The Project Gutenberg EBook of Die zaertlichen Schwestern by Christian Fuerchtegott Gellert Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. You can also find out about how to make a donation to Project Gutenberg, and how to get involved. **Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** **eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** *****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** Title: Die zaertlichen Schwestern Author: Christian Fuerchtegott Gellert Release Date: November, 2005 [EBook #9327] [Yes, we are more than one year ahead of schedule] [This file was first posted on September 22, 2003] Edition: 10 Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ZAERTLICHEN SCHWESTERN *** Produced by Delphine Lettau This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. Die zaertlichen Schwestern Christian Fuerchtegott Gellert Ein Lustspiel von drei Aufzuegen Personen: Cleon Der Magister, sein Bruder Lottchen, Cleons aelteste Tochter Julchen, dessen juengste Tochter Siegmund, Lottchens Liebhaber Damis, Julchens Liebhaber Simon, Damis' Vormund Erster Aufzug Erster Auftritt Cleon. Lottchen. Lottchen. Lieber Papa, Herr Damis ist da. Der Tee ist schon in dem Garten, wenn Sie so gut sein und hinuntergehen wollen? Cleon. Wo ist Herr Damis? Lottchen. Er redt mit Julchen. Cleon. Meine Tochter, ist dir's auch zuwider, dass ich den Herrn Damis auf eine Tasse Tee zu mir gebeten habe? Du merkst doch wohl seine Absicht. Geht dir's auch nahe? Du gutes Kind, du dauerst mich. Freilich bist du aelter als deine Schwester und solltest also auch eher einen Mann kriegen. Aber... Lottchen. Papa, warum bedauern Sie mich? Muss ich denn notwendig eher heiraten als Julchen? Es ist wahr, ich bin etliche Jahre aelter; aber Julchen ist auch weit schoener als ich. Ein Mann, der so vernuenftig, so reich und so galant ist als Herr Damis und doch ein armes Frauenzimmer heiratet, kann in seiner Wahl mit Recht auf diejenige sehen, die die meisten Annehmlichkeiten hat. Ich mache mir eine Ehre daraus, mich an dem guenstigen Schicksale meiner Schwester aufrichtig zu vergnuegen und mit dem meinigen zufrieden zu sein. Cleon. Kind, wenn das alles dein Ernst ist: so verdienst du zehn Maenner. Du redst fast so klug als mein Bruder und hast doch nicht studiert. Lottchen. Loben Sie mich nicht, Papa. Ich bin mir in meinen Augen so geringe, dass ich sogar das Lob eines Vaters fuer eine Schmeichelei halten muss. Cleon. Nun, nun, ich muss wissen, was an dir ist. Du hast ein Herz, dessen sich die Tugend selbst nicht schaemen duerfte. Hoere nur... Lottchen. Oh, mein Gott, wie demuetigen Sie mich! Ein Lobspruch, den ich mir wegen meiner Groesse nicht zueignen kann, tut mir weher als ein verdienter Verweis. Cleon. So bin ich nicht gesinnt. Ich halte viel auf ein billiges Lob, und ich weigere mich keinen Augenblick, es anzunehmen, wenn ich's verdiene. Das Lob ist ein Lohn der Tugend, und den verdienten Lohn muss man annehmen. Hoere nur, du bist verstaendiger als deine Schwester, wenn jene gleich schoener ist. Rede ihr doch zu, dass sie ihren Eigensinn fahrenlaesst und sich endlich zu einem festen Buendnisse mit dem Herrn Damis entschliesst, ehe ich als Vater ein Machtwort rede. Ich weiss nicht, wer ihr den wunderlichen Gedanken von der Freiheit in den Kopf gesetzet hat. Lottchen. Mich deucht, Herr Damis ist Julchen nicht zuwider. Und ich hoffe, dass er ihren kleinen Eigensinn leicht in eine bestaendige Liebe verwandeln kann. Ich will ihm dazu behuelflich sein. Cleon. Ja, tue es, meine Goldtochter. Sage Julchen, dass ich nicht ruhig sterben wuerde, wenn ich sie nicht bei meinem Leben versorgt wuesste. Lottchen. Nein, lieber Papa, solche Bewegungsgruende zur Ehe sind wohl nicht viel besser als die Zwangsmittel. Julchen hat Ursachen genug in ihrem eigenen Herzen und in dem Werte ihres Geliebten, die sie zur Liebe bewegen koennen; diese will ich wider ihren Eigensinn erregen und sie durch sich selbst und durch ihren Liebhaber besiegt werden lassen. Cleon. Gut, wie du denkst. Nur nicht gar zu lange nachgesonnen. Ruehme den Herrn Damis. Sage Julchen, dass er funfzigtausend Taler bares Geld haette und... Arme Tochter! es mag dir wohl weh tun, dass deine Schwester so reich heiratet. Je nun, du bist freilich nicht die Schoenste; aber der Himmel wird dich schon versorgen. Betruebe dich nicht. Lottchen. Der Himmel weiss, dass ich bloss deswegen betruebt bin, weil Sie mein Herz fuer so niedrig halten, dass es meiner Schwester ihr Glueck nicht goennen sollte. Dazu gehoert ja gar keine Tugend, einer Person etwas zu goennen, fuer welche das Blut in mir spricht. Kommen Sie, Papa, der Tee moechte kalt werden. Cleon. Du brichst mit Fleiss ab, weil du dich fuehlst. Sei gutes Muts, mein Kind. Ich kann dir freilich nichts mitgeben. Aber solange ich lebe, will ich alles an dich wagen. Nimm dir wieder einen Sprachmeister, einen Zeichenmeister, einen Klaviermeister und alles an. Ich bezahle, und wenn mich der Monat funfzig Taler kaeme. Du bist es wert. Und hoere nur, dein Siegmund, dein guter Freund, oder wenn du es lieber hoerst, dein Liebhaber, ist freilich durch den ungluecklichen Prozess seines seligen Vaters um sein Vermoegen gekommen; aber er hat etwas gelernt und wird sein Glueck und das deine gewiss machen. Lottchen. Ach lieber Papa, Herr Siegmund ist mir itzt noch ebenso schaetzbar als vor einem Jahre, da er viel Vermoegen hatte. Ich weiss, dass Sie unsere Liebe billigen. Ich will fuer die Verdienste einer Frau sorgen, er wird schon auf die Ruhe derselben bedacht sein. Er hat so viel Vorzuege in meinen Augen, dass er sich keine Untreue von mir befuerchten darf, und wenn ich auch noch zehn Jahre auf seine Hand warten sollte. Wollen Sie mir eine Bitte erlauben: so lassen Sie ihn heute mit uns speisen. Cleon. Gutes Kind, du wirst doch denken, dass ich ihn zu deinem Vergnuegen habe herbitten lassen. Er wird nicht lange sein. (Siegmund tritt herein, ohne dass ihn Lottchen gewahr wird.) Lottchen. Wenn ihn der Bediente nur auch angetroffen hat. Ich will selber ein paar Zeilen an ihn schreiben. Ich kann ihm und mir keine groessere Freude machen. Er wird gewiss kommen und den groessten Anteil an Julchens Gluecke nehmen. Er hat das redlichste und zaertlichste Herz. Vergeben Sie mir's, dass ich so viel von ihm rede. Cleon. Also hast du ihn recht herzlich lieb? Lottchen. Ja, Papa, so lieb, dass, wenn ich die Wahl haette, ob ich ihn mit einem geringen Auskommen oder den Vornehmsten mit allem Ueberflusse zum Manne haben wollte, ich ihn allemal waehlen wuerde. Cleon. Ist's moeglich? Haette ich doch nicht gedacht, dass du so verliebt waerest. Lottchen. Zaertlich, wollen Sie sagen. Ich wuerde unruhig sein, wenn ich nicht so zaertlich liebte, denn dies ist es alles, wodurch ich die Zuneigung belohnen kann, die mir Herr Siegmund vor so vielen andern Frauenzimmern geschenkt hat. Bedenken Sie nur, ich bin nicht schoen, nicht reich, ich habe sonst keine Vorzuege als meine Unschuld, und er liebt mich doch so vollkommen, als wenn ich die liebenswuerdigste Person von der Welt waere. Cleon. Aber sagst du's ihm denn selbst, dass du ihn so ausnehmend liebst? Lottchen. Nein, so deutlich habe ich es ihm nie gesagt. Er ist so bescheiden, dass er kein ordentliches Bekenntnis der Liebe von mir verlangt. Und ich habe tausendmal gewuenscht, dass er mich noetigen moechte, ihm eine Liebe zu entdecken, die er so sehr verdienet. Cleon. Du wirst diesen Wunsch bald erfuellt sehen. Siehe dich um, mein liebes Lottchen. Zweiter Auftritt Cleon. Lottchen. Siegmund. Lottchen. Wie? Sie haben mich reden hoeren? Siegmund. Vergeben Sie mir, mein liebes Lottchen. Ich habe in meinem Leben nichts Vorteilhafters fuer mich gehoert. Ich bin vor Vergnuegen ganz trunken, und ich weiss meine Verwegenheit mit nichts als mit meiner Liebe zu entschuldigen. Lottchen. Eine bessere Fuersprecherin haetten Sie nicht finden koennen. Haben Sie alles gehoert? Ich habe es nicht gewusst, dass Sie zugegen waeren; um desto aufrichtiger ist mein Bekenntnis. Aber wenn ich ja auf den Antrieb meines Papas einen Fehler habe begehen sollen: so will ich ihn nunmehr fuer mich allein begehen: Ich liebe Sie. Sind Sie mit dieser Ausschweifung zufrieden? Siegmund. Liebstes Lottchen, meine Bestuerzung mag Ihnen ein Beweis von der Empfindung meines Herzens sein. Sie lieben mich? Sie sagen mir's in der Gegenwart Ihres Papas? Sie? mein Lottchen! Verdiene ich dies? Soll ich Ihnen antworten? und wie? O lassen Sie mich gehen und zu mir selber kommen. Cleon. Sie sind ganz bestuerzt, Herr Siegmund. Vielleicht tut Ihnen meine Gegenwart einigen Zwang an. Lebt wohl, meine Kinder, und sorgt fuer Julchen. Ich will mit dem Herrn Damis reden. Dritter Auftritt Lottchen. Siegmund. Siegmund. Wird es Sie bald reuen, meine Geliebte, dass ich so viel zu meinem Vorteile gehoert habe? Lottchen. Sagen Sie mir erst, ob Sie so viel zu hoeren gewuenscht haben. Siegmund. Gewuenscht habe ich's tausendmal; allein, verdiene ich so viele Zaertlichkeit? Lottchen. Wenn mein Herz den Ausspruch tun darf: so verdienen Sie ihrer weit mehr. Siegmund. Nein, ich verdiene Ihr Herz noch nicht; allein ich will mich zeitlebens bemuehen, Sie zu ueberfuehren, dass Sie es keinem Unwuerdigen geschenkt haben. Wie edel gesinnt ist Ihre Seele! Ich verlor als Ihr Liebhaber mein ganzes Vermoegen, und mein Unglueck hat mir nicht den geringsten Teil von Ihrer Liebe entzogen. Sie haben Ihre Gewogenheit gegen mich vermehrt und mir durch sie den Verlust meines Gluecks ertraeglich gemacht, Diese standhafte Zaertlichkeit ist ein Ruhm fuer Sie, den nur ein erhabenes Herz zu schaetzen weiss. Und ich wuerde des Hasses der ganzen Welt wert sein, wenn ich jemals aufhoeren koennte, Sie zu lieben. Lottchen. Ich habe einen Fehler begangen, dass ich Sie so viel zu meinem Ruhme habe sagen lassen. Aber Ihr Beifall ist mir gar zu kostbar, als dass ihn meine Eigenliebe nicht mit Vergnuegen anhoeren sollte. Sie koennen es seit zwei Jahren schon wissen, ob ich ein redliches Herz habe. Welche Zufriedenheit ist es fuer mich, dass ich ohne den geringsten Vorwurf in alle die vergnuegten Tage und Stunden zuruecksehen kann, die ich mit Ihnen, mit der Liebe und der Tugend zugebracht habe! Siegmund. Also sind Sie vollkommen mit mir zufrieden, meine Schoene? O warum kann ich Sie nicht gluecklich machen! Welche Wollust muesste es sein, ein Herz, wie das Ihrige ist, zu belohnen, da mir die blosse Vorstellung davon schon so viel Vergnuegen gibt! Ach, liebstes Kind, Julchen wird gluecklicher, weit gluecklicher als Sie, und... Lottchen. Sie beleidigen mich, wenn Sie mehr reden. Und Sie beleidigen mich auch schon, wenn Sie es denken. Julchen ist nicht gluecklicher, als ich bin. Sie habe ihrem kuenftigen Braeutigam noch soviel zu danken: so bin ich Ihnen doch ebensoviel schuldig. Durch Ihren Umgang, durch Ihr Beispiel bin ich zaertlich, ruhig und mit der ganzen Welt zufrieden worden. Ist dieses kein Glueck: so muss gar keins in der Welt sein. Aber, mein liebster Freund, wir wollen heute zu Julchens Gluecke etwas beitragen. Sie liebt den Herrn Damis und weiss es nicht, dass sie ihn liebt. Ihr ganzes Bezeigen versichert mich, dass der praechtige Gedanke, den sie von der Freiheit mit sich herumtraegt, nichts als eine Frucht der Liebe sei. Sie liebt; aber die verdruessliche Gestalt, die sie sich vielleicht von der Ehe gemacht hat, umnebelt ihre Liebe. Wir wollen diese kleinen Nebel vertreiben. Siegmund. Und wie? mein liebes Kind. Ich gehorche Ihnen ohne Ausnahme. Herr Damis verdient Julchen, und sie wird eine recht liebenswuerdige Frau werden. Lottchen. Hoeren Sie nur. Doch hier koemmt Herr Damis. Vierter Auftritt Die Vorigen. Damis. Lottchen. Sie sehen sehr traurig aus, mein Herr Damis. Damis. Ich habe Ursache dazu. Anstatt, dass ich glaubte, Julchen heute als meine Braut zu sehen: so merke ich, dass noch ganze Jahre zu diesem Gluecke noetig sind. Je mehr ich ihr von der Liebe vorsage, desto unempfindlicher wird sie. Und je mehr sie sieht, dass meine Absichten ernstlich sind, desto mehr missfallen sie ihr. Ich Ungluecklicher! Wie gut waere es fuer mich, wenn ich Julchen weniger liebte! Lottchen. Lassen Sie sich ihre kleine Halsstarrigkeit lieb sein. Es ist nichts als Liebe. Eben weil sie fuehlt, dass ihr Herz ueberwunden ist: so wendet sie noch die letzte Bemuehung an, der Liebe den Sieg sauer zu machen. Wir brauchen nichts, als sie dahin zu bringen, dass sie sieht, was in ihrem Herzen vorgeht. Damis. Wenn sie es aber nicht sehen will? Lottchen. Wir muessen sie ueberraschen und sie, ohne dass sie es vermutet, dazu noetigen. Der heutige Tag ist ja nicht notwendig Ihr Brauttag. Glueckt es uns heute nicht: so wird es ein andermal gluecken. Es koemmt bloss darauf an, meine Herren, ob Sie sich meinen Vorschlag wollen gefallen lassen. Siegmund. Wenn ich zu des Herrn Damis Gluecke etwas beitragen kann, mit Freuden. Damis. Ich weiss, dass Sie beide grossmuetig genug darzu sind. Und mir wird nichts in der Welt zu schwer sein, das ich nicht fuer Julchen wagen sollte. Lottchen. Mein Herr Damis, veraendern Sie die Sprache bei Julchen etwas. Fangen Sie nach und nach an, ihr in den Gedanken von der Freiheit recht zu geben. Diese Uebereinstimmung wird ihr anfangs gefallen und sie sicher machen. Sie wird denken, als ob sie Ihnen deswegen erst gewogen wuerde, da sie es doch lange aus weit schoenern Ursachen gewesen ist. Und in diesem Selbstbetruge wird sie Ihnen ihr ganzes Herz sehen lassen. Damis. Wollte der Himmel, dass Ihr Rat seine Wirkung taete. Wie gluecklich wollte ich mich schaetzen! Lottchen (zu Siegmunden). Und Sie muessen dem Herrn Damis zum Besten einen kleinen Betrug spielen und sich gegen Julchen zaertlich stellen. Dieses wird ihr Herz in Unordnung bringen. Sie wird boese auf Sie werden. Und mitten in dem Zorne wird die Liebe gegen den Herrn Damis hervorbrechen. Tun Sie es auf meine Verantwortung. Siegmund. Diese Rolle wird mir sehr sauer werden. Fuenfter Auftritt Die Vorigen. Julchen. Julchen. Da sind Sie ja alle beisammen. Der Papa wollte gern wissen, wo Sie waeren, und ich kann ihm nunmehro die Antwort sagen. (Sie will wieder gehn.) Lottchen. Mein liebes Julchen, warum gehst du so geschwind? Weisst du eine bessere Gesellschaft als die unsrige? Julchen. Ach nein, meine Schwester. Aber wo Ihr und Herr Siegmund seid, da wird gewiss von der Liebe gesprochen. Und ich finde heute keinen Beruf, einer solchen Versammlung beizuwohnen. Lottchen. Warum rechnest du denn nur mich und Herr Siegmunden zu den Verliebten? Was hat dir denn Herr Damis getan, dass du ihm diese Ehre nicht auch erweisest? Julchen. Herr Damis ist so guetig gewesen und hat mir versprochen, lange nicht wieder von der Liebe zu reden. Und er ist viel zu billig, als dass er mir sein Wort nicht halten sollte. Damis. Ich habe es Ihnen versprochen, meine liebe Mamsell, und ich verspreche es Ihnen vor dieser Gesellschaft zum andern Male. Erlauben Sie mir, dass ich meine Zaertlichkeit in Hochachtung verwandeln darf. Die Liebe koennen Sie mir mit Recht verbieten; aber die Hochachtung koemmt nicht auf meinen Willen, sondern auf Ihre Verdienste an. Scheun Sie sich nicht mehr vor mir. Ich bin gar nicht mehr Ihr Liebhaber. Aber darf ich denn auch nicht Ihr guter Freund sein? Julchen. Von Herzen gern. Dieses ist eben mein Wunsch, viele Freunde und keinen Liebhaber zu haben; mich an einem vertrauten Umgange zu vergnuegen, aber mich nicht durch die Vertraulichkeit zu binden und zu fesseln. Wenn Sie mir nichts mehr von der Liebe sagen wollen: so will ich ganze Tage mit Ihnen umgehen. Lottchen. Kommen Sie, Herr Siegmund. Bei diesen frostigen Leuten sind wir nichts nuetze. Ob wir ihr kaltsinniges Gespraech von der Freundschaft hoeren oder nicht. Wir wollen zu dem Papa gehen. Sechster Auftritt Julchen. Damis. Julchen. Ich bin meiner Schwester recht herzlich gut; aber ich wuerde es noch mehr sein, wenn sie weniger auf die Liebe hielte. Es kann sein, dass die Liebe viel Annehmlichkeiten hat; aber das traurige und eingeschraenkte Wesen, das man dabei annimmt, verderbt ihren Wert, und wenn er noch so gross waere. Ich habe ein lebendiges Beispiel an meiner Schwester. Sie war sonst viel munterer, viel ungezwungener. Damis. Ich habe Ihnen versprochen, nicht von der Liebe zu reden, und ich halte mein Wort. Die Freundschaft scheint mir in der Tat besser. Julchen. Ja. Die Freundschaft ist das frohe Vergnuegen der Menschen und die Liebe das traurige. Man will einander recht geniessen, darum liebt man; und man eilt doch nur, einander satt zu werden. Habe ich nicht recht, Herr Damis? Damis. Ich werde die Liebe in Ihrer Gesellschaft gar nicht mehr erwaehnen. Sie moechten mir sonst dabei einfallen. Und wie wuerde es alsdann um mein Versprechen stehen? Julchen. Sie koennten es vielleicht fuer einen Eigensinn, oder ich weiss selbst nicht fuer was fuer ein Anzeichen halten, dass ich die Liebe so fliehe. Aber nein. Ich sage es Ihnen, es gehoert zu meiner Ruhe, ohne Liebe zu sein. Lassen Sie mir doch diese Freiheit. Muss man denn diese traurige Plage fuehlen? Nein, meine Schwester irrt: es geht an, sie nicht zu empfinden. Ich sehe es an mir. Aber warum schweigen Sie so stille? Ich rede ja fast ganz allein. Sie sind verdriesslich? O wie gut ist's, dass Sie nicht mehr mein Liebhaber sind! Sonst haette ich Ursache, Ihnen zu Gefallen auch verdriesslich zu werden. Damis. O nein, ich bin gar nicht verdriesslich. Julchen. Und wenn Sie es auch waeren, und zwar deswegen, weil ich nicht mehr von der Liebe reden will: so wuerde mir doch dieses gar nicht nahegehen. Es ist mir nicht lieb, dass ich Sie so verdriesslich sehe; aber als Ihre gute Freundin werde ich darueber gar nicht unruhig. O nein! Ich bin ja auch nicht jede Stunde zufrieden. Sie koennen ja etwas zu ueberlegen haben. Ich argwohne gar nichts. Ich mag es auch nicht wissen... Doch, mein Herr, Sie stellen einen sehr stummen Freund vor. Wenn bin ich Ihnen denn so gleichgueltig geworden? Damis. Nehmen Sie es nicht uebel, meine schoene Freundin, dass ich einige Augenblicke ganz fuehllos geschienen habe. Ich habe, um Ihren Befehl zu erfuellen, die letzten Bemuehungen angewandt, die aengstlichen Regungen der Liebe voellig zu ersticken und den Charakter eines aufrichtigen Freundes anzunehmen. Die Vernunft hat nunmehr ueber mein Herz gesiegt. Die Liebe war mir sonst angenehm, weil ich sie Ihrem Werte zu danken hatte. Nunmehr scheint mir auch die Unempfindlichkeit schoen und reizend zu sein, weil sie durch die Ihrige in mir erwecket worden ist. Verlassen Sie sich darauf, ich will mir alle Gewalt antun; aber vergeben Sie mir nur, wenn ich zuweilen wider meinen Willen in den vorigen Charakter verfalle. Ich liebe Sie nicht mehr; aber, ach, sollten Sie doch wissen, wie hoch ich Sie schaetze, meine englische Freundin! Julchen. Aber warum schlagen Sie denn die Augen nieder? Darf man in der Freundschaft einander auch nicht ansehen? Damis. Es gehoert zu meinem Siege. Wer kann Sie sehen und Sie doch nicht lieben? Julchen. Sagten Sie mir nicht wieder, dass Sie mich liebten? O das ist traurig! Ich werde ueber Ihr Bezeigen recht unruhig. Einmal reden Sie so verliebt, dass man erschrickt, und das andere Mal so gleichgueltig, als wenn Sie mich zum ersten Male saehen. Nein, schweifen Sie doch nicht aus. Sie widersprechen mir ja stets. Ist dies die Eigenschaft eines guten Freundes? Wir brauchen ja nicht zu lieben. Ist denn die Freiheit nicht so edel als die Liebe? Damis. O es gehoert weit mehr Staerke des Geistes zu der Freiheit als zu der Liebe. Julchen. Das sage ich auch, warum halten Sie mir's denn fuer uebel, dass ich die Freiheit hochschaetze, dass ich statt eines Liebhabers lieber zehn Freunde, statt eines einfachen lieber ein mannigfaltiges Vergnuegen haben will? Sind denn meine Gruende so schlecht, dass ich darueber Ihre Hochachtung verlieren sollte? Tun Sie den Ausspruch, ob ich bloss aus Eigensinn rede. (Damis sieht sie zaertlich an.) Aber warum sehen Sie mich so aengstlich an, als ob Sie mich bedauerten? Was wollen mir Ihre Augen durch diese Sprache sagen? Ich kann mich gar nicht mehr in Ihr Bezeigen finden. Sie scheinen mir das Amt eines Aufsehers und nicht eines Freundes ueber sich genommen zu haben. Warum geben Sie auf meine kleinste Miene Achtung und nicht auf meine Worte? Mein Herr, ich wollte, dass Sie nunmehr... Damis. Dass Sie gingen, wollten Sie sagen. Auch diesen Befehl nehme ich an, so sauer er mir auch wird. Sie moegen mich nun noch so sehr hassen: so werde ich mich doch in Ihrer Gegenwart nie ueber mein Schicksal beklagen. