*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 77553 ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1923 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert.

Das Inhaltsverzeichnis wurde der Übersichtlichkeit halber an den Anfang des Buches versetzt.

Der Originaltext wurde in Frakturschrift gesetzt. Passagen in gesperrter Schrift wurden kursiv dargestellt.

Original-Einband

Der deutsche Spielmann

Eine Auswahl aus dem Schatze deutscher Dichtung
für Jugend und Volk

Herausgegeben von Dr. Ernst Weber

Bach und Strom

Der deutsche Strom,
wie er wird und was er uns bedeutet

Bildschmuck von Ernst Liebermann

Zweite, veränderte Auflage

München 1923
Georg D. W. Callwey Verlag des deutschen Spielmanns

Druck von Kastner & Callwey, München.

Inhalt

 
Seite
Geleitspruch des deutschen Spielmanns
Der Wanderer und der Bach (Greif)
Bachesgemurmel (Grillparzer)
Das Gerede der Wellen (Tanner)
Der junge Bach (Greif)
Großes Geheimnis (Reinick)
Bestimmung (Greif)
Am Mühlbach (Greif)
Wandlung (Greif)
Wellenleben (Keller)
Am Bach des Lebens (Weber)
Wie lustige Gesellen einen Müller foppen und wie er’s ihnen eintränkt (Aurbacher)
Die verlassene Mühle (Schnezler)
Als ich der Müller war (Rosegger)
Fisch und Falke (Keller)
Die Forelle (Müller)
Die Libelle (Goethe)
Der Fischer von Gotin (Kopisch)
Nixe Binsefuß (Mörike)
Am Schilfe (Greif)
Die Nixen (Rückert)
Vetter Michel und der Wassermann (Kopisch)
Mein Fluß (Mörike)
Das Lied vom braven Manne (Bürger)
Die vexierten Frösche (Kopisch)
Schlittschuhläufer (Plönnies)
Abendschiffahrt (Kerner)
Der Rheinborn (Meyer)
Am Vorderrhein (Keller)
Warnung vor dem Rhein (Simrock)
Sie sollen ihn nicht haben! (Becker)
„Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze!“ (Herwegh)
Bischof Hatto (Rollenhagen)
Der Mäuseturm (Kopisch)
Das Tal (Keller)
Rheinfahrt (Greif)
Die Zwingburg (Meyer)
Auf einer Burg (Eichendorff)
Gute Landung (Greif)
Vor dem Münster (Greif)
Sonntags am Rhein (Reinick)
Rheinbild (Scheffel)
Die Lorelei (Heine)
Die Jungfrau auf dem Lurlei (Schreiber)
Der Drachen-Schläger (Dahn)
Frühgesicht (Keller)
Siegfrieds Tod (Simrock nach dem Nibelungenlied)
Hagen und Volker (Weber)
Hagen (Scholz)
Der versenkte Hort (Simrock)
Rheinweinlied (Claudius)
Die Weinmörder (Kernstock)
Der Ritter vom Rheine (Geibel)
Das Lied vom Rhein (Schenkendorf)
Erhöre mich! (Schüler)

[S. 3]

Geleitspruch des deutschen Spielmanns

Wenn er uns könnte künden,
Was er geschaut, erlauscht,
Wenn wir das Wort verstünden,
Das seine Woge rauscht,
Ich glaube, wir vernähmen
Alldeutschlands reich Geschick,
Sein Trauern und sein Grämen,
Sein Jubeln und sein Glück.
Er schuf die Heeresstraßen
Der alten deutschen Mark,
Daran die Väter saßen
In Burgen stolz und stark,
Wo sie gewölbt die Hallen
Manch hohem, heilgem Dom —
Sei mir gegrüßt vor allen,
Gegrüßt, du deutscher Strom!
Ich weiß, es ist dein Raunen
Ein ewiges Gedicht,
Das allen Lebenslaunen
In seiner Art entspricht.
Die Sänger ferner Zeiten,
Sie hörten schon dir zu
Und griffen in die Saiten
Und sangen gern wie du.
Der deutsche Spielmann heiß ich,
Drum stimm auch ich mit ein.
Des Bächleins Mären weiß ich
Und die vom deutschen Rhein.
Und wer die blauen Wellen
Und Lieder liebt darauf,
Der nehm mich als Gesellen
Und Fahrtgenossen auf!
Der deutsche Spielmann

[S. 4]

Der Wanderer und der Bach

Wohin, o Bächlein, schnelle?
„Hinab ins Tal.“
Verhalte deine Welle!
„Ein andermal.“
Was treibt dich so von hinnen?
„Ei, hielt ich je?“
Willst du nicht ruhn und sinnen?
„Ja, dort im See.“
Bist du schon gram der Erden?
„Ich eile zu.“
Du wirst schon stille werden.
„Nicht minder du!“
Martin Greif

Bachesgemurmel

Erste Welle: Nu, nu!
Was willst du?
Zweite Welle: Hinunter!
Erste Welle: Hier ist mein Platz.
Zweite Welle: Kann nicht sein, Schatz!
Erste Welle: Ai! Ai! Sie schlägt mich!
Übrige Wellen: Nu, nu!
Keine Ruh?
Fließen doch alle dem Frieden zu.
Franz Grillparzer

Das Gerede der Wellen

Eine Welle sagt zur andern:
„Ach! Wie rasch ist dieses Wandern!“
Und die zweite sagt zur dritten:
„Kurz gelebt ist kurz gelitten!“
K. R. Tanner

[S. 5]

Ein Wanderer mit Wanderstab
  an einem Bach

[S. 6]

Ein kleiner Bach

Der junge Bach

Kaum, daß es geboren
Im Bergesschoß,
So reißt sich das Bächlein
Von Klippen los!
Wie wählt es so sicher
Den rechten Lauf,
Wie nimmt es so treulich
Die Brüder auf!
Und wann es beruhigt
Erst ganz und gar,
Wie leuchtet das Antlitz
Ihm frisch und klar!
Wie plaudert es gerne
Mit sich allein,
Dabei es doch möchte
Vernommen sein.
[S. 7]
O dürfte noch lange
Es wandern so,
Trotz nahender Sorgen
Noch jugendfroh!
Martin Greif

Großes Geheimnis

Es sitzt ein Knab am Bach
Und sieht den Wellen nach.
Sie sprudeln und sie rauschen,
Er denkt: „Ich muß doch lauschen
Was all die Wellen plaudern.“
Und ’s Knäblein ohne Zaudern
Es bückt sich zu dem Quellchen;
Da kommt ganz flink ein Wellchen
Gesprudelt und gerauscht —
Was hat es da gelauscht!
Doch kann es nichts verstehen,
Und eh es sich’s versehen,
Bückt es sich tiefer hin —
Und liegt im Wasser drin.
Zum Glücke war der Bach
Ganz hell und klar und flach:
Schnell sprang der Knab heraus
Und sah ganz lustig aus.
Und als ich ihn gefragt,
Was ihm der Bach gesagt,
Sprach er nach kurzem Zaudern:
„Ihr dürft es keinem plaudern.
Ein groß Geheimnis ist,
Was er mir sagte, wißt!
Er sagte: — Wißt Ihr, was? —
„Das Wasser, das macht naß!“
Robert Reinick

Bestimmung

Tob aus dich, junger Bach,
Wo du im Niederwälzen
Erhältst das Echo wach:
Im Schoße deiner Felsen,
[S. 8]
Hier oben darfst du drohn
Als freier Bergessohn,
Als Nachbar der Lawinen —
Im Tale mußt du dienen.
Martin Greif

Am Mühlbach

Wie herrlich ist’s zu träumen
Von ungehemmter Kraft,
Wo sich in Überschäumen
Der Gießbach Wege schafft.
Der, während seine Stärke
Dem ganzen Tale frommt,
Vom Mühl- und Hammerwerke
Im Schaume triefend kommt!
Heil ihm, wenn bis zum Ziele
Er also tätig bleibt,
Daß er noch manche Mühle
Auf seinem Wege treibt!
Martin Greif

Wandlung

Ich weiß in einem Tale
Einen Bach, der rührt sich kaum,
Zwei Mühlen mit einem Male
Bedecken ihn mit Schaum.
Sanft steigt er mit dem Rade,
Wild stürzt er mit Getos
Und netzt am Wiesenpfade
Wohl manche wilde Ros.
Erst geht er widerspenstig,
Doch bald schon wird er mild,
Da malt er ab vom Fenster
Einer lachenden Rose Bild.
Martin Greif
Eine Wassermühle im Tal

[S. 11]

Wellenleben

Sah ich eine junge Welle,
Die durch Alpenrosen floß
Und sich rauschend mit der Quelle,
Mit dem Strom ins Tal ergoß.
Schien der Himmel drin versunken,
Und war doch so leicht und klar,
Und ich hab davon getrunken,
Wie so frisch und rein sie war!
Bin dann auf dem Meer gelegen,
Wo das Kreuz am Himmel steht;
Nicht konnt unser Schiff sich regen,
In der Glut kein Lüftchen weht!
Schaut ich in die Wasser nieder,
In die Tiefen unverwandt
Und sah meine Welle wieder
Aus den Bergen, wohlbekannt.
Von dem heißen Strahl durchzittert,
Ja, sie war es, deutlich, nah!
Doch versalzen und verbittert,
Still und mutlos lag sie da.
Gottfried Keller

Am Bach des Lebens

Es saß im frischen Frühlingswind
Mit Augen, unschuldsfrommen,
Am klaren Bach ein Menschenkind,
Und wie halt Menschenkinder sind:
Es harrte auf sein Glück, sein Glück —
Doch dies wollt nimmer kommen.
Wohl schwammen Blumen rot und weiß
Den Wellenbach hinunter;
Da ward ihm Stirn und Wange heiß
Im Haschen nach dem Blütenpreis —
Im Haschen nach dem Glück, dem Glück —
Glücksblümlein war nicht drunter.
[S. 12]
Und eine Frau, gar licht und schön,
Strich tröstend ihm die Wangen,
So oft der Mut ihm wollt vergehn:
„Bleib nur noch ein klein Weilchen stehn!
Es kommt schon noch, dein Glück, dein Glück!
Du brauchst nicht drob zu bangen!“
Und Stund um Stund und Jahr um Jahr
Verrannen gleich der Welle.
Das Kind schon längst kein Kind mehr war;
Denn weiß wie Schnee ward ihm das Haar;
Doch immer noch: „Mein Glück? Mein Glück!“
Rief’s an der gleichen Stelle.
Und immer noch stand licht und schön
Das hohe Weib zur Seite
Und sprach, wollt ihm der Mut vergehn:
„Bleib nur noch ein klein Weilchen stehn!
Es kommt schon noch, dein Glück, dein Glück!“
Und wies in ferne Weite. —
Und wer die beiden auf der Au
Nicht gleich erkennen sollte,
Der wähl sein eigen Herz zur Schau;
Ich glaub, drin wohnt die lichte Frau
Mit ihrem Trost, mit ihrem „Glück“ —
„Frau Hoffnung“ nennt sich die Holde!
Ernst Weber

Wie lustige Gesellen einen Müller foppen und wie er’s ihnen eintränkt

Es kamen einstmals einige lustige Gesellen, die sich auf dem Wege verirrt hatten, spät abends in einer einsam gelegenen Mühle an, wo sie um Herberg nachsuchten. Der Müller, ein leutseliger Mann, nahm sie freundlich auf und versah sie aufs beste mit Brot, Käs und Bier dazu. Also aßen und tranken sie bis in die späte Nacht hinein und trieben dazu allerlei Kurzweil mit guten Schwänken, an denen auch der Müller großen Gefallen hatte. Da konnte es denn nicht fehlen, daß es zuletzt auch über die Müller herging, welchen freilich viel Böses nachgesagt wird, [S. 13]nicht mit Unrecht. So fragte denn der erste den Müller, ob er wohl wisse, was das Beste sei in der Mühle? Der Müller antwortete: „Nun, ja wohl, die vollen Säcke.“ „Nein,“ sagte jener, sondern daß die Säcke nicht reden können; denn — —“ „Schon gut,“ sagte der Müller, „ich versteh’s, wo’s hinaus will.“ Ein zweiter fragte den Müller, ob er wisse, warum die Störche auf keiner Mühle ihr Nest bauen? Der Müller sagte: „Nun ja, weil die klappernden Störche die klappernden Mühlen nicht leiden mögen.“ „Schlecht erraten,“ sagte jener, „sondern weil die Störche wissen, daß nicht einmal ihre Eier vor den Müllern sicher seien.“ „Oho!“ sagte der Müller und lachte, „aufs Dach gehen wir doch nicht hinauf, solang es was zu fischen gibt in der Mühle.“ — Ein dritter nahm das Wort und sprach: „Welcher Müller versteht am besten sein Handwerk?“ Der Müller sagte: „Wohl derjenige, der aus dem wenigsten Korn das meiste Mehl macht.“ „Mitnichten,“ sagte jener, „sondern der das Korn und das Mehl so fein mahlt, daß die Leute kaum wieder die Säcke finden.“ — Der vierte sagte: „Ich verstehe auch etwas vom Handwerk und habe oft auf der Mühle zugeschaut, wie’s da zugeht. Wenn man das erste Wasser in der Mühle anläßt, so geht sie anfangs gar langsam und sagt gleichsam: Es ist ein Dieb da! Es ist ein Dieb da! Wenn man das zweite laufen läßt, so geht sie schon etwas geschwinder und spricht gleichsam: Wer ist er? Wer ist er? Endlich, wenn das dritte Wasser dazukommt, so geht sie gar geschwind und antwortet: Der Müller, der Müller, der Müller.“ Es sagte darauf der fünfte: „Wenn denn alle Müller Diebe sind, wie kommt es denn, daß man sie nicht alle aufhängt gleich andern Dieben?“ „Narr,“ sagte der sechste, „da würde ja das ganze Handwerk in Abgang kommen, und man kann es doch nicht missen.“ Zuletzt langte der siebente seine Fiedel hervor und sprach: „Ich will dem Müller lieber eins aufgeigen,“ und er sang:

