Indianern bewohnt, die sich als Kanuführer
auszeichnen. In andern, weiter ins Land hinein, hausen noch wilde, aber
dem Weißen nicht mehr offen feindlich gesinnte Stämme.

Ich verließ die Barkasse mit meinen beiden Cocamaboys, denselben, die
mich den Chimbiri-Yacu hinauf begleitet hatten, und mietete ein Kanu
von einer alten Missionsstation. Dann ging’s in einen kleinen Fluß,
der die Lokalbezeichnung Rio Sarayacu trägt und viele Meilen weit ins
Land hineinführt gegen eine niedere Hügelkette zu, über die nicht viel
bekannt ist. In der Nähe von Sarayacu zweigt er vom Ucayali ab.

Es würde wohl sehr schwierig gewesen sein, die Lage der Hütten der
weiter flußaufwärts wohnenden Konibos zu bestimmen und hinzukommen,
wäre es mir nicht gelungen, einen Führer des gleichen Stammes, der
in dem halbzivilisierten Dorf am Ucayali lebte, zu überreden, mit
uns zu kommen. Den „zahmen“ Indianer dazuzubringen, einen Weißen
zu seinen wilden Stammesbrüdern zu geleiten, ist außerordentlich
schwierig und hat nur Erfolg, wenn man sich an einen Vermittler wendet,
der das Vertrauen beider besitzt. In meinem Fall war das der alte
Pater in Sarayacu, der sich der Leiber der wilden und der Seelen der
halbzivilisierten Indianer annimmt.

Nach zwei Tagen auf diesem verseuchten kleinen Fluß, dessen
dichtbewaldete Ufer dem Sonnenlicht kaum Zutritt gewährten, schlugen
wir am frühen Nachmittag schon das Lager auf und ließen den
Führer mit dem Kanu vorausfahren, um den Indianern unsere Ankunft
anzuzeigen und ihnen zu erklären, daß wir Freunde wären und Geschenke
mitbrächten. Diese Nacht wurde eine der schlimmsten, die ich je im
Amazonengebiet zugebracht hatte. Zu den Moskitos gesellte sich die
Qual von Hitzbläschen auf dem ganzen Körper, so daß ich keine fünf
Minuten stillzuliegen vermochte. Aber glücklicherweise sind in diesem
Sonnenland die Stunden der Finsternis nur kurz. Nach dem Frühstück
kehrte der Führer zurück und eröffnete uns, daß wir zu dem Dorf fahren
dürften, das nur etwa 3 Kilometer weiter den seichten Fluß hinauf zu
liegen schien.

Das Dorf der Konibos bestand aus vier Rohrhütten ohne Seitenwände,
die auf rohen Plattformen erbaut waren. Jede Hütte gab ungefähr 15
Leuten Obdach. Ungleich andern Wilden an den entlegenen Flüssen dieses
Riesengebiets drängten sich die Konibos nicht zusammen, als wir
landeten, sondern standen unbeholfen umher und betrachteten uns mit
unverhülltem Mißtrauen. Doch tauten sie ein wenig auf, als ich eine
Handvoll Taschenmesser aus meinem Rucksack hervorholte, und damit hatte
ich Gelegenheit, sie mir etwas genauer anzusehen.

Die zahllosen Kinder waren gänzlich unbekleidet, Männer und Weiber
aber trugen ein grobes, braunes „Kusma“, d. h. ein aus einem Stück
bestehendes Gewand mit einem Loch für Kopf und Hals. Sie hatten die
Farbe dunkler Bronze und ihre Gesichter waren mit roten und schwarzen
Streifen bemalt, was einen höchst abscheulichen Anblick bot. Die
jüngern Kinder aber, die nicht auf solche Weise bemalt waren, sahen
ganz anständig aus. Das Haar der Männer und Weiber war lang und
wurde durch ein Rohrband um den Kopf festgehalten. Einer der Männer,
anscheinend ein Häuptling, trug einen Metallring durch die Nase und
eine Vogelfeder im Haar.

In auffallendem Gegensatz zu der glatten Haut der Ocainas war die
dieses Stammes mit Pickeln, Bläschen und Geschwüren wie übersät. Ob
das von den Stichen der Moskitos und „Piums“ herrührte, kann ich nicht
sagen. Auch die Körper der Kinder waren in diesem Zustand und wie mit
einer trockenen Flechte bedeckt. Außer dem Einsammeln von Sarsaparille,
das in den umliegenden Wäldern wild wächst, scheinen sie mit Arbeit
sich nicht viel abzugeben. Die kleinen Pflanzungen dicht beim Dorf
waren in trauriger Verfassung und ließen sich vom Busch zuerst kaum
unterscheiden.

Die Konibos sprechen die „Pana“sprache fast aller Stämme der
peruanischen Montaña. Der Ruf ihres verräterischen und blutdürstigen
Charakters geht auf das Jahr 1695 zurück, als sie einen
Franziskanermissionar, namens Rieter, ermordeten. Seitdem wurden immer
wieder von Zeit zu Zeit Versuche gemacht, sie zu zivilisieren, aber
fast in jedem Fall endigten sie mit Mord. Die am Ucayali Wohnenden
nennen sich Christen, doch deckt nur ein dünner Firnis die Instinkte
des Wilden.

Bei diesem Stamm ist es Sitte, die Alten und Schwachen umzubringen.
Den Sohn dünkt es eine Wohltat, seinen Vater oder seine Mutter zu
ertränken, zu erwürgen oder zu vergiften, wenn sie nicht mehr imstande
sind zu fischen, zu jagen oder die Nahrung zu bereiten. Ein altes Weib
fiel mir auf, das darauf bedacht schien, besondere Geschäftigkeit an
den Tag zu legen, so daß ich mich des Lachens nicht hätte enthalten
können, wäre sie nicht mit solchem Ernst bei der Sache gewesen. Als
ich mit dem Pater in Sarayacu darüber sprach, erzählte er mir von
dem grausamen Brauch, und nun wurde mir der Grund der komischen
Geschäftigkeit klar. Kinder mit einem Abszeß am Fuß wurden in den Fluß
geworfen, weil sie für den Augenblick nicht gehen konnten. Als wir das
Dorf der Konibos verließen, versteifte sich das alte, ausgedörrte, nur
aus Haut und Knochen bestehende Weib darauf, fast bis zum Bauch ins
Wasser zu waten, um unserm Kanu einen letzten Stoß zu versetzen. Ich
freute mich, als ich später von dem schrecklichen Brauch hörte, daß sie
die meistbegehrte Gabe erhalten hatte: eine Schachtel mit Steck- und
Nähnadeln, Nägeln und Angelhaken. Vielleicht wird sie sich damit noch
die paar Jahre ihres Daseins erkaufen können, an dem sie so sehr zu
hängen schien.

Nach der Rückkehr nach Sarayacu kaufte ich das Kanu und erreichte bei
dem Mestizen-Kapitän der Barkasse, die am folgenden Tag den Ucayali
hinauffuhr, daß er mich ins Schlepptau zu nehmen versprach. Meine
Absicht war, das Dampfboot vor Bocca Pachitea, einige Meilen oberhalb
der kleinen Niederlassung von Mashishea, zu verlassen. Es sollte
flußaufwärts fahren, solange die Tiefe des Wassers es erlaubte, um
vier weitere in allen Farbennuancen spielende Passagiere am nächsten
Punkt zu dem Andenübergang nach dem Pazifischen Ozean abzusetzen.
Am Westufer des Ucayali zieht sich eine besonders wilde Gürtelzone
entlang, die von den Kaschibos oder Vampirindianern bewohnt wird. Um in
dieses Gebiet einzudringen, bedurfte ich eines Kanus, und da es nicht
viele Niederlassungen am Ucayali gibt, mußte ich eins mitnehmen.

Nur wenig Bemerkenswertes ereignete sich während der Reise den Ucayali
hinauf, der die gewöhnliche Route zwischen dem Amazonenstrom und dem
Pazifischen Ozean bildet. Die einzigen Ansiedlungen längs dieses 800
Kilometer langen Flusses und seines halb erforschten Gebiets sind:
Contamana, ein hübscher, kleiner Ort am Ufer, und Mashishea, wo sich
eine drahtlose Station befindet. Einige Meilen unterhalb mündet der
Rio Aquaitia in den Ucayali. Von hier aus sind sowohl nach Westen wie
nach Osten die Wälder völlig unerforscht, wo mehrere wilde Stämme,
darunter die menschenfressenden Kaschibos, ihre Wohnsitze haben. Das
Wort „Kaschibo“ bedeutet in der Panasprache „Vampir“, und die Indianer
verdanken diesen Namen ihren blutdürstigen Neigungen.

An einem Punkt auf dem Westufer, auf 8° südlicher Breite, vertauschte
ich die Barkasse mit dem Kanu, das bis dahin recht bequem im Schlepptau
mitgeführt worden war. Nachdem ich aber die Vorräte und meine beiden
Cocamaboys hinübergebracht hatte, ging es leider so tief, daß ich zu
meinem Bedauern gezwungen war, dem Mestizen-Kapitän eine beträchtliche
Menge jener „Extras“ anzuvertrauen, die abseits der Zivilisation soviel
bedeuten. Aber es ging nun einmal nicht anders, und so winkten wir dem
kleinen Dampfer ein Lebewohl zu und paddelten einer Öffnung im niedern
Dschungel der übelberüchtigten Pampas Sacramento entgegen, wo der
kleine Aquaitiafluß in den Ucayali mündet.

Dieser Fluß hat weiter keine Bedeutung. Er ist der letzte kleine
westliche Nebenfluß, ehe die Bocca Pachitea erreicht wird, und
liegt nach Angabe der ausgezeichneten Karten des peruanischen
Innenministeriums auf 8° südlicher Breite. Etwa 30 Kilometer lang
windet sich der Aquaitia gegen Südsüdwesten durch eine sehr flache,
tiefliegende, mit Palmdschungeln bedeckte Gegend. Während des ersten
Tags und der folgenden Nacht waren die Moskitos so blutdürstig, daß
selbst die Kleider keinen Schutz vor ihnen gewährten. Hätte ich
nicht ein Kopfnetz und Stulphandschuhe bei mir gehabt, so wäre ich
schimpflich wieder nach dem offenen Ucayali umgekehrt. Auf keiner
meiner Reisen in verschiedenen Weltteilen hatte ich solche Qualen zu
überstehen wie diesmal durch diese kleinen, teuflischen Geschöpfe.
Hand- und Fußgelenke, Arme, Hals und Gesicht waren so zerstochen und
verschwollen, daß ich kaum die Kleider anzubehalten vermochte und
Schwierigkeiten hatte, nicht durch beständiges Kratzen mich der Gefahr
einer Blutvergiftung auszusetzen. Während dieser fürchterlichen 24
Stunden schliefen wir im Kanu, über dessen ganzen Innenraum wir das
Moskitonetz gezogen hatten. Auch meine beiden Cocamas litten unter
der Moskitoseuche, wenn auch weit weniger als ich selbst. Jedenfalls
schienen sie froh, bei Anbruch der Nacht unter das schmutzige, weiße
Netz kriechen zu dürfen.

Das Schlafen mit Moskitonetz und Stulphandschuhen machte die Hitze noch
unerträglicher. Gegen den Abend des zweiten Tags wurde die Luft aber
etwas freier, und das wahnsinnig machende Gesumme ließ beträchtlich
nach. Der seichte Fluß wurde nun noch seichter und verbreiterte sich
zu einem Miniatursee, der nicht ohne Schwierigkeit zu befahren war. In
dieser Nacht schlugen wir das Lager auf, aber ein richtiges Ausruhen
war ausgeschlossen wegen der Gefahren, die von den wilden Stämmen
drohten, deren Gebiet wir jetzt betreten hatten.




18. Unter den Vampirindianern der Pampas Sacramento.


Als wir am nächsten Morgen am Ufer des seichten Sees entlang fuhren,
erhielten wir die erste Andeutung, daß es hier Indianer gab. Ein Pfeil
zischte in einiger Entfernung vor dem Kanu ins Wasser. Es war ein
bedenklicher Augenblick, und selbst in den Augen meiner beiden Boys
zeigte sich die Nervenanspannung. Ob es sich um eine Warnung handelte
oder um einen Pfeil, der auf der Fischjagd abgeschossen worden war und
die Anwesenheit von Indianern verriet, spielte dabei keine Rolle. Ehe
eine Art Freundschaft hergestellt oder wenigstens eine Form passiver
Duldung von den Indianern erreicht war, die sich offenbar in den
umliegenden Wäldern befanden, schien ein Vormarsch ebenso unmöglich
als der Rückzug. Ähnliches hatte ich schon oft erlebt, aber bei dieser
Gelegenheit fühlte ich mich zum erstenmal wirklich ungemütlich. Der
Hauptfaktor der Sicherheit, eine gute Rückzugslinie, fehlte, und
alles hing nun vom guten Willen eines unbekannten Stammes in einer
übelberüchtigten Gegend ab.