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen. Julchen. Hassen? Wenn habe ich denn gesagt, dass ich Sie hasse? Ich verstehe diese Sprache. Weil Sie mich nicht lieben sollen, so wollen Sie mich hassen. Dies ist sehr grossmuetig. Das sind die Fruechte der beruehmten Zaertlichkeit. Ich werde aber nicht aus meiner Gelassenheit kommen, und wenn Sie auch mit dem kaltsinnigsten Stolze noch einmal zu mir sagen sollten: Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen. Das ist ja eine rechte Hofsprache. Damis. Es ist die Sprache der Ehrerbietung. (Er geht ab.) Siebenter Auftritt Julchen allein. Wie? Er geht? Aber warum bin ich so unruhig? Ich liebe ihn ja nicht. .. Nein, ich bin ihm nur gewogen. Es ist doch ein unertraeglicher Stolz, dass er mich verlaesst. Aber habe ich ihn etwan beleidiget? Er ist ja sonst so vernuenftig und so grossmuetig... Nein, nein, er liebt mich nicht. Es muss Verstellung gewesen sein. Ich habe heute ein recht muerrisches Wesen. (Lottchen tritt unvermerkt herein.) Wenn ich nur meine Laute hier haette, ich wollte... Achter Auftritt Julchen. Lottchen. Lottchen. Ich will sie gleich holen, wenn du es haben willst. Aber, mein Kind, was hast du mit dir allein zu reden? Es ist ja sonst deine Art nicht, dass du mit der Einsamkeit sprichst? Julchen. Wenn haette ich denn mit mir allein geredet? Ich weiss nicht, dass ich heute allen so verdaechtig vorkomme. Lottchen. Aber woher wuesste ich's, dass du die Laute haettest haben wollen, wenn du nicht geredt haettest? Mich hast du nicht gesehen, liebes Kind, und also musst du wohl mit dir selbst geredt haben. Ich daechte es wenigstens, oder bist du anderer Meinung? Julchen. Ihr muesst euch alle beredt haben, mir zu widersprechen. Lottchen. Wieso? Ich habe dir nicht widersprochen. Und wenn es Herr Damis getan hat, so kann ich nichts dafuer. Warum ziehst du deine guten Freunde nicht besser? Er sagte mir im Vorbeigehen, du waerest recht boese geworden, weil er es etliche Mal versehen und wider sein Versprechen an die Liebe gedacht haette. Julchen. Schwester, ich glaube, Ihr kommt, um Rechenschaft von mir zu fordern. Ihr hoert es ja, dass ich mich nicht zur Liebe zwingen lasse. Lottchen. Recht, Julchen, wenn dir Herr Damis zuwider ist: so bitte ich dich selber, liebe ihn nicht. Julchen. Was das fuer ein weiser Spruch ist! Wenn er dir zuwider ist.. . Muss man denn einander hassen, wenn man nicht lieben will? Ich habe ja noch nicht gefragt, ob dir dein Herr Siegmund zuwider ist. Lottchen. Nein, du hast mich noch nicht gefragt. Aber wenn du mich fragen solltest, so wuerde ich dir antworten, dass ich ihn recht zaertlich, recht von Herzen liebe und mich meiner Zaertlichkeit nicht einen Augenblick schaeme. Es gehoert weit mehr Hoheit des Gemuets dazu, die Liebe vernuenftig zu fuehlen, als die Freiheit zu behaupten. Julchen. Ich moechte vor Verdruss vergehen. Herr Damis hat gleich vorhin das Gegenteil behauptet. Wem soll man nun glauben? Nehmt mir's nicht uebel, meine Schwester, ich weiss, dass Ihr mehr Einsicht habt als ich; aber erlaubt mir, dass ich meinen Einfall dem Eurigen vorziehe. Und warum kann Herr Damis nicht so gut recht haben als Ihr? Ihr habt ja immer gesagt, dass er ein vernuenftiger und artiger Mann waere. Lottchen. Das Beiwort artig haette nicht eben notwendig zu unserer Streitfrage gehoert; aber vielleicht gehoert diese Vorstellung sonst in die Reihe deiner Empfindungen. Herr Damis ist ganz gewiss verstaendiger als ich; aber er ist auch ein Mensch wie ich; und der beste Verstand hat seine schwache Seite. Julchen. Lottchen, also seid Ihr hiehergekommen, um mir zu demonstrieren, dass Herr Damis ein Mensch und kein Engel am Verstande ist? Das glaube ich. Aber, mein liebes Lottchen, Eure Spoettereien sind mir sehr ertraeglich. Ich koennte Euch leicht die Antwort zurueckgeben, dass Euer Herr Siegmund auch unter die armen Sterblichen gehoerte; aber ich will es nicht tun. Ihr wuerdet nur denken, dass ich aus Eigensinn den Herrn Damis verteidigen wollte. Nein, er soll nicht den groessten Verstand haben; er soll nicht so galant, nicht so liebenswuerdig sein als Euer Siegmund. So habe ich noch eine Ursache mehr, meine Freiheit zu behaupten und ihn nicht zu lieben. Lottchen. Mein liebes Kind, du koemmst recht in die Hitze. Du schmaelst auf mich und meinen Geliebten, und ich bleibe dir doch gut. Man kann dich nicht hassen. Du traegst dein gutes Herz in den Augen und auf der Zunge, ohne dass du daran denkst. Du bist meine liebe schoene Schwester. Deine kleinen Fehler sind fast ebenso gut als Schoenheiten. Wenigstens kann man sie nicht begehen, wenn man nicht so aufrichtig ist, wie du bist. Kind, ich habe diese Nacht einen merkwuerdigen Traum von einer jungen angenehmen Braut gehabt und ich... Julchen. Ich bitte dich, liebe Schwester, lass mich allein. Ich bin verdriesslich, recht sehr verdriesslich, und ich werde es nur mehr, je mehr ich rede. Lottchen. Bist du etwan darueber verdriesslich, dass ich in der Heftigkeit ein Wort wider den Herrn Damis...? Julchen. O warum denkst du wieder an ihn? Willst du mich noch mehr zu Fehlern bringen? Lass ihm doch seinen schwachen Verstand und mir meinen verdriesslichen Geist und das Glueck, einige Augenblicke allein zu sein. Die aeltern Schwestern haben doch immer etwas an den juengern auszusetzen. Lottchen. Ich hoere es wohl, ich soll gehen. Gut. Komm bald nach, sonst musst du wieder mit dir allein reden. Neunter Auftritt Julchen. Der Magister. Julchen. Ist es nicht moeglich, dass ich allein sein kann? Muessen Sie mich notwendig stoeren? Herr Magister! Sagen Sie mir's nur kurz, was zu Ihren Diensten ist. Der Magister. Jungfer Muhme, ich will etwas mit Ihnen ueberlegen. Vielleicht bin ich wegen meiner Jahre und meiner Erfahrung nicht ungeschickt dazu. Ich liebe Sie, und Sie wissen, was der Verstand fuer eine unentbehrliche Sache bei allen unsern Handlungen ist. Julchen. Ja, das weiss ich. Demungeachtet wollte ich wuenschen, dass ich heute gar keinen haette; vielleicht waere ich ruhiger. Der Magister. Sie uebereilen sich. Wer wuerde uns das Wahre von dem Falschen, das Scheingut von dem wahren Gute unterscheiden helfen? Wer wuerde unsern Willen zu festen und gluecklichen Entschliessungen bringen, wenn es nicht der Verstand taete? Und wuerden Sie wohl so liebenswuerdig geworden sein, wenn Sie nicht immer verstaendig gewesen waeren? Julchen. Herr Magister, Sie sind ja nicht auf Ihrer Studierstube. Was quaelen Sie mich mit Ihrer Gelehrsamkeit? Ich mag ja nicht so weise sein als Sie. Ich kann es auch nicht sein, weil ich nicht so viel Geschicklichkeit besitze. Der Magister. Zu eben der Zeit, da Sie wuenschen, dass sie keine Vernunft haben moechten, beweisen Sie durch Ihre Bescheidenheit, dass Sie ihrer sehr viel haben. Ich fordere keine Gelehrsamkeit von Ihnen. Ich will sogar die meinige vergessen, indem ich mit Ihnen spreche. Sie sollen heute den Schritt zu Ihrem Gluecke tun. Es scheint aber nicht, dass Sie dazu entschlossen sind. Gleichwohl wuenscht es Ihr Herr Vater herzlich. Ich habe ihm versprochen, Ihnen einige kleine Vorstellungen zu tun. Und ich wuenschte, dass Sie solche anhoeren und mir Einwuerfe dagegen machen moechten. Dies kann ich, so alt ich bin, doch wohl leiden. Die Liebe ist eine der schoensten, aber auch der gefaehrlichsten Leidenschaften. Sie raecht sich an uns, wenn wir sie verschmaehen; und sie raecht sich auch, wenn wir uns in unserm Gehorsame uebereilen. Julchen. Sie sind etwas weitlaeuftig in Ihren Vorstellungen. Allein, Sie sollen ohne Einwurf recht haben. Lassen Sie mich nur in Ruhe. Mein Verstand ist freilich nicht so stark an Gruenden als eine Philosophie. Dennoch ist er noch immer stark genug fuer mein Herz gewesen. Der Magister. Wissen Sie nicht, dass uns unsere Leidenschaften am ersten besiegen, wenn sie am ruhigsten zu sein scheinen? Das Herz der Menschen ist der groesste Betrueger. Und der Kluegste weiss oft selbst nicht, was in ihm vorgeht. Wir lieben und werden es zuweilen nicht eher gewahr, als bis wir nicht mehr geliebt werden. Dieses alles sollen Sie nicht glauben, weil ich's sage. Nein, weil es die groessten Kenner des menschlichen Herzens, ein Sokrates, ein Plato, ein Seneca und viele von den neuern Philosophen gesagt haben. Julchen. Ich kenne alle diese Maenner nicht und verlange sie auch nicht zu kennen. Aber wenn sie so weise gewesen sind, wie Sie behaupten, so werden sie wohl auch gesagt haben, dass man ein unruhiges Herz durch viele Vorstellungen nicht noch unruhiger machen soll. Und ich traue dem Plato und Seneca, und wie sie alle heissen, so viel Einsicht und Hoeflichkeit zu, dass sie Sie bitten wuerden, mich zu verlassen, wenn sie zugegen waeren. Sobald ich die Leidenschaften und insonderheit die Liebe nicht mehr regieren kann: so will ich Ihre Philosophie um Beistand ansprechen. Der Magister. Ihre Aufrichtigkeit gefaellt mir, ob sie mir gleich zu widersprechen scheint. Aber ich wuerde mich fuer sehr unphilosophisch halten, wenn ich den Widerspruch nicht gelassen anhoeren koennte. Sie sollen mich nicht beleidiget haben. Nein! Aber Sie sagen, Sie sind unruhig. Sollte es itzt nicht Zeit sein, diese Unruhe durch Ueberlegung zu daempfen? Was verursacht Ihre Unruhe? Ist's der Affekt der Liebe oder des Abscheus? Der Furcht oder des Verlangens? Ich wollte wuenschen, dass Sie ein anschauendes Erkenntnis davon haetten. Wenn man die Ursache eines moralischen Uebels weiss: so weiss man auch das moralische Gegenmittel. Ich meine es gut mit Ihnen. Ich rede begreiflich, und ich wollte, dass ich noch deutlicher reden koennte. Julchen. Ich setze nicht das geringste Misstrauen weder in Ihre Aufrichtigkeit noch in Ihre Gelehrsamkeit. Aber ich bin verdriesslich. Ich weiss nicht, was mir fehlt, und mag es auch zu meiner Ruhe nicht wissen. Verlassen Sie mich. Sie sind mir viel zu scharfsinnig. Der Magister. Warum loben Sie mich? Wenn Sie so viele Jahre der Wahrheit nachgedacht haetten als ich: so wuerden Sie vielleicht ebenso helle denken. Unterdruecken Sie Ihre Unruhe und ueberlegen Sie das Glueck, das sich Ihnen heute auf Ihr ganzes Leben anbietet. Herr Damis verlangt Ihr Herz und scheint es auch zu verdienen. Was sagt Ihr Verstand dazu? Auf die Wahl in der Liebe koemmt das ganze Glueck der Ehe an; und kein Irrtum bestraft uns so sehr als der, den wir in der Liebe begehn. Allein wenn kann man sich leichter irren als bei dieser Gelegenheit? Julchen. Ich glaube, dass dieser Unterricht recht gut ist. Aber was wird er mir nuetzen, da ich nicht lieben will? Der Magister. Sie reden sehr hitzig. Dennoch werde ich nicht aus meiner Gelassenheit kommen. Sie wollen nicht lieben, nicht heiraten? Aber wissen Sie denn auch, dass Sie dazu verbunden sind? Soll ich Ihnen den Beweis aus meinem Rechte der Natur vorlegen? Sie wollen doch, dass das menschliche Geschlecht erhalten werden soll? Dieses ist ein Zweck, den uns die Natur lehrt. Das Mittel dazu ist die Liebe. Wer den Zweck will, der muss auch das Mittel wollen, wenn er anders verstaendig ist. Sehn Sie denn nicht, dass Sie zur Ehe verbunden sind? Sagen Sie mir nur, ob Sie die Kraft dieser Gruende nicht fuehlen? Julchen. Ich fuehle sie in der Tat nicht. Und wenn die Liebe nichts ist als eine Pflicht: so wundert mich's, wie sie so viele Herzen an sich ziehen kann. Ich will ungelehrt lieben. Ich will warten, bis mich die Liebe durch ihren Reiz bezaubern wird. Der Magister. Jungfer Muhme, das heisst halsstarrig sein, wenn man die Augen vor den klaersten Beweisen zuschliesst. Wenn Sie erkennen, dass Sie zur Ehe verbunden sind, wie koennte denn Ihr Wille undeterminiert bleiben? Ist denn der Beifall im Verstande und der Entschluss im Willen nicht eine und ebendieselbe Handlung unserer Seele? Warum wollen Sie sich denn nicht zur Heirat mit dem Herrn Damis entschliessen, da Sie sehen, dass Sie eine Pflicht dazu haben? Julchen. Nehmen Sie mir's nicht uebel, Herr Magister, dass ich Sie verlasse, ohne von Ihrer Sittenlehre ueberzeugt zu sein. Was kann ich armes Maedchen dafuer, dass ich nicht so viel Einsicht habe als Plato, Seneca und Ihre andern weisen Maenner? Machen Sie es mit diesen Leuten aus, warum ich keine Lust zur Heirat habe, da ich doch durch ihren Beweis dazu verbunden bin. Ich habe noch etliche Anstalten in der Kueche zu machen. Zehnter Auftritt Der Magister. Cleon. Der Magister. Ich habe deiner Tochter Julchen alle moegliche Vorstellungen getan. Ich habe mit der groessten Selbstverleugnung mit ihr gesprochen. Ich habe ihr die staerksten Beweise angefuehrt; aber... Cleon. O haettest du ihr lieber ein paar Exempel von gluecklich verheirateten Maedchen angefuehrt. Der Magister. Sie widersprach mir mehr als einmal; aber ich kam nicht aus meiner Gelassenheit. Ich erwies ihr, dass sie verbunden waere zu heiraten. Cleon. Du hast dir viel Muehe geben. Ich denke, wenn ein Maedchen achtzehn Jahre alt ist: so wird sie nicht viel wider diesen Beweis einwenden koennen. Der Magister. Julchen sah alles ein. Ich machte es ihr sehr deutlich. Denn wenn man mit Ungelehrten zu tun hat, die nicht abstrakt denken koennen: so muss man sich herunterlassen und das Ingenium zuweilen zu Huelfe nehmen. Cleon. Aber wie weit hast du Julchen durch deine Gruende gebracht? Will sie den Herrn Damis heiraten? Hat sie denn ihre Herzensmeinung nicht verraten? Ich kann ja den rechtschaffenen Mann nicht laenger aufhalten. Er meint es so redlich und hat so viele Verdienste. Der Magister. Sie sagte, sie waere unruhig. Und das war eben schlimm. Denn die Gruende der Philosophie fordern ein ruhiges Herz, wenn sie die Ueberzeugung wirken sollen. Wenn der Verstand durch die Triebe des Willens bestuermt wird: so ist er nicht aufmerksam. Und ohne Aufmerksamkeit sind die schaerfsten Beweise nichts als stumpfe Pfeile. Cleon. Rede nicht so tiefsinnig. Du haettest sie eben sollen ruhig machen: so saehe ich den Nutzen von deiner Geschicklichkeit. Der Magister. Ich versuchte alles. Ich zeigte ihr die schoene Seite der Liebe. Ich sagte ihr erstlich, dass eine glueckliche Ehe das groesste Vergnuegen waere. Cleon. Ja, die gluecklichen Ehen sind etwas sehr Schoenes. Aber du haettest ihr sagen sollen, dass ihre Ehe wahrscheinlicherweise sehr gluecklich werden wuerde. Das ist meine Absicht gewesen, warum ich dich zu ihr geschickt habe. Der Magister. Kurz und gut, durch Lehrsaetze und Erweise ist sie nicht zu gewinnen, das sehe ich wohl. Sie versteht wohl die einzelnen Saetze; aber wenn sie sie in Gedanken zusammen verbinden und dem Schlusse das Leben geben soll: so weichet ihr Verstand zurueck, und sie wird ungehalten, dass er sie verlaesst. Cleon. Also kannst du mir weiter nicht helfen und sie nicht ueberreden? Der Magister. Es gibt noch gewisse witzige Beweise zur Ueberredung, die man Beweise kat' anJrwpon nennen koennte. Dergleichen sind bei den alten Rednern die Fabeln und Allegorien oder Parabeln. Bei Leuten, die nicht scharf denken koennen, tun diese witzigen Blendwerke oft gute Dienste. Ich will sehen, ob ich durch mein Ingenium das ausrichten kann, was sie meinem Verstande versagt hat. Vielleicht macht ihr eine Fabel mehr Lust zur Heirat als eine Demonstration. Ich will eine machen und sie ihr vorlesen und tun, als ob ich sie in dem Fabelbuche eines jungen Menschen in Leipzig gefunden haette, der sich durch seine Fabeln und Erzaehlungen bei der Schuljugend so beliebt gemacht hat. Cleon. Ach ja, das tue doch, damit wir alles versuchen. Wenn die Fabel huebsch ist: so kannst du sie gleich auf meiner Tochter Hochzeit der Welt mitteilen. Mache nur nicht gar zu lange darueber. Eine Fabel ist ja keine Predigt. Es muss ja nicht alles so akkurat sein. Meine Tochter wird dich nicht verraten. Mache, dass sie ja spricht: so will ich dir ohne Fabel, aber recht aufrichtig