„Müller, Müller, Metzendieb,
Hast die jungen Mädle lieb,
Eile, Müller, schütte drauf,
Gib der Mühle schnellen Lauf.
Nimm fein recht das Beutelgeld,
Daß kein Heller neben fällt.“
Die lustigen Burschen zu
  Gast beim Müller

So ging’s denn fort und die Gesellen hatten ihr Gespött mit dem Müller, und der Müller machte auch kein schiefes Maul dazu. Er dachte aber bei sich: „Wartet, ich will’s euch schon eintränken.“ [S. 14]— Als sie nun schlafen gehen wollten, sprach der Müller, er habe nur eine einzige Kammer leer, unter dem Taubenschlag droben, und zu der müsse man auf schlechter Stiege unter freiem Himmel hinaufsteigen. Den Gesellen war das gleichviel. Und sie brachen auf und stiegen die Staffeln hinan, und sie merkten wohl, daß sie steil und schlecht seien zum Halsbrechen. Und als sie nun alle auf der Stiege standen — es war aber das große Wasserrad — so zog der Müller unversehens den Schluß auf, und, hopps! purzelte einer nach dem andern in den Gumpen hinab wie Frösche, und sie zwatzelten und plätscherten drin herum wie Pudelhunde, die das Schwimmen lernen. Ersoffen ist jedoch keiner, und das kalte Bad hat ihnen weiter auch nicht geschadet. Der Müller sagte, es tue ihm leid, daß die Stiege gebrochen sei, und sie müßten nun schon in der Stube vorlieb nehmen. Das taten sie denn auch, und sie schliefen gar wohl. Des andern Tags sahen sie nun freilich, was das für eine Bewandtnis gehabt habe mit der Stiege, und der Müller lachte sie brav aus und sagte: „Da habt ihr nun ein Stückchen mehr zu erzählen von den Müllern.“ Der Fiedler aber stimmte seine Geige und spielte ihnen was auf und sang:

„Die Mühlen, die klappen,
Die Knappen, die schnappen,
Die Beutel, die strotzen,
Die Müller, die trotzen —“

und so weiter.

Als sie endlich aufbrechen wollten und nach der Zeche fragten, sagte der Müller, sie hätten dieselbe schon gestern bezahlt; [S. 15]sie sollten nur damit vorlieb und nichts für ungut nehmen. Also sind sie als gute Freunde voneinander gegangen.

Ludwig Aurbacher

Die verlassene Mühle

Das Wasser rauscht zum Wald hinein,
Es rauscht im Wald so kühle,
Wie mag es wohl gekommen sein
Vor die verlaßne Mühle?
Die Räder stille, morsch, bemoost,
Die sonst so fröhlich herumgetost,
Dach, Gäng und Fenster alle
Im drohenden Verfalle.
Allein bei Sonnenuntergang,
Da knisterten die Äste,
Da schlichen sich den Bach entlang
Gar sonderbare Gäste,
Viel Männlein grau, von Zwergenart,
Mit dickem Kopf und langem Bart,
Sie schleppten Müllersäcke
Daher aus Busch und Hecke.
Und alsobald im Müllerhaus
Beginnt ein reges Leben,
Die Räder drehen sich im Saus,
Das Glöcklein schellt daneben;
Die Männlein laufen ein und aus,
Mit Sack hinein und Sack heraus,
Und jeder von den Kleinen
Scheint nur ein Sack mit Beinen.
Und immer toller schwärmten sie
Wie Bienen um die Zellen,
Und immer toller lärmten sie
Durch das Getos der Wellen;
Mit wilder Hast das Glöcklein scholl,
Bis alle Säcke waren voll
Und klar am Himmel oben
Der Vollmond sich erhoben.
[S. 16]
Da öffnet sich ein Fensterlein,
Das einzige noch ganze,
Ein schönes, bleiches Mägdelein
Zeigt sich im Mondesglanze
Und ruft vernehmlich durchs Gebraus
Mit süßer Stimme Klang heraus:
„Nun habt ihr doch, ihr Leute,
Genug des Mehls für heute!“
Da neigt das ganze Lumpenpack
Sich vor dem holden Bildnis,
Und jeder sitzt auf seinem Sack
Und reitet in die Wildnis;
Schön Müllerin schließt’s Fenster zu,
Und alles liegt in alter Ruh.
Des Morgens Nebel haben
Die Mühle ganz begraben.
Und als ich kam am andern Tag
In trüber Ahnung Schauern,
Die Mühle ganz zerfallen lag
Bis auf die letzten Mauern;
Das Wasser rauschet neben mir hin,
Es weiß wohl, was ich fühle,
Und nimmermehr will aus dem Sinn
Mir die zerfallne Mühle.
August Schnezler

Als ich der Müller war

Nicht gar weit vom Hause, zwischen und unterhalb von Feldrainen und Wiesenlehnen, ist eine Schlucht. Sie ist voll dichten und hohen Erlen- und Haselnußgebüsches, zwischen welchen Germen, Schierling und Sauerampfer wuchern. Unter diesen Gewächsen rieselt ein Wasser, das seinerzeit zuweilen nur von einem durstigen Krötlein aufgesucht wurde, sonst aber, so klar und frisch es war, ganz unbeachtet blieb, bis unser Nachbar, der Thoma, dem die Schlucht gehörte, eine Mühle in dieselbe baute. Die Mühle stand so versteckt im Gebüsche, daß ich, wenn ich bei meiner Rinderherde auf dem Wiesenraine stand, vergebens nach derselben gespäht hätte, wenn an ihr und hoch über den Gesträuchen nicht [S. 17]zwei Tannen emporgeragt haben würden. Auf diesen Tannen saß gern ein Habicht und pfiff zu mir und meinen Rindern herüber, daß ich vor Grauen in Gedanken oft ein heilig Vaterunser betete. Auch vor der Mühle fürchtete ich mich; sie kam mir mit ihren ewigen Schatten und traurigem Wasserrauschen schier so schauerlich vor, wie jene im Märchen meiner Mutter, in der die schöne einschichtige Müllerstochter zwölf Räuber mit der breiten Mühlhacke geköpft hat.

Da kam aber eine Zeit, in der ich näher mit der Mühle im Schierlinggraben Bekanntschaft machen sollte.

Unsere schöne Mühle im lichten Wiesentale, in der ich meinem Vater so oft das Korn mahlen half, war in einer Nacht niedergebrannt bis auf die zahllosen Eisennägel und die zwei Mühlsteine, die ganz dunkelrot angelaufen und dann in mehrere Stücke auseinander gefallen waren. Das Wasserrad am halbverkohlten Gründel allein war stehen geblieben, und auf dasselbe schoß der Mühlbach nieder, und das Rad lief und tanzte in hastiger Eile wie närrisch. Verrückt war es geworden ob des Unglückes. Und erst, als mein Vater den Mühlbach ab in den Fluß leitete, blieb das Rad stehen und stand viele Jahre lang hoch und kohlschwarz und unbeweglich über dem Schutt.

Ich und mein Vater hatten alle Eisennägel zusammengesucht auf der Brandstätte, aber der Schmied gab uns dafür nur fünfundzwanzig Groschen, und die Mühle konnten wir nicht mehr aufbauen.

Da ging mein Vater zum Nachbar Thoma und fragte an, was er Gegendienstes leisten müsse, wenn er die Mühle im Schierlinggraben an Tagen, da sie leer stehe, benützen dürfe.

Der Thoma legte meinem Vater einen Brotlaib vor; er möge sich abschneiden, nur ein recht groß Stück, er, der Nachbar, habe gut Korn gebaut. Ja, und von wegen der Mühle, die könne er, mein Vater, schon haben; so einen, zwei Tage die Woche stehe sie ja leer; und eines Gegendienstes wegen könne keine Rede sein; er, mein Vater, sei mit dem Feuer unglücklich gewesen; ja, und das könne jedem geschehen, solle sich nur noch Brot abschneiden, ein rechtschaffen Stück. Gesegne Gott! Gesegne Gott!

In unserem Hause ist mein Vater selbst der Mühlesel gewesen. Und so stieg er eines Tages, den Kornsack auf der Achsel, nieder in den Schierlinggraben. Ich, ein blöder Junge, war entweder hinter meinen Rindern oder hinter meinem Vater her; [S. 18]mein Vater war mir stets der unfehlbarste und erste Mensch auf Erden, und alle andern Leute liefen nur so neben mit; nur der Pfarrer und der Amtmann ausgenommen, die standen höher; der eine hielt’s ganz mit Gott, der andere mit dem Kaiser — und mit uns hielt’s keiner von beiden.

So wand ich mich denn hinter meinem Vater durch das Erlen- und Haselnußgebüsch der Mühle zu. Und als wir vor derselben standen, zog mein Vater einen hölzernen Schlüssel aus dem Sack, sperrte die graue, niedrige Tür auf, und wir standen jetzt in der finsteren Mühle, in welcher nur der staubige Mehlkasten und über demselben das Steingehäus und die Aufschüttmulde uns matt entgegenblickten. Wir stiegen über sechs oder acht Stufen empor zum Schüttboden; an die braune, spinnwebige Wand desselben waren mehrere Heiligenbilder geklebt, eine Art Hausaltar, an dem auch ein grünes Weihbrunngefäßchen gängelte. Mein Vater besprengte sich damit; dann leerte er seinen Kornsack in die Schüttmulde und guckte noch ein wenig durch ein Fensterchen auf das stetig rauschende Wasserfloß hinaus und zwischen den Fugen in die Radstube hinab, aus welcher erst eine rechte Finsternis hervorglotzte. Und als er sah, daß alles in Ordnung, tauchte er mit beiden Händen eine aus der Wand stehende Stange nieder. Da wurde es lebendig. Zuerst hörte ich einen einzelnen Klapper, bald einen zweiten, dritten; der Boden hub sachte an zu dröhnen, zu schütteln; das Klappern wurde schneller und schneller und kam endlich in ein gleichmäßiges Rollen und Klirren und Schrillen. Es ging die Mühle.

Von dem zitternden Schnabel der Schüttmulde rieselte das braungelbe Brünnlein des Kornes in den Steinhals, an welchem seines raschen Laufes wegen weder ein Kern, noch ein Maserchen zu erkennen war.

Mein Vater unterwies mich in den Dingen, auf daß auch ich das Müllern lerne, und machte endlich die Decke des Mehlkastens auf, in dem bereits der feine, weiße Staub des Mehles flog.

Erst spät abends — als es schon so finster war, daß ein zur Tür hereinsprühendes Johanniswürmchen mich ins Herz hinein erschreckte, weil ich im Augenblick wähnte, es sei ein Feuerfunke und es hebe auch diese Mühle zu brennen an — drückte mein Vater wieder an der Wandstange; da wurde das Klirren und Klappern langsamer, noch dröhnte und ächzte das Räderwerk träg [S. 19]und träger, dann stockte es und war verstummt. — Mir klang es in den Ohren, und draußen rauschte wieder das Wasser.

Die kohlschwarze Stina nachts
  unterwegs

Mein Vater besprengte Steingehäus und Mehlkasten mit dem Weihwasser, auf daß über Nacht kein Unglück komme; dann verschloß er die Tür mit dem hölzernen Schlüssel, und wir stiegen durch das wilde Gesträuche und über die Wiesen- und Feldlehnen hinan zu unserm Hause. Als wir über die Leinwandbleiche [S. 20]gingen, huschte ein Weibsbild an uns vorbei und hin über den Anger, auf welchem die Eschen und die Kirschbäume standen.

„Ich denk gar, das ist die kohlschwarze Stina gewesen,“ sagte mein Vater vor sich hin, „wie närrisch lauft denn die herum in der Nacht!“

„Der wäre es sicher nicht uneben gewesen, wenn sie unsere Bleichleinwand noch gefunden hätt auf dem Anger,“ meinte meine Mutter daheim.