Irgend etwas mußte geschehen, aber was sollte ich tun? Auf den
niedern dschungelbedeckten Ufern war kein Zeichen zu erblicken weder
von den Indianern noch ihren Behausungen. Wir ruderten auf eine
sandige Landzunge zu, die in den seichten See vorsprang. Das Kanu
saß bald fest, und so wateten wir, bis zu den Knöcheln im Wasser,
auf die Sandbank. Nachdem wir uns versichert hatten, daß sie bei dem
natürlichen Steigen des Flusses während der Nacht nicht überschwemmt
würde, beschloß ich, hier das Lager aufzuschlagen, weil niemand weder
vom See noch vom Ufer her sich nähern konnte, ohne das Stück offenen
Strandes zu überschreiten.

Die Nacht über wachte ich, bis mich die Dämmerung erlöste und ich
mich für eine oder zwei Stunden niederlegen wollte. Ich war jedoch
kaum eingeschlafen, als schon einer der Boys ins Zelt trat und mir
durch Zeichen bedeutete, ihm zu folgen. Weniger als 50 Meter vom Lager
entfernt steckten vier Stöcke mit vier kürzeren Stöcken quer darüber
gebunden im Boden, und daneben lag ein Pfeil auf der Erde, der nach der
Richtung wies, von wo wir gekommen waren. Der Cocama schüttelte den
Kopf und murmelte etwas.

Da ich von ähnlichen Zeichen bei den Nambiquaras des Matto Grosso
gehört hatte, zermarterte ich mein Gehirn nach einer Erklärung.
Wahrscheinlich bedeuteten die vier langen Stöcke ebenso viele
Indianer, und der Pfeil, der flußabwärts wies, gab eine Richtung an.
Sollte er eine Warnung sein, daß wir dahin zurückzukehren hatten,
von wo wir gekommen waren? Wenn so, was sollten dann die vier
Querstöcke ausdrücken? Keine Erklärung, außer einem unheilverkündenden
Kopfschütteln, kam vom Cocama. Anderseits mochten die Stöcke anzeigen,
daß die gleiche Anzahl von Indianern in der Richtung des Pfeiles
lagerte.

Nachdem ich mir einige Zeit fruchtlos den Kopf zerbrochen hatte,
entschloß ich mich, Geschenke bei den Stöcken niederzulegen, alles
wieder ins Kanu zurückzuschaffen, das Zelt aber stehenzulassen und
den Saum des Dschungels dort zu untersuchen, wohin der Pfeil deutete.
Während der drückenden Hitze des ganzen tropischen Tages ruderten und
suchten wir ohne Ergebnis umher, aber bei der Rückkehr zu der Sandbank
am Abend sahen wir, daß die Geschenke verschwunden waren. Das Zelt und
die geheimnisvollen Stöcke waren jedoch nicht berührt worden. Ehe die
Nacht anbrach, legte ich meinen Rasierspiegel als weitere Gabe hin
und band eine rohe Skizze daran, die einen Indianer und einen Weißen
darstellte, die sich gegenüberstanden, die Waffen auf den Boden gelegt
hatten und die Arme über die Köpfe hielten.

Wieder saß ich die ganze Nacht neben dem Kanu, da ich zur Wachsamkeit
der beiden Cocamas kein Zutrauen hatte. Als das Licht des kommenden
Tags endlich ausreichte, die Umgebung zu unterscheiden, ging ich zu
den Stöcken. Der Rasierspiegel und die Zeichnung waren fort, und auf
dem Sande zeigten sich die Spuren mehrerer nackter Füße. Sie kamen vom
seichten Wasser des Sees und führten wieder zurück, ein Beweis, daß die
Indianer ein Kanu benutzt hatten.

Diesmal erneuerte ich die Geschenke nicht, sondern ließ nur eine neue
Zeichnung zurück, auf der ein Weißer abgebildet war, der einem neben
dem Zelt stehenden Indianer eine Schnur Perlen überreicht. In der
folgenden Nacht verschwand auch dieses Blatt, und ich hörte, wie das
Kanu der Indianer von der Sandbank abgestoßen wurde, indem ich das Ohr
dicht an die Oberfläche des stillen Seespiegels hielt.

Nun war ich beruhigt, und am Morgen des vierten Tages näherte sich
richtig ein Kanu, in dem vier Indianer saßen, die langsam ruderten. Ich
rief sie an und bekam eine Antwort. Dann hörten sie auf zu rudern, und
das Kanu hielt etwa 180 Meter vom Ufer an. Sich auf diese Entfernung
pantomimisch zu verständigen, war unmöglich. Daher winkte ich den
Indianern zu, näher zu kommen, legte meine Flinte auf den Boden und
ging im seichten Wasser auf sie zu, während ich eine Schnur Perlen
ihnen entgegenhielt.

[Illustration: Skizze der Peruanischen Montaña.]

Einige Minuten saßen sie unbeweglich und paddelten dann vorsichtig
vorwärts bis auf etwa zehn Meter an die Stelle, wo ich bis zu
den Knöcheln im Wasser stand. Ich bedeutete ihnen durch Zeichen,
daß ich ein Freund wäre und mit ihnen zu sprechen wünschte. So oft
ich vorzugehen versuchte, ruderten sie hastig zurück, und dieses
lächerliche Hin und Her ging länger als eine halbe Stunde so fort, bis
ich endlich zum Zelt zurückwatete, wo ich mich niedersetzte und wartete.

Allmählich faßten sie Mut, ruderten zuerst das Ufer entlang zum Zelt,
stiegen dann ins Wasser und wateten auf mich zu. Ich stand auf und
hob die Hände über den Kopf, um zu zeigen, daß ich unbewaffnet wäre.
Drei von ihnen ahmten das nach, während sie sehr mißtrauisch den
Strand heraufkamen. Langsam ließ ich die ausgestreckten Hände sinken
und begann, ihnen durch Zeichen anzudeuten, daß ich Geschenke für sie
hätte. Einige Stücke wohlriechender Seife wurden auf den Sand gelegt,
nach denen einer der Indianer gierig griff, während die andern meine
Bewegungen beobachteten. Daran schloß sich ein lebhaftes Gespräch, das
durch Zeichnungen im Sand geführt wurde. Nun kam heraus, daß die Stöcke
mit den Querhölzern Hütten bedeuteten und daß der Pfeil nicht nach
ihnen hin, sondern von ihnen her wies.

Ihrem Äußern nach waren die Indianer von Mittelgröße und einer sehr
blassen Hautfarbe von gelber Bronze. Im Sonnenschein sehen sie wie
Chinesen aus. Alle vier waren in lange dunkelbraune Kusmas aus grobem
Eingeborenenstoff gekleidet. Ihre Köpfe waren zum Teil geschoren, und
um den Hals trugen sie einen merkwürdigen Schmuck aus Flügeldecken von
Käfern, der vorn mit dem Kopf einer Fledermaus abschloß. Ihr Haar war
kohlschwarz und dicht um den Kopf durch ein Rohrband zusammengehalten,
das mit Vogelfedern verziert war. Nur einer hatte einen langen, dünnen
Speer aus dem Kanu mitgebracht.

Nach langen Bemühungen, durch Zeichen und ein paar Panaworte, die ich
in Sarayacu gelernt hatte, meine Absichten kundzutun, war endlich
eine etwas freundschaftlichere Atmosphäre hergestellt. Ich benützte
sie um anzudeuten, daß zwar ich meine Waffe abgelegt hätte, einer
der Indianer aber noch immer einen Speer trüge. Es bedurfte mehrerer
Zeichnungen im Sand, um diesen Umstand klarzumachen, aber sobald ihn
die beschränkte Intelligenz der Wilden begriffen hatte, wurde der
Speer auf den Boden gelegt. Doch war der Besitzer nicht zu bewegen,
sich von der Stelle zu entfernen. Nachdem ich meinen Zweck erreicht
hatte, einen Zustand gegenseitigen Vertrauens zu schaffen, hätte es
keinen Sinn gehabt, die Sache noch weiterzutreiben. Die nächste Aufgabe
war, die kleine Indianerschar, die sich offenbar auf einem Jagd- oder
Fischzug befand, dazu zu veranlassen, uns nach ihrem Dorf zu führen und
gleichzeitig alles Menschenmögliche zu tun, um unsere eigene Sicherheit
zu gewährleisten.

Es ist nicht ratsam, gänzlich wilden Indianern zu viel Geschenke
zu geben, ehe man seinen Zweck in ihrer Mitte erreicht hat. Sie
gleich am Anfang mit Gaben zu überhäufen, heißt sich später einer
gefährlichen Unzufriedenheit aussetzen, wenn die Quelle erst
spärlicher zu fließen beginnt, was bald eintritt, falls nicht
unbegrenzte Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die frühe
Erforschungsgeschichte unter den Eskimos beweist zur Genüge, daß man
nur mit Vorbedacht diese Form der Bestechung anwenden sollte.

Nachdem ich den Indianern meinen Wunsch, ihr Dorf zu besuchen,
kundgetan und zugleich meine Bereitwilligkeit ausgedrückt hatte,
ihnen für ihre spätere Unterstützung bei der Rückkehr an den Ucayali
Geschenke zu machen, drehte ich ihnen absichtlich den Rücken und ging
in mein Zelt. Anscheinend, um etwas zu holen, aber in Wirklichkeit, um
zu prüfen, wie weit ihre Freundschaft ging, wenn wir uns nicht mehr
unmittelbar gegenüberstanden. Nach einigen Minuten kam ich wieder mit
ein paar Biskuits, von denen ich eins selbst verzehrte und die andern
den Indianern anbot. Da sie augenscheinlich hungrig waren, schlangen
sie sie hinab, ohne erst wie üblich nach dem ersten Bissen zu warten,
ob sich nicht schlimme Wirkungen einstellten.

Es gab noch ein langes Gespräch zwischen ihnen, aber schließlich
deuteten sie mir an, unser Kanu zu besteigen. Das Abbrechen des Lagers
dauerte eine halbe Stunde, während der ich mich mit sehr wenig Erfolg
bemühte, unsere freundschaftlichen Beziehungen noch zu vertiefen.
Gerade vor dem Aufbruch zog ich meinen Tabaksbeutel aus der Tasche,
und als ich ihre gierigen Blicke bemerkte, verteilte ich genug von dem
wertvollen Kraut, um mehrere Pfeifen zu stopfen, was größeren Eindruck
zu machen schien als alle vorhergehenden Annäherungsversuche.

Wir paddelten über den seichten See und wandten uns dann nördlich
gegen einige niedere, bewaldete Hügel. Schon erschienen die Hütten
auf einem offenen Fleck von grauem, aschenartigem Sand zwischen dem
niedern Dschungel. Sofort nach der Landung kam mir die Gefahr der Lage
zum Bewußtsein. Die vier Jäger, die zu uns ins Lager gekommen waren,
trugen Kleider und hatten offenbar schon früher mit der Zivilisation
in Berührung gestanden; die Dorfinsassen aber waren völlig nackt und
nahmen eine beinahe feindliche Haltung ein. Als wir landeten, war
keiner der Indianer bewaffnet, aber schon nach einer Viertelstunde
starrte alles von Speeren, Bogen und mörderisch aussehenden
Kriegskeulen.

Die Geschichte der Kaschibos erzählt von beständigen, erbarmungslosen
Kämpfen gegen den Weißen und die benachbarten Stämme der
Schipibosindianer. Von 1651 bis 1714 sollen nicht weniger als
siebenundzwanzig Priester von ihnen ermordet und aufgefressen worden
sein, die von den Spaniern geschickt wurden, um sie zum Christentum zu
bekehren. Etwa 40 Jahre später überfielen sie die Missionsstationen von
Cerro de la Sal und zerstörten sie alle. Bis in neuere Zeit waren sie
sehr selten von Forschern aufgesucht worden, und Leutnant Smyth, R. N.
(1832), Leutnant Herndon (1852), Gabriel Sala (1899) und Juan Sotomayor
(1900) sind die einzigen, soweit es zur allgemeinen Kenntnis gelangte,
denen wir Berichte über diesen wilden Stamm verdanken.