danken. (Der Magister geht ab.) Eilfter Auftritt Cleon. Lottchen. Lottchen. Papa, der Herr Vormund des Herrn Damis hat durch seinen Bedienten dieses Zettelchen an Sie geschickt. Cleon (er liest). "Weil Sie es verlangen: so werde ich die Ehre haben, gegen die Kaffeezeit zu Ihnen zu kommen. Ich lasse mir die Wahl des Herrn Damis, meines Muendels, sehr wohl gefallen. Er haette nicht gluecklicher waehlen koennen. Kurz, ich will mich diesen Nachmittag mit Ihnen und Ihren Jungfern Toechtern recht vergnuegen, weil ich ohnedies heute eine angenehme Nachricht vom Hofe erhalten habe. Zugleich muss ich Ihnen melden, dass heute oder morgen das Testament Ihrer seligen Frau Muhme, der Frau Stephan, geoeffnet werden soll. Ich glaube gewiss, dass sie Ihnen etwas vermacht hat. Vielleicht kann ich Ihnen die Gewissheit davon um vier Uhr mitbringen. Ich bin" usw. Das geht ja recht gut, meine liebe Tochter. Ich dachte immer, der Herr Vormund wuerde seine Einwilligung nicht zur Heirat geben, weil meine Tochter kein Vermoegen hat. Lottchen. Das habe ich gar nicht befuerchtet. Der Herr Vormund ist ja die Leutseligkeit und Menschenliebe selbst und macht sich gewiss eine Freude daraus, zu dem Gluecke eines Frauenzimmers etwas beizutragen, der man keinen groessern Vorwurf machen kann, als dass sie nicht reich ist. Cleon. Tochter, du hast sehr recht. Es ist ein lieber Mann. Ich habe nur gedacht, dass er einen gewissen Fehler haben muesste, weil er schon nahe an vierzig ist und noch kein Amt hat. Aber was hilft uns das alles, wenn Julchen den Herrn Damis nicht haben will? Lottchen. Machen Sie sich keine Sorge, lieber Papa. Julchen ist so gut als besiegt. Und ich denke, es koennte ihr kein groesser Unglueck widerfahren, als wenn man ihr ihren Schatz, die sogenannte Freiheit, ungeraubt liesse. Ich habe die sichersten Merkmale, dass sie den Herrn Damis liebt. Cleon. Sollte es moeglich sein? Ich duerfte es bald selbst glauben. Ihr losen Maedchen tut immer, als wenn euch nichts an den Maennern laege, und heimlich habt ihr doch eine herzliche Freude an ihnen. Je nun, die Liebe ist auch noetig in der Welt, sonst haette sie uns der Himmel nicht gegeben. Lottchen. Papa, diese Satire auf die losen Maedchen trifft mich nicht. Ich daechte, ich machte kein Geheimnis aus meiner Liebe. Wenigstens halte ich die vernuenftige Liebe fuer kein groesser Verbrechen als die vernuenftige Freundschaft. Unser Leben ist vielleicht deswegen mit so vielen Beschwerlichkeiten belegt, dass wir es uns desto mehr durch die Liebe sollen leicht und angenehm zu machen suchen. Cleon. Mein Kind, wenn mir die Frau Muhme Stephan etwas vermacht haben sollte: so saehe ich's sehr gerne, wenn ich euch, meine Toechter, auf einen Tag versprechen und euch in kurzem auf einen Tag die Hochzeit ausrichten koennte. Ich wollte gern das ganze Vermaechtnis dazu hergeben. Lottchen. Sie sind ein liebreicher Vater. Nein, wenn Sie auch durch das Testament etwas bekommen sollten: so wuerde es doch ungerecht sein, wenn wir Sie durch unsre Heiraten gleich um alles braechten. Nein, lieber Papa, ich kann noch lange warten. Und mein Geliebter wird sich ohnedies nicht zur Ehe entschliessen, bis er nicht eine hinlaengliche Versorgung hat. Cleon. Tue dein moeglichstes, dass Julchen heute noch ja spricht. Die Maedchen muessen wohl ein wenig sproede tun; aber sie muessen es den Junggesellen auch nicht so gar sauer machen. Lottchen. Papa, unsere selige Mama sagte nicht so. Cleon. Loses Kind, ein Vater darf ja wohl ein Wort reden. Ich bin ja auch jung gewesen, und meine Jugend reut mich gar nicht. Ich und deine selige Mutter haben uns ein Jahr vor der Ehe und sechzehn Jahre in der Ehe wie die Kinder vertragen. Sie hat mir tausend vergnuegte Stunden gemacht, und ich will's ihr noch in der Ewigkeit danken. Sie hat auch euch, meine Kinder, ohne Ruhm zu melden, recht gut gezogen. Ich weine vielmal, wenn ich des Abends nach der Betstunde von euch gehe und eure Andacht, insonderheit die deinige, sehe. Es wird dir gewiss wohlgehen. Verlasse dich darauf. Du tust mir viel Gutes. Du fuehrst meine ganze Haushaltung. Sei zufrieden mit deinem Schicksale. Ich lasse dir nach meinem Tode einen ehrlichen Namen und eine gute Auferziehung. Lass mich ja zu meiner seligen Frau ins Grab legen. Ich will schlafen, wo sie schlaeft. Lottchen. Ach, Papa, warum machen Sie mich weichmuetig? Sie werden, wenn es nach meinem Wunsche geht, noch lange leben und erfahren, dass ich meinen Ruhm in der Pflicht, Ihnen zu dienen, suche. Und wenn ich Sie hundert Jahre versorge: so habe ich nichts mehr getan, als was mir meine Schuldigkeit befiehlt. Heute muessen Sie vergnuegt sein. Doch vielleicht ist die traurige Empfindung, die in Ihnen entstanden ist, die angenehmste, die nur ein rechtschaffener Vater fuehlen kann. Aber, lieber Papa, es ist kein Wein mehr im Keller als das gute Fass, das Sie in meinem Geburtsjahre eingelegt haben. Was werden wir heute unsern Gaesten fuer Wein vorsetzen? Cleon. Tochter, zapfe das Fass an. Und wenn es Nektar waere: so ist er fuer den heutigen Tag nicht zu gut. Es wird bald Mittagszeit sein. Ich will immer gehen und die Forellen aus dem Fischhaelter langen. Wenn ich Julchen sehe: so will ich dir sie wohl wieder herschicken, wenn du noch einmal mit ihr reden willst. Lottchen. Recht gut, Papa, ich will noch einige Augenblicke hier warten. Zwoelfter Auftritt Lottchen. Siegmund. Siegmund. Ich habe schon einen Augenblick mit Julchen gesprochen. Sie ist ungehalten auf den Herrn Damis, aber ihre ganze Anklage scheint mir nichts als eine Liebeserklaerung in einer fremden Sprache zu sein. Ich haette nicht gedacht, dass sie so zaertlich waere. Die Liebe und Freundschaft reden zugleich aus ihren Augen und aus ihrem Munde, je mehr sie nach ihrer Meinung die erste verbergen will. Lottchen. Ei, ei, mein lieber Herr Siegmund! Ich koennte bald einige Minuten eifersuechtig werden. Nicht wahr, meine Schwester ist reizender als ich? Aber dennoch lieben Sie mich. Siegmund. Wer kann Sie einmal lieben und nicht bestaendig lieben? Ihre Jungfer Schwester hat viele Verdienste; aber Sie haben ihrer weit mehr. Sie kennen mein Herz. Dieses muss Ihnen fuer meine Treue der sicherste Buerge sein. Lottchen. Ja, ich kenne es und bin stolz darauf. Ach, mein liebster Freund, ich muss Ihnen sagen, dass uns vielleicht ein kleines Glueck bevorsteht. Wollte doch der Himmel, dass es zu Ihrer Beruhigung etwas beitragen koennte! Der Herr Vormund des Herrn Damis hat dem Papa in einem Billette gemeldet, dass heute das Testament der Frau Muhme Stephan geoeffnet werden wuerde und dass er glaubte, sie wuerde den Papa darinne bedacht haben. O wenn es doch die Vorsicht wollte, dass ich so gluecklich wuerde, Ihre Umstaende zu verbessern! Siegmund. Machen Sie mich nicht unruhig. Sie lieben mich mehr, als ich verdiene. Gedulden Sie sich, es wird noch alles gut werden und... Lottchen. Sie sind unruhig? Was fehlt Ihnen? Sagen Sie mir's. Mein Leben ist mir nicht lieber als Ihre Ruhe. Siegmund. Ach, mein schoenes Kind, es fehlt mir nichts, nichts als das Glueck, Sie ewig zu besitzen. Ich bin etwas zerstreut. Ich habe diese Nacht nicht wohl geschlafen. Lottchen. O kommen Sie und werden Sie mir zuliebe munter. Wir wollen erst zu Julchen auf ihre Stube und dann gleich zur Mahlzeit gehn. (Ende des ersten Aufzugs.) Zweiter Aufzug Erster Auftritt Cleon. Julchen. Cleon. Du wirst doch wissen, ob du ihm gut bist? Julchen. Lieber Papa, woher soll ich's denn wissen? Ich will Ihnen gerne gehorchen; aber lassen Sie mir nur meine Freiheit. Cleon. "Ich will Ihnen gerne gehorchen; aber lassen Sie mir nur meine Freiheit." Kleiner Affe, was redst du denn? Wenn ich dir deine Freiheit lassen soll: so brauchst du mir ja nicht zu gehorchen. Ich will dich gar nicht zwingen. Ich bin dir viel zu gut. Nein, sage mir nur, ob er dir gefaellt. Julchen. Ob mir Herr Damis gefaellt? Vielleicht, Papa. Ich weiss es nicht gewiss. Cleon. Tochter, schaeme dich nicht, mit deinem Vater aufrichtig zu reden. Du bist ja erwachsen, und die Liebe ist ja nichts Verbotenes. Gefaellt dir seine Person, seine Bildung? Julchen. Sie missfaellt mir nicht. Vielleicht... gefaellt sie mir gar. Cleon. Maedchen, was willst du mit deinem "Vielleicht"? Wir reden ja nicht von verborgenen Sachen: du darfst ja nur dein Herz fragen. Julchen. Aber wenn nun mein Herz so untreu ist und mir nicht aufrichtig antwortet? Cleon. Rede nicht so poetisch. Dein Herz bist du, und du wirst doch wissen, was in dir vorgeht. Wenn du einen jungen, wohlgebildeten, geschickten, vernuenftigen und reichen Menschen siehst, der dich zur Frau haben will: so wirst du doch leicht von dir erfahren koennen, ob du ihn zum Manne haben moechtest. Julchen. Zum Manne?... Ach, Papa! lassen Sie mir Zeit. Ich bin heute unruhig, und in der Unruhe koennte ich mich uebereilen. Ich glaube in der Tat nicht, dass ich ihn liebe, sonst wuerde ich munter und zufrieden sein. Wer weiss auch, ob ich ihm gefalle? Cleon. Wenn du darueber unruhig bist: so hat es gute Wege. Bist du nicht ein albernes Kind! Wenn du ihm nicht gefielst: so wuerde er sich nicht so viel Muehe um dich geben. Er kennt dich vielleicht besser, als du dich selbst kennst. Stelle dir einmal vor, ob ich deine selige Mutter, da sie noch Jungfer war, zur Ehe begehret haben wuerde, wenn sie mir nicht gefallen haette. Indem er zu dir sagt: "Jungfer Julchen", oder wie er dich nennt... Du kannst mir's ja sagen, wie er dich heisst. Julchen. Er heisst mich Mamsell. Cleon. Kind, du betruegst mich. Er spraeche schlechtweg "Mamsell"? Das kann nicht sein. Julchen. Zuweilen spricht er auch "liebe Mamsell". Cleon. Tochter, du verstellst dich. Ich bin ja dein Vater. Im Ernste, wie heisst er dich, wenn er's recht gut meint? Julchen. Ich kann mich selbst nicht besinnen. Er spricht... er spricht... "mein Julchen"... Cleon. Warum sprichst du das Wort so klaeglich aus? Seufzest du ueber deinen Namen? Dein Name ist schoen. Also spricht er zu dir: "Mein Julchen"? Gut, hat er dich nie anders geheissen? Julchen. Ach ja, lieber Papa. Er heisst mich auch zuweilen: "Mein schoenes Julchen." Warum fragen Sie mich denn so aus? Cleon. Lass mir doch meine Freude, du kleiner Narr. Ein rechtschaffener Vater hat seine Toechter lieb, wenn sie wohlgezogen sind. Ich bin ja stets freundlich mit euch umgegangen. Aber dass ich wieder auf das Hauptwerk komme. Ja, indem Herr Damis z. E. zu dir spricht: "Mein schoenes Julchen, ich habe dich..." Julchen. Oh! Er heisst mich Sie. Er wuerde nicht du sprechen. Das waere sehr vertraut, oder doch wenigstens unhoeflich. Cleon. Nun, nun, wenn er dich auch einmal du hiesse, deswegen verloerst du nichts von deiner Ehre. Hat mich doch meine selige Frau als Braut mehr als einmal du geheissen, und es klang mir immer schoen. Indem er also zu dir spricht: "Mein schoenes Julchen, ich bin Ihnen gut": so sagt er auch zugleich, "Sie gefallen mir"; denn sonst wuerde er das erste nicht sagen. Julchen. Das sagt er niemals zu mir. Cleon. Du machst mich boese. Ich habe es ja mehr als einmal selber gehoert. Julchen. Dass er zu mir gesagt haette: "Ich bin Ihnen gut"? Cleon. Jawohl! Julchen. Mit Ihrer Erlaubnis, Papa, das hat Herr Damis in seinem Leben nicht zu mir gesagt. "Ich liebe Sie von Herzen", das spricht er wohl; aber niemals, "ich bin Ihnen gut". Cleon. Bist du nicht ein zaenkisches Maedchen! Wir streiten ja nicht um die Worte. Julchen. Aber das klinget doch allemal besser: "Ich liebe Sie von Herzen", als das andere. Cleon. Das mag sein. Ich habe das letzte immer zu meiner lieben Frau gesagt, und es gefiel ihr ganz wohl. Dass die Welt die Sprache immer aendert, dafuer kann ich nicht. Ihr Maedchen gebt heutzutage auf ein Wort Achtung wie ein Rechenmeister auf eine Ziffer. Es gefaellt dir also, wenn er so zu dir spricht? Gut, meine Tochter, so nimm ihn doch. Was wegerst du dich denn? Ich gehe nach der Grube zu. Worauf willst du denn warten? Kind, ich sage dir's, es duerfte sich keine Graefin deines Braeutigams schaemen. Herr Damis moechte heute gerne die voellige Gewissheit haben, ob er... Julchen. Papa! Cleon. Nun, was willst du? Nur nicht so verzagt. Ich bin ja dein Vater. Ich gehe ja mit dir wie mit einer Schwester um. Julchen. Papa, darf ich etwas bitten? Cleon. Herzlich gern. Du bist mir so lieb als Lottchen, wenn jene gleich etwas gelehrter ist. Bitte, was willst du? Julchen. Ich? Ich bin sehr unentschlossen, sehr verdriesslich. Cleon. Das ist ja keine Bitte. Rede offenherzig. Julchen. Ich wollte bitten, dass Sie... mir meine Freiheit liessen. Cleon. Mit deiner ewigen Freiheit! Ich dachte, du wolltest schon um das Brautkleid bitten. Ich lasse dir ja deine Freiheit. Du sollst ja aus freiem Willen lieben, gar nicht gezwungen. Bedenke dich noch eine Stunde. Ueberlege es hier allein. Ich will dich nicht laenger stoeren. Ich will fuer dich beten. Das will ich tun. Zweiter Auftritt Julchen. Damis. Damis. Darf ich mit Ihnen reden, mein schoenes Kind? Julchen. Es ist gut, dass Sie kommen. Die Gesundheit, die Sie mir ueber Tische von der Liebe zubrachten, hat mich recht gekraenkt. Meine Schwester lachte darueber; aber das kann ich nicht. Sie hat heute ueberhaupt eine widerwaertige Gemuetsart, die sich sogar bis auf Sie, mein Herr, erstreckt. Damis. Bis auf mich? Darf ich weiterfragen? Julchen. Ich sagte ihr, dass Sie meiner Meinung waeren und behauptet haetten, dass mehr Hoheit der Seele zur Freiheit als zur Liebe gehoerte. Darueber spottete sie und sagte dreist, Sie haetten unrecht, wo sie nicht gar noch mehr sagte. Aber lassen Sie sich nichts gegen sie merken; sie moechte sonst denken, ich wollte eine Feindschaft anrichten. Damis. Lottchen wird es nicht so boese gemeint haben. Sie ist ja die Gutheit und Unschuld selbst. Julchen. Das konnte ich mir einbilden, dass Sie mir widersprechen wuerden. Und ich will es Ihnen nur gestehen, dass ich's zu dem Ende gesagt habe. Freilich hat meine Schwester mehr Gutheit als ich. Sie redt von der Liebe, und so guetig bin ich nicht. Damis. Vergeben Sie es ihr, wenn sie auch etwas von mir gesagt hat. Ich bin ja nicht ohne Fehler. Und vielleicht wuerde ich Ihnen mehr gefallen, wenn ich ihrer weniger haette. Julchen. Wozu soll diese Erniedrigung? Wollen Sie mich mit dem Worte Fehler demuetigen? Damis. Ach, liebstes Kind, werden Sie es denn niemals glauben, wie gut ich mit Ihnen meine? Julchen. Daran zweifele ich gar nicht. Sie sind ja meiner Schwester gewogen; und also wird es Ihnen nicht sauer ankommen, mir Ihre Gewogenheit in ebendem Grade zu schenken. Damis. Ja, ich versichere Sie, dass ich Lottchen allen Schoenen vorziehen wuerde, wenn ich Julchen nicht kennte. Julchen. Ich sehe, die Gefahr, mich hochmuetig zu machen, ist zu wenig, Sie von einer Schmeichelei abzuschrecken. Damis. Meine liebe Freundin, ich verliere meine Wohlfahrt, wenn dieses eine Schmeichelei war. Warum halten Sie mich nicht fuer aufrichtig? Julchen (zerstreut). Ich... ich habe die beste Meinung von Ihnen. Damis. Warum sprechen Sie diesen Lobspruch mit einem so traurigen Tone aus? Kostet er Sie so viel? In Wahrheit, ich bin recht ungluecklich. Je laenger ich die Ehre habe, Sie zu sehen und zu sprechen, desto unzufriedner werden Sie. Sagen Sie mir nur, was Sie beunruhiget. Ich will Ihnen ja Ihre Freiheit nicht rauben. Nein, ich will nicht den geringsten Anspruch auf Ihr Herz machen. Ich will Sie ohne alle Belohnung, ohne alle Hoffnung lieben. Wollen Sie mir denn auch dieses Vergnuegen nicht goennen? Julchen. Sie sind wirklich grossmuetiger, als ich geglaubt habe. Wenn Sie mich lieben wollen, ohne mich zu fesseln: so wird mir Ihr Beifall sehr angenehm sein. Aber dies ist auch alles, was ich Ihnen sagen kann. Werfen Sie mir mein verdriessliches Wesen nicht mehr vor. Ich will gleich so billig sein und Sie verlassen. Damis. Aber was fehlt Ihnen denn, mein Engel? Julchen (unruhig). Ich weiss es in Wahrheit nicht. Es ist mir alles so aengstlich, und es scheint recht, als ob ich das Aengstliche heute suchte und liebte. Ich bitte Sie recht sehr, lassen Sie deswegen nichts von Ihrer Hochachtung gegen mich fallen. Es ist unhoeflich von mir, dass ich Sie nicht munterer unterhalte, da Sie unser Gast sind. Aber der Himmel weiss, ich kann nichts dafuer. Ich will mir eine Tasse Kaffee machen lassen. Vielleicht kann ich mein verdriessliches Wesen zerstreuen. Aber gehn Sie nicht gleich mit mir. Lottchen moechte mir sonst einige kleine Spoettereien sagen. Wollen Sie so guetig sein? Dritter Auftritt Damis. Lottchen. Lottchen. Nun, Herr Damis, wie weit sind Sie in Ihrer Liebe? Sie weinen? Ist das moeglich? Damis. O goennen Sie mir dieses Glueck. Es sind Traenen der Wollust, die meine ganze Seele vergnuegen. Wenn Sie nur das liebenswuerdige Kind haetten sollen reden hoeren! Wenn Sie nur die Gewalt haetten sehen sollen, die sie ihrem Herzen antat, um es nicht sehn zu lassen! Sie sagte endlich aufrichtig, sie waere unruhig. Ach Himmel! mit welcher Annehmlichkeit, mit welcher Unschuld sagte sie dies! Sie liebt mich wohl, ohne es recht zu wissen. Bedenken Sie nur, mein liebes Lottchen, o bedenken Sie nur, wie... Lottchen. Warum reden Sie nicht weiter? Damis. Lassen Sie mich doch mein Glueck erst recht ueberdenken. Sie nannte ihre Unruhe ein verdriessliches Wesen. Sie bat mich, dass ich deswegen nichts von der Hochachtung gegen sie sollte fahrenlassen. Und das Wort Hochachtung drueckte sie mit einem Tone aus, der ihm die Bedeutung der Liebe gab. Sie sagte endlich in aller Unschuld, sie wollte sich eine Tasse Kaffee machen lassen, um den Nebel in ihrem Gemuete dadurch zu zerstreuen. Lottchen. Das gute Maedchen! Wenn der Kaffee eine Arznei fuer die Unruhen des Herzens waere: so wuerden wir wenig Gemuetskrankheiten haben. Nunmehr wird sie bald empfinden, was Liebe und Freiheit ist. Das Traurige, das sich in ihrem Bezeigen meldet, scheint mir ein Beweis zu sein, dass sie ihre Freiheit nicht mehr zu beschuetzen weiss. Verwandeln Sie sich nunmehr nach und nach wieder in den Liebhaber, damit Julchen nicht gar zu sehr bestraft wird. Damis. Diese Verwandlung wird mir sehr natuerlich sein. Aber ich fuerchte, wenn Julchen in Gegenwart so vieler Zeugen mir ihre Liebe wird