„Ei, das kannst nicht wissen,“ sagte mein Vater ablehnend. „Sie macht sich ihr Brot bei der Kohlenbrennerei, und Schlechtes kann man ihr doch just gerade eben nicht gar recht viel nachsagen.“

„Gutes auch nicht,“ versetzte die Mutter, dann war nicht weiter mehr davon die Rede.

Wir gingen zum Abendessen. Nach diesem setzte sich meine Mutter zum Spinnrad und sang ein Lied und erzählte ein Märchen. Das Märchen von der weißen Frau, wie sie um Mitternacht durch das Ritterschloß schwebt und mit dem blutigen Dolche eine Unglücksprophezeiung an die Wand schreibt — es ließ mir die ganze Nacht keine Ruhe, und ich kroch aus Angst und Furcht vor der weißen Frau dem alten Einleger-Jobst, bei dem ich schlief, schier hinters Hemd hinein.

Am andern Morgen, als wir aufstanden, war die Nachricht da, mein Vater müsse eilends roboten gehen. Zwar war es schon ein Stück Weile nach dem Jahre des Heiles achtundvierzig, aber unser guter Verwalter hielt stets noch an der ehrwürdigen Sitte, die Bauern ins Joch zu spannen, und die Bauern bogen willig ihre sonst so steifen Nacken.

Mich aber traf’s an diesem Morgen wie ein Donnerschlag; „Bub,“ sagte der Vater zu mir, „so mußt heut du der Müllner sein unten im Schierlinggraben.“

Noch ging er mit mir hinab, um die Tür aufzuschließen und die Mühle anzurichten.

Ersteres wäre nicht nötig gewesen; die Tür war kaum verriegelt und mein Vater brummte: „So ein hölzern Schloß ist just für die Katz; der erst best Bettelmann taucht mit dem Stock den Riegel in Scherben.“

Dann gab mir der Vater noch Verhaltungsmaßregeln; unterwies mich, wie man mittels der Wandstange das Wasser vom Holzfloße leite, daß es seitwärts tief in das steinige Bett hinabstürze und die Mühle stehen bleibe. Ferner bereitete er mir [S. 21]einen Kübel Wassers auf dem Schüttboden, „im Falle, daß was sein sollte“. Er dachte ans Feuer. Dann ging er, und ich war allein in der dunklen, klappernden Mühle.

Mir war, als obläge mir die Sorge über eine ganze wildwirbelnde Welt. Ich schlich und spähte herum, ob überall alles in Ordnung; ich guckte in die Aufschüttmulde; es rieselte immer aus ihr, aber sie wollte nicht leerer werden. Ich hub in Gedanken an zu zählen und dachte, bis ich fünftausend gezählt hätte, würde das Korn wohl zur Rüste sein; aber ich zählte bis zehntausend, zählte bis — da war mir plötzlich, als stiege aus dem Mehlkasten Rauch empor.

Ich stürzte zur Stange, bald stand das ganze Radwerk still und ich sah, es war nicht Rauch, es war nur Mehlstaub gewesen.

Ich richtete die Mühle wieder an und wurde nun etwas zuversichtlicher. Aber in dieser ewigen Dunkelheit des alten Baues, in diesem fortwährenden Tosen und Klirren wurde ich anderartig aufgeregt ... Ich spähte nach rechts und nach links und gegen die dunkelsten Winkel hin. Was gängelt doch das Weihbrunngefäß in einem fort! — Schon wieder wollt ich zur Wandstange eilen, da ist plötzlich ein Gepuster und Gepolter — siehe dort! — langsam und von sich selbst hebt sich der Deckel des Mehlkastens, eine Gestalt, eine Menschengestalt richtet sich auf im Kasten, — bleich ist sie bis in die Augen, bis in den Mund hinein. Jesus und Heiland! Die weiße Frau! — Meine Augen wollen vergehen vor Schreck; aber sie sehn es noch, wie die Gestalt polternd aus dem Kasten steigt und hinaushuscht zur Tür.

Ich bin sehr erschrocken; aber der Schreck war verhältnismäßig kurz gewesen. Die Hast und Eile des Gespenstes kam mir verdächtig vor; ein ordentlicher Geist weiß sonst stets Würde und Anstand zu bewahren.

Wenn das ein Mensch gewesen wäre, ein schlechter Mensch, ein Mehldieb, den wir des Morgens in der Mühle überrascht und der sich in den Kasten verkrochen? — Noch immer wirbelte der weiße Staub aus dem Mehlkasten auf. Ich guckte zum Fensterchen hinaus. Ich sah, wie die weiße Gestalt durch das Gesträuche kroch. Zuweilen, wo das Gebüsche eben recht dicht war, blieb sie ein wenig kauern und lauerte; sie meinte wohl, von der Tür aus müsse sie verfolgt werden, aber ich beobachtete sie durchs Fensterchen. Sie strich ängstlich hin und her, kroch endlich durch Erlen und hohe Germen und Sauerampfer in das steinige Bett des [S. 22]Baches, über welchen das Mühlfloß ging. Hier in dem tiefen Graben mochte sie sich sicher denken; mir aber kam ein verteufelter Gedanke. — „Jetzt, bist du ein Geist oder nicht,“ dachte ich, „frisch Wasser ist eine Gottesgabe; das kann nicht schaden.“

Sofort rückte ich die Wandstange, und in demselben Augenblicke kreischte ein heller Schrei draußen im Wassergraben, in welchen das ganze Mühlwasser niederschoß auf die weiße Gestalt.

Diese blieb sie aber nicht lange; kaum sie sich soweit aus den Fluten hervorgearbeitet hatte, daß ich sie wieder sehen konnte, war sie nicht mehr weiß, war fahlgrau, war braun, wie die kohlschwarze Stina.

Sie hatte sich so sehr in ihre nassen Kleider und in das Gestrüppe verwickelt und verkettet, daß sie noch hübsch an Ort und Stelle war, als ich zu ihr hinauskam.

„Stina!“ sagte ich, „hast du uns wollen das Korn stehlen oder das Mehl“

Da wollte sie mit einem Steine nach mir werfen. Darüber erhob ich einen gewaltigen Lärm, und als auf denselben der Nachbar Thoma, der in der Schlucht Zaunstangen gehackt hatte, herbeikam, war die davonwatschelnde Stina noch zu sehen.

„Mach dir nichts draus, daß dich mein Mühlwasser schwarz gewaschen hat,“ rief er ihr nach, „in der Haftstuben wirst schon wieder trocken werden. Mein Weib freilich, die hängt die nassen Lumpen zum Trocknen an den Strick!“

Hierauf untersuchten wir den Mehlkasten; da drin war arg gewirtschaftet worden, und hätte der brave Mehlstaub die Diebin nicht noch rechtzeitig aus dem Schlupfwinkel getrieben, ich und mein Vater, wir hätten das Korn nicht für uns gemahlen.

Ich richtete die Mühle nicht mehr in den Gang; der Thoma faßte das Mehl in einen Sack und trug es hinauf in unser Haus.

Dann ging er und fing die Kohlschwarze ein.

Die Mühle im Schierlinggraben steht heute noch und ist versteckt unter den Büschen.

Das Mehl, das ich gemahlen, ist längst gebacken und gegessen, die kohlschwarze Stina längst trocken und vergessen.

Peter Rosegger

Fisch und Falke

Ein Fischlein steht am kühlen Grund,
Durchsichtig fließen die Wogen,
[S. 23]
Und senkrecht ob ihm hat sein Rund
Ein schwebender Falk gezogen.
Der ist so lerchenklein zu sehn
Zuhöchst im Himmelsdome;
Er sieht das Fischlein ruhig stehn
Glänzend im tiefen Strome!
Und dieses auch hinwieder sieht
Ins Blaue durch seine Welle,
Ich glaube gar, das Sehnen zieht
Eins an des andern Stelle!
Gottfried Keller

Die Forelle

In der hellen Felsenwelle
Schwimmt die muntere Forelle,
Und in wildem Übermut
Guckt sie aus der kühlen Flut,
Sucht, gelockt von lichten Scheinen,
Nach den weißen Kieselsteinen,
Die das seichte Bächlein kaum
Überspritzt mit Staub und Schaum.
Sieh doch, sieh, wie kann sie hüpfen
Und so unverlegen schlüpfen
Durch den höchsten Klippensteg,
Grad, als wäre das ihr Weg!
Und schon will sie nicht mehr eilen,
Will ein wenig sich verweilen,
Zu erproben, wie es tut,
Sich zu sonnen aus der Flut.
Über einem blanken Steine
Wälzt sie sich im Sonnenscheine,
Und die Strahlen kitzeln sie
In der Haut, sie weiß nicht wie;
Weiß in wähligem Behagen
Nicht, ob sie es soll ertragen,
Oder vor der fremden Glut
Retten sich in ihre Flut.
[S. 24]
Kleine, muntere Forelle,
Weile noch an dieser Stelle
Und sei meine Lehrerin:
Lehre mich den leichten Sinn,
Über Klippen wegzuhüpfen,
Durch des Lebens Drang zu schlüpfen
Und zu gehn, ob’s kühlt, ob’s brennt,
Frisch in jedes Element!
Wilhelm Müller

Die Libelle

Es flattert um die Quelle
Die wechselnde Libelle,
Mich freut sie lange schon:
Bald dunkel und bald helle,
Wie das Chamäleon,
Bald rot, bald blau,
Bald blau, bald grün;
O daß ich in der Nähe
Doch ihre Farben sähe!
Sie schwirrt und schwebet, rastet nie!
Doch still, sie setzt sich an die Weiden.
Da hab ich sie! Da hab ich sie!
Und nun betracht ich sie genau
Und seh ein traurig dunkles Blau.
So geht es dir, Zergliedrer deiner Freuden!
Wolfgang v. Goethe

Der Fischer von Gotin

Was regt sich dort um Mitternacht?
Elz hat das Netz zu Strand gebracht,
Die Havel hegt viel Fische.
Da ruft’s von drüben mit fremdem Laut:
„Hol über!“ so wüst, daß Eulen graut,
Elz aber frägt: „Wer ruft da?“
„Hol über!“ ruft’s mit grimmem Ton;
Ein andrer wär da bald entflohn,
Elz aber ruft: „Wer seid Ihr?“
[S. 25]
„Hol über!“ ruft’s mit solcher Wut,
Daß her zum Nachen rauscht die Flut,
Elz aber nimmt das Ruder,
Kennt keine Furcht und keinen Schreck,
Er springt ins Schiff und rudert keck,
Bis er gelangt zum Strande.
Der Fischer und sein grausiger
  Fährgast
Da schleppt sich herab aus wildem Wald
Eine riesig dunkle Graungestalt
Ins Schiff wie mit bleiernen Füßen,
[S. 26]
So schwer, daß fast es niedergeht.
Doch Elz stößt ab das Boot und steht
Hochschwebend am andern Ende.
Wie auch das schwanke Holz erkracht,
Elz stehet fest und lenkt’s mit Macht
Hin durch den Strom der Havel.
Der Fremde blickt ihn furchtbar an,
Elz wieder ihn, als echter Mann,
Und schwingt gemach das Ruder,
Und wie er kommt zum andern Strand,
Steigt schweren Tritts der Gast ans Land,
Elz aber heischt das Fährgeld.
„Es liegt im Schiff, worin ich saß,
Den keiner zu fahren sich je vermaß,
Als du allein, du Kühner!
Denn wisse, daß der Tod ich bin:
Ich ziehe vor Tage nach Gotin,
Und alles wird da sterben.
Nur du sollst spät mich sonder Graun
Mit leichten Flügeln wiederschaun
Als sanften Seelenlöser.“
So sprach der Riese und verschwand,
Elz aber sah ins Schiff und fand
Es strahlend voll von Golde.
August Kopisch

Nixe Binsefuß

Des Wassermanns sein Töchterlein
Tanzt auf dem Eis im Vollmondschein,
Sie singt und lachet sonder Scheu
Wohl an des Fischers Haus vorbei.
„Ich bin die Jungfer Binsefuß,
Und meine Fisch wohl hüten muß,
Mein Fisch, die sind im Kasten,
Sie haben kalte Fasten;
Von Böhmerglas mein Kasten ist,
Da zähl ich sie zu jeder Frist.
Gelt, Fischermatz? Gelt, alter Tropf,
Dir will der Winter nicht in Kopf?
Die Nixe Binsefuß tanzt
  nachts ums Haus

[S. 29]

Komm mir mit deinen Netzen!
Die will ich schön zerfetzen!
Dein Mägdlein zwar ist fromm und gut,
Ihr Schatz ein braves Jägerblut.
Drum häng ich ihr, zum Hochzeitsstrauß,
Ein schilfen Kränzlein vor das Haus,
Und einen Hecht, von Silber schwer,
Er stammt von König Artus her,
Ein Zwergen-Goldschmieds-Meisterstück.
Wer’s hat, dem bringt es eitel Glück:
Er läßt sich schuppen Jahr für Jahr,
Da sind’s fünfhundert Gröschlein bar.
Ade, mein Kind! Ade für heut!
Der Morgenhahn im Dorfe schreit.“
Eduard Mörike