Diese Geschichten fielen mir ein, während ich mich entschloß, sofort
zu handeln. Ich wandte mich zu den Führern, verlangte vor den Huary,
den Häuptling, gebracht zu werden und wurde nach einer der großen, aber
kläglich gebauten Palmstrohhütten gewiesen, die als Gemeinschaftshäuser
dienen und hier „Tambos“ heißen. Ein alter Kaschibo mit Bart, Kusma und
geschorenem Kopf war gerade damit beschäftigt, ein offenes Geschwür an
seinem Vorderarm sorgfältig auszusaugen. Als ich eintrat, hörte er mit
dieser Arbeit auf, die ihn ganz in Anspruch zu nehmen schien, erhob
sich und stolperte auf die Stelle zu, wo ich ihn erwartete.

Nachdem ich die üblichen Geschenke überreicht hatte, erklärte ich kurz
den Zweck meines Besuchs, zu dem er anscheinend seinen Segen erteilte.
Wenigstens erhielt ich ein seltsames Rohramulett mit merkwürdigen
eingeritzten Zeichnungen. Offenbar war ich nun frei, zu lagern und das
Dorf in Augenschein zu nehmen, aber die Speere und Keulen verschwanden
nicht aus den gelben Händen ihrer Besitzer.

Die Weiber scheinen, bis sie heiraten oder alt werden, ganz nackt zu
gehen, die Männer aber tragen ein einfaches Lendentuch oder ein langes,
braunes, ärmelloses Gewand. Als Beförderungsmittel ziehen die Kaschibos
augenscheinlich das Floß dem Kanu vor, denn obwohl mehrere Fahrzeuge
sich am Ufer, nahe dem Dorf, befanden, schien die Anzahl der Flöße der
der Bewohner zu entsprechen.

So häßlich und schmutzig wie die Männer sind die Weiber und Kinder
nicht. Ob das an dem Fehlen des ungewaschenen und stets übelriechenden
Kusma liegt, ist schwer zu sagen. Aber ich hatte den Eindruck, daß
einige dieser blaßfarbigen Weiber und Mädchen zu einem andern Stamm
gehörten, der viel kleiner von Statur war als die Kaschibos. Wie dem
auch sein mag, jedenfalls waren sie viel mitteilsamer und freundlicher
als die Männer, eine Haltung, die ich aus naheliegenden Gründen nicht
ermutigen durfte.

Am zweiten Tage unseres Aufenthalts fragte ich einen unsrer Führer,
wohin er nach seinem Tod zu kommen erwartete. Die Antwort brachte
mich ein wenig außer Fassung. Er deutete auf einen Vogel, der eben
die Überreste meiner Mahlzeit aufpickte. Jeder Versuch, weitere
Aufklärung zu erhalten, schien nutzlos, bis ich auf den Gedanken kam
nachzuforschen, ob sie einen allgemeinen Begräbnisplatz hätten. Nachdem
ich stundenlang erst einen, dann einen zweiten Indianer ausgefragt
hatte, erfuhr ich, daß die toten Kaschibos nicht beerdigt würden. Die
Alten bringt man um oder ißt sie auf, da es für besser gehalten wird,
von einem Freund als von wilden Tieren oder Raubvögeln verzehrt zu
werden. Ich ließ aber nicht locker und versuchte, zwischen der Seele
und dem Körper einen Unterschied zu machen, wobei freilich nichts
Endgültiges herauskam. Doch scheinen diese Eingeborenen zu glauben,
daß sie durch den Genuß des Herzens, des Gehirns, der Augen, Ohren
und Hände die Vorzüge, Kenntnisse und den Geist des Toten in sich
aufnehmen. Soweit ich das herausbringen konnte, werden Gefangene
von andern Stämmen nicht getötet, da sie ihre Nachbarn für in jeder
Beziehung minderwertig und daher zur Aufnahme in sich selbst für
unwürdig halten.

Das Wort „Christo“ kennen sie als den Namen des Gottes der Weißen,
aber weder mit den Missionen noch den Handelsstationen scheinen sie
viel in unmittelbare Berührung gekommen zu sein. Die Hügel- und
Dschungelgegend, die sie bewohnen, bringt so gut wie keinen Kautschuk
hervor, und folglich fühlt der Händler wenig Neigung, ein so
übelberüchtigtes Gebiet zu betreten. Dies erklärt auch wahrscheinlich
ihre Rückständigkeit verglichen mit den Verhältnissen bei andern das
Pana sprechenden Stämmen, die an den Ufern der schiffbaren Flüsse
wohnen.

[Illustration: Häuptling der Kampasindianer.]

[Illustration: Zwergindianer der Pampas Sacramento.]

[Illustration: Chunchosindianer am Perené.]

Einen ihrer widerwärtigsten Gebräuche bekam ich am dritten Tage zu
Gesicht. Mehrere Indianer waren auf einem der zahlreichen Flöße beim
Fischen mit Speeren draußen gewesen. Als sie mit einigen gespießten
Riesenfischen, anscheinend „Paiche“, zurückkamen, leckten zwei Kinder
das Blut auf, das aus den Speerwunden träufelte. Da mehrere Männer
und Weiber um das Floß herumstanden, ohne dem Tun ihrer Sprößlinge
irgendwelche Beachtung zu schenken, haben wir es hier offenbar mit
einem Brauch zu tun. Möglich, daß sich ihr ganzer Kannibalismus darauf
beschränkt und daß darin der Grund liegt, warum sie Vampire genannt
werden. Tatsächlich neige ich zu der Ansicht, trotz all ihrer Redereien
über das Auffressen von Verwandten und Freunden, daß es sich dabei
lediglich um einen religiösen Brauch handelt, der das Trinken einer
gewissen Menge Blutes, aber nicht das Verzehren menschlichen Fleisches
erfordert.

Die Begründung meiner Ansicht liegt hauptsächlich in der Tatsache, daß
fast alle Indianerstämme im Amazonengebiet ihren Stammesnamen von dem
Brauch erhalten, der sich am stärksten von den Sitten ihrer Nachbarn
unterscheidet. Dies sieht man, wie bereits erwähnt, deutlich bei den
Uaupés an den Nebenflüssen des obern Rio Negro. Und daß hier nicht etwa
nur eine Ausnahme in Frage kommt, beweist fast jede Stammesbezeichnung
in dem großen Waldgebiet. Ist diese Annahme richtig, so verdanken
die Vampirindianer oder Kaschibos ihren Namen und schlimmen Ruf
wahrscheinlich dem Brauch, menschliches und tierisches Blut zu trinken.

Ich blieb sechs Tage bei diesem interessanten Stamm; nachdem einmal
das natürliche Mißtrauen des Wilden zerstreut war, schien er nicht
wilder und unbändiger zu sein als viele andere Stämme, mit denen ich
in Brasilien zusammengetroffen war. Die Kaschibos sind stolz und
zurückhaltend und besitzen augenscheinlich keine scharf umschriebenen
religiösen oder moralischen Vorstellungen. Offensichtlich scheinen
sie gegen den Weißen eine Abneigung zu haben, wenn aber, was man
sich erzählt, nur zu einem kleinen Bruchteil auf Wahrheit beruht,
haben sie auch keinen Grund, ihn und sein Tun zu lieben oder ihm
Vertrauen zu schenken. Von den vielbefahrenen Flüssen halten sie
sich soweit als möglich zurück. Wie mir unsere Führer erzählten,
schicken sie nur zwei oder drei aus dem Dorf nach den abgelegenen
Handelsstationen, um ihre Sarsaparille zu verkaufen und die nötigsten
Vorräte dafür einzutauschen. Ich erhielt von dem Stamm mehrere Muster
von roher Sarsaparille und andern Medizinkräutern, von denen sie
eine erstaunliche Kenntnis zu besitzen scheinen. Auf der Jagd und
im Krieg tragen sie stets einen kleinen Sack mit Salz bei sich, um
vergiftete Wunden damit zu behandeln. Ihrer Ansicht nach ist das Salz
ein Hauptmittel gegen fast alle Krankheiten, und tatsächlich scheinen
sie viel mehr Kenntnisse zu haben, wozu Salz zu verwenden ist, als die
meisten zivilisierten Leute. Sie gewinnen es aus natürlichen Pfannen im
Innern der Pampas Sacramento.

Gegen meine Erwartung wurde mir die Abreise eher erleichtert als
erschwert. Nachdem ich die merkwürdige Moskitokolonie wieder durchquert
hatte und dermaßen zerstochen worden war, daß ich kaum noch aus den
verschwollenen Augen zu sehen vermochte, erreichten wir endlich wieder
das offene Wasser. Die leichte Brise, die von den weit entfernten,
schneebedeckten Anden her wehte und das kühlende Lüftchen auf dem
Dampfer, den ich in Mashishea bestieg, waren eine unbeschreibliche
Wohltat nach der Hitze und Insektenpest der Pampas Sacramento. Auf
der Reise den Ucayali flußaufwärts nach dem Gebiet der Kampasstämme
regnete, donnerte und blitzte es beinahe unaufhörlich. Als wir an der
Bocca Pachitea ankamen, wo der Fluß seine hauptsächlichen Nebenflüsse
aufnimmt, verzogen sich die Wolken gegen die ungeheueren äquatorialen
Wälder im Osten zu. Die Sonne strahlte mit tropischer Glut, und der
Fluß und die fernen Linien der niedern, dschungelbedeckten Vorberge der
Anden waren zum Teil in Dunst und Nebel gehüllt.




19. Die Chunchosindianer der Peruanischen Montaña.


Die Kampasstämme bewohnen die Vorberge der Anden und jenes Gebiet, das
unter dem Namen der Oberen Montaña von Peru bekannt ist. Den besten
Zugang in dieses Land bildet der Perenéfluß, auf 10° 5′ südlicher
Breite und 75° 15′ westlicher Länge. Die Kampas stellen einen von
den Wilden in den großen amazonischen Wäldern gänzlich verschiedenen
Typus dar und bieten als Indianerrasse viel Interessantes, obwohl sie
dort, wo sie mit der Grenzzivilisation in Berührung kommen, rapid
dahinschwinden. Aus dem breiten Pachitea lief der kleine Dampfer in den
schokoladenfarbenen Pichis ein und kam an einem schönen Fleck der Erde,
namens Puerto Bermudez, zu seinem letzten Halt. Von da an wird der Fluß
so seicht, daß der Rest der Reise zuerst auf dem Kanu und später auf
dem Rücken von Maultieren zurückgelegt werden muß. Man gelangt dann zum
Tambo oder Regierungsunterkunftshaus Nr. 71, das dicht am Perenéfluß
gelegen ist.

Die Landschaft in diesem Teil der oberen peruanischen Montaña ist
wirklich wundervoll. Bewaldete Hügel, strudelnde und schäumende
Flüsse, tropische Dschungel von federartigen Palmen und massigen
Baumwollbäumen, Haine von wilden Bananen und Kaffeeplantagen, prächtige
Schmetterlinge und Vögel -- das alles fließt in ein berauschendes
Farbenspiel zwischen dem Rot der Erde und dem Blau des Himmels
zusammen. In den Dschungeln hier herrscht nicht das düstere Zwielicht
der amazonischen Niederungen; über Felsen, Bächen und der tropischen
Vegetation liegt überall die Sonne in glänzenden teppichgleichen
Lichtinseln. Von den Baumästen hängen in roten und grünen Büscheln
Parasitenpflanzen herab, und der Himmel scheint nicht länger mehr ein
wie aus Metall gegossenes Gewölbe. Das Klima ist, außer während der
Regenzeit, höchst angenehm mit warmer Sonne und kühlenden Winden.

Ich hatte die Absicht gehabt, zu meinem zeitweiligen Standquartier
Tambo 71 zu machen, das an dem unter dem Lokalnamen der „Via Centrale“
bekannten Maultierpfad liegt, der von Puerto Bermudez nach Oroya und
dem Pazifischen Ozean führt. Aber der unerfreuliche Zustand dieses
„Dâk Bungalows“ veranlaßte mich, noch 30 Kilometer weiter in dem weit
reinlicheren Unterkunftshaus von Eneñas ein Obdach zu suchen. Von
hier aus wollte ich mir die Umgebung ansehen und dann auf gemieteten
Maultieren oder auf einem Floß in die Kampasregion vorstoßen. Nachdem
ich hier mehrere Tage geblieben war, um mich von den Moskitostichen
und einem schleichenden Fieber zu erholen, gelang es mir, einen
Serrano-Führer und einen Chunchosboy als Diener zu verpflichten.
Ersterer war ein schmutziger, aber energischer Bergindianer, der Boy
dagegen ein fauler, aber reinlicher Eingeborener der Montaña.