bekraeftigen sollen: so wird ihr Herz wieder scheu werden. Sie bat mich, da sie mich verliess, dass ich ihr nicht gleich nachfolgen sollte, damit ihr Lottchen nicht einige Spoettereien sagen moechte. Wie furchtsam klingt dieses! Lottchen. Ja, es heisst aber vielleicht nichts anders, wenn man es in seine Sprache uebersetzt, als: Gehen Sie nicht mit mir, damit Lottchen nicht so deutlich sieht, dass ich Sie liebe. Ihre Braut scheut sich nicht vor der Liebe, sondern nur vor dem Namen derselben. Wenn sie weniger natuerliche Schamhaftigkeit haette, so wuerde ihre Liebe sich in einem groessern Lichte sehen lassen; aber vielleicht wuerde sie nicht so reizend erscheinen. Vielleicht geht es mit der Zaertlichkeit eines Frauenzimmers wie mit ihren aeusserlichen Reizungen, wenn sie gefallen sollen. Damis. Was meinen Sie, meine liebe Jungfer Schwester, soll ich... Aber wie? Ich nenne Sie schon Jungfer Schwester, und ich scheue mich doch zugleich, Sie deswegen um Vergebung zu bitten? Lottchen. Ich will den Fehler gleich wieder gutmachen, mein lieber Herr Bruder. Ich habe Ihnen nun nichts vorzuwerfen. Aber was wollten Sie sagen? Damis. Fragen Sie mich nicht. Ich habe es wieder vergessen. Ich kann gar nicht mehr zu meinen eignen Gedanken kommen. Sie verbergen sich in die entlegenste Gegend von meiner Seele. Julchen denkt und sinnt und redt in mir. Und seitdem ich sie traurig gesehen habe, habe ich grosse Lust, es auch zu sein. Was fuer ein Geheimnis hat nicht ein Herz mit dem andern! Ich sehe, dass ich gluecklich bin, und sollte vergnuegt sein. Ich sehe, dass mich Julchen liebt, und indem ich dieses sehe, werde ich traurig, weil sie es ist. Welche neue Entdeckung in meinem Herzen! Lottchen. Ich weiss Ihnen keinen bessern Rat zu geben als den, folgen Sie Ihrer Neigung und vertreiben Sie sich die Traurigkeit nicht, sonst werden Sie zerstreut werden. Sie wird ihres Platzes von sich selber muede werden und ihn bald dem Vergnuegen von neuem einraeumen. Damis. Ich werde recht furchtsam. Und ich glaube, wenn ich Julchen wiedersehe, dass ich gar stumm werde. Lottchen. Das kann leicht kommen. Vielleicht geht es Julchen auch also. Ich moechte Sie beide itzt beisammen sehen, ohne von Ihnen bemerkt zu werden. Sie wuerden beide tiefsinnig tun. Sie wuerden reden wollen und statt dessen seufzen. Sie wuerden die verraeterischen Seufzer durch gleichgueltige Mienen entkraeften wollen und ihnen nur mehr Bedeutung geben. Sie wuerden einander wechselsweise bitten, sich zu verlassen, und einander Gelegenheit geben, zu bleiben. Und vielleicht wuerde Ihre beiderseitige Wehmut zuletzt in etliche mehr als freundschaftliche Kuesse ausbrechen. Aber ich hoere meine Schwester kommen. Ich will Sie nicht stoeren. (Sie geht und bleibt in der Szene versteckt stehen.) Vierter Auftritt Julchen. Damis. Julchen. War nicht meine Schwester bei Ihnen? Wo ist sie? Damis (in tiefen Gedanken). Sie ging und sagte, sie wollte uns nicht stoeren. Julchen. Nicht stoeren? Was soll das bedeuten? Damis. Vergeben Sie mir. Ich habe mich uebereilet. Ach, Juliane! Julchen. Sie haben sich uebereilet, und woher? Aber... Ja... Ich will Sie verlassen. Sie sind tiefsinnig. Damis. Sie wollen mich verlassen? meine Juliane! Mich...? Julchen. Meine Juliane! so haben Sie mich ja sonst nicht geheissen? Sie vergessen sich. Ich will Sie verlassen. Damis. O gehn Sie noch nicht. Ich habe Ihnen recht viel zu sagen. Ach viel! Julchen. Und was denn? Sie halten mich wider meinen Willen zurueck. Ist Ihnen etwas begegnet? Was wollen Sie sagen? Reden Sie doch. Damis (bange). Meine Juliane! Julchen (mit beweglicher Stimme). Juliane! den Namen hoere ich zum dritten Male. Sie schweigen wieder? Ich muss nur gehn. (Sie geht. Er sieht ihr traurig nach, und sie sieht sich um.) Wahrhaftig, es muss Ihnen etwas Grosses begegnet sein. Darf ich's nicht wissen? Damis (er koemmt auf sie zu). Wenn Sie mir's vergeben wollten: so wollte ich Ihnen sagen; aber nein... Ich wuerde Ihre Gewogenheit darueber verlieren und... (Er kuesst ihr die Hand und haelt sie dabei.) Nein, ich habe Ihnen nichts zu sagen. Ach, Sie sind verdriesslich, meine Juliane? Julchen (ganz betroffen). Nein, ich bin nicht traurig. Aber ich erschrecke, dass ich Sie so bestuerzt sehe. Ja... Ich bin nicht traurig. Ich bin ganz gelassen, und ich wollte, dass Sie auch so waeren. Halten Sie mich nicht bei der Hand. Ich will Sie verlassen. Ich wollte meine Schwester suchen und ihr sagen... Damis. Was wollten Sie ihr denn sagen? mein schoenes Kind! Julchen. Ich wollte ihr sagen... dass der Papa nach ihr gefragt haette und... Damis. Der Papa? mein Engel! Julchen. Nein, ich irre mich. Herr Siegmund hat nach ihr gefragt und meine Schwester sprechen wollen und mich gebeten... (Sie sieht ihn an. ) In Wahrheit, Sie sehen so traurig aus, dass man sich des Mitleidens.. . (Sie wendet das Gesichte beiseite.) Damis. Meine Juliane! Ihr Mitleiden... Sie bringen mich zur aeussersten Wehmut. Julchen. Und Sie machen mich auch traurig. Warum hielten Sie mich zurueck? Warum weinen Sie denn? (Sie will ihre Traenen verbergen.) Was fehlt Ihnen? Verlassen Sie mich, wenn ich bitten darf. Damis. Ja. Julchen (fuer sich). Er geht? Damis (indem er wieder zurueckkehrt). Aber darf ich nicht wissen, meine Schoene, was Ihnen begegnet ist? Sie waren ja Vormittage nicht so traurig. Julchen. Ich weiss es nicht. Sie wollten ja gehn. Ist Ihnen meine Unruhe beschwerlich? Sagen Sie mir nur, warum Sie... Sie reden ja nicht. Damis. Ich? Julchen. Ja. Damis. O wie verschoenert die Wehmut Ihre Wangen! Ach, Juliane! Julchen. Was seufzen Sie? Sie vergessen sich. Wenn doch Lottchen wiederkaeme! Bedenken Sie, wenn sie Sie so betruebt saehe und mich... Was wuerde sie sagen? (Lottchen tritt aus der Szene hervor.) Fuenfter Auftritt Die Vorigen. Lottchen. Lottchen. Ich wuerde sagen, dass man einander durch bekuemmerte Fragen und Traenen die staerkste Liebeserklaerung machen kann, ohne das Wort Liebe zu nennen. Mehr wuerde ich nicht sagen. Julchen. O wie spoettisch! Ich muss nur gehn. Lottchen. O ich habe es wohl eher gesehn, dass du hast gehn wollen, und doch... Julchen. Das wuesste ich in der Tat nicht. (Sie geht ab.) Sechster Auftritt Damis. Lottchen. Lottchen. Es dauert mich in der Tat, dass ich Sie beide gestoeret habe. Ich haette es nicht tun sollen: Aber ich konnte mich vor Freuden nicht laenger halten. Kann wohl ein schoenerer Anblick sein, als wenn man zwei Zaertliche sieht, die es vor Liebe nicht wagen wollen, einander die Liebe zu gestehen? Mein lieber Herr Damis, habe ich den Plan Ihres zaertlichen Schicksals nicht gut entworfen gehabt? Haette ich mich noch einige Augenblicke halten koennen: so wuerde Ihre beiderseitige Wehmut gewiss noch bis zu etlichen vertraulichen Liebkosungen gestiegen sein. Damis. Daran zweifele ich sehr. Ich war in Wahrheit recht traurig, und ich bin's noch. Lottchen. Ja, ich sehe es. Und es wird Ihnen sehr sauer werden, mit mir allein zu reden. Holen Sie unmassgeblich Ihre betruebte Freundin wieder zurueck. Ich will Sie miteinander aufrichten. Damis. Ja, das will ich tun. Siebenter Auftritt Lottchen. Simon. Simon. Ich bitte Sie um Vergebung, Mamsell, dass ich unangemeldet hereintrete. Das Vergnuegen macht mich unhoeflich. Sind Sie nicht die liebenswuerdige Braut meines Herrn Muendels? Lottchen. Und wenn ich nun seine Braut waere, was... Simon. So habe ich die Ehre, Ihnen zu sagen, dass Ihnen Ihre selige Frau Muhme in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht hat. Sie werden die Gewissheit davon noch heute vom Rathause erhalten. Das Testament ist geoeffnet, und Ihr Herr Pate, der Herr Hofrat, der bei der Eroeffnung zugegen gewesen, hat mir aufgetragen, Ihrem Herrn Vater diese angenehme Zeitung zum voraus zu hinterbringen, ehe er noch die gerichtliche Insinuation erhaelt. Lottchen. Ist das moeglich? Die Frau Muhme hat ihr Versprechen zehnfach erfuellt. Wie gluecklich ist meine Schwester! Sie verdient es in der Tat. Das ist eine sonderbare Schickung. Mein Herr, Sie setzen mich in das empfindlichste Vergnuegen. Ich bin nicht die Braut Ihres Herrn Muendels. Aber die Nachricht wuerde mich kaum so sehr erfreuen, wenn sie mich selbst anginge. Simon. Kurz, Mamsell, ich weiss nicht, welche von Ihnen meinen Muendel gluecklich machen will. Allein genug, die juengste Tochter des Herrn Cleon ist die Erbin des ganzen Ritterguts und also eines Vermoegens von mehr als funfzigtausend Talern. Lottchen. Das ist meine Schwester. Wie erfreue ich mich! Simon. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht ebendiese Nachricht bringen kann. Ich wollte es mit tausend Freuden tun. Wo ist Ihr lieber Herr Vater? Wird er nicht eine Freude haben! Lottchen. Ich habe gleich die Ehre, Sie zu ihm zu fuehren. Aber ich will Sie erst um etwas bitten. Goennen Sie mir doch das Vergnuegen, dass ich meiner Schwester und Ihrem Herrn Muendel die erste Nachricht von dieser gluecklichen Erbschaft bringen darf. Es ist meine groesste Wollust, die Regungen des Vergnuegens bei andern ausbrechen zu sehen. Und wenn ich viel haette, ich glaube, ich verschenkte alles, nur um die Welt froh zu sehen. Lassen Sie mir immer das Glueck, meiner Schwester das ihrige anzukuendigen. Simon. Von Herzen gern. Eine so edle Liebe habe ich nicht leicht unter zwo Schwestern gefunden. Ich erstaune ganz. Ich wusste wohl, Mamsell, dass Sie die Braut meines Muendels nicht waren; allein, ich wollte mir meinen Antrag durch eine verstellte Ungewissheit leichter machen. Ich glaubte, Sie wuerden erschrecken und ueber die Vorteile Ihrer Jungfer Schwester unruhig werden. Aber ich sehe das Gegenteil und fange an zu wuenschen, dass Sie selbst die Braut meines lieben Muendels und die glueckliche Erbin der Frau Stephan sein moechten. Lottchen. Wenn man Ihren Beifall dadurch gewinnen kann, dass man frei vom Neide und zur Menschenliebe geneigt ist: so hoffe ich mir Ihr Wohlwollen zeitlebens zu erhalten. Also wollen Sie Julchen und dem Herrn Damis nichts von der Erbschaft sagen, sondern es mir ueberlassen? Sie sind sehr guetig. Simon. Ich will sogar dem Herrn Vater nichts davon sagen, wenn Sie es ihm selber hinterbringen wollen. Hier koemmt er. Achter Auftritt Die Vorigen. Herr Cleon. Herr Siegmund. Cleon. Mein wertester Herr, ich habe Sie mit dem Herrn Siegmund schon im Garten gesucht. Ich sahe Sie in das Haus hereintreten, und ich glaubte, Sie wuerden den Kaffee im Garten trinken wollen. Ich erfreue mich ueber die Ehre Ihrer Gegenwart. Ich erfreue mich recht von Herzen. Simon. Und ich erfreue mich, Sie wohl zu sehen und heute einen Zeugen von Ihrem Vergnuegen abzugeben. Lottchen. Ach, lieber Papa! Ach, lieber Herr Siegmund! Soll ich's sagen? Herr Simon! Simon. Wenn Sie es erzaehlen, wird mir's so neu klingen, als ob ich's selbst noch nicht wuesste. Cleon. Nun, was ist es denn? meine Tochter! Wem willst du es erst sagen, mir oder meinem lieben Nachbar? Welcher ist dir lieber, du loses Kind? Lottchen. Wenn ich die Liebe der Ehrfurcht frage: so sind Sie's. Und wenn ich die Liebe der Freundschaft hoere: so ist es Ihr lieber Nachbar. Ich will's Ihnen beiden zugleich sagen, was mir Herr Simon itzt erzaehlt hat. Die selige Frau Muhme hat Julchen in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht. Das Testament ist geoeffnet, und mein Herr Pate, der Herr Hofrat, laesst Ihnen durch den Herrn Simon diese Nachricht bringen. Cleon. Dafuer sei Gott gedankt. Das Gut ist doch Weiberlehn? Ja! Ich erschrecke ganz vor Freuden. Das haette ich nimmermehr gedacht. O sie war dem Maedchen sehr gut! Gott vergelte es ihr in der frohen Ewigkeit. Das ganze Rittergut? Siegmund. Das ist vortrefflich. Die rechtschaffene Frau! Simon (zu Cleon). Ich habe mir in Ihrem Namen die Abschrift von dem Testamente schon ausgebeten, und ich hoffe sie gegen Abend zu erhalten. Sie werden auch bald eine gerichtliche Verordnung bekommen. Cleon. Das ist ja ganz was Ausserordentliches. Ich will's die Armen gewiss geniessen lassen. Aber du, meine liebe Tochter, du koemmst dabei zu kurz. Lottchen. Ich? Papa. Nein. Wenn ich das Glueck tragen koennte: so wuerde mir der Himmel gewiss auch welches geben. Ich habe schon Glueck genug. Nicht wahr? Herr Siegmund! Was meinen Sie? Siegmund. Dass Sie es ebenso wuerdig sind als Ihre Jungfer Schwester. Cleon. Herr Simon, Sie haben mir ja in Ihrem Billette gemeldet, dass auch Sie eine erfreuliche Nachricht erhalten haetten. Kommen Sie doch mit mir in den Garten und vertrauen Sie mir's. Diese beiden feindseligen Gemueter werden sich schon hier allein vertragen oder uns nachkommen. Neunter Auftritt Lottchen. Siegmund. Lottchen. Wenn ich Ihre Groesse nicht kennte: so wuerde ich gezittert haben, Ihnen die Nachricht von dem grossen Gluecke meiner Schwester zu hinterbringen. Aber ich weiss, Sie schaetzen mich deswegen nicht einen Augenblick geringer. Unser Schicksal steht in den Haenden der Vorsicht. Diese teilen allemal weise aus, und sie werden sich auch noch zu unserm Vorteile oeffnen, wenngleich nicht in dem Augenblicke, da wir es wuenschen. Siegmund. Mein liebes Lottchen, es wird mir sehr leicht, ueber Ihrem Herzen das Glueck zu vergessen. Wir wollen hoffen. Vergeben Sie mir nur, dass ich noch immer den Zerstreuten vorstelle. Ich habe lange mit Ihrem Papa gesprochen, und ich weiss in Wahrheit nicht was. Lottchen. Wenn Sie mich so lieben, wie ich Sie: so wundert mich's nicht, dass Ihnen ein Tag, wie der heutige ist, wo solche Anstalten gemacht werden, einige Wuensche und Unruhen abnoetiget. Trauen Sie doch der Vorsehung. Es ist eben heute ein Jahr, da Sie durch den ungluecklichen Prozess Ihres seligen Herrn Vaters Ihr Vermoegen verloren. Vielleicht beunruhiget Sie dieser Gedanke; aber vielleicht haben Sie auch alles heute ueber ein Jahr wieder. Haben Sie mit Julchen gesprochen und dem Herrn Damis zum besten sich etwas zaertlich gestellt? Siegmund. Nein, weil ich so zerstreut bin, so... Lottchen. Gut. Sie werden diese kleine Muehe fast ersparen koennen. Ihr Herz scheint keinen grossen Antrieb mehr noetig zu haben. Aber sagen Sie ihr noch nichts von der Erbschaft. Ich will sie holen und es ihr in Ihrer Gegenwart entdecken und ihrem Geliebten zugleich. Zehnter Auftritt Siegmund allein. Welche entsetzliche Nachricht!... Julchen!... Ein ganzes Rittergut! Julchen... die so viel Reizungen, so viel Schoenheit und Anmut besitzt! ... Kennte ich Lottchens Wert nicht: so wuerde Julchen.... Aber ist Julchen nicht auch tugendhaft... grossmuetig... klug... unschuldig... ? Ist sie nicht die Sittsamkeit selbst? Ist Lottchen so schamhaft? oder... Himmel, wo bin ich? Verdammte Liebe, wie quaelst du mich! Muss man auch wider seinen Willen untreu werden?... Warum konnte jene nicht die reiche Erbschaft bekommen? Sahe die Muhme auch, dass die juengste mehr Verdienste hatte?... Ich Elender! Ich bin ohne meine Schuld um das groesste Vermoegen gekommen... Aber habe ich weniger Vorzuege als Damis? Julchen widersteht ja seiner Liebe... Ist es ein Verbrechen?... Was kann ich dafuer, dass sie mich ruehrt? Sind meine Wuensche verdammlich, wenn sie mit Julchens Wuenschen vielleicht gar uebereinstimmen? O Himmel! Sie koemmt allein. Eilfter Auftritt Siegmund. Julchen. Julchen. Meine Schwester hat gesagt, ich soll sie hier in Ihrer Gesellschaft erwarten. Sie sucht den Herrn Damis und will alsdann hieherkommen und uns etwas Angenehmes erzaehlen. Siegmund. Wird Ihnen unterdessen die Zeit in meiner Gesellschaft nicht verdriesslich werden? Julchen. Mir? Bei Ihnen? Gewiss nicht. Sie sind heute am freundschaftlichsten mit mir umgegangen. Und es wird Ihnen auch wohl kein Geheimnis sein, dass ich ihnen gut bin, wenngleich nicht so wie meine Schwester. Siegmund (er kuesst ihr die Hand). Sie sagen mir vieles Schoenes, angenehme Braut. Julchen. Bin ich denn eine Braut? Das hat mir noch kein Mensch gesagt. Nein, mein Herr, heissen Sie mich nicht so. Es kann sein, dass ich dem Herrn Damis gewogen bin; aber muss ich darum seine Braut sein? Nein, er ist so guetig und sagt mir fast gar nichts mehr von der Liebe. Siegmund. Aber, wenn ich Ihnen etwas von der Liebe sagte, wuerden Sie auch zuernen? Sie wissen es wohl nicht, wie hoch ich Sie... doch... Julchen. Bei Ihnen bin ich sehr sicher. Solange ein Lottchen in der Welt ist, werden Ihre Liebeserklaerungen nicht viel zu bedeuten haben. Sie wollen mich vielleicht ausforschen; aber Sie werden nichts erfahren. Siegmund. Meine Schoene, ich wollte wuenschen, dass ich aus Verstellung redte; aber ach nein! Denken Sie denn, dass man... Julchen. Und was? Siegmund. Dass man Sie sehn und doch unempfindlich bleiben kann? Julchen. Sie spielen die Rolle des Herrn Damis, wie ich sehe. Siegmund. So werde ich sehr ungluecklich sein, weil Sie mit seiner Rolle nicht zufrieden sind. Julchen. Was verlieren denn Sie und meine Schwester, wenn ich seine Wuensche nicht erfuelle? Siegmund. Vielleicht gewoenne ich. Vielleicht wuerden Sie die Absichten des aufrichtigsten Herzens sehn. Ich verehre Sie; doch... wie kann ich Ihnen das sagen, was ich empfinde! Julchen. Sie koennen eine fremde Person vortrefflich annehmen. Aber auch die Liebe im Scherze beunruhigt mich. Ich weiss nicht, wo meine Schwester bleibt. Ich moechte doch wissen, was sie mir zu sagen haette; sie kuesste mich vor Freuden. Es muss etwas Wichtiges sein. Ich muss sie nur suchen.. Verziehn Sie einen Augenblick. Zwoelfter Auftritt Siegmund allein. Ich Abscheu! Was habe ich getan? Ich werde der redlichsten Seele untreu, die mich mit Entzueckung liebt? Ich...? Aber wie schoen, wie reizend ist Julchen! Sie liebt ihn noch nicht... Und mir, mir ist sie gewogen? Aber die Vernunft...? Sie soll schweigen... Mein Herz mag die Sache ausfuehren.... Misslingt mir meine Absicht: so bleibt mir Lottchen noch gewiss. ... Hat sie mir nicht selbst befohlen, mich verliebt in Julchen zu stellen? Werde ich ihr darum untreu? Wie? Sie koemmt noch einmal? Sucht sie mich mit Fleiss? Dreizehnter Auftritt Siegmund. Julchen. Der Magister. Julchen (zu Siegmund). Lottchen will mir nichts eher sagen, bis Herr Damis wiederkoemmt. Er ist eine halbe Stunde nach Hause gegangen, und Sie sollen so guetig sein und zu dem Papa kommen. Er wartet mit dem Kaffee auf