Am Schilfe

Mir kommt es vor zuweilen
Am nahen Schilf,
Als hört ich’s leis sich teilen
Und lispeln: hilf!
Der Laut — soll es geschehen,
Daß er mich täuscht?
Die Winde drüber gehen,
Der Reiher kreischt.
Wollt nie mir Binsen schneiden
Als Kind am Teich,
Als könnte was erleiden
Den Todesstreich.
Es war als wie ein Grinsen
Und ein Genick
Der langen schwarzen Binsen —
Ich floh zurück.
Doch stellt am andern Morgen
Ich neu mich ein,
Als müßt, was dort verborgen,
Mir sichtbar sein.
[S. 30]
Als ob es mich umfassen
Mit Bitten wollt,
Als ob ich’s nicht verlassen
Im Leide sollt.
Martin Greif

Die Nixen

Die Nixen han im Fluß viel Fisch,
Doch wollen’s Fleisch für ihren Tisch.
Ein Nixlein hätt auch Fleisch gewollt,
Doch fand’s in seinem Fluß kein Gold.
Da nahm’s vom Karpfen Schuppen blank,
Trug sie ins Dorf zu Metzgers Bank.
Er strich für bare Münz es ein,
Und fand die Schuppen hinterdrein.
Und als es ihm dreimal war geschehn,
Da mußt er’s seiner Frau gestehn.
Da sprach das Weib zum Metzger schlau:
„Das tut gewiß die Wasserfrau.“
Drauf, als das Nixlein wiederkam,
Der Metzger scharf ins Aug es nahm.
Da war sie rings am ganzen Leib
Getan als wie ein andres Weib.
Nur hinten ihres Rockes Saum
War wie getaucht in Wasserschaum.
„Nun, fremdes Weiblein, tritt heran,
Daß ich dein Fleisch dir hauen kann.“
Sie wirft die Schuppen auf den Tisch
Und greift nach ihrem Fleische frisch.
[S. 31]
Doch eh sie recht es angepackt,
Ist ihr der Finger abgehackt.
Ihr Blut bespritzt die Metzgerei,
Und sie erhebt ihr Wehgeschrei.
Und aus der Flur und aus dem Wald
Erklingt es wieder tausendfalt.
Die Nixen kommen all herbei
Und fragen, was geschehen sei.
Und als sie’s ihnen kundgetan,
Da heben sie ihr Wesen an.
Da wird dem Metzger schlimm zu Mut
Vor dem vergoßnen Nixenblut.
Sie ziehn einher aus Fluß und Bach
Mit ihren Wogen tausendfach.
Sie wollen all mit ihrer Flut
Aufwaschen ihrer Schwester Blut.
Da waschen sie so lang ums Haus,
Bis es zerfällt in Schutt und Graus.
Sie waschen ums ganze Dorf so lang,
Bis das Wasser es gar verschlang.
Friedrich Rückert

Vetter Michel und der Wassermann

Vetter Michel hatte dem Wassermann,
Ich weiß nicht was, verschafft;
Da wurden sie einig und tranken dann
Zusammen Brüderschaft. —
„Die Brüderschaft mit dem Wassermann,
Wer weiß, wozu die gut sein kann?“ —
Sie aßen an einem runden Tisch
Und tranken fröhlich Wein:
[S. 32]
„Bruder Michel, hast du Lust zu Fisch,
Kannst du mein Gästchen sein.“ —
„Fisch essen mit dem Wassermann,
Wer weiß, wozu das gut sein kann?“
Vetter Michel ging mit ihm hinab
In Wassermannes Haus.
Er merkte den Weg sich gut hinab,
Das Haus sah gläsern aus.
Er geht hinein mit dem Wassermann:
„Wer weiß, wozu das gut sein kann?“
Sie aßen gut, sie tranken gut,
Der Wassermann war dumm,
Vetter Michel hatte guten Mut,
„Komm, führ mich im Haus herum!“ —
Da führt ihn herum der Wassermann:
„Wer weiß, wozu das gut sein kann?“
Und wie sie treppauf und nieder gehn,
Sieht Michel Topf an Topf
Gestülpt in einer Kammer stehn
Und schüttelt mit den Kopf:
„Möcht wissen, was dir Wassermann
So vieles Topfzeug nützen kann?“
Da sprach er: „Unter den Töpfen sind —“
Und lachte sich in die Hand —
„Die Seelen von allerlei Menschenkind,
Das Tod im Wasser fand.“ —
Vetter Michel denkt: „Herr Wassermann,
Ich weiß, wozu das gut sein kann!“
Und wie darauf, ein andermal,
Verreist der Wassermann,
Steigt Michel hinunter und schleicht im Saal
Zur Kammer flink hinan. —
„Die Brüderschaft mit dem Wassermann,
Nun weiß ich, wozu sie gut sein kann!“
[S. 33]
Vetter Michel stülpt alle Töpfe um:
„Die Katz ist nicht zu Haus!“ ...
Die Seelen saßen so lange krumm.
Husch, husch, wie flogen sie aus!
„Lauf Michel, lauf, eh der Wassermann
Am Kripse dich erwischen kann!“
Vetter Michel lässt die
  Seelen der Ertrunkenen frei
Doch Michel stülpt unter jeden Topf
Erst je einen andern Fisch,
Dann läuft er heim über Hals und Kopf;
„Frau, Frau, flink deck den Tisch!
Bald kommt, bald kommt der Wassermann,
Wer weiß, was dann passieren kann!“ —
[S. 34]
— Da kommt der Wassermann zurück,
Und läuft zur Kammer hin,
Er klopft an jeden Topf: tück, tück!
„Klein Seelchen, bist du drin?“ —
Da schlagen die Fische, der Wassermann
Weiß nicht, was das bedeuten kann. —
Nun lüpft er einen Topf, da schlüpft
Ein Aal hervor! Wusch, wisch!
Und wie einen andern Topf er lüpft,
Kommt immer ein andrer Fisch! —
Hei, wie erbost’s den Wassermann:
„Wer weiß, wozu das gut sein kann?“
„Fort, Fische, fort aus meinem Haus!
Ihr freßt mir die Seelen weg,
Ich werf euch alle zum Teich hinaus!“
— Vetter Michel läuft zum Steg:
„Wirf alle heraus, Herr Wassermann,
Damit ich sie kochen und braten kann!“
Hei, hi, was wirft der Wassermann
Für Fisch aus seinem Teich!
Vetter Michel füllt alle Zuber an:
„Frau, Frau, wir werden reich!
Tob immerzu, Herr Wassermann,
Wir wissen, wozu das gut sein kann!“ —
August Kopisch

Mein Fluß

O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl!
Empfange nun, empfange
Den sehnsuchtsvollen Leib einmal
Und küsse Brust und Wange!
— Er fühlt mir schon herauf die Brust,
Er kühlt mit Liebesschauerlust
Und jauchzendem Gesange.
Es schlüpft der goldne Sonnenschein
In Tropfen an mir nieder,
[S. 35]
Die Woge wieget aus und ein
Die hingegebnen Glieder;
Die Arme hab ich ausgespannt,
Sie kommt auf mich herzu gerannt,
Sie faßt und läßt mich wieder.
Du murmelst so, mein Fluß, warum?
Du trägst seit alten Tagen
Ein seltsam Märchen mit dir um
Und mühst dich, es zu sagen;
Du eilst so sehr und läufst so sehr,
Als müßtest du im Land umher,
Man weiß nicht wen, drum fragen.
Baden im Fluss
Der Himmel, blau und kinderrein,
Worin die Wellen singen,
Der Himmel ist die Seele dein:
O laß mich ihn durchdringen!
Ich tauche mich mit Geist und Sinn
Durch die vertiefte Bläue hin
Und kann sie nicht erschwingen!
[S. 36]
Was ist so tief, so tief wie sie?
Die Liebe nur alleine.
Sie wird nicht satt und sättigt nie
Mit ihrem Wechselscheine.
— Schwill an, mein Fluß, und hebe dich!
Mit Grausen übergieße mich!
Mein Leben um das deine!
Du weisest schmeichelnd mich zurück
Zu deiner Blumenschwelle.
So trage denn allein dein Glück
Und wieg auf deiner Welle
Der Sonne Pracht, des Mondes Ruh:
Nach tausend Irren kehrest du
Zur ewgen Mutterquelle!
Eduard Mörike

Das Lied vom braven Manne

Hoch klingt das Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang,
Wer hohen Muts sich rühmen kann,
Den lohnt nicht Geld, den lohnt Gesang.
Gottlob, daß ich singen und preisen kann,
Zu singen und preisen den braven Mann.
Der Tauwind kam vom Mittagsmeer
Und schnob durch Welschland trüb und feucht.
Die Wolken flogen vor ihm her,
Wie wann der Wolf die Herde scheucht.
Er fegte die Felder, zerbrach den Forst,
Auf Seen und Strömen das Grundeis borst.
Am Hochgebirge schmolz der Schnee;
Der Sturz von tausend Wassern scholl;
Das Wiesental begrub ein See;
Des Landes Heerstrom wuchs und schwoll;
Hoch rollten die Wogen entlang ihr Gleis
Und rollten gewaltige Felsen Eis.
Das Zollhaus auf der Brücke

[S. 39]

Auf Pfeilern und auf Bogen schwer,
Aus Quadersteinen von unten auf
Lag eine Brücke drüber her,
Und mitten stand ein Häuschen drauf.
Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind. —
„O Zöllner, o Zöllner, entfleuch geschwind!“
Es dröhnt und dröhnte dumpf heran,
Laut heulten Sturm und Wog ums Haus,
Der Zöllner sprang zum Dach hinan
Und blickt in den Tumult hinaus.
„Barmherziger Himmel! Erbarme dich!
Verloren, verloren! Wer rettet mich?“
Die Schollen rollten, Schuß auf Schuß,
Von beiden Ufern, hier und dort,
Von beiden Ufern riß der Fluß
Die Pfeiler samt den Bogen fort.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind,
Er heulte noch lauter als Strom und Wind.
Die Schollen rollten, Stoß auf Stoß.
An beiden Enden, hier und dort,
Zerborsten und zertrümmert, schoß
Ein Pfeiler nach dem andern fort.
Bald nahte der Mitte der Umsturz sich.
„Barmherziger Himmel! Erbarme dich!“
Hoch auf dem fernen Ufer stand
Ein Schwarm von Gaffern, groß und klein;
Und jeder schrie und rang die Hand,
Doch mochte niemand Retter sein.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind
Durchheulte nach Rettung den Strom und Wind.
Wann klingst du, Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang?
Wohlan! So nenn ihn, nenn ihn dann!
Wann nennst du ihn, mein schönster Sang?
Bald nahet der Mitte der Umsturz sich.
O braver Mann! Braver Mann, zeige dich!
[S. 40]
Rasch galoppiert ein Graf hervor,
Auf hohem Roß ein edler Graf.
Was hielt des Grafen Hand empor?
Ein Beutel war es, voll und straff. —
„Zweihundert Pistolen sind zugesagt
Dem, welcher die Rettung der Armen wagt!“
Wer ist der Brave? Ist’s der Graf?
Sag an, mein braver Sang, sag an! —
Der Graf, beim höchsten Gott! war brav,
Doch weiß ich einen bravern Mann. —
O braver Mann! braver Mann! zeige dich!
Schon naht das Verderben sich fürchterlich. —
Und immer höher schwoll die Flut,
Und immer lauter schnob der Wind,
Und immer tiefer sank der Mut. —
O Retter! Retter! Komm geschwind! —
Stets Pfeiler bei Pfeiler zerborst und brach.
Laut krachten und stürzten die Bogen nach.
„Hallo! Hallo! Frischauf! Gewagt!“
Hoch hielt der Graf den Preis empor.
Ein jeder hört’s, doch jeder zagt,
Aus Tausenden tritt keiner vor.
Vergebens durchheulte mit Weib und Kind
Der Zöllner nach Rettung den Strom und Wind.
Sieh, schlecht und recht, ein Bauersmann
Am Wanderstabe schritt daher,
Mit grobem Kittel angetan,
An Wuchs und Antlitz hoch und hehr.
Er hörte den Grafen, vernahm sein Wort
Und schaute das nahe Verderben dort.
Und kühn in Gottes Namen sprang
Er in den nächsten Fischerkahn;
Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang
Kam der Erretter glücklich an.
Doch wehe! der Nachen war allzuklein,
Um Retter von allen zugleich zu sein.
[S. 41]
Und dreimal zwang er seinen Kahn,
Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang.
Und dreimal kam er glücklich an,
Bis ihm die Rettung ganz gelang.
Kaum kamen die letzten in sichern Port,
So rollte das letzte Getrümmer fort. —
Wer ist, wer ist der brave Mann?
Sag an, sag am, mein braver Sang!
Der Bauer wagt ein Leben dran;
Doch tat er’s wohl um Goldesklang?
Denn spendete nimmer der Graf sein Gut,
So wagte der Bauer vielleicht kein Blut.
„Hier,“ rief der Graf, „mein wackrer Freund!
Hier ist dein Preis! Komm her! Nimm hin!“ —
Sag an, war das nicht brav gemeint? —
Bei Gott, der Graf trug hohen Sinn. —
Doch höher und himmlischer, wahrlich, schlug
Das Herz, das der Bauer im Kittel trug.
„Mein Leben ist für Gold nicht feil.
Arm bin ich zwar, doch eß ich satt.
Dem Zöllner werd eur Gold zuteil,
Der Hab und Gut verloren hat!“
So rief er mit herzlichem Biederton
Und wandte den Rücken und ging davon. —
Hoch klingst du, Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang!
Wer solchen Muts sich rühmen kann,
Den lohnt kein Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob! daß ich singen und preisen kann,
Unsterblich zu preisen den braven Mann.
Gottfried August Bürger