Mein erstes Lager nach dem Abschied vom Tambo bei Eneñas war am Ufer
des Perenéflusses, 16 Kilometer östlich von der kleinen Niederlassung.
Das Lagern in dieser Gegend hat zwei große Nachteile, die uns beide in
jener Nacht zu Gemüte geführt wurden. Bald nach einem prächtigen, aber
sehr stürmischen Sonnenuntergang setzte ein gleichmäßiger Regenguß ein,
der fast die ganze Nacht hindurch anhielt. Die tropfenden Blätter, das
Trommeln und Dröhnen auf dem Zelttuch und die Bächlein, die sich trotz
eines schnell ausgeführten seichten Grabens unter dem Bodenbelag einen
Weg suchten, machten die ersten Nachtstunden zu einer schlaflosen und
ungemütlichen Angelegenheit. Als dann die Zeltlampe erlosch, erhob
sich ein geheimnisvolles Flattergeräusch von vielen Flügeln. Zuerst
klang es, als hätten sich viele kleine Vögel im Zelt gefangen, aber ein
Strahl aus der elektrischen Taschenlampe enthüllte wenigstens sechs
Vampire, die zu unsern Häupten auf ihre Mahlzeit von menschlichem Blut
warteten.

Das Zelt von ihnen zu säubern war ganz nutzlos, so zahlreich sind die
ekelhaften Geschöpfe in dieser Gegend. Ist es ihnen einmal geglückt,
ihr greuliches Mahl zu beginnen, ohne den Schläfer aufzuwecken,
so tritt durch Blutverlust eine große Schwäche ein. Unter solchen
Umständen war, abgesehen vom Schutz durch das Moskitonetz, nichts zu
tun. Ehe man sich nicht an diese schauerlichen Besucher gewöhnt hat,
ist an Schlaf kaum zu denken.

Noch waren die ersten Streifen der Dämmerung im Osten nicht erschienen,
als ich jeden weiteren Versuch zu schlafen aufgab, zum Fluß hinabstieg
und hinausschwamm. Während ich mich abtrocknete und recht fror, da das
von den Anden kommende Schmelzwasser des Flusses ziemlich kalt war,
erschien ein Floß um die nächste Flußbiegung. Ich stand mit dem Rücken
dagegen, rieb mich eifrig aus allen Kräften ab und bemerkte es erst,
als es bis auf näher als 20 Meter herangekommen war.

Die Familie der Chunchosindianer starrte erstaunt auf die weiße
Gestalt, die im hellen Sonnenlicht des frühen Morgens auf dem steinigen
Strand stand. Ich wand eins der Handtücher als Schürze um meine Lenden,
trat an den Rand des Wassers und bedeutete dem Floß durch Zeichen, sich
zu nähern. Da ich die schöne Gelegenheit, die Lage eines Indianerdorfs
zu entdecken, nicht verpassen wollte, achtete ich weder auf die Kälte
noch auf meine unvollkommene Toilette. Später bereute ich heftig meine
Übereilung.

Auf dem langen, schmalen Floß, Balsa nach dem sehr leichten
gleichnamigen Holz benannt, befanden sich zwei Männer in langen Kusmas,
ein Weib und zwei halbnackte Kinder. Die Männer waren wohlgebaut,
obwohl nicht sehr hochgewachsen, und trugen um ihr langes, schwarzes
Haar ein Stirnband aus Blättern. Ihre Hautfarbe war sehr mattbronzen.
Die wild aussehenden Eingeborenen stießen die Balsa auf den steinigen
Strand und umringten mich neugierig. Für die Kinder bedeutete ich
offenbar eine neue und seltsame Art; während ich durch nachdrückliche
Zeichen ein Gespräch anzubahnen versuchte, belustigten sie sich damit,
mich in die Beine zu zwicken und sich höchst ungezogen zu benehmen.

Wie sich herausstellte, lag das nächste Dorf ein Stück flußabwärts.
Wie weit, konnte ich nicht herausbringen, weil die Indianer wie alle
wilden oder halbzivilisierten Eingeborenen nur sehr verschwommene
Vorstellungen von Zeit, Entfernung und Maß zu haben scheinen. Der Name
„Chuncho“ umgreift eine Gruppe von Stämmen, die in den Vorbergen der
peruanischen Montaña östlich von Cuzco und Tarma leben. Im allgemeinen
gleichen sie den Kampas der abgelegeneren Waldgebiete, sind aber den
Weißen weniger feindlich gesinnt. Als ich später einige Zeit bei
ihnen zubrachte, überzeugte ich mich, daß sie einen Zweig des großen
Kampasvolkes bilden mußten in Anbetracht der Ähnlichkeit in Aussehen
und Gebräuchen der zwei angeblich verschiedenen Gruppen.

Nachdem ich die Lage ihres Dorfes und verschiedene Einzelheiten ihrer
Stammeszugehörigkeit festgestellt hatte, war es mir darum zu tun,
daß sie nicht eher wieder fortführen, bis ich mit meiner Toilette
einigermaßen zu Ende war. Ich versuchte ihnen begreiflich zu machen,
warum ich ihnen keine Geschenke anbieten könne, und deutete deshalb
in die Richtung des Lagers. Zu meinem äußersten Erstaunen hockten sie
sich bedächtig auf die Erde und schienen offenbar geduldig darauf zu
warten, bis ich mich angezogen hätte und sie zum Zelt begleiten könnte,
das etwa ein Kilometer vom Ufer entfernt war und zu dem der Weg durch
dichtes Unterholz führte. Die Sonnenstrahlen gewannen allmählich an
Kraft, und obwohl sie im Augenblick meine Glieder nur wieder aus ihrer
Erstarrung lösten, war doch zu befürchten, daß meine Haut bald mit
Blasen bedeckt sein würde. Dazu kam, daß die Moskitos Blut rochen und
um mich herumsummten, daß es zum Verrücktwerden war. Unangekleidet
durch den Busch bis zum Zelt zu gehen, hätte geradezu eine Einladung an
die Myriaden von Insekten bedeutet, ihr Frühstück auf meinem Körper zu
halten, und hätte mich wahrscheinlich für Tage ans Lager gefesselt.

So tat ich, als ob diese Waldnomaden nicht vorhanden wären, zog mich so
schnell als möglich an und begleitete sie zum Zelt, wo sie Geschenke
und ein Gratisfrühstück erhielten. Später am Tag veranlaßte ich das
Oberhaupt der Bronzefamilie, mich und meine beiden Diener auf der Balsa
flußabwärts zu dem Dorf des Stammes mitzunehmen. Da ich selbst weder
Maultiere noch ein Fahrzeug zu meiner Verfügung hatte, war mir diese
Aushilfe doppelt willkommen. Der Indianer trennte sich ohne Beschwer
von seinem Weib, den Kindern und seinem Begleiter, die am Ufer des
Perené ihr Lager aufschlugen, während er uns mit unserm Gepäck nach
dem Dorf schaffte. Offenbar war ich nicht der erste Weiße, mit dem er
zusammentraf, wie es ja auch in dieser Gegend ganz natürlich ist, die
zum Teil schon unter dem Einfluß der Zivilisation liegt. Er verlangte
30 Dollars für die Fahrt, und zwar im voraus, und dann stellte sich
heraus, daß das Dorf weniger als 24 Kilometer entfernt war! Aber
alle die unzivilisierten Indianer des Amazonenstromtals sind so
schrecklich arm, daß sie kaum überhaupt etwas besitzen. Es ist manchmal
zum Erbarmen. Die unbedeutendste Kleinigkeit wird für sie zu einer
unschätzbaren Gabe, und ihre Dankbarkeit ist oft rührend, wenn sie
auch am Anfang sich meistens hinter Mißtrauen verbirgt.

Das Chunchosdorf bestand aus sechs langen und halbwegs gut gebauten
Hütten aus Chontaholz, in denen fast hundert Männer, Weiber und Kinder
lebten. Die Wohnungen lagen auf einem steilen Hügel, der gegen den
mittleren Perené zu abfiel, und waren jenen der Kaschibos und Konibos
am Ucayali turmhoch überlegen. An manchen zeigten sich vorspringende,
durch Baumstämme gestützte Dächer, und einige waren sogar mit roh
zubehauenen Brettern teilweise verkleidet. Auf der Seite des Hügels
befanden sich kleine Anpflanzungen von Mais, Yukka und Bananen.
Merkwürdig war das völlige Fehlen von Kanus. Augenscheinlich benützt
dieser Stamm als Beförderungsmittel ausschließlich die Balsa. Keiner
der Stämme des äquatorialen Amerika züchtet Maultiere, Pferde oder
Vieh, wenn sie nicht von ihren weißen Herren dazu angehalten werden.
Die Chunchos wandern meilenweit durchs Dickicht und über die steilen
Hügelhänge, um Wild aufzuspüren. Auf ihren Balsas unternehmen sie
weite Flußreisen oft über mehr als 150 Kilometer. Aber sie sind sehr
abergläubisch.

Eine merkwürdige Gewohnheit dieser Indianer, deren Zeuge ich in der
ersten Nacht in ihrem Dorf wurde, war, sich in ihren Hütten oder auch
im Freien zusammenzudrängen, sobald die kurze Dämmerung vorbei war.
In mondlosen oder sehr dunkeln Nächten sind sie nicht dazuzubringen,
das Lager zu verlassen. Zuerst war mir das ein Rätsel, und ich dachte,
es wäre einfach ihrer Faulheit zuzuschreiben. Aber eine nähere
Untersuchung zeigte, daß alle Indianer dieser wichtigen Gruppe sich
davor fürchten, in völliger Finsternis allein zu sein. Sie glauben,
daß in jedem Schatten sich böse Geister umhertreiben, und selbst in
mondhellen Nächten weichen sie jedem dunkeln Fleck aus, wenn sie im
Dorf umhergehen oder durch die Wälder wandern. Der einzige Stamm, bei
dem ich ähnliche Formen des Aberglaubens beobachtet hatte, war der der
Apiacás am obern Tapajóz, die, wie man sich erinnern wird, die Schatten
mit ihren Speeren bei den Mondtänzen durchbohrten.

Je länger ich bei den Chunchos verweilte, desto klarer stellte sich
heraus, daß sie keine wirkliche Religion haben außer einer Reihe von
abergläubischen Vorstellungen, die mit den Mächten des Lichts und der
Finsternis zusammenhängen. Die Toten begraben sie unter dem Lehmboden
ihrer Hütten ohne Rücksicht weder auf die darin lebenden Anverwandten
der Verstorbenen noch auf die andern Familien. Zufällig war ich dabei,
wie ein Grab für einen alten Mann ausgeschaufelt wurde, der damals noch
so sehr am Leben war, daß er, sein Schicksal erratend, aus dem Bett
aufstand, in den Dschungel lief und verschwand. Das leere Grab war nur
wenig über ein Meter tief.

Die Chunchos schienen mir damals ein stilles, harmloses Völkchen zu
sein. Kürzlich traf ich aber im Amazonengebiet Mr. Miles Moß, den
bekannten Naturforscher, der vor einigen Jahren unter ihnen gelebt
hat und mir manches erzählte, was meine damalige Ansicht wankend
gemacht hat. Er führte aus, daß er die Chunchos für eine sanfte,
friedliche und intelligente Rasse halte, obwohl ihre Geschichte in
Dunkel gehüllt sei. Sie seien sehr geschickt und gewandt in dem, was
man Heimarbeiten nennen könnte, so begrenzt die auch in ihrer Art sein
möchten. Sie wären von eher kleiner Gestalt, aber glänzend gewachsen,
oft ganz hübsch und ausgezeichnete Schützen mit Bogen und Pfeil. Das
Wasser liebten sie und wären viel reinlicher in ihren Gewohnheiten
und Gepflogenheiten als die halbblütigen Serranos oder Bergindianer.
Diese persönlichen Beobachtungen, die mit meinen eigenen Ansichten
übereinstimmten, ergänzte er dann durch das Folgende, was ihm von
einem Mr. Furlong brieflich mitgeteilt worden war, dessen Zeugnis sich
auf einen dreizehnjährigen Aufenthalt in diesen Gegenden stützte.
Neben ihren guten Eigenschaften haben diese Chunchos auch schlimme
Charakterzüge, für die sie allerdings kaum verantwortlich gemacht
werden können, wenn man ihre Unwissenheit in Betracht zieht und das
völlige Fehlen einer Religion, die über eine bloße abergläubische
Furcht vor dem Unbekannten nicht hinausgehe. Elternliebe zählt nicht
zu ihren tieferliegenden Instinkten, das menschliche Leben wird wenig
geachtet, und so kommt es, daß ein Mord so gut wie gar nichts gilt.
Verheiratet sich eine Witwe mit kleinen Kindern wieder, so beseitigt
nach allgemeinem Brauch der zweite Gatte die Kinder auf solche Weise.
Mr. Furlong hat nicht selten derartigen Unglücklichen eine Zuflucht in
seinem Lager gegeben. Auf seinen Reisen im entlegenen Innern machte
er einmal die Bekanntschaft eines alten deutschen Ehepaares, das nach
und nach zu Pflegeeltern von nicht weniger als 24 Chunchosmädchen und
-jungen geworden war. Sonst wären alle diese Kinder umgebracht worden.