Sie. Siegmund. Nach Ihrem Befehle. Aber darf ich hoffen? Julchen. Weil Sie in der Sprache der Liebhaber reden: so muss ich Ihnen in der Sprache der Schoenen antworten: Sie muessen mit meinem Papa davon sprechen. Der Magister. Ja, Herr Siegmund, mein Bruder wartet auf Sie, und ich moechte gern ein Wort mit Jungfer Julchen allein sprechen. Vierzehnter Auftritt Julchen. Der Magister. Julchen. Herr Magister, wollen Sie mir etwa sagen, was mir Lottchen Neues erzaehlen will? Der Magister. Nein, ich habe sie gar nicht gesehn. Ich komme aus meiner Studierstube und habe zum Zeitvertreibe in einem deutschen Fabelbuche gelesen. Wenn Sie mir zuhoeren wollten: so wollte ich Ihnen eine Fabel daraus vorlesen, die mir ganz artig geschienen hat. Ich weiss, Sie hoeren gerne witzige Sachen. Julchen. Ja, aber nur heute nicht, weil ich gar zu unruhig bin. Sie lesen mir ja sonst keine Fabeln vor. Wie kommen Sie denn heute auf diesen Einfall? Ja, ich weiss wohl eher, dass Sie mir eine ziemliche finstere Miene gemalt haben, wenn Sie mich in des Fontaine oder Hagedorns Fabeln haben lesen sehen. Der Magister. Sie haben recht. Ich halte mehr auf gruendliche Schriften. Und das Solide ist fuer die Welt allemal besser als das Witzige. Aber wie man den Verstand nicht immer anstrengen kann: so ist es auch erlaubt, zuweilen etwas Seichtes zu lesen. Wollen Sie die Fabel hoeren? Sie heisst Die Sonne. Julchen. O ich habe schon viele Fabeln von der Sonne gelesen! Ich will es Ihnen auf Ihr Wort glauben, dass sie artig ist. Lesen Sie mir sie nur nicht vor. Der Magister. Jungfer Muhme, ich weiss nicht, was Sie heute fuer eine verdriessliche Gemuetsart haben. Ihnen zu gefallen, verderbe ich mir etliche kostbare Stunden. Ich arbeite fuer Ihr Glueck, fuer Ihre Beruhigung. Und Sie sind so unerkenntlich und beleidigen mich alle Augenblicke dafuer? Bin ich Ihnen denn so geringe? Verdienen meine Absichten nicht wenigstens Ihre Aufmerksamkeit? Sind denn Ihre Pflichten gegen mich durch die Blutsverwandtschaft nicht deutlich genug bestimmt? Warum widersprechen Sie mir denn? Kann ich etwas dafuer, dass Sie nach der Vernunft verbunden sind, zu heiraten? Habe ich den Gehorsam, den Sie Ihrem Herrn Vater und mir schuldig sind, etwa erdacht? Ist er nicht in dem ewigen Gesetze der Vernunft enthalten? Julchen. Sie schmaelen auf mich, Herr Magister; aber Sie schmaelen doch gelehrt, und deswegen will ich mich zufriedengeben. Darf ich bitten: so lesen Sie mir die Fabel vor, damit ich wieder zu meiner Schwester gehn kann. Sie wissen nicht, wie hoch ich Sie schaetze. Der Magister. Warum sollte ich's nicht wissen? Wenn Sie gleich nicht den schaerfsten Verstand haben, so haben Sie doch ein gutes Herz. Und ich wollte wetten, wenn Sie statt der Bremischen Beitraege und anderer solchen leichten Schriften eine systematische Moralphilosophie laesen, dass Sie bald anders sollten denken lernen. Wenn Sie die Triebe des Willens und ihre Natur philosophisch kennen sollten: so wuerden Sie sehen, dass der Trieb der Liebe ein Grundtrieb waere, und also... Julchen. Sie reden mir so viel von der Liebe vor. Haben Sie denn in Ihrer Jugend auch geliebt? Kennen Sie denn die Liebe recht genau? Was ist sie denn? Ein Raetsel, das niemand aufloesen kann. Der Magister. Als der Verstand genug hat, in die Natur der Dinge zu dringen. Die Liebe ist eine Uebereinstimmung zweener Willen zu gleichen Zwecken. Mich deucht, dies ist sehr adaequat. Oder soll ich Ihnen eine andere Beschreibung geben? Julchen. Nein, ich habe mit dieser genug zu tun. Sagen Sie mir lieber die Fabel. Ich muss zu meiner Schwester. Der Magister. Ja, ja, die Fabel ist freilich nicht so schwer zu verstehen als eine Kausaldefinition. Sie ist kurz, und sie scheint mir mehr eine Allegorie als eine Fabel zu sein. Sie klingt also: Die Sonne verliebte sich, wie man erzaehlt, einsmals in den Mond. Sie entdeckte ihm ihre Wuensche auf das zaertlichste; allein der Mond blieb seiner Natur nach kalt und unempfindlich. Er verlachte alle die Gruende, womit ihn einige benachbarte Planeten zur Zaertlichkeit gegen die Sonne bewegen wollten. Ein heimlicher Stolz hiess ihn sproede tun, ob ihm die Liebe der Sonne gleich angenehm war. Er trotzte auf sein schoenes und reines Gesicht, bis es eine Gottheit auf das Bitten der Sonne mit Flecken verunstaltete. Und dies sind die Flecken, die wir noch heutzutage in dem Gesichte des Monden finden. Dies ist die Fabel. Was empfinden Sie dabei? Julchen. Ich empfinde, dass sie mir nicht gefaellt und dass der Verfasser ihrer noch viel machen wird. Ich will doch nicht hoffen, dass Sie diese Erzaehlung im Ernste fuer artig halten. Der Magister. Freilich kann der Verstand bei witzigen Sachen seine Staerke nicht sehen lassen. Aber wie? wenn ich die Fabel selbst gemacht haette? Julchen. So wuerde ich glauben muessen, dass die Schuld an mir laege, warum sie mir nicht schoen vorkoemmt. Der Magister. Sie wissen sich gut herauszuwickeln. Ich will es Ihnen gestehen. Es ist meine Arbeit. Ich will mich eben nicht gross damit machen, denn Witz kann auch ein Ungelehrter haben. Aber wollten Sie diese Fabel wohl aufloesen? Was soll die Moral sein? Julchen. Das werden Sie mir am besten sagen koennen. Der Magister. Die Moral soll etwan diese sein: Ein schoenes Frauenzimmer, die gegen den Liebhaber gar zu lange sproede tut, steht in der Gefahr, dass das Alter ihr schoenes Gesicht endlich verwuestet. Julchen. Sie sind heute recht sinnreich, Herr Magister. Ich merke, die Fabel geht auf mich. Ich bin der Mond. Herr Damis wird die Sonne sein, und die Planeten werden auf Sie und meine Schwester zielen. Habe ich nicht alles erraten? Der Magister. Ich sehe wohl, wenn man Ihnen seine Gedanken unter Bildern vortraegt: so machen sie einen grossen Eindruck bei Ihnen. Jungfer Muhme, denken Sie unmassgeblich an die Fabel und widerstehen Sie der Liebe des Herrn Damis nicht laenger. Was soll ich Ihrem Papa fuer eine Antwort bringen? Julchen. Sagen Sie ihm nur, dass ich ueber Ihre Fabel haette lachen muessen: so verdriesslich ich auch gewesen waere. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen. Funfzehnter Auftritt Der Magister. Cleon. Siegmund. Cleon. Nun, mein lieber Magister, was spricht Julchen? Ich denke, sie wird sich wohl ohne deine Fabel zur Liebe entschlossen haben. Der Magister. Sie bleibt unbeweglich. Ich weiss nicht, warum ich mir des eigensinnigen Maedchens wegen so viel Muehe gebe. Wer weder durch philosophische noch durch sinnliche Beweise zu bewegen ist, den muss man seinem Wahne zur Strafe ueberlassen. Ich sage ihr kein Wort mehr. So geht es, wenn man seinen Kindern nicht beizeiten ein gruendliches Erkenntnis von der Moral beibringen laesst. Ich habe mich zehnmal erboten, deine Toechter denken zu lehren und ihnen die Grundursachen der Dinge zu zeigen. Aber nein, sie sollten witzig und nicht vernuenftig werden. Siegmund. Mein Herr, dies war ein verwegner Ausspruch. Ist Julchen nicht vernuenftig genug? Der Magister. Warum denn nur Julchen? Ich verstehe Sie. Ich habe ein andermal die Ehre, Ihnen zu antworten. Itzt warten meine Zuhoerer auf mich. Sechzehnter Auftritt Cleon. Siegmund. Cleon. Ich weiss nicht, wem ich glauben soll, ob dem Magister oder Lottchen? Diese spricht, Julchen liebt den Herrn Damis, und jener spricht: nein. Er hat ja Verstand. Sollte er denn die Sache nicht einsehen? Sagen Sie mir doch Ihre aufrichtige Meinung, Herr Siegmund. Siegmund. Ich komme fast selbst auf die Gedanken, dass Julchen den Herrn Damis nicht wohl leiden kann. Cleon. Aber was soll denn daraus werden? Wenn sie schon etwas von der Erbschaft wuesste: so daechte ich, das Rittergut machte sie stolz. Herr Damis ist so redlich gewesen und hat sie zur Frau verlangt, da sie arm war. Nun soll sie ihn, da sie reich ist, zur Dankbarkeit heiraten. Sie wird sich wohl noch geben. Siegmund. Aber Sie wissen wohl, dass der Zwang in der Ehe ueble Fruechte bringt. Cleon. Es wird schon gehen. Ich verlasse mich auf die Fuegung. Und ich wollte wohl wuenschen, Herr Siegmund, wenn Sie anders noch willens sind, meine Tochter Lottchen zu ehelichen, dass ich heute ein doppeltes Verloebnis ausrichten koennte. Siegmund. Ja, wenn nur meine Umstaende... Ich habe einige hundert Taler Schulden... Cleon. Gut. Julchen soll Ihre Schulden von ihrer Erbschaft bezahlen und Ihnen auch noch tausend Taler zum Anfange in der Ehe geben. Siegmund. Das ist sehr schoen; aber... Cleon. Sie kriegen an Lottchen gewiss eine verstaendige Frau. Das Maedchen hat fast gar keinen Fehler, und ihr Gesichte ist auch nicht schlecht. Ich darf's ihr nur nicht sagen, aber sie sieht eine Sache manchmal besser ein als ich. Wenn doch die Abschrift von dem Testamente bald kaeme! Also, wollen Sie Lottchen haben? Siegmund. Ja, ich wuensche mir Lottchen. Ich gehorche Ihnen als meinem Vater. Aber darf ich Ihnen sagen, dass es scheint, dass mir Julchen gewogener ist als dem Herrn Damis; und dass Lottchen hingegen mit diesem sehr zufrieden zu sein scheinet. Darf ich Ihnen wohl sagen, dass mir Julchen nur itzt noch befohlen hat, bei Ihnen um sie anzuhalten und... Cleon. Was hoere ich? Nun errate ich, warum das Maedchen sich so geweigert hat. Lieber Herr Siegmund, ich beschwoere Sie, sagen Sie mir, was bei der Sache anzufangen ist. Ich vergehe, ich... Ja doch. Julchen kann Ihnen gewogen sein, aber Lottchen ist Ihnen noch gewogener. Siegmund. Sie haben vollkommen recht, lieber Papa. Cleon. Also will Lottchen zwei Maenner und Herr Damis zwo Weiber haben? Das ist ja unsinnig. Siegmund. Es ist eine verwirrte Sache, bei der ich eine sehr ungewisse Person spiele. Das beste wird sein, dass Sie alles so geheimhalten, als es moeglich ist, und die Verlobung mit dem Herrn Damis etwan noch acht Tage anstehen lassen. Vielleicht besinnt sich Julchen anders. Cleon. Lieber Gott, zu wem wollte ich davon reden als zu Ihnen? Ich muesste mich ja schaemen. Siegmund. Wenn Lottchen den Herrn Damis freiwillig waehlen sollte: so bin ich viel zu redlich, als dass ich ihr einen Mann mit so grossem Vermoegen entziehen will. Cleon. Sie sind die Grossmut selbst. Ich kann alles zufrieden sein. Ich wollte Ihnen Julchens Vermoegen ebensowohl goennen als dem Herrn Damis. Freilich waere die Einteilung nicht uneben. Lottchen waere durch Herrn Damis' Vermoegen und Ihnen durch Julchens Erbschaft geholfen. Ich weiss nicht, was ich anfangen soll. Siegmund. Also wollten Sie mir, wenn es so weit kommen sollte, Julchen versprechen? Cleon. Aber Lottchen hat Sie so lieb, lieber als mich. Und ich daechte, es waere unbillig, dass Sie sie vergaessen. Ich kann mir nicht einbilden, dass meine Tochter so unbestaendig sein sollte. Ich habe sie selber vielmal fuer Sie beten hoeren, dass es Ihnen der Himmel moechte wohlgehen und Sie ihr zum Vergnuegen leben lassen, wenn es sein Wille waere. Sollte sie denn so leichtsinnig sein? Nein. Sie irren sich wohl. Siegmund. Eben deswegen wollen wir die Sache noch geheimhalten. Ich liebe Lottchen wie meine Seele, und ich werde sie auf alle Art zu erhalten suchen. Cleon. Wir wollen heute zusehn. Wir wollen genau auf alles achtgeben. Ich denke gewiss, es soll bei der ersten Einrichtung bleiben. Ich will Ihnen Lottchen mit einer guten Art herschicken. Sagen Sie ihr nur recht viel Zaertliches vor. Sie hoert es gern. Julchen will ich selber noch einmal ausforschen; aber ganz schlau. Ich habe mich lange aufgehalten und den Herrn Simon alleine gelassen. Wenn es nur der rechtschaffene Mann nicht uebelnimmt. Siebenzehnter Auftritt Siegmund allein. Das geht gut. Julchen wird noch meine... Sie ist schoen, reich und wohlgesittet, aufrichtig, edelgesinnt... Aber, Himmel, wenn Lottchen mein Vorhaben erfahren sollte! Wuerde sie mein Herz nicht verfluchen?.. . Doch nein. Sie ist sicher. Sie liebt mich... Aber was quaelt mich? Sind es die Schwuere, die ich ihr...? Unkraeftige Schwuere der Treue, euch hoert der Himmel nicht... O Julchen, wie reizend bist du! Dich zu besitzen, ist dies kein gerechter Wunsch? Achtzehnter Auftritt Siegmund. Lottchen. Lottchen. Itzt kommen sie beide. Nun wollen wir's ihnen entdecken. Wie wird sich Julchen erfreuen, o wie wird sie sich erfreuen! Und Sie, mein Freund, Sie haben mich doch noch lieb? Vergeben Sie mir diese ueberfluessige Frage. Siegmund. Ja, meine Schoene, ich liebe Sie ewig und bin durch Ihre Liebe fuer meine Treue unendlich belohnet. O koennte ich Sie doch vollkommen gluecklich machen! (Er kuesst sie.) Um dies Vergnuegen muss mich ein Prinz beneiden. Hier kommen sie. Erlauben Sie, meine Schoene, der Papa wartet schon lange mit dem Kaffee auf mich. Er moechte ungehalten werden. Neunzehnter Auftritt Lottchen. Julchen. Damis. Lottchen (zu Damis). Ich wollte Ihnen ein schoenes, junges, liebenswuerdiges Frauenzimmer mit einem Rittergute anbieten, wenn Sie Julchen wollen fahren lassen. Julchen. Ist das die Neuigkeit? Damis. Und wenn Ihr Frauenzimmer zehn Rittergueter haette: so wuerde mir Julchen auch in einer Schaeferhuette besser gefallen. Julchen. Was reden Sie? Hoeren Sie doch Lottchen an. Wer weiss, wie gluecklich Sie werden! Ich goenne es Ihnen und der andern Person. Lottchen, wer ist sie denn? Lottchen. Es ist ein artiges Kind. Sie hat ein Rittergut fuer funfzigtausend Reichstaler. Sie ist wohlerzogen. Julchen. So? Aber, wo... Wie heisst sie denn? Lottchen. Sie ist fast so schoen wie du. Julchen. Das mag ich ja nicht wissen. Wenn ich schoen bin: so wird mir's der Spiegel sagen. So muss keine Schwester mit der andern reden. Sage es dem Herrn Damis allein. Ich werde wohl nicht dabei noetig sein. (Sie will gehn.) Damis. Ach, liebe Mamsell, gehn Sie noch nicht. Ich gehe mit Ihnen. Julchen. Das wird sich nicht schicken. Das Frauenzimmer mit dem Rittergute, das sich in Sie verliebt hat, wuerde es sehr uebelnehmen. Es ist gut, dass Sie sich bei mir in den Liebeserklaerungen geuebt haben. Nunmehr werden sie Ihnen wenig Muehe machen. Lottchen. Hoere nur, meine Schwester. Es koemmt erst darauf an, ob das Frauenzimmer dem Herrn Damis gefallen wird. Sie hat freilich schoene grosse blaue Augen, fast wie du; eine gefaellige Bildung und eine recht erobernde Miene; kleine volle runde Haende. (Julchen sieht ihre Haende an.) Sie ist dem Herrn Damis gut; aber sie liebt auch die Freiheit. Julchen. O ich weiss gar nicht, was du haben willst? Kurz, wie heisst denn das Frauenzimmer, die den Herrn Damis liebt? Lottchen. Sie heisst ebenfalls, wie du, Julchen. Julchen. Oh! du willst mich zum Kinde machen. Lottchen. Nein, Julchen, ich kuendige hiermit dir und deinem Liebhaber ein ansehnliches Glueck an. Die selige Frau Muhme hat dir in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht. Herr Simon hat uns die Nachricht nur itzt gegeben, und ich habe ihn gebeten, dass er mir die Freude goennen moechte, sie euch beiden zuerst zu hinterbringen. Meine liebe Schwester, ich wuensche dir tausend Glueck zu deiner Erbschaft, und Ihnen, mein Freund, wuensche ich meine Schwester. Wie gluecklich bin ich heute! Julchen. Was? Das ganze Rittergut? Und dir nichts? Haette sie es denn nicht teilen koennen? Ist es denn auch gewiss? Kann es nicht ein Missverstand sein? Warum hat sie denn dir nichts vermacht? Lottchen. Wenn sie dich nun lieber gehabt hat als mich. Genug, die Erbschaft ist deine und fuer dich bestimmt gewesen. Ich habe genug, wenn ich kuenftig ohne Kummer mit meinem Geliebten leben kann. Ach, Julchen, ich weiss, dass dem Papa ein jeder Augenblick zu lang wird, bis er dir seinen Glueckwunsch abstatten kann. Ich habe ihn gebeten, dich nichts merken zu lassen, bis ich mit dir geredt haette. Damis. Ich erstaune ganz. Vielleicht waere es ein Glueck fuer mich, wenn kein Testament waere. Ach, mein liebes Julchen, soll ich Sie verlieren? Julchen. Lottchen, ich teile das Gut mit dir und dem Papa. Nein, ganz wuensche ich mir es nicht. Ich verdiene es auch nicht. Traurige Erbschaft!... Ich war unruhig vor dieser Nachricht, und ich bin noch nicht vergnuegt. (Sie sieht den Damis an.) Und Sie, mein Herr...? Damis. Und Sie, meine Schoene...? Lottchen. Kommt, sonst geht die traurige Szene wieder an. Ich weiss, dass der Papa schon ein wenig geschmaelet haben wird. Zwanzigster Auftritt Die Vorigen. Cleon. Cleon. Ihr losen Kinder, wo bleibt ihr denn? Soll sich der Kaffee selber einschenken? Lottchen. Schmaelen Sie nicht, lieber Papa. Ihre Toechter sind in guten Haenden. Wir waren gleich im Begriffe, zu Ihnen zu kommen. Julchen. Ach, lieber Papa... Cleon. Nun, was willst du? Soll ich dir zu deinem Gluecke gratulieren? Ich habe vor Freuden schon darueber geweint. Hast du auch Gott fuer die reiche Erbschaft gedankt? Du gutes Kind. Ach Lottchen, geh doch und schenke dem Herrn Simon noch eine Tasse Kaffee ein. Er will alsdann gehn und sich um die Abschrift des Testaments bemuehn. Sie, Herr Damis, sollen so guetig sein und ihm Gesellschaft leisten. Damis. Von Herzen gern. (Er geht mit Lottchen und Julchen, und der Vater winkt Julchen.) Einundzwanzigster Auftritt Cleon. Julchen. Cleon. Nun, meine Tochter, wie steht es mit deinem Herzen? Es muss dir doch lieb sein, dass du ein Rittergut hast. Julchen. Ja, deswegen, damit ich's Ihnen und meiner Schwester anbieten kann. Cleon. Du gutes Kind! Behalte, was dein ist. Willst du deiner Schwester etwas geben; wohl gut. Ich werde schon, solange ich lebe, Brot in meinem kleinen Hause haben. Aber, was spricht Herr Damis? Hat auch der eine Freude ueber deine Erbschaft? Julchen. Meine Erbschaft scheint ihm sehr gleichgueltig zu sein. Cleon. Ja, ja, er hat freilich selber genug Vermoegen. Aber du musst auch bedenken, dass er dich gewaehlt hat, da du noch ein armes Maedchen warest. Ach, wenn du wissen solltest, wieviel Gutes mir der Herr Vormund itzt von ihm erzaehlet hat, du wuerdest ihn gewiss lieben! Ich habe immer gedacht, er waere nicht gar zu gelehrt, weil er nicht so hoch redt wie mein Bruder, der Magister; allein, sein Vormund hat mich versichert, dass er ein rechter scharfsinniger Mensch waere und mehr gute Buecher gelesen haette, als Stunden im Jahre waeren. Wer haette das denken sollen? Julchen. Dass er gelehrt ist, habe ich lange gewusst; allein dass ich's nicht bin, weiss ich leider auch. Vielleicht sucht er die Gelehrsamkeit