Die vexierten Frösche

Des Königs Jagd war aus,
Verzehrt der Abendschmaus,
Manch Ruhgezelt
Schön aufgestellt
[S. 42]
Und ringsum still die ganze Welt;
Die Frösche aber schrien im See,
Es taten den Menschen die Ohren weh.
Des Alten Fritzen Vater sprach:
„Nun könnt ich ruhen ganz gemach,
Wenn das vertrackte Gequarr nicht wär.
Wo kommen die Kuckucksfrösche her?
Es werden ihrer immer mehr,
Das lärmet wie ein großes Heer;
Ein Chor, der so zu trinken hat,
Wird auch so leicht nicht müd und matt.
Das quarrt, das plarrt,
Das muckt, das gluckt,
Das blökt und quäkt,
Das meckert und sägt,
Man wird ein Narr
Von dem Geschnarr,
Von dem Geknarr und Wirrewarr!
Weiß keiner von euch zu stillen die Brut?
Den Becher empfängt, der es kann und tut.“
Da meldet ein flinker Jägersmann
Sich an als einer, der so was kann,
Und springt hinaus: es fällt ein Schuß,
Drauf folgt ein Zischen, wie von Verdruß,
Ein Knall und — der Cantate Schluß:
Die erst so laute Wasserwelt
Schweigt ringshin um das Königszelt.
Da sehn sich alle verwundert an,
Und manchem graut vor dem Jägersmann.
Der sich den Becher holt und lacht
Und keinem sagt, wie er’s vollbracht.
Man legt sich allgemach zur Ruh,
Der König schließt kein Auge zu,
So müd er ist: das Stillesein
Der Frösche macht ihm jetzt nur Pein;
Er denkt: „Ich glaub an keinen Zauber,
Indes die Sache, gänzlich sauber
Scheint sie mir nun und nimmermehr.
Man soll von der Natur nicht wanken;
Dem Teufel meinen Schlaf zu danken,
[S. 43]
Das halt ich wider meine Ehr.
Die Frösche sollen wieder schrein!“
Er ruft den Jäger sich herein:
„Nein lieber Mann,
Hör mich an:
Hier steht zum Becher noch der Krug,
Ich habe des Schweigens nun genug.
Ist Er so klug,
Mach Er die Frösche wieder schrein:
So ist der Krug wie der Becher sein.
Laß Er sie wieder singen
Und Gott dem Herrn ihr Loblied bringen,
Es mag nun, wie es will, erklingen.“
Da sprach der Mann mit Lachen:
„Sorgt nicht, das will ich machen.“
— Er eilt hinaus; nicht lange Zeit
Vergeht, als schon ein Fröschlein schreit,
Ein zweites stimmet sacht mit ein,
Nun hört man schon drei, viere schrein,
Fünf, sechs, und jetzt schreit hinterher
Das ganze große Fröscheheer,
Als ob gar nichts passieret wär.
Der Lärm ist ärger als zuvor,
Es orgelt alles Chor bei Chor.
Der Jäger kommt, der König spricht:
„So tolles Ding kapier ich nicht,
Nehm Er den Krug, doch sag Er jetzt,
Mit was für Kunst Er’s durchgesetzt?
Wie Er die Schreier still gemacht
Und wieder sie zum Schrein gebracht?“
„Erst lud ich Pulver in den Lauf
Und einen guten Schwärmer drauf
Und schoß den über den See daher,
Da meinete das Fröscheheer,
Daß das ein Donnerwetter wär;
Sie sind bei solchem immer still,
Oft schon bevor es aufziehn will.“
Der König sprach: „Das seh ich ein,
Nur eins will noch erkläret sein,
Wie bracht Er sie aufs neu zum Schrein?“
[S. 44]
„O Herr, das war ein leichter Spaß,
Ich quarrte wie ein Frosch etwas,
Da stimmte das nächste Fröschlein ein,
Bald hörte man drei, viere schrein,
Und endlich kriegte die ganze Bagage,
Den Schreck vergessend, von neuem Courage.“
— Der König sprach: „Gut ausgedacht!
Das Stück hat mir Pläsier gemacht,
Schieß noch einmal, sie schrein zu sehr.“
„Gern,“ sprach der Jäger, „nur heut nicht mehr;
Sie haben gemerkt, man will sie vexieren,
Und werden sich heute nicht weiter genieren.“
„Hum,“ sagte der König, „was ist zu tun?
Ich will versuchen, so zu ruhn.“
Im Traum noch lachend schlief er ein
Und ließ die Frösche Frösche sein.
August Kopisch

Schlittschuhläufer

O welche Lust, zu ist der Fluß!
Da liegt er wie ein Silberguß.
Jetzt schnall ich meine Schlittschuh an
Und fliege auf der Silberbahn,
Als wenn ich Flügel hätte.
Wie scheint der Mond so herrlich klar!
Wie leuchtet alles wunderbar!
Der Fluß ist ein Kristallpalast,
Mit Diamanten eingefaßt.
Es blitzt und strahlt und funkelt.
Ich neide keines Vogels Flug,
Ich neide keines Rosses Zug,
Den Wind nicht, der so flüchtig reist;
Ich selber fliege, wie ein Geist
So schnell, wie der Gedanke.
Ach, frör doch zu der Ozean!
Dann flög ich auf der Riesenbahn
[S. 45]
Rasch von Karthago bis zum Belt
In einem Fluge durch die Welt
Bis an des Nordpols Grenzen.
v. Plönnies
Mit dem Ruderboot auf dem
  Fluss

Abendschiffahrt

Wenn von heiliger Kapelle
Abendglocke fromm erschallet,
Stiller dann das Schiff auch wallet
Durch die himmelblaue Welle;
[S. 46]
Dann sinkt Schiffer betend nieder,
Und wie von dem Himmel helle
Blicken aus den Wogen wieder
Mond und Sterne.
Eines ist dann Wolk und Welle,
Und die Engel tragen gerne,
Umgewandelt zur Kapelle,
So ein Schiff durch Mond und Sterne.
Justinus Kerner

Der Rheinborn

Ich bin den Rhein hinaufgezogen
Durch manches schattge Felsentor,
Entlang die blauen frischen Wogen
Zu seinem hohen Quell empor.
Ich glaubte, daß der Rhein entspringe
So liedervoll, so weinumlaubt,
Aus eines Sees lichtem Ringe,
Doch fand ich nicht, was ich geglaubt.
Indem ich durch die Matten irrte
Nach solchen Bornes Freudeschein,
Wies schweigend der befragte Hirte
Empor mich zum Granitgestein.
Ich klomm und klomm auf schroffen Stiegen,
Verwognen Pfaden, öd und wild,
Und sah den Born im Dunkel liegen
Wie einen erzgegoßnen Schild.
Fernab von Herdgeläut und Matten
Lag er in eine Schlucht versenkt,
Bedeckt von schweren Riesenschatten,
Aus Eis und ewgem Schnee getränkt.
Ein Sturz! Ein Schlag! Und aus den Tiefen
Und aus den Wänden brach es los:
Heerwagen rollten! Stimmen riefen
Befehle durch ein Schlachtgetos.
C. F. Meyer

[S. 47]

Am Vorderrhein

Wie ahnungsvoll er ausgezogen,
Der junge Held, aus Kluft und Stein!
Wie hat er durstig eingesogen
Die Milch des Berges, frisch und rein!
Nun wallt der Hirtensohn hernieder,
Hin in mein zweites Heimatland:
O grüß mir all die deutschen Brüder,
Die herrlichen, längs deinem Strand!
So grüß auch all die deutschen Frauen
Und lerne ritterlichen Brauch;
Und wenn du wirst die Dome schauen,
Die krausen Käuze, grüß sie auch!
Sonst wüßt ich niemand just zu grüßen,
Vielleicht die schlimme Lorelei
Und deiner Reben freudig Sprießen —
Den Vierzigen geh still vorbei!
Es taucht ein Aar ins Wolkenlose
Hoch über mir im Sonnenschein;
Ich werfe eine Alpenrose
Tief unten in den wilden Rhein:
Führ nieder sie, führ sie zum Tale,
Und eh du trittst zum Meerestor,
Den Vettern halt, im Eichensaale,
Den harrenden, dies Zeichen vor!
Gottfried Keller

Warnung vor dem Rhein

An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein.
Mein Sohn, ich rate dir gut,
Da geht dir das Leben zu lieblich ein,
Da blüht dir zu freudig der Mut.
Siehst die Mädchen so frank und die Männer so frei,
Als wär es ein adlig Geschlecht,
Gleich bist du mit glühender Seele dabei:
So dünkt es dich billig und recht.
[S. 48]
Und zu Schiffe, wie grüßen die Burgen so schön
Und die Stadt mit dem ewigen Dom:
In den Bergen, wie klimmst du zu schwindelnden Höhn
Und blickst hinab in den Strom.
Und im Strome, da tauchet die Nix aus dem Grund,
Und hast du ihr Lächeln gesehn,
Und grüßt dich die Lurlei mit bleichem Mund,
Mein Sohn, so ist es geschehn:
Dich bezaubert der Laut, dich betört der Schein,
Entzücken faßt dich und Graus:
Nun singst du nur immer: „Am Rhein, am Rhein!“
Und kehrst nicht wieder nach Haus.
Karl Simrock

Sie sollen ihn nicht haben!

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Ob sie wie gierge Raben
Sich heiser danach schrein.
Solang er ruhig wallend
Sein grünes Kleid noch trägt,
Solang ein Ruder schallend
In seine Wogen schlägt!
Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Solang sich Herzen laben
An seinem Feuerwein.
Solang in seinem Strome
Noch fest die Felsen stehn,
Solang sich hohe Dome
In seinem Spiegel sehn!
Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Solang dort kühne Knaben
Um schlanke Dirnen frein.
[S. 49]
Solang die Flosse hebet
Ein Fisch auf seinem Grund,
Solang ein Lied noch lebet
In seiner Sänger Mund!
Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Bis seine Fluten begraben
Des letzten Manns Gebein!
Nikolaus Becker
Ein Riese mit Schwert erhebt
  sich am Rhein

[S. 50]

„Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze!“

Wo solch ein Feuer noch gedeiht,
Und solch ein Wein noch Flammen speit,
Da lassen wir in Ewigkeit
Uns nimmermehr vertreiben.
Stoßt an! Stoßt an! Der Rhein,
Und wär’s nur um den Wein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben.
Herab die Büchsen von der Wand,
Die alten Schläger in die Hand,
Sobald der Feind dem welschen Land
Den Rhein will einverleiben!
Haut, Brüder, mutig drein!
Der alte Vater Rhein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben.
Das Recht und Link, das Link und Recht,
Wie klingt es falsch, wie klingt es schlecht!
Kein Tropfen soll, ein feiger Knecht,
Des Franzmanns Mühle treiben.
Stoßt an! Stoßt an! Der Rhein,
Und wär’s nur um den Wein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben.
Der ist sein Rebenblut nicht wert,
Das deutsche Weib, den deutschen Herd,
Der nicht auch freudig schwingt sein Schwert,
Die Feinde aufzureiben.
Frisch in die Schlacht hinein!
Hinein für unsern Rhein!
Der Rhein soll deutsch verbleiben.
O edler Saft, o lauter Gold,
Du bist kein ekler Sklavensold!
Und wenn ihr Franken kommen wollt,
So laßt vorher euch schreiben:
„Hurra! Hurra! Der Rhein,
Und wär’s nur um den Wein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben.“
Georg Herwegh

[S. 51]

Bischof Hatto

Fürwahr, es ist kein Zweifel dran,
Daß die Maus gar wohl schwimmen kann:
Denn als Hatto, Bischof von Menz,
Das Korn sammelt in seiner Grenz
Und arme Leute kamen gelaufen,
Um für ihr Geld ihm Korn abzukaufen,
Versperrt er die in einer Scheur
Und ließ sie verbrennen im Feur.
Der Bischof flieht vor den
  Mäusen
Als aber die gefangenen Mann
Ihr Jammergeschrei huben an,
Lacht der Bischof von Herzensgrund,
Sprach mit seinem gottlosen Mund:
„Wie schön können die Kornmäus singen!
Kommt, kommt, ich will euch mehr Korn bringen!“
Von Stund an sah er Abenteuer:
Die Mäus liefen zu ihm vom Feur
So häufig, daß niemand konnt wehren,
Sie wollten ihn lebend verzehren.
[S. 52]
Darum baut er mitten im Rhein
Einen hohen Turm von rotem Stein,
Den euer viele haben gesehen,
Darauf den Mäusen zu entgehen;
Aber es war verlorne Sach:
Sie schwammen ihm mit Haufen nach,
Stiegen mutig den Turm hinauf,
Fraßen ihn ungebraten auf.
Georg Rollenhagen