Es ist ganz allgemein Sitte, daß der Sohn seine Eltern in den Fluß
wirft, wenn das Leben infolge der Gebrechlichkeit des Alters zu einer
Last für sie wird oder für die, welche für sie zu sorgen haben. Bei
einer Gelegenheit hatte Mr. Furlong die größten Schwierigkeiten, einen
Chuncho zurückzuhalten, einen Mann, der an einem schlimmen Abszeß litt,
in den Perené zu werfen, und es scheint, daß alle Fälle vermeintlich
unheilbarer Krankheiten auf ähnliche Weise behandelt werden.

Die Geschichte der Chunchos ist ein verschlossenes Buch. Außer einigen
merkwürdigen und noch unentzifferten Inschriften auf einem riesigen
Felsblock im Bett des Paucartamboflusses und einer Anzahl von Stein-
und Kupferäxten, die am Hügel von San Juan gefunden wurden, ist wenig
oder nichts über den Ursprung dieses großen Indianervolkes bekannt.

Am fünften Tag meines Aufenthalts in dem Chunchosdorf begleitete ich
den Huary oder Häuptling auf einem Besuch, den er auf der Balsa zu
einem abgelegeneren Dorf desselben Stammes weiter flußabwärts am Perené
machte. An diesem Ort waren die Hütten sehr ärmlich und bestanden
lediglich aus einem Palmstrohdach auf vier Stützen ohne Seitenwände.
Die Leute kamen dem Weißen mit größerem Argwohn entgegen, und ich
hatte große Schwierigkeiten, einige Halsketten aus merkwürdigen grünen
Steinen mit Affenzähnen dazwischen auch nur zu beaugenscheinigen.

Die Eingeborenen trugen auch hier Kopfbänder aus Papageienfedern,
und ihre Gesichter waren durch Streifen von Vermillon entstellt,
eine Farbe, die aus den Samen des Achiote gewonnen wird. Der
Busch wächst wild in den Dschungeln und bringt hübsche Blüten und
kastanienbraungrüne Samenkapseln hervor, aus denen man die Farbe
bereitet, die von allen wilden Stämmen des Amazonengebiets viel
gebraucht wird.

Der Unterhäuptling dieses Dorfes mit Frau, Sohn und Tochter verwahrte
sich aufs energischste dagegen, daß er auf irgendeiner Photographie
nicht „drauf“ wäre, die in seinem Hoheitsbereich aufgenommen wurde.
Das war der erste Fall, daß ich unter den unzivilisierten Indianern
des Amazonengebiets ungestraft mit der Kamera arbeiten durfte, die
Caripunas am Madeira und die Ocainas am Rio Putumayo vielleicht
ausgenommen.

Ich blieb die Nacht über in diesem zweiten Chunchosdorf, um meine
Lagerausrüstung auf einer Balsa holen zu lassen, und es glückte mir,
zwei Chunchos und ein Floß zu bekommen, das mich zu der Vereinigung
der Flüsse Perené und Ené mit dem Rio Tambo bringen sollte. In den
tieferliegenden und dichteren tropischen Waldgebieten leben mehrere
Stämme der großen Kampasfamilie, bekannt unter dem Namen „Ungoninos“.
Sie sind den Weißen feindlich gesinnt wegen der schlechten Behandlung,
die sie von halbblütigen Kautschuksammlern erfahren haben.

Der Serrano, der mich vom Tambo an der Via Centrale hierher begleitet
hatte, weigerte sich, in das Gebiet der Ungoninos mitzukommen, und
das zwang mich zu sehr kostspieligen und umständlichen Verhandlungen
mit den Chunchos, bis sie versprachen, ihn gesund und heil bei seiner
ungewaschenen Familie wieder abzuliefern, von der er jetzt 78 Kilometer
entfernt war.

Das unangenehmste bei dieser Reise in die wenig bekannte untere Montaña
war, daß ich niemanden hatte, der auch nur den leisesten Schimmer vom
Kochen in europäischem Sinn besaß. Der eine zivilisierte und die zwei
unzivilisierten Chunchos, die auf der morschen Balsa bei mir waren,
verstanden weder das Lager aufzuschlagen noch irgendeine Sprache außer
ein paar Worten Spanisch. So schienen mir die beiden Tage und Nächte
endlos, bis wir uns zur Vereinigung der drei Flüsse hinabgestakt
hatten. Stunden vergingen ohne ein Wort oder einen andern Laut als
das Glucksen des Flusses oder den Schrei eines Vogels. Am Abend des
dritten Tags lagerten wir etwa 16 Kilometer oberhalb der Mündung des
Rio Tambo, und von da an hatte ich zu all meinen andern Obliegenheiten
auch noch die Nachtwache zu halten. Ich nahm mir vor, tagsüber soviel
als möglich zu schlafen, während wir auf der Balsa mitten im Fluß in
verhältnismäßiger Sicherheit waren.




20. Im verbotenen Land der Ungoninos.


Während wir um eine Flußwindung bogen, sahen wir uns plötzlich den
Ungoninos gegenüber. Ein Kanu und ein großes Floß, beide voll von
Menschen, sowie mehrere Gruppen am rechten Ufer versperrten uns
den Weiterweg. Ein paar Minuten lang sah die Sache nichts weniger
als gemütlich aus, da die Balsa keinen Schutz vor Pfeilen gewährt
hätte. Diesmal war die Friedensvermittlung nicht mir überlassen. Die
Chunchos, die augenscheinlich die gleiche oder eine ähnliche Sprache
sprechen, führten die Unterhandlungen, während die Flöße einander
immer näher kamen. Schließlich erklärte der Boy, den ich vom Tambo
an der Via Centrale mitgebracht hatte, durch Zeichen und die paar
spanischen Worte, die uns beiden verständlich waren, daß die „großen“
Ungoninos mir gestatten wollten, sie auf dem Ufer zu besuchen, da
sich meine Freundschaft in den Chunchosdörfern erprobt habe; daß ich
aber sicherlich umgebracht würde, falls ich auf einer Weiterfahrt den
verbotenen Fluß hinauf bestände. Ich wußte von andern Reisenden, daß
der Wasserweg nach Iquitos durch den kriegerischen Stamm gesperrt
und daß es daher nur die Wahrheit war, die der Chunchosboy mir aufs
eindrücklichste klarzumachen versuchte. Deshalb beeilte ich mich
zu antworten, ich hätte keinerlei Absichten, durch das Gebiet der
Ungoninos zu reisen, sondern möchte sie nur als Freund besuchen.

Nachdem also diese Frage befriedigend gelöst war, fuhren beide Kanus
und Balsas gemeinschaftlich einen kleinen Bach zwischen hochstämmigem
dunkeln Wald hinauf. Etwa zwei Kilometer hatten wir auf dem braunen,
öligen Wasser im grünen Zwielicht zurückgelegt, als auf dem hohen Ufer
einige sehr primitive Strohhütten in Sicht kamen. Vor ihnen stand eine
buntscheckige Gesellschaft nackter und halbnackter gelber, zwergartiger
menschlicher Geschöpfe umher. Die Landung war nicht einfach und ging
mir ein wenig auf die Nerven. Alle die kleingewachsenen Wilden trugen
mit Widerhaken versehene Speere, außer einigen, die mit Bogen oder fast
3 Meter langen Blasrohren bewaffnet waren, zu deren Pfeilen sie das
Gift in Kürbissen bei sich führten. Weder die Männer noch die Weiber
und nicht einmal die Kinder versuchten ihren wilden Haß gegen den
Weißen zu verbergen, als ich ans Land stieg.

Nur die Unerschrockenheit der unzivilisierten Chunchos rettete mich vor
sofortigem Tod. Sie standen offenbar auf gutem Fuß mit diesen Nachbarn,
da sie wohl für die Ungoninos die Handelsgeschäfte in den Ansiedlungen
besorgen. Niemals früher hatte ich einen derartigen Haß gefunden wie in
diesem Dorf an einem Nebenfluß des Tambo. Auf Mißtrauen, Argwohn und
selbst Widerwillen kann man ja gefaßt sein, die gewöhnlich von Neugier
und Verwunderung ein wenig zurückgedrängt werden. Hier aber fand ich
unverhüllten Haß in jedem Blick und jeder Gebärde. Der Wunsch zu töten
ward weder durch Neugierde noch die Hoffnung auf Geschenke gehemmt. Ich
hielt ihnen als Friedensgabe mehrere Schnüre farbiger Perlen hin, aber
niemand machte eine Bewegung, sie zu nehmen. Nachdem ich eine oder zwei
peinliche Minuten gewartet hatte, gab ich sie den beiden Chunchos zur
Verteilung, aber auch sie hatten keinen Erfolg, da keiner der Ungoninos
das Geschenk annehmen wollte.

In diesem Dilemma war ich im Begriff, wieder in die Balsa zu steigen
und abzuwarten, ob man mich in Güte abziehen lassen würde, als ein
halbnackter Wilder mit einem Federkopfschmuck und einem mörderisch
aussehenden Widerhakenspeer sich dicht vor mir aufpflanzte. Haß blitzte
aus seinen gelblich schwarzen Augen.

„~Kittamorori schambari ni kahmetta!~“ zischte er in einem seltsam
gutturalen Ton. Ich verstand ihn jedoch nicht, und so standen wir uns
auf etwa 3 Meter mehrere Sekunden lang gegenüber. Der Chunchosboy
vom Tambo kam mir zu Hilfe und erklärte in schlechtem Spanisch, der
Häuptling habe gesagt: „Weißer Mann nicht gut!“

Auf den Chacras (Pflanzungen) längs der Via Centrale war es allgemein
bekannt, daß die Ungoninos furchtbar unter den gewissenlosen und
morallosen Mischlingen gelitten hatten, bis die peruanische Regierung
den Greueln Einhalt geboten hatte, die in allen abgelegenen Gebieten
dieses Wunderlandes ungestraft verübt worden waren. Man hatte den
Wilden ihre Mädchen geraubt und die Männer, Weiber und sogar Kinder
gefoltert, wenn sie sich weigerten, den kostbaren Kautschuksaft
zu sammeln. In jenen Zeiten, die unter dem Zeichen des ersten
Kautschukfiebers standen, galt es für nichts, ein paar Indianer
niederzuknallen. Es war eine kurzsichtige und unmenschliche Politik,
durch die die Arbeitskräfte im Amazonengebiet um ungezählte Tausende
vermindert wurden und die die Arbeit der Forscher, der Offiziere des
Indianeramts und der Kolonisten mit ihren weitausschauenden Plänen
außerordentlich schwierig und gefährlich machte.

Da ich das alles wußte, konnte ich nichts tun als zu erklären
versuchen, daß ich lediglich gekommen war, um die Ungoninos zu sehen
und mit ihnen zu reden, und nicht um Kautschuk einzuhandeln. Nachdem
ich das durch Zeichen und mit Hilfe des Chunchosboys zu verstehen
gegeben hatte, schienen sie sich etwas zu beruhigen, und der Haß
in den Gesichtszügen des Häuptlings wandelte sich zu einem mürrischen
Ausdruck von Mißtrauen.

[Illustration: Chunchosmädchen.

Die Gesichtsbemalung bezeichnet ihre Stammeszugehörigkeit.]

[Illustration: Eingeborenenfloß auf dem oberen Amazonenstrom.

Die Familien hausen wochenlang in den primitiven Strohhütten, während
das Floß Hunderte von Kilometern mit der Flut zurücklegt.]