bei einem Frauenzimmer und nicht ein Rittergut. Cleon. Du redst artig. Da werden die Toechter studieren koennen wie die Soehne. Du kannst ja auf der Laute spielen. Du kannst schoen singen. Du kannst dein bisschen Franzoesisch. Du schreibst einen feinen Brief und eine gute Hand. Du kannst gut tanzen, verstehst die Wirtschaft und siehst ganz fein aus, bist ehrlicher Geburt, gesittet und fromm und nunmehr auch ziemlich reich. Was will denn ein Mann mehr haben? Herr Damis liebt dich gewiss. Mache, dass ich ihn bald Herr Sohn und dich Braut heissen kann. Julchen. Braut? Das weiss ich nicht. Sollte er mich lieben? Papa, Sie haben mich wohl zu sehr gelobt. Meine Schwester kann ja ebensoviel und noch mehr als ich. Cleon. Es ist itzt die Rede nicht von deiner Schwester. Sie hat ihren Herrn Siegmund und verlangt kein grosses Glueck. Gib ihr etwas von deinem Vermoegen: so wird sie vollkommen zufrieden sein. Und so will ich sie gleich heute verloben. Oder moechtest du Herrn Siegmunden lieber zum Manne haben? Julchen. Ich, Papa? Herrn Siegmunden? Wie kommen Sie auf die Gedanken? Wenn ich lieben wollte: warum sollte ich nicht den Herrn Damis lieben? Hat er nicht vielleicht noch mehr Verdienste als jener? Und wenn auch dieser liebenswuerdiger waere, da er es doch nicht ist, wie koennte ich ohne Verbrechen an ihn denken, da ihn meine Schwester und er sie so zaertlich liebt? Cleon. So gefaellst du mir. Ich bin ein rechter gluecklicher Vater. (Er klopft sie auf die Backen.) Meine liebe schoene Tochter, bleibe bei den Gedanken. Du wirst wohl dabei fahren. Nicht wahr, du hast den Herrn Damis viel lieber als Herrn Siegmunden? Dieser scheint mir zuweilen ein bisschen leichtsinnig zu sein oder doch lose. Ich habe alleweile mit dem Herrn Simon von ihm gesprochen und allerhand... Julchen. Papa, wenn ich mich zur Liebe entschliesse: so gebe ich Ihnen mein Wort, dass ich einen Mann waehle, wie Herr Damis ist. Wenn ich nur nicht meine Freiheit dabei verloere! Wenn ich nur wuesste, ob ich ihn etwan schon gar liebte! Nein, Papa, ich liebe ihn noch nicht. Ich habe eine so reiche Erbschaft getan, und gleichwohl bin ich nicht zufriedner. Ob ich etwan gar krank werde? Cleon. Ja, wohl kann man vor Liebe krank werden. Aber die Gegenliebe macht wieder gesund. Ich spraeche ja, wenn ich wie du waere, damit ich der Krankheit zuvorkaeme. Julchen. Ach! Papa. Cleon. Ach! Du sollst nicht "Ach", du sollst "Ja" sprechen. Du gefaellst ihm ganz ausnehmend. Er wird dich wie sein Kind lieben. Julchen. Aber werde ich ihm stets gefallen? Cleon. Das kannst du denken. Woran stoesst sich denn dein Herz noch? Befuerchtest du denn gar, dass er dir kuenftig untreu werden moechte? Nimmermehr! Der Herr Vormund hat mir gesagt, dass dein Liebster sehr viel Religion haette und oft zu sagen pflegte, dass er kein Mensch sein moechte, wenn er nicht zugleich ein Christ sein sollte. Er wird dich gewiss zeitlebens fuer gut halten. Er wird seine Schwuere nicht brechen. Julchen. Ich hoere keine Schwuere von ihm. Wuerde er seine Liebe nicht beteuern, wenn er mich...? Cleon. Das ist schoen, dass er nicht schwoert. Um desto mehr kannst du auf sein Wort bauen. Das oeffentliche Versprechen ist eben der Schwur in der Liebe. Und diesen Schwur will er heute tun, wenn du ihn zugleich tun willst. Julchen. Papa, ich bin unentschlossen und ungeschickt, die Sache recht zu ueberlegen. Lassen Sie mir noch Zeit. Cleon. Bis auf den Abend bei Tische sollst du Zeit haben. Alsdann sprich "Ja" oder "Nein". Die Sache ist ernstlich gemeint. Ich habe dir mein Herz entdeckt. Du hast meine Einwilligung. Mache es, wie du willst. Komm, dein Liebster wird sich schon recht nach dir umgesehen haben. Die beiden schwarzen Pflaesterchen lassen recht huebsch zu deinem Gesichte. Bist du denn etwan ausgefahren? Julchen. Ja, ich habe zu Mittage ein Glas Wein getrunken. Cleon. Nun, nun, es wird schon wieder vergehen, ehe du mir einen Gevatterbrief schickst. Komm und fuehre mich bei der Hand. Ich moechte gern einmal von einer Braut gefuehret werden. (Ende des zweiten Aufzugs.) Dritter Aufzug Erster Auftritt Siegmund. Julchen. Julchen. Was sagen Sie mir? Das glaube ich in Ewigkeit nicht. Siegmund. Ich aber glaube es. Julchen (bestuerzt). Hat er es Ihnen denn selbst gesagt? Ich Unglueckliche! Siegmund. Er hat mir's nicht mit deutlichen Worten gesagt: aber es ist gewiss, dass er Ihnen Lottchen weit vorzieht. Ich wollte ihm diese Beleidigung, so gross sie auch ist, gern vergeben, wenn er nur Sie nicht zugleich beleidigte. Ich bedaure Sie, mein Engel. Ich weiss, Sie meinen es aufrichtig und werden meine Redlichkeit dadurch belohnen, dass Sie dem Unbestaendigen wenigstens meinen Namen verschweigen. Julchen. War dies die Ursache seiner Traurigkeit? Der Treulose! Was hat er fuer Vorteil davon, ein unerfahrnes Herz zu betruegen? Wenn er mir aus Rache das Leben haette nehmen wollen: so wuerde ich ihn noch nicht hassen. Aber dass er mich unter der Maske der Liebe und Aufrichtigkeit hintergeht, ist die schandbarste Tat. Siegmund. Er wird es leugnen, denken Sie an mich. Julchen. Der Verraeter! Ja, er soll es leugnen. Ich mag dieses Verbrechen nie aus seinem Munde erfahren. Ich will ihn nicht bestrafen. Nein! Sein Gewissen wird mich raechen... Wie? Er? dem ich heute mein Herz schenken... doch nein, ich habe ihn nicht geliebt. Aber hat er nicht tausendmal gesagt, dass er mich liebte? Haelt man sein Wort unter den Maennern nicht besser? Siegmund. O meine Freundin, lassen Sie das Verbrechen eines einzigen nicht auf unser ganzes Geschlecht fallen. Sollten Sie mein Herz sehen! Ja... auch der Zorn macht Sie noch liebenswuerdiger. Julchen. Verlassen Sie mich, liebster Freund. Ich will... Und du, meine Schwester, du schweigst? Und alles dies tust du, o Liebe, du Pest der Menschen!... Verlassen Sie mich. Ich verspreche Ihnen bei meiner Ehre, Ihren Namen nicht zu entdecken und Ihre Aufrichtigkeit zeitlebens zu belohnen. Aber kommen Sie bald wieder hieher. Siegmund. Sobald, als ich glaube, dass sich Ihre Hitze etwas gelegt haben wird. Zweiter Auftritt Julchen. Damis. Julchen (die ihn in der Hitze nicht kommen sieht). Eben zu der Zeit, da er mir die teuresten Versicherungen der Liebe gibt, wird er auch untreu...? Und ich, ich kann ihn noch nicht hassen? Bin ich bezaubert? Damis. Allerliebstes Kind, sehen Sie mich denn nicht? Mit wem reden Sie? Julchen. Mit einem Betrueger, den ich geliebt haben wuerde, wenn ich weniger von ihm erfahren haette. (Gelinder.) Ist es Ihnen moeglich gewesen, mich zu hintergehn? Mich? die ich schon anfing, Sie im Herzen allen Personen Ihres Geschlechts vorzuziehn? Warum handeln Sie so grausam und erwecken eine Neigung in mir, die ich verabscheuen muss, nachdem ich sie gefuehlt habe? Doch um Ihnen zu zeigen, was Sie fuer ein Herz hintergangen haben: so sage ich Ihnen, dass ich Sie niemals hassen, dass ich mich vielmehr bemuehen werde, Ihren Fehler vor mir selbst zu verbergen. Damis. Ich Ungluecklicher! Ist der Betrueger der Name, den ich verdiene? Ich entschuldige mich nicht einen Augenblick, erzuernte Freundin. Ich sage Ihnen vielmehr mit dem Stolze eines guten Gewissens, dass mein Herz gar keines Betrugs faehig ist. Ich verlange es auch nicht zu wissen, wer Ihnen die uebele Meinung beigebracht hat. Die Zeit wird mich schon rechtfertigen. Julchen. Und Sie sprechen noch mit so vielem Stolze? Dritter Auftritt Die Vorigen. Lottchen. Damis (zu Lottchen). Kommen Sie, meine Freundin, und fangen Sie an, mich zu hassen. Ich soll meine Juliane hintergangen haben. Lottchen. Haben Sie sich beide schon ein wenig gezankt? Vermutlich ueber die ersten Kuesse. Damis (zu Julchen). Verklagen Sie mich doch bei Ihrer Jungfer Schwester. Sagen Sie ihr doch mein Verbrechen. Julchen. Vielleicht faende ich da die wenigste Huelfe. Lottchen. Ach, Julchen, wenn die selige Frau Muhme es haette wissen sollen, dass du dich an dem Tage deiner Verlobung mit deinem Braeutigam zanken wuerdest: sie haette dir nicht einen Ziegel von ihrem Rittergute vermacht. Ich habe die gute Hoffnung, dass der Krieg nicht lange dauern wird. Dein Herz ist von Natur friedfertig, wenngleich die Liebe etwas zaenkisch ist. Julchen. O scherze nicht. Lottchen (zu Damis). Sehn Sie nur Ihre liebe Braut recht an. Haben Sie sie durch eine kleine Liebkosung erbittert gemacht: so wollte ich Ihnen den Rat geben, sie durch zwo neue zu besaenftigen. Julchen, rede wenigstens mit mir, wenn es Herr Damis nicht verdient. Oder wenn er dich ja beleidiget hat: so lass dir den Kuss wiedergeben: so seid ihr geschiedene Leute. Was habt ihr denn miteinander? Julchen. Was wir miteinander haben? Das werde ich in deiner Gegenwart nicht sagen koennen. Ich glaube zwar gar nicht, dass du ihm Gelegenheit gegeben hast. Und was kann er dafuer, dass du liebenswuerdiger bist als ich? Auch sein Vergehn ist noch ein Verdienst. Er wuerde dich nicht lieben, wenn er nicht die groessten Vorzuege zu lieben gewohnt waere. Ich entschuldige ihn selbst. Lottchen. Du gutes Kind! Also bin ich deine Nebenbuhlerin! Du dauerst mich in Wahrheit. Ich will dir das ganze Geheimnis eroeffnen. Kommen nicht die Beschuldigungen wider deinen Liebhaber von Herrn Siegmunden her? Ich kann mir's leicht einbilden. Er hat sich in dich verliebt stellen sollen, um dich zu ueberfuehren, dass du vielleicht schon liebtest. Er wird also die List gebraucht und dich beredt haben, dass Herr Damis mich liebte. Vergib ihm diesen Scherz. Er hat seine Rolle gar zu gut gespielt. Julchen. Er tat sehr ernstlich und... Damis (zu Julchen). Sehn Sie, was ich fuer ein betruegerisches Herz habe? Julchen. Aber... Damis. Sie koennen noch ein Misstrauen in mich setzen? Wie wenig muessen Sie mich kennen! Julchen. Ich? mein Herr... Damis. Ist das der Lohn fuer meine Liebe? Julchen. Der Lohn? Hassen Sie mich denn? Wuerde ich eifersuechtig geworden sein, wenn ich nicht... Also haben Sie mich nicht hintergangen? Ja, mein ganzes Herz hat fuer Sie gesprochen. Lottchen. Du hast dich fangen lassen, meine gute Schwester. Und ich merke, dass es dir schon weh tut, dass du deinen Geliebten wegen deiner Hitze noch nicht um Vergebung gebeten hast. Ich will es an deiner Stelle tun. (Zum Damis.) Mein Herr, sein Sie so guetig und vergeben Sie es Julchen, dass Sie zaertlicher von ihr geliebt werden, als Sie gedacht haben. Julchen. Nein, wenn ich mich geirrt habe: so bitte ich Ihnen meinen Fehler freiwillig ab. Damis. Aber lieben Sie mich denn auch? Julchen. Ja. Nunmehr weiss ich's gewiss, dass ich Sie liebe. Und nunmehr bin ich bereit, dieses Bekenntnis vor meinem Vater und Ihrem Herrn Vormunde zu wiederholen, wenn Ihre Wuensche dadurch befriediget werden. Damis. Meine Juliane! Ich bin zu gluecklich. Julchen. Wenn ich Ihr Herz noch nicht haette: so wuerde ich nunmehr selbst darum bitten, so hoch schaetze ich's. Damis. Vortreffliche Juliane! Ich bin... Doch es ist mir kein Gedanke anstaendig genug fuer Sie. Dieses ist es alles, was ich Ihnen in der Entzueckung antworten kann. Lottchen. Meine liebe Schwester (sie umarmt Julchen), deine Liebe sei ewig gluecklich! Sei mir ein Beispiel der Zaertlichkeit und der Zufriedenheit. (Zum Damis.) Und Sie, mein lieber Herr Bruder, sollen so gluecklich sein, als ich meine Schwester zu sehn wuensche. Bleiben Sie ein Freund meines Freundes, und befoerdern Sie unsere Ruhe durch Ihre Aufrichtigkeit. Kommen Sie, wir wollen zu unserm ehrlichen Vater gehn. Wie froh wird der fromme Alte nicht sein, wenn er Julchens Entschluss hoert! Doch ich sehe den Herrn Vormund kommen. Gehn Sie, ich will das Vergnuegen haben, diesem rechtschaffenen Mann, der mir heute eine freudige Post gebracht hat, auch die erste Nachricht von der Gewissheit Ihrer beiderseitigen Liebe zu geben. (Julchen und Damis gehn ab.) Vierter Auftritt Lottchen. Simon. Simon. Endlich habe ich die Ehre, Ihnen die Abschrift von dem Testamente zu bringen. Ich habe sie selbst geholet. Wollen Sie unbeschwert diesen Punkt lesen? (Er reicht ihr die Abschrift.) Lottchen (sie liest). Wie? Ich bin die Erbin des Ritterguts? Ich? Simon. Ja, Sie sind es, Mamsell, und nicht Ihre Jungfer Schwester. Der Herr Hofrat, der mir die erste Nachricht gegeben, muss sich entweder geirret oder diese kleine Verwirrung mit Fleiss angerichtet haben, um seiner Jungfer Pate eine desto groessere Freude zu machen. Genug, es ist nunmehr gewiss, dass Sie die Erbin des Ritterguts sind, und kein Mensch kann Ihnen dieses Glueck aufrichtiger goennen, als ich tue. Sie verdienen noch weit mehr. Lottchen. O das ist ein trauriges Glueck! Wird nicht meine liebe Schwester darueber betruebt werden? Wird nicht Ihr Herr Muendel...? Simon. Waren Sie doch viel zufriedner, da ich Ihnen die erste und nunmehr falsche Nachricht brachte. Lesen Sie doch nur weiter. Sie sind die Erbin des Ritterguts, aber Sie sollen Jungfer Julchen zehntausend Taler abgeben, sobald sie heiraten wird. Lottchen. Nun bin ich zufrieden. Sie soll noch mehr haben als zehntausend Taler, wenn sie sich nur nicht ueber ihren Verlust kraenkt. O was fuer Bewegungen fuehle ich in meiner Seele! Und was werde ich erst da empfinden, wenn ich meinen Geliebten vor Freuden ueber mein Glueck erschrecken sehe? O wie schoen wird er erschrecken! Gott, wie gluecklich bin ich! Wenn nur meine liebe Schwester nicht unruhig wird. Fuenfter Auftritt Die Vorigen. Siegmund. Siegmund. Jungfer Julchen hat, wie ich gleich gehoert, endlich ihr Ja von sich gegeben? Ist es gewiss? Das ist mir sehr angenehm. Lottchen (zu Simon). Ja, sie hat sich nach dem Wunsche Ihres Herrn Muendels erklaert und wird die Ehre haben, Sie um einen Braeutigam zu bitten, der unter Ihren Haenden so liebenswuerdig geworden ist. Aber, mein Liebster, hier ist die Abschrift von dem Testamente. Geht es Ihnen nicht ein wenig nahe, dass die Frau Muhme uns beide vergessen hat? Siegmund. Nein, nicht einen Augenblick. Sie sind mir mehr als ein reiches Testament. Lottchen. Aber wenn uns Julchen etwas von ihrer Erbschaft anbieten sollte, wollen wir's annehmen? Siegmund. Da sie nicht mehr ueber ihr Herz zu gebieten hat: so hat sie auch nicht ueber ihr Vermoegen zu befehlen. Simon. O mein Herr, Sie koennen versichert sein, dass ihr mein Muendel die voellige Freiheit lassen wird, freigebig und erkenntlich zu sein. Er sucht seinen Reichtum nicht in dem Ueberflusse, sondern in dem Gebrauche desselben. Er wuerde Julchen gewaehlt haben, wenn sie auch keine Erbschaft getan haette. Und vielleicht waere es ihm gar lieber, wenn er ihr Glueck durch sich allein haette machen koennen. Wir wollen wuenschen, dass alle Liebhaber so edel gesinnt sein moegen als er. Lottchen. Hoeren Sie, Herr Siegmund, was wir fuer einen grossmuetigen Bruder bekommen haben? Siegmund. Er macht seinem Herrn Vormunde und uns die groesste Ehre. Simon. Ja, ich bin in der Tat stolz auf ihn. Er ist von seinem zehnten Jahre an in meinem Hause gewesen und hat bis auf diese Stunde alle meine Sorgfalt fuer ihn so reichlich belohnet und mir so vieles Vergnuegen gemacht, dass ich nicht weiss, wer dem andern mehr Dank schuldig ist. Lottchen. Dieses ist ein Lobspruch, den ich niemanden als dem Braeutigam meiner Schwester goenne. Und wenn mein Papa sterben sollte: so wuerde ich Ihr Muendel sein, um ebendieses Lob zu verdienen. O was ist der Umgang mit grossen Herzen fuer eine Wollust! Aber, Herr Simon, darf ich in Ihrer Gegenwart eine Freiheit begehen, die die Liebe gebeut und rechtfertiget? Ja, Sie sind es wuerdig, die Regungen meiner Seele ohne Decke zu sehen. (Sie geht auf Siegmund zu und umarmet ihn. ) Endlich, mein Freund, bin ich so gluecklich, Ihren Umgang und Ihre Treue gegen mich durch ein unvermutetes Schicksal zu belohnen. Sie haben mich als ein armes Frauenzimmer geliebt. Die Vorsicht hat mich heute mit einer Erbschaft beschenkt, die ich nicht ruehmlicher anzuwenden weiss, als wenn ich sie in Ihre Haende bringe. Ich weiss, Sie werden es mir und der Tugend davon wohlgehen lassen. Hier ist eine Abschrift des Testaments, worin ich zur Erbin erklaeret bin, anstatt dass es meine liebe Schwester nach unserer Meinung war. Kurz, die Erbschaft ist Ihre, und ein Teil von zehntausend Talern gehoert Julchen. Fragen Sie nunmehr Ihr Herz, was Sie mit mir anfangen wollen. Siegmund. Ohne Ihre Liebe ist mir Ihr Geschenke sehr gleichgueltig. Lottchen. Eben deswegen verdienen Sie's. Fehlt zu Ihrem Gluecke nichts als meine Liebe: so koennen Sie nie gluecklicher werden. Siegmund. Ach, meine Schoene, wie erschrecke ich! Sie machen, dass man die Liebe und das Glueck erst hochschaetzt. O warum kann nicht die ganze Welt Ihrer Grossmut zusehen! Sie wuerden auch den niedertraechtigsten Seelen liebenswuerdig vorkommen und ihnen bei aller Verachtung der Tugend den Wunsch auspressen, dass sie Ihnen gleichen moechten. Ich danke es der Schickung ewig, dass sie mir Ihren Besitz zugedacht hat. Und ich eile mit Ihrer Erlaubnis zu Ihrem Herrn Vater, um ihn nunmehr... Sechster Auftritt Die Vorigen. Ein Bedienter. Der Bediente (zu Lottchen). Hier ist ein Brief an Sie, Mamsell. Er koemmt von der Post. Lottchen. Ein Brief von der Post? Siegmund. Ja, ich habe den Brieftraeger selbst auf dem Saale stehen sehen, ehe ich hereingekommen bin. Lottchen. Wollen Sie erlauben, meine Herren, dass ich den Brief in Ihrer Gegenwart erbrechen darf? Simon. Ich will indessen meinem lieben Muendel meinen Glueckwunsch abstatten. Siebenter Auftritt Lottchen. Siegmund. Lottchen (indem sie den Brief fuer sich gelesen hat). O mein Freund, man will mir mein Glueck sauermachen. Man beneidet mich, sonst wuerde man Sie nicht verkleinern. Es ist ein boshafter Streich; er ist mir aber lieb, weil ich Ihnen einen neuen Beweis meines Vertrauens und meiner Liebe geben kann. Ich will Ihnen den Brief lesen. Er besteht, wie Sie sehen, nur aus zwo Zeilen. (Sie liest.) "Mamsell, trauen Sie Ihrem Liebhaber, dem Herrn Siegmund, nicht. Er ist ein Betrueger. N. N." Siegmund. Was? Ich ein Betrueger? Lottchen (sie nimmt ihn bei der Hand). Ich weiss, dass Sie gross genug sind, dieses hassenswuerdige Wort mit Gelassenheit anzuhoeren. Es ist ein Lobspruch fuer Sie. Ich verlange einen solchen Betrueger, als Sie sind, mein Freund. Siegmund. Aber wer muss mir diesen