Der Mäuseturm

Am Mäuseturm, um Mitternacht,
Des Bischofs Hatto Geist erwacht:
Er flieht um die Zinnen im Höllenschein,
Und glühende Mäuslein hinter ihm drein!
Der Hungrigen hast du, Hatto, gelacht,
Die Scheuer Gottes zur Hölle gemacht.
Drum ward jedes Körnlein im Speicher dein
Verkehrt in ein nagendes Mäuselein!
Du flohst auf den Rhein in den Inselturm,
Doch hinter dir rauschte der Mäusesturm.
Du schlossest den Turm mit eherner Tür,
Sie nagten den Stein und drangen herfür.
Sie fraßen die Speise, die Lagerstatt,
Sie fraßen den Tisch dir und wurden nicht satt!
Sie fraßen dich selber zu aller Graus
Und nagen den Namen dein überall aus. —
Fern rudern die Schiffe um Mitternacht,
Wenn schwirrend dein irrender Geist erwacht:
Er flieht um die Zinnen im Höllenschein,
Und glühende Mäuslein hinter ihm drein.
August Kopisch

[S. 53]

Das Tal

Mit dem grauen Felsensaal
Und der Hand voll Eichen
Kann das ruhevolle Tal
Hundert andern gleichen.
Kommt der Strom mit seinem Ruhm
Und den stolzen Wogen
Durch das stille Heiligtum
Prächtig hergezogen.
Und auf einmal lacht es jetzt
Hell im klarsten Scheine,
Und dies Liederschwälbchen netzt
Seine Brust im Rheine!
Gottfried Keller
Blick auf ein Flusstal, zwei
  Bäume im Vordergrund

Rheinfahrt

Wimpel grüßen, Böller krachen,
Lustig schwimmen wir im Rhein,
Tiefe Boote, leichte Nachen
Wollen uns Geleite sein.
[S. 54]
Wohl, nun geht es rauschend weiter,
Lachend Bild, wohin wir sehn,
Die Gestade grün und heiter
Und darüber Rebenhöhn.
Städte mit den alten Zinnen
Laden gastlich uns herzu,
Burgen, die verlassen sinnen,
Ragen einsam, tief in Ruh.
Überall in trauter Nähe
Winkt ein ander Bild herbei,
Eh ich alles übersehe,
Ist es wie ein Traum vorbei.
Martin Greif

Die Zwingburg

Gebrochen ist der alte Twing,
Ringsum ergrünt sein Mauerring,
Der Eppich schwankt im Fenster,
Versunken in der Erde Schoß
Tief unter das besonnte Moos
Sind Ritter und Gespenster.
Wo durch das tiefgewölbte Tor
Die zorn’ge Fehde schritt hervor
Und ließ die Hörner schmettern,
Da hat sich, duftig eingeengt,
Ein Zicklein ans Gesträuch gehängt
Und nascht von jungen Blättern.
Wo wildverträumt Frau Minne stund,
Zerrann auf blauem Wiesengrund
Der kecke Bau des Erkers;
Wo im Verließ der Haß gegrollt,
Ist in das weiche Gras gerollt
Ein Quaderstein des Kerkers.
Eine Burgruine

[S. 57]

Und wo den Teich vom Hügelhang
Herab die trotzge Feste zwang,
Ein finster Bild zu spiegeln,
Da rudert, von der Flut benetzt,
Der Burg zerstörtes Wappen jetzt:
Ein Schwan mit Silberflügeln.
C. F. Meyer

Auf einer Burg

Eingeschlafen auf der Lauer
Oben ist der alte Ritter;
Drüber gehen Regenschauer,
Und der Wald rauscht durch das Gitter.
Eingewachsen Bart und Haare,
Und versteinert Brust und Krause,
Sitzt er viele hundert Jahre
Oben in der stillen Klause.
Draußen ist es still und friedlich,
Alle sind ins Tal gezogen,
Waldesvögel einsam singen
In den leeren Fensterbogen.
Eine Hochzeit fährt da unten
Auf dem Rhein im Sonnenscheine,
Musikanten spielen munter,
Und die schöne Braut, die weinet.
Joseph von Eichendorff

Gute Landung

Düstrer wird’s am Binsenstrande,
Hohl und grün die Wogen ziehn,
Fern ein Regenstrich im Lande
Malt sich an den Wolken hin.
Da im Grau der Nebeldüfte
Winkt es tröstlich aus dem Strom,
In die abendlichen Lüfte
Steigt ein wunderbarer Dom.
Martin Greif

[S. 58]

Vor dem Münster

Vom Frühgeläut umsummet,
In hehrer Klänge Strom,
Davor der Markt verstummet,
Steigt vor mir auf der Dom.
Nicht brauch ich einzutreten,
Um andachtsvoll zu sein,
Mich dünkt, ich könnte beten
Hier außen auch allein.
Martin Greif

Sonntags am Rhein

Des Sonntags in der Morgenstund,
Wie wandert’s sich so schön
Am Rhein, wenn rings in weiter Rund
Die Morgenglocken gehn!
Ein Schifflein zieht auf blauer Flut.
Da singt’s und jubelt’s drein;
Du Schifflein, gelt, das fährt sich gut
In all die Lust hinein?
Vom Dorfe hallet Orgelton,
Es tönt ein frommes Lied,
Andächtig dort die Prozession
Aus der Kapelle zieht.
Und ernst in all die Herrlichkeit
Die Burg herniederschaut
Und spricht von alter, starker Zeit,
Die auf den Fels gebaut.
Das alles beut der prächtge Rhein
An seinem Rebenstrand
Und spiegelt recht in hellem Schein
Das ganze Vaterland.
Das fromme, treue Vaterland
In seiner vollen Pracht,
Mit Lust und Liedern allerhand
Vom lieben Gott bedacht.
Robert Reinick

[S. 59]

Burg über dem Rhein

Rheinbild

Schaum und Brandung, feste Städte,
Burg und Fels und stilles Kloster,
Und die Rebe reift am Hügel,
Und der Wächter grüßt vom Turme,
Und die Wimpel flattern lustig,
Und von hoher Klippe tönt
Wundersam der Lurlei Sang.
Joseph Viktor v. Scheffel

[S. 60]

Die Lorelei

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin?
Ein Märchen aus uralten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl, und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar;
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldnes Haar.
Sie kämmt es mit goldnem Kamme
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei getan.
Heinrich Heine

Die Jungfrau auf dem Lurlei

In alten Zeiten ließ sich manchmal auf dem Lurlei um die Abenddämmerung und beim Mondschein eine Jungfrau sehen, die mit so anmutiger Stimme sang, daß alle, die es hörten, davon bezaubert wurden. Viele, die vorüberschifften, gingen am Felsenriff oder im Strudel zugrunde, weil sie nicht mehr auf den Lauf des Fahrzeuges achteten, sondern von den himmlischen Tönen [S. 61]der wunderbaren Jungfrau gleichsam vom Leben abgelöst wurden, wie das zarte Leben der Blume sich im süßen Duft verhaucht. Niemand hatte die Jungfrau noch in der Nähe geschaut, als einige junge Fischer. Zu diesen gesellte sie sich bisweilen im letzten Abendrot und zeigte ihnen die Stellen, wo sie ihr Netz auswerfen sollten. Jedesmal, wenn sie den Rat der Jungfrau befolgten, taten sie einen reichlichen Fang. Die Jünglinge erzählten nun, wo sie hinkamen, von der Huld und Schönheit der Unbekannten, und die Geschichte verbreitete sich im ganzen Lande umher. Ein Sohn des Pfalzgrafen, der damals in der Gegend sein Hoflager hatte, hörte die wundervolle Märe und faßte eine innige Zuneigung zu der Jungfrau. Unter dem Vorwand, auf die Jagd zu gehen, nahm er den Weg nach Wesel, setzte sich dort auf einen Nachen und ließ sich stromabwärts fahren. Die Sonne war eben untergegangen, und die ersten Sterne am Himmel traten hervor, als sich das Fahrzeug dem Lurlei näherte. „Seht ihr sie dort, die verwünschte Zauberin? Das ist sie gewiß!“ riefen die Schiffer. Der Jüngling hatte sie aber bereits erblickt, wie sie am Abhang des Felsenberges, nicht weit vom Strome, saß und einen Kranz für ihre goldnen Locken band. Jetzt vernahm er auch den Klang ihrer Stimme und war bald seiner Sinne nicht mehr mächtig. Er nötigte die Schiffer, am Fels anzufahren, und noch einige Schritte davon wollte er ans Land springen und die Jungfrau festhalten. Aber er nahm den Sprung zu kurz und versank in dem Strome, dessen schäumende Wogen schauerlich über ihm zusammenschlugen.

Die Nachricht von dieser traurigen Begebenheit kam schnell zu den Ohren des Pfalzgrafen. Schmerz und Wut zerrissen die Seele des armen Vaters, der auf der Stelle den strengsten Befehl erteilte, ihm die Unholdin tot oder lebendig zu liefern. Einer seiner Hauptleute übernahm es, den Willen des Pfalzgrafen zu vollziehen; doch bat er sich aus, die Hexe ohne weiteres in den Rhein stürzen zu dürfen, damit sie sich nicht vielleicht durch lose Künste aus Kerker und Banden befreie. Der Pfalzgraf war dies zufrieden. Der Hauptmann zog gegen Abend aus und umstellte mit seinen Reisigen den Berg in einem Halbkreise vom Rheine aus. Er selbst nahm drei der Beherztesten aus seiner Schar und stieg den Lurlei hinan. Die Jungfrau saß oben auf der Spitze und hielt eine Schnur von Bernstein in der Band. Sie sah die Männer von fern kommen und rief ihnen zu, was sie hier [S. 62]suchten. „Dich, Zauberin,“ antwortete der Hauptmann. „Du sollst einen Sprung in den Rhein hinunter machen.“ — „Ei,“ sagte die Jungfrau lachend, „der Rhein mag mich holen.“ Bei diesen Worten warf sie die Bernsteinschnur in den Strom hinab und sang mit schauerlichem Ton:

„Vater, geschwind, geschwind,
Die weißen Rosse schick deinem Kind!
Es will reiten mit Wogen und Wind.“

Urplötzlich rauschte ein Sturm daher. Der Rhein erbrauste, daß weitum Ufer und Höhen vom weißen Gischt bedeckt wurden; zwei Wellen, welche fast die Gestalt von zwei weißen Rossen hatten, flogen mit Blitzesschnelle aus der Tiefe auf die Kuppe des Felsens und trugen die Jungfrau hinab in den Strom, wo sie verschwand.

Jetzt erst erkannten der Hauptmann und seine Knechte, daß die Jungfrau eine Undine sei und menschliche Gewalt ihr nichts anhaben könne. Sie kehrten mit der Nachricht zu dem Pfalzgrafen zurück und fanden dort mit Erstaunen den totgeglaubten Sohn, den eine Welle ans Ufer getragen hatte.

Die Lurleijungfrau ließ sich von der Zeit an nicht wieder hören, obgleich sie noch ferner den Berg bewohnte und die Vorüberschiffenden durch das laute Nachäffen ihrer Reden neckte.