Ich ging nun im Dorf herum, um es mir anzuschauen, aber zwei Krieger
mit lanzenähnlichen Speeren folgten jedem meiner Schritte. Zu den
Kampas oder Antis, wie sie zuweilen genannt werden, gehört eine sehr
große Anzahl von Stämmen, die die Wälder am Fuß der peruanischen Anden
bewohnen. Ihre Hautfarbe ist gelblich und ihr Aussehen entschieden
asiatisch. Einige junge Mädchen waren keineswegs häßlich. Die Männer
zeichnen sich als Jäger und Schiffer aus. Viele trugen ein Kopfband
(Nahmatteri) aus Blumen um ihr langes, schwarzes Haar. Dieser
Kopfschmuck wird bei der Verehrung des Sonnengottes „Pahua“ stets
getragen. Jede atmosphärische Störung wie Donner, Blitz, Regen, Wind
und Tau wird dem ewigen Krieg zwischen Gut und Böse zugeschrieben. Die
langen Hosen, die den Europäerjungen, wenigstens in seiner eigenen
Wertschätzung, zu einem jungen Mann machen, sind hier dadurch ersetzt,
daß ein wirklich wildes Tier mit dem eigenen Bogen oder Speer erledigt
wird oder gewisse körperliche Martern schweigend ertragen werden.

An den beiden ersten Tagen ereignete sich nichts Bemerkenswertes.
Am dritten Tag aber bemerkte ich, daß sich der ganze Stamm auf der
kleinen Lichtung zwischen den Hütten versammelt hatte. Einige jüngere
Männer suchten mich durch Drohungen vom Näherkommen abzuhalten, aber
vernünftige Vorstellungen beim Häuptling, von einem Pfund Tabak
begleitet, verschafften mir einen Sperrsitz zunächst der Königsloge.
Die Zeremonie, die nun folgte, war eine der grausamsten, der ich je
beigewohnt habe, und zeitweise mußte ich mir alle Mühe geben, mein
Temperament im Zaum zu halten.

Erreicht ein Mädchen das Pubertätsalter, so wird sie bei den Ungoninos
sofort allein in eine der seltsam gestalteten Hütten eingesperrt,
wo sie täglich nur ein wenig Kassawa und Wasser erhält. Mittlerweile
werden alle heiratsfähigen jungen Männer des Stammes zusammengerufen,
und das Mädchen wird dem zugesprochen, der dem Häuptling und den Eltern
die wertvollsten Geschenke an Wild, Fischen, Gift, Hängematten oder
andern Waren macht. Ist der Bräutigam endgültig gewählt, so wird das
Mädchen aus ihrem Gefängnis herausgeführt, in Gegenwart des ganzen
Stammes nackt an einen Baum gebunden und mit Geißeln aus Grasschnüren
gepeitscht, in die scharfe Steine eingeflochten sind.

Dies barbarische Verfahren wird vom Blasen auf Muscheln und dem
Schlagen auf hohle Bäume mit Stöcken begleitet. Dann befiehlt der
Zauberdoktor dem vermeintlichen bösen Geist, das Mädchen zu verlassen
und in den Baumstumpf einzufahren, an den sie gebunden ist, während
er gleichzeitig die Riemen durchschneidet, die den blutenden Körper
aufrecht halten. Die Indianer brechen in ein wildes Geschrei aus, wenn
das Mädchen ohnmächtig umfällt, was als gutes Zeichen betrachtet wird.
Denn nachdem der Dämon durch die Geißelung ausgetrieben wurde, braucht
der neue Geist der Fügsamkeit einige Zeit, ehe er in sein Heim, nun für
Lebenszeit, eingeht.

Das unglückliche Opferlamm wird weggetragen, ihre Wunden werden
ausgewaschen, und man teilt dem Bräutigam mit, daß seine Braut jetzt
vom Bösen geläutert ist. Die Weiber tanzen um den Marterpfahl, um den
Zweige aufgehäuft werden, bis der Bräutigam, etwa eine Stunde später,
mit einer brennenden Fackel wieder erscheint. Nachdem er eine Ansprache
an den Dämon gehalten hat, der seiner Erwählten hatte Übles zufügen
wollen, legt er Feuer an die trockenen Zweige und verbrennt so Dämon
und Marterpfahl unter Begleitung wilder Tänze, Muschelgeblase, dem
Rasseln einer Art von Tamtam und gelegentlichem leisen Schmerzgestöhn
des gemarterten Mädchens.

Auf diese grausame Zeremonie folgte ein mehrere Stunden langes
Schmausen und Trinken und dann eine richtige Tanzvorstellung, bei
der sich die jungen Krieger den Körper mit Messern zerfetzten. Gegen
Abend wurden die Mädchen, die sich dem Heiratsalter nähern, auf den
Boden gelegt und ihrer Augenbrauen mit einem Stück gespaltenen Rohrs
beraubt, worauf man ihnen blauschwarze Linien über die Augen malte. Die
ganze Nacht ging das Essen und Trinken weiter. Bei Männern und Weibern
ist es üblich, ein starkes Brechmittel einzunehmen und dann zum Mahl
zurückzukehren.

Im Charakter der Ungoninos finden sich, im Gegensatz zu den Ocainas
und Itogapuks, keinerlei liebenswürdige Züge. Sie sind wild, grausam,
verräterisch und in beständigem Streit mit ihren Nachbarn. Ihr Gebiet
erstreckt sich vom Tambo und oberen Ucayali zum Madre-de-Dios-Fluß.

Ihre Hütten ähneln den Wohnungen der Chunchos, die auch zu der
Kampasfamilie zu gehören scheinen. Sie nähren sich alle hauptsächlich
von Fischen, Yukka und Früchten, wozu noch Wild aller Art kommt, das
sie in den Wäldern erlegen. Bei der Jagd liegen sie flach auf den
Balsas, die in das hohe Ufergras hineingestoßen werden. So schießen
sie bequem mit vergifteten Pfeilen das Großwild, das an den Fluß zur
Tränke zieht, und mit an dünnen Leinen angebrachten Harpunenpfeilen die
großen Fische, die wie der „Paiche“ an die Oberfläche kommen oder ihre
Gegenwart durch Luftblasen verraten.

Die Leinen, die aus Därmen gedreht werden, sind an der abnehmbaren
Pfeilspitze befestigt. Dringt der Pfeil ein, so löst sich die mit
Widerhaken versehene Spitze und bleibt im Fleisch stecken, während der
Schaft abfällt und davonschwimmt. Der Bogen, von dem solche Pfeile
abgeschossen werden, wird mit den Füßen bedient. Der Fang wird mit der
Leine dicht ans Ufer gezogen, aber oft ist der Fischer genötigt, ins
Wasser zu steigen, um die großen, haiähnlichen Fische endgültig zu
überwältigen, die in diesen Flüssen leben. Dabei kommt es nicht selten
vor, daß Fischfänger von den Kaimans gefressen werden, die sich in
der Sonne rösten oder wie halbuntergegangene Baumstämme faul von der
Strömung treiben lassen.

Die Alten und Gebrechlichen werden bei diesem Stamm auf ihre eigene
Bitte lebendig begraben. Ein tiefes Loch wird in die Erde gegraben, und
nach einem letzten Mahl, an dem der ganze Stamm teilnimmt, hilft man
dem Opfer in die Grube. Der Unglückliche bleibt, mit dem Gesicht gegen
das Dorf zu, stehen, während die Erde langsam aufgefüllt wird. Die
Tiefe ist so bemessen, daß die Augen noch über dem gewachsenen Boden
bleiben. Nach dem Tod wird dann der Kopf mit einem kleinen Erdhügel
überdeckt.

Die Ungoninos kauen Koka, rauchen Tabak, den sie in die Außendecken
von Blättern wie Zigaretten einrollen, und trinken große Mengen
eines höchst berauschenden Getränks aus gegorenem Fruchtsaft. Viele
ihrer grausamen Zeremonien vollziehen sich, während sie unter dessen
Einfluß stehen. Die jungen Mädchen werden so vor der barbarischen
Heiratszeremonie gewöhnlich in einen fast besinnungslosen Zustand
gebracht. Anscheinend vergessen die guten Leute, daß die lähmenden
Wirkungen ihres Gebräus unter solchen Qualen bald wieder verfliegen.

Bei andern Kampasstämmen tragen die Männer lange Kusmas, aber die
Ungoninos gehen fast völlig nackt und schmücken sich nur mit Halsketten
aus den Zähnen des Alligators, Jaguars, menschlicher Geschöpfe und
kleiner Nagetiere. In mancher Hinsicht haben sie mehr Ähnlichkeit mit
den Kaschibos als mit der großen Kampasfamilie. Zweifellos sind sie ein
recht gemischter Stamm.

Die untere peruanische Montaña könnte man auch das Land der
Morgennebel nennen. Weiße Nebelballen ziehen durch die düstern
Baumwölbungen und hängen bis lange nach Sonnenaufgang um die
Uferbänke. Fast das ganze Jahr hindurch treten furchtbare tropische
Gewitter auf, aber das Klima ist nicht so ungesund wie das vieler
anderer amazonischer Flußtäler. Weiter östlich jedoch, in den dichten
tropischen Dschungeln an den Flüssen Madre-de-Dios und Beni, gibt
es buchstäblich Täler des Todes, wie das Tal Mapiri, wo seltsame
malariaähnliche Fieber dermaßen herrschen, daß kein Europäer hinkommen
kann, ohne ihnen fast augenblicklich zu verfallen. Die Ursache ist noch
ebenso unbekannt wie die Art der Fieber selbst.

Velasco nimmt an, daß die Kampasstämme Nachkommen der Inkas der
andinen Hochebenen sind. Mit dieser Ansicht bin ich jedoch keineswegs
einverstanden. Ich bin unter den Aymaras (Inkas) und Cholos
(Mischlinge) der großen andinen Hochebenen gereist und kann keine
Übereinstimmung zwischen den Bergbewohnern und den Waldindianern
finden. Einige Stämme am Fuß der Anden stehen wohl auf einer etwas
höheren Kulturstufe als jene im Herzen der großen Urwälder des
Amazonengebiets. Aber das kommt daher, daß sie sich näher der
Zivilisation der spanischen Verwaltung befanden; und andere Stämme
gehören zu den wildesten des ganzen Kontinents, was man nicht vergessen
darf. Man hat den Umstand zu ihren Gunsten ins Treffen geführt, daß
sie im allgemeinen irgendeine Kleidung tragen. Aber auch das ist sehr
irreführend, denn viele, die das Kusma tragen, solange sie mit der
Zivilisation in Berührung stehen, legen es wieder ab, wenn sie in ihre
Waldheimat zurückkehren. Diejenigen aber, die dieses Kleidungsstück
auch in ihren Dörfern tragen, wie die Chunchos, tun es hauptsächlich,
weil sie nahe den Bergen wohnen, von woher nach Anbruch der Nacht kühle
Winde wehen.

Die tiefeingewurzelte Abneigung und das Mißtrauen der Ungoninos
gegen den Weißen machten genauere Untersuchungen über ihr Leben,
ihre Sitten und ihren Glauben unmöglich. Alle meine Bewegungen
wurden von bewaffneten Leuten peinlich überwacht. Nur einige jüngere
Mitglieder des Stammes, deren Erinnerungen nicht bis in die dunkelsten
Tage der Verfolgungen reichten, ließen sich zu längeren Gesprächen
herbei. Augenscheinlich wurde die Stimmung des Stammes von Tag zu
Tag verdrossener und gefährlicher. Nach vier Tagen gab ich endlich
widerstrebend alle weiteren Forschungen auf. Als die Balsa die Mitte
des Flusses erreichte, fiel ein Schauer von Pfeilen, gleichsam als
demonstratio ad oculos, ins Wasser hinter das Floß. Unter den Händen
der Chunchos bogen sich die Stangen, so strengten sie sich an, das
leichte Fahrzeug ins offene Wasser hinauszubringen, und dabei hätten
sie mich beinahe von der glatten Oberfläche ins schokoladenbraune, von
Alligatoren wimmelnde Wasser hinabgestoßen.

Sieben Tage später bestieg ich ein Maultier und ritt auf rauhen Pfaden
gegen die ferne, schimmernde Linie der großen, weißen Kordillere. Es
war ein eigentümliches Gefühl, von den dichten Wäldern und kochheißen
Flüssen wegzukommen und erst die großen Steppen der Anden oder
Pajonales und endlich die schneebedeckten Pässe zu betreten. Nun hatte
ich den Kontinent an seiner breitesten und unbekanntesten Stelle
durchquert; vor mir lag der Pazifische Ozean mit seinen Schiffen
und kühlenden Seewinden. Ein- oder zweimal hielt ich an und blickte
zurück über die wunderbarsten tropischen Wälder der Welt, die des
Amazonengebiets. Tief unter mir, bis zum blaugrauen, dunsterfüllten
Horizont und noch 5000 Kilometer darüber hinaus, lag dieses
geheimnisvolle Gebiet von dämmerigen Wäldern, Öde und Verfall, das ich
in vergangenen Jahren in verschiedenen Richtungen durchstreift hatte.
Auf vielen dunkeln Waldplätzen und offenen Lichtungen längs der öligen
Flüsse gab es da wilde Männer, Weiber und Kinder, die sich vielleicht
manchmal an den weißen Mann und seine Geschenke erinnern mochten, aber
niemanden, der durch einen unüberlegten Schuß aus seiner Büchse zu
Schaden gekommen war.