boshaften Streich an dem heutigen Tage spielen? Wie? Sollte es auch Herr Simon selbst sein? Liebt er Sie vielleicht? Macht ihn Ihre Erbschaft boshaft? Warum ging er, da der Brief kam? Soll ich ihm dieses Laster vergeben? Wenn er mir meinen Verstand, meinen Witz abgesprochen haette: so wuerde ich ihm fuer diese Demuetigung danken; aber dass er mir die Ehre eines guten Herzens rauben will, das ist aerger, als wenn er mir Gift haette geben wollen. Ich?... Ich, ein Betrueger? Himmel, bringe es an den Tag, wer ein Betrueger ist, ich oder der, der diesen Brief geschrieben hat! Ist das der edelgesinnte Vormund? Lottchen. Ich bitte Sie bei Ihrer Liebe gegen mich, beruhigen Sie sich. Verschonen Sie den Herrn Vormund mit Ihrem Verdachte. Es ist nicht moeglich, dass er eine solche Niedertraechtigkeit begehen sollte. Sein Charakter ist edel. Wer weiss, was Sie sonst fuer einen Feind haben, der von unserer Liebe und von meiner Erbschaft heute Nachricht bekommen hat. Siegmund. Sie entschuldigen den Vormund noch? Hoerten Sie nicht den boshaften Ausdruck: Wir wollen wuenschen, dass alle Liebhaber so edel gesinnt sein moegen als mein Muendel? Ist dieses nicht eine unverschaemte Anklage wider mich? Lottchen. Ich sage Ihnen, dass Sie mich beleidigen, wenn Sie ihn noch einen Augenblick in Verdacht haben. So, wie ich ihn kenne und wie mir ihn sein Muendel beschrieben hat: so ist er ein Mann, dem man sein Leben, seine Ehre und alles vertrauen kann. Siegmund. Aber sollte er nicht unerlaubte Absichten haben? Ich habe gemerkt, dass er sehr genau auf Ihr ganzes Bezeigen, bis auf das geringste Wort Achtung gegeben hat. Es koemmt noch ein merkwuerdiger Umstand dazu. Er hat in dem Billette an Ihren Herrn Vater schon triumphieret, dass er heute eine erfreuliche Nachricht vom Hofe erhalten haette. Und er hat es dem Herrn Vater auch schon entdeckt; aber mir nicht. Lottchen. Ich beschwoere Sie bei Ihrer Aufrichtigkeit, lassen Sie diesen Mann aus dem Verdachte. Siegmund. Warum hat er mir nicht gesagt, dass man ihm vom Hofe einen vornehmen Charakter und eine ungewoehnliche Pension gegeben hat? Was sucht er darunter, wenn er nicht mein Unglueck bei Ihnen sucht? Lottchen. Ich vergebe Ihren Fehler Ihrer zaertlichen Liebe zu mir. Ausserdem wuerde ich Sie nicht laenger anhoeren. Wir wollen die Sache zu unserm Vorteile enden. Ihre Feinde moegen sagen, was sie wollen. Sie sind bestraft genug, dass sie Ihren Wert nicht kennen. Und wir koennen uns nicht besser raechen, als dass wir uns nicht die geringste Muehe geben, sie zu entdecken. Lassen Sie Ihren Zorn hier verfliegen. Ich komme in der Gesellschaft meines Vaters und der uebrigen gleich wieder zu Ihnen, unser Buendnis in den Augen unserer Feinde sicher zu machen. Achter Auftritt Siegmund allein. Das war ein verfluchter Streich! Aber er macht mich nur mutiger. Julchen ist verloren... Gut, ist doch Lottchen, ist doch das Rittergut mein... Ich bin nicht untreu gewesen. Nein! Ich habe es nur sein wollen; aber ich war zu edel, als dass mich's die Umstaende haetten werden lassen. Aber wo bleibt Lottchen? Hat sie gar meine Untreue erfahren? Ich will sie sicher machen. Neunter Auftritt Julchen. Damis. Julchen. "Wo bleibt Lottchen? Hat sie gar meine Untreue erfahren? Ich will sie sicher machen." Der Boshafte! Hoerten Sie sein Bekenntnis? Wir wollten sehen, wie er sich nach diesem Briefe auffuehren wuerde. O haetten wir diese unglueckselige Entdeckung doch niemals gemacht! Du arme Schwester! Du verbindest dich mit einem Menschen, der ein boeses Herz bei der Miene der Aufrichtigkeit hat. Damis. Ja, es ist ein nichtswuerdiger Freund, wie ich Ihnen gesagt habe. Er hat den groessten Betrug begangen. Ich bitte ihn heute Vormittage, wie man einen Bruder bitten kann, dass er mir Ihre Liebe sollte gewinnen helfen. Und statt dessen bittet er Ihren Herrn Vater, unsere Verlobung noch acht Tage aufzuschieben, und will ihn bereden, als ob Sie, meine Braut, ihn selbst liebten. Ist das mein Freund, dem ich mehr als einmal mein Haus und mein Vermoegen angeboten habe? Julchen. Mich hat er bereden wollen, dass Sie meiner Schwester gewogener waeren als mir. Nunmehro weiss ich gewiss, dass es keine Verstellung gewesen. Aber meine arme Schwester wird es doch denken, weil sie ihm diese List aus gutem Herzen aufgetragen hat. Wer soll ihr ihren Irrtum entdecken? Wird sie uns hoeren? Und wenn sie es glaubt, ueberfuehren wir sie nicht von dem groessten Ungluecke! Wie dauret sie mich! Damis. Ja. Aber sie muss es doch erfahren, und wenn Sie schweigen, so rede ich. Julchen. Ach, bedenken Sie doch das Elend meiner lieben Schwester! Schweigen Sie. Vielleicht... Vielleicht ist er nicht von Natur boshaft, vielleicht hat ihn nur meine Erbschaft... Damis. Es habe ihn, was auch immer wolle, zur Untreue bewogen: so ist er in meinen Augen doch allemal weniger zu entschuldigen als ein Mensch, der den andern aus Hunger auf der Strasse umbringt. Hat ihn die ausnehmende Zaertlichkeit, die ganz bezaubernde Unschuld, die edelste Freundschaft Ihrer Jungfer Schwester nicht treu und tugendhaft erhalten koennen: so muss es ihm nunmehr leicht sein, um eines Gewinstes willen seinen naechsten Blutsfreund umzubringen und die Religion der geringsten Wollust wegen abzuschwoeren. Julchen. Aber ach, meine Schwester... Tun Sie es nicht. Ich zittre.. . Damis. Meine Braut, Sie sind mir das Kostbarste auf der Welt. Aber ich sage Ihnen, ehe ich Lottchen so ungluecklich werden lasse, sich mit einem Nichtswuerdigen zu verbinden: so will ich mein Vermoegen, meine Ehre und Sie selbst verlieren. Ich gehe und sage ihr alles, und wenn sie auch ohne Trost sein sollte. Mein Herr Vormund hat das Billett an Lottchen auf meine Bitte schreiben und auf die Post bringen lassen. ihr ehrlicher Vater und der Magister, die Siegmund beide fuer zu einfaeltig gehalten, haben seine tueckischen Absichten zuerst gemerkt, und ihr Herr Vater hat sie meinem Vormunde vertraut. Dieser hasst und sieht die kleinsten Betruegereien. Julchen. Ist er denn gar nicht zu entschuldigen? Damis. Nein, sage ich Ihnen. Wir haben alles untersucht. Er ist ein Betrueger. (Mit Bitterkeit.) Ich habe in meinem Leben noch kein Tier gern umgebracht; aber diesen Mann, wenn er es leugnen und Lottchen durch seine Verstellung ungluecklich machen sollte, wollte ich mit Freuden umbringen. Was? Wir Maenner wollen durch den haesslichsten Betrug das Frauenzimmer im Triumph auffuehren, das wir durch unsere Tugend ehren sollten? Julchen. Was soll aber meine Schwester mit dem Untreuen anfangen? Damis. Sie soll ihn mit Verachtung bestrafen. Sie soll ihn fuehlen lassen, was es heisst, ein edles Herz hintergehn. Julchen. Wenn ihm aber meine Schwester verzeihen wollte. Waere das nicht auch grossmuetig? Damis. Sie braucht ihn nicht zu verfolgen. Sie kann alle Regungen der Rache ersticken und sich doch seiner ewig entschlagen. Er ist ein Unmensch. Zehnter Auftritt Die Vorigen. Simon. Simon. Ich stehe die groesste Qual aus. Unsere Absicht mit dem Briefe schlaegt leider fehl. Sie liebt ihn nur desto mehr, je mehr sie ihn fuer unschuldig haelt. Sie dringt in ihren Vater, dass er die Verlobung beschleunigen soll. Dieser gute Alte liebt seine Tochter und vergisst vielleicht in der grossen Liebe die Vorsichtigkeit und meine Erinnerungen. Wenn es niemand wagen will, sich dem Sturme preiszugeben: so will ich's tun. Damis. Ich tue es auch. Julchen. Wenn nur meine Schwester kaeme. Ich wollte... Aber sie liebt ihn unaussprechlich. Was wird ihr Herz empfinden, wenn es sich auf einmal von ihm trennen soll? Simon. Es wird viel empfinden. Sie liebt ihn so sehr, als man nur lieben kann. Aber sie liebt ihn deswegen so sehr, weil sie ihn der Liebe wert haelt. Sobald sie ihren Irrtum sehen wird: so wird sich die Vernunft, das Gefuehl der Tugend und das Abscheuliche der Untreue wider ihre Liebe empoeren und sie verdringen. Der Hass wird sich an die Stelle der Liebe setzen. Wir muessen alle drei noch einmal mit ihr und dem Herrn Vater sprechen, ehe er sie um das Ja betruegt. Julchen. Du redliche Schwester! Koennte ich doch dein Unglueck durch Wehmut mit dir teilen! Wie traurig wird das Ende dieses Tages fuer mich! Simon. Betrueben Sie sich nicht ueber den Verlust eines solchen Mannes. Lottchen ist gluecklich, wenn sie ihn verliert, und ungluecklich, wenn sie ihn behaelt. Herr Damis, haben Sie die Guete und sehen Sie, wie Sie Lottchen einen Augenblick von ihrem Liebhaber entfernen und hieherbringen koennen. Damis. Ja, das ist das letzte Mittel. Simon (zu Damis). Noch ein Wort. Haben Sie die Abschrift des Testaments schon gelesen, die ich itzt mitgebracht habe? Damis. Nein, Herr Vormund. Simon. Sie auch nicht, Mamsell Julchen? Julchen. Nein. Simon. Also wissen Sie beide noch nicht, dass die erste Nachricht falsch gewesen ist. Mamsell Julchen, erschrecken Sie nicht. Sie sind nicht die Erbin des Ritterguts. Julchen. Wie? Ich bin's nicht? Warum haben Sie mir denn eine falsche Freude gemacht? Das ist betruebt. Geht denn heute alles ungluecklich? Ach, Herr Damis, Sie sagen nichts? Bin ich nicht mehr Ihre Braut? Geht denn das Unglueck gleich mit der Liebe an? Ich wollte meinen Vater und meine liebe Schwester mit in mein Gut nehmen. Ich liess schon die besten Zimmer fuer sie zurechtemachen. Ach, mein Herr, was fuer Freude empfand ich nicht, wenn ich mir vorstellte, dass ich Sie an meiner Hand durch das ganze Gut, durch alle Felder und Wiesen fuehrte... ! Also habe ich nichts? Damis. Sie haben so viel, als ich habe. Vergessen Sie die traurige Erbschaft. Es wird uns an nichts gebrechen. Mir ist es recht lieb, dass Sie das Rittergut nicht bekommen haben. Vielleicht haette die Welt geglaubt, dass ich bei meiner Liebe mehr auf dieses als auf Ihren eigenen Wert gesehen haette. Und dies soll sie nicht glauben. Sie soll meine Braut aus ebender Ursache hochschaetzen, aus der ich sie verehre und waehle. Fuehren Sie mich an Ihrer Hand in meinem eigenen Hause herum: so werden Sie mir ebendas Vergnuegen machen. Genug, dass Sie ein Rittergut verdienen. O wenn ich nur Lottchen aus ihrem Elende gerissen haette. Ich werde eher nicht ruhig. Simon. Jungfer Lottchen ist die Erbin des Ritterguts. Julchen. Meine Schwester ist es? Meine Schwester? Bald haette ich sie beneidet; aber verwuenscht sei diese Regung! Nein! Ich goenne ihr alles. (Zu Damis.) Was koennte ich mir noch wuenschen, wenn Sie mit mir zufrieden sind. Sie soll es haben. Ich goenne ihr alles. Damis. Auch mich, meine Braut? Julchen. Ob ich Sie meiner Schwester goenne? Nein, so redlich bin ich doch nicht. Es ist keine Tugend; aber... Fragen Sie mich nicht mehr. Damis. Nein. Ich will Mamsell Lottchen suchen. Die Zaertlichkeit soll der Freundschaft einige Augenblicke nachstehen. Eilfter Auftritt Julchen. Simon. Julchen. Ob ich ihn meiner Schwester goenne? Wie koennte sie das von mir verlangen? Sie hat ja das Rittergut. Ich liebe sie sehr; aber wenn ich ihre Ruhe durch den Verlust des Herrn Damis befoerdern soll: so fordert sie zu viel. Das ist mir nicht moeglich. Simon. Machen Sie sich keine Sorge. Sie wird es gewiss nicht begehren. Ich muss Ihnen auch sagen, dass sie Ihnen nach dem Testamente zehntausend Taler zu Ihrer Heirat abgeben soll. Julchen. Das ist alles gut. Wenn ich nur meiner Schwester ihren Liebhaber durch dieses Geld treu machen koennte, wie gern wollte ich's ihm geben! Der boese Mensch! Kann er nicht machen, dass ich den Herrn Damis verliere, indem er Lottchen verliert? Aber warum laesst der Himmel solche Bosheiten zu? Was kann denn ich fuer seine Untreue? Ich bin ja unschuldig. Simon. Mein Muendel kann niemals aufhoeren, Sie zu lieben. Verlassen Sie sich auf mein Wort. Jungfer Lottchen ist zu beklagen. Aber besser ohne Liebe leben, als ungluecklich lieben. Wenn sie doch kaeme! Julchen. Aber wenn sie nun koemmt? Ich kann ja ihre Ruhe nicht herstellen. Ich habe sie herzlich lieb. Aber warum soll denn meine Liebe mit der ihrigen leiden? Nein, so grossmuetig kann ich nicht sein, dass ich ihr zuliebe mich und... mich und ihn vergaesse. Wenn sie doch gluecklich waere! Ich werde recht unruhig. Er sagte, er wollte die Zaertlichkeit der Freundschaft nachsetzen. Was heisst dieses? Simon. Bleiben Sie ruhig. Mein Muendel ist der Ihrige. Sie verdienen ihn. Und wenn Sie kuenftig an seiner Seite die Glueckseligkeiten der Liebe geniessen: so verdanken Sie es der Tugend, dass sie uns durch Liebe und Freundschaft das Leben zur Lust macht. Zwoelfter Auftritt Die Vorigen. Der Magister. Der Magister. Herr Simon, ich moechte Ihnen gern ein paar Worte vertrauen. Wenn ich nicht sehr irre: so habe ich heute eine wichtige Entdeckung gemacht, was die Reizungen der Reichtuemer fuer Gewalt ueber das menschliche Herz haben. Simon. Ich fuerchte, dass mir diese unglueckliche Entdeckung schon mehr als zu bekannt ist. Der Magister. Ich habe der Sache alleweile auf meiner Studierstube nachgedacht. Julchen. Koennen Sie uns denn sagen, wie ihr zu helfen ist? Tun Sie es doch, lieber Herr Magister. Der Magister. Siegmund muss bestraft werden, damit er gebessert werde. Simon. Er verdient nicht, dass man ihn anders bestrafe als durch Verachtung. Der Magister. Aber wie sollen seine Willenstriebe gebessert werden? Simon. Ist denn die Verachtung kein Mittel, ein Herz zu bessern? Der Magister. Das will ich itzt nicht ausmachen. Aber sagen Sie mir, Herr Simon, ob die Stoiker nicht recht haben, wenn sie behaupten, dass nur ein Laster ist; oder dass, wo ein Laster ist, die andern alle ihrer Kraft nach zugegen sind? Sehn Sie nur Siegmunden an. Ist er nicht recht das Exempel zu diesem Paradoxo? Simon. Ja, Herr Magister. Aber wie werden wir Jungfer Lottchen von der Liebe zu Siegmunden abbringen? Sie glaubt es ja nicht, dass er untreu ist. Der Magister. Das wird sich schon geben. O wie erstaunt man nicht ueber die genaue Verwandtschaft, welche ein Laster mit dem andern hat und welche alle mit einem haben! Siegmund wird bei der Gelegenheit des Testaments geizig. Ein Laster. Er strebt nach Julchen, damit er ihre Reichtuemer bekomme. Welcher schaendliche Eigennutz! Er wird Lottchen untreu und will Julchen untreu machen. Wieder zwei neue Verbrechen. Er kann sein erstes Laster nicht ausfuehren, wenn er nicht ein Betrueger und Verraeter wird. Also hintergeht er seinen Freund, seinen Schwiegervater, Sie, mich und alle, nachdem er einmal die Tugend hintergangen hat. Aber alle diese Bosheiten auszufuehren, musste er ein Luegner und ein Verleumder werden. Und er ward es. Welche unselige Vertraulichkeit herrscht nicht unter den Lastern? Sollten also die Stoiker nicht recht haben? Simon. Wer zweifelt daran? Herr Magister. Ich glaube es, dass Sie die Sache genauer einsehen als ich und Jungfer Julchen. Sie reden sehr wahr, sehr gelehrt. Sie haben seine Untreue zuerst mit entdeckt, und wir danken Ihnen zeitlebens dafuer. Aber entdecken Sie nun auch das Mittel, Lottchen so weit zu bringen, dass sie sich nicht mit dem untreuen Siegmund verbindet. Der Magister. Darauf will ich denken. Lottchen ist zu leichtglaeubig gewesen. Aber sie kann bei dieser Gelegenheit lernen, wieviel man Ursache hat, ein Misstrauen in das menschliche Herz zu setzen, wenn Man es genau kennt und die Erzeugung der Begierden recht ausstudiert hat. Wir haben so viele Vernunftlehren. Eine Willenslehre ist ebenso noetig. Ist denn der Wille kein so wesentlicher Teil der Seele als der Verstand? So wie der Verstand Grundsaetze hat, die sein Wesen ausmachen: so hat der Wille gewisse Grundtriebe. Kennt man diese, so kennt man sein Wesen; und so kennt man auch die Mittel, ihn zu verbessern. Jungfer Muhme, reden Sie aufrichtig, habe ich's Ihnen nicht hundertmal gesagt, dass Siegmund nichts Gruendliches in der Philosophie weiss? Dies sind die traurigen Fruechte davon. Julchen. Lieber Herr Magister, wenn Sie so viel bei der betruebten Sache empfaenden als ich, Sie wuerden diese Frage itzt nicht an mich tun. Sie haben mich heute eine Fabel gelehrt. Und ich wollte wuenschen, dass Sie an die Fabel von dem Knaben gedaechten, der in das Wasser gefallen war. Anstatt dass Sie uns in der Gefahr beistehen sollen: so zeigen Sie uns den Ursprung und die Groesse derselben. Nehmen Sie meine Freiheit nicht uebel. Der Magister. Ich kann Ihnen nichts uebelnehmen. Zu einer Beleidigung gehoert die gehoerige Einsicht in die Natur der Beleidigung. Und da Ihnen diese mangelt: so sehen Ihre Reden zwar beleidigend aus; aber sie sind es nicht. Simon. Aber, was wollen Sie denn bei der Sache tun? Der Magister. Ich will, ehe die Versprechung vor sich geht, Lottchen und meinem Bruder kurz und gut sagen, dass ich meine Einwilligung nicht darein gebe. Alldann muss die Sache ein ander Aussehn gewinnen. Simon. Gut, das tun Sie. Dreizehnter Aufzug Julchen. Simon. Julchen. Ich will dem Herrn Magister nachgehen. Er moechte sonst gar zu grosse Haendel anrichten. Entdecken Sie Lottchen, wenn sie koemmt, die traurige Sache zuerst. Ich will sorgen, dass Sie Siegmund in Ihrer Unterredung nicht stoert und Ihnen, wenn ich glaube, dass es Zeit ist, mit meinem Braeutigame zu Huelfe kommen. Simon. Ich will als ein redlicher Mann handeln. Und wenn ich mir auch den groessten Zorn bei Ihrer Jungfer Schwester und die niedertraechtigste Rache von dem Herrn Siegmund zuziehen sollte: so will ich doch lieber mich als eine gute Absicht vergessen. Vierzehnter Auftritt Simon. Lottchen. Lottchen. Was ist zu Ihrem Befehle? Haben Sie etwa wegen der zehntausend Taler, die ich meiner Schwester herausgeben soll, etwas zu erinnern? Tun Sie nur einen Vorschlag. Ich bin zu allem bereit. Simon. Mamsell, davon wollen wir ein andermal reden. Glauben Sie wohl, dass mir Ihr Glueck lieb ist und dass ich ein ehrlicher Mann bin? So unhoeflich diese beiden Fragen sind: so muss ich sie doch an Sie tun, weil ich sonst in der Gefahr stehe, dass Sie meinen Antrag nicht anhoeren werden. Lottchen. Mein Herr, womit kann ich Ihnen dienen? Reden Sie frei. Ich sage es Ihnen, dass ich ebenden Gehorsam gegen Sie trage, den ich meinem Vater schuldig bin. Ich will Ihnen den groessten Dank sagen, wenn Sie mir eine Gelegenheit geben, Ihnen meine Hochachtung durch die Tat zu beweisen. Ich bin ebensosehr von Ihrer Aufrichtigkeit