A. Schreiber

Der Drachen-Schläger

Die Trauer barg in schweren Gewölken das Land am Rhein:
Der Drache trug Begehren nach des Königs Töchterlein.
Man konnte sie nicht versagen des wilden Wurmes Gewalt:
Die Helden lagen erschlagen, der König war viel zu alt.
Die schwarze Trauerfahne, sie wallte weit ins Land:
Auf hohem Turm-Altane die schöne Jungfrau stand:
„Fahrt wohl nun, Rosen und Reben! Fahr wohl, du rauschender Rhein:
Nun muß mein junges Leben in den Tod gegeben sein.“
Da nach dem Königsschlosse ein schimmernder Reiter ritt:
Er ritt auf weißem Rosse, drei Schwäne flogen mit.
„Nun laßt das Trauern und Klagen, nun wird das Weh gewandt;
Ich werde den Lindwurm schlagen, Siegfried von Niederland.
Aus eitel Sonnenlichte geschmiedet ist mein Schwert,
Vor mir wird all zunichte das Nachtgewürm der Erd.“
Felix Dahn

[S. 63]

Frühgesicht

Im Zwielicht raget Dom an Dom,
An allen Fenstern lauscht’s verstohlen;
Doch auf gedankenleichten Sohlen
Vorüber eilt der Schattenstrom.
Das rauscht und tauschet Hand und Kuß,
Der Sturmhauch rührt verjährte Fahnen
Wie neues Hoffen, altes Mahnen,
Erschauernd wie ein Geistergruß.
Was brav und mannhaft ist, vereint
Zieht es, den letzten Streit zu schlagen;
Es klirrt zu Fuß, zu Roß und Wagen,
Zum Freunde wird der alte Feind,
Und neben Siegfried reitet Hagen.
Gottfried Keller

Siegfrieds Tod

Gunther und Hagen, die Recken wohlgetan,
Berieten mit Untreuen ein Birschen in den Tann:
Mit den scharfen Speeren wollten sie jagen Schwein
Und Bären und Wisende: Was konnte Kühneres sein?
Da ritt auch mit ihnen Siegfried mit stolzem Sinn.
Man bracht ihnen Speise mancherlei dahin.
An einem kalten Brunnen ließ er da das Leben;
Den Rat hatte Brunhild, König Gunthers Weib, gegeben.
Da ließ man herbergen bei dem Walde grün
Vor des Wildes Wechsel die stolzen Jäger kühn,
Wo sie da jagen wollten auf breitem Angergrund,
Da war auch Siegfried kommen: das ward dem König kund.
Von den Jagdgesellen ward umhergestellt
Die Wart nach allen Enden: da sprach der kühne Held,
Siegfried, der starke: „Wer soll uns in den Wald
Nach dem Wilde weisen, ihr Degen kühn und wohlgestalt?“
„Wollen wir uns scheiden,“ hub da Hagen an.
„Ehe wir beginnen zu jagen hier im Tann?
So mögen wir erkennen, ich und die Herren mein.
Wer die besten Jäger bei dieser Waldreise sein.
[S. 64]
Leute so wie Hunde, wir teilen uns darein:
Dann fährt, wohin ihn lüstet, jeglicher allein,
Und wer das Beste jagte, dem sagen wir den Dank.“
Da weilten die Jäger bei einander nicht mehr lang.
Da sprach der edle Siegfried: „Der Hunde hab ich Rat,
Ich will nur einen Bracken, der so genossen hat,
Daß er des Wildes Fährte spüre durch den Tann:
Wir kommen wohl zum Jagen!“ so sprach der Kriemhilde Mann.
Da nahm ein alter Jäger einen Spürhund hinter sich
Und brachte den Herren, eh lange Zeit verstrich,
Wo sie viel Wildes fanden. Was des erstöbert ward,
Das erjagten die Gesellen, wie heut noch guter Jäger Art.
Da wurde viel des Wildes vom grimmen Tod ereilt.
Sie wähnten es zu fügen, daß ihnen zugeteilt
Der Preis des Jagens würde: das konnte nicht geschehn,
Als bei der Feuerstätte der starke Siegfried ward gesehn.
Da ließ der König künden den Jägern wohlgeborn,
Daß er zum Imbiß wolle: da wurde laut ins Horn
Einmal gestoßen: damit war nun bekannt,
Daß man den edeln Fürsten bei den Herbergen fand.
Da sprach der edle Siegfried: „Nun räumen wir den Wald.“
Sein Roß trug ihn eben, die andern folgten bald.
Sie ersprengten mit dem Schalle ein Waldtier fürchterlich,
Einen wilden Bären; da sprach der Degen hinter sich:
„Nun will ich uns Kurzweil schaffen auf der Fahrt:
Den Bracken löst, einen Bären hab ich hier gewahrt,
Der soll mit uns von hinnen zu den Herbergen fahren.
Er müßte hurtig fliehen, wollt er davor sich bewahren.“
Da lösten sie den Bracken: gleich sprang der Bär hindann;
Da wollte ihn erreiten der Kriemhilde Mann.
Er fiel in ein Geklüfte: da konnt er ihm nicht bei;
Das starke Tier wähnte von den Jägern schon sich frei.
Da sprang von seinem Rosse der stolze Ritter gut
Und begann ihm nachzulaufen. Das Tier war ohne Hut,
Es konnt ihm nicht entrinnen: er fing es allzuhand,
Ohn es zu verwunden; der Degen eilig es band.
[S. 65]
Kratzen oder beißen konnt es nicht den Mann,
Er band es auf den Sattel: aufsaß der Schnelle dann;
Er bracht es an die Feuerstatt in seinem hohen Mut
Zu einer Kurzweile, der Degen edel und gut.
Da ritt der edle Degen stattlich aus dem Tann.
Ihn sahen zu sich kommen, die in Gunthers Bann.
Sie liefen ihm entgegen und hielten ihm das Roß:
Da führt er auf dem Sattel einen Bären stark und groß.
Als er vom Roß gestiegen, löst er ihm das Band
Vom Mund und von den Füßen; die Hunde, gleich zur Hand,
Begannen laut zu heulen, als sie den Bären sahn.
Das Tier zum Walde wollte: das erschreckte manchen Mann.
Der Bär in die Küche von dem Lärm geriet;
Hei! was er von dem Feuer der Küchenknechte schied!
Gerückt ward mancher Kessel, zerzerrt mancher Brand;
Hei! was man guter Speise in der Asche liegen fand!
Da sprangen von den Sitzen die Herren und ihr Bann;
Der Bär begann zu zürnen: der König wies sie an,
Der Hunde Schar zu lösen, die an den Seilen lag:
Und wär es wohl geendet, sie hätten fröhlichen Tag.
Mit Bogen und mit Spießen, man versäumte sich nicht mehr,
Liefen hin die schnellen, wo da ging der Bär;
Doch wollte niemand schießen, von Hunden war’s zu voll:
So laut war das Getöse, daß rings der Bergwald erscholl.
Der Bär wurde flüchtig vor der Hunde Zahl;
Ihm konnte niemand folgen als Kriemhilds Gemahl.
Er erlief ihn mit dem Schwerte, zu Tod er ihn da schlug,
Wieder zu dem Feuer das Gesind den Bären trug.
Da sprachen, die es sahen, er wär ein starker Mann.
Die stolzen Jagdgesellen rief man zu Tisch heran:
Auf einem schönen Anger saßen ihrer genug.
Hei! was man Ritterspeise vor die stolzen Jäger trug!
Da sprach der Herre Siegfried: „Mich verwundert sehr,
Man bringt uns aus der Küche doch so viel daher,
Was bringen uns die Schenken nicht dazu den Wein?
pflegt man so der Jäger, will ich nicht Jagdgeselle sein.“
[S. 66]
Da sprach der Niederländer: „Ich sag euch wenig Dank:
Man sollte sieben Säumer mit Met und Lautertrank
Mir hergesendet haben; konnte das nicht sein,
So sollte man uns näher gesiedelt haben dem Rhein.“
Da sprach von Tronje Hagen: „Ihr edeln Ritter schnell,
Ich weiß hier in der Nähe einen kühlen Quell:
Daß ihr mir nicht zürnet, da rat ich hinzugehn.“
Der Rat war manchem Degen zu großen Sorgen geschehn.
Als sie von dannen wollten zu der Linde breit,
Da sprach von Tronje Hagen: „Ich hörte jederzeit,
Es könne niemand folgen Kriemhilds Gemahl,
Wenn er rennen wolle; hei! schauten wir doch das einmal?“
Da sprach von Niederlanden Siegfried, der Degen kühn:
„Das mögt ihr wohl erproben; wollt ihr zur Wette hin
Mit mir an den Brunnen? Wenn der Lauf geschieht,
Soll der uns Sieger heißen, den man den vordersten sieht.“
„Wohl, laßt es uns versuchen,“ sprach Hagen, der Degen.
Da sprach der starke Siegfried: „So will ich mich legen
Hier zu euern Füßen nieder in das Gras.“
Als er das erhörte, wie lieb war König Gunthern das!
Da sprach der kühne Degen: „Ich will euch mehr noch sagen:
All meine Geräte will ich mit mir tragen,
Den Speer samt dem Schilde, dazu mein Birschgewand.“
Das Schwert und den Köcher er um die Glieder schnell sich band.
Ab zogen sie die Kleider von dem Leibe da;
In zwei weißen Hemden man beide stehen sah.
Wie zwei wilde Panther liefen sie durch den Klee;
Man sah bei dem Brunnen den kühnen Siegfried doch eh.
Den Preis in allen Dingen vor manchem man ihm gab,
Da löst er schnell die Waffe, den Köcher legt er ab,
Den Speer, den starken, lehnt er an den Lindenast:
Bei dem fließenden Brunnen, da stand der herrliche Gast.
Siegfrieds Tugenden waren gut und groß.
Den Schild legt er nieder, wo der Brunnen floß:
Wie sehr ihn auch dürstete, der Held nicht eher trank,
Bis der König getrunken; dafür gewann er übeln Dank.
[S. 67]
Der Brunnen war lauter, kühl und auch gut;
Da neigte sich Gunther hernieder zu der Flut.
Als er getrunken hatte, erhob er sich hindann;
Also hätte auch gerne der kühne Siegfried getan.
Da entgalt er seiner Tugend: den Bogen und das Schwert
Trug Hagen beiseite von dem Degen wert.
Dann sprang er schnell zurücke, wo er den Wurfspieß fand,
Und sah nach einem Zeichen an des Kühnen Gewand.
Als Siegfried der Degen aus dem Brunnen trank,
Schoß er ihm durch das Kreuze, daß aus der Wunde sprang
Das Blut seines Herzens hoch an Hagens Staat,
Kein Held begeht wieder also große Missetat.
Der Held in wildem Toben von dem Brunnen sprang;
Ihm ragte von den Schultern eine Speerstange lang.
Nun wähnt er da zu finden Bogen oder Schwert,
So hätt er Lohn Herrn Hagen wohl nach Verdienste gewährt.
Als der Todwunde das Schwert nicht wiederfand,
Da blieb ihm nichts weiter als der Schildesrand;
Den hob er auf vom Brunnen und rannte Hagen an:
Da konnt ihm nicht entrinnen König Gunthers Untertan.
Wie wund er war zu Tode, so kräftig doch er schlug,
Daß von dem Schilde niederträufelte genug
Des edeln Gesteines: der Schild zerbrach ihm fast.
Wie gern gerochen hätte sich der herrliche Gast!
Gestrauchelt war da Hagen von seiner Hand zu Tal;
Der Anger von den Schlägen erscholl im Widerhall.
Hätt er sein Schwert in Händen, so wär es Hagens Tod:
Sehr zürnte der Wunde; es zwang ihn wahrhafte Not.
Seine Farbe war erblichen, er konnte nicht mehr stehn:
Seines Leibes Stärke mußte gar zergehn,
Da er des Todes Zeichen in lichter Farbe trug.
Er ward hernach betrauert von schönen Frauen genug.
Da fiel in die Blumen der Kriemhilde Mann:
Das Blut von seiner Wunde stromweis niederrann.
Da begann er die zu schelten, ihn zwang die große Not,
Die da geraten hatten mit Untreue seinen Tod.
[S. 68]
Da sprach der Todwunde: Weh, ihr bösen Zagen,
Was helfen meine Dienste, da ihr mich habt erschlagen?
Ich war euch stets gewogen und sterbe nun daran:
Ihr habt an euren Freunden leider übel getan.“
Hinliefen all die Ritter, wo er erschlagen lag.
Das war ihrer vielen ein freudeloser Tag.
Wer irgend Treue kannte, von dem ward er beklagt:
Das hatt auch wohl um alle verdient der Degen unverzagt.
Der König der Burgunden beklagt auch seinen Tod.
Da sprach der Todwunde: „Das tut wohl nimmer Not,
Daß der um Schaden weinet, durch den man ihn gewann;
Er verdient groß Schelten, er hätt es besser nicht getan.“
Da sprach der grimme Hagen: „Ich weiß nicht, was euch reut,
Nun hat zumal ein Ende unser sorglich Leid.
Nun mag’s nicht manchen geben, der uns darf bestehn:
Wohl mir, daß seiner Herrschaft durch mich ein End ist geschehn.
Die Blumen allenthalben wurden vom Blute naß.
Da rang er mit dem Tode, nicht lange tat er das,
Denn des Todes Waffe schnitt ihn allzusehr:
Auch mußte bald ersterben dieser Degen kühn und hehr.
Als die Herren sahen, der Degen sei tot,
Sie legten ihn auf einen Schild, der war von Golde rot.
Da gingen sie zu Rate, wie es sollt ergehn,
Daß es verhohlen bliebe, es sei von Hagen geschehn.
Da sprachen ihrer viele: „Ein Unfall ist geschehn;
Ihr sollt es alle hehlen und einer Rede stehn:
Als er allein ritt jagen, der Kriemhilde Mann,
Da schlugen ihn die Schächer, da er fuhr durch den Tann.“
Da sprach von Tronje Hagen: „Ich bring ihn in das Land.
Mich soll es nicht kümmern, wird es ihr auch bekannt,
Die so betrüben konnte Brunhildens hohen Mut;
Ich werde wenig fragen, wie sie nun weinet und tut.“
Da harrten sie des Abends und fuhren überrhein:
Von Helden konnte nimmer so schlimm gejaget sein.
Ihr Beutewild beweinte noch manches edle Weib.
Bald mußte sein entgelten viel guter Weigande Leib.
Karl Simrock nach dem Nibelungenlied