Register.


  Aal, elektrischer 81. 109. 147.

  Achiote 54. 191. 200. 252.

  Acre 15.

  Acunas, Jesuitenmissionar 14.

  Adler 42. 77.

  Affen 29. 42. 60. 61. 70. 98. 108. 111. 112. 130. 131. 160. 163. 190.
  201. 209.

  Agassiz 14.

  Alamada 14.

  Alligatoren 60. 61. 63. 67. 68. 82. 99. 109. 111. 160. 163. 166. 188.
  193. 194. 201. 209. 226. 260. 262.

  Alligatorfarmen 193 ff.

  Alligatorinsel 87.

  Alvez 88.

  Amazonas (Staat) 13. 28.

  Amazonen 9. 12. 13. 191.

  Amazonenstrom 29. 32 ff. 38 ff. 80 ff. 108. 182. 187;
    Name 9;
    Entdeckung 9 ff. 191;
    Hochwasser 50.

  ~Amazon-Navigation-Service~ 26.

  Ameisen 34. 35. 42. 156. 188.

  Ameisenfresser 109. 111.

  Anakonda 61. 111.

  Anchualesindianer 198.

  Anden 10. 16. 180. 192. 224. 225. 230. 261.

  Andokesindianer 217. 220. 222.

  Apiacásindianer 63 ff. 250.

  Apuéfälle 49. 53.

  Aquaitiafluß 230. 231.

  Äquator, sichtbarer 32. 33.

  Araguay 15.

  Arara-Indianer 158.

  Araras 42. 109. 129. 138. 160.

  Arica 210.

  Aripuanan 15. 65. 69. 83. 84 ff. 88. 148 ff. 200.

  Assaipalme 20. 38. 108. 160. 188.

  Atlantischer Ozean 17. 91. 92. 191.

  Aussatz 204.

  Autazfluß 87.

  Aveiros 44.

  Aymara-Indianer 127. 218. 221. 261.

  Ayrao 174.


  Bambusflöten 131. 139. 143. 184.

  Bananen 129. 132. 244. 249.

  Bates 14.

  Baumwolle 129. 132. 244.

  Bayon, ~Dr.~ R. Z. 219.

  Bella Vista 49.

  Beni 15. 91. 93. 261.

  Beri-Beri 14. 53. 68. 87. 94. 97. 134. 218. 219. 220.

  Bernefliege 156.

  Blasrohre 70. 99. 119. 130. 145. 184. 201. 202. 216. 218. 255.

  Blutrache 207.

  Boa Esperança 103.

  Boa Vista 175. 176.

  Bocca Pachitea 229. 230. 243.

  Bocca S. Manoel 68. 69. 73.

  Bolivien 15. 17. 19. 28. 79. 91. 92.

  Boothlinie 20. 22. 187.

  Borasindianer 222.

  Borba 86. 87. 89.

  Bourdonnais 14.

  Branco, Rio 170. 174 ff. 180. 181. 182. 187. 189.

  Brasilien 15. 17. 19. 28. 91. 103. 189.

  Brüllaffen 61. 78. 112.

  Brüllaffenindianer 181.


  Caboclos 39 ff. 44. 87. 89. 100. 122.

  Cabral, Pedro 9. 14. 51. 52.

  Cacash 43.

  Calamar 105.

  Campos Salles 174.

  Camumafluß 79.

  Caquetáfluß 218. 219. 220. 222.

  Caranápalme 108.

  Carijonas 14. 218. 219. 222.

  Caripunasindianer 93 ff. 165. 252.

  Carvajal, Pater 11.

  Cassiquare 11.

  Cattleyen 108.

  Cauaméfluß 181.

  Caudeau 14.

  Caurafluß 122.

  Ceara 41.

  Cerro de la Sal 238.

  Chancas 145.

  Chandleß 14.

  Chile 31.

  Chimbiri-Yacu 192. 193 ff. 226.

  Chinin 55. 110. 132. 159.

  Cholos 261.

  Chontapalme 196. 202. 221. 249.

  Chunchosindianer 245 ff.

  Church, Earle 15.

  Cipórebe 49. 60.

  Coary 189.

  Cocama-Indianer 192 ff. 225.

  Columbia 19.

  Contamana 230.

  Cotingafluß 180. 181.

  Cotuhé 210.

  Cuzco 247.


  Delphine 42. 77. 209. 226.

  Diamanten 181.

  Dorado 10. 13.

  Dyott, G. M. 15.


  Ecuador 9. 10. 11. 19.

  Eidechsen 131.

  Elisabeth, Königin 13.

  Embo 131.

  Ené 224. 252.

  England 12.

  Enten 42.

  Everard im Thurn 15.


  Farinha 96 ff. 131. 173. 214.

  Fawcett, Oberst 15.

  Fazendinha 86.

  Felsen der Inschriften 172. 176 ff.

  Fernando, Mischling 34.

  Fieber, gelbes 26.

  Fischotter 109.

  „Francisco Salles“ 85. 94. 102.

  Franco 45.

  Frösche 163.

  Furo das Guaribas 86.


  Gold 11. 17. 181.

  Gondim, J. 84.

  Goyabagelee 173.

  Gran Chaco 17.

  Guajara-Merim 91.

  Guaraná 79. 80.

  Guaranisprache 118. 120. 130. 158.

  Guaribosindianer 56.

  Gummi s. Kautschuk.

  Gürteltier 109.

  Guyana 15. 17. 19. 45. 68. 172. 210.

  Gy-Paraná 59. 65. 102. 105. 106. 113. 129. 135. 136. 147. 155. 165.
  168.


  Habichtsmotte 29.

  Herndon, Leutnant 239.

  Herodot 9.

  „Hildebrand“ 20.

  Hirsche 98. 109.

  Huambisa 14. 144. 193. 200 ff.

  Humaitá 59. 90. 91. 102. 103. 147.

  Humboldt 14.


  Igara-Paraná 210 ff. 222.

  Indianeramt, brasilianisches 15. 52. 65. 70 ff. 80. 83. 103. 105. 133.
  135. 136 ff. 148. 151. 168. 176. 180. 256.

  Indianerflüßchen 196.

  Indianer-Reservationen 72.

  Inkas 261.

  Iquitos 14. 24. 83. 170. 187. 191 ff. 196. 208. 209. 222. 223. 224.
  225. 254.

  Isla des Onças 25. 26. 29 ff. 32 ff.

  Itacoatiara 79. 80. 85.

  Itaituba 25. 26. 45. 46. 48. 59. 64. 76.

  Itapeu 48.

  Itauba 60.

  Itogapukindianer 151 ff. 159 ff. 259.


  Jacitarápalme 108.

  Jaguar 41. 60. 67. 70. 78. 82. 98. 107. 130. 138. 147. 162. 163. 188.
  190. 260.

  Jarikunasindianer 178. 180.

  Javahésindianer 70.

  Jumas-Quadras 90.

  Jupatipalme 108.

  Juripari 68. 182. 184 ff.

  Juruenafluß 52.


  Kaffeeplantagen 244.

  Kakao 28.

  Kampasindianer 224. 243 ff.

  Kannibalismus 166. 217. 223. 240. 241.

  Karibisches Meer 13. 194.

  Kaschibosindianer 14. 166. 223. 224. 230. 233 ff. 249. 260.

  Kassave 96. 98. 129. 183. 216.

  Kautschuk 15. 17. 23. 28. 53. 64. 65. 86. 91. 102. 192. 212. 213. 256.

  Kokain 218.

  Kokasträucher 86. 218. 221. 260.

  Kolumbus 10.

  Konibosindianer 52. 226 ff. 249.

  Kormorane 42.

  Kristallberge 181.

  Kroehle 14.

  Kusma 228. 236. 239. 240. 260. 261.


  La Chorrera 212. 213.

  Landor, H. S. 15. 17.

  Lange, Algot 15.

  Leguane 163.

  Lemos, Dr. Bento 15.

  Lingoa Geral 39. 130.

  Liverpool 22. 24. 78.


  Macuxyindianer 176. 178. 180.

  Madeira (Insel) 20.

  Madeirafluß 14. 29. 53. 58. 59. 65. 69. 72. 80. 83. 85 ff. 94 ff. 102.
  108. 111. 130. 167. 200. 225.

  Madeira-Madre de Dios 15. 18. 93.

  Madeira-Mamoré-Eisenbahn 15. 85. 91. 92.

  Madeira-Mamoré-Expedition 14.

  Madeirinhafluß 148. 150 ff.

  Madre-de-Dios-Fluß 259. 261.

  Maicy 65. 105. 136. 137. 168.

  Maicy-Mirimé 137. 144. 168.

  Mais 249.

  Majeryfluß 181.

  Malaria 14. 26. 39. 87. 159. 182. 187. 204.

  Mamoréfluß 15. 93.

  Manáos 24. 29. 77. 78. 80 ff. 147. 148. 158. 163. 167. 170. 172. 174.
  182. 187.

  Mandioka 39. 54. 165; s. auch Kassave.

  Mangroven 29. 31.

  Manicoré 89. 148. 151. 167. 168.

  Manoa 10.

  Manoelfluß 65.

  Mapirital 261.

  Marajó 33.

  Marajó-Bai 9. 37.

  Marañon s. Amazonenstrom.

  Marapity-Enge 87.

  Markham, Sir Ch. 145.

  Marmellosfluß 89. 135. 136. 167.

  Martinhofluß 53. 58. 59. 69.

  Martius 14.

  Mashishea 229. 230. 242.

  Matto Grosso 18. 25. 69. 72. 79. 80. 83. 233.

  Maues 79.

  Mauesindianer 79. 80.

  Maury, Leutnant 15.

  Mayorunasindaner 145.

  Micuims 42. 43.

  Miritypalme 60. 96. 108.

  Monteiro, Oberst 90.

  Montravel 14.

  Morales, Oberst C. 219.

  Moskitos 34. 95. 156. 164. 227. 228. 230. 248.

  Moß, Rev. Miles 29. 250.

  Moura 174.

  Mundurucusindianer 51 ff. 68. 121.

  Murasindianer 55. 87.

  Murez, de 14.

  Mutum-Paranáfluß 93 ff.


  Nambiquaras 52. 69. 158. 233.

  Napo, Rio 9. 11. 12. 191.

  Negro, Rio 77. 80 ff. 112. 170 ff. 182. 187.

  Neves, Major Tito 167. 168.

  Nonuyasindianer 217 ff. 223.

  Nüsse, Nußbäume 28. 44. 87. 102. 122. 168.


  Obidos 79. 83.

  Ocainasindianer 162. 184. 210. 213 ff. 222. 228. 252. 259.

  Orbigney, M. d’ 15.

  Orchideen 108. 188.

  Orejonesindianer 191.

  Orellana, Fr. 9. 11. 12. 14. 191.

  Orinoko 11. 13. 181.

  Orleanstrauch 129.

  Oroya 245.


  Pachiteafluß 224. 244.

  Pammarysindianer 99.

  Pampas Sacramento 14. 230 ff.

  Panasprache 228. 230. 236. 241.

  Pao d’arco 87.

  Papageien 42. 60. 109.

  Papageienschlange 110.

  Pará (Fluß) 22 ff. 32. 33. 37.

  -- (Stadt und Staat) 12. 37. 51. 92. 147. 170. 182.

  Parábucht 31. 34.

  Paraguay 19.

  Pará Gummi 28.

  Paressisindianer 72.

  Pariméfluß 175. 176. 177.

  Parintins 7.

  Parintintins 65. 98. 105. 117 ff. 136 ff. 153. 158. 165. 168.

  Pastazafluß 192.

  Paucartambofluß 251.

  Pazifischer Ozean 83. 192. 224. 230. 245. 262.

  Pebas 190. 191. 210.

  Pedras dos Ganchos 87.

  Pereira de Lemos, ~Dr.~ B. M. 84.

  Perenéfluß 224. 244 ff.

  Pernambuco 29.

  Perseverança 86.

  Peru 10. 15. 19. 28. 29. 103. 144. 170. 187. 190.

  Piau (?) 200.

  Pichisfluß 244.

  Pinzon, B. Y. 9. 14.

  Piranha 42. 165. 166. 226.