ueberzeugt als von der Aufrichtigkeit meines Braeutigams. Kann es Ihnen nunmehr noch schwerfallen, frei mit mir zu reden? Simon. Meine Bitte gereicht zum Nachteile Ihres Liebhabers. Lottchen. Will Ihr Herr Muendel etwa das Rittergut gern haben, weil es so nahe an der Stadt liegt? Nun errate ich's, warum er itzt gegen den guten Siegmund etwas verdriesslich tat. Warum hat er mir's nicht gleich gesagt? Er soll es haben und nicht mehr dafuer geben, als Sie selbst fuer gut befinden werden. Kommen Sie zur Gesellschaft. Ich habe mich wegen des boshaften Briefs, den ich vorhin erhalten, entschlossen, in Ihrer Gegenwart dem Herrn Siegmund ohne fernern Aufschub das Recht ueber mein Herz abzutreten und seinen Feinden zu zeigen, dass ich auf keine gemeine Art liebe. Simon. Aber diesen boshaften Brief habe ich schreiben und auf die Post bringen helfen. Lottchen. Ehe wollte ich glauben, dass ihn mein Vater, der mich so sehr liebt, geschrieben haette. Sie scherzen. Simon. Nein, Mamsell, ich bin zu einem Scherze, den mir die Ehrerbietung gegen Sie untersagt, zu ernsthaft. Erschrecken Sie nur, und hassen Sie mich. Ich wiederhole es Ihnen, Ihr Liebhaber meint es nicht aufrichtig mit Ihnen. Lottchen. Sie wollen gewiss das Vergnuegen haben, meine Treue zu versuchen und mich zu erschrecken, weil Sie wissen, dass ich nicht erschrecken kann. Simon. Sie glauben, ich scherze? Ich will also deutlicher reden. Ihr Liebhaber ist ein Betrueger. Lottchen (erbittert). Mein Herr, Sie treiben die Sache weit. Wissen Sie auch, dass ich fuer die Treue meines Liebhabers stehe und dass Sie mich in ihm beleidigen? Und wenn er auch der Untreue faehig waere: so wuerde ich doch den, der mich davon ueberzeugte, ebensosehr hassen als den, der sie begangen. Aber ich komme gar in Zorn. Nein, mein Herr, ich kenne ja Ihre Grossmut. Es ist nicht Ihr Ernst, so gewiss, als ich lebe. Simon. So gewiss, als ich lebe, ist es mein Ernst. Er ist unwuerdig, noch einen Augenblick von Ihnen geliebt zu werden. Lottchen. Und ich werde ihn ewig lieben. Simon. Sie kennen ihn nicht. Lottchen. Besser als Sie, mein Herr. Simon. Ihre natuerliche Neigung zur Aufrichtigkeit, Ihr gutes Zutrauen macht, dass Sie ihn fuer aufrichtig halten; aber dadurch wird er's nicht. Lottchen. Geben Sie mir die Waffen wider Sie nicht in die Hand. Ich habe Sie und meinen Liebhaber fuer aufrichtig gehalten. Ich will mich betrogen haben. Aber wen soll ich zuerst hassen? Ist Ihnen etwas an meiner Freundschaft gelegen: so schweigen Sie. Sie veraendern mein ganzes Herz. Sie haben mir und meinem Hause viel Wohltaten erwiesen; aber dadurch haben Sie kein Recht erlangt, mit mir eigennuetzig zu handeln. Waere es Ihrem Charakter nicht gemaesser, mich tugendhaft zu erhalten, als dass Sie mich niedertraechtig machen wollen? Warum reden Sie denn nur heute so? Simon. Weil ich's erst heute gewiss erfahren habe. Wenn Sie mir nicht glauben: so glauben Sie wenigstens Ihrer Jungfer Schwester und meinem Muendel. Lottchen. Das ist schrecklich. Haben Sie diese auch auf Ihre Seite gezogen? Simon. Ja, sie sind auf meiner Seite sowohl als Ihr Herr Vater. Und ehe ich zugebe, dass ein Niedertraechtiger Ihr Mann wird, ehe will ich mich der groessten Gefahr aussetzen. Sie sind viel zu edel, viel zu liebenswuerdig fuer ihn. Lottchen. Wollen Sie mir denn etwa selbst Ihr Herz anbieten? Muss er nur darum ein Betrueger sein, weil ich in Ihren Augen so liebenswuerdig bin? Und Sie glauben, dass sich ein edles Herz auf diese Art gewinnen laesst? Nunmehr muss ich entweder nicht tugendhaft sein oder Sie hassen. Und bald werde ich Sie nicht mehr ansehn koennen. Simon. Machen Sie mir noch so viele Vorwuerfe. Die groessten Beschuldigungen, die Sie wider mich ausstossen, sind nichts als Beweise Ihres aufrichtigen Herzens. Die Meinung, in der Sie stehen, rechtfertiget sie alle. Und ich wuerde Sie vielleicht hassen, wenn Sie mein Anbringen gelassener angehoert haetten. Genug... Lottchen. Das ist ein neuer Kunstgriff. Mein Herr, Ihre List, wenn es eine ist, und sie ist es, sei verwuenscht! Wie? Er, den ich wie mich liebe?... Sie wollen sich an seine Stelle setzen? Ist es moeglich? Simon. Dieser Vorwurf ist der bitterste; aber auch den will ich verschmerzen. Es ist wahr, dass ich Sie ungemein hochachte; aber ich habe ein sicheres Mittel, Ihnen diesen grausamen Gedanken von meiner Niedertraechtigkeit zu benehmen. Ich will Ihnen versprechen, Ihr Haus nicht mehr zu betreten, solange ich lebe. Und wenn ich durch diese Entdeckung Ihre Liebe zu gewinnen suche: so strafe mich der Himmel auf das entsetzlichste. Nach diesem Schwure schaeme ich mich, mehr zu reden. (Er geht ab.) Funfzehnter Auftritt Lottchen allein. Gott, was ist das?... Er soll mir untreu sein?... Nimmermehr! Nein! Der Vormund sei ein Betrueger und nicht er. ... Du, redliches Herz! Du, mein Freund, um dich will man mich bringen? Warum beweist er deine Untreue nicht? Sechzehnter Auftritt Lottchen. Damis. Lottchen. Kommen Sie mir zu Huelfe. Und wenn sie mein Unglueck auch alle wollen: so sind doch Sie zu grossmuetig dazu. Was geht mit meinem Braeutigam vor? Sagen Sie mir's aufrichtig. Damis. Er ist Ihnen untreu. Lottchen. Auch Sie sind mein Feind geworden? Hat Sie mein Liebhaber beleidiget: so handeln Sie doch wenigstens so grossmuetig und sagen mir nichts von der Rache, die Sie an ihm nehmen wollen. Damis. Mein Herz ist viel zu gross zur Rache. Lottchen. Aber klein genug zur Undankbarkeit? Hat Ihnen mein Geliebter nicht heute den redlichsten Dienst erwiesen? Damis. Wollte der Himmel, er haette mir ihn nicht erwiesen: so wuerden Sie gluecklicher, und er wuerde nur ein verborgner Verraeter sein. Lottchen. Betrueger! Verraeter! Sind das die Namen meines Freundes, den ich zwei Jahr kenne und liebe? Damis. Wenn ich die Aufrichtigkeit weniger liebte: so wuerde ich mit mehr Maessigung vor Ihnen reden. Aber mein Eifer gibt mir fuer Ihren Liebhaber keinen andern Namen ein. Sie, meine Schwester, sind Ihres Herzens wegen wuerdig, angebetet zu werden, und eben deswegen ist der Mensch, der bei Ihrer Zaertlichkeit und bei den sichtbarsten Beweisen der aufrichtigsten Liebe sich noch die Untreue kann einfallen lassen, eine abscheuliche Seele. Lottchen. Eine abscheuliche Seele? Wohlan; nun fordere ich Beweise. (Heftiger.) Doch weder Ihr Vormund noch Sie, noch meine Schwester, noch mein Vater selbst werden ihm meine Liebe entziehn koennen. Und ich nehme keinen Beweis an als sein eigen Gestaendnis. Ich bin so sehr von seiner Tugend ueberzeugt, dass ich weiss, dass er auch den Gedanken der Untreue nicht in sich wuerde haben aufsteigen lassen, ohne mir ihn selbst zu entdecken. Und ich wuerde ihn wegen seiner gewissenhaften Zaertlichkeit nur desto mehr lieben, wenn ich ihn anders mehr lieben koennte. Damis. Ich sage es Ihnen, wenn Sie mir nicht trauen: so gebe ich Ihnen das Herz meiner Braut wieder zurueck. Ihnen bin ich's schuldig; aber ich mag nicht die groesste Wohltat von Ihnen geniessen und zugleich Ihr Unglueck sehn. Lottchen. Sie muessen mich fuer sehr wankelmuetig halten, wenn Sie glauben, dass ich durch blosse Beschuldigungen mich in der Liebe irren lasse. Haben Sie oder ich mehr Gelegenheit gehabt, das Herz meines Braeutigams zu kennen? Wenn Sie recht haben, warum werfen Sie ihm seine Untreue abwesend vor? Rufen Sie ihn hieher. Alsdann sagen Sie mir seine Verbrechen. Er ist edler gesinnet als wir alle. Und ich will ihn nun lieben. Damis. Sie haben recht. Ich will ihn selbst suchen. Siebenzehnter Auftritt Lottchen. Julchen. Lottchen. Er geht? Er untersteht sich, ihn zu rufen? Nun faengt mein Herz an zu zittern. (Sie sieht Julchen. Klaeglich.) Meine Schwester, bist du auch da? Hast du mich noch lieb? (Lottchen umarmt sie.) Willst du mir die traurigste Nachricht bringen? O nein! Warum schweigst du? Warum koemmt er nicht selbst? Julchen. Ich bitte dich, hoere auf, einen Menschen zu lieben, der... Lottchen. Er soll schuldig sein; aber muss er gleich meiner Liebe unwuerdig sein? Nein, meine liebe Schwester. Ach nein, er ist gewiss zu entschuldigen. Willst du ihn nicht verteidigen? Vergisst du schon, was er heute zu deiner Ruhe beigetragen hat? Warum sollte er mir untreu sein, da ich Vermoegen habe? Warum ward er's nicht, da ich noch keines hatte? Julchen. Er ward es zu der Zeit, da er in den Gedanken stund, dass ich die Erbin des Testaments waere. Ach, liebe Schwester, wie gluecklich wollte ich sein, wenn ich dich nicht hintergangen saehe! Lottchen. So ist es gewiss? (Hart.) Nein! sage ich. Julchen. Ich habe lange mit mir gestritten. Ich habe ihn in meinem Herzen, vor meinem Braeutigam, vor seinem Vormunde und vor unserm Vater entschuldiget. Ich wuerde sie aus Liebe zu dir noch alle fuer betrogne Zeugen halten. Aber es ist nicht mehr moeglich. Er selbst hat sich hier an dieser Stelle angeklagt, als du ihn nach dem empfangenen Briefe verlassen hattest. Er war allein. Die Unruhe und sein Verbrechen redten aus ihm. Er hoerte mich nicht kommen. O haett' er doch ewig geschwiegen!... Ach, meine Schwester! Lottchen. Meine Schwester, was sagst du mir? Er hat sich selbst angeklagt? Er ist untreu? Aber wie koennte ich ihn noch lieben, wenn er's waere? Nein, ich liebe ihn, und er liebt mich gewiss. Ich habe ihm ja die groessten Beweise der aufrichtigsten Neigung gegeben... (Zornig.) Aber was quaelt ihr mich mit dem entsetzlichsten Verdachte? Was hat er denn getan? Nichts hat er getan. Julchen. Er hat mich auf eine betruegerische Art der Liebe zu meinem Braeutigam entreissen und sich an seine Stelle setzen wollen. Er hat meinen Vater ueberreden wollen, als ob ich ihn selbst liebte und als wenn du hingegen den Herrn Damis liebtest. Er hat ihm geraten, die Verlobung noch acht Tage aufzuschieben. Er hat sogar um mich bei ihm angehalten. Lottchen. Wie? Hat er nicht noch vor wenig Augenblicken mich um mein Herz gebeten? Ihr hasst ihn und mich. Julchen. Ja, da er gesehen, dass das Testament zu deinem Vorteile eingerichtet ist. Lottchen. Also richtet sich sein Herz nach dem Testamente und nicht nach meiner Liebe? Ich Betrogene! Doch es ist unbillig, ihn zu verdammen. Ich muss ihn selbst hoeren. Auch die edelsten Herzen sind nicht von Fehlern frei, die sie doch bald bereuen. (Klaeglich.) Liebste Schwester, verdient er keine Vergebung? Mach ihn doch unschuldig. Ich will ihn nicht besitzen. Ich will ihn zu meiner Qual meiden. Ich will ihm die ganze Erbschaft ueberlassen, wenn ich nur die Zufriedenheit habe, dass er ein redliches Herz hat. O Liebe! ist das der Lohn fuer die Treue? Achtzehnter Auftritt Die Vorigen. Siegmund. Siegmund. Soll ich nunmehr so gluecklich sein, Ihr Ja zu erhalten? Der Herr Vater hat mir seine Einwilligung gegeben. Sie lieben mich doch, grossmuetige Schoene? Lottchen. Und Sie lieben mich doch auch? Siegmund. Sie kennen mein Herz seit etlichen Jahren, und Sie wissen gewiss, dass mein groesster und liebster Wunsch durch Ihre Liebe erfuellt worden ist. Lottchen. Aber... meine Schwester... Warum erschrecken Sie? Siegmund. Ich erschrecke, dass Sie sich nicht besinnen, dass Sie mir diese List selbst zugemutet haben. Sollte ich nicht durch eine verstellte Liebe Julchens Herz versuchen? Reden Sie, Mamsell Julchen, entschuldigen Sie mich. Julchen. Mein Herr, entschuldigen kann ich Sie nicht. Bedenken Sie, was Sie zu mir und zu meinem Vater und vor kurzem hier in dieser Stube zu sich selbst gesagt haben, ohne dass Sie mich sahn. Alles, was ich tun kann, ist, dass ich meine liebe Schwester bitte, Ihnen Ihre Untreue zu vergeben. Siegmund. Ich soll untreu sein?... Ich (Er geraet in Unordnung.) Ich soll der aufrichtigsten Seele untreu sein? Wer? Ich? Gegen Ihren Herrn Vater soll ich etwas gesprochen haben? Was sind das fuer schreckliche Geheimnisse?... Sie sehn mich aengstlich an, meine Schoene? Wie? Sie lieben mich nicht? Sie lassen sich durch meine Widerlegungen nicht bewegen?... Sie hoeren meine Gruende nicht an?... Bin ich nicht unschuldig?... Wer sind meine Feinde?... Ich berufe mich auf mein Herz, auf die Liebe, auf den Himmel. ... Doch auch mich zu entschuldigen koennte ein Zeichen des Verdachtes sein. ... Nein, meine Schoene, Sie muessen mir ohne Schwuere glauben. Ich will Sie, ich will meine Ruhe, mein Leben verlieren, wenn ich Ihnen untreu gewesen bin. Wollen Sie mir noch nicht glauben? Julchen. Herr Siegmund, Sie schwoeren? Lottchen (mit Traenen). Er ist wohl unschuldig. Siegmund. Ja, das bin ich. Ich liebe Sie. Ich bete Sie an und suche meine Wohlfahrt in Ihrer Zufriedenheit. Wollen Sie jene vergroessern: so stellen Sie diese wieder her, und lassen Sie den Verdacht fahren, den ich in der Welt niemanden vergeben kann als Ihnen. Soll ich das Glueck noch erlangen, Sie als die Meinige zu besitzen? Lottchen (sie sieht ihn klaeglich an). Mich?... als die Ihrige?... Ja! Julchen. Meine Schwester! Lottchen. Schweig. Herr Siegmund, ich moechte nur noch ein Wort mit meinem Papa sprechen, alsdann wollen wir unsere Feinde beschaemen. Siegmund. Ich will ihn gleich suchen. Soll ich die uebrige Gesellschaft auch mitbringen? Wir muessen doch die gebraeuchlichen Zeremonien mit beobachten. Lottchen. Ja. Ich will nur einige Worte mit dem Papa sprechen. Alsdann bitte ich Sie nebst den andern Herren nachzukommen. Neunzehnter Auftritt Julchen. Lottchen. Cleon. Cleon. Nun, meine Kinder, wenn euch nichts weiter aufhaelt: so saehe ich's gern, wenn ihr die Ringe wechseltet, damit wir uns alsdann Paar und Paar zu Tische setzen koennen. Ei, Lottchen, wer haette heute frueh gedacht, dass du auf den Abend mit einem Rittergute zu Bette gehen wuerdest! Der Himmel hat es wohl gemacht. Julchen kriegt einen reichen und wackern Mann, weil sie wenig hat. Und du, weil du viel hast, machst einen armen Mann gluecklich. Das ist schoen. Dein Siegmund wird schon erkenntlich fuer deine Treue sein. Er kann einem durch seine Worte recht das Herz aus dem Leibe reden. Der ehrliche Mann! Wievielmal hat er mir nicht die Hand gekuesst! Wie kindlich hat er mich nicht um meine Einwilligung gebeten! Lottchen. Das ist vortrefflich. Nun lebe ich wieder. Lieber Papa, hat Herr Siegmund denn heute bei Ihnen um meine Schwester angehalten? Das kann ich nicht glauben. Cleon. So halb und halb hat er's wohl getan. Er mochte etwan denken, dass Herr Damis ein Auge auf dich geworfen haette und dass dir's lieber sein wuerde, einen Mann mit vielem Gelde zu nehmen. Ich war anfangs etwas unwillig auf ihn; aber er hat mich schon wieder gutgemacht. Man kann sich ja wohl uebereilen, wenn man nur wieder zu sich selber koemmt. Da kommen sie alle. Zwanzigster Auftritt Die Vorigen, Siegmund. Simon. Damis. Der Magister. Cleon. Endlich erlebe ich die Freude, die ich mir lange gewuenscht habe. Ich will Sie, meine Herren, mit keiner weitlaeuftigen Rede aufhalten. Die Absicht unserer Zusammenkunft ist Ihnen allerseits bekannt. Kurz, meine lieben Toechter, ich erteile euch meinen vaeterlichen Segen und meine Einwilligung. (Er sieht Lottchen weinen.) Weine nicht, Lottchen, du machst mich sonst auch weichmuetig. Lottchen. Meine Traenen sind Traenen der Liebe. Ich habe also Ihre Einwilligung zu meiner Wahl? Ich danke Ihnen recht kindlich dafuer. Simon (zu Lottchen). Aber, meine liebe Mamsell, Sie wollen... Wie? Damis. Ach, liebste Jungfer Schwester, ich bitte Sie... Lottchen. Was bitten Sie? Wollen Sie Julchen von meinen Haenden empfangen? (Sie fuehrt sie zu ihm.) Hier ist sie. Ich stifte die gluecklichste Liebe. Und Sie, Herr Siegmund... Siegmund. Ich nehme Ihr Herz mit der vollkommensten Erkenntlichkeit an und biete Ihnen diese Hand... Lottchen. Unwuerdiger! Mein Vermoegen kann ich Ihnen schenken; aber nicht mein Herz. Bitten Sie meinem Vater und der uebrigen Gesellschaft, die Sie in mir beleidiget haben, Ihre begangene Niedertraechtigkeit ab. Ich habe sie Ihnen schon vergeben, ohne mich zu bekuemmern, ob Sie diese Vergebung verdienen. (Zum Vormunde.) Und Ihnen, mein Herr, kuesse ich die Hand fuer Ihre Aufrichtigkeit. Wenn ich jemals mich wieder zur Liebe entschliesse: so haben Sie das erste Recht auf mein Herz. (Zu Siegmunden.) Sie aber werden so billig sein und, ohne sich zu verantworten, uns verlassen. Siegmund. Recht gern. (Indem er geht.) Verflucht ist die Liebe! Damis. Nicht die Liebe, nur die Untreue. Dies ist ihr Lohn. Lottchen (sie ruft ihm noch nach). Sie werden morgen durch meine Veranstaltung so viel Geld erhalten, dass Sie kuenftig weniger Ursache haben, ein redliches Herz zu hintergehn. Cleon. Lottchen, was machst du? Ich bin alles zufrieden. Du hast ja mehr Einsicht als ich. Julchen. O liebe Schwester, wie gross ist dein Herz! Gott weiss es, dass ich keine Schuld an seinem Verbrechen habe. O wenn ich dich doch so gluecklich saehe als mich! Der Magister. Ich bin ruhig, dass ich das Laster durch mich entdeckt und durch sich selbst bestraft sehe. So geht es. Wenn man nicht strenge gegen sich selbst ist: so raechen sich unsere Ausschweifungen fuer die Nachsicht, die wir mit unsern Fehlern haben. Simon (zu Lottchen). Ich, meine Freundin, wuerde das Recht, das Sie mir kuenftig auf Ihr Herz erteilet haben, heute noch behaupten, wenn ich Ihnen nicht schon das Wort gegeben haette, an dieses Glueck niemals zu denken. Ich bin belohnt genug, dass Sie mich Ihrer nicht fuer unwuerdig halten und dass der Untreue bestraft ist. Lottchen. O Himmel! lass es dem Betrueger nicht uebelgehen. Wie redlich habe ich ihn geliebt, und wie ungluecklich bin ich durch die Liebe geworden! Doch nicht die Liebe, die Torheit des Liebhabers hat mich ungluecklich gemacht. Bedauern Sie mich. (Ende des dritten und letzten Aufzugs.) Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die zaertlichen Schwestern, von Christian Fuerchtegott Gellert. End of the Project Gutenberg EBook of Die zaertlichen Schwestern by Christian Fuerchtegott Gellert *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ZAERTLICHEN SCHWESTERN *** This file should be named 7zsch10.txt or 7zsch10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7zsch11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7zsch10a.txt Produced by Delphine Lettau Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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