[S. 69]

Hagen und Volker

Wenn ihn auch alle hassen,
Ich aber haß ihn nicht!
Und wenn ihn alle lassen,
Ich aber laß ihn nicht!
Ich weiß, er ist wie Erz so hart
Und ist wie Erz auch treu.
Das gibt zu meiner Spielmannsart
Die beste Melodei.
Die andern mögen sagen,
Er sei ein kalter Wicht.
Ich kenn den finstern Hagen,
Die Sippschaft kennt ihn nicht.
Er sprach noch nie ein Wort davon,
Daß er mir gut gesinnt;
Doch hundert Male merkt ich’s schon,
Wie der von Tronje minnt.
Die Liebe, die ihm eigen,
Die weckt nur die Gefahr.
Er scheut sich, sie zu zeigen;
Doch ist sie treu und wahr.
Er spielt ein stolzes Minnelied
Mit seinem guten Schwert.
Ich ward des Lauschens nimmer müd,
Wie oft ich’s auch gehört.
In allen meinen Weisen
Schuld ich den vollsten Klang
Dem Lied, das mir sein Eisen
In hohen Tönen sang.
Dem Helden folgt sein Troubadour,
Dem Winterfrost der Mai —
Es kennt von Tronje Hagen nur
Der Volker von Alzei!
Ernst Weber

Hagen

Unten wiehert ein Roß. Zur steilen Wacht
Empor steigt Hagen mit funkelnder Pracht,
Heiser hat sich der Tag gekräht,
Ein Felsenwind herüberweht.
Lache, du blaue Nacht.
[S. 70]
Lorchheim schimmert noch fern am Rhein,
An beiden Ufern mit bleichem Schein
Die milchweißen Häuser hängen,
Die sich im Wasser drängen.
So schwer ist ihm das braune Gold,
Das auf dem Schilde klappt und rollt.
Lang hat er’s nun mühselig gesucht,
Jetzt fühlt er, daß der Schatz verflucht.
Lache, du blaue Nacht.
Drei badende Nixen

[S. 71]

Von geneigtem Schilde Gold und Gestein
Platscht in die trüben Wellen hinein
Und schäumend, jubelnd greift die Flut
Mit Armen nach dem kostbaren Gut.
„Nun ist es vorbei!“ Ein Schein noch blinkt
Von dem Gold, das langsam untersinkt.
Und Nixen drohen im Schleiertuch:
„Wohl, der Schatz zerging, doch es blieb der Fluch!
Lache, du blaue Nacht!“
Wilhelm von Scholz

Der versenkte Hort

Es war einmal ein König, ein König war’s am Rhein,
Der liebte nichts so wenig als Haders Not und Pein.
Es stritten seine Degen um einen Schatz im Land
Und wären fast erlegen vor ihrer eignen Hand.
Da sprach er zu den Edlen: „Was frommt euch alles Gold,
Wenn ihr mit euern Schädeln den Hort erkaufen sollt?
Ein Ende sei der Plage, versenkt ihn in den Rhein;
Da bis zum jüngsten Tage mag er verborgen sein.“
Da senkten ihn die stolzen hinunter in die Flut:
Er ist wohl gar geschmolzen, seitdem er da geruht.
Zerronnen in den Wellen des Stroms, der drüber rollt,
Läßt er die Trauben schwellen und glänzen gleich dem Gold.
Daß doch ein jeder dächte, wie dieser König gut,
Auf daß kein Leid ihn brächte um seinen hohen Mut.
So senkten wir hinunter den Kummer in den Rhein
Und tränken frisch und munter von seinem goldnen Wein.
Karl Simrock

Rheinweinlied

Bekränzt mit Laub den lieben, vollen Becher,
Und trinkt ihn fröhlich leer.
In ganz Europia, ihr Herren Zecher!
Ist solch ein Wein nicht mehr.
[S. 72]
Er kommt nicht her aus Hungarn noch aus Polen,
Noch wo man franzmännisch spricht;
Da mag Sankt Veit, der Ritter, Wein sich holen,
Wir holen ihn da nicht.
Ihn bringt das Vaterland aus seiner Fülle;
Wie wär er sonst so gut!
Wie wär er sonst so edel, wäre stille
Und doch voll Kraft und Mut!
Der Zecher mit dem Becher
Er wächst nicht überall im Deutschen Reiche;
Und viele Berge, hört,
Sind, wie die weiland Kreter, faule Bäuche
Und nicht der Stelle wert.
Thüringens Berge zum Exempel bringen
Gewächs, sieht aus wie Wein;
Ist’s aber nicht. Man kann dabei nicht singen,
Dabei nicht fröhlich sein.
Im Erzgebirge dürft ihr auch nicht suchen,
Wenn Wein ihr finden wollt.
[S. 73]
Das bringt nur Silbererz und Kobaltkuchen
Und etwas Lausegold.
Der Blocksberg ist der lange Herr Philister,
Er macht nur Wind wie der;
Drum tanzen auch der Kuckuck und sein Küster
Auf ihm die Kreuz und Quer.
Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben;
Gesegnet sei der Rhein!
Da wachsen sie am Ufer hin und geben
Uns diesen Labewein.
So trinkt ihn denn und laßt uns allewege
Uns freun und fröhlich sein!
Und wüßten wir, wo jemand traurig läge,
Wir gäben ihm den Wein.
Mathias Claudius

Die Weinmörder

Im Rheingau treiben die Reben,
Mit einem Kusse lind
Erweckte sie zum Leben
Ein weicher Frühlingswind.
Und grüßend jauchzt der Ferge,
Der auf dem Strome zieht:
„Gott schirm die schimmernden Berge
Und was drauf sproßt und blüht!“
Hoch droben aber im Blauen,
Dort schmunzelt Sankt Urban,
Dort lacht beim Herunterschauen
Manch seliger deutscher Mann.
Dort ruft Herr Karl, der Degen,
Des Rebenbaus Wardein:
„Allvater, gib deinen Segen
Dem Weine am deutschen Rhein!“
Schon will der Herr willfahren
Und schreitet zur Himmelstür,
Da tritt aus den frommen Scharen
Sankt Bonifaz herfür:
[S. 74]
„Genug ist, Herr an Weine!
Halt ein, eh dich’s gereut!
Ich kenne die am Rheine,
Das sind gar durstige Leut!
Jetzt beten sie und halten
Dein Wort in Zucht und Scham.
Das kommt vom Wasser, dem kalten,
Das einst beim Taufen ich nahm.
Der Wein tät wieder erwecken
Die Götter, die ich beschwor:
Die trinkgewaltigen Recken
Odhin und Asathor.
Statt Glocken hörte man läuten
Die Becher in Zechers Hand,
Wallfahrer sähe man schreiten
Von Schenke zu Schenke durchs Land.
Die Pfaffen und die Laien
Am sonnigen Ufer des Rheins
Vergäßen auf Glauben und Treuen
Beim Überschwange des Weins.
Drum laß zwei Helfer mich wählen;
Wir tilgen in kurzer Frist,
Was drunt zum Schaden der Seelen
Zu üppig gediehen ist.“
„Sei’s denn, so schafft’s mir Trauer,“
Spricht darauf des Höchsten Mund.
„Gern hätt ich dem rheinischen Bauer
Ein gutes Tröpflein vergunnt!“ —
Im Rheingau treiben die Reben,
Doch all die Frühlingspracht
Traf tief ins junge Leben
Ein Reiffrost über Nacht.
„Das haben,“ so schelten mit Grimme
Die Schiffer im gleitenden Kahn,
„Pankraz, Servaz und der schlimme
Herr Bonifaz getan!“
O. Kernstock

[S. 75]

Der Ritter vom Rheine

Ich weiß einen Helden von seltener Art,
So stark und so zart, so stark und so zart;
Das ist die Blume der Ritterschaft,
Das ist der erste an Milde und Kraft,
So weit auf des Vaterlands Gauen
Die Sterne vom Himmel schauen.
Er kam zur Welt auf sonnigem Stein
Hoch über dem Rhein; hoch über dem Rhein;
Und wie er geboren, da jauchzt überall
Im Lande Trompeten- und Paukenschall,
Da wehten von Burgen und Hügeln
Die Fahnen mit lustigen Flügeln.
In goldener Rüstung geht der Gesell,
Das funkelt so hell, das funkelt so hell!
Ob ihm auch mancher zum Kampf sich gestellt,
Weiß keinen, den er nicht endlich gefällt;
Es sanken Fürsten und Pfaffen
Vor seinen feurigen Waffen.
Doch wo es ein Fest zu verherrlichen gilt,
Wie ist er so mild, wie ist er so mild!
Er naht, und die Augen der Gäste erglühn,
Und der Sänger greift in die Harfe kühn
Und selbst die Mädchen im Kreise,
Sie küssen ihn heimlicherweise.
O komm, du Blume der Ritterschaft,
Voll Milde und Kraft, voll Milde und Kraft!
Tritt ein in unsern vertraulichen Rund
Und wecke den träumenden Dichtermund
Und führ uns beim Klange der Lieder
Die Freude vom Himmel hernieder!
Emanuel Geibel

Das Lied vom Rhein

Es klingt ein heller Klang,
Ein schönes deutsches Wort
In jedem Hochgesang
Der deutschen Männer fort:
[S. 76]
Ein alter König hochgeboren,
Dem jedes deutsche Herz geschworen —
Wie oft sein Name wiederkehrt,
Man hat ihn nie genug gehört.
Das ist der heilge Rhein,
Ein Herrscher, reich begabt,
Des Name schon wie Wein
Die treue Seele labt.
Es regen sich in allen Herzen
Viel vaterländssche Lust und Schmerzen,
Wenn man das deutsche Lied beginnt
Vom Rhein, dem hohen Felsenkind.
Sie hatten ihm geraubt
Der alten Würden Glanz,
Von seinem Königshaupt
Den grünen Rebenkranz.
In Fesseln lag der Held geschlagen:
Sein Zürnen und sein stolzes Klagen,
Wir haben’s manche Nacht belauscht,
Von Geisterschauern hehr umrauscht.
Was sang der alte Held? —
Ein furchtbar dräuend Lied:
„O weh dir, schnöde Welt!
wo keine Freiheit blüht,
Von Treuen los und bar von Ehren!
Und willst du nimmer wiederkehren,
Mein, ach! gestorbenes Geschlecht
Und mein gebrochnes deutsches Recht?
O meine hohe Zeit!
Mein goldner Lebenstag!
Als noch in Herrlichkeit
Mein Deutschland vor mir lag.
Und auf und ab am Ufer wallten
Die stolzen, adligen Gestalten,
Die Helden, weit und breit geehrt
Durch ihre Tugend und ihr Schwert.
[S. 77]
Es war ein frommes Blut
In ferner Riesenzeit
Voll kühnem Leuenmut,
Und mild als eine Maid.
Man singt es noch in späten Tagen,
Wie den erschlug der arge Hagen,
Was ihn zu solcher Tat gelenkt,
In meinem Bette liegt’s versenkt.
Du Sünder! Wüte fort!
Bald ist dein Becher voll;
Der Nibelungen Hort
Ersteht wohl, wenn er soll,
Es wird in dir die Seele grausen,
Wenn meine Schrecken dich umbrausen,
Ich habe wohl und treu bewahrt
Den Schatz der alten Kraft und Art!“
Erfüllt ist jenes Wort:
Der König ist nun frei,
Der Nibelungen Hort
Ersteht und glänzet neu!
Es sind die alten deutschen Ehren,
Die wieder ihren Schein bewähren:
Der Väter Zucht und Mut und Ruhm,
Das heilge deutsche Kaisertum!
Wir huldgen unserm Herrn,
Wir trinken seinen Wein.
Die Freiheit sei der Stern!
Die Losung sei der Rhein!
Wir wollen ihm aufs neue schwören;
Wir müssen ihm, er uns gehören,
Vom Felsen kommt er frei und hehr,
Er fließe frei in Gottes Meer!
Max von Schenkendorf

Erhöre mich!

An dessen Hand die Sonnenmeere laufen,
Erhöre mich, du ewige Ewigkeit,
[S. 78]
Du fährst empor, mit Not und Tod zu taufen
Und tünchst mit Blut das Tor der kranken Zeit.
In unser Treiben schlug dein grimmes Schelten.
In unsere Lügen donnerte dein „Nein!“
In unsere wohlgewogenen kleinen Welten
Brach deine Flut zum Niederreißen ein.
O laß uns nicht im Unglücksstrom ersticken,
Erwürg uns nicht, der aller Odem ist,
Und stoß uns nicht von allen Lebensbrücken,
Der du die Brücke in das Leben bist.
Gustav Schüler
Krone auf einem Felsen in
  einem Fluss
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 77553 ***