  Pirarucúfisch 79. 225.

  Piums 156. 228.

  Pizarro, Gonz. 10. 11. 12.

  Porto Velho 29. 83. 85. 91. 93 ff. 97. 99. 102. 111. 169.

  Prepriocassee 86.

  Prescott 11.

  Preto, Rio 106.

  Puerto Bermudez 244.

  Pumas 70.

  Punabi-Indianer 181.

  Pupunafluß 210.

  Purúsfluß 99.

  Putumayo 184. 190. 191. 209 ff. 222.


  Rabeques, R. 181. 182. 184.

  Raleigh, Sir W. 13.

  Reiher 42.

  Retiro 210.

  Rio de Janeiro 51. 182.

  „River of Doubt“ 15.

  Robuchon, E. 14. 222.

  Rodrigues 14.

  Rondon, General 15. 45. 83. 84. 148.

  Roosevelt, Th. 15. 148. 154.

  Roosevelt-Rondon-Expedition 148. 189.


  Sala, G. 239.

  Salinas 33.

  Sandfliegen 43. 156.

  Sandflöhe 43. 128. 156.

  S. Marcos 170. 176.

  Santa-Isabel 174.

  Sant’ Anna Nery, Baron 15.

  Santarem 43. 44. 76.

  Santiagofluß 14. 193.

  St. Paul 20.

  São Antonio 91. 92. 94.

  São Luis 49.

  São Paulo 51.

  São-Pedro-Missionsstation 90.

  Sarayacu (Fluß) 226.

  -- (Niederlassung) 226. 227. 229.

  Sarsaparille 228. 242.

  Saurez, Oberst 15. 92 ff.

  Schapú 138.

  Schildkröten 67. 163. 188. 202. 226.

  Schipibosindianer 238.

  Schopfhühner 42.

  Schwarzwasserfieber 159.

  See der Seekühe 195.

  Seekuh 188. 195. 202.

  Selfridge 14.

  Seringueros 23.

  Serpa 80.

  Serra de Parintins 12.

  Serrano-Indianer 245. 250.

  Serra Pacaraima 181.

  Serras do Barauana 174.

  Shaw 14.

  Silber 17.

  Sipapo 181.

  Smith, Herbert 56.

  Smyth, Leutnant 239.

  Solimões s. Amazonenstrom.

  Sonnenstich 36.

  Sotomayor, Juan 239.

  Spanien 11. 12.

  Spinnen 29. 43. 104.

  Spinnenaffen 114. 119.

  Spix, von 14.

  Spruce 14.

  Stärlinge 175.

  Stilltegürtel 33.

  Stradelli 14.

  Surumú 175. 176. 180. 181.

  Syphilis 204.


  Tabak 183. 218. 260.

  Tabatinga 189.

  Taboçal 88.

  Tacna 210.

  Tacuná-Indianer 190.

  Tambo 224. 252. 255. 259.

  Tapajóz 24. 25. 43 ff. 48 ff. 75. 89. 108. 121. 165. 200.

  Tapajóz-Madeira-Plateau 15. 37. 48 ff. 55.

  Tapire 98. 109. 111. 162. 201.

  Tarapaca 210.

  Tarma 247.

  Tarumáfälle 112. 172.

  Tauapersassu 174.

  Telegraphendienst, brasilianischer 15. 72.

  Telepatina s. Yagé.

  Tigréfluß 192.

  „Times“ 19. 185.

  Tocantinsfluß 22. 38.

  Trinidad 14.

  Tuberkulose 68. 204.

  Tucanaré 226.

  Tucumápalme 108. 163.

  Tupidialekt, -sprache 56. 65. 130. 143. 152. 153. 154. 158.

  Tupinambarana-Insel 79.

  Tupis 39.

  Turasindianer 102. 107. 137.


  Uapirkanasindianer 178. 180.

  Uaupé (Glanzkopf) 183.

  Uaupésfluß 182.

  Uaupésindianer 68. 166. 182 ff.

  Ucayalifluß 52. 108. 145. 146. 166. 224. 225 ff. 259.

  Uitotosindianer 210. 213 ff. 222.

  Ultimo Retiro 217.

  Ungoninosindianer 234. 235. 252 ff.

  Uramafluß 194.

  Uraricoera, Rio 170. 176. 181.

  Urua-Insel 88.

  Urubú 42. 77. 132.

  Urucurituba 86.


  Vaca Marina 192.

  Vampir 163. 164. 246.

  Vampirindianer s. Kaschibos.

  Vaqueros 177.

  Velasco 261.

  Venezuela 11. 19. 84. 170. 181.

  ~Victoria regia~ 160.

  Vista Alegre 87. 174. 175.


  Wallace 14.

  Waschbären 130. 138.

  Weltkrieg 20.

  Wickham 15. 45. 46. 56.

  Wildschweine 109. 162. 201.

  Woodroffe, J. F. 15.


  Yagé 218 ff.

  Yaguasfluß 210.

  Yáhuafluß 191.

  Yáhuas 9. 12. 190. 191.

  Yams 129. 183.

  Yavari 145. 146.

  Ypringa 86.

  Yukka 129. 204. 249. 259.




Neueste Reisewerke


~VILHJALMUR STEFANSSON~

Das Geheimnis der Eskimos

Vier Jahre im nördlichsten Kanada

Mit 85 Abbildungen und 2 Karten. Leinen M. 16.--

Ein Werk voller Abenteuer mit Indianern und Eskimos. Stefansson ist
einer der wenigen Forscher, die die Sprache der Eskimos verstehen, er
ist ihr Freund, so daß er ihre Art und den Einfluß der Zivilisation
auf sie wirklich beurteilen kann. Hier berichtet er in lebendiger
Erzählung von seiner ersten längeren Expedition nach dem Norden, auf
der er bewies, daß man auf solchen Reisen ohne jeden Proviant einzig
und allein vom Lande leben kann. Auf dieser Expedition machte er die
berühmte Entdeckung der blonden Eskimos, eines Stammes, der noch heute
im Zeitalter der Steinzeit zu leben scheint.


~HARRY PHILBY~

Das geheimnisvolle Arabien

Abenteuer und Entdeckungen. 2 Bände mit 73 ganzseitigen Abbildungen und
mehreren Karten. Leinen M. 30.--

Arabien, die Wiege des Islam, ist das unbekannteste Land der Erde.
Der Weltkrieg hat es erschließen helfen. Die Engländer haben zu dem
Herrscher der fanatischen Wahhabiten den Verfasser gesandt, der durch
wichtige Verträge die Araber an England fesselte. Auf dem Weg vom
Persischen Golf zum Roten Meer lernte er Land und Leute gründlicher
kennen als je ein Forscher vor ihm. Das Werk ist ein Markstein der
Erforschung Arabiens.


~FRIDTJOF NANSEN~

Unter Robben und Eisbären

Meine ersten Erlebnisse im Eismeer

Mit 83 Abbildungen und 7 Karten. Leinen M. 16.--

Fridtjof Nansen, der klassische Schilderer der Welt des Nordpols,
erzählt hier zum erstenmal die abenteuerlichen Erlebnisse, die er
als junger Mann von 21 Jahren auf seiner ersten Eismeerfahrt hatte.
Lebendig steht vor uns das Tun und Treiben der einem harten Beruf
ergebenen Fangschiffer und das Leben der vielgestaltigen Tierwelt
des Eismeers. Wir machen Jagden mit auf verschiedene Seehundarten,
Eisbären, Wale und auf menschenfressende Haie.


~F. A. BROCKHAUS / LEIPZIG~




Neueste Reisewerke


~G. I. FINCH~

Der Kampf um den Everest

Mit 88 Abbildungen und 2 Karten. Leinen M. 11.--

Zu den Bergsteigern, die sich am Mount Everest in erster Linie erprobt
haben, gehört Captain G. I. Finch. Seine Schilderung der hartnäckigen
Kämpfe um den höchsten Berg der Erde und der Mittel, um möglichst den
Gipfel endlich sicher zu erreichen, ist ein prächtiges Meisterstück der
Darstellungskunst. Eine sehr große Anzahl herrlicher photographischer
Aufnahmen und zwei Karten begleiten den Text.


~SVEN HEDIN~

Von Peking nach Moskau

Mit 74 Abbildungen auf Tafeln und 1 Karte. Leinen M. 15.--

Aus einer kürzlich beendeten Weltreise gibt Sven Hedin hier den
interessantesten Abschnitt. Er hat die neuen Sowjet-Republiken
kennengelernt und schildert sie mit dem klaren Blick des
unbestechlichen Forschers. Eine Fülle der wichtigsten Nachrichten im
Rahmen abenteuerlicher Erlebnisse breitet er vor dem Leser aus; die
Spannung nimmt zu, je mehr Hedin sich Moskau nähert, dem Mittelpunkt
der Herrschaft der Bolschewiki. Bedeutungsvolle Aufklärung empfängt
der Leser über die Durchdringung Asiens mit den Ideen Sowjet-Rußlands.
Jeder, der fragend und hoffnungsvoll die Blicke nach Osten richtet,
wird reich belehrt werden.


~F. W. UP DE GRAFF~

Bei den Kopfjägern des Amazonas

Sieben Jahre Forschung und Abenteuer.

Mit 31 Abbildungen und 1 Karte. Leinen M. 15.--

Der Verfasser, eine tollkühne Abenteurernatur, hat die Gabe
hinreißender Schilderung. Der Schauplatz seiner Taten ist das
unermeßliche Gebiet des geheimnisvollen Urwaldes des Amazonas.
Graff enthüllte unter Lebensgefahr das langgesuchte Geheimnis der
indianischen Kopfjäger.


~MERLIN MOORE TAYLOR~

Bei den Kanibalen von Papua

Auf unbekannten Pfaden im Innern Neuguineas.

Mit 67 Abbildungen und 1 Karte. Leinen M. 15.--

Ein Abenteuerbuch bester Art, spannend von der ersten bis zur letzten
Seite. Es behandelt die gefahrvolle Expedition eines Amerikaners in
die Berge Neuguineas, wo noch heute Menschenfleisch ein beliebtes
Nahrungsmittel darstellt. Taylor und seinen beiden weißen Gefährten
gelingt es, trotz Gefahren aller Art, täglich umlauert von Scharen
feindseliger Eingeborener, den Urwald zu durchdringen und weite
Strecken Landes kennenzulernen, die noch nie ein Weißer betreten hat.
Fesselnde Augenblicksbilder werfen Schlaglichter auf Gebräuche und
Anschauungen der Eingeborenen.


~F. A. BROCKHAUS / LEIPZIG~




Länder und Völker


Als erste Bände dieser neuen Reihe erschienen:


~EARL OF RONALDSHAY~

Indien aus der Vogelschau

Mit 40 Abbildungen und 1 Karte.

Leinen M. 13.--, Halbfranz M. 18.--

Ausschnitte aus der Geschichte, Beispiele indischer Bauweisen und
Altertümer, Umrisse aus dem staatlichen und wirtschaftlichen Leben
der Bewohner, Ausdrucksformen des religiösen Bewußtseins, Belege für
den unablässigen Kampf des Inders mit der Natur, mit dem Klima, mit
den Krankheiten -- aus solchen Teilansichten baut Ronaldshay, einer
der besten Kenner des Landes, ein Bild auf, das uns dieses ungeheure,
vielgestaltige Land klar vor Augen führt.


~SIR CHARLES BELL~

Tibet einst und jetzt

Mit 91 Abbildungen und 1 Karte.

Leinen M. 18.--, Halbfranz M. 23.--

Ein sachkundiges und gründliches, in seiner Geschlossenheit
einzigartiges Werk, das die Probleme des fernen Innerasiens aufs
wirkungsvollste beleuchtet. Vor nunmehr fünf Jahren ist Bell auf
persönliche Einladung des Dalai Lama mit einer offiziellen europäischen
Gesandtschaft über die sturmgepeitschten Hochflächen in das Herz des
geheimnisvollen Landes gezogen. Er kommt als Freund in die „verbotene
Stadt“ und findet als gern gesehener Gast des Gottkönigs überall ein
herzliches Willkommen.


~F. A. BROCKHAUS / LEIPZIG~


Druck von F. A. Brockhaus, Leipzig.




[Illustration: ~Karte zu Ch. W. Domville-Fife: Unter Wilden am
Amazonas.~

  ~Die Angaben: Karte 1, Karte 2 usw. beziehen sich auf die
  Kartenskizzen im Text.~

~Kartographische Anstalt von F. A. Brockhaus, Leipzig.~

  ~Copyright by Charles W. Domville-Fife.~]



*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 74678 ***